Fortunas verschlungene Pfade von Kikono-chan ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- 5. Kapitel: Im Laufschritt überquerte sie die Straße und eilte den Weg zum Krankenhaus entlang. Nach der Hälfte des Weges musste sie kurz an einem Zebrastreifen warten, da keines der Autos es für nötig hielt, anzuhalten. Genervt schickte sie den ignoranten Fahrern tausend Verwünschungen hinterher. "Dr Tamino?", rief ihr eine Stimme zu. Überrascht sah sie sich um und entdeckte einen schwarzen VW, der am Zebrastreifen hielt. Die Scheibe der Fahrerseite war heruntergelassen und ein verdutztes graues Augenpaar sah sie an. Von allen Kollegen, die sie hatte, warum musste es ausgerechnet ER sein?! "Dr Trafalgar..." "Kommen Sie, steigen Sie ein. Ich nehme Sie das letzte Stück mit." Mit einem mulmigen Gefühl folgte sie dem Angebot - nicht nur wegen der vielen hupenden Autos. Ihre Lungen brannten und dabei hatte sie gerade erst die Hälfte des Weges hinter sich gebracht. Also ließ sie sich auf den Beifahrersitz fallen und atmete tief durch. Aus den Augenwinkeln sah sie sehr wohl, dass ihr zukünftiger Chefarzt sie kurz eingehend gemustert hatte. Sie war einfach losgestürmt, ohne sich umzuziehen und hatte lediglich eine Jogginghose und ein T-Shirt an, welches ihr viel zu weit war. Nami riskierte einen Blick zu dem Schwarzhaarigen und schmunzelte. Er sah selbst nicht viel besser aus. "Frisch aus dem Bett gefallen?", konnte sie sich ihren Kommentar nicht verkneifen. Seine Augen verengten sich kurz. "Eigentlich wollte ich mich gerade dorthin begeben...", grummelte er. "So früh schon?" "Nennen wir es 'Flucht vor der Freundin'..." Er war also vergeben? "Muss ja eine reizende Freundin sein." Seine Mundwinkel zuckten kurz. "Ein Besen von einem Drachen. Und es wird schlimmer... Lange wird das nicht mehr gut gehen. Sie hält mir ohnehin ständig vor, dass ich zu wenig Zeit für sie hätte. Als eben der Pieper ging, fing sie an, eine riesen Szene zu machen." Ein bitteres Lächeln trat auf Namis Lippen. Das kam ihr sehr bekannt vor. "Bei mir ist es fast genauso..." "Scheint, als hätten wir beide kein Händchen für Beziehungen." Ihre Blicke trafen sich kurz und die Orangehaarige meinte, neben dem angedeuteten Lächeln, auch so etwas wie Mitleid gesehen zu haben. Vielleicht war er doch kein so großer Eisklotz... Kaum fuhren sie auf das Klinikgelände, konnten sie bereits die Sirenen der ersten Krankenwagen vernehmen. "Beeilen wir uns besser." "Ja." Im Eilschritttempo huschten sie ins Gebäude, in die Umkleiden und anschließend in die Notaufnahme. Zeitgleich mit den ersten Patienten kamen sie dort an. Der junge Chefarzt schloss zu einer Schwester auf. "Wissen wir schon, was passiert ist?" "Massenkarambolage. Ein LKW ist in einen Schulbus gekracht, hat diesen auf die Gegenfahrbahn geschoben und..." "Ein Schulbus? Heute? Um die Uhrzeit?", mischte Nami sich ein. "Sie waren von einem mehrtägigen Ausflug zurückgekommen." "Wie alt?" Ihre Gedanken überschlugen sich. "Alle zwischen 12 - 14 Jahre." "Sind die OPs frei?", kam es zeitgleich von der Kinderärztin und dem Chefarzt. "J-ja. Das hat Dr Kuleha bereits veranlasst." Überrascht riss Nami die Augen auf. "Sie ist hier?" Sie hatte ihre Mentorin seit der Führung vor einer Woche nicht mehr zu Gesicht bekommen. "Sie wollte schon vor in den OP." "Weiß man schon wieviele Verletzte es gegeben hat?", übernahm Dr Trafalgar nun wieder das Ruder. "Etwa 30 Personen. Vielleicht mehr. Die Bergungsarbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Davon mehr als die Hälfte Kinder." "Dr Tamino, trommeln Sie Ihr Team zusammen. Die Schwere der Verletzungen ermitteln und beurteilen. Und dann entscheiden Sie, ob die Kinder operiert werden müssen, und falls ja, ob sofort. Schwester, sorgen Sie dafür, dass die Radiologie freigehalten wird. Die Unfallopfer haben absolute Priorität. Ich kümmere mich vorerst um die Ersteinschätzung der Erwachsenen. Wo sind die anderen Ärzte? Machen die Kaffeepause oder was?!" Nami wartete nicht ab, ob er noch weiter schimpfte. Sie hatte ihre Anweisungen bekommen. Über den Pieper kontaktierte sie ihr OP-Team und rief danach auf der Kinderstation an, damit ihr eine der diensthabenden Schwestern zur Hand gehen konnte. Die Rettungssanitäter schoben das erste Kind in die Notaufnahme. Schnell ratterte der Notarzt die wichtigsten Details herunter: "Mädchen, 12 Jahre, stumpfes Trauma am Kopf, diverse Brüche, ausgekugelte Schulter. Kein Hinweis auf innere Blutungen." "Ich will ein CT vom Kopf und Thorax, bringt sie gleich rüber in die Radiologie." Nur weil der Notarzt der Meinung war, es gäbe keine inneren Blutungen, hieß das noch lange nicht, dass es keine gab. Nami hatte einen kurzen Blick auf das Mädchen geworfen. Nachdem, was sie gesehen hatte, würde sie nicht - oder zumindest nicht sofort - operiert werden müssen. Je nachdem wie kompliziert die Brüche waren. Das CT bestätigte ihre Annahme und ließ sie aufatmen. Die Brüche waren sauber und mussten nur stabilisiert werden, aber eine Drainage würde sie legen müssen, denn die Lunge war einseitig eingefallen. "Ah, Kaya, gut, dass du endlich da bist.", begrüßte sie ihre blonde Kollegin, die sich soeben abgehetzt neben sie gestellt hatte. "Die Kleine hier hat eine ausgekugelte Schulter, Brüche an Elle, Speiche und eine Sprunggelenksfraktur linksseitig, außerdem braucht sie eine Thoraxdrainage. Danach zur Überwachung auf unsere Station und sie darf vorerst nicht alleine aufstehen!" "Alles klar." Kaya holte noch einmal tief Luft. Ihr Anfahrtsweg war deutlich länger gewesen, als der von Nami, und so hatte sie sich doppelt beeilt beim Umziehen, war dann den Weg zur Notaufnahme gerannt und musste erst wieder zu Atem kommen. Sie lächelte ihre Oberärztin an, nickte entschlossen und ging dann zu dem Mädchen, welches von Emily gerade einen Schmerztropf bekommen hatte. Somit hatte die Blonde direkt eine fähige Schwester an der Hand. Der nächste Junge hatte weniger Glück. Er war zum Zeitpunkt des Unglücks durch den Bus gelaufen und war einmal quer durch diesen geflogen. Innere Verletzungen, Blutungen, diverse Schnittwunden und komplizierte Brüche waren die Folge. Nach einer kurzen Fahrt durch's CT ging es für ihn direkt in den OP und Kaya übernahm Namis Platz in der Notaufnahme, nachdem sie das Mädchen versorgt hatte. Der Eingriff war langwierig aber nicht so dramatisch, wie die junge Ärztin anfangs befürchtet hatte. Er würde durchkommen. Nami ließ den Jungen vom diensthabenden Kinderarzt abholen und bereitete sich gleich auf die nächste OP vor. Kaya würde ihr gleich ein weiteres Kind bringen. Die ganze Nacht operierten sie, fixierten Brüche, renkten Knochen wieder ein und versorgten diverse Wunden. Völlig erschöpft ließ Nami sich auf einen Stuhl sinken. Sie wollte sich nur kurz ausruhen und dann auf ihrer Station nach dem Rechten sehen. Doch dann flog die Tür zum Aufenthaltsraum auf, in dem sie saß und eine junge Anästhesieschwester stolperte herein. "Dr