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Requiem

Teil Drei der BtB Serie
von

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Patterns of grief

‚Du bittest mich nie, zu bleiben.‘

 

Der Geist dieser Worte wehte herein und wieder hinaus…genau wie die Brise. Sie hatte die Vorhänge zugezogen, aber das Kitzeln von Gänsehaut auf ihren Armen signalisierte deutlich, dass die Fenster noch immer offen waren – das waren sie seit Tagen. 

 

Er kommt nicht zurück…

 

Kurenai versteifte sich auf der Couch, fühlte, wie sich die frostige Stimme der Vernunft viel tiefer biss als es die Kälte jemals könnte und erschauerte. Ihr Atem bewegte den ausgefransten Rand des Lakens, das sie bis zu ihrem Nasenrücken nach oben gezogen hatte. Blicklos stierte sie auf das Fenster und sah zu, wie der Vorhang wogte. 

 

‚Wenn ich zu Tode stürze, dann sag, dass ich es mit Stil getan habe. Ich komm dann später wieder nach Hause.‘

 

Ein stechender Schmerz; er schnitt sich aufwärts, bis ihre Kehle vor der Belastung eines einzigen unausgesprochenen Wortes weh tat. Was nützte es jetzt noch? Sie hatte es damals nicht gesagt, konnte sich nicht dazu bringen, es jetzt zu sagen.

 

‚Du bittest mich nie, zu bleiben.‘

 

Die Vorhänge wogten erneut. Das schwache Zwitschern von Vogelgesängen und der Geruch feuchter Erde aus den Blumentöpfen. Kein Rauch, keine schweren Schritte. Sie blinzelte und nasse Maskara Wimpern standen wirr ab, um ihre Sicht genug verschwimmen zu lassen, dass sie eine Gestalt erkennen konnte, die gegenüber auf dem anderen Sofa kauerte; breit und kraftvoll, getaucht in Mondlicht…manchmal könnte sie schwören, sie hätte das metallische Schnappen eines Feuerzeugs gehört, das flüchtige Aufflackern einer Flamme und ein blaues Band aus Rauch, das sich gen Decke kräuselte. Und das brachte ihren Blick immer wieder hinunter zum Rand der Couch, wo sie drei dunkle Punkte finden würde, die in den Stoff gebrannt waren. Drei perfekte kleine Kreise, gleichbedeutend mit Fingerabdrücken. Beweise für Leben. Beweise für eine Präsenz, die jetzt fort, die jetzt verloschen war. 

 

Stop…

 

Krampfartig sog sie die Luft ein, und fing sich gerade noch so am Rand einer weiteren sinnlosen Suche ab. Diese forensische Suche nach seiner Anwesenheit war nicht gut. Und jede ungewollte Entdeckung fühlte sich wie eine kriminelle Handlung an; als würde ihr Verstand unterbewusst arbeiten, um kleine, aber unverzeihliche Vergehen des Herzens zu bestrafen. Dieses eine Wort. 

 

‚Du bittest mich nie, zu bleiben.‘

 

Kurenai presste die Lider aufeinander. Langsam schob sie die Beine von der Couch und erhob sich in derselben Bewegung, wobei es sie nicht scherte, dass das fadenscheinige Laken achtlos zu ihren Füßen fiel. Sie trat nicht darüber hinweg, fühlte stattdessen die Falle und das Ziehen des Gewebes. Warum ein Bett machen, in das sie sich nicht legen wollte? Aber jede Nacht fand sie sich wieder aus ihrem eigenen Schlafzimmer verbannt, eingehüllt in Laken und in Bitterkeit. Ihre Arme schlangen sich um ihren Bauch, widerstanden dem Drang, sich festzukrallen, zuzudrücken, ein Leben zu ersticken, eine Zukunft zu strangulieren, von der sie es sich nicht vorstellen konnte, sie jetzt noch zu leben, wenn doch das Licht daraus gestohlen worden war. 

 

‚Frag mich, warum ich bleibe.‘

 

Ein Kratzen an der Tür. 

 

Sie erstarrte, ließ ihren Blick nachlässig zur Schwelle schweifen. Ein bekanntes Schnüffeln erklang; eine Art tierisches Niesen, bevor der Hund schnupperte und leise winselte. Wahrscheinlich Akamaru.

 

‚Ninja Hunde. Eigentlich gar keine so schlechte Idee.‘

 

Kurenais Augen wandten sich ab. Mit steif aufgerichteter Wirbelsäule und steinernem Gesicht bewegte sie sich auf dem kalten vertrauten Pfad, der sie durch das Schlafzimmer direkt in das angrenzende Bad brachte. Sie schaltete das Licht an, mied die Fremde im Spiegel und begab sich methodisch – ein Knie nach dem anderen – hinab in diesen gewohnten Kniestand, während sich eine Hand nach hinten schob, um ein Nest aus verhedderten dunklen Strähnen festzuhalten und die andere den Toilettensitz hob. Sie beugte sich ein Stück nach vorn, vorbereitet auf einen qualvollen Ruck, die atemlose Belastung eines trockenen Würgens. 

 

Ein erstickter Klang, aber nichts folgte. 

 

Kein Schatten fiel über sie, keine unbeholfene Präsenz verharrte im Türrahmen, trat mit hilfloser Unsicherheit von einem Fuß auf den anderen, keine starken Finger fuhren durch ihr Haar und strichen ihre Seiten hinunter. 

 

Nichts.

 

Nur die Abwesenheit…nur der dumpfe Schmerz…

 

Das scharfe Echo von Tropfen, die auf Wasser trafen. Distanziert beobachtete Kurenai, wie sich die schwarze Träne auflöste und eine weitere hinabstürzte, sich spiralförmig drehte und verwässerte zu…

 

Nichts…

 

Sie verspürte einen Ruck, der weit brutaler war als der der Übelkeit. Sie wusste, was als nächstes kam. Genauso vertraut für sie wie die morgendliche Übelkeit; nur konnte es nicht verhindert, fort gespült oder vergessen werden…

 

‚Warum kannst du mich nicht fragen?‘

 

Kurenai senkte den Deckel, während sie nach vorn sackte und hob einen blassen Arm, um blind nach dem Waschbecken zu tasten. Ihre abgebrochenen Nägel glitten über die Keramik. Ein zitterndes Bein nach dem anderen zog sie sich nach oben, die Augen weit und suchend…sie scannten die blasse Weite der Schüssel, bevor ihr Blick von dem sicheren weißen Pfad abwich und auf den affengesichtigen Becher traf, der auf einer Seite des Waschbeckens stand…in dem zwei Zahnbürsten steckten und Nacken an Nacken ruhten; unscharfe Borsten, minzige Körnchen…

 

‚Frag mich, warum ich aufgehört habe zu gehen.‘

 

Sie spürte, wie ein Heulen in ihr aufstieg. Kurenai presste bebende Finger gegen ihren Mund, bis ihre Zähne von dem Druck schmerzten. Ihre Sicht verschwamm; ein wässriges Durcheinander, das den Affenbecher zu einer verzerrten Grimasse verwischte, die ebenso hässlich war wie der Kummer, der sich in ihre Gesichtszüge ätzte. 

 

‚Willst du, dass ich gehe?‘

 

Hör auf.

 

Sie sah, wie Sterne wirbelten, fühlte, wie das nasse Stechen ihre Wangen hinunter rann und das rapide Feuer ihres Atems; ein und aus, ein und aus…

 

‚Willst du, dass ich gehe, Kurenai?‘

 

Heftig schlug sie aus; ihre Rückhand traf den Becher mit solch ungeplanter Brutalität, dass ihr gesamter Körper der Bewegung folgte. Sie spürte, wie sie unterging, als befände sie sich in einem Traum, als würde sie durch Wasser fallen, langsam aber stet, bis ihre Handflächen auf kalte Fliesen trafen und das Zersplittern von Keramik das einzelne, schwere Schluchzen unterstrich, das sich aus ihrer Kehle quälte. Es strangulierte das eine Wort, das sie nie ausgesprochen hatte und von dem sie sich immer noch nicht dazu bringen konnte, es zu sagen. 

 
 

~❃~
 

 

„Bleib“, murmelte Kakashi. 

 

Das eine Wort, wispersanft, erschien so laut in der Stille des Korridors. Er spürte, wie der Ninken an seinen Füßen zuckte und strich mit der Handfläche über Spitzen der Hundeohren. „Du weißt, wann du gehen musst, Ūhei.“

 

Genauso wie er. Jetzt. Schnell. Und bevor er über den Gedankengang nachgrübeln könnte, der ihn dazu gebracht hatte, ein paar schwarze und weiße Spuren zu überspringen und ihn direkt hierher geführt hatte; vor Kurenais Tür. Ah, wie viele Regeln hatte er gebrochen?

 

‚Regelbücher, Schulbücher, Hatake.‘

 

Kakashi trat einen halben Schritt zurück und spähte über die Schulter, als würde er sich einem Geist zuwenden – oder nach seinem früheren Selbst suchen, das er sofort zurück in seinen Körper gelassen hätte, wenn er gedacht hätte, dass es seine Entscheidungen ändern könnte. Er hätte nicht hierher kommen sollen. Doch er hatte nicht wirklich inne gehalten, um darüber nachzudenken, warum er jede Vernunft hatte fahren lassen und die Regeln gebrochen hatte. 

 

Ich spiele Schulschwänzer…

 

Er spähte himmelwärts und sein graues Auge zuckte, als es zwischen zwei Ausdrücken hin und her gerissen schien. 

 

Bist du nicht stolz?

 

Ūhei legte den Kopf schief, um dem Blick seines Herren folgen zu können und seine Schnauze kräuselte sich mit den ersten Anzeichen eines Winselns. Und beim ersten Hauch von Wimmern, schloss sich Kakashis Auge – eine unausgesprochene Bitte. Sofort verwandelte sich Ūheis Jaulen zu einem gähnenden Luftzug und der Hund legte sich an Kurenais Tür, bevor er an dem Spalt schnupperte, unter dem kein Licht hervor sickerte, seit-

 

Das Bild eines Grabsteins. Regen wusch über den Granit.

 

Kakashi hob langsam eine Hand, um leise wimmernd sein linkes Auge zu umfassen. Das Bild traf ihn heftiger als die Schrift des Namens, der in den kalten Stein getrieben war und in Kakashis Geist mit der erschreckenden Klarheit einer unmittelbaren Erinnerung prangte; dank des Sharingans. 

 

‚Sarutobi Asuma…ist gefallen…‘

 

Das Zersplittern von Keramik. Ein begleitendes Wehklagen aus Kurenais Wohnung. 

 

Ūheis Kopf zuckte nach oben und seelenvolle Augen stierten unter ausdrucksstarken Brauen nach oben. 

 

Kakashi versteifte sich und verharrte für einen Moment in einer Art Schwebezustand, bis das Wehklagen in ein Schluchzen überging…und dann wandte er sich auf dem Absatz um, lief seine stummen Schritte zurück den Flur hinab und atmete energisch gegen die Anspannung in seiner Brust an. Wenn man bedachte, dass die Sehnen seines Herzens vor kaum vier Tagen beinahe von Kakuzu heraus gerissen worden waren, war es nicht allzu schwer, sich selbst davon zu überzeugen, dass der Schmerz von dieser Verletzung herrührte…der anderen Erklärung konnte er sich einfach nicht stellen. 

 

Nicht jetzt.

 

Die Sehnen seines Herzens fühlten sich an, als wären sie minderwertige Drähte. Ein Chaos, dicker, vernarbter Kabel, die sich in seiner Brust verknotet hatten und sich emotional kurzschlossen, bis das Summen tauber Statik ihn dazu zwang, seine eigene Fähigkeit zu fühlen in Frage zu stellen. 

 

Habe ich die Fähigkeit zu trauern verloren?

 

Er konnte dieser Frage nicht entkommen; auch wenn er energisch versuchte, sie an jeder geistigen Kreuzung oder mentalen Wendung zu meiden. Und das hatte ihn zu dem roboterhaften Zustand von Ruhe und Kontrolle gebracht, in den er seit der Vernichtung von Kakuzu und Hidan verfallen war…seit Asumas…

 

Ein Stich. 

 

Kakashi hob eine Hand, rieb über den Knoten in seinem Brustbein und schnaubte. Nicht ganz kurzgeschlossen. Die verschiedenen Stadien der Trauer, die sich in gestaffelten Mustern überall um ihn herum abspielten, drängten ihn unbarmherzig dazu, über sein eigenes Muster nachzudenken. Aber er wusste es besser, als sich jetzt damit auseinander zu setzen. Wenn er zulassen würde, dass er es jetzt entzifferte, dann würde es nicht mehr in seine übliche Gestaltung passen. Und das würde mehr Fragen aufwerfen, mehr Komplikationen, denen er sich lieber nicht hingeben wollte, bis er sich sicher war, dass er es sich leisten konnte, diesen ausgetretenen Pfad entlang zu gehen und riskieren zu können, für eine Weile verloren zu gehen. 

 

Keine Zeit jetzt für eine Seelensuche.

 

Es war viel zu viel übrig, das getan werden musste, viel zu viel übrig, über das nachgedacht werden musste…

 

Zu vieles, das unerledigt geblieben ist. 

 

Beinahe wäre Kakashi stehen geblieben und seine Brauen schossen nach oben, als sein Verstand über diesen äußerst ungebetenen Gedanken stolperte. Warte. Was? Asumas unbeendete Angelegenheiten waren nicht sein Problem. Er wusste das auf Ebenen, die ihm vertrauter und fundamentaler waren als alle Stadien der Trauer zusammengefasst. 

 

Und dennoch…

 

Mit den Händen in den Taschen vergraben hielt er inne; eine einsame Figur auf dem Bürgersteig, durchnässt vom Regen, rutschig durch Erinnerungen und gehüllt in Schatten. All das zeigte sich in demselben Moment, in dem sich die Erscheinung auch schon wieder zurückzog. Die feuchte Lucht krallte sich in Kakashis Maske und erschwerte das Atmen. Ein Hauch nebligen Nieselregens spritzte von dem Beton und warf einen verschwommenen Schein um silbernes Haar und die scharfen Winkel seiner Schultern. 

 

Und dann erhaschte er dieselbe Bewegung, die ihn an Ort und Stelle hatte innehalten lassen. 

 

Ein Aufflackern aus dem Augenwinkel. 

 

Kakashi drehte marginal den Kopf und blinzelte mit vom Regen schweren Wimpern durch den Dunst. Sein Blick wanderte seitwärts zu den Schatten von Kurenais Wohnung und fing das Funkeln von Metall auf. 

 

Ein flüchtiges Winken in der Dunkelheit, bevor es auch schon fort war. 

 

Genma.

 
 

~❃~
 

 

„Wenn Kakashi nicht mit ihnen gegangen wäre…denkt ihr darüber nach? Ich denke darüber nach. Ich spiele es immer wieder ab. Es hält an und fängt wieder an wie eine verdammte Filmrolle.“

 

Shikaku summte übereinstimmend, während er ohne hinzusehen nach seinem Becher Saké griff, bevor er das Getränk mit einem scharfen Kippen seines Kopfes hinunter stürzte. Das Brennen wich vertrauter Taubheit. Doch unglücklicherweise dämpfte es seine Sinne nicht genug, um den Biss aus Inoichis Worten nehmen zu können. 

 

„Und dann denke ich daran, was sich in ihrem Kopf wegen Asuma abspielen muss. Sie hat Albträume davon. Ich bin wirklich versucht, da rein zu gehen und es zu richten.“ Sofort hielt Inoichi die Hände hoch, um Chōzas tadelnden Blick abzuwehren. „Versucht. Ich würde das nie machen…aber ich würde auch lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht darüber nachgedacht habe. Es nur genug zu ändern, um ihr den Schmerz nehmen zu können.“

 

Nur gab es so etwas wie ‚den Schmerz nehmen‘ nicht. Es war in etwa ebenso fruchtlos wie ihr derzeitiger Versuch des ‚medizinischen Trinkens‘, um die Infektion in Schach zu halten. 

 

Kummer.

 

So ansteckend wie immer. 

 

Shikaku seufzte. Sehr langsam hoben sich seine Wimpern und seine Umgebung kam wieder in den Fokus; eine milchige Grauschattierung nach der anderen. Eine Reihe Fusama Paneele, weiß gewaschen vom Mondlicht, ein Stapel Teller und Saké Becher und der beruhigende Schatten von Chōza, der über die abgenutzte Länge des Tisches fiel, um sowohl Shikakus scharfe, drahtige Umrisse, als auch Inoichis hohe, schlanke Silhouette zu verdunkeln. 

 

Er sah zu, wie sich der Kiefer des Yamanaka verkrampfte, als sich Inoichi über die Lippen rieb. Es wirkte fast, als wollte er seine nächsten Worte widerrufen. „So selbstsüchtig es auch klingt“, murmelte er. „Ich glaube, manchmal habe ich ihn beneidet. Habe mich gesorgt, dass er meinem Kind näher stand als ich. Das ist eine ganz andere Art des Bandes.“

 

Shikaku summte erneut und senkte ein wenig die Schultern, während er sein Kinn auf die Brust fallen ließ, um die Spannung zu lockern, die sich in seinen Nacken fraß. Er sagte nichts. 

 

„Was ist, wenn ich das nicht bieten kann?“, drängte der Yamanaka, breitete die Handflächen aus, als würde er Spielkarten vor sich auf dem Tisch ablegen und stierte stirnrunzelnd auf seine Hand. „Ich glaube nicht, dass ich es kann.“

 

Chōza sah zwischen den beiden hin und her und sein schweres Schweigen trug nur noch mehr zu dem Gewicht der Spannung bei, das sich in dem Komfort ihres vertrauten Kreises aufzubauen begann. Die Art von Schwere, die Orte fand, um sich auf Shikakus Haltung niederzulassen und die Muskeln unter seiner laxen Fassade anspannte. Seine Finger fanden einen Knoten und ein festes Drücken später senkte er die Hand zurück in seinen Schoß. Sein abgeschirmter Blick war stur auf die Mitte des Tisches fixiert. Angesichts des Tabuzustandes, in dem er seinen Verstand eingesperrt hatte, hatte er Inoichis Stimmung weder etwas hinzuzufügen noch abzuziehen. Und Chōzas Schweigen half nicht gerade, die zunehmende Spannung zu lösen. 

 

Inoichi schnaubte leise und seine Stimme war locker leicht, als er sprach; alarmierend leicht. „Bin ich denn der Einzige, der damit zu kämpfen hat?“

 

Chōza rutschte leicht auf seinem Platz. Shikaku hörte das leise Knacken der Tatami und spürte den Blick des Akimichi bereits Sekunden, bevor er aufsah, um ihn zu erwidern und ein einziges Mal den Kopf zu schütteln. Dieser Austausch blieb nicht unbemerkt. 

 

„Was?“, schnappte Inoichi mit jetzt rauer und tiefer Stimme, die vollkommen zu seiner ‚Folter und Verhör‘-Persönlichkeit passte. Nicht einmal der Saké schaffte es, diese Instinkte abzumildern. „Wenn ihr mir nicht zustimmt, dann sagt es mir verdammt nochmal. Das hier ist kein verficktes Selbstgespräch.“

 

Shikaku seufzte lange und tief durch die Nase. Er hatte heute Nacht nichts anderes von Inoichi erwartet. So selten diese Gefühlsausbrüche auch waren; Shikaku konnte es häufig bemerken, wie sie sich an Inoichis normalerweise so beständigem Horizont zusammenbrauten, lange bevor sie losgingen. Und dieser spezielle Sturm hatte sich mit jeder Frage und jedem Kommentar aufgebaut, die der Mann abgefeuert hatte, als er die letzte Mission ihrer Kinder und das Scheitern wieder hervor gezerrt hatte, das letztendlich zur Ausübung dieser Mission geführt hatte. Shikaku wusste, dass diese Details essentiell für den Yamanaka waren. Aber einmal betrunken, verlor Inoichis akribische Liebe zum Detail ihren Fokus. Und besagte Details setzten allerdings eine konstante Wiederholung voraus. Doch es gab nur eine begrenzte Anzahl an Wegen und Zeiten für Shikaku, all diese Details durchzugehen, bis die Sackgassen aller Möglichkeiten so unproduktiv und sinnlos wurden wie der Wunsch, die Vergangenheit zurück zu spulen und neu zu schreiben. 

 

Unmöglich…

 

Also warum es überhaupt durchgehen?

 

Um sich davon abzuhalten, diese Frage zu beantworten, erinnerte er sich daran, warum er es zugelassen hatte, dass der Yamanaka immer wieder darüber nachgrübelte. Er hatte gewusst, dass anstelle des Herzschmerzes Kopfschmerzen warten würde, aber er war dennoch hierher gekommen. Er war zusammen mit Chōza gekommen, um gegen den meuternden Aufruhr aus Zweifeln und Unsicherheit zusammenzuhalten, der in ihnen allen Wurzeln geschlagen hatte. Doch Säulen der Unterstützung standen nicht immer unumstößlich und gerade jetzt brachte das Gewicht von Erwartung und Frust in Inoichis Starren Shikaku unbewusst dazu, sich fort zu lehnen. 

 

„Zerreißt es euch nicht, sie zu sehen, als wä-“

 

„Sie ist kein kleines Mädchen mehr“, sagte Shikaku; simpel, aber schroff, um sich von einer viel komplizierteren Antwort abzuhalten. Er konnte sich nicht dorthin begeben. Nicht heute Nacht. Nicht in irgendeiner Nacht. Nicht einmal im kalten Licht des Tages. 

 

Inoichi legte den Kopf schief, als hätte er sich soeben verhört, während sich seine Brauen zusammenzogen. „Was?“

 

Shikaku hielt inne und sein Kopf neigte sich in einer Nachdenklichkeit, die in etwa so tief ging wie das flache Schmunzeln, das er hervor zwang. „Aber auf der anderen Seite, weiß ich nicht viel über Töchter. Frauen sind nicht so vorhersehbar. Ich kann mir vorstellen, dass es anders ist.“

 

Inoichi stierte ihn für eine ungläubige Sekunde an, bevor er den Kopf schüttelte. „Und ich habe mir vorgestellt, dass du anders wärst.“

 

„Ich denke, wir alle haben uns eine andere Nacht vorgestellt als die, die wir jetzt haben“, sagte Chōza. „Es waren beunruhigende und aufwühlende Tage.“

 

Mit sich kräuselnden Lippen hob Shikaku seinen Becher. „Darauf trinke ich.“

 

„Das machst du immer.“

 

„Inoichi“, warnte Chōza und legte eine breite Hand auf den Tisch, als wollte er dadurch die Turbulenzen beruhigen. „Es ist spät. Wir alle haben zu viel getrunken.“

 

„Du hast recht.“ Inoichi fing Shikakus Sake mit einem Rückhandschlag ab, der das Getränk klirrend über den Tatami Boden rollen ließ. „Warum kommen wir nicht alle mit einem ‚kühlen Kopf und klarem Verstand‘ wieder zur Nüchternheit zurück. Das ist es doch, weswegen wir hierher gekommen sind, oder?“

 

Der Nara erstarrte mit seiner Hand halb an seinem Mund und eine dunkle Braue wanderte nach oben. „Das war kindisch.“

 

„Das ist die steife Oberlippe der Hyūgas auch.“

 

„In manchen Kreisen kann das ein Kompliment sein.“

 

Inoichis Mund verzog sich säuerlich, doch das Spielen von Schmerz hinter seinen Augen war unverkennbar. „Über dreiunddreißig Jahre der Freundschaft und du denkst ernsthaft, du könntest so eine Scheiße mit mir abziehen? Ausgerechnet jetzt?“

 

„Timing ist alles.“

 

„Versuchst du, mich zu beleidigen, oder mich anzupissen?“

 

Chōzas Miene verdüsterte sich. „Inoichi.“

 

Für eine lange Minute stierte Shikaku einfach nur auf das Zentrum des Tisches, bevor er mit beiden Händen nach der Saké Flasche griff. Seine Handflächen zeigten nach unten und seine Bewegungen waren zeremoniell und betont förmlich, als er die Becher seiner Freunde füllte und sich keine Mühe machte, seinen eigenen aufzuheben. „Es ist nichts Persönliches.“

 

„Das ist genau mein Punkt, Shikaku. Was zur Hölle stimmt nicht mit dir?“

 

„Kein Wind, keine Wellen, alter Freund.“

 

Inoichi warf eine Hand in die Luft und stieß ein ungläubiges bellendes Lachen aus. „Ist diese kleine Weisheit zu dir gekommen, als du auf dem Sofa geflackt bist, oder hat dir dein Seelenklempner diesmal Glückskekse statt Pillen verschrieben?“

 

„Inoichi!“, zischte Chōza. 

 

Shikaku hielt sofort in seinem Einschenken inne; sein gesamter Körper wurde regungslos. Vielleicht hatte der Saké seine Reaktionszeit verlangsamt, oder vielleicht kam die Zeit ebenso zu einem Halt wie sein Herz. Er fühlte, wie sein Hirn direkt danach stolpernd zum Stehen kam. Nur vage nahm er wahr, wie Inoichi scharf die Luft einsog. Sekunden später wurde er sich bewusst, dass Chōza vollkommen aufgehört hatte zu atmen. 

 

Die Stille vibrierte. 

 

Shikaku setzte sich etwas zurück und nahm sich einen Moment, um einschätzen zu können, wie zur Hölle er es hatte erlauben können, dass er von diesem Kommentar überrumpelt wurde. Inoichi war nicht von Natur aus grausam; im Gegenteil, er war weit davon entfernt. Aber er war kalkulierend. Und er war betrunken. Eine sehr verheerende Kombination. Fügte man das Talent der Gedankenkontrolle des Yamanaka Shikakus Vorliebe für Gedankenspielchen hinzu, dann waren sie ein gefährliches Duo; ganz besonders dann, wenn ihr Witz und ihre Klugheit gegeneinander antraten – ob nun betrunken oder nicht. Unpersönlich…oder nicht. 

 

Langsam setzte Shikaku die Flasche ab und das sanfte Klacken der Keramik erklang so aggressiv wie ein Splittern. 

 

Inoichi blinzelte weitäugig, als würde er jetzt erst registrieren, was er gesagt hatte. „Shit.“ Er hauchte das Wort durch seine Finger, bevor er mit derselben Hand durch sein Haar fuhr und den Kopf schüttelte. „Das war weit über die Grenze hinaus. Ich bin zu weit gegangen.“

 

Shikaku hatte beinahe vergessen, dass eine Grenze existierte. Er war so gut darin geworden, Schachteln aus den sich kreuzenden Linien seines Lebens zu erschaffen, dass sich alles stets abgeschottet anfühlte. Bis ein Sarg oder eine schneidende Bemerkung ihn daran erinnerten, wie fragil diese falschen Grenzen sein konnten…und wie sehr er sie verstärken musste. 

 

Chōza musterte ihn unter schweren Brauen und seine Stimme war sanft und vorsichtig. „Shikaku.“

 

Doch Shikaku legte nur die Handflächen auf seinen Knien ab, zeigte ein einziges ernstes Nicken und entfaltete seine Beine, als er sich in einem trägen Schwung erhob. Sein Körper stand in hartem Kontrast zu den fixierten Linien seiner Gesichtszüge. 

 

Inoichi machte Anstalten, ebenfalls aufzustehen, doch Shikaku packte ihn an der Schulter und seine Finger gruben sich schon beinahe brutal hinein, bevor sich der Griff zu einem beruhigenden sanften Drücken erweichte. „Schachmatt.“

 

Er spürte, wie sich Inoichis Muskeln bewegten; ein kurzer Moment des Widerstandes, der etwas wich, von dem Shikaku wusste, dass es eine bleibende Reue war. Die Miene des Yamanaka zuckte. „Ich habe gemogelt“, raunte er. 

 

Shikaku ließ ein rostiges Summen hören, als er mit ehrlicher Zuneigung den Hinterkopf seines Freundes tätschelte, bevor er sich den Schatten zuwandte und spürte, wie sie über seine Füße und seine Waden hinauf strichen, während er seine Finger zu den Lippen hob, um das Ram Siegel zu formen. „Manchmal müssen wir das.“

 

Wir müssen das nie, Shikaku.“

 

Shikaku hielt inne, als wolle er antworten…dann wisperte er ‚kage-shunshin‘…und war fort.

 

 

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Und es beginnt...Ich hoffe, euch hat das erste Kapitel, auch wenn es sehr bedrückend ist gefallen! Aber wie schon angekündigt, ist die Zeit von Frohsinn sowieso vorbei...

Ich hoffe sehr, dass ich die Gefühle aller Protagonisten gut rüber gebracht habe! :) Über ein paar Worte dazu würde ich mich natürlich wieder mega freuen!!

Ich weiß ehrlich gesagt, inwieweit ich bei diesem Teil der Serie zu jedem Kapitel ein Nachwort schreiben werde oder nicht, da es glaube ich, sehr oft nicht zur Stimmung der Kapitel passen wird. Auf jeden Fall sei hier nochmal gesagt: Bitte lasst mir immer ein paar Worte da, auch wenn ich nicht jedes Mal explizit im Nachwort schreibe, wie sehr ich mich darüber freuen würde. Es gilt für alle Kapitel, dass ich mich bei allen Reviewer/innen und Leser/innen bedanke!! <3 

Ich bin schon sehr gespannt, was ihr von "Requiem" halten werdet ;) Wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, wird es jetzt auch mehr Blickwinkel geben :) 

 

Unfinished past

Ein Bauer ist tausend goldene Generäle wert.

 

Lange, schlanke Finger legten den Shogi Bauern ab. Ein einziger Zug. Entscheidend. Bereits festgelegt. Bereits erledigt. 

 

Aber ohne Gold in der Hand gibt es keine Defensive. 

 

Dieselben Finger strichen über ein breiteres Teil…zögerten…schwebten.

 

Aber silberne Generäle haben mehr Möglichkeiten, sich zurückzuziehen. 

 

Dunkle tiefbraune Iriden glitten über das Gitter; die Strategie entfaltete sich hinter zusammengezogenen, intelligenten Augen. Doch er dachte nicht, als wäre er im Hier und Jetzt; stattdessen zerrte er an der Vergangenheit. Oder vielleicht zerrte die Vergangenheit auch an ihm. Ein Tauziehen. Schlachtfelder auf dem Spielbrett.

 

Silberne sind die Angelpunkte von Angriff und Verteidigung.

 

Er nahm den silbernen General auf und versuchte, sich nicht vorzustellen, es wäre ein Voodoo-Stein – persönlich, repräsentativ. In einer schrägen Bewegung rückte er vor. Ein geborgter Zug. Ein Zug, den er niemals machen würde. 

 

‚Dieser Zug ist ziemlich riskant. Das passt gar nicht zu dir.‘

 

‚Wenn man es mit einem besonders starken Gegner zu tun hat, muss man manchmal einen kühnen Zug riskieren.‘

 

Beinahe hätte Shikamaru der Erinnerung geantwortet – dem Geist. Seine Lippen teilten sich und sein Atem stockte an den Worten, von denen er sich so sehr wünschte, er hätte sie gesagt. Er räusperte sich, doch der heisere Klang schaffte es kaum, die Stille des kleinen Zimmers zu durchdringen. Kein Licht außer das des Mondes fiel durch die offene Shojitür.

 

Eine Eule kreischte schrill wie der Schrei einer Frau.

 

Er sah zu, wie sie auf die Knie fiel; verwundete karmesinrote Augen, die auf ihn gerichtet waren, aber direkt durch ihn hindurch stierten.

 

Blinzelnd fokussierte sich Shikamaru wieder auf das Spielbrett. Langsam stellte er ein Bein auf und lehnte sich nach vorn, bis seine Brust gegen sein Knie stieß. Energisch bemühte er sich, seine Atmung zu beruhigen. 

 

Konzentrier dich. Der silberne General opfert sich, um einen Bauern mit einer verheerenden Wirkung voranzubringen. Vergeltungsmaßnahmen des Feindes sind unvermeidbar.

 

Seine Finger hoben sich. Langsam brachte er die gegnerischen Teile in Position und legte einen feindlichen Bauern über den lebenswichtigen silbernen General.

 

‚Silber anzustreben. Das ist nicht gerade eine Rolle, die zu dir passt.‘

 

Er stierte auf das Opferstück, das so bedrohlich wirkte wie ein Ouija-Spielstein…bereit dazu, aus vollkommen eigenem Antrieb über das Brett zu gleiten und ein Schicksal auszusprechen, das er nicht kontrollieren konnte.

 

‚Ich werde mich doch nicht opfern, keine Sorge mein Freund. Ich habe doch dich, gemeinsam sind wir beide stark.‘

 

Ja…und sieh, wie weit ich dich gebracht habe…

 

Shikamarus Kehle zog sich zusammen. Schmerz verfing sich wie ein Fels und zwang ihn, seine Kiefer zu öffnen, bis er in den Gelenken einen warnenden Stich verspürte. Er versuchte, sich zu konzentrieren und gleichzeitig zu vergessen, machte Raum für einen Bruch, der einen leisen Schluckauf verbannter Gedanken zuließ.

 

‚Tu es. Mach deinen Zug, Shika. Nichts ist einfacher.‘

 

Die Worte bebten durch ihn, ließen Härchen aufstellen, sein Blut frösteln und trieben sein Herz panisch und ruckartig in seine Kehle.

 

‚Tu es.‘

 

Ein schrilles Kreischen von draußen. 

 

Shikamaru zuckte zusammen und sein Kopf ruckte so schnell nach oben, dass seine Augen jede Richtung verloren und hektisch hin und her schwangen, bis sie auf einen flatternden Schatten trafen. Ein verschwommenes und wässriges Blinzeln später kam der Missetäter in den Fokus. 

 

Zitternd atmete er aus. „Dämlicher Vogel.“

 

Der Wanderfalke legte den Kopf schief, um ein Onyxauge auf Shikamaru zu fixieren. Seine Krallen kratzten über die Veranda, als er einen Schritt nach vorn hüpfte und den Regen aus seinen Federn schüttelte. Er spreizte die Flügel von seinem schmalen Körper ab und plusterte sein Brustgefieder in empörter Beschwerde auf – ganz so, als ob die Reise, um den Schattenninja zu belästigen, weder die Mühe noch die unfreiwillige Dusche wert gewesen war. 

 

Langsam fuhr sich Shikamaru mit dem Handrücken über seine Stirn und versuchte, sich daran zu erinnern, was genau ihn so aufgeschreckt hatte, doch er fand nichts außer Leere in seinem Hirn…und dann Asumas Gesicht, das sich in qualvollen Wirbeln auflöste…Erinnerungsfetzen verwandelten sich drehend von Rauch zu einem ausgewachsenen Smog…dicht wie die Attacke des ‚Brennenden Aschehaufens‘, die nach hinten losgegangen war und Asuma blutig und verbrannt zurück gelassen hatte. 

 

Ich hätte es aufhalten können.

 

Aber er hatte es nicht aufgehalten. Hatte es nicht einmal kommen sehen. Sein Blick wanderte zurück zu dem Shogiteil, das schwer auf dem Brett lag…auf seinen Zug wartete…den Zug, den er niemals gewollt hatte. Den Zug, den er würde machen müssen. 

 

Nein.

 

Doch. Kein Weg drum herum. So ging es den Bach runter. Damals und jetzt. Jedes Mal. Wieder und wieder. 

 

„Nein“ Sein Mund formte das Wort, ohne ihm eine Stimme zu geben. 

 

Es musste einen anderen Weg gegeben haben. Das gab es. Das würde es geben. Er musste es finden. Oder entwerfen. Es wieder gut machen.

 

‚Ich kann es nicht wieder gut machen…‘

 

‚Was wieder gut machen?‘

 

Der Falke schlug mit den Flügeln und taumelte mit einem frustrierten Squawken in das Fusama Paneel. 

 

Die Ablenkung holte Shikamaru zurück. Er knurrte leise, aber es lag keinerlei zornige Hitze in dem Klang. Mit finsterer Miene stierte er auf den unwillkommenen Gast und rieb sich hart über die Schenkel. Der Falke vollführte einen seiner sinnlosen kleinen Kreise und fächerte seine Schwanzfedern auf. 

 

Shikamaru neigte den Kopf und atmete langsam aus. „Es ist wie ein gottverdammtes Uhrwerk mit dir, oder?“

 

Ein weiteres Rascheln. Ein weiteres ungeduldiges Squawken. 

 

Shikamaru schmunzelte leicht, bevor er sich auf die Füße stemmte, um sich dem lästigen Vogel zu nähern. „Ich hab kein Futter“, sagte er rau. 

 

Der Falke nickte heftig mit dem Kopf. 

 

Als Antwort seufzte Shikamaru nur. „Wie lästig.“

 

Doch lange nicht so lästig wie das tiefe Röhren, das durch den Narawald hallte und wie ein Ruf auf das Haus zurollte. Shikamaru versteifte sich und seine Nerven zogen sich an seinem Nacken straff. Seine Augen wanderten an dem Vogel vorbei zu den Grenzen des Gartens und dem taufrischen Grün dahinter, bevor sie noch weiter zur Baumlinie glitten.

 

‚Ich werde niemals sterben…Nicht einmal dann, wenn du meinen Körper zerstörst und ich nichts mehr habe außer meinem Kopf…Irgendwie werde ich entkommen…und wenn ich das tue, dann werde ich dich finden und dir die Kehle mit den Zähnen heraus reißen!‘

 

Dunkle Augen verengten sich zu Schlitzen. 

 

Mit stoischer Miene trat Shikamaru hinaus auf die Veranda, während er durch die tropfende Dunkelheit stierte. Hinter ihm versprach die Geborgenheit des Zimmers eine freundlichere Zelle als die dort draußen.

 

Ein weiteres Röhren erscholl lang und tief. 

 

Für einen langen Moment stand er an der Türschwelle und ließ den Ruf des Hirsches durch sich vibrieren, während seine Augen in einem leeren Starren voraus gerichtet waren. 

 

Ein scharfer Schrei und der Vogel flog auf; ein schemenhafter Pfeil in die Nacht. 

 

Shikamaru brach aus seinem Starren, trat weiter auf die Terrasse und schlüpfte in seine Sandalen, um die unvollendete Vergangenheit in dem schimmernden hellgelben Plastik eines Zuges ruhen zu lassen, den er nicht machen konnte. 

 
 

~❃~
 

 

Ino wachte allein auf. Überraschung machte sich rasch bemerkbar; ein leichtes Rucken in ihrer Brust. Langsam schob sie ihr Haar von ihren Augen fort und fuhr mit einem Arm über den leeren Platz neben ihr, wobei Fingerspitzen über verhedderte lilane Laken strichen. Nichts. Niemand. 

 

Aber es war schließlich auch nicht so, dass Geister Wärme hinterließen.