Tamino! Gut, dass Sie noch hier sind. Dr Trafalgar will Sie umgehend im OP haben." "Im OP? Aber ich dachte, es seien alle Kinder versorgt..." "Er will Sie in SEINEM OP haben. JETZT!", drängelte die Schwester. Verdutzt eilte Nami ihr nach. Wollte er sie schon wieder ärgern? Er konnte doch unmöglich ihre Hilfe brauchen... "Sie haben mich rufen lassen, Dr Trafalgar?", begann sie zögerlich. Angesprochener sah kurz auf. "Ja. Sind Sie steril? Ich könnte Ihre Hilfe gebrauchen." Zweimal blinzelte sie, dann schob sie alle aufkommenden Gedanken und Fragen beiseite. "Sekunde." Sie ließ sich Handschuhe und Kittel geben. Mundtuch und OP-Haube hatte sie sich bereits im Vorbereitungsraum umgebunden. Nami kam zu dem jungen Chefarzt an den Tisch. "Also, wie kann ich helfen?" Er deutete auf den Kopf des Patienten. Die junge Frau kam näher und sah kritisch auf das Haupt. "Ich bin Kinderärztin und keine Neurochirurgin." "Aber Ihre Hände sind mindestens genauso ruhig. Wer in so kleinen Körpern derart geschickt operieren kann, kann das auch im Gehirn eines Erwachsenen. Viel Platzunterschied ist das nicht." War das sein Ernst? Der Typ war komplett übergeschnappt! Ein menschliches Gehirn war etwas völlig anderes! Zweifelnd blickte sie ihn an. Ein resignierendes Seufzen kam von ihm. "Ich weiß nicht, wen ich sonst rufen soll. Der Neurologe ist derzeit verhindert. Sie waren meine letzte Hoffnung. Das Metallstück, welches aus seinem Kopf ragt, hat eines der versorgenden Blutgefäße durchtrennt. Es muss raus, das Gefäß repariert und das bereits ausgetretene Blut abgesaugt werden. Aber das ist alleine völlig unmöglich. Und je länger wir hier warten, umso höher ist die Gefahr irreversibler Schäden..." "Jaja, schon klar... Ok, was soll ich machen?" "Danke." Völlig überrascht sah sie ihn an. "Ich entferne jetzt das Metall. Sie müssen sofort die Naht setzen." Schnell und präzise. Und das auf engstem Raum. Noch dazu mit diesem Eisklotz in unmittelbarer Nähe. Fortuna hasste sie doch! "Ich habe selten so geschickte Finger gesehen. Sie wären eine klasse Neurologin geworden.", lobte Trafalgar sie, nachdem sie die Operation erfolgreich beendet hatten. "Hören Sie schon auf! Das wird mir langsam echt unangenehm, wenn Sie mich so oft loben." "Ich sage nur die Wahrheit. Aber gut. Darf ich Sie dann etwas anderes fragen?" "Was denn?" Er lehnte neben ihr am Waschbecken im Vorbereitungsraum. Mittlerweile schien sie sich an seine Nähe gewöhnt zu haben. "Was soll das darstellen auf ihrer OP-Haube?" Die junge Frau lachte kurz auf. Wie auch immer er jetzt auf diese Frage kam... "Eine Schatzkarte." Er legte den Kopf schief. "Komisches Motiv." "Sagt der, auf dessen OP-Haube sich mehr Skalpelle tummeln, als wir in einer Woche verbrauchen.", konterte sie. Nun war er es, der verlegen lachte. "Eigentlich nehme ich diese hier nur sehr selten aber die anderen müssen gewachsen werden." "Was sind die anderen Motive?", wurde sie langsam neugierig. "Aber nicht lachen!" "Ich versuch's.", grinste sie ihn an. "Meine Lieblingshaube hat Eisbären drauf. Und die andere ist weiß mit schwarzen Punkten." "Wie ein Schneeleopard?", fragte sie leicht verblüfft. Er nickte nur. "Bei mir sind es Orangen.", gestand sie. "Passt irgendwie." Ein dankbares Lächeln umspielte ihre Lippen und auch sie musste zugeben, dass das Motiv des Schneeleoparden zu dem jungen Chefarzt passte: Kühl, anmutig, stark, ausdauernd. Und schön. Schnell schob sie den letzten Gedanken wieder weg. Nein, sie fand ihn NICHT attraktiv! Inzwischen hatten die beiden sich in den Aufenthaltsraum im ersten Stock begeben, nachdem Nami sich davon überzeugt hatte, dass es allen Kindern den Umständen entsprechend gut ging und Bedarfsmedikamente aufgeschrieben hatte. So sollten alle den Rest der Nacht gut überstehen. Völlig ausgelaugt ließen sie sich auf die bequeme Couch fallen und augenblicklich übermannte Nami die Erschöpfung. Am liebsten wäre sie sofort eingeschlafen. Die Anwesenheit Trafalgars hätte daran auch nichts geändert. Doch die dringend benötigte Ruhe sollte ihr vergönnt bleiben, denn ihre Mentorin stand plötzlich in der Tür. "Hallo Küken." Breit grinsend kam Kuleha auf Nami zu und warf dabei Trafalgar einen kurzen Blick zu, woraufhin dieser sich direkt wieder erhob und Richtung Ausgang schlenderte. "Ich hol mir einen Kaffee. Möchten die Damen auch etwas zu trinken?" "Ja gerne, Kaffee klingt super.", kam es von der Kinderärztin, während Kuleha lediglich den Kopf schüttelte. Damit verließ er den Raum und ließ die beiden allein. "Du scheinst den Eisklotz ja recht gut im Griff zu haben.", begann die Ältere. "Gar nicht wahr! Ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir miteinander klar kommen werden. Hast du überhaupt eine Ahnung, was du mir damit angetan hast? Warum hörst du einfach auf?" "Mein Mindesthaltbarkeitsdatum ist längst überschritten, Mädchen. Ich steh zwar auf große Auftritte aber auf spektakuläre Abgänge kann ich gut und gerne verzichten. Mach nicht so einen Wirbel um eine alte Frau, wie mich." Was waren denn das für Töne? So hatte Nami die Chefärztin noch nie reden hören. "Kuleha. Wieso er?" "Weil er der fähigste Chirurg ist, der mir seit Langem untergekommen ist. Du kannst sicher noch einiges von ihm lernen." Nami nickte kurz. Sie hatte ihn operieren sehen und konnte dem nur zustimmen."Warum jetzt?" "Das sagte ich bereits." "Nein. Ich will die Wahrheit! Du sagtest immer, nur der Tod könne dich davon abhalten, weiter als Ärztin tätig zu sein!" Mit traurigem Lächeln sah die Alte auf ihre Flasche Pflaumensaft in ihrer Hand. Und plötzlich verstand Nami. "Das glaub ich nicht! Wann... wieso... wie hast du davon erfahren?" "Ein Zufallsbefund. Danach war ich bei vielen Ärzten aber nur Trafalgar hatte den Mut, mir zu sagen, dass der Krebs inoperabel ist. Er erläuterte verschiedenste Methoden, wie man ihn operativ verkleinern könnte aber man bekäme ihn nicht ganz weg. Einmal durfte er schneiden und hat mir damit etwas mehr Zeit verschafft. Ich hatte es gleich im Gefühl, dass er gut ist aber das Ergebnis hatte selbst mich überrascht. Er konnte mehr als 80% des Geschwürs entfernen. Versprochen hatte er mir nur 50%. Und da wusste ich, dass ich ihn zu meinem Nachfolger machen würde. Ich habe lange auf ihn eingeredet aber er war einfach nicht bereit, seine Praxis aufzugeben und seine Mitarbeiter zu entlassen. Er hat ein gutes Herz, weißt du. Also habe ich mit Eisberg gesprochen und ihm einen Deal aus dem Kreuz geleiert. Wenn Trafalgar die Stelle als Chefarzt annimmt, darf er sein Team aus der Praxis mit hierher bringen. Naja, und so sind die beiden Knallerbsen Shachi und Penguin auf der Chirurgie gelandet." Nami kicherte leise. Sie hatte bereits von den beiden gehört. Shachi, ein junger Mann mit orangebraunem Haar und unerschütterlich guter Laune, stellte nur allzu gern dem weiblichen Pflegepersonal nach. Da die ihn aber durchweg alle irgendwie putzig fanden, beschwerte sich niemand über den