 

Sensei…

 

Sie hatte geträumt.

 

Von Asuma. In meinem Zimmer. Auf meinem Bett. Oh mein Gott.

 

Betretenheit wogte schlagartig durch sie. Sie umfasste ihre warmen Wangen, rollte sich auf den Rücken und stierte durch ein Gewirr flachsfarbener Strähnen. Es brauchte einen weiteren langen Moment, bis sie sich in der Dunkelheit fokussieren konnte. Mit geröteten und geschwollenen Augen hob sie die Hand, um mit einem Daumen unter jedes davon zu fahren, während ihr Blick über die Pockennarben an der Decke wanderte; Überbleibsel der im Dunkeln leuchtenden Aufkleber, die sie als Kind auf ihre Wand gepflastert hatte. Die meisten schälten sich bereits ab. Kleine Halbmonde und zerbrochene Sterne…die, bei denen sie sich immer etwas gewünscht hatte. 

 

Wenigstens bin ich nicht schreiend aufgewacht…

 

Ein einziger Wunsch in einer Reihe ungehörter Gebete war wahr geworden. Diesmal war sie dem Albtraum entkommen. Kein Drama, keine Tränen, keine Türen, die mit elterlichem Getue aufflogen – und was noch viel wichtiger war: keine Fragen. Sie konnte den besorgten Blick und das Schnellfeuerverhör ihres Vaters nicht mehr ertragen. Und dann war da auch noch ihre Mutter…die ihr sagte, sie solle leise in ein Taschentuch statt in ihre Hände weinen. 

 

‚Ssh, Mädchen. Leise. Hab etwas Würde.‘

 

Schmerz erblühte wie eine frische Wunde. Ino verzog das Gesicht und zerrte die Laken bis an ihr Kinn, während sie gleichzeitig die Knie anzog. Die Stille der Morgendämmerung gestatte ihr einen Moment, um über die phantomhaften Geschehnisse der Nacht nachzudenken. 

 

Nicht der übliche Albtraum.

 

Eigentlich überhaupt kein Albtraum. Kein Blut, keine verbrannte Haut, die Blasen warf, keine angestrengte Atmung oder ein schwindender Herzschlag. Diesmal hatte sich Asumas Anwesenheit wegen all ihrer Beiläufigkeit, ihrer Unbeholfenheit, ihrer…Zuneigung real angefühlt. Er hatte sich auf diese seltsame und unangekündigte Manier materialisiert, in der die meisten Personen in Träumen auftauchten. Ino hatte Rosendornen aus ihren Füßen und Händen gezogen, als er sich neben sie auf das Bett gesetzt hatte…unbeholfen und unsicher, während er sich in dieser vertrauten Geste der Verlegenheit den Hinterkopf gekratzt und sich hilfesuchend umgesehen hatte. Aber dann hatte er sich ebenso schnell in die Unterhaltung entspannt…ohne dass sich Ino an ein einziges Wort daran erinnern konnte. 

 

Verdammt!

 

Mit einer Faust hämmerte sie gegen die Laken, bevor sie die Hände hinein krallte und den Stoff verdrehte. „Warum?“, wisperte sie und biss sich auf die Lippe, als die Tränen in ihr aufstiegen und ihre Kehle überfluteten. „Verdammt.“

 

Es musste wichtig gewesen sein. Bedeutsam. Vielleicht sollte sie darüber meditieren. Sie hatte es geübt, sich an Träume zu erinnern und sie war die nächtlichen Schrecken durchgegangen, die ihr Unterbewusstsein immer wieder hochwürgte. Verzerrte Erinnerungen. Verdrehte Wahrheiten. Komisch, wie der Verstand arbeitete, die Ereignisse übertrieb, das Grauen darlegte und Wunden schlug, wo es gar keine gegeben hatte. Sie erinnerte sich an Asumas Wunden; jedes getroffene Organ, jeden blutenden Schnitt, jede Verbrennung dritten Grades. 

 

Sensei…

 

Ihre Handflächen kribbelten, wurden klamm und kalt. 

 

Nein. Nein. Nein.

 

Ino zog ihre Decke über ihren Kopf, legte sich auf die Seite und rollte sich zu einem Ball zusammen, während sie dieselbe Entschuldigung wimmerte, die sie jede Nacht seit dem Tod ihres Senseis heraus geschrien hatte. 

 

Es tut mir so leid, dass ich nicht schneller gelaufen bin…es tut mir so leid, dass ich zu spät war…

 

Chōji würde ihre Schuldgefühle verstehen. Doch Shikamaru würde sie dafür hassen. Aber sie wollte es ihm sagen, wollte sich entschuldigen, wollte wenigsten ein einziges Mal sehen, dass er reagierte, auf etwas einging, etwas preisgab…Traurigkeit, Zorn…irgendetwas…

 

Mehr als alles…lass mich…einfach nicht allein hierbei…

 

Rastlos und verängstigt krabbelte sie an den Rand des Bettes und ließ ihren Kopf über den Rand hängen, bis ihr vom Blutrausch schwindelig wurde. Lieber das Pochen in ihrem Kopf, als das drehende Gefühl in ihrem Magen. Langsam krümmte sie einen Arm über ihrem Bauch. Sie hatte Gewicht verloren. Ihre Mutter hatte es bemerkt und mit einer Kombination aus Kritik und Anerkennung reagiert. Ino empfand es als unmöglich, einzuschätzen, ob es nun Besorgnis oder Konkurrenzdenken war, das die fortlaufenden Kommentare ihrer Mutter zu ihrem Erscheinungsbild befeuerte. Aber es war nicht wirklich die Schuld ihrer Mum. Seit der Beerdigung befand sie sich am Rande von einem ihrer Anfälle.

 

Für sie ist es bestimmt auch nicht einfach…

 

Ino war sich nicht so sicher, wie oder warum das stimmt, aber ihr Gewissen – kindlich und verängstigt – versicherte ihr, dass es so war. Dieselbe unschuldige Stimme sagte ihr auch, dass Mom wie eine Orchidee war; von einzigartiger und zarter Wesensart. Schön, elegant, temperamentvoll.

 

Bewegungen den Gang hinunter; ein Streichen von Hausschuhen über Tatami.

 

Mom ist auf.

 

Angestachelt von der unüblichen Aktivität kletterte Ino aus ihrem Bett, bevor sie die Shorts und das Oberteil ablegte, in dem sie eingeschlafen war. Rasch fuhr sie sich mit den Fingern durch lange verhedderte Strähnen, zog sich eine lila Unterhose an und schlüpfte in ein riesiges rotes Shirt mit dem Akimichi Clansymbol. Chōji hatte es bereits vor Monaten hier vergessen, als er übernachtet hatte und er hatte es nie zurück verlangt. Es hing bis hinunter zu Inos Knien und der Kragen war weit genug, um unbeabsichtigt eine Schulter zu zeigen. Süß. Sie hatte es behalten. Auch wenn sie es jetzt im Moment vorgezogen hätte, von einer Akimichi-Umarmung eingehüllt zu werden…selbst ein unbehagliches Nara-Tätscheln auf den Kopf wäre ihr jetzt lieber gewesen, oder diese seltsame Umarmung von der Seite, zu der Shikamaru sie zwang, wenn er ihr nicht direkt begegnen wollte. 

 

Emotionaler Krüppel.

 

Sie lächelte traurig. 

 

Ein Schlurfen ertönte draußen vor dem Fenster und den schweren Schritten folgte das Klirren von Schlüsseln. 

 

Pa?

 

Rasch warf sie einen raschen Blick auf die Uhr und zog die Brauen zusammen. 

 

05:40 morgens.

 

Nerven flatterten durch ihren Magen. Oder vielleicht war es Galle. Sie hatte nichts mehr gegessen seit…wann? Ein weiteres Rascheln von Bewegungen und Inos Eingeweide gurgelten erneut. Und dann hörte sie es; das gewisperte Zischen. 
 

„Inoichi! Was denkst du eigentlich, wie spät es ist?“

 

Auf den Zehenspitzen näherte sich Ino ihrer Zimmertür und schlich dabei über die Reste eines alten lilanen Teppichs, der inzwischen mehr fadenscheinig als flauschig war. Sie ließ eine Hand auf dem Türknauf ruhen und lehnte ihren Kopf gegen das Holz, um nach der Antwort zu lauschen. Die Stimme ihres Vaters rumpelte von irgendwo weiter unten herauf. Seine Worte waren gedämpft, doch das Timbre unverkennbar angespannt. Frustriert. Verschlissen. 

 

So wie er in den letzten Tagen auch ausgesehen hat.

 

Mit zitternden Knien krümmte sie ihre Faust gegen die Tür. Gott! Scheiß drauf, einen auf stark zu machen. Sie schaffte es nicht mehr, das einfach wegzuwischen. Sie brauchte eine Schulter. Vorzugsweise zwei Schultern…und wenn das nicht möglich war, dann vielleicht zwei sture Köpfe, die sie aneinander schlagen konnte. 

 

‚Chōji und Shikamaru sind manchmal noch ziemlich hitzköpfig wie du weißt. Gib auf sie acht.‘

 

Für einen langen Moment lehnte Ino ihre Stirn gegen die Tür und schloss ihre Augen gegen den Ansturm von Emotionen. Als sie ihre Beine genug unter Kontrolle gebracht hatte, wandte sie sich ihrem Kleiderschrank zu und begann, darin herum zu wühlen. Ihre stillen und ruhigen Bewegungen standen in hartem Kontrast zu den Geräuschen, die die Treppe hinauf getragen wurden; das Kratzen von Stuhlbeinen, das hohle Klacken einer Tasse, das Knallen eines Geschirrschrankes, gefolgt von dem scharfen, dominierenden Keifen ihrer Mutter. 

 

Etwas hämmerte; eine Faust auf der Theke. 

 

Und als das Schreien begann, glitt Ino bereits aus dem Fenster. 

 
 

~❃~
 

 

Er glitt zurück ins Bewusstsein, aber es war dunkel. Unmöglich dunkel. Und feucht. Seine Glieder kribbelten wie durch kleine Nadelstiche und machten es schwer, zu unterscheiden, wo genau er Schmerzen hatte, etwas gebrochen war oder er blutete. Er konnte seinen Körper nicht wirklich spüren. Doch die Paralyse alarmierte ihn nicht so sehr wie die sensorische Deprivation. 

 

Jemand löste die Stöpsel aus seinen Ohren. 

 

Geräusche erblühten in schwachen und weit entfernten Bändern, um lose Muster zu formen. Das Summen von etwas, das nach einem Mosquito klang, brummte hinein und hinaus. Aber da war kein Echo oder eine Veränderung in der Lautstärke, was es schwierig machte, Distanz oder Dimension einzuschätzen. 

 

Er versuchte, sein Byakugan zu aktivieren. Zumindest das hätte möglich sein müssen. 

 

Unmöglich.

 

Der Schmerz, der in seinem Kopf explodierte, gestattete es ihm nicht. Ächzend versuchte er, sein Kinn zu drehen und spürte, wie sich Stacheln in seine Schläfen bohrten…und dann kam die Stimme erneut; ein tiefer Bariton rollte gegen sein Ohr. 

 

„Ich kann dafür sorgen, dass es aufhört. Oder anfängt. Genau wie du.“

 

Neji erstarrte und stierte in die Schwärze der Augenbinde, während er noch einmal versuchte, sein Chakra zu kanalisieren, doch stattdessen fühlte er ein heftiges Pulsieren hinter seinen Augen wie ein Wirbeln aurischer Blitze…wie der Ansturm einer Migräne. Langsam atmete er durch die Nase aus. 

 

„Wie groß ist eure Teamstärke?“, forderte die Stimme. 

 

Neji leckte sich über aufgeplatzte Lippen. „Hyūga Neji, Jōnin.“

 

„Wer hat euch angeheuert?“

 

Neji wiederholte seinen Namen und Rang. 

 

„Wo willst du dich mit deinem Team treffen?“

 

Neji sagte nichts. 

 

„Du hast eine ziemlich hohe Schmerztoleranz, nicht wahr? Aber sogar die Nerven schalten sich irgendwann ab. Bei deinen ist das bereits der Fall. Ich weiß, dass du deinen Körper nicht mehr spüren kannst.“

 

Neji schmunzelte grimmig. „Hyūga Neji, Jōnin.“

 

„Lass uns das noch einmal versuchen, okay?“

 

Neji erwartete eine weitere Runde aus Fragen, eine langsame Rückkehr zu Gefühl und Schmerz, ein gebrochenes Körperteil nach dem anderen…nicht den seltsamen Druck an seiner Schädelbasis, der sich aufbaute, aufbaute…bis zu der qualvollen Agonie eines Aufwärtshakens, der sich durch Knochen und Mark grub und wie aus dem Inneren seines Kopfes explodierte und sich gegen seine Stirn rammte. 

 

Das Fluchsiegel brannte. 

 

Neji ruckte spastisch, aber die Fesseln, die er nicht spüren konnte, schränkten seine Bewegungen ein, bis sie nichts weiter waren, als ein jämmerliches Zucken auf einem Folterrad. Rad? Ah, ja. Jetzt erinnerte er sich. Auch wenn er sich nicht entsinnen konnte, ob er daran hing oder mit gespreizten Gliedern darauf fixiert war. Wie lange war er bereits hier? Stunden?

 

Tage?

 

„Ich kann dafür sorgen, dass es länger dauert“, sagte die Stimme sanft, beinahe mitfühlend. „Du kannst dafür sorgen, dass es schneller vorbei ist.“

 

Er spürte, wie sich der Schmerz in seinem Kopf wie eine Zange um sein Hirn zusammenzog und drohte, ihn aufzuknacken wie eine Walnuss. Es war nicht dasselbe wie der Schmerz von dem Fluchmal. Das hier war ein gescheiterter Versuch der Replikation. Aber gottverdammt, wenn es nicht weh tat. 

 

Bastard.

 

„Übrigens waren meine Eltern glücklich verheiratet, als ich gezeugt wurde“, sagte die Stimme und nahm dabei einen vollkommen anderen Tonfall an – weniger listig, mehr plaudernd. „Sollen wir über deinen Vater sprechen, Hyūga Neji? Er hätte eigentlich auch genauso gut ein Bastard sein können, wenn man bedenkt, dass er von der Hauptfamilie ausgeschlossen wurde.“

 

Neji presste die Lippen aufeinander, fühlte, wie die geplatzte Haut noch weiter aufriss und saugte an dem Blut, bevor er seine Worte an blutigen Zähnen vorbei presste. „Hyūga Neji, Jōnin.“

 

„Jōnin? Das ist nicht die Stellung, die du haben willst, nicht wahr? Sag mir, was du willst.“

 

Hyūga Neji, Jōnin.

 

Ich kann alles hören…vielleicht sollte ich noch etwas tiefer graben, deinen Verstand von innen nach außen zerren und all deine Geheimnisse auf dem Tisch ausbreiten. Deinen Stolz zur Schau stellen, deinen Schmerz, all deine schuldhaften Vergnügungen. Ich kann dich dazu bringen, dass du es willst, es mir zu erzählen. Du glaubst mir doch, oder?

 

Der Schmerz in Nejis Kopf wurde noch heftiger. Er spürte, wie sein Gesicht vor all dem Druck anschwoll, in seinen Ohren schrillte es, bis er diese Stimme nicht mehr hören konnte. Feuchtigkeit brannte in seiner Nase und etwas Warmes und Nasses rann über seine Oberlippe. Seine Zunge fuhr nach oben. Blut. 

 

Und dann sprach ein anderer Mann; ein rostiger Nagel in Nejis Hirn. „Das reicht.“

 

Der Schmerz stoppte. Schlagartig wurden jede Pein und Qual aus seinem Körper gesogen, als würde heiße Luft aus einem Schnellkochtopf entweichen. Es ließ ihn einem Zustand seltsamer Schwerelosigkeit zurück…schwebend…leer…

 

Und dann war da ein Nadelstich aus Licht. Es schnellte zur Seite und riss die Dunkelheit fort. Er brauchte einen Moment um zu realisieren, dass die Augenbinde fortgezogen worden war. Ächzend musste er die Augen gegen das aufschreckende Licht schließen. 

 

Jemand trat näher und er spürte kühle Finger an Handgelenk und Hals, die seinen Puls überprüften. Ein feuchter Stoff, der unter seine Nase getupft wurde. Ein weibliches Wispern und ein ruppiges Brummen der Zustimmung. 

 

„Mach die Augen auf, Hyūga.“

 

Blinzelnd hob Neji die Wimpern. 

 

Ibikis Gesicht ragte über ihm auf und seine vernarbten Gesichtszüge wirkten in dem grellen Licht übertrieben definiert. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. „Wie fühlst du dich?“

 

Wie fühlte er sich? Wund, schwitzig, krank…marginal vergewaltigt. Erneut presste Neji die Lider aufeinander, während er darauf achtete, wie sein Körper langsam zum Fühlen zurückkehrte – und zur Realität. Er war in Schweiß gebadet, seine Muskeln waren steif und schmerzten, die Handgelenke und Knöchel roh von dem unterbewussten Kampf, den sein Kopf gegen die Fesseln geführt hatte, als er unter dem Bann gestanden hatte. Es war schwer zu sagen, wie viel real und wie viel Phantomschmerzen von dem Genjutsu war. 

 

„Konzentrier dich“, befahl Ibiki. „Weißt du, wo du bist?“

 

Blinzelnd hob Neji das Kinn von seiner Brust und nickte, bevor er wegen des Chaos aus feuchten Strähnen, die über seinem Gesicht klebten, die Miene verzog. Sein Stirnband war entfernt worden. Doch die Offenlegung des Fluchsiegels störte ihn weniger als die Tatsache, dass Ibiki darüber nachgedacht hatte, es gegen ihn einzusetzen. Doch auf der anderen Seite war es auch nicht allzu überraschend, wenn man den Sinn und Zweck dieser Übung bedachte. 

 

Kannst du immer noch meine Gedanken lesen?

 

Keine Antwort.

 

Gut. Sadistischer Bastard.

 

Neji bewegte die Finger und stierte hinunter auf seine Füße. Ah, ja. Er stand. Naja…hing. Und außerdem war nicht nur das Fluchmal bloßgelegt. Sehr verspätet stolperte sein Hirn über seinen nackten Zustand.

 

Ibiki schnaubte. „Schüchtern?“

 

Mit vernichtender Miene spannte sich Neji gegen das Rad an, als die Medic-Nin, die seinen Puls überprüft hatte, damit begann, seine Fesseln und die Blockaden in seinen Tenketsu zu lösen. Er spürte Ibikis unverhohlenen, spöttischen Blick und ließ seine Augen nach oben zucken, sodass sich mondsteinhafte Seen in die pechschwarzen Augen des Tokubetsu Jōnin bohrten. 

 

Ibiki summte und ein Aufflackern von Belustigung zupfte an seinen Lippen. „Danke.“

 

Stirnrunzelnd krächzte Neji hervor: „Wofür?“

 

„Für was auch immer du getan hast, um Nara Shikaku derart anzupissen. Es hat unser kleines Stelldichein so viel unterhaltsamer gemacht.“

 

Neji öffnete die Lippen um zu antworten, nur um nach vorn zu sacken, als seine Arme befreit wurden. Es war nicht gerade seine anmutigste Erholung. Aber seine Glieder fühlten sich auch wie Blei an. Schwer und unempfänglich. Die Medic-Nin fing ihn ab und legte sich einen seiner Arme um die Schultern. 

 

„Langsam“, riet sie ihm milde. 

 

Ibiki stieß ein grimmiges Lachen aus. „Ich würde ja sagen, dass du einfach spazieren gehen sollst, bis es vorbei ist, aber du wirst wahrscheinlich eine Weile brauchen, bis dein Hirn zu deinem Körper aufholt. Setz dich hin. Mach dich wieder mit der Kontrolle vertraut, die ich dir überlasse.“

 

Neji funkelte ihn durch sein dunkles Haar und mit eisweißen Augen an. Er fand nicht einmal Worte, um sich gegen Ibikis arrogante Behauptung zu wehren…und auch keine Überzeugung, um sie zu bestreiten. Soweit er wusste, hätte Ibiki seine Drohung durchaus wahrgemacht, Nejis metaphorisches Hirn bis zum letzten auf dem Tisch auszuleeren. Und in diesem sadistischen Spiel war das Signalwort das, was auch immer Shikaku für richtig hielt…

 

Shikaku…

 

Verdammt. Er wusste, dass er dieses rostige Timbre erkannt hatte. 

 

‚Das reicht.‘

 

Neji sank zu Boden und ignorierte die Medic-Nin, als sie damit anfing, seine Augen zu überprüfen und ihm eine rasche Spritze in die Armbeuge gab. Noch immer haderte über das Wissen, dass Shikaku hinter einem dieser Einwegspiegel hinter Ibiki stand. War Shikaku während der gesamten Trainingssitzung anwesend gewesen? Wäre er auch weiterhin geblieben, wenn Ibiki angefangen hätte, Nejis Hirn auszubeuten? Die Panik, die in ihm aufstieg, ließ Nejis Gesicht um einige alarmierende Schattierungen erbleichen und brachte die Medic-Nin schlagartig dazu, ihn noch einmal durchzuchecken und seinen Puls zu überprüfen. Götter, wenn Shikaku einen Blick auf das erhascht hätte, was hinter den Barrieren in seinem Verstand lag, dann wäre er nicht einfach nur aufgehängt worden…man hätte ihn auf die Streckbank gepackt und blutig gevierteilt.

 

Das darf auf keinen Fall passieren.

 

Er würde einen Weg finden müssen, seinen Verstand zu trainieren und alle Schwächen in seiner Verteidigung zu stärken, die ausgenutzt werden könnten…und ihm fielen nur zwei Personen ein, die ihm bei einem solchen mentalen Training behilflich sein könnten. Ein Kandidat wurde sofort ausgeschlossen – und das aus Gründen, die viel zu tiefgründig und roh waren, um jetzt darüber nachdenken zu können. Und das ließ nur noch eine unvorhersehbare, blondhaarige, großmäulige und blauäugige Shinobi übrig…eine Voraussicht, die mehr Unsicherheit als Zuversicht in ihm auslöste. Aber auf der anderen Seite hatte er auch schon vorher Menschen unterschätzt. 

 

Außerdem war es nicht gerade so, als hätte er eine Wahl. 

 

Neji schmunzelte trocken bei diesem Gedanken. 

 

Geschichte meines Lebens.

 
 

~❃~
 

 

„Es tut mir leid, Kakashi-senpai, aber du brauchst eine Erlaubnis der Hokage, um die Untergeschosse betreten zu dürfen.“

 

Kakashi warf einen Seitenblick auf den Chūnin, der ihm den Weg blockierte, bevor seine Augen weiter zu der zweiten Person glitten. Unschuldig hob er die Hände und lud den anderen Mann dadurch ein, sich zu entspannen. 

 

„Ich bin nicht hier, um durch Daten zu schnüffeln. Ich folge nur einer losen Leine.“

 

Kotetsu stierte ihn ohne zu lächeln an. „Geht nicht. Einer ‚Leine‘ zu folgen setzt trotzdem eine Autorisierung voraus. Zugang zu den Archiven für investigative Zwecke erfordert die Zustimmung der Hokage.“

 

Kakashi zog ein wenig den Kopf zurück und knickte die Hüfte ein, während er in die Gürteltasche an seinem Rücken griff. So wie Kotetsu offizielles Vokabular statt seiner trägen Umgangssprache nutzte, zeigte das Kakashi deutlich, wie weit er nicht kommen würde, wenn er das hier locker versuchen würde – was ihn nicht davon abhielt, eine Hundeleine aus seiner Tasche zu ziehen und sie den beiden entgegen zu strecken. 

 

Kotetsu runzelte die Stirn und seine geröteten Augen blinzelten irritiert. „Was ist das?“

 

„Meine lose Leine.“

 

„Versuchst du, witzig zu sein?“

 

„Überhaupt nicht. Was normalerweise an diese Leine gebunden ist, rennt gerade lose durch den Keller.“

 

Kotetsu tauschte einen raschen Blick mit Izumo aus, bevor er Kakashi mit einem argwöhnischen schlitzäugigen Blick bedachte. „Die einzige Sache, die lose ist, ist die Schraube in deinem Kopf, wenn du ernsthaft glaubst, dass wir darauf reinfallen.“ 

 

Ein schrilles Heulen echote durch die tieferen Heiligtümer der Bibliothek. 

 

Beide Chūnin schnellten herum wie aufgeschreckte Rehe. 

 

Für einen Moment beobachtete Kakashi, wie sie ins Straucheln gerieten, bevor er seine Haltung änderte und sich ihre Unsicherheit zunutze machte, um einen festen Ansatzpunkt zu finden. Mit einer einzigen Bewegung geschmeidiger Muskeln verwandelte sich seine gesamte Aura und sein laxer Stand richtete sich auf, während seine Miene hart wurde, sich seine Schultern zurückzogen und seine Brust vorschob. Seine lockere Stimme nahm eine gefährliche Kante an. „Nun, wenn ihr schon so besorgt um Sicherheit seid, dann wollt ihr vielleicht auch etwas Zeit darin investieren, die Lüftungsschlitze in der Umgebung zu überprüfen, um Bedrohungen zu vermeiden. Wie gut, dass es nur mein Ninken ist, der da unten verloren gegangen ist und nicht irgendein dubioser, datenklauender Spion ohne Genehmigung.“

 

Kotetsu wirbelte herum, während sein Kiefer nach unten klappte; bereit dazu, eine bissige Erwiderung hervor zu blaffen. Doch Kakashis erhobene Braue stoppte den Chūnin schlagartig und für einen Moment sah Kotetsu perplex aus; ganz so, als wäre er von seiner eigenen Vehemenz überrascht. Er wich einen halben Schritt zurück und spähte zu Izumo; eine unbewusste Suche nach Bestätigung.

 

Izumo sah jedoch nicht viel anders aus, als sein sichtbares Auge weit aufflog. Beide erschienen von ihrer Unfähigkeit, ein Tier vom Gelände fernzuhalten, beschämt zu sein. Doch Kakashi spürte, dass ihr Gefühl des Versagens viel, viel tiefer ging. Die Transparenz ihrer Ablenkung und ihrer Trauer brachte den Kopierninja beinahe dazu, sein Vorgehen zu überdenken. 

 

Sorry, Jungs. Ich hab nicht die Zeit, fair zu spielen.

 

Sein graues Auge verengte sich in kaum verhohlener Ungeduld. „Also wenn ihr mich jetzt meinen entlaufenen Hund holen lasst, dann bin ich auch schon weg.“

 

Izumo räusperte sich kopfschüttelnd. „Wir brauchen immer noch-“

 

Seufzend warf Kakashi in leichtfertiger Ablehnung eine Hand nach oben. „Tut euch keinen Zwang an, ihr könnt meinen Welpen auch gerne selber da raus holen. Ihr würdet mir einen Gefallen tun.“

 

„Welpe?“, sagte Kotetsu. 

 

„Gefallen?“, fügte Izumo hinzu. 

 

Kakashi summte und stierte genervt himmelwärts. „Sechs Monate. In dem Stadium bestehen sie quasi nur aus ungezügelten Hormonen, scharfen Zähnen und manischer Energie.“ Er sah wieder nach unten und beugte sich etwas vor. „Noch ein Wort der Warnung, bevor ihr loslegt. Ihr solltet euch ihm nicht von hinten nähern, oder zulassen, dass er hinter euch kommt…wenn ich jetzt so drüber nachdenke…er mag es eigentlich auch nicht besonders gern, von vorn in eine Ecke gedrängt zu werden. Ihr werdet ihn von oben fangen müssen, was allerdings interessant werden könnte, wenn er wirklich irgendwie in den Lüftungsschächten feststeckt.“

 

„In den Lüftungsschächten feststeckt“, plapperte Kotetsu nach. „Ernsthaft?“

 

Izumo schnaubte, als er etwas von seinem Selbstvertrauen wiedergewann, das er verloren hatte. „Wenn er so klein ist, dann denke ich, dass wir mit ihm klar kommen.“

 

Kakashi blinzelte ausdruckslos wie immer. „Es kommt nicht auf seine Größe an…sondern darauf, was er damit macht.“

 

‚Du musst wirklich aufhören, diese Bücher zu lesen.‘

 

Der Geist von Asumas Worten kam so plötzlich und so unerwartet, dass Kakashi beinahe ein verlegenes Lachen ausgestoßen hätte, bevor er sich ermahnte, dass er gerade mitten in einer Mission war. Er hob eine Hand, um sich den Nasenrücken zu kratzen und dabei lässig und kontrolliert zu wirken. Der kummervolle Stich hinter seinen Rippen stahl ihm beinahe den Atem.

 

„Mist“, zischte Izumo und spähte über seine Schulter, bevor er seinen Nacken kratzte und in einem Augenblick innerer Debatte gefangen war. Kakashi kannte diesen Ausdruck. Es war der, den er selbst immer trug, wenn er Gewissen, Zweckmäßigkeit und das Regelbuch gegeneinander abwog. 

 

Kotetsu teilte die tiefe Überlegung seines Partners aber offensichtlich nicht und ließ seinen Blick stattdessen ein einziges Mal zwischen Kakashi und der Tür hin und her wandern, bevor er den Kopierninja in das Gebäude winkte. „Geh schon.“

 

Izumo versteifte sich. „Kotetsu.“

 

„Ich werde mir sicher nicht am Hintern kauen oder mein Bein rammeln lassen von einem pubertierenden Köter“, fauchte Kotetsu. „Es ist Kakashi-senpais Problem. Er kommt damit klar.“

 

Wenn irgendjemand mit seinen Problemen klar kommen musste, dann war es Kotetsu. Aufmerksam musterte Kakashi jeden der beiden Chūnin und eine sanfte Welle des Verstehens spielte hinter der stählernen Barriere seines kühlen grauen Blicks. 

 

Asumas Tod hat sie hart getroffen.

 

Kotetsu wandte sich ihm wieder zu und winkte ihn noch einmal vorwärts. „Wir haben dich nicht gesehen; oder dein Hündchen.“

 

Halbherzig zuckte Kakashi mit den Schultern und zog eine zielgerichtete Show ab, indem er sich die Leine um das Handgelenk wickelte, bevor er an ihnen vorbei trottete. Er spürte, wie sich Izumo drehte und machte sich schon darauf gefasst, dass sein Zugang erneut blockiert wurde, nur um zu hören, wie Kotetsu hinter seinem Partner her blaffte und die Richtung des anderen Chūnin umlenkte. 

 

Kakashi sah nicht zurück, sondern setzte seinen Weg fort. Schnurstracks lief er zu einer Seitentür am Ende des hintersten Korridors, um eine lange weite Treppe zu nehmen, die in scharfen Winkeln und breiten Plateaus nach unten abstieg und sich immer weiter verengte, bis Kakashi die riesige Eisentür zum Kellergeschoss erreichte. Er schob den schweren Riegel zurück und drückte. Metall ächzte und Scharniere kreischten. Der starke Geruch von Schimmel und verstaubter Papiere überfiel ihn…zusammen mit dem Bruchteil einer Sekunde des Zögerns. 

 

‚Du musst nicht die Schule schwänzen, nur weil ich das mache, Kakashi.‘

 

‚Ich würde es mir lieber so vorstellen, des Teufels Advokaten zu spielen.‘

 

‚Des Teufels Advokaten, huh? Meine Güte, macht mich das zum Bösewicht?‘

 

‚Klingt für mich eher danach, als würdest du versuchen, den Bösewicht zu fangen.‘

 

Bevor Kakashi noch weiter über dieses Gespräch nachdenken oder überlegen konnte, was zur Hölle er zu fangen versuchte – außer einem Geist – trat er hinein in den engen Gang. Der lange, feuchte Tunnel erstreckte sich vor ihm in einem Fleckenteppisch aus Dunkelheit und fahlem Licht. Glühbirnen summten an den Wänden und ihr schwaches, staubiges Glühen flackerte und verblasste weiter den Flur entlang. 

 

Kakashi schob die Leine zurück in die Tasche und zog eine Taschenlampe hervor, auf der er mit dem Daumen den Knopf drückte. 

 

Ein greller Lichtstrahl schnitt durch die Finsternis und wies ihm den Weg, als er begann, den Korridor entlang zu schreiten. Aufmerksam achtete er auf all die Nebengänge, die sich abzweigten, in offene Räume und verschlossene Archive führten. Beinahe wie in einem Kaninchenbau. Er könnte hier unten für Stunden verloren gehen…fragte sich – flüchtig – ob Asuma hier gestanden und dasselbe Gefühl der Vergeblichkeit angesichts einer solch ungewissen Aufgabe verspürt hatte. 

 

Eine Aufgabe, die absolut nichts mit mir zu tun hat…

 

Und dennoch war er hier und es hatte überhaupt keinen Wert zu trödeln. 

 

Kakashi stieß einen leisen Pfiff aus. Der Klang stach durch die Dunkelheit, als würde er dem Pfad des Kegels der Taschenlampe folgen. Für einen Moment war da nichts außer dem Brummen der sich abmühenden Glühdrähte. Und dann erklang das sanfte Tapsen von Pfoten, das von den Wänden widerhallte und von der Stille verstärkt wurde. 

 

„Bitte mich nie wieder darum, das zu tun“, beschwerte sich eine grummelige und kratzige Stimme aus den Schatten.

 

Kakashi neigte das Handgelenk und ließ das Lampenlicht direkt neben den kleinen Mops scheinen, der in der Mitte des Ganges saß. „Wenn der Besen passt…“, begann der Kopierninja. 

 

Pakkun schnaubte halb und nieste halb, was Staubpartikel und Schleim auf dem billigen Linoleum verteilte. „Ugh. Ich bezweifle, dass dieser Ort in den letzten Jahrzehnten einen Besen gesehen hat. Ich werde sicher nicht nochmal durch diese Lüftungen kriechen.“

 

„Du hast ein ordentliches Durchlüften nötig gehabt.“

 

Der Mops erschauerte und sein Fell stellte sich seinen Nacken entlang auf. „Du hast ja keine Ahnung. Ich bin dadrin stecken geblieben. Hat mich eine Menge Energie gekostet, mich da raus zu kriegen.“

 

„Ach echt?“, fragte Kakashi gedehnt. „Wie hast du es denn geschafft?“

 

„Hab richtig hart gefurzt.“

 

Stille herrschte für die vollen fünf Sekunden, die Kakashi brauchte, um sich das vorzustellen…bildlich. Er warf seinem Hund einen bösen Blick zu.

 

Pakkun schnaubte. „Du hast gefragt. Ich habe geantwortet.“

 

Kopfschüttelnd wechselte der Kopierninja das Thema. „Hast du irgendwas gefunden?“

 

Pakkun schnupperte in die Luft und wurde sehr still, als würde er ein weiteres Niesen nieder kämpfen, bevor er grunzte. „Der Geruch ist schwach, aber Asuma war definitiv hier unten.“

 

„Wo?“

 

„Bist du dir sicher, dass du das wissen willst?“

 

„Ich frage. Du antwortest.“

 

„Das passt nicht zu dir, Kakashi.“

 

„Da stimme ich dir zu. Und jetzt zeig mir, wo.“

 

Pakkun musterte für einen Moment die Ballen seiner Pfoten, bevor er den Kopf schief legte und zu seinem Herren aufsah. „Wie heißt das Zauberwort?“

 

„Sei nicht so mopsig.“

 

Pakkun verzog bei dem schrecklichen Wortspiel das Gesicht. „Oh, du bist urkomisch“, grummelte er. Aber dann wurde die Miene des Hundes weicher. „Das solltest du öfter machen, weißt du.“

 

Kakashis Belustigung verschwand schlagartig. Ungeduldig ruckte er mit dem Handgelenk und nutzte seine Taschenlampe zum Signalisieren.

 

Augenrollend stieß Pakkun ein langes leidvolles Seufzen aus, bevor er sich umwandte, um den Korridor entlang zu trotten. „Mir nach.“

 

Der Kopierninja folgte und ließ den schmalen Strahl der Lampe über die Wand gleiten. Seinen Blick hielt er auf das Schimmern von Pakkuns Hitai-ate fixiert, als der Hund voran tapste und Kakashi zwei gewundene Korridore hinunter führte, bevor er nach links in einem offenen Raum verschwand. 

 

„Hier.“

 

Kakashi trat hinter ihm ein und ließ das Licht durch das Zimmer wandern. 

 

Der Strahl prallte von Reihen von Aktenschränken ab, die den Raum zu beiden Seiten flankierten. Fensterlos, stickig, die niedrigen Ecken der Decke eingehüllt in Spinnweben. Kakashi ließ das Licht zurück nach unten schwingen und traf auf einen umgeworfenen Tisch an der einen Seite des Zimmers. Er war in der Mitte gespalten. Umgeschmissene Kisten lagen in der unmittelbaren Nähe verstreut; Opfer des schlagartigen Kenterns des Tisches. Ein paar Schritte entfernt lag ein umgestürzter Metallstuhl und ein paar Schwanenhalslampen lagen in kaltem Schlaf und mit zersplitterten Birnen da. 

 

Na schön, Asuma…Zeit, aus dem Nähkästchen zu plaudern.

 

Gähnende Leere, abgesehen von dem Gurgeln der Rohre hinter den Mauern. 

 

Pakkun trat teilweise in den Kegel der Taschenlampe und seine faltigen Brauen zogen sich zu einem tierischen Stirnrunzeln zusammen. „Es war noch eine andere Person hier, aber sie haben einen Tarnduft genutzt. Ein Drüsenextrakt. Hirsch…zumindest demzufolge, was ich riechen kann.“

 

Kakashi summte abgelenkt, auch wenn sein Verstand diese Information sofort katalogisierte. Er schob sich um ein paar Kisten herum, suchte nach Hinweisen, schwang das Licht über die staubige Metalloberflächen der Aktenschränke, warf einen Blick auf Papierablagen und weggeworfene Stifte, bis der Lichtstrahl auf einen massiven Krater traf. 

 

Da.

 

Kakashi trat hinüber und hob eine Hand, um sein Sharingan freizulegen. Das rote Auge fokussierte sich und richtete sich auf das riesige gezackte Loch, das in einen der Schränke gerammt war. Beständig hielt er das Licht in seiner Linken, während er mit der freien Hand über die ausgefranste Delle strich und seine Finger die sägezahnförmigen Kanten der Einstichstelle nachzeichneten.

 

Eine gezackte Klinge.

 

Er stellte die naheliegende Vermutung an, dass Asumas Grabenmesser wohl in Aktion gewesen waren. Aber aus welchem Grund hätte er sie hier drinnen einsetzen sollen? Kakashis Blick verharrte auf dem Schrank, während er verschiedene Szenarien durchging. 