hyperaktiven Gummiball. Penguin war da das genaue Gegenteil seines Kollegen. Ruhig, introvertiert, gelassen, mit einem scharfen analytischen Verstand. Wenn es nicht unbedingt sein musste, sprach er kein Wort. Was ihn jedoch nicht minder beliebt machte. "Ehrlich, eigentlich bin ich ganz froh, dass ich jetzt kündigen muss. So bleiben mir die beiden Chaoten erspart." "Kuleha..." "Keine Sorge, Küken. Kurz bevor ich abtrete, schicke ich dir eine Postkarte einer traumhaften Insel, auf die ich mich absetzen werde. Irgendwohin, wo das ganze Jahr über die Kirschblüten blühen..." Wehmütig richtete sie den Blick an die Decke. Nami wusste, dass sie immer an ihren längst verschiedenen Mann dachte, wenn sie von den Kirschblüten anfing. Dann verschwand dieser Ausdruck wieder aus dem Gesicht der Älteren und breit grinste sie ihre Schülerin an. "Ich war immer stolz auf dich, Nami. Und ich werde es immer sein. Ich weiß, du wirst mir keine Schande bereiten." Damit prostete sie der Jüngeren zu, trank einen großen Schluck ihres Pflaumensaftes und verschwand dann wieder. Als Trafalgar zurück in den Aufenthaltsraum kam, saß Nami zusammengekauert auf der Couch. Unschlüssig blieb er in der Tür stehen. "Kommen Sie rein und machen Sie die Tür zu, Dr Trafalgar.", kam es leise von der Kinderärztin. Ohne es zu hinterfragen, tat er, wie verlangt und stellte dann den Kaffee auf den Tisch vor der Couch ab. Er selbst setzte sich auf den danebenstehenden Sessel. Ihm war sofort klar, dass Kuleha ihre Schülerin mit der grausamen Wahrheit konfrontiert haben musste. Namis Körperhaltung sprach Bände. "Sie sehen mitgenommen aus, Dr Tamino." Es war eine reine Feststellung, keine Frage. Seine Worte waren leise aber deutlich und über die Lippen der jungen Frau huschte ein spöttisches Grinsen. "Wundert Sie das wirklich, Dr Trafalgar?" Sie sah ihn kurz abschätzend an. "Nein. Tut es natürlich nicht, denn Sie wissen es ja bereits. Sie wussten es schon, als wir uns vor einer Woche zum ersten Mal auf der Kinderstation begegnet sind. Hatten Sie sich nur deswegen mit mir unterhalten? Um herauszufinden, wie viel ich über die Krankheit von Dr Kuleha weiß?" Langsam schüttelte er den Kopf. "Sie missverstehen da etwas. Ich war nicht an Ihrem Wissen über Ihre Mentorin interessiert, denn sie hatte mich bereits davon in Kenntnis gesetzt, dass niemand darüber Bescheid wüsste. Ich wollte lediglich den Menschen kennen lernen, für den sie diese Show abgezogen hat." Fragend hob sie eine Augenbraue. "Welche Show?" Trafalgar überschlug die Beine und faltete die Hände. "Sie sind ja tatsächlich so ahnungslos, wie die Alte Sie beschrieben hat. Ihnen ist bewusst, dass alles, was ich Ihnen sagen könnte, unter die ärztliche Schweigepflicht fällt." Genervt wandte die junge Frau den Kopf ab. "Dann lassen Sie es und gehen jetzt bitte!" Sie wollte ja gar nicht Kulehas Krankengeschichte wissen, sie wollte eigentlich nur... ja, was denn? Kurz dachte sie darüber nach, warum sie überhaupt zugelassen hatte, dass er sich zu ihr gesellt hatte. Hatte sie gehofft, er könnte ihr Trost spenden? Oder sich einfach mit ihr über die alte Schachtel unterhalten? Vielleicht wollte sie auch einfach nur nicht allein sein in diesem Moment. Eine ganze Weile blieb es still im Raum. Trafalgar hatte nicht auf Namis Bitte reagiert und sie hatte nichts mehr dazu gesagt. Aber den Kopf zwischen ihren Knien begraben hatte sie derweil, während ihre Finger sich in ihrem Oberarm und Hinterkopf verkrallt hatten. Ob sie weinte? Mit einem leisen, resignierenden Seufzen erhob er sich aus dem Sessel und blickte auf die junge Kinderärztin herab. "Es ist Ihnen vielleicht nicht bewusst, aber Kuleha wollte mich nur als Vorwand nutzen, um Sie aus der Reserve zu locken. Der Chefarztposten hätte im Grunde Ihnen gehören sollen." Nami zuckte zusammen und blickte langsam auf. Große, rehbraune Augen sahen ihn verständnislos an. "Die alte Hexe wollte immer nur Sie haben, niemand sonst. Nach ihrem Eingriff eröffnete sie mir ohne Umschweife, dass sie mich gerne als Motivator missbrauchen würde. Ich sollte nur so tun, als wäre ich scharf auf den Chefarztposten, um ihre hochbegabte Schülerin aus ihrer Komfortzone zu treiben. Aber ich lehnte ab. Jemand, der alles hat, um die Karriereleiter bis ganz nach oben zu klettern, und es trotzdem nicht schafft, hat es meiner Ansicht nach auch nicht verdient dort oben zu sitzen. Das war vor 2 Jahren." Er machte eine kurze Pause, um Namis Reaktionen genau zu studieren, doch ihr Ausdruck schien wie eingefroren. Stumm starrte sie vor sich hin. Sie hörte jedes Wort aber begreifen konnte sie es einfach nicht. "Vor einigen Monaten dann trat sie wieder an mich heran, dieses Mal mit der Bitte, ihre Position als Chefärztin der Chirurgie zu übernehmen. So langsam lief ihr nämlich die Zeit davon und die Schülerin, in die sie ihre Hoffnungen gesetzt hatte, zeigte keinerlei Interesse an eben jenem Posten. Kuleha unterbreitete mir ein Angebot, welches ich im Endeffekt dann tatsächlich angenommen hatte. Nicht wegen des Geldes oder der Position, sondern eher wegen den Herausforderungen. In meiner alten Praxis begann ich bereits, mich zu langweilen und ein derart renomiertes Krankenhaus versprach Abwechslung. Und dann traf ich auf Sie..." Er blickte Nami unverwandt an und endlich schien sie wieder zu reagieren. Ihre Augen verengten sich und fixierten die des Schwarzhaarigen. "Kuleha hatte nie irgendwelche Namen genannt aber mir war sofort klar, vor wem ich da stand. Nachdem ich Sie im OP und bei Ihrer Arbeit beobachtete hatte, konnte ich die Gedankengänge der alten Hexe durchaus nachvollziehen und wollte selbst herausfinden, was eine derart begabte junge Frau davon abhielt, bis ganz nach oben zu kommen." "Ihre Antwort haben Sie ja bekommen.", entgegnete Nami nüchtern. Er schmunzelte kurz, dann setzte er sich direkt neben die Orangehaarige, den Blick nie von ihr abwendend. "Ja, die habe ich bekommen. Und während sich meine Jungs oben auf der Chirurgie benehmen, wie Kleinkinder und sich von den Schwestern den Hintern vergolden lassen, habe ich das Gefühl, dass man mir den schwarzen Peter zugeschoben hat. In der ganzen Geschichte bin ich der Böse..." Ein bitteres Lächeln huschte über Namis Lippen. Ganz Unrecht hatte er damit nicht - er passte perfekt ins Feindbild. Aber endlich begriff sie. Kulehas ständige Herausforderungen, die die junge Ärztin immer wieder auf's Neue über ihre Grenzen hinaus gehen ließen. Die ständigen Sticheleien, dass sie sich angeblich nur deswegen auf Kindermedizin spezialisiert hätte, weil sie der 'großen Chirurgie' nicht gewachsen wäre. Und auch Trafalgars Interesse an ihr und ihrer Karriere. "Die alte Schachtel... hat das Alles nur für mich getan." Sie ließ ihre Stirn wieder auf ihre Knie fallen. Ihre Augen wurden glasig. "Dabei hat mich dieser Posten nie interessiert. Ich bin glücklich auf der Kinderstation." "Dennoch hat Kuleha die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Sie