 

Frust? Ein Kampf? Ein beeindruckend gescheiterter Versuch, ein verschlossenes Regal zu öffnen?

 

Du greifst nach Strohhalmen, Hatake.

 

Er sah etwas näher hin. Kein Einfluss von Chakra. Asuma hatte sich bei diesem Schlag zurück gehalten. Ein normaler Hieb hätte den gesamten Schrank halbiert. 

 

Wenn er die Klinge in Frustration hier rein getrieben hat, dann drängt das die Frage auf, warum er die Waffe überhaupt gezogen hat. Und wenn er die Waffe wegen einer Konfrontation gezogen hat, dann hätte dieser umgeleitete Schlag in den Schrank dafür gesorgt, dass er mit dem Rücken zu der Bedrohung steht. 

 

Das hätte ihn weit offen für einen Angriff von hinten gelassen. Unruhe verdrehte sich in Strömen in Kakashi, die ebenso eisig waren wie das Frösteln, das seine Wirbelsäule hinunter jagte. 

 

Es gibt nur einen Grund, aus dem er das tun würde…

 

Kakashi trat einen Schritt nach hinten und wandte sich halb um, wobei er seinen Oberkörper gerade weit genug drehte, um das Licht über seine Schulter werfen und direkt hinter sich sehen zu können. Er versuchte, sich vorzustellen, wer vermutlich dort gestanden und auf Asumas Rücken gestarrt hatte. Während sein Verstand sämtliche Möglichkeiten durchging, ließ er den Lichtkegel zu der gegenüberliegenden Reihe aus Schränken wandern, dann höher hinauf über die Wände, bis das Licht in einem winzigen Zwinkern zu ihm zurück reflektiert wurde. 

 

Kakashi erstarrte. 

 

Und in der Zeit, die das Zwinkern aus Licht brauchte, um sich bemerkbar zu machen, verstand er mit blendender Deutlichkeit, wer noch mit Asuma hier unten gewesen war. 

 

Aber er musste es mit Sicherheit wissen. 

 

Er ruckte mit dem Handgelenk und wurde mit demselben Aufflackern konfrontiert. Winzig. Ein bloßer Nadelstich gegen einen Hintergrund aus vergilbtem Putz und einer riesigen, sich abschälenden Karte.

 

Gegen jeden Instinkt und jeden Intellekt hoffend, schloss Kakashi die Distanz in langsamen, vorsichtigen Schritten. Sein Sharingan wirbelte, als er den Kopf auf eine Seite legte, um sich das Bild der Karte einzuprägen, die an der Wand hing. Langsam streckte er eine Hand aus und strich damit über den zerknitterten Atlas, bis seine Handkante gegen einen Nagel stieß. 

 

Wunschdenken.

 

Kein Nagel. Ein Senbon. Das tödliche Ende steckte in der Karte und markierte einen Ort direkt neben Kusagakure. Kakashi notierte sich mental die Stelle und zog dann die dünne Nadel aus dem Papier, um sie in seinen Fingern zu drehen und das stumpfe Ende zu studieren, bevor er mit dem Daumen gegen die scharfe Spitze tippte. 

 

Leise atmete er in die Stille aus. „Verdammt“, wisperte er. 

 

Pakkun hörte auf, in einer der Boxen herum zu schnüffeln und sah mit aufgestellten Ohren und zuckender Schnauze auf. „Was hast du gefunden?“

 

Das, wovon er gehofft hatte, es nicht zu finden. Aber von dem er ebenso sehr gewusst hatte, dass er es finden würde. 

 

„Genma.“

 

 

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Da sind sie wieder...Shikamaru und Neji, wenn auch nur in einer jeweils recht kurzen Passage. Ich hoffe, es hat euch trotzdem gefallen! Und ja, Kakashi fängt fleißig an, Detektiv zu spielen. Würde mich natürlich wie immer mega freuen zu erfahren, was ihr von dem Kapitel gehalten habt! :) 

Danke wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen. 
 

A./N.: Für alle, die nicht wissen, was sensorische Deprivation ist: Das beschreibt einen Entzug sämtlicher Sinneswahrnehmungen. Ein Vorgang, der vor allem zur Folter (Bsp. in Guantanamo) und Gehirnwäsche genutzt wird. Allerdings findet es auch Anwendung in Esoterik oder speziellen BDSM Praktiken, sowie zur Bewusstseinserweiterung. Wer die Serie 'Stranger Things' gesehen hat: Elfie macht in der ersten Staffel etwas ganz  ähnliches in dem Wassertank, um in die Parallelwelt zu gelangen und Kontakt zu dem Demogorgon herzustellen ;)

No sense and no solution...just ghosts

Er hatte sie dort aufgesucht, wo er sie vor fünfundzwanzig Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Ihr in zarten Winkeln skulpturiertes Gesicht behielt noch immer seine Jugend und das trotz des vernarbten und verwitterten Steins; schräge Augen waren noch immer weich, geschwungene Lippen noch immer zu diesem schwachen, wissenden Lächeln verzogen.

 

‚Ich bin seine Mutter. Vergiss, dich an irgendetwas anderes zu erinnern, Shikaku, aber wage es nicht, das zu vergessen. Ich bin seine Mutter.‘

 

Shikaku strich mit seinen Knöcheln unter sein Kinn und musterte die Granitgöttin von seinem Platz auf der steinernen Bank; die Ellbogen auf den Knien aufgestellt, den Kopf geneigt und die Augen abgeschirmt. Der Frieden, den er hier einst gefunden hatte, entzog sich ihm jetzt. Keine Überraschung, keine Enttäuschung. Nur Akzeptanz. Geübte Akzeptanz; denn nicht alles, was mühelos erschien, kam einfach so. 

 

Aber die Stille schon. 

 

Versteckt unter dem tropfenden Baldachin eines riesigen roten Ahorns und verhüllt von überwuchertem Blattwerk und Wurzeln, blieb die stille Grotte trotz des Ruhmes dieser weitläufigen Gärten größtenteils vergessen. Sie war unbedeutend und belanglos geworden…genau wie der Schrein und die davor stehende Statue.

 

Kwan Yin. 

 

Shikaku hatte die exakte Sandsteinnachbildung für seine eigene Residenz in Auftrag gegeben, als Yoshino nach dem Tod des Sandaime in einen ihrer seltsamen Banne verfallen war. Jetzt, da ein weiterer Sarutobi gegangen war, nahm sie eine ganz andere Bedeutung an…viel profunder und schmerzvoller als die ursprüngliche Absicht von Shikaku, irgendeine Art Schutz bieten zu wollen. Irgendeinen Ort, an dem Yoshino ihren Kummer und Schmerz ablegen konnte; ihre Gebete. Irgendeinen Ort, der nicht der kalte Altar von Shikakus Brust war…irgendeinen Ort, um ihre Tränen ungehemmt fließen zu lassen…um es loszulassen, es raus zu lassen…

 

‚Ich brauche es, dass du es rauslässt, Shikaku…‘

 

‚Du weißt, warum ich das nicht tun kann.‘

 

Shikaku blinzelte und drehte eine abgebrannte Zigarette zwischen den Fingern, bevor er sie an die Lippen hob und mit einer Hand seinen Mund abschirmte. Er nahm einen flachen Zug, sog es nicht komplett in die Lungen – nur gerade weit genug, um einen Hauch von dem alten Gift zu erhaschen. Beinahe sofort atmete er wieder aus; eine raue Wolke durch die Nase. Seit Jahren hatte er nicht mehr geraucht. Hatte versprochen, dass er es nicht machen würde. Hatte versucht, nicht daran zu denken, wie oft er während dieser seltenen Shogi Partien, als Asuma noch ein junger, rebellischer Halbstarker gewesen war, auf das glühende Ende der Zigarette des Sarutobi gestiert und den Drang nieder gekämpft hatte, um einen Zug zu bitten. 

 

War nicht deine Zeit, Asuma.

 

Leise atmete Shikaku in den Regen. 

 

Bei weitem nicht.

 

Die Schüsse kamen weiterhin. Und Shinobi fielen weiterhin. Eine knappe Sache führte zu einem Tod zu viel. Und selbst dann ging das Töten weiter. Unaufhörlich. Wie die Gezeiten eines mentalen Geplänkels in Shikakus Geist. Unaufhörlich. Wie das irritierende Kribbeln an seinem Nacken. 

 

Er mochte es nicht, beobachtet zu werden. 

 

Doch er hatte auch nicht erwartet, die Zeit hier unbemerkt verbringen zu können. Ehrlich gesagt wäre er enttäuscht gewesen, vielleicht sogar verstört, wenn das der Fall gewesen wäre. 

 

Shikaku schnippte die Zigarette in den Nieselregen und sah zu, wie das feuchte Ende in den Schlamm zu seinen Füßen stürzte, während er sich auf die Präsenz hinter sich konzentrierte. Er hatte den Mann in dem Augenblick bemerkt, in dem er die Schwelle zu der privaten Grotte vor schätzungsweise fünf Minuten übertreten hatte. Shikaku hatte ihn ignoriert und darauf gewartet, dass der andere Ninja den ersten Zug machte. 

 

Nach einer weiteren angespannten Minute zahlte sich seine Geduld schließlich aus. 

 

„Deine Arroganz ist verblüffend, Shikaku.“

 

Shikakus Lippen kräuselten sich, während er den Blick auf die Statue gerichtet hielt. „Und dennoch bewunderst du meine Arroganz äußerst voyeuristisch seit den letzten fünf Minuten.“ Und dann, einfach um alter Zeiten willen, fügte er hinzu: „Jenseits jeder Reichweite und Möglichkeit zum Tadel.“

 

Ein leises Summen rollte in die Stille. „Eine leere Drohung, Nara? Sogar zurückhaltende Hyūga Männer machen bei so etwas eine Ausnahme in ihrer Attitüde.“

 

Shikaku schmunzelte bei diesem geisternden Echo ihrer vor einigen Wochen gesprochenen Worte zueinander. Er hatte nicht gedacht, dass Hiashi mitspielen würde – und deswegen bemerkte er auch die dünn verschleierte Gefahr. „Bemerke ich da einen lange verlorenen Sinn für Humor?“

 

„Du hast alle deine Sinne lange verloren, wenn du glaubst, dass ich einfach so dastehe und diese Impertinenz toleriere.“
 

Shikaku klopfte sachte neben sich auf die Bank. „Dann setz dich.“

 

Hiashi zuckte nicht einmal angesichts dieser Frivolität; sein Schatten blieb hart gegen das blasse, taufeuchte Gras fixiert. Sofort machte Shikaku eine Bestandsaufnahme der Stimmung und wog sie vorsichtig ab. Immerhin war das hier Hyūga Gebiet. Hiashi würde niemals zulassen, dass er irgendwo anders gespielt oder positioniert wurde als genau dort, wo er sich entschied zu stehen – oder zu brodeln. Sein Missfallen war wie ein greifbares Wesen in Shikakus Rücken. Und dennoch entspannte der Nara seine Wachsamkeit ein wenig. Er entschied sich, dass sie sich löste und entfaltete. Es schadete immerhin nie, die Dinge auch ein wenig dem Zufall zu überlassen. Es bestand allerdings die Möglichkeit, dass die Fähigkeit zu mauern des Hyūga die Fähigkeit des Nara, das Hirn loszulösen und abzuschalten, ausstach.

 

Und im Moment fühlte sich Shikaku alles andere als losgelöst. 

 

Kindisch.

 

Regen zischte in die folgende Stille; höhnend wie das ‚Shhh‘ eines Erwachsenen. Gott, aber es fühlte sich wirklichkindisch an. Hier zu sitzen und abzuwarten, um unter diese undurchdringliche Hyūga-Haut zu gelangen. Und auf gewisse Weise fand Shikaku sogar einen flüchtigen Trost darin. Dieselbe Art von Befreiung, die Inoichi gefühlt haben musste, als er vorher verbal so um sich geschlagen hatte. Doch das Gefühl war fort, bevor er es zu fassen bekam…oder mit ihm gehen konnte. 

 

Und dann sprach Hiashi endlich; seine glatte Stimme so neutral wie Wasser, ohne auch nur die geringste Welle einer Emotion. „Mein Bruder hat dir diesen Ort gezeigt.“

 

Shikaku nickte. „Ich erinnere mich, wie begeistert du davon gewesen bist.“

 

„Ich gebe zu, dass es mich irritiert hat“, sagte Hiashi mit gemilderter Aggression…was dafür sorgte, dass er für einen Moment beinahe umgänglich klang. Doch dann erholte er sich. „Er hat deine indolente Anwesenheit aus Gründen toleriert, die sich mir entziehen.“

 

„Was entzieht sich dir sonst noch, Hiashi?“, erwiderte Shikaku. „Dein Neffe, vielleicht?“

 

„Und erneut gehst du viel zu weit. Das hast du immer getan, wenn es um meine Familie ging.“

 

Der Nara strich sich mit einer Hand über den Mund, um seine Belustigung zu unterdrücken, doch er konnte sie nicht aus seiner Stimme verbannen. „Der Versuchung eines unlösbaren Rätsels konnte ich noch nie widerstehen.“

 

„Hn. Und mein Bruder war töricht genug, deine Spielchen mitzuspielen.“

 

„Ah, aber weißt du…“ Dieses charakteristische, leise Rauch-über-Fels Lachen löste sich aus Shikaku, während er sich erhob und umwandte. Ein ironisches Schmunzeln zupfte an einem seiner Mundwinkel. „Hizashi war nie das Rätsel, Hiashi. Du warst es.“

 

Hiashis Kiefer zuckte heftig und seine weißen Augen kristallisierten sich zu undurchdringlichen Glassplittern – ein Einwegspiegel. „Du stehst auf sehr dünnem Eis, Nara.“

 

Und gleichzeitig mit dieser Drohung schien sich der Boden zwischen ihnen zu verschieben; er entwurzelte versteckte Taktiken, widerwillige Waffenstillstände, eine frühere Farce und ein nicht gekennzeichnetes Grab, gefüllt mit bitteren Skeletten, die es auszunutzen galt. 

 

Shikaku beherrschte sich bis aufs Äußerste. 

 

Deswegen war er nicht hierher gekommen. Selbst in der Vergangenheit hatte er es vermieden, Hizashis Opfer als Speerspitze in irgendeiner seiner Konfrontationen mit Hiashi auszunutzen. Was war auch der Sinn darin, einen Krieg über ein bitter verschwendetes Leben zu beginnen? Das Feld war bereits mit viel zu vielen frischen Leichen übersät. 

 

Kein Grund, die Toten nicht zu respektieren.

 

Er und Hizashi waren sich nie wirklich nahe gestanden, aber sie waren für eine gewisse Zeit verbunden gewesen…bis sich Hizashi von allem und jedem abgekapselt hatte.  Damals hatte es Shikaku hart getroffen, wie parallel ihre Wege verlaufen waren. 

 

„Neji“, lenkte Shikaku seine Gedankengänge um und wandte sich energisch von dieser versperrten Straße ab. „ANBU will ihn haben.“

 

Hiashi blinzelte sehr langsam. „Es ist mir bekannt, dass ihm ein Angebot gemacht wurde.“

 

„Ist dir auch bekannt, dass er akzeptiert hat?“

 

Nicht einmal ein Tic in dem eisernen Kiefer. Hiashi sagte nichts. Verriet nichts. Am allerwenigsten, wo genau Neji im Verhältnis zum Rest des Clans stand. 

 

Erstaunen wand sich seinen Weg in Shikakus Verstand und ließ einen unmittelbaren Verdacht aufkommen. Das hatte er mit Sicherheit nicht erwartet. „Dieses Auge, das du dich entschieden hast zuzudrücken…“, begann er, beobachtete, wog seine Worte ab. „Wird das von den Ältesten genauso gehandhabt?“

 

Hiashis Schmunzeln war eiskalt. „Du magst vielleicht Jōnin Kommandant sein, aber du bist weit davon entfernt, die Macht zu besitzen – egal wie hinterhältig ausgeführt – um dein kleines gerissenes Skalpell bis in das Herz meines Clans oder dessen Politik ausdehnen zu können.“

 

„Dass du deine Familie mit Politik in Verbindung bringst ist exakt der Grund, aus dem solch hinterhältige Maßnahmen ergriffen werden.“ Shikaku neigte vorwurfsvoll den Kopf. „Wir würden doch nicht wollen, dass sich Geschichte selbst wiederholt.“

 

Ein Tiefschlag. Und er traf mitten ins Schwarze. 

 

Hiashis Nasenflügel bebten, doch mit demselben Atemzug brachte er sich wieder zu Contenance. „Sei sehr vorsichtig, mit wem du uns in Verbindung bringen willst, Nara. Die Uchiha waren von ganz anderem Schlag.“

 

„Mit ähnlichen claninternen Tendenzen.“ Shikaku hob eine Hand, als wollte er die Wucht seiner nächsten Worte abmildern. „Es ist nichts Persönliches, Hyūga. Nach dem Uchiha Zwischenfall mit Itachi ist jeder Clan, der eine Geschichte strikter traditioneller Praktiken aufweist, verdächtig, wenn es dazu kommt, dass daraus ANBU Agenten rekrutiert werden. Besonders dann, wenn diese Praktiken Konflikte und Störungen zwischen Mitgliedern dieses Clans auslösen.“

 

„Und du nennst diese unverschämte Einschätzung unpersönlich?“ Hiashis Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Schmunzeln, das so anmutig geformt war, dass es ebenso kultiviert aussah wie ein Lächeln. So hässlich Ressentiments auch waren; sie berührten nicht die mächtige und elegante Art, in der die Hyūga sie ausdrückten. „Wie einfach es für dich sein muss, zu urteilen“, sagte Hiashi leise. „Der zuverlässige Jōnin Kommandant, dem alle vertrauen…stets über jedes Misstrauen erhaben und niemals unter dem Messer davon.“

 

Kein Schlag hätte zielsicherer – oder tiefer – treffen können, als das. 

 

Shikakus Augen flogen weit auf, strahlend weiß um die Iriden, bevor sich sein Blick zu zwei onyxschwarzen Splittern zusammenzog. Ohne nachzudenken drehte er den Kopf, um die Narben zu zeigen, die in sein Gesicht geschnitten waren. Die ganze Zeit über lösten sich seine Augen niemals von Hiashis und zwangen ihre Blicke, sich an einem beinahe schon verletzlichen Winkel zu verhaken – als würde Shikaku eher die Kehle bloßlegen statt sein Gesicht. „Du denkst, ich bin diesem Messer entkommen, Hyūga?“, raunte er. „Du denkst, ich habe diese Narben in einem gerechten, fairen Kampf erhalten?“

 

Hiashi versteifte sich bei diesen heiseren Worten und bedachte die Streifen zerklüfteten Narbengewebes mit einem einzigen Blick. In einem flüchtigen Bruch zeigte sich Unsicherheit als leichte Falte zwischen den Brauen des Hyūga, bis das Eis um seine schneeweißen Augen aufzutauen begann. 

 

Shikaku sprach schnell und riss die Kontrolle an sich, um sich davon abhalten zu können, sich zu fragen, ob er gerade kurzzeitig die Fassung verloren hatte. „Neji hat bereits mit der Einführungsphase begonnen.“ Mit abgeschirmten Augen schob er eine Hand in die Tasche. „Psychologische Evaluation und Reprogrammierung stellen während dieser Vorbereitungsstufe einen fortlaufenden Prozess dar. Es kann zwischen sechs Monaten und zwei Jahren dauern, vorausgesetzt, der Kandidat ist stabil genug, um das durchhalten zu können.“ Er machte eine Pause, die es Hiashi gestattete, zu intervenieren. Als er das nicht tat, fuhr Shikaku fort: „Allerdings ist Erfahrung der wahre Lehrmeister. Es beginnt und wird immer härter von da an. Manchmal ist das auch der Punkt, an dem es vollkommen endet.“

 

Für einen langen Moment sagte Hiashi nichts, seine Stirn war aber immer noch gerunzelt. „Ich verstehe den Zweck dieser Unterhaltung nicht, Nara. Warum erzählst du mir das?“

 

Shikaku dachte kurz über die Frage nach und beobachtete, wie der Regen wie Funken von Hiashis Schulter abprallte, bevor er wieder den Blick hob. „Du bist das nächste an einem Vater, was der Junge hat.“

 

Wenn Hiashi überrascht war, dann versteckte er es gut. Kein subtiles höhnisches Schmunzeln oder eine einschränkende Haltung; keine abstoßenden äußerlichen Zeichen über die Emotionalität dieser Bemerkung. Er erwiderte einfach nur schweigend Shikakus beständigen Blick, während er eine Hand über das hölzerne Bokken gefaltet hielt, das er bei sich hatte. Die andere verschwand in einer ordentlichen Falte seiner Robe. 

 

Er bot überhaupt nichts an, um die Stille zu durchbrechen. 

 

Doch Shikaku bemerkte eine subtile Kommunikation in der Art und Weise, wie Hiashis Augen langsam nach links wanderten. Es ließ darauf schließen, dass er vielleicht seine Vergangenheit Revue passieren ließ – oder vielleicht sah er auch einfach nur zu der Statue. Es war immer eine Herausforderung, Hyūgas anhand ihrer Augen zu lesen. Das Fehlen von Pupillen sorgte oft dafür, dass feinste Nuancen missverstanden wurden. 

 

Als Hiashi endlich das Wort ergriff, war seine Stimme sehr leise. „Du hast uns fehlerhaft gespielt, als du versucht hast, dein Rätsel zu lösen.“

 

Es brauchte eine ganze Menge, um sich davon abzuhalten, sich zu fragen, woher zur Hölle das jetzt kam. Shikaku hob eine mentale Braue und stellte sicher, dass er seinen Tonfall flach hielt. „Euch fehlerhaft gespielt?“

 

„In dieser Hinsicht warst du kein bisschen anders als die Ältesten.“ Hiashi hielt inne und legte den Kopf schief, als würde er seine Anschuldigung revidieren. „Obwohl ich mir vorstellen kann, dass deine Intentionen irgendwo auf der Seite eines noblen Ziels lagen…zumindest was Hizashi betraf. Aber du hast denselben Fehler gemacht, den die meisten Strategen bei Zwillingen begehen, wenn man versucht, sie voneinander zu isolieren.“ Der Hyūga brach ab, als seine blassen Augen zurück zu Shikaku geisterten. „Kannst du erraten, was es war?“

 

Unmittelbar, blendend, wie ein Blitz durch seinen Verstand. 

 

Shikaku musste nicht raten. Er wusste es. Und dieses Wissen überschwemmte ihn mit Kälte. Mit schlagartiger, erschreckender Präzision passte es alles in seinem Geist zusammen; an die richtigen Plätze geschoben von raschen Händen des Rückblicks. Es war so spotthaft simpel, so offenkundig klar, dass es nur von der Arroganz der Jugend oder der Dickköpfigkeit des Alters übersehen werden konnte. Kein Wunder, dass Hiashi ihn mit diesen alten Bastarden verglichen hatte, kein Wunder, dass der Hyūga ihn damals verabscheut, gemieden und verflucht hatte…

 

Und kein Wunder, dass wir genau dort angekommen sind, wo wir uns heute befinden…

 

Hiashi musste bemerkt haben, wie sich die Erkenntnis über das Gesicht des Nara stahl, denn er hob langsam das Kinn, tippte mit dem Bokken auf den Boden und drehte es in die Erde wie ein Messer in eine alte Wunde. „Sag mir, was du getan hast, Nara.“

 

Shikakus Augen schlossen sich zitternd und ein vergebliches Lachen geisterte von seinen Lippen; es war hohl und ohne irgendeinen Humor. „Ich habe euch gegeneinander ausgespielt. Obwohl ihr doch nie dazu gemacht oder bestimmt wart, im Konflikt zueinander zu stehen…“

 

Ein eingesogener Atemzug – als hätte Hiashi eine sehr lange Zeit darauf gewartet, diese Worte zu hören – und dann beugte er den Kopf, eine Seitwärtsneigung, die ihm nicht gestattete, Shikaku zuzustimmen; nur die traurige Wahrheit in den Worten anzuerkennen. „Wir waren schließlich aus demselben Holz geschnitzt, aus demselben Stoff gemacht.“

 

Derselbe Stoff. Dieselbe Zelle.

 

Shikakus Brauen zogen sich weich zusammen, als sich seine Lider hoben. „Warum sagst du mir das?“

 

„Damit du mit unerschütterlicher Gewissheit weißt, dass du meinen Bruder niemals wirklich verstanden hast und dass jede Hoffnung, die du jemals hattest, mich zu verstehen, mit ihm gegangen ist, als er starb.“

 

Eine finale Linie. Und alles in allem markierte sie eine faire Grenze. 

 

Kopfschüttelnd seufzte der Nara. „Ich hätte dich nicht als unlösbares Rätsel bezeichnet, wenn ich jemals gedacht hätte, ich könnte dich verstehen, Hyūga. Manchmal besteht das Spiel einfach nur aus dem Rätselraten.“

 

Vielleicht war es die Gewandtheit dieses Kommentars, die es auslöste, aber Hiashis Schläfen zuckten heftig und die Haut um seine Augen explodierte zu einem Netzwerk pulsierender Venen. 

 

Auf alles vorbereitet, richtete sich Shikaku steif auf und schob sich seitwärts. 

 

Hiashi machte einen einzigen Schritt nach vorn, führte mit einer breiten Schulter, hatte den Kopf gesenkt; ein Tier, das bereit war anzugreifen, bevor er hart blinzelte und das Byakugan zurück in den Ruhezustand verbannte. Zurück zur Kontrolle. „Reicht es dir nicht, der Beobachter der Konflikte meines Clans zu sein? Oder wirst du erst dann zufrieden sein, wenn du ein aktiver Teilnehmer bist?“, knurrte Hiashi. Seine Stimme war so angespannt wie eine Sprungfeder und die eisige Beherrschung bekam um die Linien seines Mundes und an den Augenwinkeln Risse. „Warum bestehst du immerzu darauf, mich herauszufordern?“

 

Shikakus Augen waren inzwischen zu Schlitzen zusammengezogen. „Weil du die Schuld so weit zurück schieben kannst wie du willst. So viele Generationen zurück wie du willst, um zu rechtfertigen, warum du dich immer noch daran gekettet fühlst; aber es muss aufhören.“ Shikaku ruckte mit dem Kinn in Richtung des Hyūga Areals, das jenseits der Grotte lag. „Und dieses Ende muss irgendwo anfangen.“

 

„Allerdings“, erwiderte Hiashi kühl. „Aber es fängt nicht hier an.“ Und er unterstrich die Endgültigkeit dieser Aussage, indem er dem Nara mit straffer Wirbelsäule und breiten Schultern den Rücken zuwandte. „Stell dich mir in dieser Angelegenheit nicht noch einmal in den Weg, Shikaku. Das nächste Mal, wenn du es tust, werde ich den Kampf beenden, den du und Hizashi nie zu Ende gebracht habt. Und du wirst verlieren.“

 

Wenn es nicht so unglaublich traurig gewesen wäre, hätte Shikaku angesichts der Vertrautheit dieses Versprechens vielleicht gelächelt. Doch so wie es war, schüttelte er nur den Kopf. „So sei es.“

 
 

~❃~
 

 

Einbrechen…

 

Naja, er hatte sich auf jeden Fall ohne einen einzigen Blick zurück in die Rolle des Schulschwänzers gestürzt. 

 

„Was jetzt?“, fragte Pakkun und suchte Schutz unter dem Baum, gegen den sich Kakashi gerade lehnte, bevor er unter den Rollen zusammengezogenen Fells zu dem Kopierninja hoch blinzelte. „Brandstiftung? Entführung? Vielleicht willst du, dass ich auf Genmas Kissen defäkiere?“

 

Kakashi neigte den Kopf hinunter zu seinem Ninken. „Wir müssen deinen Stuhlgang wirklich nicht diskutieren, außer er verhilft dir dazu, dich aus Lüftungsschächten zu befreien, um meinen Anweisungen folgen zu können.“

 

„Kakashi, worum geht es hier?“

 

Das Auge des Kopierninjas funkelte in diesem viel zu strahlenden Lächeln. Das, das dazu gedacht war, einen Gegner für die Schatten zu blenden, die hinter dem Licht entlang huschten. Er salutierte seinem Hund, stieß sich von seiner rechten Hüfte ab und schlenderte mit den Händen in den Taschen vergraben und mit in den Nacken gelegtem Kopf hinüber zu dem Apartmentgebäude. Eine widersprüchliche Überlegung zu Vermeidung und Handlung. 

 

Pakkun stieß ein grummelndes Seufzen aus. „Willst du immer noch, dass ich nach diesem Kleinen sehe?“

 

Kakashi streckte einen Arm nach außen und präsentierte ein ‚Daumen hoch‘, ohne sich umzudrehen. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf den Gebäudetrakt direkt vor ihm gerichtet. Seine Augen scannten die Reihe an Balkonen des oberen Stockwerkes, bis sein nicht zusammenpassender Blick auf den Raum ganz links fiel. 

 

Da.

 

Obwohl er wusste, wo sie zu finden war, war er niemals in Asumas Wohnung gewesen. Nicht, dass Einladungen unbedingt nötig waren. Tatsächlich hatte dieser ganze ‚Einbruch-bei-Anbruch-der-Morgendämmerung‘-Plan etwas von poetischer Gerechtigkeit an sich…wenn man bedachte, dass vor Jahren einmal Kakashis Tür von dem Dropkick des betrunkenen Sarutobi eingetreten worden war.

 

‚DYNAMISCHER EINBRUCH! SHIT!‘

 

‚Du hast gerade nicht wirklich meine Tür eingetreten.‘

 

‚Amida, ich habe mir gerade mein verficktes Bein gebrochen…‘

 

‚Das erspart mir dann immerhin die Mühe.‘

 

‚Argh…Moment…K-Kakashi? W-Was machst du hier?‘

 

‚Ich wohne hier.‘

 

‚…Dann ist Gai-?‘

 

‚Fünf Türen weiter.‘

 

‚…Oh wow. Biste dir sicher?‘

 

Kakashi schmunzelte bei dieser Erinnerung, verzog aber das Gesicht wegen des schmerzhaften Kummers. Abrupt kam er unter der Markise der Erdgeschosswohnungen zum Stehen, um nach Luft zu schnappen. Die Traurigkeit kam schnell und rollte unaufhaltsam von dem hohen Regal, auf dem er sie abgelegt hatte. In seinem Verstand fing er sie wie ein Glasornament auf, hüllte sie in Ablenkungen ein und steckte sie weg in die verschließbare Box, während sich seine Brust zusammenzog. 

 

Später.

 

Ein leises Miauen zog seinen Blick schräg nach unten. 

 

Eine dreifarbige Katze beobachtete ihn mit zuckendem Schwanz aus den Schatten und ihre vipern-grünen Augen waren in tierischer Faszination auf ihn gerichtet. Es war nicht direkt eine schwarze Katze, die seinen Weg kreuzte, aber Kakashis exzentrisches Hirn verdrehte das Bild und er zuckte innerlich zusammen. Während er energisch dem Drang widerstand, auf Holz zu klopfen, neigte er den Kopf und ließ sein Sharingan wirbeln. 

 

Der Anhänger mit dem Namen des Tieres blitzte auf: JIGSAW

 

Naja, er nahm an, dass es irgendwie passend war, wenn man bedachte, wie die Natur das Fellmuster der Katze zusammengesetzt hatte. Als würde sie seine Belustigung spüren, legte die Katze die Ohren an und ein tiefes Jaulen rumpelte in ihrer Kehle. 

 

Freundlich hielt Kakashi eine Handfläche nach oben, bevor ihm klar wurde, wie blöde – und unwirksam – diese Geste war und er sie in seiner Tasche wieder zur Faust ballte. Er ignorierte die Todesblicke, die die Katze ihm zuwarf und spähte umher, um die unmittelbare Umgebung zu mustern. Er schätzte die Uhrzeit auf etwa acht Uhr morgens. 

 

Nicht gerade die beste Zeit für einen Einbruch. 

 

Wann ist die denn überhaupt?

 

Er brauchte ein Alibi oder einen Komplizen. 

 

Wachsam linste er zurück zu der Katze, die ihn mit äußerster Verachtung beäugte. Auch wenn er einen Hund bevorzugt hätte, würde sich jedes Haustier als nützlich erweisen. Unter dem Vorwand erwischt zu werden, ein verlorenes Tier zurück zu bringen, würde vielleicht die Strafprügel von Tsunade abmildern. Sollte das nicht funktionieren, könnte er immer noch einen furchtbaren Wortwitz über Katzenalarmanlagen reißen, der ihn direkt in die Notaufnahme befördern würde, um einem Verhör zu entgehen. Kein unwahrscheinliches Ergebnis, wenn man die derzeitige Gemütsstimmung der Hokage bedachte; im Moment war sie schnell dabei, jeden Kielholen zu lassen, der dabei erwischt wurde, wie er Zeit und Ressourcen verschwendete – völlig ungeachtet des Ranges und der Reputation. Und obwohl er all das wusste, war er trotzdem hier auf einer aussichtslosen Suche, während die Bedrohung durch Akatsuki immer noch enorm war – und stetig zunahm. 

 

Wer A sagt, muss auch B sagen.

 

Außerdem würde er mehr als genug Zeit haben, darüber nachzudenken, was für eine unglaublich blöde Idee das gewesen war, wenn er im Krankenhaus am Tropf hing und seine geliebteste Buchserie schmökerte. Er müsste sich nur zuerst ein Halsband schnappen und einen Erfolg verbuchen. 

 

Das könnte interessant sein.

 

Kakashi schürzte die Lippen, wandte sich der Katze zu und machte sich für eine peinliche Reihe an ‚Pspspsps‘-Geräuschen bereit. Doch er hatte kaum die Luft dafür eingesogen, als die Katze zu ihm herüber gehüpft kam. Sofort in Alarmbereitschaft versteifte sich Kakashi, als sich das Tier an sein Beine schmiegte und sie mit einer geschwungenen Acht umkreiste, als sie sich an seinen Waden rieb und tief aus der Kehle schnurrte. 

 

Das war…leicht.

 

Zu leicht. Kakashi ging in die Hocke, klemmte sich die Katze unter den Arm und wiegte sie unbeholfen. Und gerade als er dachte, er könnte vielleicht sein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber Katzen aus dem Weg räumen, vergrub Jigsaw ihre Krallen blutvergießend in seinem Rollkragenoberteil.

 

Kakashis Augen zuckten. 

 

Hunde sind einfach besser.

 
 

~❃~
 

 

Im Inneren des Yamanaka Blumenladens kläffte ein Hund. 

 

Und es war nicht der riesige weiße Köter, der ausgestreckt an der Türschwelle lag. 

 

„Ich habe zwei Tage damit verbracht, mir den Hintern wund zu arbeiten, um für einen Scheiß bezahlen zu können, der nicht funktioniert!“

 

Kiba.

 

Neji hielt am Eingang inne und stützte eine Handfläche gegen den Türpfosten ab, während sein rechter Fuß über Akamaru schwebte. Er würde eher über den Hund stolpern als in dieses Drama. Denn besagtes Drama nahm die Form eines Inuzuka Kiba an, der mit den Händen flach auf den Kassentresen gestemmt dastand und seine Zähne einem hochgewachsenen Rotschopf entgegen bleckte, die hinter der Theke stand. 

 

„Ich will verfickt nochmal mein Geld zurück.“

 

Das Mädchen gönnte sich einen langen streitlustigen Augenblick, um einen Kaugummi zwischen ihren Kiefern zu zerkauen und eine riesige neonpinke Blase in Kibas Gesicht zu pusten. „Keine Rückerstattung.“

 

„Ich habe den dämlichen Kassenzettel.“

 

„Keine Rückerstattung. Wir können das Produkt ersetzen.“

 

„Bist du taub oder blöde?  Ich habe gerade gesagt, dass es nicht funktioniert.“

 

„Alle Yamanaka Produkte sind geprüft und getestet.“

 

Kiba riss den Kopf nach hinten und griff in seine Jacke. 

 

Für einen entsetzlichen Moment dachte Neji, der Hundeninja würde eine Waffe ziehen. Doch stattdessen zerrte Kiba einen violetten Rüschenbeutel hervor. Wie ein Anwalt, der vernichtende Beweise vorlegte, donnerte er ihn auf den Tresen. 

 

„Ich weiß nichts über geprüft und getestet, aber ich kann für simples Ausprobieren bürgen“, fauchte er. „Dieser Mist ist doch dazu gedacht, für einen ruhigen Schlaf zu sorgen, oder nicht?“

 

Der Rotschopf drehte eine Locke um ihren Finger, warf einen flüchtigen Blick auf den Beutel und blies eine weitere Kaugummiblase. „Steht das denn auf dem Etikett?“

 

Kiba funkelte sie zornig an, bevor er sich das Täschchen schnappte. Er ruckte mit dem Handgelenk und linste auf das blumenförmige Etikett, das zierlich an der pudrig-blauen Kordel hing, bevor er ein höhnisches Grinsen aufsetzte. „Sorgt für einen erholsamen Schlaf – am Arsch.“ Seine animalisch zusammengezogenen Augen wandten sich wieder der Frau zu. „Dieses Zeug sorgt nur dafür, dass sie sich überall hin übergibt!“

 

Die stumpfsinnige Miene des Rotschopfes änderte sich nicht und ihr langes Kinn wackelte von Seite zu Seite, als sie wie ein Wiederkäuer mit den Zähnen die klebrige Süßigkeit malträtierte, bevor sie schon wieder eine Blase zwischen den Lippen hervor drückte. „Vielleicht ist sie allergisch.“

 

Kibas Augenlider zuckten. „Sie ist nicht allergisch. Sie ist schwanger.“

 

„Und?“

 

„Und das bedeutet, dass ihr Geruch total durcheinander ist! Ich weiß, wie das ist.“

 

„Schwanger zu sein?“, frotzelte das rothaarige Gör. 

 

Mit mahlenden Zähnen presste Kiba die Lider aufeinander, als er energisch versuchte, sich unter Kontrolle zu halten. „Sie muss sich ausruhen. Es ist nicht gut für das Baby. Sie ist…“ Er brach ab, räusperte sich und versuchte es erneut mit einer Stimme, die so kratzig war, dass Neji die Ohren spitzen musste. „Pass auf. Sie macht eine Menge durch…emotional.“

 

Das Mädchen schnaubte. „Na, wenn sie so überempfindlich ist, dann war es ziemlich bescheuert, ihr sowas wie Lavendel zu besorgen. Ist ein Zeichen von Misstrauen.“

 

Aggression fraß sich animalisch hinter schmalen Iriden über Kibas Gesicht. Seine Stimme wurde eiskalt. „Hol sofort Ino hier runter.“

 

„Sie ist nicht da.“

 

„Dann geh und such sie.“

 

„Pfft. Schick doch deinen Köter, um sie aufzuschnüf-“

 

„HALTS MAUL!“ Kibas Faust donnerte nach unten und Büschel dünner blaugrauer Blätter explodierten aus dem gesprengten Duftbeutel. Die junge Frau stierte ihn fassungslos an, eine dicke pinke Blase zerplatzte auf ihren Lippen und zerschrumpelte um ihren Mund herum. Sämtliche Farbe wich aus ihren Wangen. 

 

Und Kiba stürzte sich quasi auf sie; seine Knie trafen krachend auf die Theke und seine Fingernägel streckten sich zu Klauen, um tiefe Risse in das Holz zu ritzen. Seine Fangzähne waren in verlängerten Spitzen gebleckt, als er sie anbrüllte: „Ich habe das ganze verfickte Set dieser Scheiße gekauft und ich werde NICHT gehen, bis du mir-!“

 

„Kiba!“

 

„WAS?“, fauchte der Inuzuka und wirbelte mit ausgestreckten Händen herum, als wollte er jemanden erdrosseln. 

 

Neji stand halb in Schatten getaucht im Türrahmen und hielt friedvoll eine Handfläche nach oben. „Beruhige dich“, sagte er sanft. 

 

Kibas Brust hob sich für die vollen fünf Sekunden, die es brauchte, bis er registrierte, was Neji gerade gesagt hatte – und dann schnellte er herum, wobei sein Arm nach außen schlug, um den Lavendel-Geschenkkorb durch die Gegend zu pfeffern, den er bei seiner Ankunft auf den Tresen gestellt hatte. 

 

Das Mädchen kreischte und ihre Arme flogen instinktiv nach oben, um ihren Kopf zu schützen. 

 

Noch einmal wandte sich Kiba ihr zu und stach mit einem Finger in ihre Richtung; seine Pupillen hatten inzwischen eine fast schon schlangengleiche Form angenommen. „Das vergesse ich nicht!“, grollte er, bevor er seine mörderische Miene mit wild glühenden Augen zu Neji herum schwingen ließ, als suchte er etwas, das er anknurren konnte, nur um seine Hände gleich darauf mit einem rauen ‚GRAH!‘ in die Luft zu schmeißen. Er stürzte an dem Hyūga vorbei auf die Straße und bewegte sich dabei mit dem Körper tief am Boden – wie ein Tier. 

 

Akamaru sprang hinter ihm her. 

 

Auch Neji wandte sich um, folgte ihm und schloss die Distanz in drei langen Schritten. „Kiba!“

 

Ruckartig blieb der Hundeninja stehen und seine Schultern schlugen wie Hacken aneinander – aber er drehte sich nicht um. Und das überraschte Neji genug, um ihn innehalten zu lassen. So viel zu Vorhersehbarkeit. Bis zu diesem Moment hatte er sich darauf verlassen. 

 

„Kiba“, versuchte er es noch einmal. 

 

Als der Hundeninja nicht reagierte, kam Akamaru an seine Seite und sein großer weißer Kopf senkte sich tief und legte sich auf eine Seite, um Kiba mit einer Intensität zu mustern, die weit über Sorge hinaus ging. Der Hund sah vorsichtig aus. 

 

Das ließ Neji noch länger pausieren. Er wich einen Schritt zurück. 

 

Kibas Finger zuckten, während sich seine Krallen verlängerten und wieder zurückzogen. 

 

Neji beobachtete ihn schweigend und wachsam. 

 

Inzwischen hatte es aufgehört zu nieseln, aber der Himmel blieb bedeckt und die Wolken waren schwer und bleiern wie Stahl. Ein feuchter Regengeruch hing in der Luft und kämpfte mit dem zarten Blumenduft, der aus dem Laden wehte. 

 

Irgendwo über ihnen zwitscherte ein Vogel, aber alles, was Neji hören konnte, war Kibas raue Atmung. Seine Lungen mühten sich mit dieser simplen Aufgabe ab, als wären die wenigen kurzen Schritte, die er gemacht hatte, gleichbedeutend mit gesprinteten Meilen. 

 

„Du bist besorgt um das Kind“, sagte Neji letztendlich. 

 

Kiba versteifte sich, nickte aber ruckartig. Seine Knie zuckten, als wollte er zu einer Hocke zusammensacken. 

 

Ein Frösteln jagte über Nejis Haut. „Ist etwas passiert?“

 

„Hatte nur so ein Gefühl“, murmelte Kiba und die Worte rumpelten seltsam aus seiner Kehle, was ihn mehr nach einem Biest als nach einem Menschen klingen ließ. „Ich erwarte nicht, dass du das kapierst.“

 

Einst, vor gar nicht so langer Zeit, hätte der Biss in diesen Worten Blut vergossen. Doch alles, was sie jetzt auslösten, war ein ungewolltes Gefühl der Empathie. Neji lächelte trotz seines Unbehagens und war froh, dass Kiba es nicht sehen konnte. „Nein, ich vermute auch nicht, dass du das erwarten würdest.“

 

Kiba legte angesichts des seltsamen Tonfalls den Kopf schief. Sekunden später zogen sich seine Klauen zurück und sein Körper schüttelte die Anspannung in einem einzigen Schaudern ab. Er stieß einen langen langsamen Atem aus und drehte den Kopf. Ein Aufblitzen einer tätowierten Wange. „Ich habe noch so eine andere Ahnung, dass du nicht wegen Blumen hierher gekommen bist.“ Seine Stimme war inzwischen ruhiger. „Was ist das Problem?“

 

Da er sich sicher war, dass die gewaltbereite Bedrohung vorüber war, entspannte Neji ein wenig seine Haltung. „Ich wollte zu Ino“, gab er zu und spähte über die Schulter. „Ich hatte Schwierigkeiten, sie zu finden. Dachte deswegen, dass ich mein Glück hier versuche.“ Er seufzte. „Aber wie es aussieht, muss ich wohl woanders suchen.“

 

Kiba grunzte und klang dabei gelangweilt. „Und?“

 

Stirnrunzelnd beäugte Neji ihn. „Und was?“

 

„Und brauchste Hilfe dabei oder was?“

 

Das Angebot klatschte Nejis Hirn in seinem Schädel seitwärts. Sprachlos blinzelte er. „Was?“

 

Kiba streckte eine Hand nach hinten, um mit den Fingern durch Akamarus Fell zu wuscheln, bevor er es für einen kurzen Moment heftig packte. „Ja oder nein?“

 

„Was lässt dich glauben, dass du sie irgendwie schneller finden kannst als ich?“

 

„Lass es uns einfach so eine Ahnung nennen. Entscheide dich oder ich bin weg.“

 

Neji spähte himmelwärts. „Ich schätze, es würde nicht schaden, wenn du mir helfen würdest.“ Erstaunlich, wie sehr es schmerzte, das wirklich zuzugeben. Aber nach Ibikis kleiner SM Session mit seinem Hirn, wusste Neji nur zu gut, dass sein Chakra viel zu niedrig war, um mit aktiviertem Byakugan ganz Konoha zu durchkämmen. Als Kiba nichts erwiderte, war er gezwungen, „Ja“ hinzuzufügen. 

 

Als wäre es das Zauberwort, zog Kiba leicht die Hosenbeine hoch und schwang einen Schenkel über Akamarus Rücken. „Na dann heb mal deinen Stock auf, Hyūga.“

 

Perplex runzelte Neji die Stirn. „Meinen Stock?“

 

„Jo, du weißt schon…“ Mit fast schon warmen Augen drehte sich Kiba um und ein langsames Schmunzeln stahl sich über sein Gesicht, bevor es zu einem ausgewachsenen Grinsen aufbrach. „Der, der dir dahinten aus dem Arsch gefallen ist.“

 

Direkt wieder in Form; wie eines dieser mechanischen Spielzeuge, die stehen blieben, innehielten und wieder zurück auf ihre Füße sprangen. 

 

Neji schüttelte den Kopf. „Eloquent wie immer, Inuzuka.“

 

Kiba zuckte mit den Achseln. „Ich nennen die Dinge nur beim Namen.“ Mit einem leichten Druck in die Flanken des Hundes sprang Akamaru mit wedelnder Rute und hechelnder Zunge die Straße entlang. „Weiter so, Hoheit!“

 
 

~❃~
 

 

Die ausgefeiltesten Pläne…

 

Liefen meistens furchtbar schief.

 

Der Plan war gewesen, alle verstohlenen Routen zu meiden, aber die Katze hatte da offensichtlich andere Vorstellungen. Nachdem sie ihr winziges Set an einziehbaren Klauen aus Kakashis Brust gelöst hatte, war Jigsaw auf die Schulter des Kopierninjas gesprungen, seinen steifen Rücken hinunter gekraxelt und über davon gehuscht, um auf der anderen Seite des Gebäudes zu verschwinden. 

 

Und so war Kakashi zu der alten Feuertreppe gekommen; ein Klettergerüst aus korrodierten Metallleisten und Geländern, die an einer Seite des Gebäudes angebracht waren. Allerdings präsentierten sie sich eher als gefährlich statt hilfreich.

 

Tetanus wäre doch ein klasse Mitbringsel dieses Erlebnisses.

 

Kakashi spähte hinauf durch die offenen Stahlgitter und beobachtete Jigsaws Schatten, der über den ersten Treppenabsatz strich und die nächsten Stufen hinauf glitt. 

 

Das Ächzen rostiger Bolzen erklang wie eine Totenglocke.

 

Doch das hielt Kakashi nicht davon ab, Chakra in seinen Füßen zu sammeln. Mit einem resignierten Seufzen veränderte er seinen Stand, ließ sich mit zusammenziehenden Oberschenkelmuskeln in eine Hocke nieder. Einen anmutigen Satz und ein paar Zickzack-Schwünge später kam er schneller beim obersten Stockwerk an als die Katze. Er sprang von dem alten Geländer und klopfte sich Flocken oxidierten Metalls von den Handflächen. 

 

Prompt erschien Jigsaw, hüpfte die letzte Stufe hinauf und tigerte vor der Notausgangstür auf und ab, die in den Wohnkomplex führte. 

 

Kakashi wandte sich um und musterte die Tür für einen langen Moment. 

 

‚DYNAMISCHER EINBRUCH!‘

 

Nein. Aber ach die Ironie.

 

Kopfschüttelnd vollführte er mit seinen Fingern drei rasche Zeichen und versteifte seine Handfläche wie eine Klinge. Ein leises Summen und Knistern im Zentrum seiner Hand, gefolgt von einem Hauch von Blitzen über seinen Knöcheln. Blinzelnd verengte er das Chakra zu einer feinen Spitze und drückte seine Fingerspitzen gegen die Mitte der Tür. Er spürte die geladene elektrische Spannung, die auf der anderen Seite summte, das sengende Reißen von Stahl und sah ein flüchtiges Aufflackern von blauweißem Licht, bevor die Metallfeder des Sturzbügels mit einem blechernen Knacken entriegelt wurde. 

 

Jigsaw fauchte und machte sich mit einem vielfarbigen Flaschenbürstenschwanz die Feuertreppe hinunter aus dem Staub. 

 

Cleverer Zug. 

 

Langsam zog Kakashi die Tür auf und trat in das Gebäude, wobei er bei dem langgezogenen Kreischen der Angeln das Gesicht verzog. Es klang wie eine Frage; was machst du hier? Was denkst du dir nur dabei?

 

Einen Fuß vor den anderen, immer weiter hinein in den dämmrigen Korridor. 

 

Ein weiteres Rucken seiner Finger, ein weiteres elektrisches Knistern, ein weiterer Hieb seiner Handfläche und die Tür zu Asumas Wohnung öffnete sich klickend. Für einen Herzschlag hielt Kakashi inne, hörte keine Schritte. Dennoch spähte er den Gang hinunter, bevor er hinein schlüpfte. 

 

Stille überschwemmte ihn. 

 

Ein Druck in seinem Kopf; wie phantomhafte Hände, die sich über seine Ohren legten. 

 

Einen Moment lang stand er vollkommen regungslos da und lauschte. Nichts. Nicht einmal das zeitweilige Brummen von Gerätschaften. Ein seltsames Gefühl verwurzelte sich in Kakashis Brustbein, ließ eiskalte Ranken hinunter bis in seine Magengrube sinken. 

 

Ich kenne dieses Gefühl…

 

Er verharrte im Foyer und versuchte, die Empfindung zu identifizieren, die sich an ihn krallte. Er hatte sie schon einmal verspürt. Konnte sich nicht erinnern, wann oder wo…suchte seine Vergangenheit ab und kehrte mit leeren Händen zurück. 

 

Egal. Du bist nicht hierher gekommen, um dorthin zurück zu gehen.

 

Er betätigte den Lichtschalter neben der Tür. 

 

Nichts. 

 

Langsam schritt Kakashi fort von dem Foyer, glitt schweigend an dem Badezimmer und der Reihe aus Fusama Paneelen vorbei, die die gegenüberliegende Wand säumten. Er lief weiter den Gang entlang, spähte links in Richtung des Schlafzimmers, wandte sich stattdessen aber nach rechts und hielt an der Schwelle zum Wohnzimmer inne; eine große Höhle, überflutet von Dunkelheit. Herunter gezogene Rollos und Schatten, die dorthin zurück fielen, wo die großen Balkontüren sein würden. 

 

Eine kribbelnde Empfindung ließ Gänsehaut über Kakashis Arme kriechen. 

 

Stirnrunzelnd zog er die Taschenlampe hervor, ließ sie kurz über seine Knöchel wirbeln und ließ den Lichtkegel die Finsternis wie eine Klinge durchschneiden, bevor er ihn an eine Seite des Raumes richtete, als wollte er sich nicht einzig und allein auf die Illumination verlassen. Er wartete, bis sich seine Sicht den Lichtverhältnissen anpasste, fühlte, wie sein Sharingan zuckte und die schwarzen Tomoes wie ein Windrädchen wirbelten…

 

Und dann kam alles in einen verstörenden Fokus. 

 

Alles davon…und nichts davon. Nichts von dem, was er sich vorgestellt, was er erwartet hatte; die verstreuten Bücher, umgeworfenen Möbel und aufgeschlitzten Kissen. Alles legte sich wie eine sehr feine Staubschicht hinter Kakashis Augen und zwang ihn dazu, all die Fantasien von Beweisspuren wegzublinzeln…zwang ihn dazu, die Realität zu akzeptieren, die auf der Hand lag. 

 

Die Realität, dass einfach nichts hier fehl am Platz war – abgesehen von ihm. 

 

Alle Gegenstände befanden sich genau da, wovon er ausging, dass sie dort auch hingehörten; der weite Maru-Sofatisch stand exakt so, wie man es erwarten würde, wenn Asuma auf der niedrigen Couch saß und seinen behelfsmäßigen Hocker in Reichweite seiner langen Beine hielt, um die Fersen auf dem vernarbten Holz abzulegen. Ein riesiger Aschenbecher beherrschte das Zentrum des Tisches; rund und flach wie ein konkaver Stein, in dessen gewölbter Mitte mehrere Zigarettenstummel ruhten – ein Standbild, das ebenso ungestört war wie die Luft. 

 

Seine Augen wanderten weiter und der Lichtkegel glitt in einem breiten Schwung voran, bevor er an den langen eleganten Stielen zweier Yoko-Stehlampen brach. Sorgfältig katalogisierte der Kopierninja nacheinander jedes einzelne Möbelstück; zwei beinlose Zaisu Stühle, ein kahles Shogibrett, ein Bild von Team 10, das in einem leicht beschwipsten Winkel an der Wand hing, ein fassbäuchiger lachender Buddha, der den kleinen Fernseher krönte, der in die modernisierte Nische des Tokonoma geschoben war. Eine buddhistische Schriftrolle dominierte den Alkoven und umrahmte die schmale Stelle zwischen einer Reihe von versetzten Zen-ähnlichen Regalen. Eines davon enthielt vier dicke Wälzer und einige Videobänder. 

 

Die restlichen Simse waren leer. 

 

Leer wie der hohle Raum, der sich in seiner Brust nach außen ausdehnte. 

 

Kakashi wich rückwärts aus dem Raum; ehrfürchtig auf eine Weise, die er noch nie in irgendeinem Tempel gezeigt hatte. Was war dieses Gefühl? Ein dünner Schweißfilm benetzte seine Haut. Stirnrunzelnd sah er hinunter auf seine feuchten Handflächen, als wäre er ein Fremder für sich selbst. Vielleicht war er das auch. Noch vor einer Woche hätte er sich nie für fähig gehalten, so vollkommen untypisch involviert zu werden, so lachhaft – 

 

Verwickelt.

 

Langsam hob er die Augen, spähte ein letztes Mal durch den Raum und stellte fest, dass es Asumas Abwesenheit war, nicht die Relikte seiner Anwesenheit, die ihn rief. 

 

Jetzt verliere ich wirklich den Verstand.

 

Er löschte die Taschenlampe; ließ den schwarzen Vorhang aus Schatten über die Szene fallen. 

 

Was hatte er denn auch erwartet, was er finden würde?

 

Langsam atmete er gegen den Druck in seiner Brust an, brauchte eine sofortige Ablenkung und ohne irgendeinen wirklichen Sinn oder Plan bewegte er sich seitwärts durch den Gang. Seine Hand hielt er ausgestreckt, bis sie über die Schlafzimmertür strich und für ein paar Herzschläge innehielt, bevor er sanft über die Holzmaserung strich und den Knauf in lange Finger nahm. Sehr langsam drehte er ihn und – erstarrte mit nach oben zuckendem Kopf. 

 

Die Tür explodierte nach außen. 

 

Ein Schatten folgte. 

 

Kakashi krachte hart auf den Rücken und trotz der Schmerzen drehten sich bereits seine Hüften, sein Körper schnellte mit ausschlagenden Beinen herum; eine rapide Abfolge dreier umgekehrter Rundumtritte – tiefer, mittel, höher. Und bei seinem letzten Kick traf seine Ferse. Der nachhallende Treffer auf Fleisch. 

 

Hab ich dich.

 

Ein leises ‚fft‘ und ein brutales Stechen explodierte in seiner Schulter. 

 

Kakashi geriet ins Taumeln, hatte keine Zeit mehr, dem heranstürzenden Schatten auszuweichen. Er traf ihn frontal und trieb das Senbon noch tiefer in die Wunde. Weißglühende Pein; dann wurde sein linker Arm taub. Seine Reaktionen verzögerten sich. Er krümmte sich zusammen, spürte, wie sein rechter Arm hart hinter seinen Rücken gebogen wurde. Eine Armbeuge hakte sich um seine Kehle und riss seinen Kopf in einem Würgegriff nach hinten.

 

So schnell!

 

Und so verdammt abgelenkt, es überhaupt so weit kommen zu lassen!

 

Ein brutales Rucken und seine Atemwege zogen sich zusammen, die Luftröhre schloss sich. Die Sehnen in seinem Hals traten pulsierend hervor. Er spürte, wie ein Gesicht über seinen Nacken strich. Ein Wispern, so sanft als wäre es intim, erklang an seinem Ohr. „Lass los, Kakashi.“

 

Genma.

 

Kakashis Augen weiteten sich, bevor sie sich zusammenzogen und seine Iriden seitwärts zuckten. Er sah nichts, außer das verräterische Knistern von Punkten, die die Ränder seiner Sicht überschwemmten. Energisch versuchte er, sich von seinem Fuß abzustoßen. Doch der Shiranui vereitelte die Bewegung gekonnt, indem er seinen Fuß in Kakashis Kniebeuge rammte und sich mit seinem gesamten Gewicht gegen den Kopierninja stemmte. 

 

Makellos ausgeführt sorgte die Neigung der Körpermasse dafür, dass Kakashi keine Hebelwirkung aufbringen konnte, um ihn loszuwerden. 

 

„Lass los…“, wiederholte Genma mit leiser, beständiger Stimme; so alarmierend ruhig. Als wäre das hier nicht grenzwertig wahnsinnig. Als würde er gerade nicht einem Kameraden die Luftzufuhr abschneiden. „Lass los…“

 

Kakashi bog sich nach hinten, doch Genma bewegte sich mit ihm, riss ihn hinunter auf die Knie und hielt ihn fest gegen seine Brust gedrückt; die Lippen an Kakashis Ohr, die Körper nah aneinander gepresst, beide zitternd und schweißüberströmt. Wie Tiere, die in einer brutalen Paarung zusammengeschlossen waren. Morbid, surreal…

 

Scheiße…das…ist übel…

 

Kakashi begann, Sterne zu sehen, blinzelte weitäugig und sein Hirn geriet ins Trudeln. 

 

Er spürte eine heftige Kompression; ganz ähnlich dem Schmerz, den er gefühlt hatte, als Kakuzus Fäden auf der Suche nach Koronararterien und Pulmonalvenen seine Brust durchstochen hatten. 

 

SEHR übel…!

 

Sein geschwächtes Herz gab einen erschütternden Schlag von sich und die Klappen verkrampften sich. 

 

Er presste die Lider aufeinander, als sein ganzer Körper spastisch zu zucken begann. 

 

Genmas Kopf schnellte angesichts des Anfalls nach oben und die Bewegung erschuf einen Spalt zwischen ihren Körpern. 

 

In einem letzten verzweifelten Versuch stürzte sich Kakashi auf diese Öffnung. Er verdrehte das Handgelenk, das Genma hinter seinem Rücken fixiert hielt, krümmte seine Finger und rammte sie wie Stahlklauen unter das Brustbein des Shiranui, drückte aufwärts und konzentrierte sich dabei, über Fleisch und Knochen hinaus zu stechen und –

 

Genma stieß ein blutiges Husten aus und sackte nach vorn. 

 

Kakashi rollte in dem Momentum mit und warf Genma über seine Schulter. Er kollabierte vorwärts auf seinen rechten Arm und Knie, hustete heftig und schluckte schnappende bebende Atemzüge. Zitternd riss er sich das Senbon aus der Schulterkurve, fühlte, wie die Nerven entlang seines tauben Arms kribbelten und zuckten. Die Pein in seiner Brust kroch bis hinauf in seine Kehle, kletterte seinen Kiefer entlang bis direkt zu seinen Schläfen, um seinen Schädel vollkommen auszufüllen. Kurzzeitig verschwamm seine Sicht, aber dann übernahm das Sharingan und festigte seinen Fokus. 

 

Eine Silhouette schmolz in die Schatten des Wohnzimmers. 

 

Energisch zwang Kakashi seinen Verstand zum Arbeiten und sein Körper folgte, als Adrenalin den Schmerz zu einer Nadelspitze zertrümmerte. Schlagartig stand er mit gezogenem Kunai an der Türschwelle. Sein Blick durchstach die Schatten in der entferntesten Ecke des Raumes, wo ein dünner Lichtstreifen durch die Jalousien fiel und einen sauberen Schnitt über abgeschirmte Augen warf, die ihn anstarrten; ihr Weiß war kühl und glänzend. 

 

„Du hättest vorher anklopfen sollen“, sagte Genma. 

 

Kakashi stierte ihn an und schluckte rau. „Du wusstest…“

 

„Ich mutmaße nie.“

 

„Und vorhin? Kuren-“

 

„Ich bin davon ausgegangen, dass er Kurenai mit diesen Informationen niemals in Gefahr gebracht hätte. Aber ich musste sicher gehen.“

 

Wie ein harter Schlag gegen die Schläfe. Kakashi konnte die schwindelerregende Empfindung nicht aufhalten. Er schnappte dagegen nach Luft und lehnte sich schwer gegen den Türpfosten. „Du bist zu Kurenai gegangen…für Rekognoszierung? Für schlichte Aufklärung?“

 

„Es macht Sinn, dass er sich stattdessen an dich gewandt hat.“

 

Kakashi biss seine unmittelbare Erwiderung darauf zurück und stierte in diese abgeriegelten Augen, während er den Kopf schüttelte. „Und das hier?“ Er ruckte mit der Hand zwischen ihnen hin und her; doch die Bedeutung davon ging viel weiter, sie ging weit über die Grenzen dieser Wohnung und der Geschehnisse hinaus, die innerhalb dieser Wände stattfanden. „Wo liegt der Sinn hierin?“

 

„Sinn?“ Das Wort war kaum mehr als ein Hauch auf Genmas Lippen. „In nichts davon ist irgendein Sinn zu finden, Kakashi. Kein Sinn und auch keine Lösung. Nur Geister.“ Genma hielt inne, als hätte er etwas verletzt – Asumas Erinnerung, Kurenais Schmerz, seine eigene Menschlichkeit? Er verzog seine blutigen Lippen, wobei sein Senbon ominös aufblitzte. „Geister und eine ganze Menge Kummer und Trauer. Davon geht im Moment mehr als genug um. Denkst du nicht auch?“

 

Kakashis Miene wurde finster, doch seine Brauen zogen sich mehr aufgrund von kummervollem Schmerz zusammen statt wegen Zorn. „Du standest dort…hast zugesehen, wie sie diese Blumen auf sein Grab gelegt hat.“ Und dann, mit all dem Gift, das in seiner Kehle brannte, fügte er hinzu: „Wie erleichtert du gewesen sein musst.“

 

Etwas huschte flackernd durch Genmas Augen; phosphoreszierend und flüchtig, ein Irrlicht in der Nacht. Viel zu schnell fort. Sein Blick wurde klarer und er sah zu Kakashi, ohne seinen Kopf zu drehen. Nur seine Augen bewegten sich und wanderten in einem langsamen Schwung vom Scheitel bis zur Sohle über den Kopierninja. Einer seiner Mundwinkel zuckte trocken. „Du kämpfst immer noch wie du fickst. Schmutzig.“

 

Kakashi hätte bei all der Reaktion, die er darauf zeigte, genauso gut eine Statue sein können. 

 

Langsam hob Genma eine Hand und strich mit dem Daumen gegen die Unterseite seiner Lippe, um das Blut zu verschmieren. Bedächtig verrieb er es zwischen seinen Fingern. „Hätte schwören können, dass es dich angemacht hat, das Blut von deinen Händen zu waschen.“

 

Und wie eine blutige Hand, griff die Vergangenheit nach ihm. Verrottete Finger streckten sich ihm entgegen. Doch Kakashi hatte bereits die Hand eines anderen Skelettes gepackt, das zu der Vergangenheit eines anderen gehörte. Mit seiner nächsten Frage lenkte er das Thema um. „Wen beschützt du, Genma?“

 

Beinahe abgelenkt wandte sich Genma dem Balkon zu…als hätte man von jenseits der Glastüren nach ihm gerufen. In einem langsamen Streichen glitten seine Finger über die Jalousie und zogen sie ein Stück beiseite. Er neigte den Kopf fort von dem Licht und dunkle Strähnen strichen über seine Schultern. 

 

Gebannt sah Kakashi zu. „Ist es Shikamaru?“

 

Genma sagte nichts und starrte einfach nur weiterhin mit einem weit entfernten Blick nach draußen. 

 

Das war ein Ausdruck, an den sich Kakashi erinnerte. Ein Ausdruck, den sie vor langer Zeit gemeinsam gehabt hatten, als Regeln nichts weiter gewesen waren als ausgewaschene Tinte auf einer blutgetränkten Seite. Keine Rechtschaffenheitsverpflichtung, keine Verurteilung ihrer Verbrechen; nur Gesichter ohne Namen…

 

Kakashis Augen wurden rund. Und sein Mund bewegte sich, bevor sein Hirn einschreiten konnte. „Wer ist Naoki?“

 

Wie ein Bruch in den Wolken, wurden Genmas Augen klar und sein Kopf hob sich ein Stück – gerade genug, um Kakashi wissen zu lassen, dass er auf Gold gestoßen war – oder auf ein Grab. Ihre Blicke hielten sich für einen Augenblick. Ein Augenblick, in dem Kakashi den schimmernden Anflug von Emotionen sah, der über Genmas Gesicht huschte und seine Brauen qualvoll zusammenziehen ließ, bevor sie sich glätteten. 

 

„Hn“, schnaubte der Shiranui und seine Zunge strich in einem langsamen Rollen über das Senbon, als er über etwas nachgrübelte. Seine Augen wanderten zurück zum Balkon und wurden erneut distanziert. „Asuma hat dir wirklich vertraut.“

 

„Er hat auch dir vertraut.“

 

„Nicht genug“, schnappte der Shiranui und seine Stimme brach ein wenig; es war das erste wirkliche Aufkommen von Emotionen, bevor sie zu ihrem monotonen Tonfall zurückkehrte. „Nicht genug.“

 

Kakashi schüttelte den Kopf und seine Augen zuckten in einem unaussprechlichen Konflikt. „Genma, wir müssen das hier nicht tun.“

 

Ein freudloses Schmunzeln und Genmas Brauen hoben sich traurig und resigniert. „Doch Kakashi“, seufzte er und das Licht traf auf das Schimmern in seinen Augen, bevor er die Jalousie fallen ließ. „Das müssen wir.“

 

 

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Aaah, ich LIEBE die Szene zwischen Shikaku und Hiashi. Sie ist so...voller Mystik, Geheimnissen, kryptischer Anspielungen und Analogien. Ich hoffe sehr, dass sie euch genauso gut gefallen hat wie mir, auch wenn sie denke ich wieder einige Fragen (vor allem in Bezug auf Shikaku und Hizashi) aufwirft ;) Ein paar Meinungen dazu würden mich natürlich wieder wahnsinnig freuen! :) 
 

Vielen lieben Dank an alle meine Review/innen und Leser/innen! <3

 

 

Who can ever guarantee anything?

Von Anfang an hatte Neji vermutet, dass Kiba ihn wahrscheinlich testete. Drei Besorgungsstopps und ein paar verwinkelte Gassen später war er sich dessen absolut sicher. 

 

„Ich weiß, dass du mich fragen willst“, rief Kiba über die Schulter, während er mit dem trägen Trotten seines riesigen weißen Köters voran ritt und sich nicht einmal die Mühe machte, über die Schulter zu sehen. „Mach nur.“

 

„Dich fragen…?“, echote Neji flach. Bis jetzt hatte es geradezu übermäßiger Zurückhaltung bedurft, nicht zu reagieren. Doch Neji wusste, dass diese streitlustige und herausfordernde Ader Kibas Art war, um herauszufinden, wo zur Hölle sie beide jetzt eigentlich standen, da sie nicht länger versuchten, sich gegenseitig fertig zu machen. 

 

Und trotzdem muss er es probieren…

 

Ja, denn Kiba war noch immer ein sturer Hund, der einen zersplitterten Knochen hatte und nicht willens war, ihn trotz allen Unbehagens aufzugeben. Immer noch loyal seiner Feindseligkeit gegenüber, seinem Ego…seinen Freunden.

 

‚Wenn du dich im persönlichen Bereich meiner Kumpel aufhältst, Hyūga, dann ist es nur höflich, dass ich auf Nummer sicher gehe, dass du ihre Hände schüttelst, statt deine Sanfte Faust an ihren Köpfen auszuprobieren, kapiert?‘

 

Es war dieser letzte Punkt, auf den sich Neji konzentrierte, um sich davon abzuhalten, seine Faust in den Hinterkopf des Inuzuka zu rammen. Kiba benahm sich nicht nur aufgrund von Stolz so. Ebenso sehr achtete er seine Prinzipien. 

 

Bleib einfach auf Kurs, argumentierte Nejis Verstand. Er wird sich zurückziehen.

 

Irgendwann. Genauso schnell wie er sicher gestellt hatte, dass Neji sein eigenes inneres Tier an die Kandare genommen hatte. Es war ebenso ursprünglich und grundlegend. Und jeder ursprüngliche Drang trieb Neji dazu, die Kontrolle über dieses neue Territorium übernehmen zu wollen, seinen Platz zu behaupten und Kiba hinunter auf niedere Level zu treten. 

 

Direkt zurück auf das Level, auf dem wir beide begonnen haben. 

 

Auf keinen Fall würde er das geschehen lassen. Wenn er jetzt das Gesicht verlor, dann würde er sich nie davon erholen. Und so sehr es seinen Stolz auf fuchste; er musste kühl und gefasst bleiben – ohne diese herablassende Art und ohne den Drang zu kontrollieren. 

 

„Mach nur“, stichelte Kiba weiter. „Ich kann quasi den Rauch riechen, der aus deinen Ohren kommt.“

 

Neji biss die Zähne zusammen. Na das war mal richtige Folter. Götter, nur ein einziger Tag in einen Raum eingeschlossen zusammen mit diesem ungehobelten Rohling und Neji würde die mentalen Wände hochklettern, die Ibiki einreißen wollte. 

 

„Du wirst dich danach besser fühlen“, flötete Kiba. 

 

Neji hielt seine Zunge im Zaum – und bewahrte die Ruhe. 

 

Zwei weitere Sekunden des Schweigens später richtete sich Kiba etwas weiter auf, ließ den Kopf nach hinten kippen und breitete die Arme aus, um ein unsichtbares Publikum anzusprechen, als wäre er ein König, der sich durch seine Untertanen bewegte. „Kiba-san!“, verkündete er und versuchte, seinem gedehnten Sprechen einen feineren Tonfall zu verschaffen. „Du mit deinen überlegenen Fährtenlesefähigkeiten und deiner unvergleichlichen Brillanz, bitte schön sage mir -!“ Er brach ab, schielte ach so langsam über die Schulter und wisperte: „Sind. Wir. Endlich. Da?“

 

Es brauchte jede einzelne hart erarbeitet Unze der Zurückhaltung, um diesen Bastard nicht zu erdrosseln. 

 

Neji blinzelte gelassen. „Ich habe noch nie in meinem Leben den Ausdruck bitte schön verwendet.“

 

Kibas Mund bog sich nach oben, während seine Brauen nach unten sackten, als er zwischen einem finsteren Blick und einem Schmunzeln hin und her gerissen schien. Letztendlich entschied er sich für ein schiefes Grinsen. „Verdammt. Mehr hab ich nicht zu bieten.“

 

Oh den GÖTTERN sei Dank.

 

Und dann hielt Akamaru vor einem grell bunt bemalten Kissaten.

 

Neji seufzte innerlich und machte sich auf eine weitere Verzögerung gefasst. Er hielt hinter dem Hundeduo inne und spähte zu dem Lokal, um seinen Blick über ein paar zerbrochene Ziegel und verblasste Farbe wandern zu lassen. Ein Hauch von Pastellfarben, die einst in strahlenden Regenbogenfarben geschimmert hatten. Und dann trafen Nejis Augen auf die fette gekrakelte Schrift, die die Spitze des Kaffeehauses krönte. 

 

„Niji…“, sagte er flach und warf dem Inuzuka einen Seitenblick zu. „Soll das irgendwie grobhumoristisch sein?“

 

Kiba ächzte und musterte ihn mit schlitzäugiger Abneigung. „Und du beschwerst dich über bitte schön? Mann, prügeln sie dir diesen Mist eigentlich mit deinem Stock ein? Hinata redet überhaupt nicht so.“

 

Mit verkrampftem Kiefer schob Neji seine Hände in die Ärmel seiner Robe und sein Nasenrücken zog sich kurz kraus, bevor er seine Gesichtszüge glättete. „Noch eine Besorgung zu erledigen, Inuzuka?“

 

Doch Kiba schenkte ihm keinerlei Beachtung, kraulte mit den Fingern Akamarus dichtes Nackenfell und drückte seinen Kopf spielerisch gegen den des Hundes, bis er bemerkte, dass Neji ihn anfunkelte. „Was denn?“, knurrte er und wedelte mit der Hand in Richtung des Kissaten. „Sie ist da drin.“

 

Neji zögerte und seine blassen Augen verengten sich argwöhnisch. 

 

Kurz blinzelte Kiba ihn an und verbeugte sich dann spöttisch, wobei er einen Arm nach außen schwingen ließ. „Ihr seid angekommen, Eure Hoheit. Meine Arbeit ist getan.“

 

Was bedeutete, dass es keine Möglichkeit gab, diese regenbogenfarbige Scheußlichkeit nicht zu betreten. Nejis Schultern verkrampften sich und seine Finger gruben sich in seine Unterarme, als er das Lokal noch einmal musterte. „Ino ist da drin“, wiederholte er, da er es einfach klarstellen musste…oder vielleicht sogar verleugnen. 

 

„Das sagt mir auf jeden Fall meine Nase.“

 

„Wenn sich das als irgendein kindischer Scherz entpuppt, Inuzuka.“

 

Kiba lachte laut auf; ein heiseres Bellen, das sofort dafür sorgte, dass sich Nejis Miene anspannte. „Mann, Shikamaru war echt ein gottverdammter Heiliger. Wie hat er dich auf dieser Mission nur aushalten können?“ Als sich Neji langsam und warnend umdrehte, hob Kiba rasch die Hände. „Hey, ich mein’s ernst. Sie ist da drin.“

 

Und aus irgendeinem unerfindlichen Grund, von dem es Neji nicht wagen würde, ihn ‚eine Ahnung‘ zu nennen, wusste er, dass der Hundeninja die Wahrheit sagte. Doch um seines Stolzes willen, den er an dieser regenbogenfarbenen Türschwelle opfern müsste, fragte er: „Wie hast du sie so schnell gefunden? Also natürlich ungeachtet deiner Besorgungen.“

 

Kiba rollte die Augen über ‚ungeachtet‘ und fixierte seinen Blick dann auf irgendeinen distanzierten Punkt weiter die Straße hinunter, als seine Hände in Akamarus Felle inne hielte. „Ich hab es dir schon gesagt. Es ist meine überlegene und  unvergleichliche Brillanz.“

 

Neji öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber sofort wieder, als er bemerkte, dass die Farbe der Tattoos auf Kibas Gesicht an Tiefe zugenommen hatte. Der Hyūga blinzelte für einen Moment perplex, bis er bemerkte, dass der Hundeninja…

 

Errötet?

 

Unmöglich. Das würde auf Verlegenheit hindeuten, wozu Kiba überhaupt nicht fähig war – vor allem dann nicht, wenn es um seine Talente ging. 

 

Was bedeutet…

 

Nejis Brauen wanderten nach oben, bevor er seine Reaktion kontrollieren konnte. 

 

Und Kiba bemerkte diesen Ausdruck sofort aus dem Augenwinkel; seine Miene wurde düster. „Warum zur Hölle glotzt du mich so an?“

 

Ah, diese offene Einladung war einfach zu verlockend. Neji gab sich alle Mühe, seine Kiefer verschlossen zu halten, aber die Worte drängten sich nach oben und an seinen Lippen vorbei. „Du…hast einen ziemlichen soliden Griff an Inos Geruch.“

 

Kiba schnaubte, doch seine Knie spannten sich um Akamaru herum an. „Ich habe einen soliden Griff am Geruch von jedem.“ Er lehnte sich etwas auf seinem Hundekissen zurück und machte Anstalten, die Arme zu verschränken, nur um es dann doch zu lassen und stattdessen die Hände auf den Schenkeln abzulegen, um dort fahrig auf und ab zu reiben. „Was denn, gehst du jetzt rein oder nicht?“

 

Interessant.