glaubt fest daran, dass Ihr Ehrgeiz durch meine Anwesenheit angefacht wird." Nami schüttelte verständnislos den Kopf "Ich weiß. Als wir uns vergangene Woche unterhalten hatten, ist mir klar geworden, dass Kulehas Plan nie funktioniert hätte. Nie funktionieren wird." "Na wenigstens einer, der es begreift. Warum hat sie nur nie was gesagt? Dann hätte ich ihr deutlich gemacht, dass ich den Chefarztposten nicht begehre. Weder damals noch heute" "Obwohl du die Leute hier ziemlich gut im Griff hast.", eröffnete er breit grinsend. Etwas überrascht hob die junge Frau ihren Kopf und sah ihn sprachlos an. Nicht nur, dass sie zum ersten Mal sah, wie er ehrlich grinste, er hatte sie auch einfach so wieder geduzt. Ob ihm das einfach so herausgerutscht war? Bisher hatte er doch auch die Etikette gewahrt. Sein Grinsen wurde zu einem warmen Lächeln, als er sie ansah. "Was hältst du von einem Abkommen? Hier, in diesem Moment, in diesem Raum, sind wir nur zwei normale Menschen. Nur Nami und Law. Keine Ärzte. Was hier geredet wird, bleibt hier. Und sobald wir diesen Raum wieder verlassen, kehren wir zurück zur Etikette." Er spürte ganz deutlich, dass sie am Liebsten die Fassung verlieren und ihren Gefühlen freien Lauf lassen würde. Jedoch nicht in seiner Gegenwart. Nicht solange er ihr Vorgesetzter war. Aber aus einem inneren Impuls heraus wollte er sie ungern alleine lassen. Außerdem hatte er es satt, der Böse in diesem Szenario zu sein, und das wollte er ihr gerne beweisen. Nami rang mit sich. Ihr war völlig bewusst, was geschehen würde, wenn sie seinem Abkommen zustimmte. Es gab nur einen einzigen Grund, warum sie schlussendlich langsam nickte: Sie brauchte dringend jemanden zum Reden. Und zwar jetzt! "Abgemacht. Nichts verlässt diesen Raum. Und im Anschluss bin ich wieder die stationsleitende Oberärztin der Kinderchirurgie und du mein nervtötender Bald-Chefarzt." Gespielt verzog er das Gesicht." Uh, das klingt fast so, als könntest du mich so gar nicht leiden." "Du bist arrogant, überheblich, ein Eisklotz und das einzige, was dich für die Rolle als Chefarzt qualifiziert, ist dein Können - also ja, deine Symphathiepunkte bei mir bewegen sich am Existenzminimum." "Autsch." "Aber..." begann sie zögerlich und wandte den Blick von ihm ab. "... trotz Allem, du bist kein schlechter Mensch. Und der Einzige, der weiß, wie es wirklich um Kuleha steht." "Ihr steht euch sehr nahe.", stellte er fest. "Für mich ist sie wie eine Mutter. Ich habe hier nicht viele Menschen, die mir nahe stehen. Meine leibliche Mutter lebt mit meiner Schwester im Ausland. Der Arbeit und der Liebe wegen. Meine beste Freundin hat es ans andere Ende der Welt verschlagen für ihren Traum und ihren Mann. Und mein Freund..." Ein resignierendes Seufzen lässt sie kurz innehalten. "... egal. Jedenfalls ist Kuleha nicht nur meine Mentorin. Sie ist meine Freundin. Meine Familie. Und sie war immer mein Fels in der Brandung." Law runzelte kurz die Stirn. Er konnte Nami sehr gut verstehen und ihre Gefühle durchaus nachvollziehen. Und dann grinste er sie frech an. "Eisberg meinte, ich übernehme sämtliche Aufgaben von Kuleha. Also: Lass mich deine Freundin sein." Prustend lachte sie los. "Du?" Mit einem fiesen Grinsen im Gesicht, bohrte sie ihren Finger in Laws Wange. "Weißt du überhaupt, was es bedeutet, mit einer Frau befreundet zu sein?" "Keine Ahnung. Endlose Shoppingtouren mit dir und einfach zuhören, wenn du dich auskotzt? Kommt das in etwa hin? Ach, und immer deiner Meinung sein: Nur du hast Recht und alle anderen sind doof." Empört sah sie ihn an. "Dein Ernst? Du glaubst, Mädchenfreundschaften reduzieren sich auf reden und shoppen?" Herausfordernd blickte er sie an. "Beweise mir das Gegenteil." "Tze." Nami lehnte sich zurück. Natürlich machte Reden einen Großteil jeder Freundschaft aus. Irgendwie musste man sich ja schließlich Luft machen. Und ja, ab und an tat es auch mal gut, wenn einem jemand über die Seele streichelte und sagte, dass alle anderen gehirnamputierte Idioten sind, aber eine Freundschaft - eine ECHTE Freundschaft - machte noch so viel mehr aus. "Selbst wenn ich das tun würde - was ich nicht vorhabe! - , wäre es hinfällig, sobald wir diesen Raum verlassen." Nachdenklich lehnte nun auch er sich zurück und starrte an die Decke. Stimmt. Sie hatte Recht. Und das wurmte ihn. Er zog eine Augenbraue nach oben. Hatte es ihn schon immer gestört, wenn jemand anderes Recht hatte? Früher nicht. Auch er hatte immerhin mal klein angefangen. Aber in den letzten Jahren gab es niemanden mehr, der ihm das Wasser reichen konnte. Von Kuleha einmal abgesehen, war Nami die erste. Die junge Ärztin setzte sich seitlich auf die Couch, positionierte sich so, dass sie Law ansehen konnte und grinste dann kokett. "Das nagt tierisch an dir, oder?" Genervt wandte er ihr den Kopf wieder zu. Und stellte fest, dass sie plötzlich nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Völlig überrumpelt starrte er sie einfach nur an. Waren ihre rehbraunen Augen schon von Anfang an mit goldenen Sprenkeln versehen gewesen? Nein! Das machte das einfallende Tageslicht. Oder der Schlafmangel. Auch Nami bemerkte die Sonnenstrahlen und ihre Mimik gefror plötzlich, denn ihr fiel schlagartig ein, welcher Tag gerade angebrochen war. Natürlich blieb dem Schwarzhaarigen das nicht verborgen und besorgt sah er sie an. "Nami...?" "Ruffy...", wisperte sie und ihre Augen wurden glasig. "Heute... heute ist doch..." Sie schlug ihre Hand vor ihren Mund und sah hilfesuchend zu Law. "Ich hätte nicht hier sein dürfen. Ich habe ihn versetzt... schon wieder..." Langsam bahnte sich die erste Träne ihren Weg und schnell folgten weitere. Der Damm war gebrochen. Ohne zu zögern, legte er seine Arme um die junge Frau und zog sie zu sich. Nami krallte sich in seinen Kasack und ließ ihren Tränen freien Lauf. Heute war ihr Jahrestag. Und sie verbrachte ihn im Krankenhaus, statt mit Ruffy. Doch sie konnte hier nicht weg, ihre kleinen Patienten brauchten sie! Sie war für sie verantwortlich. Und selbst wenn sie hätte gehen können, würde sie doch vergebens auf ihn warten. Während einer ihrer Operationen hatte er ihr geschrieben, er wäre heute nach der Arbeit mit den Jungs unterwegs und schläft außwärts. Sie weiß nicht einmal, mit welchem der Jungs. Wie sollte sie da herausfinden, wo er heute Nacht sein würde? Es war ausweglos. Dieser Jahrestag wäre ganz sicher unvergesslich. Aber nicht im Geringsten so, wie sie sich das vorgestellt hatte. Und dann war da ja noch die Sache mit Kuleha... Was war nur in letzter Zeit los? Hatte sie etwa das Recht auf Glück verwirkt? Law hielt Nami einfach nur fest, strich ihr sanft über Kopf und Rücken und gab ihr den Halt, den sie gerade brauchte, während sie immer wieder Ruffys und Kulehas Namen schluchzte. Mehr konnte er im Moment nicht tun. Und wenn sie diesen Raum verließen, würde es keine Gelegenheit mehr geben, mehr zu tun. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)