 

Neji machte sich eine rasche mentale Notiz über diese Reaktion und neigte leicht den Kopf, was in etwa so viel Dank war, wie er geben würde, bevor er sich umwandte, um sich dem Unvermeidlichen zu stellen. 

 

Er betrat das Kissaten.

 

Es kam ihm vor wie etwas aus einem Kindermärchen, das direkt der aquarellhaften Qualität eines Bilderbuches entnommen worden war; Fusama Paneele waren angemalt, um die Illusion eines endlosen Himmels zu erschaffen und ließen das Niji erscheinen, als wäre es ein schwebendes Café in den Wolken. Ohne es überhaupt zu realisieren fragte sich Neji, ob Shikamaru wohl von diesem Ort wusste…und ob er jemals auch nur einen Fuß hier hinein gesetzt hatte. 

 

Eher unwahrscheinlich.

 

Der Nara würde nur einen einzigen Blick auf die psychedelische Außenfassade werfen und schlagartig auf dem Absatz kehrt machen. Obwohl; das starke Aroma von Kaffee wäre vielleicht genug, um ihn innehalten zu lassen. Es ließ Neji auf jeden Fall die Nase rümpfen. 

 

Er sah sich um. In Anbetracht der Uhrzeit befand sich nur eine Handvoll Gäste in dem Lokal und ein paar von ihnen warfen ihm neugierige Blicke zu, als er sich gemessenen Schrittes auf einen niedrigen Tisch am anderen Ende zubewegte und den Blick auf die blonde Gestalt fixiert hielt, die sich in einem plüschigen Ledersessel eingekringelt und ihre Hände um einen dampfenden Becher gekrümmt hatte. 

 

Während er die Distanz schloss, versuchte Neji, Inos Stimmung einzuschätzen. Abgesehen von der generellen Aura tiefer Grübelei war es schwer, irgendetwas mehr ablesen zu können, da ihre langen Strähnen die Hälfte ihres Gesichtes abschirmten. Soweit er es beurteilen konnte, hatte sie ihren Blick auf ihr Getränk gerichtet; das Kinn nach unten geneigt und die Ellbogen nah an sich gezogen. 

 

Sie versucht, sich klein zu machen…

 

Ein Verhalten, das äußerst ungewöhnlich war – zumindest beurteilte er das so anhand des wenigen, das er wirklich über sie wusste. Neben dem Tisch blieb er stehen und wartete darauf, dass sie ihn bemerkte; leise sprach er ihren Namen, als das nicht passierte. 

 

Ino zuckte zusammen und der Kaffee schwappte heftig, als sich ihre Finger um die Tasse verkrampften. Flüchtig ließ sie ihren Blick nach oben zucken und zeigte dabei ein wässriges aquablaues Auge. „Neji…“, krächzte sie. 

 

Nejis Absatz rutschte ein wenig nach hinten. „Bitte vergib mir die Störung“, sagte er leise, da er einen schlecht getimten Moment sehr wohl erkannte, wenn er ihn sah. 

 

Mit leerem Blick starrte Ino ihn für ein paar Herzschläge an und stieß dann ein nervöses kleines Lachen aus, bevor er sich zurückziehen konnte. „Oh! Nein. Nein, ist schon gut.“ Fest zog sie die Beine unter sich und rutschte auf ihrem Platz herum, um sich etwas fort zu lehnen. „Was gibt’s?“

 

Nejis Brauen ruckten leicht. Bedacht wog er ab, ob es klug war, seine Sache weiterzuverfolgen. Er hätte sich höflich entschuldigen und gehen können, aber das würde Ino nur in Verlegenheit und ihn wieder dorthin bringen, wo er angefangen hatten – draußen bei Kiba. 

 

Das ist keine Option.

 

Am besten machte er mit Vorsicht weiter. Er ließ sich auf dem Stuhl neben ihr nieder, sodass er es vermeiden konnte, sie direkt anzusehen, was Ino wiederum eine Art subtiler Privatsphäre gab, um sich sammeln zu können. Sie rollte sich noch fester in ihrem Sessel zusammen und zog ihren Becher so nah an sich heran, dass der Dampf über ihren Hals geisterte und einen leichten Glanz auf ihre Haut warf.

 

Um einer unangenehmen Stille zu entgehen kam Neji direkt auf den Punkt. „Ich bin in meinem Training auf ein Problem gestoßen“, begann er. „Ich hatte gehofft, du könntest mich dabei vielleicht unterstützen.“

 

Ino lehnte ihre Lippen gegen die Tasse, nippte daran und verzog das Gesicht, bevor sie sich vorbeugte, um Sahne hinein zu kippen. „Wow. Hyūga Neji kommt zu mir für Hilfe?“, neckte sie, aber es klang erzwungen. „Sollte ich mich geschmeichelt fühlen oder ausflippen?“

 

Aufmerksam beobachtete Neji ihre Bewegungen und bemerkte, wie sich ihre Finger mit der simplen Aufgabe schwer taten, einfach nur das Zuckerbeutelchen aufzureißen. „Aufgrund deiner Erfahrung und deinem Talent für Kontrolle über den Geist, kann ich mir niemanden vorstellen, der besser dazu geeignet wäre, mir zu helfen.“

 

Ino nahm einen weiteren kleinen Schluck ihres Kaffees und summte. „Das ist komisch. Ich hätte schwören können, dass du bereits ziemlich gut in diesem ganzen ‚ruhiger Geist‘ Zeug bist.“

 

„Ein ruhiger Geist hat einem Genjutsu aber nichts entgegenzusetzen.“

 

„Genjutsu, huh?“ Erneut rollte sich Ino zu einem Ball zusammen. „Bin mir nicht sicher, ob das wirklich mein Fachgebiet ist.“

 

„Ganz im Gegenteil; meinem Verständnis nach helfen die Yamanaka-Lehren dabei, einen Widerstand gegen Genjutsu zu errichten.“

 

„Nun, ja. Aber es ist nicht wirklich eine Defensive. Eher eine Ab- oder Umlenkung.“

 

„Manchmal ist eine Ablenkung alles, was man braucht.“ Er sah zur Seite weg. „Auf jeden Fall wäre ich für jede Hilfe dankbar, die du mir geben kannst. Ich habe niemanden sonst, an den ich mich in Bezug auf diese Sache wenden könnte.“

 

Ino dachte über die Bitte nach und stierte in ihren Kaffee. „Ja, ich schätze mal, ein ernster Geisteszustand ist nichts, wobei dir Gai-sensei wirklich helfen könnte, huh?“ Ein fragiles Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, aber der dünn verschleierte Schmerz in ihrer Stimme warf einen dunklen Schatten über ihren Humor. „Ich habe immer gedacht, unser Sensei würde uns alles beibringen, was wir wissen müssen und jeden Schritt des Weges an unserer Seite sein, um sicher zu gehen, dass wir es nicht vermasseln.“ Ihre Nägel kratzten über die Keramik. „Dämlich, huh? Sie zu Übermenschen zu machen.“

 

Keiner von ihnen sprach in die Stille, die folgte. Da war nur das Klacken von Keramik, das gelegentliche Kratzen eines Löffels auf einem Teller, raschelndes Papier, ein leises Räuspern, das sanfte Summen gedämpfter Unterhaltungen und von irgendwoher das entzückte Glucksen eines Kindes. 

 

Ino versteifte sich in ihrem Sessel. 

 

Und Nejis Augen wurden weich, als er sie musterte; eine schwache Falte grub sich zwischen seine Brauen. Es gab einfach keine Worte, um überhaupt anzufangen auszudrücken…ja…was auszudrücken? Mitgefühl? Verständnis?

 

Nutzlos…

 

Ebenso nutzlos, wie er sich im Moment fühlte, so vollkommen schlecht ausgerüstet, um mit dieser Situation umgehen zu können. Er wurde wieder einmal daran erinnert, warum er penibel darauf geachtet hatte, seit dem Begräbnis Abstand zu Team 10 und jedem zu halten, der sich in ihrem Umfeld aufhielt. Götter, er war so erpicht darauf gewesen, diese Situation zu vermeiden, dass er sich keine drei Stunden, nachdem er zugesehen hatte, wie Kurenai diese Blumen auf Asumas Grab gelegt hatte, schon wieder auf einer Mission befunden hatte. Er hatte geglaubt, das sofortiges Handeln der richtige Weg war. 

 

Der richtige Weg? Oder der des geringsten Widerstandes?

 

Schuldgefühle sägten sich durch ihn; ebenso hässlich und roh und wie das Gefühl der Erleichterung, das er verspürt hatte, als Shikamaru nicht bei Asumas Gedenkstätte aufgetaucht war. Damals hatte es ihn zutiefst schockiert; die Wucht dieser Empfindung…und jetzt, als er seinen Blick über Ino wandern ließ, wurde ihm erst so richtig bewusst, warum es ihn so hart getroffen hatte. 

 

Denn wenn ich ihn so gesehen hätte…

 

Der Gedanke war so unerträglich, dass er es nicht aushielt, ihm weiter nachzugehen. Zitternd schloss er die Lider und versuchte energisch, das Bild davon abzuhalten, sich in seinem Verstand festzusetzen. Es bebte vor seinem inneren Auge; Schatten und Blut auf Wasser. Tiefes, tiefes Wasser. Leise atmete er ein, um nicht unterzugehen. Er vertraute nicht darauf, dass er fähig sein würde, sich über Wasser zu halten, sich an den Plan zu halten…sich fern zu halten. 

 

Ich schulde dir soviel…

 

Und so viel mehr.

 

Er hörte, wie Ino versuchte, ihre Traurigkeit zu ersticken; ein nasses Rasseln in ihrer Kehle. Bei dem Klang glitten seine Lider auf und plötzlich kamen auch die Worte. „Ich habe einmal einen ganzen Tag damit verbracht, Asuma-senpai durch das Dorf zu jagen.“

 

Inos Atem geriet heftig ins Stocken. Ohne zu atmen senkte sie die Tasse in ihren Schoß. 

 

Neji lehnte sich bei der Erinnerung leicht zurück und stützte seine Ellbogen gegen das abgenutzte Leder, bevor er seine Fingerspitzen in einer nach unten zeigenden Raute aneinander legte und seine Daumen gegeneinander tippte. „Es war während dieses Nahkampf-Turniers, das Tsunade abgehalten hat. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst-“

 

„Ich erinnere mich“, wisperte Ino.

 

„Jōnin gegen Genin“, fuhr Neji fort, während er den Kopf auf die Seite legte und sich seine blassen Augen bewölkten, als er die Vergangenheit in den Fokus brachte. Der Wettkampf hatte verlangt, dass Teilnehmer mit dem Ziel gegeneinander antraten, rote und blaue Kristalle zu sammeln, wobei die roten einen höheren Punktwert hatten. Natürlich hatten die Jōnin die roten Kristalle erhalten. „Als ich Asuma konfrontiert habe, hat er mir sofort das Versteck seines Kristalls verraten, weil er keine Lust darauf hatte, mit mir zu kämpfen.“

 

Ein leises, bebendes Lachen und Ino schüttelte den Kopf. „Das sieht Asuma so ähnlich…“

 

Und auch noch jemand anderem…

 

Neji presste seine Daumen aneinander, war aber nicht in der Lage, ein Lächeln zurückzuhalten. „Nun, unglücklicherweise für Asuma, war ich viel mehr daran interessiert, mein Können gegen einen Jōnin zu testen, statt den Wettbewerb zu gewinnen.“

 

„Oh Gott.“

 

„Ich bin mir sicher, dass er sich dasselbe gedacht hat.“

 

Ino setzte ihre Tasse auf dem Tisch ab und wandte sich ihm zu, bevor sie die Fingerspitzen in ihre Armlehnen krallte. Es lag etwas ausgesprochen Kindliches darin. „Und? Hast du es geschafft, ihn dazu zu bringen, gegen dich zu kämpfen?“

 

„Nicht ein einziges Mal.“

 

„Aber du hast weiter gemacht, huh?“

 

„Natürlich.“

 

Ino presste die Lippen aufeinander, doch ihre Belustigung blubberte geradezu in der Luft um sie herum und löste die Schwere, die sich vorhin niedergelassen hatte. „Den ganzen Tag, huh?“

 

Nachdenklich starrte Neji mit großen Augen auf den Tisch und verzog leicht das Gesicht. „Ich war ein sehr stures Kind.“

 

Ino lachte auf; ein weicher reiner Klang, der nicht rau war oder bebte. 

 

Und so unbehaglich diese Erinnerung auch war; Neji fand ein Lächeln für sie, als er aufsah. „Ich bin mir sicher, dass er dich und deine Teamkameraden von da an als wahren Segen erachtet hat.“

 

„Pfft!“ Ino wischte den Kommentar beiseite, doch ihre Wangen erwärmten sich. „Davon weiß ich nichts. Er hat mich ein Großmaul, Shikamaru einen Drückeberger und Chōji einen Vielfraß genannt.“ Sie stellte einen Ellbogen auf der Armlehne ab und nestelte an dem silbernen Stecker in ihrem Ohr. „Ziemlich zutreffende Bewertung, schätze ich.“

 

„Er kannte euch gut.“

 

„Ja…“ Sie drehte den Kopf weg und ein nostalgisches schwaches Lächeln zupfte an ihren Lippen. Die Traurigkeit in ihrer Stimme war ebenso rein wie es ihr Lachen gewesen war. „Er kannte uns besser als irgendjemand sonst.“

 

Testament eines Bandes, das so viel Kraft enthielt…und so viel Schmerz zurückgelassen hatte. Das Konzept, eine solche Verbindung mit einem Sensei zu haben, war Neji ebenso fremd wie der plötzliche Drang, danach zu greifen und es zu verstehen. Bedächtig verschränkte er die Finger und drückte zu, bis die Knöchel weiß hervor traten. „Ich bedaure, dass ich nie die Gelegenheit hatte, als Jōnin gegen ihn zu kämpfen.“

 

„Männer sind so einfach gestrickt. Du hättest dich darüber gefreut, huh?“

 

„Ich hätte mich geehrt gefühlt“, korrigierte er. 

 

Ino strich sich über den Hals und schluckte schwer. „Ja…“ Sie streckte eine Hand nach ihrer Tasse aus und zog sie an ihre Brust, bevor sie sich erneut wiegend zu einem Ball zusammenrollte. „Wann willst du mit dem Training anfangen?“, fragte sie. 

 

Für einen Moment musterte er sie und wartete darauf, dass sie aufhörte, vor und zurück zu wippen. „Wann immer du bereit dazu bist“, antwortete er sanft. 

 

„Dann lass mich das nur noch austrinken.“

 

„Selbstverständlich.“ Neji löste die Verschränkung seiner Finger und wollte sich erheben. 

 

„Du musst nicht gehen“, sagte sie ziemlich plötzlich, schilfig und wispernd wie Binsen im Wind.

 

Und so ließ er sich wieder nach unten sinken und legte die Hände locker auf seinen Schenkeln ab. Schweigend saß er dort mit ihr, bis sie ihren Kaffee beendet hatte und zur Kasse hinüber ging, um einen weiteren, viel schwereren und dunkleren zum Mitnehmen zu bestellen und eine Tüte Kartoffelchips einzupacken. 

 

„Könnte wetten, dass ich dafür nichtmal ein Danke bekommen werde“, murmelte sie zu sich selbst und ließ ihre Nägel auf die Theke klacken, während sie so tat, als würde sie die Karte studieren.

 

Neji stellte sich neben sie und sah zu, wie die Kellnerin die Bestellung in einen wolkenförmigen Karton verpackte. Seine Aufmerksamkeit war zwischen Styroporbechern, raschelnden Tüten und dem aquablauen Auge aufgeteilt, das hinter flachsfarbenen Strähnen zu ihm aufsah. 

 

„Neji?“

 

Er drehte leicht den Kopf, um zu ihr hinüber zu spähen und zuzusehen, wie eine lange Locke blonden Haares in dem Atemzug zitterte, den Ino nahm, um eine Art Mut aufzubringen, bevor sie ihm teilweise das Gesicht zuwandte – gerade genug, um sehen zu können, wie eine Träne hinunter in den Bogen ihres Lächelns rann. „Danke.“

 
 

~❃~
 

 

Ein blauweißes Leuchten erhellte die Grenzen des Trainingsareals Drei, ließ Bäume und Blattwerk erglühen und warf scharfe Schatten über seinen Weg. 

 

Shikamaru blieb stehen. 

 

Das stroboskopartige Flackern erstarb schneller als ein Blitz und unter seinen Füßen bebte ein tiefes Grollen durch die Erde und ließ Kieselsteine rollen. Er sah auf und seine abgeschirmten Augen fixierten sich auf das Gelände jenseits der Bäume. 

 

Zur Hölle?

 

Langsam wandte er sich um und näherte sich dem Feld, wobei er angesichts der Schwere der Luft die Stirn runzelte; es war eine trübe Feuchtigkeit, die durch das heiße Brennen von Chakra verstärkt wurde. Wie ein Laken legte es sich über ihn und er zog die Schultern in einem vergeblichen Bemühen hoch, es abzuschütteln. 

 

Ein heiserer Schrei ließ ihn innehalten. 

 

„Komm schon! Willst du etwa so einfach aufgeben?!“

 

„Es ist nicht einfach! Und ich habe keinen Bock mir auf diesen blöden Ball!“

 

Es war die jüngere, zornigere Stimme, die Shikamarus Aufmerksamkeit über das aschfarbene Gras zog. Dorthin, wo der Trainingsplatz eher wie ein Minenfeld aussah, weil so viele Schlaglöcher in den Boden gejagt worden waren. Der größere der beiden stand wie eine einsame Flamme an diesem grauen Morgen da; ein leuchtender Spritzer aus Orange und Gelb. Er gestikulierte wild zu der kleineren Gestalt, die auch auf diese Entfernung durch einen langen blauen Schal identifiziert werden konnte, der wie eine Luftschlange auf der kalten Brise flatterte und scharf wie eine Peitsche schlug.

 

„Ich schaffe es nicht. Gib mir irgendwas anderes, das ich in die Luft jagen kann.“

 

„Das Gleiche hast du auch über den Wasserballon gesagt, bevor du es geschafft hast, ihn zerplatzen zu lassen.“

 

„Das ist nicht das Gleiche!“

 

Shikamaru hielt sich in den Schatten der Baumgrenze und schob sich weiter herum, um nahe genug heran zu kommen, um einen besseren Blick auf ihre Gesichter haben zu können und die Unterhaltung zu hören, die zwischen ihnen hin und her jagte. 

 

Naruto stemmte die Hände in die Hüfte und wippte auf den Fersen vor und zurück. „Du wirst nicht stärker werden, wenn du immer nur jammerst.“

 

Konohamaru pfefferte den Gummiball so hart auf den Boden, dass er abprallte und ihn direkt ins Gesicht traf. „VERDAMMT!“

 

Lachend hob der Jinchūriki den Ball auf und ließ ihn in seiner Handfläche hüpfen. „Hey, ich musste da auch durch, weißt du. Es ist hart, aber du musst dein Chakra mehr verdichten.“

 

„Das weiß ich!“, fauchte Konohamaru hinter seinen Fingern hervor, als er mit den Händen seine blutende Nase umfasste. „Und es dauert ewig!“

 

„Naja, wenn du immer nur weiter jammerst!“

 

„Sei still!“

 

Naruto ließ den Ball von dem Kopf des Jungen abprallen, fing ihn mit beiden Händen auf und beugte sich wie ein Hund in einer Spielaufforderung nach vorn. „Komm schon, lass es uns nochmal versuchen!“

 

Konohamaru vibrierte für einige Sekunden auf der Stelle, bevor er sich umdrehte und über den Hindernisparkour der Krater davon stapfte. 

 

Narutos Gesicht fiel nach unten; zusammen mit dem Ball. „He!“ Rasch holte er mit ein paar Sätzen zu Konohamaru auf und krallte seine Finger in den Schal des jungen Sarutobi. „Sei nicht so ein Baby.“

 

Konohamaru wirbelte so schnell herum, dass Naruto keine Zeit mehr hatte, den Schal loszulassen. Er wäre mit dem Gesicht voran direkt in den Dreck gefallen, wenn sich Konohamaru nicht mit einem erstickten Schrei auf ihn gestürzt und an der Hüfte gepackt hätte. Sie landeten hart auf dem Boden, wobei der Jinchūriki den Löwenanteil des Aufpralls abfederte und zwischen aufgewühlter Erde und dem Regen zorniger Fäuste eingeklemmt wurde. 

 

Ein besonders brutaler Hieb traf Naruto quer über den Kiefer. „Nenn mich NICHT so!“

 

Shikamarus Kopf zuckte zurück; getroffen von der Hysterie in diesem Schrei – ebenso hart wie der Hieb, der Naruto kurzzeitig sprachlos gemacht hatte, bevor der Uzumaki die Unterarme hob, um sein Gesicht zu schützen. „He! Hör auf!“

 

„Zur Hölle mit dir!“, brüllte Konohamaru und die Worte erstickten in seiner Kehle. „Nenn mich NIE wieder so!“

 

„Würdest du einfac-“ Narutos Zähne prallten krachend aufeinander, als ein solider Schlag seinen Kopf nach hinten riss. 

 

„Ich bin NICHT irgendein dummes Kind!“, spie Konohamaru mit wilden unfokussierten Augen aus. „Ich weiß wie es abläuft! Ich bin nicht zu jung, um es zu kapieren! Ich bin NICHT zu jung, um es zu verstehen!“

 

Welchen Zug auch immer Shikamaru in Betracht gezogen hatte, endete in einem einzigen Schritt. Er presste seine flache Hand gegen den nächsten Baum; die Füße wie angewurzelt, der Atem fort und mit einer ausweidenden Emotion, die sich hinter seinen Rippen nach oben drängte. 

 

Stop…

 

„Stop“, keuchte Naruto, aber inzwischen wehrte er sich kaum noch und brachte gerade genug Widerstand auf, um keine Zähne zu verlieren. „Konohamaru…“

 

„Schau mich JETZT an, verdammt nochmal!“, brüllte Konohamaru weiter und schimpfte gegen Naruto, als wäre der Uzumaki die Verkörperung all der Vergeblichkeit, die in seine Stimme floss, in seine Worte, in seine Augen und seine Wangen hinunter. „Ich bin kein BALG mehr! Jetzt nicht!“

 

„Kon-“

 

„Jetzt nicht! Jetzt nicht! Immer ‚jetzt nicht‘, aber jetzt ist es zu spät, OJISAN!“

 

Shikamarus Magen rauschte ihm in die Kniekehlen. 

 

Blitzschnell hoben sich Narutos Arme und schlangen sich so fest um Konohamaru, dass sich der Junge geschockt versteifte. „Es tut mir leid“, wisperte Naruto in einem heiseren Raunen. „Es tut mir leid.“

 

Schluchzend wand sich Konohamaru und kämpfte. Seine Fäuste schlugen kleine Krater in die Erde; befeuert von Emotionen, die viel machtvoller waren als das Rasengan. „WARUM?“

 

Naruto setzte sich auf, brachte sie in einen unbeholfenen Kniestand und ließ die Hiebe über sich ergehen, die Konohamaru auf seinen Rücken niederregnen ließ. Die Umarmung des Uzumaki war ebenso wild wie die Emotion, die seine Gesichtszüge verzerrte und seine Stimme rau machte. „Ich weiß nicht, warum…“, sagte er heiser. „Niemand weiß es…“

 

Weil es auch niemand wissen kann…, dachte Shikamaru und lehnte sich stützend gegen den Baum. Niemand wird es jemals können…

 

Und wer würde es auch wirklich wollen? Niemand konnte rechtfertigen, was geschehen war. Nichts konnte es wieder gut machen. Er sah zu, wie Konohamaru aufhörte, um sich zu schlagen, in die Umarmung zusammensackte und den Kampf verlor, etwas einem Geist zu beweisen, der nicht zugehört hatte. Nicht damals und auch jetzt nicht. 

 

‚Jetzt nicht.‘

 

Wie viele Male hatte er gehört, wie Asuma diese Worte geschnappt oder geseufzt hatte?

 

So viele Male.

 

Aber sie waren niemals an Shikamaru gerichtet gewesen. 

 

‚Ich höre dich.‘

 

Bestürzung und Schuldgefühle trafen den Schattenninja mit der Wucht eines Rammbocks. Er konnte es nicht festlegen, konnte nicht daran vorbei auf welche Antworten auch immer sehen, die auf der anderen Seite davon lagen. Langsam neigte er seine Stirn gegen die raue Rinde und schloss krampfhaft die Augen gegen den Klang von Konohamarus Schluchzern. 

 

Asuma, du konntest so ein Mistkerl und sturer Bock sein…

 

Und solch ein unbeabsichtigter Held…solch ein Gewirr von Widersprüchen; so legere und abweisend, wenn es um seine Familie und seinen Clan ging…aber so engagiert und entschlossen, wenn es um sein Team ging…um Kurenai…

 

Um das Kind, das du niemals kennenlernen willst…

 

Die Mauer in Shikamarus Verstand wuchs höher, türmte sich über ihm auf, blockierte jedes Licht, ließ nur Finsternis, nur Schatten zurück…Gott, er wollte wegrennen…

 

‚Denk nicht mal dran. Du weißt, dass ich dir nachjagen werde.‘

 

Kummer…so stark, dass diese Mauer ihn kaum halten konnte; sie bebte, zitterte, drohte zu kollabieren. Er musste wegrennen…

 

Ich kann nicht, Sensei…

 

Shikamaru schob sich von dem Baum fort…

 

‚Renn nicht weg.‘

 

…drehte einen blinden Kreis…

 

‚Ich werde nirgendwohin gehen.‘

 

…begann zu laufen…

 

‚Ich werde dich nicht fallen lassen.‘

 

…seine Schritte weit und schwer…

 

‚Ich werde dich damit nicht allein lassen!‘

 

…irgendetwas, um sich davon abzuhalten, wegzurennen…vor dem Schmerz wegzurennen…vor der Vergangenheit wegzurennen…schneller zu rennen, weiter und so weit weg…

 

‚Ich werde direkt an deiner Seite sein.‘

 

…mit nur seinem Schatten, um ihm nachzujagen.

 
 

~❃~
 

 

Die Jagd hatte ihn nach unten geführt – tief nach unten – direkt bis in die Bäuche des Untergeschosses des Gebäudes, wo das Dröhnen von Generatoren, das Summen von Kesseln und das Gurgeln von Rohren von dem schrillen Tropfen eines Lecks unterbrochen wurde. Wasser traf in einem beständigen Tippen auf den schimmernden Beton und sandte dabei kleine Funken in die Dunkelheit. 

 

Ein besonders dicker Tropfen stürzte herab, traf auf Kakashis Wimpern und rann wie eine Träne von seinem Sharingan Auge nach unten. 

 

Gott, das würde wehtun. 

 

Krampfhaft sog er die Luft ein und riss sich das Senbon aus dem femoralen Nerv seines rechten Schenkels. Angesichts der heftigen Qual warf er den Kopf in den Nacken und stierte hinauf auf den dampfenden Unterbauch der Rohre, während sich seine Augen wegen des glühenden Schmerzes verdrehten. 

 

Die Luft zischte wie der Dunst eines Lüftungsschachtes aus seiner Nase. 

 

Lüftungsschächte…

 

Er dachte an Pakkun und war unangemessen amüsiert darüber.

 

Ah, aber das ist einfach viel zu vertraut.

 

Dumm nur, dass dieses quälende Gefühl eines Déjà Vus keinerlei Einblick in das bot, was zur Hölle sich in den nächsten paar Minuten entfesseln würde, wenn er nicht vor Genma einen Zug machen würde. 

 

Einen Zug machen?, höhnte sein Verstand. Und wie genau hast du vor, das anzustellen, wenn ein Arm und ein Bein von dir unbrauchbar sind?

 

Wie eine Lockente, so viel war sicher. Er hockte in den tiefen, feuchten Schatten der Wärmespeicher und spürte, wie ihm der Schweiß von den Schläfen perlte. Verdammt, er hatte das neuralgische Trauma wirklich vergessen, das Genmas tödliche kleine Zahnstocher auslösen konnten; sein rechter Schenkel war nichts weiter als bebende Pein. Und er wusste aus kalter harter Erfahrung, dass der Schmerz noch viel schlimmer werden würde, bevor er jedes Gefühl verlieren würde. 

 

Gefühl ist nicht das Einzige, was du verloren hast…

 

Denn ganz klar hatte er seinen Verstand irgendwo in den schäbigen Seitengassen eines besseren Wissens verloren. Was zur Hölle hatte er sich dabei gedacht, sich so larifari in diese Sache zu stürzen? Sein Chakra hatte sich kaum erholt und er war kaum wieder davon geheilt, dass ihm beinahe das Herz aus der Brust gerissen worden war. Er befand sich überhaupt nicht in der Lage, einfach so über Gräber zu strawanzeln, um zu versuchen, Geister zu jagen und Skelette auszugraben. 

 

„Du bist nicht in Höchstform, Kakashi.“ Die Stimme schwebte von weiter oben zu ihm herunter und hallte die Querbalken des Gerüstes entlang, die die oberen Tanks trugen. „Neuralgie ist nur das Vorspiel. Gib auf, bevor ich wirklich ernst mache.“

 

Kakashi warf einen schiefen Blick nach oben; er machte sich nicht einmal die Mühe, seine Position zu verbergen, jetzt, da er ohnehin entdeckt worden war. „Und du beschuldigst mich, schmutzig zu kämpfen?“

 

„Hast du es noch nicht gehört?“ Direkt vor ihm ließ sich Genma geschmeidig wie eine Katze nach unten fallen. „Anschuldigungen sind gerade der letzte Schrei.“ Langsam richtete er sich auf und das Chakra, das er in seine Füße geschickt hatte, erstarb in einem blitzartigen Knistern auf dem nassen Boden. 

 

Kakashi ging für einen Moment tief in sich und prüfte seine eigenen Reserven, während er gleichzeitig nach einem Weg suchte, den Shiranui hinzuhalten. „Für jemanden, der unter Anschuldigung steht, verteidigst du dich ja nicht besonders.“

 

Genma konterte mit einem ausdruckslosen Blick, der vielsagend auf Kakashis Wunden gerichtet war. „Es gibt keine Worte, sondern nur Taten. Und ich muss diese Taten vor niemandem verteidigen oder rechtfertigen außer vor der Hokage.“

 

Während er sich auf seiner Hand zurücklehnte, faltete Kakashi sein verletztes Bein unter sich und neigte sich schwer zur Seite, um seinen Kopf kippen zulassen, sodass er einen flüchtigen Blick verbergen konnte, den er sich von unter seinen Wimpern heraus stahl. Rascher als ein Blinzeln ließ er seine Augen über Genma wandern und sein Sharingan machte dabei eine langsame und akkurate Bestandsaufnahme der Verletzungen des anderen Ninjas. 

 

Auch wenn er es bemerkenswert gut versteckte, verriet Genmas Körper seinen Schmerz. Kakashi entdeckte es in dem kaum wahrnehmbaren Zischen, das jeden eingesogenen Atemzug begleitete und an der Bewegungslosigkeit des Senbons zwischen den zusammengebissenen Zähnen, wenn er ausatmete. Auf seinen Lippen war immer noch Blut, das frisch schimmerte. 

 

Vorhin hatte Kakashi einen einzigen Treffer gelandet – aber ein Treffer war alles, was er gebraucht hatte.

 

Er muss zu einem Sanitäter…

 

So wie es jetzt war, mussten sie das beide. Auf seinem Arm zerrte er sich etwas weiter nach oben, lehnte eine Schulter gegen den kalten Putz und verschleierte die nächste Bewegung seiner Hand, indem er sich ein wenig darüber krümmte. 

 

„Tut weh wie ein elender Hurensohn, stimmt’s?“, sagte Genma, auch wenn er nicht so klang, als wäre er stolz auf diese Tatsache. Im Grunde enthielt seine Stimme nicht den geringsten Tonfall.

 

Kakashi warf ihm unter schlaffen Silbersträhnen einen düsteren Blick zu. „Immer wieder nett, daran erinnert zu werden.“

 

Achselzuckend nahm Genma das Senbon von seinen Lippen und spuckte Blut vor die Füße des Kopierninjas; ganz so, als würde er ‚wir sind quitt‘ sagen. Dann verschwand er aus Kakashis Sichtfeld – ein dumpfer Schlag und ein Rascheln und das nasse Schlurfen von Sandalen – und erschien Sekunden später mit einer schwarzen Tasche in der Hand. Er warf sie sich über die Schulter und hielt dem Hatake den Rücken zugewandt, als er begann, davon zu laufen. 

 

„Wir sind hier fertig.“ Und dann veränderte sich seine Stimme; wurde irgendwie weicher, als er die Worte über seine Schulter schweben ließ. „Bleib unten.“

 

Kakashi summte gefährlich leise. „Du zuerst.“

 

Mitten im Schritt hielt Genma inne, hörte das Knistern und fing an, sich umzudrehen. 

 

Zu spät. 

 

Einen knallenden Peitschenschlag später wurde er von den Füßen gerissen. Mit einem heftigen Knacken traf er auf dem Boden auf und hatte nicht einmal Zeit, zu registrieren, wie sich die Kettenhundeleine um seinen Knöchel wickelte, bevor 60.000 Volt durch den Stahl direkt in sein Nervensystem gejagt kamen. 

 

„RAITON!“

 

Ein wildes um sich Schlagen; wie ein Fisch, der an einem Haken zappelte und von einer blauweißen Flut überwältigt wurde. Kakashi hielt sich fest, fühlte, wie die Kette, die er sich um die Hand gewickelt hatte, ruckte und bebte, bis der Körper am anderen Ende zu einem lähmenden Schaudern erschlaffte. Dampf zischte vom nassen Boden aufwärts und hing wie ein Leichentuch über Genmas Gestalt. Die Luft war schwer von dem scharfen Geruch von Ozon. 

 

Kakashi ließ die Kette fallen, kam taumelnd auf die Beine und humpelte hinüber. 

 

Genmas Augen – eingefroren in einem offenen Starren – flatterten bei den sich nähernden Schritten und drehten sich aufwärts Kakashi zu. Seine Lippen teilten sich und eingesogene Luft rasselte in seiner Kehle. 

 

Langsam ließ sich Kakashi neben ihm auf die Knie nieder und umklammerte dabei seinen linken Arm.

 

„Naja“, krächzte Genma, während sich sein Mund zu einer Kurve verzog, die mehr ein Grinsen als ein Lächeln war. „Du hast es schon immer…bevorzugt…oben zu sein…“

 

„Du hast Glück, dass ich die Stromstärke gedrosselt habe.“ Kakashi schob seine Finger zu Genmas bebendem Handgelenk, ignorierte den statischen Schock und überprüfte den immer noch starken Puls, bevor er den Arm wie ein Totgewicht fallen ließ. „Wie lange wird es dauern, bevor du medizinische Hilfe brauchst, was denkst du?“

 

Genma holte Luft, als wollte er antworten – und spuckte dann heiß und rot gegen Kakashis Wange. „Find es raus.“

 

Der Kopierninja machte keine Anstalten, das Blut fort zu wischen. Durch seine Wimpern musterte er aufmerksam Genmas Gesicht. „Ist es das, was du von Asuma wolltest? Es rauszufinden?“ Er lehnte sich zurück und zog das Senbon hervor, das er im Keller der Archive gefunden hatte. „Ihn mit Hinweisen zu verspotten, wenn du einfach nur hättest gehen können? Ich hätte nicht gedacht, dass du derart grausam bist.“ Plötzlich hielt er inne und der Zorn blutete aus seiner Stimme. „Oder derart zerrissen.“

 

„Du hast…einige Dinge…nicht durchdacht…“, keuchte Genma, als er darum kämpfte, sein benommenes Hirn zum Funktionieren zu zwingen. „Genauso wenig wie er.“

 

„Aber das hat dich nicht davon abgehalten, ihm einen Schubs in die richtige Richtung zu geben, nicht wahr?“

 

Genmas glasige Augen glitten blinzelnd über das Senbon. „Hn. Schätze, der Schuss ging etwas zu weit.“

 

Doch Kakashi schüttelte angesichts dieser schwächlichen Evasion nur den Kopf. „Asuma war nicht der Einzige, der sich in diesem Raum zurück gehalten hat, stimmt’s? Ich könnte deine Handlungen ja verstehen, wenn du einfach nur Spuren verwischt hättest, aber warum Brotkrumen zurücklassen, wenn du gehst?“ Er ließ das Senbon über seine Knöchel tanzen; eine dünne Nadel der Wahrheit in einem Heuhaufen aus Lügen. „Für wen hast du es getan? Für ihn? Für Shikamaru? Für dein eigenes Gewissen?“

 

Genmas Finger zuckten, aber das konnte auch einfach nur an dem Strom liegen, der immer noch seine Nervenenden entlang summte. Der Blick, mit dem er Kakashi bedachte, war flüchtig, aber suchend. „Er fehlt dir, nicht wahr?“

 

Instinkt warnte ihn, bevor es der Schmerz konnte. Reflexartig vermied er die Klinge dieser Worte, indem er sie direkt zurück zu Genma drehte. „Und dir? Kümmert es dich überhaupt, dass Asuma in dem Glauben zu Grabe gegangen ist, du hättest ihn verraten?“ Das Schweigen des Shiranui schrie geradezu. Kakashis Augen wurden weich. „Genma…“

 

„Du bist erbärmlich“, spie Genma mit angestrengtem und vor dickem Blut rasselndem Atem aus. „Dich auf Asumas Reue zu berufen…nur weil du es nicht ertragen kannst, dich deiner eigenen zu stellen…“

 

Kein Senbon der Welt hätte einen tiefer begrabenen Nerv treffen können als das. Kakashis Kopf zuckte zurück und seine Augen wurden kalt und distanziert, während sich seine Miene verschloss. 

 

Und Genma erkannte diesen Ausdruck innerhalb eines langsamen Blinzelns. „Nun, da ist der Mann…an den ich mich erinnere.“ Fort war das Gift; die Worte wurden mit demselben flachen Tonfall ausgesprochen, hielten keine Befriedigung, kein Vergnügen, keinen Stolz in sich…nichts…und alles, was sie vielleicht beinhaltet hätten, verlor sich unter Schichten…

 

Unter dem Darunterliegenden…

 

Erkenntnis dämmerte und wie ein Driften von Wolken klärten sich Kakashis Augen. „Ich wünschte, ich könnte dasselbe von dir sagen.“

 

Genmas Mund spannte sich an; als würde er darum kämpfen, welche Antwort auch immer in sich zu halten, die er vielleicht darauf gegeben hätte. Kakashi wollte sie hören…verstand in einem einzigen entsetzlichen und grellen Aufflammen, wie er vor Jahren einen weitaus dunkleren Pfad hätte beschreiten und das Raiton dafür nutzen können, widerwilligen Sprechern wie einer Glühbirne einzuheizen, bis ihr Widerstand wie eine durchgebrannte Sicherung hoch ging. 

 

Kopfschüttelnd musterte Kakashi Genmas Augen. „Wie kann es sein, dass dich die Goei Shōtai auf so viel schlimmere Arten verändert hat als ANBU?“

 

Da.

 

Dieses Aufflackern, das er vorhin schon gesehen hatte; tief vergraben in Genmas Augen. Rasch schirmte der Shiranui seinen Blick ab und seine Stimme war so leise, dass Kakashi die Ohren spitzen musste. „Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen…“

 

So wie du es getan hast. Kakashi hörte diese unausgesprochenen Worte, die ihre Eingeweide hinter dem Ende von Genmas Satz hinterher zogen…blutig und roh…

 

„Aber jetzt solltest du es tun“, riet Genma ihm, als könnte er seine Gedanken lesen. „Und mach was draus…bevor ich mein Gefühl wieder bekomme…und du deines vollkommen verlierst…“

 

Ein weiser Rat. Kakashi konnte bereits spüren, wie sich der Schmerz in seinem Arm und Bein veränderte. Es wurde zu einem qualvollen Brennen, das langsam in ein taubes Erstarren überging. Und obwohl das Raiton seinen Nerven eine interessante Starthilfe gegeben hatte, musste er so schnell wie möglich einen Medic-Nin aufsuchen, bevor es zu einem ernsthaften Fall von Neuropathie kommen konnte und die Paralyse dauerhaft sein würde. Und es gab nur eine Frau, der er vertrauen konnte, ihn zusammenzuflicken, ohne dabei irgendwelche Fragen zu stellen. 

 

Zeit zu verschwinden…aber ich werde sicher nicht mit leeren Händen gehen.

 

Mühsam zerrte Kakashi einen Fuß unter sich und spähte hinüber zu der Tasche, die neben Genmas zuckenden Fingern lag. 

 

Der Shiranui folgte seinem Blick und sog abgehackt Luft durch die Nase. Sein Arm ruckte in einem vergeblichen Spasmus und seine Finger krümmten sich mit gerade genug Kraft, um eine Faust zu formen. „Kakashi“, warnte er.

 

Ohne zu zögern schnappte sich Kakashi die Tasche und befestigte den Riemen schräg über seiner Brust, als er sich leise wimmernd aufrichtete. Langsam begann er, auf den Ausgang zuzuhumpeln. „Ich werde Yūgao sagen, wo sie dich finden kann.“

 

Genmas Knurren zerschnitt die Luft wie eine Klaue. „Was bildest du dir eigentlich ein Hatake, was zur Hölle du da machst? Asumas Mantel aufzunehmen, als ob du ihn jemals tragen könntest.“

 

Kakashi blieb abrupt stehen. 

 

Na endlich!

 

Und das wurde verdammt nochmal auch Zeit. Das war der Moment, mit dem er gerechnet hatte – ungelegen wie es bei jedem guten Plan war, der schief ging…und vielleicht sogar zu spät für ihn, um ihn voll auszunutzen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Genma ihn in einen Würgegriff packen oder ihn in ein menschliches Nadelkissen verwandeln würde. Dass er den Shiranui derart unterschätzt hatte, sagte sehr viel darüber aus, wie weit sie sich in all den Jahren auseinander bewegt hatten, die Kakashi versucht hatte, hinter sich und zwischen ihnen zu lassen. 

 

Mit wirbelndem rotem Auge drehte er den Kopf. „Nun, da ist der Mann an den ich mich erinnere“, echote er trocken. 

 

Genma hatte es inzwischen geschafft, gerade genug Kontrolle über seine Motorik wiederzuerlangen, um sich auf die Seite rollen zu können, doch er bebte vor Anstrengung. Schweiß tropfte von seiner Nase und er hatte die Zähne hart zusammengepresst, während er leise einen Schwall bunter Flüche ausstieß.

 

Kakashi drehte sich um, wobei sein Bein einzuknicken drohte. „Tut sicher weh wie eine räudige Hündin, huh?“

 

Mühsam versuchte Genma, sich mit durchgedrückten Ellbogen und zitternden Armen aufzustützen. „Wir werden sehen, wer am Ende hiervon die Bitch sein wird.“

 

Okay, diese Zurschaustellung von Gefühlen wurde also offensichtlich mehr von Feindseligkeit als Emotionen genährt, aber zumindest war es etwas, mit dem Kakashi arbeiten konnte. Die Tatsache, dass Genma überhaupt so reagierte, war entweder ein Wunder zu seinen Gunsten oder die Vorwarnung auf ein extrem ernstes Chaos, das noch kommen würde.

 

Was auch immer das ausgelöst hat…nutze es aus und mach schnell. 

 

Es würde nicht lange dauern, bis der Shiranui realisierte, dass er sich selbst weit offen gelassen hatte, aber wenn Kakashi nur lange genug an seiner Wachsamkeit vorbei kam, um ein paar Antworten zu bekommen…oder zumindest um zu verstehen, warum zur Hölle Genma so versessen darauf war, sie um jeden Preis zurückzuhalten. 

 

Am Ende von der ganzen Sache ruhst du hoffentlich in Frieden, Asuma…denn ansonsten werde ich nur in Fetzen ruhen…

 

Kakashis Augen fixierten sich auf Genma. „Wenn du jemanden beschützt, dann verlierst du nichts, wenn du es einfach zugibst. Wenn überhaupt, dann machst bei mir wieder etwas Boden gut, wenn es darum geht, diese ganze Sache auf sich beruhen zu lassen.“

 

Hustend würgte Genma ein Lachen hervor und ein klumpiger roter Tropfen hing danach von seinen offenen Lippen. Er spuckte schwer, bevor er sich mit dem Handrücken über den Mund wischte. „Und ich dachte, Asuma wäre ein beschissener Lügner.“

 

„Asuma hat in der Nacht, als er so betrunken war, nicht gelogen“, erinnerte Kakashi ihn und lenkte das Gespräch damit rasch um. „Ich könnte wetten, dass du in der Sekunde, in der angefangen hat, über Shikamaru zu reden, wusstest, dass er vermutlich dort weitermachen würde, wo er aufgehört hatte herauszufinden, was dem Jungen zugestoßen ist – was die Frage aufwirft, warum du ihm eine Straßensperre in den Weg schiebst und ihm dann zeigst, wie er sie umgehen kann. Es macht keinen Sinn.“

 

„Wir hatten den ‚kein Sinn‘ Part doch bereits abgehakt.“ Genma versuchte, seine Füße unter sich zu ziehen, scheiterte aber und ergab sich letztendlich darin, mit geballten Fäusten, steifen Unterarmen und straff gezogenen Sehnen auf dem Boden zu bleiben. „Vielleicht bin ich einfach nur ein grausamer, grausamer Bastard, der es mag, den Leuten ans Bein zu pissen.“

 

„Nein“, sagte Kakashi weich. „Das bist du nicht.“

 

Auf die Ellbogen aufgestützt ließ Genma den Kopf hängen und stieß einen rauen Atem aus – ein Klang, der bis zu diesem Punkt mehr Bedeutung enthielt als all seine Handlungen und Worte zusammengenommen. 

 

Es war genau die Öffnung, auf die Kakashi gewartet hatte. „Wenn du Shikamaru schützt, dann ist es sicher anzunehmen, dass was auch immer ihm vor zwei Jahren zugestoßen ist, jetzt immer noch eine Bedrohung für ihn ist.“

 

„Hn. Und alles was es gebraucht hat, um darauf zu kommen, war, die Scheiße aus mir raus zu elektrisieren“, erwiderte Genma flacher als flach, während er sein rechtes Knie Stück für Stück nach vorn zerrte und es schaffte, es unter sich zu ziehen. Sein Körper zitterte vor Anstrengung. „Nur zu, Detektiv…“, knurrte er. „Ich werde sicher nicht deine Hand halten und dich hier durch führen.“

 

Kakashi runzelte die Stirn und mentale Finger krallten sich an den Faden, den Genma nicht zerschnitten oder fort geschnappt hatte – noch nicht. „Ist diese Bedrohung in der Nähe von Zuhause?“

 

„Sie war es nicht“, blaffte Genma, während er sein anderes Knie hochzog. „Nicht, bis sich Asuma entschlossen hat, sich das Maul fusslig zu schwafeln, weil er sich verantwortlich fühlt. Wenn er einfach mit seinem Kram umgegangen wäre wie der Rest von uns, dann würden wir jetzt nicht gegenseitig unser Blut wegen seines schlechten Gewissens vergießen.“

 

Blinzelnd hob Kakashi eine silberne Braue. „Sein schlechtes Gewissen? Oder deins?“

 

Genma funkelte zu ihm hinüber und seine Stimme wurde sehr leise. „Ich mache nicht einen auf Schuldgefühle. So viel solltest du zumindest über mich wissen, wenn schon sonst nichts.“

 

„Warum hast du ihm dann geholfen?“

 

Ah und jetzt zog sich der Faden zwischen ihnen straff. 

 

Genma nahm einen scharfen, kurzen Atemzug durch die Nase, bevor er sich auf die Knie stemmte und bei der schmerzhaften Rückkehr von Mobilität das Gesicht verzerrte. Kniend verharrte er an Ort und Stelle, den Blick nach vorn fixiert, während sich seine Züge wieder in eine unergründliche Ordnung brachten. 

 

„Genma“, murmelte Kakashi. 

 

„Weil es nicht seine Schuld war“, biss der Shiranui hervor. „Aber das war auch alles, was er wissen musste. Also habe ich Asuma gegeben, was er brauchte, um ihm weiter zu helfen.“

 

„Und das wäre?“

 

„Rechtfertigung. Ein Grund zu glauben, dass etwas passiert war und dass es innerhalb seines übermäßig beschützerischen Rechts ist, loszugehen und den verdammten Jungen selbst zu fragen. Ein Grund, ihn gehen zu lassen, sodass er alle Antworten direkt aus erster Hand bekommt.“

 

Kakashi war davon nicht gerade überzeugt und machte sich auch keine Mühe, das zu verbergen, als er die Augen zusammenzog. „Und was macht dich so sicher, dass Shikamaru ihm die Wahrheit erzählen würde?“

 

Seufzend schüttelte Genma den Kopf. „Du kapierst es nicht. Ob Shikamaru ihm nun die Wahrheit gesagt hat oder nicht, spielt keine Rolle. Das Problem war Asumas Schuldgefühl. Dasselbe Schuldgefühl, das ihn dazu gedrängt hätte, das hier noch weiter zu verfolgen.“

 

„Also was du mir gerade sagst, ist, dass deine Brotkrumentaktik nur darauf abgezielt hat, Asumas Schuldgefühle zu lösen und dass es absolut nichts mit dem zu tun hat, was auch immer Shikamaru zugestoßen ist?“

 

Genma neigte leicht den Kopf. „Es war nicht Asumas Schuld. Shikamaru hätte ihm das auch direkt so gesagt, auch dann, wenn er nicht in die Details dessen geht, was passiert ist. Fall abgeschlossen. Oder erneut abgeschlossen. Es hätte dort enden sollen. Aber ganz offensichtlich war er nicht zufrieden.“

 

„Naja, ich bin mir sicher, dass deine Weigerung, hierin involviert zu werden – obwohl du ununterbrochen auf deine Involvierung hinweist – ganz wunderbar dabei geholfen hat“, erwiderte Kakashi in vollkommenen Sarkasmus. „Und trotz der hohen Wahrscheinlichkeit, dass Shikamaru ihm sowieso erzählt, was passiert ist, hast du dennoch darauf bestanden, diese Information zurückzuhalten.“

 

„Ich habe mich nicht in der Position befunden, diese Geschichte zu erzählen.“

 

Kakashis Augen schlossen sich leicht vor Erschöpfung und dünn verschleierter Kränkung. „Warum? War deine Version der Geschichte so sehr gekürzt?“

 

Genma senkte die Lider und packte seine bebenden Schenkel, als er sich der Herausforderung stellte, sich auf die Füße zu stemmen. „Grundlegende Psychologie, Kakashi. Mit Sicherheit muss ich dir nicht erklären, dass keine zwei Leute die gleiche Geschichte auf dieselbe Weise erzählen.“

 

„Und wie viele Versionen der Geschichte gab es, Genma?“, fragte Kakashi mit trügerischer Unschuld und leichter Stimme, auch wenn sich seine Miene mit Gewissheit verdunkelte. „Deine? Shikamarus?“ Er legte leicht den Kopf schief. „Naokis?“

 

Die Regungslosigkeit, die Genma überfiel, geschah so abrupt, dass sie von dem bloßen Auge übersehen worden wäre. Aber das Sharingan registrierte jeden einzelnen Muskel, der sich isolierte; ein Stillstand in Zeitlupe, der vom Scheitel bis zur Sohle jagte. 

 

Und dann war Genma auch schon wieder zurück in einem nahtlosen Fluss, als er sich Kakashi zuwandte. 

 

Der Kopierninja hob langsam eine silberne Braue; ein Ausdruck der geradezu ‚hab ich dich‘ brüllte. 

 

Und Genma hatte genug Anstand, diesen Punkt einzuräumen, indem er marginal den Kopf neigte. „Shikamarus Version der Ereignisse ist alles, was irgendjemand wissen muss.“ Er hielt inne und warf Kakashi einen vielsagenden Blick zu. „Oder nicht wissen muss.“ Während er sich seitwärts drehte hielt er dem Kopierninja die Hand für die Tasche hin. „Zufrieden?“

 

Nicht mal annähernd…

 

Aber weiter als bis hier konnte er nicht gehen. Er hatte keine Grundlagen, um das noch weiter zu verfolgen. Keine Berechtigung – anders als Asuma – und Genma würde ihm auf keinen Fall einen Grund geben, hierin verwickelt zu werden. 

 

Und warum um alles in der Welt würdest du das auch wollen? Akzeptiere es. Nimm den angebotenen Ausgang. Das hier ist das Ende des Weges. 

 

Weiter als bis hier und er würde die Regeln nicht länger beugen; er würde sie brechen. Und trotz all seines untypischen Schulschwänzens während der letzten paar Stunden…das hier waren Grenzen, die er nicht übertreten konnte. Nicht übertreten würde.

 

Du hast deinen Part getan. Es ist Zeit, das hier loszulassen. 

 

‚Lass los, Kakashi.‘

 

Und trotzdem zögerte er; suchte nach einem Grund, die Tasche nicht abzugeben, die – nach allem was er wusste – die Büchse der Pandora war, die nur darauf wartete geöffnet zu werden.

 

Schweigend sah Genma zu, wie er mit sich rang. Er drängte ihn nicht, schubste ihn nicht, zog keine weiteren funkelnden Senbons hervor. Nicht dass sich irgendeiner von ihnen eine weitere Runde leisten könnte. 

 

Seufzend löste Kakashi die Tasche, hielt sie aber weiterhin fest am Riemen gepackt. „Diese Bedrohung, von der du meintest, Asuma hätte sie aufgewühlt“, sagte er leise. „Wird Shikamaru davor sicher sein…jetzt, da Asuma…“ Er konnte sich nicht dazu bringen, den Satz zu beenden; fühlte sich verräterisch, es nur zu denken. 

 

Genma nickte. „Solange du es loslässt, dann ja. Er wird sicher sein.“

 

„Kannst du das garantieren?“

 

„Wer kann schon irgendetwas garantieren, Kakashi?“

 

Wahrer Worte waren nie gesprochen worden…und Kakashi wusste diese bittere Wahrheit aus erster blutiger Hand bis hin zu einer lange anhaltenden Erfahrung. Ja. Er wusste es besser. Aber es besser zu wissen, hatte ihn auch früher nicht aufgehalten und es hielt ihn auch jetzt nicht davon ab, Genmas Gesicht nach irgendeiner Art der Zusicherung abzusuchen…er fand sie nicht…fand stattdessen ein seltsames Lächeln, das an den Mundwinkeln des Shiranuis zupfte…ebenso schwach und wehmütig wie dieses Irrlicht, das vorhin in seinen Augen erschienen war. 

 

„Das letzte Mal, als du mich so angesehen hast, Kakashi, sind die Dinge zwischen uns sehr kompliziert geworden.“

 

Kakashi blinzelte; er hatte überhaupt nicht realisiert, dass er seinen Schutz gesenkt hatte und richtete ihn auf eine hektische, beiläufige Art wieder auf, die den Aufwand dafür beneidenswert niedrig und einfach erscheinen ließ. Doch das war er nicht. Und die Tatsache, dass er es nicht war, sagte ihm, dass er diesen tiefen dumpfen Schmerz, den er mit sich herum trug, nicht länger zurückhalten konnte. 

 

Zeit zu gehen.

 

Genmas Lächeln schwand…ließ keine Spur zurück…

 

Doch Kakashi hatte es gesehen. Und er erinnerte sich jetzt daran…an einen Blick aus einer lange verlorenen Zeit…nur hatte er ihn damals nie verstanden. Als er diese Zeit jetzt noch einmal durchging, versuchte er sich vorzustellen, was er anders gemacht hätte, wenn er anders gewesen wäre…wenn er zurück gehen könnte…

 

Aber das kannst du nicht.

 

Langsam drehte er sich seitwärts, wandte seinen Rücken der Vergangenheit zu und hob die Tasche am Riemen nach oben; streckte den Arm aus, übergab sie und…

 

Lass es los…

 

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Diesmal kein Nachwort...nur wie immer ein dickes fettes Danke an alle lieben Reviewer/innen und Leser/innen!

Graves and ghosts

Er kniete in der Mitte des Raumes und starrte auf den glatten Hartholzboden, der so akkurat poliert war, dass er schimmerte wie ein Spiegel und zwei Mondsteinaugen reflektierte. Fusama Paneele zäunten ihn ein und ihre breiten hölzernen Rahmen waren in geradezu militanter Ordnung aneinander geschlossen; kontrolliert, ordentlich, fortlaufend. 

 

Festgelegt wie das Schicksal. 

 

Regungslosigkeit; abgesehen von dem leisen Klang von Atmung. Mit jedem eingezogenen Atem verdichtete sich der Raum um ihn herum und die Dunkelheit kroch näher, bis er ausatmete und sie so zurück trieb. Es schien, als würde er Licht ausstoßen; er fühlte eine federleichte Empfindung über sich und hob die Augen, um zuzusehen, wie ein Regen weicher weißer Daunen von oben herab driftete, als würden sie sich durch Wasser bewegen, bevor sie langsam zu einem Halt kamen und in der Schwebe gehalten wurden. 

 

‚Ich wünschte, es wäre mir möglich gewesen, dass du in die Hauptfamilie geboren wirst.‘

 

Die Federn begannen zu fallen; eine nach der anderen. 

 

‚Was nicht geändert werden kann, muss ertragen werden.‘

 

Er spürte, wie seine Hände von seinen Schenkeln glitten; seine Handflächen trafen auf das Holz und seine Wirbelsäule begann sich im Anfang einer Verbeugung zu krümmen.

 

‚Wir sind, wer wir sind und damit müssen wir leben.‘

 

Er versuchte, sich zu widersetzen, fühlte einen plötzlichen Druck zwischen seinen Schulterblättern. Zwei große Hände, die ihn nach unten zwangen, weiter hinab zum Boden; sein Körper war jetzt kleiner, schwächer, nutzlos.

 

‚Verlangen oder Verzweiflung, Neji? Was ist es, was ein Zweighaustier antreibt?‘

 

Und dann bekamen die Fusama Paneele Risse, das Holz unter seinen Knien und Händen begann zu splittern. Die Federn zitterten, schienen sich aufzurappeln und begannen zu wirbeln. 

 

‚Sollen wir über deinen Vater sprechen, Hyūga Neji? Er hätte eigentlich auch genauso gut ein Bastard sein können, wenn man bedenkt, dass er von der Hauptfamilie ausgeschlossen wurde.‘

 

Er versuchte, sich aufzurichten, versuchte, die verstreuten Federn zu ignorieren und seinen Verstand wieder zu zentrieren, aber die Worte flogen mit den Daunen, nahmen an Schwung zu und flatterten schnell.

 

‚Es kostet nichts. Denn du hast nichts mehr. Du beschreitest diesen Pfad, wenn du nichts mehr zu verlieren hast.‘

 

‚Was glaubst du, was dein Vater am meisten gefürchtet hat zu verlieren? Kami weiß, dass es nicht du warst.‘

 

Die Federn verwandelten sich in Klingen; schnitten seine Roben fort. Er konnte sich nicht fokussieren, konnte seine Gedanken nicht kontrollieren oder genug konzentrieren, um den Bruch in seinen Defensiven lokalisieren zu können…

 

‚Neji…du musst leben.‘

 

‚Warum? Du hast auch nicht gelebt.‘

 

Ein scharfes Aufplatzen und Stechen…Blut quoll hervor, rann in dünnen Strömen hinunter. 

 

‚Mach dich wieder mit der Kontrolle vertraut, die ich dir überlasse.‘

 

Er versuchte, sich eine Dichte in der Luft vorzustellen, eine entgegengesetzte Strömung, die gegen das Wirbeln der Federn floss. Er hatte das in seinen Träumen bereits getan. Hatte diese Kontrolle gehabt. Moment, das hier war kein Traum, oder? Es konnte unmöglich eine Meditation sein…er hatte sein Zentrum verloren…sein Verstand verstreut mit den Federn…Fokus zerbrochen…eiskalt und tot…

 

‚Du bist ein eiskalter und herzloser Bastard, Hyūga.‘

 

Und dann schnitt eine Feder tiefer…viel zu nah an der Vene…

 

‚Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe…darüber, menschlich zu sein.‘

 

GENUG!

 

Ein scharfer Schrei; ein aufgeschreckter Vogel. „NEJI!“

 

Nejis Augen flogen auf und sein Atem flutete in einem Beben aus ihm heraus. 

 

Inos blasses und tief besorgtes Gesicht schwebte nur wenige Zentimeter vor seinem. „Bist du okay?“

 

Es dauerte einen Moment, bis sich Neji wieder orientieren konnte und seine weiten Augen zuckten ohne irgendein Wiedererkennen umher, bis sich seine Gedanken beruhigten und weiße Federn in ihre Ordnung zurückkehrten. „Ja…“, murmelte er und war sich schmerzhaft bewusst, wie nah er daran gewesen war, dieses eine Wort als Frage zu formulieren. Langsam hob er eine Hand, um sich über die Brauen zu reiben und runzelte die Stirn über den Schweiß, den er dort fand, bevor er sein Hitai-ate zurecht zog. „Was ist passiert?“

 

„Du hast mir einen massiven mentalen Tritt verpasst.“ Ino verzog das Gesicht. „Gut, dass ich rechtzeitig abgesprungen bin.“

 

„Abgesprungen? Also dann war ich nicht in der Lage…“ Er brach ab, legte seine Hände auf seine Schenkel und widerstand energisch dem Drang, seine Finger hinein zu graben. „Ich verstehe.“

 

Ino rutschte etwas zurück, um ihm mehr Raum zu geben. „Hey, das braucht seine Zeit. Ist ziemlich schwierig, den Verstand zu leeren, wenn da jemand ist, der alle Schleusen öffnet.“

 

So viel dazu, seine Erinnerungen wasserdicht zu halten. So viele Lecke, so vieles, das ausgenutzt werden konnte. Vielleicht wäre er in der Lage gewesen, es im Griff zu behalten; bis dieser letzte Gedanke gekommen war. Wie ein Anker sank er hinunter in seine Magengegend. 

 

‚Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe…darüber, menschlich zu sein.‘

 

Ohne irgendeinen Kontext waren Shikamarus Worte durchaus harmlos genug…vielleicht ein wenig persönlich, aber Neji hatte einige Perlen ungewollter Weisheiten, die durch sein Hirn rollten; die meisten davon waren laut und lärmend und gehörten zu Naruto. Mit Sicherheit würde der Schnipsel eines ernsten Ratschlages des Schattenninjas nicht missverstanden werden als…

 

Als was?

 

Neji versteifte sich und warf Ino einen raschen Blick zu, um ihre Reaktion darüber einzuschätzen, in seinem Verstand über Shikamarus Stimme gestolpert zu sein. Sie hatten sich auf ein paar Grenzen geeinigt, wie viel Zugang sie hatte und ihr den Freiraum über akustische Erinnerungen gegeben. Allein der Gedanke daran, dass sie vielleicht über die ein oder andere sehr bildhafte Darstellung stolpern könnte, verdrehte Neji die Eingeweide. 

 

„Ino…“, begann er. 

 

„Oh mein Gott“, schnaubte die Yamanaka, ließ sich auf dem gegenüberliegenden Kissen nieder und fuhr sich mit den Fingern durch ihr Haar, um sich an der Kopfhaut zu kratzen. „Großes Päckchen zu tragen? Deine mentalen Überbleibsel sind viel schlimmer als dieses eklige Kokosnussöl, das sich einfach nicht auswaschen lässt. Einmassieren, ausspülen, wiederholen? Ich glaub ja eher nicht.“

 

Neji stierte sie an; viel verstörter von dieser Analogie als der Antwort. 

 

Ino strich mit den Fingern durch ihren langen Pferdeschwanz, bevor sie ihn über die Schulter warf. „Und ich dachte, Shikamarus Hirn wäre eine Quasselstrippe“, grummelte sie. „Sind scheinbar immer die Schweigsamen.“

 

Neji spürte, wie sich seine Brust zusammenzog und sein Atem stockte ihm in der Kehle. Nach außen hin verriet er jedoch nichts. „Shikamaru hat dir gestattet, dass du-?“

 

Sofort flogen Inos Hände nach oben und schnitten ihm das Wort ab. „Ha! Als ob.“ Sie rutschte auf dem Kissen hin und her. „Ich muss nicht immer in einen Verstand gehen, um dieses statische Summen darum herum spüren zu können.“ Endlich fand sie eine bequeme Position. „Bevor wir angefangen haben, habe ich dir gesagt, dass ich einfach irgendwelches zufälliges Zeug rauspicke und dich damit bombardiere.“

 

„Zufällig?“, echote Neji ungläubig. 

 

Ino runzelte bei seinem Tonfall die Stirn, bis sie die Verteidigung in seiner Stimme bemerkte. Seufzend beruhigte sie ihn mit einem Lächeln. „Hey, ich habe es dir doch gesagt. Ich hebe einfach nur kurz den Deckel der Erinnerungsbox an und begebe mich dann sofort zur nächsten. Ich schnüffele nicht da drin herum, um irgendetwas von Sinn daraus zu machen.“

 

Etwas, das ein Feind zweifelsohne tun würde. Genau deswegen auch diese Übung; Neji musste versuchen, diese Boxen verschlossen zu halten, während Ino daran arbeitete, sie aufzuhebeln. Es ging nicht darum, was in diesen Kisten lag, es ging darum zu lernen, dieser mentalen Invasion zu widerstehen, die es Ino gestattete, überhaupt zu wissen, dass sie existierten. 

 

„Außerdem“, fügte Ino hinzu und hob einen ausgestreckten Zeigefinger, um ihre Worte zu unterstreichen. „Unser Clan ist sehr strikt, wenn es um solche Angelegenheiten geht und mein Dad würde mir den Schädel einschlagen, sollte er jemals rausfinden, dass ich auf diese Weise in den Geist von irgendjemanden eindringen würde.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und seufzte in falscher Dramatik, als wäre ihre Mission vereitelt worden. „Ich muss einfach nur dem Drang widerstehen, all deine schmutzigen kleinen Geheimnisse auszugraben, Neji.“

 

Neji ließ ein freudloses Lachen hören, das eher ein Ausstoßen aufgestauter Luft war, bevor er kopfschüttelnd den Blick abwandte. „Wie beruhigend.“

 

„Oh, entspann dich. Ich habe es versprochen, oder nicht? Ich würde das niemals tun, außer es geht um einen Feind.“ Mit geschlossenen Augen schien sie sich erneut zu zentrieren und ihre Gesichtszüge wurden weich und entspannt. Einen Atemzug später glitten ihre Lider auf. „Diesmal fangen wir ganz langsam an. Ich werde nicht so viel durch die Gegend schmeißen.“

 

Nejis Braue hob sich, bevor er es aufhalten konnte. 

 

Augenrollend errötete Ino ein wenig. „Okay, okay, ich werde da halt ein bisschen wie ein Kind in einem Süßigkeitenladen. Kommt immerhin nicht jeden Tag vor, dass mich jemand dazu einlädt, in ihrem Hirn herumzuwühlen. Ich bin ehrlich überrascht, dass du mich wirklich lässt.“ Sie faltete ihre Beine neu und setzte sich zum dritten Mal auf dem Zabuton Kissen etwas anders hin, bevor sie ihre Fingerspitzen in einem meditativen Zeichen aneinanderlegte. „Okay, dann lass uns mal einen Ruhepunkt langsam in Gang bringen.“

 

Etwas, das sie von Anfang an hätten machen sollen, bevor Neji darauf bestanden hatte, mit einem riesigen Satz in kalte Wasser zu stürzen. Wieder einmal hätte sein steinhartes Ego beinahe gesehen, wie er unterging…und wie ihn der dumpfe Schmerz in seiner Brust nur allzu sehr ermahnte, waren das keine Tiefen, von denen er es sich leisten konnte, dort hinein zu tauchen. Aus diesen Wassern wieder aufzusteigen bedurfte jedes Mal ein bisschen mehr Atem und sehr viel mehr Anstrengung. 

 

Genug. Atme.

 

Er folgte Inos Beispiel und ließ seine Lider nach unten sinken, während er sich darauf konzentrierte…

 

Loszulassen…

 

Für eine Weile war da nur die Stille; eine Empfindung milder Verbundenheit zwischen ihren Auren. Zwei Geister, die sich denselben Raum teilten; auf Abstand, aber innerhalb der Reichweite des jeweils anderen. Er konnte die Grenzen spüren, die sie etabliert hatten und gestattete sich, sich diese Grenzen vorzustellen und spürte, wie Ino sie verstärkte. Es lag keine Bedrohung darin, hier die Kontrolle zu verlieren und so ließ Neji es zu…fühlte ihre Präsenz wie das Streicheln von kindlichen Fingerspitzen über das Geländer eines Zaunes…nein, kein Zaun…er brachte das Bild in den Fokus…

 

Käfigstäbe“, sagte Ino und ihre Stimme war ein Wispern in seinem Verstand. 

 

Neji nickte schwer und langsam. Mit immer noch geschlossenen Augen spürte er, wie sich sein Körper lockerte und sich sein Herzschlag verlangsamte, als ihn ein wohliges Gefühl nach unten zog…hinunter…zu einem Ort, wo es nicht dunkel oder eingeschlossen war. 

 

Das überraschte ihn. 

 

Er suchte; verwirrt von dieser Fremdheit – vielleicht sogar neugierig. Hier gab es eine gewisse Harmonie. Duftend wie Blumen…und wo er einst Federn gesehen hatte, sah er nun Blütenblätter schweben, die auf einer Strömung segelten, die weit sanfter war als die, die vorhin in seinem Kopf herum gepeitscht war. 

 

Und dann rollte eine leise Stimme schwer auf dieser Brise. ‚Sticht euch mein Rauch in den Augen, oder seid ihr einfach nur so glücklich darüber, mich zu sehen?‘

 

Nejis Fokus geriet bei diesem tiefen, bekannten Timbre ins Taumeln…

 

‚Hey, warte! Ich habe dir doch gesagt, dass ich meinen Kristall unter der einzelnstehenden Zeder von Konoha versteckt habe.‘

 

‚Der Kristall interessiert mich nicht. Ich will nur sehen, wie gut ich gegen einen Jōnin bestehen kann.‘

 

‚Gah. Jetzt nicht. Würdest du endlich aufhören, mich durch die Gegend zu jagen?‘

 

Asuma. 

 

Neji spürte, wie er sich umdrehte, eine körperlose Bewegung und seine Sicht glitt über eine blühende Farbmasse, die sich zu einer Wiese auflöste; die Palette eines Künstlers, übersät mit Fuchsien, weißen Lilien, violetten Hortensien und tief karmesinroten Mohnblumen, deren Blütenblätter schimmerten…rot tropften…beinahe wie…

 

Blut…

 

So viel Blut. 

 

‚Ino…Tränen sind eine Sache…aber du musst aufhören, die Dornen noch tiefer zu treiben.‘

 

‚Ich kann nicht, Sensei.‘

 

Wirbelnd wurden die Blätter viel schneller als die Federn vorhin…

 

‚Wo ist nur mein selbstbewusstes Großmaul hin?‘

 

‚Wo bist du hin?‘

 

‚Nicht so weit weg, wie du denkst.‘

 

Rauch, dicht und verstopfend in den Lungen…

 

Neji versuchte, sich zurückzuziehen, musste aber feststellen, dass er es nicht konnte. Und stattdessen spürte er übermächtig und deutlich die schwere Präsenz einer Hand auf seiner linken Schulter, die einen Moment dort verharrte, bevor sie ein einziges Mal zudrückte. „Lass ihn nicht wegrennen.“

 

Und dann stoben die Blütenblätter auseinander; rot, violett, weiß und pink wirbelten sie aufwärts in einen kornblumenblauen Himmel, schluckten die Sicht, die Stimme…die Überreste eines Geistes. 

 

Und dann kehrte die Welt zurück…

 

Neji zog sich von der Meditation fort und ließ sein Bewusstsein zurück in seinen Körper fließen. 

 

Jetzt.

 

Langsam hob er den Kopf, während sich seine Augen wieder fokussierten, sich sein Geist beruhigte und sich sein Körper im Meditationsraum der Yamanka neu ausrichtete. Keine Wiese, kein Duft von Blumen…keine phantomhafte Präsenz…

 

Was war das?

 

Er hob seine rechte Hand um packte seine linke Schulter, um tief mit den Fingern hinein zu kneten. Er mochte vielleicht die Illusion an sich abgeschüttelt aber, den Abdruck davon jedoch nicht. 

 

War das überhaupt eine Erinnerung?

 

Falls ja, warum hatte Ino sie hindurch rutschen lassen? Oder war er abgerutscht? Er war sich nicht bewusst gewesen, dass er auch Gedanken aufnahm, nur dass er sie losließ. Vielleicht waren sie beide ausgerutscht. Doch viel verstörender als die Erfahrung von Inos persönlichen Gedanken, die seinen Verstand streiften, war die Art und Weise, wie sich diese auf ihm niedergelassen und an ihn geheftet hatten, als hätten sie ein eigenes Empfindungsvermögen. 

 

‚Lass ihn nicht wegrennen.‘

 

Über die kurze Distanz hinweg rührte sich Ino. 

 

Neji tat so, als wäre auch er eben erst aus der Meditation erwacht, blinzelte langsam und ließ seinen Fokus durch den Raum wandern, um sich davon abzuhalten, Inos Reaktion zu studieren. Blumen dominierten die Fusama Paneele; verwaschene Gemälde von Pfingstrosen, ein paar davon in den zarten ersten Stadien der Knospung gemalt, andere hingegen blühten bereits in wolkigen weißen Falten. 

 

„Ich brauche ein bisschen Zeit“, sagte Ino plötzlich. Ihre Stimme war fest und viel stärker als Neji es gemessen an dem tief persönlichen und rohen Moment, den sie beide geteilt hatten, erwartet hatte. Langsam atmete sie ein und legte die Hände flach auf ihren Bauch. „Bitte versteh mich nicht falsch. Ich werde dir helfen. Ich will das auch wirklich. Es ist nur, dass ich…“

 

„Ich verstehe.“

 

„Gut“, sagte Ino knapp. Thema beendet. Vorsichtig musterte sie ihn aus dem Augenwinkel, während sie ihr Kinn zu einem sturen Winkel gereckt hielt und offensichtlich auf die Fragen wartete.

 

Doch Neji hatte nichts hinzuzufügen oder zu fragen. Ehrlich gesagt bevorzugte er es, sich eben nicht zu fragen, wie zur Hölle eine solch klare Grenze so unwissentlich hatte überschritten werden können. Es war zu seltsam, zu persönlich, zu…

 

„Ich bin zu früh damit an dich heran getreten“, sagte er leise in die Stille. „Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du mir behilflich sein willst, aber ich kann auch warten.“ Bei ihrem dubiosen Blick fügte er noch hinzu: „Ich habe Zeit.“

 

Das stimmte zwar nicht, aber das musste sie ja nicht wissen. Tatsächlich gab es einiges, was sie jetzt im Moment nicht wissen musste. Er war so sehr darauf fixiert gewesen, sein eigenes mentales Territorium zu stabilisieren und zu stärken, dass er überhaupt nicht darüber nachgedacht hatte, dass die Landschaft von Inos Verstand wahrscheinlich noch vollkommen roh und aufgewühlt war. 

 

Nicht jeder kann den Schmerz einfach so weg schieben…

 

Oder ihn mental begraben, wie er es bereits unzählige Male getan hatte. 

 

‚Lästiger Hyūga, hör auf, das zu einer Angelegenheit deines Kopfes zu machen.‘

 

„Danke“, sagte Ino und erhob sich mit ihren Händen noch immer auf den Bauch gepresst. Ihre Finger waren verschränkt und nestelten aneinander. Etwas, das Neji schon oft bei Hinata beobachtet hatte. „Lass mich dir zumindest einen Tee oder sowas bringen.“ Ino gab ihm nicht einmal Zeit, das Angebot abzulehnen und huschte aus dem Raum. 

 

Für einen Moment saß Neji etwas unbehaglich da, bevor er sich schließlich auf die Füße stemmte. Langsam schritt er durch das Zimmer und hielt bei dem Alkoven inne, um seinen Blick von den Orchideen am Fuße des Tokonoma hinauf zu dem Bild gleiten zu lassen, das in der Mitte hing. Es war das außerordentlich schöne Pinselwerk einer violetten Blume. Die Komposition wie ein Aquarell geschichtet und alle möglichen Lilaschattierungen bluteten perfekt ineinander; Malve, Indigo, Maulbeere und Lavendel, mit einem Hauch von Amethyst und Magenta. Doch trotz aller Fragilität lag auch eine unzähmbare Kraft in den weichen, meisterhaften Strichen. 

 

Neji musste feststellen, dass er vollkommen fasziniert war. Auch wenn er kein Connoisseur von Kunst war, wusste er Talente egal welcher Art durchaus zu schätzen. Er spähte auf den Spruch, der die rechte Seite des Gemäldes hinunter floss: Die Blume von morgen ist die Saat von heute.

 

Über diese Worte nachdenkend legte Neji den Kopf leicht auf eine Seite und ließ seinen Blick nach unten zur Signatur des Künstlers in einer Ecke des Pergaments wandern. Die Schrift war so klein, dass er die Augen zusammenkneifen musste, um den Namen erkennen zu können. 

 

„Naoki“, murmelte er. 

 

„Er hat es extra für mich gemalt.“

 

Inos Stimme ließ Neji zusammenzucken, da er so tief versunken gewesen war, dass er ihre Anwesenheit überhaupt nicht bemerkt hatte. Der Duft von Zimt schwebte von hinten zu ihm und das sanfte Klacken von Porzellan erscholl zusammen mit dem leisen Schwappen von Tee, der eingegossen wurde. 

 

„Es ist wunderschön, nicht wahr?“

 

„Das ist es“, stimmte Neji zu und ließ seinen Blick noch einmal über das Bild schweifen, bevor er hinüber zu dem kleinen Tisch schritt, an dem sich Ino niedergelassen hatte. „Ich bin vielleicht sogar daran interessiert, den Künstler selbst zu beauftragen.“

 

Ino hörte auf, den Tee einzuschenken; ein einsamer Tropfen schwankte an dem Schnabel der Teekanne. „Er ist gestorben.“

 

Mitten in der Bewegung erstarrte Neji, als er sich gerade auf die Knie niederlassen wollte und seine weißen Augen weiteten sich. „Ah. Es tut mir leid.“ Innerlich verfluchte er seine Zunge und fragte sich, über wie viele Gräber mehr er eigentlich in der Spanne weniger Stunden stolpern konnte. 

 

Ein schwaches Lächeln und Ino begann wieder mit dem Eingießen. „Schau nicht so peinlich berührt, Neji. Es ist schon lange her“, sagte sie leise und wischte sein Unbehagen mit einer Handbewegung fort. „Wir haben ein paar Drucke seiner Gemälde, wenn du einen möchtest. Aber du wirst einiges an Blut vergießen müssen, um ein Original in die Finger zu bekommen. Meine Mom hält sie hinter Schloss und Riegel…und hinter einem Katana.“

 

Neji schmunzelte leicht. „Deine Familie kannte ihn gut?“ Die Frage verließ so vollkommen ungeplant seine Lippen, dass er sich ernsthaft fragte, ob sein Hirn überhaupt noch mit seinem Mund verbunden war. Er hatte überhaupt kein Interesse an dem Privatleben anderer Leute…und dieser Ausrutscher fühlte sich ebenso unbeabsichtigt und unangemessen an wie sein Eindringen in Inos Privatsphäre vorhin im Nijis. Er hätte sich entschuldigt, diese Frage gestellt zu haben, wenn er nicht der Meinung gewesen wäre, dass das nur noch mehr Aufmerksamkeit darauf ziehen würde, wie unangenehm dieser ‚gesellige‘ Augenblick gerade war. 

 

Doch vollkommen ahnungslos von seinem Unbehagen antwortete Ino ihm; sie schien sogar glücklich darüber zu sein. „Ich glaube, dass wir irgendwie verwandt waren. Aber ich kannte ihn nur als ich ein Kind war.“ Sie schob ihm eine dampfende Tasse zu und hielt ihre Augen auf die gemalte Blume gerichtet, während sie sich zusammenzogen. „Er muss in etwa…mh…wie viel? Zehn oder elf Jahre älter gewesen sein als ich? Er hat immer mit mir gespielt, als ich klein war. Ich erinnere mich nicht wirklich gut an ihn…nur kleine Dinge, weißt du? Wie zum Beispiel Bilder aus Fingerfarben malen und Gänseblümchenketten machen.“

 

Neji summte leise und hielt seine Tasse in beiden Händen; seine steife Formalität stand in hartem Kontrast mit Inos lässiger Manier, als sie sich ihrem eigenen Becher zuwandte, das heiße Wasser hinein schwappen ließ und einen dicken Klecks Honig hinzufügte.

 

„Ich erinnere mich daran, als Dad mir gesagt hat, dass er fort gegangen ist“, fuhr sie leise fort und rührte und rührte, bis sich der schwere bernsteinfarbene Tropfen in dem gelbbraunen Gebräu aufgelöst hatte. „Ich dachte, er meinte nur für eine Weile…nicht für immer. Als Kinder denken wir wirklich ziemliche naive Sachen.“

 

Schmerz – alt und begraben – verdrehte sich in Nejis Herz und noch mehr Erinnerungen rollten in ihren Gräbern. Und dann versuchte er, sich daran zu erinnern, was er gedacht hatte, als man ihm gesagt hatte, dass sein Vater nicht zurückkommen würde. Während er diese Zeit Revue passieren ließ, realisierte er, dass er überhaupt nichts gedacht hatte. Er hatte nur reagiert. Hatte sich direkt in Handlungen gestürzt, um sich davon abzuhalten…

 

Was? Um mich von was abzuhalten?

 

Vielleicht sich davon abzuhalten, Fragen zu stellen, die genauso dämlich waren wie die, die sein Hirn übersprang und geradewegs zu seinem Mund marschierte. „Wie ist er gestorben?“

 

Wie kann es eigentlich sein, dass sich mein Mund immer noch bewegt?

 

„Sie haben es mir nie gesagt“, seufzte Ino, nahm ihre Tasse auf und drehte sie wieder und wieder in ihren Handflächen, als versuchte sie, die Antwort aus den wirbelnden Teeblättern zu lesen. „Auf einer Mission ist alles, was ich weiß. Sie mögen es nicht wirklich, darüber zu sprechen.“ Erneut spähte Ino zu dem Bild und ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Mom sagt, dass er sehr lieb zu mir war und immer gut mit mir umgegangen ist.“ Ein leises Schnauben. „Ich würde wetten, er war wie der Sohn, den sie sich gewünscht, aber niemals bekommen hat.“

 

Neji sagte nichts, zog aber leicht die Brauen über den Gedanken zusammen, dass Ino mit solch tief persönlichen Informationen so offen war. Es lief jeder einzelnen von Nejis tief verwurzelten Protokollen zuwider – die ihm sowohl gedient, ihn aber auch ebenso behindert hatten; besonders wenn es darum ging, Bande herzustellen. 

 

Ich bin nicht hier, um gesellig zu sein. Ich bin hier, um stärker zu werden. 

 

Was bedeutete, dass es viel sicherer und klüger war, sich an das starre soziale Skript zu halten, das er sich sein ganzes Leben wieder und wieder vorgesagt hatte. Er verstand, was es hieß, sich an das Zeremoniell zu halten…und hatte überhaupt keine Ahnung, wie er vorgehen sollte, wenn er aus dieser rituellen Höflichkeit hinaus geschubst wurde. 

 

‚…du bist einfach nur hochnäsig und sozial total unbeholfen.‘

 

Narutos Stimme kratzte über sein Hirn; rau und schleifend in ihrer Ehrlichkeit. Neji setzte den kurvigen Rand seiner Tasse an seine Lippen und atmete in den Dampf. Nur eine einzige Person hatte es jemals geschafft, ihn hinter seiner kühlen Wand aus Zivilisiertheit hervor zu zerren. Aber auf der anderen Seite hatte Shikamaru ihn auch verstanden, hatte durch beharrliches und stetes Ausprobieren – und durch ein paar taktische Tricks – gelernt, wie er Neji zwischen zwei bipolare Extreme ziehen und schieben konnte, um ihn dazu zu zwingen, entweder auf diese Behandlung zu reagieren, oder sich in sie zu entspannen…und dann war da diese Ruhe, die ihm der Schattenninja gebracht hatte. 

 

‚Ja…und es tut mir nicht leid.‘

 

Mir auch nicht. Aber ich werde ruhen, wenn ich tot bin, Nara. 

 

Grimmig lächelnd zog sich Neji von diesem Augenblick fort. 

 

Ino stierte noch immer auf das Gemälde und ihre schmalen Brauen waren zu einem festen Knoten zusammengezogen. „Im Ernst, es ist ja nicht so, als wäre ich noch ein Kind. Ich fass es nicht, dass ich nie gefragt habe, wie er gestorben ist…“ Sie stieß einen plötzlichen Atem aus, als wäre sie von diesem Eingeständnis völlig überfordert. „Ich habe nur…er war ein Teil meines Lebens und dann auf einmal nicht mehr. Das klingt so furchtbar...als würde es keine Rolle spielen, wer er war, oder was er gemacht hat, wenn er nicht gerade mit mir gespielt hat oder was auch immer.“ Langsam setzte sie ihre Tasse ab und zog die Unterlippe zwischen die Zähne. „Denkst du, es wäre falsch, danach zu fragen…nach all der Zeit?“

 

Bedächtig nippte Neji an seinem Tee und entschied sich, dass es ihm eine Ausrede bot, nicht darauf zu antworten, wenn er etwas an seinem Mund hatte. Und außerdem schien diese Frage größtenteils rhetorisch zu sein. Götter, er hoffte, dass sie es war. Denn er war sich nicht sicher, was er gesagt…oder was er getan hätte, wenn er an ihrer Stelle wäre. 

 

Lügner. Du weißt ganz genau, was du getan hättest.

 

Weil er dort gewesen war, es getan und mit den Narben gelebt hatte. Nein, er hatte nichts zu dem zu sagen, was er dachte; doch als sie ihn fragte, was er getan hätte, setzte er seine Tasse ab, strich bedächtig mit einem Daumen über einen Riss in dem glatten Porzellan…und sagte es ihr.

 

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Also eigentlich hätte dieses Kapitel viel viel länger werden sollen, aber irgendwie fand ich es dann ganz passend, es wirklich auf Neji und Ino zu beschränken, da es in vielerlei Hinsicht eine sehr wichtige Szene ist. 

Auch wenn natürlich mit Sicherheit wieder ein paar Fragen aufgeworfen werden, erhält man dennoch schon mal ein weiteres Puzzlestückchen zu diesem ominösen Naoki ;) 
 

Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat! 

Wie immer vielen vielen Dank an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen <3

Buried in the past and shadows

Zwei Meilen und ein paar tausend Schritte näher an einem Wegrennen, machte sich Shikamaru auf die Suche nach Wolken. Er fand allerdings nur eine; einen massiven bleiernen Unterbauch. Es waren keinerlei Risse in der Formation oder unvorhersehbare Muster zu finden…nur eine einzige riesige und zornige Gewitterfront, die ihren düsteren Umfang über das Dorf ausdehnte und sich in einem steten Nieselregen entleerte. Unter einer Eiche suchte er Schutz und beobachtete, wie die breite Herbstlaubkrone zitterte. 

 

Yep, er hasste Regen noch immer. 

 

Aber das hatte ihn nicht vom Wolkensuchen abgehalten und es hielt ihn auch nicht davon ab, eine Zigarette anzuzünden. 

 

‚Ich weiß, dass es nicht echt ist…aber…der Rauch sieht aus wie Wolken…‘

 

‚Du magst also Wolken, huh?‘

 

‚Sie sind das Beste.

 

‚Jo, ich schätze, sie sind wirklich ziemlich cool.‘

 

‚Rauchen ist nicht cool. Es ist lästig. Es brennt in den Lungen und sticht in den Augen.‘

 

„Jo, aber es ist immer noch meine beste schlechte Angewohnheit“, murmelte Shikamaru laut und erinnerte sich genau so an die Worte, wie sie vor all diesen Jahren von Asumas Lippen gerollt waren. Vor all diesen Jahren an dem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Verdammt, wie alt war er gewesen? Sieben? Er fragte sich, ob Asuma diese Erinnerung ebenfalls behalten hatte. 

 

Ich wette, du hast niemals daran gedacht, dass du diesen Bengel sechs Jahre später unterrichten würdest, huh?

 

Oder dass besagter Bengel hier stehen würde – zehn Jahre später – und daran dachte. Seltsam, wie die Erinnerung einfach so gekommen war, fast wie eine dunkle Wolke…die herein schwebte und hängen blieb, um ihn mit derselben unerschütterlichen Schwere zu belegen, die er am Tag von Asumas Beerdigung verspürt hatte. Er sah zu, wie der Regen fiel und blinzelte sich das Stechen aus den Augen, während er finster auf die Zigarette stierte, die zwischen seinen Fingern hing. 

 

‚Ich hasse Rauchen.‘

 

‚Bleib auch dabei.‘

 

Solange jeder andere das glaubte, konnte er auch weiterhin so tun, als stimmte das. Allerdings klebte dieser abgestandene Geruch an seinen Kleidern und der Nachgeschmack blieb lange als pelzige Schicht auf seiner Zunge. Er saugte an den Zähnen und zischte angewidert. 

 

Beschissene Marke…

 

Die von Asuma war leider gerade aus gewesen. 

 

Er rümpfte die Nase und hob mit einer zitternden Hand die Zigarette, um noch einen weiteren scharfen Zug zu nehmen, der trocken wie ein Wüstenwind durch seine Kehle fegte, bevor er in einem Seufzen durch die Nase ausgestoßen wurde. Kein Zweifel. Es war einfach nicht dasselbe, wie Asumas Marke zu rauchen. 

 

Kann nicht ersetzt werden.

 

Seine Brust zog sich zusammen. Doch er schrieb den Schmerz als simples Protestieren seiner Lungen über ihre derzeitige Misshandlung ab. 

 

‚Darauf kannst du wetten. Lauf lieber weg und rette deine kleinen Lungen.‘

 

‚Du bist komisch und du wirst Ärger bekommen.‘

 

‚Ich bin ein Shinobi von Konoha. Ich kann mich aus dem Ärger herausholen, in den ich mich gebracht habe. Ich habe keine Angst vor Ärger.‘

 

Nein. Nicht damals. Nicht einmal am Ende. Nicht verängstigt. Kein Feigling. 

 

Nicht so wie ich.

 

Shikamaru schluckte hart und schnippte die halb gerauchte Zigarette in eine Pfütze, bevor er die Hände in den Taschen vergrub und zusah, wie der Regen auf die geschwungenen Dachvorsprünge der Akimichi Residenz trommelte, die nur einen Steinwurf von dort entfernt war, wo er stand. 

 

Er konnte nicht einmal die Nerven aufbringen, die letzten paar Schritte zu gehen. 

 

Er hatte nicht vorgehabt, hier zu landen. Aber auf der anderen Seite, hatte er auch nicht vorgehabt, beim Yamanaka Blumenladen zu landen. Nachdem er das Trainingsareal verlassen hatte, hatte er jeden Sinn für eine Richtung verloren; hatte nichts mehr wahrgenommen außer einen flüchtigen Blick auf seine Umgebung…war einfach nur gelaufen, darauf fokussiert, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Vermeidend…und noch etwas mehr vermeidend…bis er schließlich an Inos Türschwelle angekommen war; und das hatte seine Vermeidungsstrategie direkt aus dem Fenster getreten. 

 

Was zur Hölle hätte ich auch überhaupt zu ihr gesagt?

 

Wie gut, dass sie nicht dort gewesen war; nur eine nervtötende weinerliche Göre mit knallroten Haaren, die sich zeternd über irgendeinen psychotischen Kunden aufgeführt hatte, dessen Beschreibung ziemlich, wenn nicht sogar übertrieben auf Kiba passte. Kein Rätselraten erforderlich und eigentlich interessierte es ihn auch einen Dreck. Shikamaru war gegangen und hatte sich direkt in eine Wolkensuche gestürzt, wobei seine Füße einem vollkommen unbewussten Pfad gefolgt waren. Einem Pfad, der ihn hierher geführt hatte. 

 

Zuerst Ino…jetzt Chōji…

 

Er konnte beinahe Asumas Geist in seinem Rücken spüren und Hände, die auf seinen Schultern lagen und ihn zu all den Orten lenkten, zu denen er nicht gehen wollte. Seufzend schob er eine Hand in seine Tasche und strich mit dem Daumen über das glatte Metallfeuerzeug; sein Daumennagel folgte langsam der Rille des Deckels.

 

Ja. Ich höre dich.

 

Energisch ignorierte er die Stimme, die ihn dazu drängte, sich umzudrehen und die Beine in die Hand zu nehmen und zog den Kopf ein, bevor er hinaus in den prasselnden Regen trat, um die kurze Distanz zum Haus zu überbrücken. Gerade hatte er die Hand gehoben, um anzuklopfen, als das Paneel auch schon zur Seite geschoben wurde. Chōzas breite Gestalt füllte den Türrahmen aus und seine kleinen Augen bogen sich in einem Lächeln. 

 

„Shikamaru!“ Chōza trat zur Seite und streckte einen kräftigen Arm aus, um Shikamaru auf den Rücken zu klopfen, wobei er den jungen Nara geradezu über die Schwelle und in den großen steinernen Genkan schubste. „Gerade rechtzeitig zum Mittagessen.“

 

Stolpernd hatte Shikamaru nicht einmal Zeit, den schweren würzigen Geruch der Hausmannskost der Akimichis zu genießen. Ein großer, schlanker Schatten glitt über die Shoji Paneele, die den Salon abtrennten. Die schnelle, geisterhafte Bewegung sandte ein seltsames Frösteln über Shikamarus Haut. Er versteifte sich und Anspannung hielt ihn starr aufgerichtet – bis das Paneel zur Seite geschoben wurde und er von einem Paar tief sitzender blaugrüner Augen angeblinzelt wurde, die einen Hauch von Lachfältchen zeigten, als sich ernste kantige Züge zu einem lockeren Halblächeln verzogen. „Nun, wenn man vom Sohn des Teufels spricht.“

 

Shikamaru entspannte sich, verfluchte seine Scheu und brachte ebenfalls ein Lächeln zustande. „Inoichi-san.“

 

Inoichi trat hinaus in den Eingangsbereich, um in seine Sandalen zu schlüpfen. Sein scharfer Blick war wie ein Laser, bevor das Glimmen von Spekulation zu einer weit weniger einschüchternden Begutachtung verblasste. 

 

Shikamaru erkannte diesen Ausdruck sofort. Es war genau derselbe, den seine Mutter jedes Mal auf ihn richtete, wenn er zur Tür herein kam – oder direkt bevor er das Haus verließ. Schuldgefühle vergruben ihre Fangzähne in ihn; gifttriefend wie der Biss einer Viper. Ein wenig verzog er das Gesicht. 

 

Inoichi legte bei dieser Reaktion den Kopf leicht schief und zeigte ein strahlendes Lächeln. „Schön, dich zu sehen, Junge. Du bist gekommen, um gefüttert zu werden.“

 

„Schätze schon.“

 

„Das war keine Frage. Sie zwangsfüttern dich hier.“ Der Yamanaka täuschte eine Grimasse vor und tätschelte seinen flachen Bauch. „Man sieht es nicht, aber ich verdaue gerade Essen im Wert von fünf Gängen.“

 

Chōza kicherte; es war ein tiefer und warmer Klang. „Fünf Gänge Dessert. Du hast dich nicht mal zurückgehalten.“

 

Verschwörerisch zwinkerte Inoichi Shikamaru zu. „Und dein alter Herr denkt, Frauen wären meine Schwäche.“

 

Der Schattenninja brachte ein schmallippiges Schmunzeln zusammen, um seine Belustigung in sich zu halten. Gemessen an dem wenigen, was er über Inoichis argwöhnische Frau und ihre Aversion gegen alles Kalorienreiches wusste, war es durchaus amüsierend daran zu denken, dass Inoichis größte Sünde darin bestand, zu verbergen, dass er eine Naschkatze war, statt eine Geliebte zu haben. 

 

Augenrollend nickte Chōza mit dem Kinn den Gang entlang. „Chōji ist draußen, Shikamaru.“

 

Da er halb erwartet hatte, dass Chōza die felsigen Hügel hinter der Akimichi Residenz gemeint hatte, war Shikamaru überrascht – und erleichtert – festzustellen, dass sein Freund nur bis zu einem der riesigen Steingärten gegangen war. Auf der Veranda hielt Shikamaru inne und ließ seinen Blick über mehrere große Findlinge wandern. Sie lagen in willkürlichen Abständen zwischen weißen Kiesstreifen da, die zu Wellen und Spiralen gerecht waren. 

 

In der Nähe stand ein Pavillon mit roten Ziegeln und Chōji saß unter dem weiten und sanft abfallenden Dach. Getragen von fünf karmesinroten Säulen, die alle mit unzähligen Schmetterlingen verziert waren, war die große runde Struktur zu allen Seiten offen. Ein perfekter Ort, um auf die Gärten zu blicken…obwohl Chōji mehr in seine dampfende Schüssel versunken zu sein schien, die er in seinen großen Händen hielt. 

 

Shikamaru nahm einen diagonalen Weg, der weniger aufdringlich erschien, als sich seinem Freund direkt von hinten zu nähern. Er begab sich in die periphere Sicht des Akimichi und betrat die Gartenlaube, um sich neben seinem Kindheitskumpel niederzulassen, während er die Schultern gegen die Kühle hochzog. 

 

Lächelnd wandte Chōji ihm den Kopf zu. „Hey.“

 

Shikamaru nickte nur langsam und atmete den würzigen Dunst von Buchweizennudeln ein, die nach gebratenem Fleisch dufteten. Er schloss die Augen und lehnte sich etwas nach vorn, während er die Hände lose zwischen seinen Knien hängen ließ. „Yam Soba, huh?“

 

„Ja, mit-“

 

„Würstchen“, beendete Shikamaru den Satz und seine Lider glitten mit einem Schmunzeln auf. „Asumas Liebstes. Wirklich buddhistisch von ihm, huh?“

 

Chōji kicherte leise über diesen Kommentar und seine Aufmerksamkeit teilte sich zwischen seinem Essen und dem leisen Summen des Regens auf, der von dem Kies abprallte. Letztendlich stieß er ein schweres Seufzen aus und schüttelte den Kopf. „Du riechst nach Rauch, weißt du.“

 

Shikamaru lächelte trocken. „Jo.“

 

„Das ist nicht cool. Asuma würde dir den Hintern versohlen.“

 

„Ich weiß.“

 

„Ino auch.“

 

„Jo.“

 

„Ich will es irgendwie auch.“

 

„Stell dich hinten an“, murmelte der Schattenninja und war nicht in der Lage, sein Lächeln niederzukämpfen. 

 

Die Stille, die sich um sie legte, fühlte sich leicht und lebendig an; vertraut auf eine Weise, die Shikamaru über all das nachdenken ließ, was sich verändert hatte. Er schluckte schwer und sah zu, wie das Regenwasser in silbernen Rinnsalen eine Rille in einem der Findlinge hinab strömte, bevor es sich in eine kleine Pfütze ergoss und einen kleinen Lavendelstrauch wässerte, der sich durch den Kies drängte. 

 

„Wo ist Ino?“, fragte er und verzog bei dem Raspeln seiner Stimme das Gesicht. 

 

Leise lachend fuhr Chōji mit den Essstäbchen durch seine Schüssel. „Guck unter die Bank. Ignorier die Hundeschüssel einfach.“

 

Shikamarus Braue schoss bei dieser seltsamen Antwort nach oben, aber er tat wie ihm geheißen und entdeckte eine weggeworfene Schüssel voll mit Hundekeksen und einen Styroporbecher, der hinter einem steinernen Bein stand. Er runzelte die Stirn wegen der Schüssel und streckte eine Hand aus, um den Becher zu retten, wobei er das regenbogenfarbene Design sofort erkannte. 

 

Niji.

 

Mit dem Daumen drückte er den Deckel auf, schnupperte und stieß ein atemloses leises Lachen aus. „Lässig. Könnte allerdings drauf wetten, dass sie da Zucker rein gekippt hat…einfach nur um lästig zu sein.“

 

„Oder sie hat reingespuckt.“

 

Shikamaru schnitt eine Grimasse und schloss den Deckel wieder. „War sie sauer?“

 

Der Blick, mit dem Chōji ihn bedachte, war freundlich, aber auch ernst. „Nicht sauer.

 

Was bedeutete, dass sie etwas anderes gewesen war; etwas, das schlimmer war als angepisst zu sein. Shikamaru verzog schon wieder das Gesicht und ließ den Becher von seinen Fingerspitzen baumeln. Inos Zorn konnte er aushalten, aber ihre Enttäuschung? Dieser niedergeschlagene Ausdruck, den sie immer mit schnippischen Sarkasmus oder einem Anflug falschen Lachens zu kaschieren versuchte?

 

Was willst du, das ich tue? Was willst du, das ich sage?

 

Shikamaru seufzte durch die Nase, setzte den Kaffeebecher an seine Füße und stierte auf die Regenbogenstreifen, während er darüber nachdachte, wie simpel und strukturiert die Natur mit all ihren leuchtendsten Farben sein konnte…und wie chaotisch sie mit all ihren Grauschattierungen gewesen war; besonders wenn es zu der Naturgewalt kam, die Yamanka Ino war. 

 

Er schüttelte den Kopf. „Warum muss es so ein verdammtes Drama sein?“

 

„Huh?“

 

„Hinata bereitet keinen Kummer und Sakura schlägt Naruto einfach, um es direkt aus ihrem Kreislauf zu treiben“, erklärte Shikamaru und streckte eine Hand aus, um die leichten Fälle zu illustrieren, während er die andere hob und zu einer Faust ballte. „Keine bösen Blicke oder verrücktes langes Schweigen. Warum kann Ino nicht einfach zuschlagen, mich bluten lassen und dann drüber weg kommen?“

 

Chōji bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. „Holst du dir jetzt schon Ratschläge von Kiba?“

 

Mit den Händen rieb sich Shikamaru übers Gesicht. „Ugh.“

 

Während er die Essstäbchen aufnahm, drehte Chōji ein paar Nudeln darum herum zu einem Nest, schob sie sich in den Mund und schlürfte leise. „Denn das wäre ziemlich dumm von dir, Shikamaru.“ Der Akimichi hielt kurz inne und kicherte dann wie zu sich selbst. „Wow, es ist einer von diesen Momenten.“

 

Shikamaru grunzte abgelenkt. „Hm?“

 

„Du weißt schon. Wenn Shikamaru und dumm zusammen in einem Satz vorkommen.“

 

„Hn. Ist ja auch nicht so, als hätte ich eine Strategie, mit der ich hier arbeiten könnte.“

 

Leise seufzend hörte Chōji auf, die Nudeln um seine Essstäbchen zu drehen. „Du hast wirklich überhaupt keinen Schimmer.“

 

Shikamaru hörte ihm nicht zu; sein Fokus verengte sich auf die Ansammlung lilaner Blumen und ihre willkürlichen Anordnung. Willkürlich, unvorhersehbar. Hier konnte er nicht gewinnen. Es gab einfach keine Möglichkeit; denn es lag keinerlei Logik in den Sprüngen, die Ino machte, oder von denen sie darauf bestand, er würde sie machen. Ein Wort, ein Blick, eine gescheiterte Reaktion konnte auf so viele Arten falsch ausgelegt werden und trotz all seines Vorausdenkens, konnte er niemals vorhersehen, was zur Hölle sie damit meinte. Wenn er sie vorhin angetroffen hätte, was für Schlüsse hätte sie daraus gezogen, dass er sie aufgesucht hatte? Und wie viele dieser Schlüsse würden wahrscheinlich zu diesem niedergeschlagenen Blick führen, der ihn fühlen ließ, als ob…

 

Ja…was fühlen lässt?

 

Er wollte es nicht benennen. Aber da war es. Dämliches verdammtes Ding. Dieser Knoten stacheliger Emotionen, der in seiner Brust herum und herum rollte, scheuerte und kratzte und drohte, sein Blut zu vergießen. 

 

„Ich weiß nicht, was sie von mir will. Es ist, als würde sie all die Regeln in der Hand halten und ich weiß nicht, wie ich dann spielen soll.“

 

Chōji zog mit nach vorn fixierten Augen die Brauen zusammen. Mechanisch und steif kaute er weiter. „Jo“, murmelte er mit vollem Mund. „Viel Glück dabei.“

 

Der Missklang in Chōjis Tonfall erschütterte Shikamaru; harsch wie eine falsch gespielte Note. 

 

Blinzelnd spähte der Schattenninja nervös zu seinem Freund und stupste ihre Knie aneinander, wobei er mit einem unsicheren Lächeln in der Bewegung mitschwang. „Hey. Du solltest der Mittelmann sein.“

 

„Und du solltest ein Genie sein.“

 

Auch wenn es als Scherz gesagt wurde, lag mehr in dieser Aussage – der feinste Hauch einer Kante und sie traf Shikamaru wie eine rostige Klinge. Scharf atmete er ein und zog sich in einem weiteren Schwung von Chōji zurück, wobei er die Bewegung beiläufig erscheinen ließ. „Jo“, murmelte er. „Ist es denn klug, dass ich vorhin auf der Suche nach einer Gardinenpredigt von ihr war?“

 

Ein erstickter Klang. Chōji klopfte sich mit der Faust auf die Brust, um eine Nudel aus seiner Luftröhre zu lösen und hustete. „Im Ernst?“

 

Shikamarus Lippen zuckten. „Ist das so schwer zu glauben?“

 

„Ganz ehrlich? Ja.“

 

Und sagte das nicht schon alles? Der Schattenninja konnte nur in bitterer Erwiderung den Kopf schütteln und stierte hinaus in den Regen. „Klar“, seufzte er. Er konnte Chōjis Blick auf sich spüren; weitäugig und besorgt. Unter der prüfenden Musterung spannte er sich an. „Was?“

 

„Du solltest ihr sagen, dass du sie gesucht hast.“

 

„Auf keinen Fall.“

 

Chōji setzte seine Schüssel auf der Bank zwischen ihnen ab. „Warum nicht?“

 

„Weil…“ Shikamaru warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Sie reagiert über. Bei allem.“

 

„Ja, weil du es nicht tust.“

 

Shikamarus Wirbelsäule verkrampfte sich. So gut er konnte bekämpfte er den Drang, sich aufzusetzen und brachte stattdessen seine Hände langsam zwischen seinen Knien zusammen, bevor er sehr leise sprach. „Was soll das heißen?“

 

Chōjis Seufzen rauschte zwischen ihnen hindurch; wie Wasser unter bebenden Brücken. Als wäre es Schnee von gestern; aber Schnee, der zu schmelzen begann. „Nichts.“

 

„Du denkst, dass mich nichts berührt?“, fragte der Schattenninja in demselben leisen Tonfall und die Venen seiner Hand traten stark hervor. „Was? Willst du, dass ich mich an deiner Schulter ausheule?“

 

Chōji zuckte zusammen. „Mach das nicht“, sagte er, während sich seine großen Hände zu zwei festen Knüppeln ballten. „Du weißt, dass ich es so nicht gemeint habe.“

 

„Na dann gib es mir einfach direkt.“ Shikamaru linste auf die bebenden Fäuste. „Du musst nichtmal Worte nutzen.“

 

„Das ist nicht witzig, Shikamaru.“

 

„Ich scherze auch nicht.“

 

Chōji wandte sich ab und ein Beben jagte seine Arme hinunter. Anspannung stieg mit jedem Schaudern. „Warum bist du so?“

 

„Wie?“

 

Kopfschüttelnd setzte Chōji seine Füße weit auseinander und erhob sich mit der langsamen Besonnenheit von jemandem, der versuchte, auf unsicherem Boden das Gleichgewicht zu halten. „Ich wollte dich nicht verärgern. Es tut mir leid, okay?“

 

Shikamarus Kiefer zuckte heftig bei dieser Entschuldigung. „Es tut dir leid…“, echote er flach. „Weswegen? Weil du nett bist? Oder deswegen, weil du ein Feigling bist?“

 

Abrupt wirbelte Chōji herum. Mit bröckelnder Miene stierte er durch Augen auf Shikamaru hinunter, die ebenso verletzt und ungläubig waren wie die eines geohrfeigten Kindes. Und auf einen Schlag war er ein Kind; das Kind aus Shikamarus Erinnerungen, die Fäuste erhoben, um sich gegen Asumas schwache und flüchtige Hiebe zu verteidigen, während er keinerlei Anstalten machte, seinen Sensei anzugreifen. 

 

‚Chōji! Kämpf, du Feigling!‘

 

Asumas Knöchel trafen hart. Und sogar damals hatte Shikamaru verstanden, dass Chōji anzugreifen niemals der richtige Weg war, denn…

 

‚Es liegt nicht daran, dass Chōji Angst hat. Er will Asuma-sensei nicht auf die Weise verletzen, wie er jetzt verletzt ist.‘

 

Jetzt. 

 

Jetzt im Moment. 

 

Shikamaru umfasste seine Hände noch krampfhafter und bemühte sich, seine Handlungen in den Griff zu bekommen. Seine Nasenflügel bebten gegen das Stechen von Salz, das sich einen Weg bis hinauf in seine Nase und hinter seine Augen brannte. Seine Brauen hoben sich trocken. „Ich habe kein Problem damit, direkt zu dir zu sein. Als tu mir den Gefallen und sag einfach, was du denkst.“

 

Chōji presste die Lider aufeinander und trat mit hängenden Fäusten von ihm weg bis zum Rand des Pavillons; mit Waffen, die er nicht einsetzen würde. Auch seine Worte konnten nicht wirklich tief schneiden, da sie immer weich waren von Sorge, Sanftheit, Güte…

 

‚Er ist freundlich und gütig. Bis in seinen innersten Kern.‘

 

Schmerz stieg hinter Shikamarus Augen auf, bevor sie sich zu zwei dunklen Schlitzen verengten und die Feuchtigkeit zu einem silbernen Faden über seinen Wimpern zusammenschnitten. „Sag es, Chōji“, biss er hervor, während er gegen sein Herz kämpfte und seinen Freund durch Willen allein dazu zu zwingen versuchte, ihn darauf anzusprechen, ihn zu erwischen…ihm nachzujagen. „Asuma ist nicht hier, um dir den Kopf zu tätscheln oder deine Hand zu halten.“

 

Chōji schlug mit der Faust gegen eine der Schmetterlingssäulen und grub seine Knöchel in das Holz. Er schüttelte den Kopf. „Aber wir sind immer noch hier, oder nicht?“ Und dann fügte er sanfter hinzu: „Bist du es nicht?“

 

Shikamaru spürte, wie die Tränen brannten, ignorierte sie aber und schob sich auf die Füße, wobei er den Kaffee umstieß; schwappend verteilte er sich schwarz und kalt auf den Steinen. „Verdammt, Chōji“, knurrte er und stach mit einem Finger in Richtung der Akimichi Residenz. „Wenn Ino pissig auf mich ist, wenn du pissig auf mich bist, dann seid auch pissig auf mich!“

 

„Wir sind nicht pissig auf dich“, sagte Chōji rau und seine Knöchel rieben härter; rissen Fleisch auf und ließen Holz splittern. „Aber es ist, als würdest du das von uns wollen. Als würdest du…“ Seine Stimme erstarb zu einem Wispern und erstickte beinahe an seinen nächsten Worten. „Es war nicht deine Schuld, Shikamaru.“

 

Schmerz; wie ein schraubstockartiger Griff an seiner Kehle.

 

Atme.

 

Ein rauer, bebender Atemzug und Shikamarus Augen kletterten zurückhaltend aufwärts, als er versuchte, die Tränen zurück zu drängen. Er stierte mit verkrampftem Kiefer auf die tropfenden Dachrinnen; die Luft wie ein schaler Stein in seiner Kehle. „Chōji“, krächzte er leise und heiser. 

 

Chōji lehnte sich auf seine Faust; die kraftvollen Muskeln seiner Schultern hoben sich zu zwei wogenden Bergen, zitterten unter dem Gewicht von Emotionen und luden sich mit mehr Schmerz auf, als Shikamaru ertragen konnte zu sehen, wie er ihn mit sich trug.

 

Und DU hast ihn dort abgeladen.

 

Shikamaru erstarrte und sein Zorn blutete fort. 

 

Du hast das auf deinem besten Freund abgeladen…

 

Übelkeit rammte sich in ihn, prügelte allen Atem aus seinen Lungen. Fast hätte er sich mit den Händen auf den Knien vornübergebeugt. Galle kroch seine Kehle hinauf; ein erstickendes Feuer. Er hob die Hände, starrte sie an, dann auf Chōjis Rücken, als erwartete er, eine Klinge dort vorzufinden; hineingestoßen und festgehalten von Schattenhänden, die sich um den Griff legten, drehten und den Schmerz noch tiefer trieben. 

 

Du hast das deinem besten Freund angetan…was für ein Bastard bist du eigentlich?

 

Die schlimmste Art. Die Art, die es besser wusste und weit weniger verdient hatte. Asuma hatte ihm einmal gesagt, er solle die Last teilen, aber wenn das der Preis dafür war, dann war für nichts auf der Welt bereit, ihn auch zu zahlen. Nicht jetzt und niemals wieder.

 

Shikamaru wischte sich über die Augen und trat mit einem zaghaften Schritt nach dem anderen hinter den Akimichi. „Chōji“, hauchte er. „Es tu-“

 

„Es war nicht deine Schuld…“, sagte Chōji ihn mit tränenschwerer Stimme. „Asuma wa-“

 

„Asuma würde mir in den Arsch treten dafür, dass ich so ein Trottel bin“, erwiderte Shikamaru und unterbrach seinen Freund rasch, um eine Absolution zu vermeiden. Er wollte keine Vergebung für das, was er getan hatte, aber verdammt, er wollte es wieder richten. Langsam schlang er einen Arm um die breiten Schultern seines Kumpels und hakte seinen Ellbogen um Chōjis kräftigen Stiernacken, bevor er zaghaft daran zog. „Hey, komm schon. Du wirst dich nicht besser fühlen, wenn du dir die Faust brichst.“ Und mit einem Schnauben fügte er hinzu: „Vertrau mir, ich weiß, wovon ich rede.“

 

Vertrauen war etwas, mit dem Chōji noch nie ein Problem gehabt hatte, es zu geben; von ganzem Herzen und ohne Fragen. Es traf Shikamaru heftig zu sehen, wie leicht sich sein Freund in seinen Griff entspannte und den Kampf aufgab; ganz so, als hätte der Schattenninja ihn nicht provoziert. 

 

„Ich würde meine Faust durch hunderte Mauern schlagen, bevor ich dich schlage, Shikamaru.“

 

Zeit zog sich zusammen; ein Streifen aus Erinnerung blätterte von den Wänden in Shikamarus Geist, um Kindheitserinnerungen zu offenbaren, die er an Stellen aufbewahrte, die weit mehr geschützt waren als sein Kopf. Die viel empfindlicher waren. Zwei Kinder, die ihre Hände ausstreckten, die Zeigefinger in dem Äquivalent eines Versprechens ineinander verhakt. 

 

Du bist mein bester Freund, weißt du das?

 

Shikamaru zog den Kopf ein und verstärkte seine Umklammerung um Chojis Nacken in einem kurzen Zudrücken. Der Akimichi zuckte leicht vor Überraschung zusammen, aber er kannte Shikamaru gut genug, um die Umarmung nicht zu erwidern und ihn somit in Verlegenheit zu bringen. Ohne Aufhebens oder zusätzliche Unbeholfenheit akzeptierte der Akimichi die vollkommen untypische Geste auf diese sanfte und anspruchslose Weise, auf die er alle Handlungen des Schattenninjas akzeptierte; ob richtig oder falsch, zum Guten oder Schlechten – er ging einfach mit den Schlägen, die Fäuste erhoben, aber sie nie schwingend. 

 

Du bist mehr als nur mein bester Freund. Du bist die beste Person, die ich kenne…

 

Und allein dafür schuldete Shikamaru ihm mehr, als er jemals geben konnte. 

 

Ich werde dich nicht wieder hängen lassen. Dich oder Ino.

 

Langsam zog er den Arm zurück, blieb aber wo er war, um neben Chōji zu stehen. Ihre Schultern berührten sich und gemeinsam sahen sie hinaus in den Regen. Nach einer Weile räusperte er sich und murmelte in die Stille: „Schätze, ich schulde euch beiden heißes Schweine-Soba.“

 

Chōji lachte leise und rieb sich mit dem Unterarm über die Augen. „Klingt gut finde ich, aber Ino wird es nicht anrühren.“ Bei Shikamarus fragenden Blick zuckte er mit den Achseln. „Sie ist schon wieder auf einer neuen Diät.“

 

Ah.

 

Was bedeutete, dass jeder Laden, der Gerichte mit mehr als fünfhundert Kalorien oder fünf Gramm Fett servierte, außer Frage stand. Shikamaru kratzte sich die Nasenwurzel und strich mit den Fingern über eine Augenbraue, als er über Alternativen nachdachte. 

 

Viel zu lästig.

 

„Schätze, dass ich sie dann einfach mit dem Schattenbesitz durch die Gegend ziehen muss. Du kannst dann das Zwangsfüttern übernehmen.“ Chōji lachte und der Klang davon erwärmte Shikamaru so sehr, dass er die Belustigung mit einem schiefen Lächeln erwiderte. „Ist schon lustig, dass du denkst, ich scherze.“

 

„Als würdest du das tun.“

 

Es gibt immer ein erstes Mal…

 

Wobei sich das erste Mal sehr gut auch als das letzte Mal herausstellen könnte, wenn Ino immer noch pissig auf ihn war. Shikamaru trödelte noch etwas am Rand des Pavillons herum und wippte in einem Moment des Zögerns auf den Ballen vor und zurück, bevor er hinunter auf den nassen Kies sprang und in einem faulen Trotten zurück zum Haus schritt. 

 

„Bereite schonmal mein Grab fertig“, rief er über die Schulter. 

 

„Whoa, warte. Du willst das wirklich machen?“ Chōji blieb zurück und trat nervös von einem Fuß auf den anderen; unfähig, sich davon abzuhalten, ihm nachzurufen. „H-hey! Brauchst du vielleicht Hilfe?“

 

Shikamaru lächelte leicht und hob eine Hand in einem Rückwärtswinken. „Ich pack das schon.“

 

Was für ein blasierter Schwachsinn. Asuma hätte es direkt durchschaut. Und unglücklicherweise schien der subtile Einblick des Sarutobis abgefärbt zu haben, denn Chōji und Ino begannen es ebenso zu durchschauen. Bereits seit seinem Geburtstag hatte Shikamaru dasselbe Gefühl von Transparenz verspürt, das sich festzusetzen begann, wenn er mit seinen Teamkameraden zusammen war. Er musste dringend einen Weg finden, das zu reparieren, ohne die beiden von sich zu stoßen oder sich in die Schatten zurück zu ziehen. 

 

Ich werde tun, was auch immer ich tun muss, um sie zu schützen.

 

Denn sie mussten nicht den Teil von ihm sehen, den Asuma zu Gesicht bekommen hatte. 

 

Damit werde ich sie nicht belasten, Sensei…

 

Außerdem; je weniger sie wussten, umso weniger musste er sich erinnern. Und je weniger er sich erinnerte, desto weniger musst er wegrennen. Und wenn er jetzt wegrannte…

 

‚Renn nicht weg.‘

 

Das werde ich nicht.

 

Trotz all seiner gebrochenen Versprechen und verfehlten Pläne, hatte er sich in der Nacht von Asumas Bestattung geschworen, dass er nicht mehr wegrennen würde. Ein Versprechen, das er mit dem Begräbnis von Hidan besiegelt hatte; einer Tat, die viel tiefer ging als bloße Rache. Als er in die Flammen und die Trümmer gestarrt hatte, hatte er gewusst, dass er weit mehr als nur den Mörder seines Senseis in dieses Grab geschickt hatte, denn in diesem Vorgehen hatte er auch einen Teil seines Selbst beigesetzt. 

 

Wache über meine Vergangenheit, Sensei. Halte sie begraben in den Schatten…wo sie immer schon hingehört hat. 

 
 

~❃~
 

 

‚Ich würde niemanden in der Vergangenheit begraben, egal ob tot oder lebendig, von dem ich glaubte, er hätte einen signifikanten Part dabei gehabt, mich zu der Person zu machen, die ich heute bin. Ich würde meine eigene Entwicklung entehren, wenn ich mich weigern würde, die Menschen und Orte anzuerkennen, die mich bis zu diesem Moment gebracht haben.‘

 

Als sie über Nejis Worte nachdachte, beschwor Ino ein Bild des toten Mannes herauf, dessen kleiner aber durchaus bedeutender Part in ihrer Vergangenheit sie zu diesem derzeitigen Moment gebracht hatte. Sie verharrte am Türrahmen zum Reich ihrer Mutter; ein großer luftiger Raum, der der Kunst des Ikebana gewidmet war. Ein riesiger Eichentisch dominierte den Arbeitsplatz und war überladen mit Floristikwerkzeug und Haufen von Stängeln, Zweigen, Blumen und Blättern. An den Seiten des Raumes standen in eleganter Ruhe diverse Blumengestecke; manche aufrecht, manche schräg, alle perfekt hergerichtet, makellos ausbalanciert und die Gestaltung so präzise…

 

So ordentlich. So hübsch. So perfekt. 

 

Ino biss sich auf die Lippe und hob eine Hand, um ein paar verirrte Strähnen aus ihrem Gesicht zu streichen und tadelte sich selbst dafür, dass sie dem Drang nachgegeben hatte, es zu kämmen. Von solch makelloser Schönheit umgeben fühlte sie sich wie das hässlichste Unkraut, während sie ihren Blick zu der Frau wandern ließ, die die pure Eleganz und Haltung personifizierte, die in jedem einzelnen Blumenarrangement festgehalten war. 

 

Ihre Mutter. 

 

Yamanaka Sayuri saß an der linken Seite des Tisches, ihre anmutige Gestalt in blaugrüne Seide gehüllt, die jede schlanke Linie betonte. Keine Kurven, nur weiche Winkel; veredelt wie ein ausgestellter Kristallstab. Sie bewegte sich mit der Finesse einer Geisha, pflückte Blätter von einem zarten Mimosenzweig und die winzigen violetten Blütenköpfe zitterten mit jedem kräftigen Zupfen. Ein weiterer Tag des Strebens nach ästhetischer Perfektion. 

 

Ino strich mit den Händen über das riesige formlose Shirt, in das sie wieder geschlüpft war und glättete den knittrigen Stoff, der sämtliche Details ihres Körpers verbarg. „Mom…“

 

Blassbraune Augen hoben sich und verengten sich in unmittelbarer Missbilligung, als Sayuri ihre Tochter flüchtig von Kopf bis Fuß musterte und sich ihre Brauen zu einem Stirnrunzeln zusammenzogen. „Liebling, Daddy hat dir eine vollständige Garderobe geschenkt und dennoch bestehst du darauf, diese abgelegte Scheußlichkeit zu tragen.“
 

Inos Gesicht errötete zu einem gesprenkelten Rosa. Mit den Fingern nestelte sie am Saum des übergroßen Oberteils. „Jo, ich-“

 

Ja“, artikulierte Sayuri überdeutlich in einem Zischen. 

 

„Ja“, korrigierte sich Ino rasch und entblößte in einem gezwungenen Lächeln die Zähne. „Ich werde es auch zurückgeben.“ Sie rieb den Stoff zwischen den Fingern. „Aber es ist ziemlich bequem zum Faulenzen.“

 

Sayuri schnaubte grazil und wandte sich wieder ihren Blumen zu. „Es ist nicht gut für dich, faul zu sein, Ino. Eine Frau kann es sich niemals leisten, selbstgefällig zu sein. Erinnerst du dich, was ich dir darüber gesagt habe, stets auf alles vorbereitet zu sein? Du weißt schließlich nie, wer vorbei kommen könnte.“ Sie hielt inne und ein listiges Lächeln verzog ihren Mund. „Hyūga Neji, zum Beispiel?“

 

Ino spürte, wie sämtliche Farbe aus ihren Wangen wich und wünschte sich, sie könnte noch tiefer in die Geborgenheit von Chōjis Shirt hinein schrumpfen. „Es ist nicht was du denkst, Mom. Ich helfe ihm nur bei seinem Training.“

 

Sayuri schmunzelte summend dieses ganz eigene, nachsichtige Lächeln, das Erwachsene gerne ahnungslosen Kindern schenkten. „Natürlich, Liebes.“

 

Ino presste die Lippen aufeinander. Es hätte keinerlei Sinn, die Meinung ihrer Mutter in dieser Angelegenheit herauszufordern. Zuzugeben, dass Hyūga Neji in etwa so viel Interesse an ihr hatte wie daran, welche Farbe ihr Nagellack zurzeit hatte, würde nur geradezu um eine Predigt mütterlicher Ratschläge betteln, die ihr sagten, wie sie am besten die Aufmerksamkeit des gutaussehenden Jōnin auf sich ziehen konnte. Sie war nicht hierher gekommen, um sich von den scharfen Augen und der schneidenden Zunge ihrer Mutter zurecht stutzen zu lassen. 

 

Sie macht das, weil sie dich liebt, weißt du.

 

Sie glaubte es vollkommen; hielt sich an dieser blühenden Hoffnung fest und ignorierte all die Dornen, die sich in ihr Herz gruben. Sie sah zu, wie ihre Mutter ein Anthurienblatt musterte, jede breite und wächserne Kurve betrachtete und mit den Fingern über die herzförmigen Kanten strich. Solch akribische Aufmerksamkeit für eine zarte und ordentliche Form. 

 

„Wie ist Naoki gestorben?“ Die Worte explodierten aus Inos Mund; keine Zartheit, keine ordentliche Form. Entsetzt widerstand sie dem Drang, sich die Hand vor den Mund zu schlagen. 

 

Für einen schrecklichen Augenblick verharrte Sayuri genau in der Haltung, in der sie innegehalten hatte; mit einem Stiel halb in den Steckschaum geschoben. Sekunden später machte sie weiter und drehte die Anthurie, bis sie in die richtige Richtung blickte, bevor sie sich auf ihrem Stuhl aufrichtete und einen weichen Zweig Federspargel aufnahm. „Wie entsetzlich, so etwas zu fragen“, sagte sie. 

 

Ino zuckte zusammen, als wäre sie geschlagen worden. 

 

‚Mommy, warum halten du und Daddy keine Händchen mehr?‘

 

‚Wie entsetzlich, so etwas zu fragen!‘

 

Während sie sich mit einer Hand den Hals hinauf strich, krümmte Ino die Finger und schluckte hart. „Warum?“, drängte sie leise. „War es ein entsetzlicher Tod? Ist das der Grund, aus dem ihr es mir nie erzählt habt?“

 

„Ino“; so weich ausgesprochen und doch mit einer subtilen Kante. Ihre Mutter wusste ganz genau, wie sie ihre Missbilligung übermittelte; zart, gefährlich. „Du warst ein kleines Mädchen. Ich bin überrascht, dass du dich überhaupt an ihn erinnerst.“

 

„Ist es denn so falsch, sich an ihn erinnern zu wollen?“

 

Sayuri musterte den farnartigen Zweig, legte ihn beiseite und schüttelte den Kopf. „Eher Rosen, glaube ich.“

 

Ino biss die Zähne zusammen. „War er nicht Familie? Wir waren verwandt.“

 

Entfernt verwandt“, stellte Sayuri klar und stutzte das Blutsband hinunter auf einen dünnen Faden. „Ihr standet euch nicht einmal nahe.“

 

Als wäre ein kostbares Spielzeug aus einer Erinnerungsbox stibitzt worden, fühlte sich Ino, als wäre sie wieder sechs Jahre alt. „Aber er hat mit mir gespielt, als ich ein Kind war.“

 

„Er hat für uns auf dich aufgepasst, Ino“, erwiderte Sayuri schneidend. „Um Himmels willen, wir haben den Jungen dafür bezahlt.“

 

„Er hat mir dieses Bild gemalt.“

 

„Ich habe es in Auftrag gegeben.“

 

Weggeschnappt. Fort. Setzlinge dummer kindischer Phantasien, die weggefegt wurden…

 

‚Er hat es extra für mich gemalt.‘

 

Inos Finger fielen von ihrem Hals und krallten sich in den tiefroten Stoff, als sich ihr Herz in ihrer Brust verdrehte. „Aber…ich dachte…“

 

Seufzend schnitt Sayuri das Ende von einem Rosenstiel. „Ino. Du weißt, wie sehr ich diese Gemälde geliebt habe. Ich wollte, dass du dich auch besonders fühlst, also habe ich ihn gebeten, es zu malen. Er wusste, wie viel es mir bedeuten würde.“

 

DIR?

 

‚Er hat es extra für mich gemalt.‘

 

Ino schüttelte den Kopf und sog bebend die Luft ein. „Aber er hat mit mir gespielt, hatte Interesse an mir“, beharrte sie und betrat das Zimmer; betrat ein Territorium, das sie nie hatte erkunden wollen und nicht verstehen konnte, warum das so war, als sie mit jedem Wort an Schwung zunahm. „Ich war ihm vielleicht nicht wichtig, aber er war mir wichtig.“

 

„Jetzt bist du einfach nur kindisch.“

 

„War er überhaupt wichtig für dich und Daddy?“

 

Sayuri ließ die Rose fallen und eine Hand hob sich flatternd zu dem großen Aquamarin, der um ihren Hals hing. Sie durchbohrte Ino mit den verletzten Augen eines Opfers; ein Blick, den sie schon unzählige Male auf Inoichi gerichtet hatte. „Du boshaftes Mädchen. Natürlich war er wichtig.“ Sie schüttelte völlig entsetzt darüber den Kopf, so zu Unrecht beschuldigt zu werden. Mit zitternden Fingern hob sie die gefallene Rose auf. „Wie kannst du nur so etwas Bösartiges-“

 

„Mutter, bitte“, wisperte Ino und die Formalität war dabei ebenso krampfig wie ihre Stimme. „Bitte sag mir einfach nur, wie er gestorben ist.“

 

„Ehrenhaft.“ Die Antwort war flach und endgültig. Und genauso stoppte Sayuris Zittern. Während sie sich aufrichtete und den Kopf in einer Geste herumschwenkte, an die sich Ino aus ihrer Kindheit erinnern konnte. Gleichzeitig strich sie sich über die Rückseite ihrer kunstvollen braunen Frisur, um imaginäre gelöste Strähnen zu glätten. „Er ist gestorben, als er seine Pflicht getan hat. Und am Ende ist das das Einzige, was wichtig ist. Wie dir mit Sicherheit sehr gut bewusst ist.“

 

Ino runzelte die Stirn; aus dem Konzept gebracht von dieser Aussage. „Sehr gut bewusst?“

 

Sayuri wandte sich wieder ihrem Blumenarrangement zu und schob präzise wie ein Chirurg einen weiteren Stängel in den Schaum. Ein leichtes Zupfen und Drehen und sie wandte sich wieder Ino zu; bedacht darauf, ihre Knie zusammenzuhalten und sie im korrekten, damenhaften Winkel zu neigen. Als sie ihre Hände in ihrem Schoß faltete, blieben ihre Züge vollkommen gefasst und undurchlässig für das wässrige Starren ihrer Tochter. „Liebling, ich weiß, dass du Asuma vermisst.“

 

Was…?“, hauchte Ino; fassungslos über diese grausame und plötzliche Fehlleitung. Tränen stiegen schlagartig und heiß und zornig auf. Sie nahm einen scharfen Atemzug und bemühte sich, wieder zum Thema zurückzukehren. „Das ist nicht der Grund, warum ich-“

 

„Doch“, schnitt Sayuri ihr das Wort ab. „Ich denke schon. Aber nur, weil du Kummer hast und verletzt bist, ist das keine Entschuldigung dafür, in dem Rest von uns schmerzhafte Erinnerungen zu wecken.“

 

Selbst wenn sie Worte gehabt hätte, um darauf zu antworten…Ino konnte sie nicht um den dichten Knoten aus Tränen herum zwingen, der in ihrer Kehle feststeckte. Ihre Luftröhre hatte sich verschlossen und ließ nichts hindurch außer einen dünnen Atemstrom. Die erste Träne fiel heimtückisch langsam. 

 

„Oh, Ino.“ Sayuri erhob sich von ihrem Stuhl und blütenblättrige Lippen welkten in elegantem Mitgefühl. Mit ausgestreckten Armen trat sie nach vorn und umfasste das Gesicht ihrer Tochter mit dünnen, juwelenbesetzten Händen. „Genau wie dein Vater. Was mach ich nur mit euch beiden?“ Sie küsste Inos Stirn und schob die langen goldenen Strähnen mit der Rückseite ihrer Finger fort, bevor sie die Enden eindrehte und die Locken neu arrangierte wie Büschel in einem Blumengesteck, um eine tränenbenetzte Wange zu umrahmen. „Morgen wird dir alles heller erscheinen. Geh jetzt und mach dich frisch, Blütenblatt. Es stört mich, dich so zu sehen.“

 

Verärgere Mommy nicht…, wisperte die kindliche Stimme. Sie wird wieder einen ihrer Anfälle haben…

 

Ino stierte ihre Mutter an; ihre Tränen standen wie eine Mauer zwischen ihnen. 

 

Offensichtlich fasste Sayuri Inos Schweigen als Reue auf, denn sie lächelte milde. „Das ist mein süßes Mädchen. Und gib das da endlich zurück.“ Sie zupfte an Inos Shirt als wäre es hartnäckiges Unkraut. „Du magst ja vielleicht die Tochter deines Vaters sein, aber wir können dich ja nicht wie ein Junge rumlaufen lassen, nicht wahr?“

 

Wenn Sayuri sonst noch etwas sagte, dann hörte Ino es nicht. Sie sah ja kaum noch durch das verwaschene Netz aus Farben, wie die Gestalt ihrer Mutter davon schwebte; zurück zum Tisch, zurück zu den Blumen, zurück zu diesen perfekten, ordentlichen Formen…

 

Sie macht das, weil sie dich liebt, weißt du. 

Ino drehte sich um als befände sie sich in Trance; benommen und desorientiert. Langsam streckte sie eine Hand aus, fühlte den Türrahmen und trat hinaus in den Korridor, während ihre Finger über die Wand kratzten und nach einer Stütze suchten. Sie versuchte nach Luft zu schnappen und erstickte beinahe. Eine Dringlichkeit zu entkommen trieb sie voran und sie spürte, wie sich ihre Füße rasch bewegten; blanke Sohlen strichen in schnellen Schritten über trockene Tatamimatten, über die Türschwelle auf nasse Dielen und durchweichten Rasen…Gras kitzelte ihre Knöchel, der feuchte Saum des Shirts hing schwer um ihre Knie…Regen in ihrem Haar…Feuer in ihren Augen…es flutete in heißen Strömen ihre Wangen hinab…Emotionen wirbelten…die Welt drehte sich…

 

Und dann ein Zusammenstoß mit etwas Schwarzem und Festem, das still dastand…

 

„Ino.“

 

Ihr Kopf ruckte nach oben und sie stierte durch eine Mauer aus Tränen und einen Schleier aus Regen in dunkelbraune Augen, die schärfer geschnitten waren als Dornen. Entsetzen; es wusch eiskalt über sie hinweg. Weitäugig und eingefroren starrte sie; wartete darauf, dass sich all die Anzeichen von Ablehnung auf seinem Gesicht zeigten, seine Wangen straff zogen und seine Lippen zu einer dünnen Linie verzerrten. 

 

Wie Ranken legten sich seine Arme um sie. 

 

Geschockt stand Ino stocksteif da…jeder Muskel auf den Schubs vorbereitet, der sie letztendlich zersplittern lassen würde. Sie wartete auf das Wegschieben, die kalte Schulter, unter Füßen zermahlen zu werden, wenn er sich auf dem Absatz umdrehte und einen Ausweg suchte. 

 

Sie spürte, wie ihre Knie zitterten und ihr Herz pochte…

 

Und dann spürte sie sein Kinn auf ihrem Scheitel und einen sanften weichen Atem über ihr Haar. „Weißt du“, murmelte Shikamaru. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das gerade richtig mache. Ich hab das mal in einem Film gesehen.“

 

Erleichterung…so übermächtig, dass es ihr die Kraft aus den Knien raubte. Ino lachte; ein heiseres Beben von Atem, das sich in ein Schluchzen verwandelte. Sie schlang ihre Arme um ihn, grub ihre Finger in seinen Rücken und ließ die perfekte Welt und die ordentliche Form direkt zur Hölle fahren, als sie schließlich zusammenbrach. 

 

Und Shikamaru zog sie wieder nach oben und lehnte sie an sich. 

 

Benommen schüttelte Ino ihren Kopf in stummen Unglauben und war sich dabei vage bewusst, dass sich sein Kinn hob und senkte, um sich ihren Bewegungen anzupassen. Shikamaru? Der entgegenkommend war? Witzig, wie sich die Welt auf den Kopf stellen konnte, obwohl sie auseinander fiel. Vielleicht würde es in einer Minute ja auch Sinn machen. Sie würde aufwachen und das alles wäre nur ein grausamer Traum gewesen. Genau wie der, in dem Asuma so beiläufig am Ende ihres Bettes gesessen und Weisheiten geteilt hatte, an die sich nicht erinnern konnte. Ja, das erklärte es. Sie würde aufwachen und Shikamaru wäre nicht hier. Er wäre zurück in ordentlicher Form, anwesend aber unerreichbar, da er sie und Chōji immerzu auf Armeslänge auf Abstand hielt. 

 

Seine Arme zogen sich um sie herum leicht zusammen. „Lästiges Mädchen“, sagte er sanft; ohne den Biss, ohne die Unbeholfenheit. 

 

Eine frische Flutwelle aus Tränen und Ino drückte ihre Wange gegen seine Brust, fühlte das stete Klopfen seines Herzschlages, das Heben und Fallen seiner Atmung. Sie klammerte sich an ihn, verfluchte sich selbst dafür, dass sie Unterstützung brauchte und verfluchte Shikamaru dafür, dass ausgerechnet er es war, der sie ihr gab. Er würde sie ihr nur wieder wegschnappen, sie zappelnd und sich töricht vorkommend zurücklassen. 

 

Aber sie hatte nicht die Kraft, ihn von sich zu schieben. 

 

Als würde er ihren inneren Kampf bemerken, neigte Shikamaru leicht den Kopf. „Hey“, murmelte er. „In der Not frisst der Teufel Fliegen, richtig?“

 

Heftig schniefend ließ Ino ihren Kopf gegen seine Brust sacken, atmete tief durch und versuchte, etwas von ihrer schnippischen Art zusammenzukratzen, doch ihre Stimme brach so oder so. „Du schuldest mir was“, wisperte sie. 

 

Kein bissiger Kommentar, kein langes, leidendes Seufzen. Nur ein steter Schlag tief in seiner Brust, gefolgt von einem Murmeln, das so leise war, dass sie es beinahe nicht gehört hätte. „Ich weiß.“

 
 

~❃~
 

 

Er kannte das Muster, erkannte das Spielprinzip und konnte sich den Plan vorstellen.

 

Silber anstreben.

 

Er hatte es schon einmal gesehen, genauso ausgelegt wie hier; all die Teile in Position, eine eingefrorene Nachstellung dessen, was an diesem Tag geschehen war.

 

„Verdammt, Junge…“, seufzte Shikaku. 

 

Ein Flattern von Flügeln. 

 

Tropfen sprühten von hinten über die Tatamimatten. 

 

Shikaku spähte über die Schulter und sah zu, wie der Wanderfalke kühn die Veranda entlang direkt bis zur Türschwelle hoppelte. Die Schwingen an die Seiten gezogen beugte der Vogel den Kopf zwischen Shikakus Beine und versuchte schiefäugig, an dem Nara Ältesten vorbei und in die Leere des Gästezimmers zu sehen. 

 

Amüsiert neigte Shikaku ebenfalls den Kopf und eine seiner dunklen Brauen hob sich. „Keine Brotkrumenspuren, hmn?“

 

Der Vogel sah auf und stieß ein leises Kee aus, während sich seine Federn in dem aviären Äquivalent eines Achselzuckens aufplusterten. Shikaku lachte leise und rau, schob eine Hand in seine Tasche und zog einen Hirschkeks zwischen zwei langen Fingern hervor, mit dem er vor und zurück wedelte. Fasziniert folgte der Vogel der Bewegung. Shikaku fuhr mit dem Schwung fort, gefangen in der Bewegung seines Schattens, der von Seite zu Seite schwankte…fühlte das Pendulum eines Hypnotiseurs, das in seinem Verstand schwang…und seine Augen wurden glasig und abwesend von Erinnerung. 

 

„Er ist schon wieder total abwesend und bekommt so glasige Augen.“

 

„Genau wie du.“

 

„Nein. Das bin nur ich, wie ich energisch darüber nachdenke, wie ich dieses Kind bespaßen soll.“
 

„Du solltest lieber energisch darüber nachdenken, wie du seine ersten Schritte bespaßt.“

 

„Ich habe dir schon gesagt, ich kann das jederzeit beschleunigen.“

 

„Shikaku, du wirst unser neun Monate altes Kind sicher nicht mit dem Schattenbesitz belegen.“

 

„Es wird ihm Spaß machen. Es wird mir Spaß machen.“

 

Yoshino bedachte ihn über den Rand der Kühlschranktür hinweg mit einem langen, flachen Blick. „Nein.“

 

Shikaku hob kapitulierend die Hände, nur um sofort nach vorn zu zucken, als Shikamaru in seinem Schoß nach hinten kippte. Er fing seinen Sohn an der Hüfte ab; starr wie ein Mann, der eine Zeitbombe hielt. Kopfschüttelnd stieß er seinen angehaltenen Atem aus. „Hast du das gerade gesehen?“, er hob die Brauen in Richtung seines Sohnes. „Das ist durchtrieben.“

 

„Ich schätze mal, das hat er von dir“, murrte Yoshino und kehrte wieder zum Kühlschrank zurück, da sie beim ersten Anzeichen eines Problems sofort nach von geeilt war. „Erinnere mich nochmal daran, warum genau ich in deinen Clan eingeheiratet habe?“

 

„Ah, das ist leicht.“ Shikaku wippte auf den Knien, hielt Shikamaru in die Luft und brachte ihn dann gleich wieder nach unten, um grinsend seine kleine Stupsnase zu küssen. „Nara Männer haben alle Wege gemeistert, ein Bett zu benutzen.“

 

Yoshino schnaubte. „Als wüsste ich das nicht.“

 

„Das will ich doch hoffen, Liebes“, sagte Shikaku gedehnt. „Ich habe nämlich nicht von Mittagsschläfchen gesprochen.“

 

„Shikaku!“

 

„Entspann dich, Weib.“ Lachend kniete er sich weiter nach unten und setzte Shikamaru auf einer großen Spielmatte ab, die übersät war mit einer Vielzahl an Spielzeugen, die hauptsächlich auf Bildung und Lernen ausgerichtet waren. Yoshino hatte sie speziell dafür ausgewählt, um eine frühe Entwicklung sensorischer, numerischer und sprachlicher Fähigkeiten zu fördern; manche schimmernd, manche quietschend, die meisten weich und alle sicher, um darauf herum zu kauen. 

 

Shikaku griff sich ein Spielzeug, das zum Kuscheln gedacht war; ein schlaksig wirkender ausgestopfter Hirsch. Er versuchte, dem Tier Leben einzuhauchen, legte seine Finger hinter den Kopf des Hirsches und stupste das schlaffe Geweih spielerisch gegen Shikamarus Füße. Reflexartig zogen sich die kleinen Zehen ein, doch Shikamaru blinzelte nur schläfrig und seine kleinen Lider schwebten auf Halbmast. 

 

„Nicht beeindruckt, hmn?“, kicherte Shikaku und beugte sich vor, um seinen Sohn auf die Stirn zu küssen, wobei sein Bart ein Nießen und dann ein Stirnrunzeln bei dem Kind auslöste. 

 

Mit einem griesgrämigen Schmatzen ließ sich Shikamaru seitwärts auf den Bauch fallen und stieß ein langes krächzendes Wimmern aus, das auf Tränen vor der Schlafenszeit hindeutete. 

 

Yoshino fing das Geräusch auf und wurde sehr still. „Shikaku?“

 

Das Gesicht verziehend streckte sich Shikaku neben seinem Sohn aus, stellte einen Ellbogen auf und stützte seinen Kopf in eine Handfläche. Mit den Fingern strich er durch das kleine Haarbüschel stacheliger Strähnen, das von Shikamarus Kopf abstand, sodass sie am Ende noch mehr zu Berge standen. „Sei ein bisschen nachsichtig mit deinem alten Herrn, hmn?“

 

Shikamaru blinzelte zu ihm auf und begann sich zu winden, während er das Gesicht abwandte. 

 

Seufzend legte Shikaku eine große Hand auf den Rücken seines Sohnes und sein Daumen klopfte zaghaft direkt unterhalb von Shikamarus Nacken. Eine beruhigende Berührung, die von einem leisen ‚ssh‘ begleitet wurde, das, nach ein paar Minuten, scheinbar den Zweck erfüllte, den Jungen mit Schlaf einzulullen. 

 

Oder zumindest hatte er das gedacht. 

 

Doch als sich Shikaku vorbeugte, bemerkte er, dass Shikamarus Augen weit offen waren; eingefroren in einem Starren. Shikakus Herz blieb ruckartig in seiner Brust stehen. Sein Kopf zuckte aus seiner Handfläche und sein Verstand überschlug sich mit Panik, bis ihm klar wurde, dass ja, Shikamaru atmete noch immer und nein, er stierte nicht einfach nur leer ins Nichts…tatsächlich war das Kind äußerst wachsam und hatte alle Aufmerksamkeit auf die gegenüberliegende Wand fixiert. 

 

Und erst als Shikaku den Blick hob, realisierte er, warum…

 

Shikamaru beobachtete ihre Schatten. 

 

Erleichterung; gefolgt von einem Nervenkitzel, der durch Shikakus Blut kribbelte wie eine Mischung aus Stolz und Aufregung. Und gleich darauf kam der vertraute Strom von Chakra. Mit einem langsamen Schmunzeln hob er die Hand und fing an, Schattenpuppen zu formen. 

 

Gebannt sah Shikamaru zu, wie sich Ranken von der Wand schälten und in trägen Windungen und Drehungen auf ihn zu schlängelten. Der Bub wackelte mit den Zehen und streckte leise glucksend eine kleine Hand nach den Schatten aus. Unglaublich, wie reaktionsfreudig er zu sein schien mit seinen leuchtenden und weit offenen Augen und den Lippen zu einem zahnlosen Grinsen erhoben, wobei sich Grübchen in seine weichen runden Wangen gruben. All diese winzigen Gesichtszüge spielten mit mehr Ausdruck und glücklicher Aufregung, als Shikaku je zu hoffen gewagt hatte, es einmal zu sehen. 

 

Leise lachend sah er auf, um dem Blick seiner Frau zu begegnen. 

 

Das Lächeln fiel schlagartig von seinen Lippen. 

 

Yoshino stand wie erstarrt am Küchentresen und eine Hand packte heftig die marmorne Kante, während die andere fest um den Griff eines Küchenmessers gelegt war. Ihr Puls schlug sichtbar in ihrem Hals, die Lippen geöffnet und kein Atem wurde eingesogen oder entwich. Diese schönen braunen Augen – so voller Furcht – waren auf ihn fixiert und sahen ihn an, als wäre er ein Fremder in ihrem Heim; eine Gefahr für ihr gemeinsames Kind. 

 

„Was machst du da?“

 

Bei dem Klang von Yoshinos Stimme wandte sich Shikaku um. 

 

Die Wucht seines Blickes rammte sich in sie und ließ sie einen Schritt zurückweichen. Sie stützte eine Hand gegen die offene Shojitür und musterte ihn mit einem leichten Stirnrunzeln. „Shikaku?“ Keine Anschuldigung, keine Furcht, kein Entsetzen, das in ihrer Kehle flatterte. Nur offene Besorgnis, sanft eingraviert in ihre Augenwinkel und die Form ihres Mundes. „Was ist los?“

 

Der Vogel hüpfte zurück und stieß ein empörtes Squawken wegen ihrer Störung aus. 

 

Der Schrei durchbrach Shikakus Trance. Räuspernd wandte er sich wieder dem Falken zu. „Nichts“, sagte er und ging in die Hocke, um mit zitternden Fingern den Hirschkeks auf der Veranda zu zerkrümeln und sich die Hände von den Bröseln freizuklopfen. „Habe mich nur gefragt, wo der Junge ist.“

 

Er hörte wie Yoshino hinter ihn kam. Kaum stand er wieder, da befand er sich auch schon im unmittelbaren Kreis ihrer Arme und ihre Wange legte sich warm gegen den feuchten Stoff, der an seinem Rücken klebte. Energisch versuchte er, sich nicht anzuspannen und zwang seinen Verstand dazu, die Erinnerung loszulassen und seine Muskeln, sich zu lockern. 

 

„Er ist mit Chōji und Ino unterwegs“, erwiderte sie. 

 

Shikaku schloss die Augen; Erleichterung huschte über sein Gesicht. „Gut.“

 

Was für ein warmes Gefühl es war, das zu wissen. Er berief sich darauf und ließ es die kalten Überreste der Vergangenheit auftauen. Vage hörte er das Kratzen von Krallen, als der Falke herum hüpfte und Kekskrümel aufpickte. Jenseits der Veranda hielt das kalte Plätschern des Regens an. Er spürte Yoshinos Atem wie ein Feuer zwischen seinen Schulterblättern, das sich einen sanften Pfad direkt bis zu seiner Brust brannte. 

 

Als sie Anstalten machte, sich zurückzuziehen, schob Shikaku einen Arm nach hinten und hielt sie an sich gedrückt; vielleicht sogar etwas härter als es nötig gewesen wäre. Rasch lockerte er seinen Griff und wartete darauf, dass sie sie ging. 
 

Doch ihre Arme blieben weiter um ihn gelegt. „Das Abendessen wird anbrennen.“

 

„Dann gehen wir eben aus.“

 

„Hmn. Alles, nur um einer Bestrafung zu entgehen. Du und dein furchtbares Timing“, murmelte sie ließ ihre Hände weiter nach unten wandern und verschränkte die Finger über seinem Bauch. „Oh, übrigens, Inoichi war vorhin da.“

 

Shikakus Augen öffneten sich halb. Er wartete. 

 

„Er ist nicht lange geblieben, aber ich habe ihm was zu essen gegeben“, fuhr Yoshino fort. „Wusstest du, dass der Mann Essen schneller verputzen kann als Chōza? Hat das ganze Abendessen von meinem Sohn weggemampft“, grummelte sie und rieb über Shikakus straffen Bauch. „Gibt Sayuri ihm denn nichts zu essen?“

 

Schmunzelnd ließ Shikaku seinen Kopf nach hinten kippen und streifte sie dabei mit seinem Pferdeschwanz. „Nicht jede Ehefrau ist so gut trainiert wie meine.“

 

Ein scharfes Stechen und Shikaku zuckte zusammen, als Zähne in sein Ohr zwickten, bevor er das heißkalte Kribbeln von Zunge und Atem spürte, dem ein unmittelbares Prickeln von Erregung folgte. Schnaubend linste er aus den Augenwinkeln zu ihr. „Oder so gewalttätig.“

 

Auf den Zehenspitzen stehend grinste Yoshino zuckersüß und küsste die misshandelte Haut. „Du hast meine Frage nicht beantwortet. 

 

„Und du weißt es besser, als mich nach dieser Frau zu fragen.“

 

Yoshino zog eine Schnute gegen sein Ohr und drohte mit einem weiteren Biss, nur um ihre Lippen dann harmlos über seine Wange streichen zu lassen. „Dann schätze ich mal, dass es keinen Sinn hat zu fragen, warum Inoichi wie ein geprügelter Welpe ausgesehen hat, als ich ihm gesagt habe, du wärst nicht da.“

 

Seufzend schüttelte Shikaku den Kopf. Es überraschte ihn doch immer wieder, wie jemand, der so radikal rational und analytisch war wie Inoichi, die emotionale Intelligenz eines Teenagers besitzen konnte, kaum dass Alkohol oder Zorn in sein Netzwerk flossen. Normalerweise ruhig und besonnen selbst unter extremstem Druck, schien Inoichi in der Lage zu sein, mit allen Stresssituationen umzugehen, die den Blutdruck in die Höhe katapultierten – bis etwas tief Persönliches diese kühle Schale aufknackte und es unterdrückten Emotionen gestattete, wie Lava heiß und stechend hervor zu sickern. Für gewöhnlich kühlte er sich auch ebenso schnell wieder ab, aber bis dahin war der Schaden bereits angerichtet. 

 

Und selbst dann…

 

Shikaku lächelte leicht. Selbst wenn er die Energie aufbringen könnte, auf Inoichi zornig zu sein; seine Zuneigung für den Yamanaka und seine tiefe Wertschätzung für ihre Freundschaft würden immer über Verstöße triumphieren, die in betrunkenem Fehlverhalten begangen wurden. Sie alle waren aufgerieben, sie alle waren besorgt und sie alle waren sich unsicher über die Zukunft und was das für ihre Kinder bedeutete…

 

Nicht.

 

Diese Gedanken, diese Ängste…sie gehörten an Orte, die sich jenseits der normalen Standards von ‚persönlich‘ bewegten; tief begraben in den Hohlräumen von Shikakus Verstand und Herz…Orte, die nicht einmal er zu betreten wagte, ohne feste Rettungsleinen zu haben, die ihn wieder zurück führten. 

 

Führe mich zurück.

 

Shikaku stieß einen leisen Atem aus. „Yoshino…“

 

Etwas in seiner Stimme zog ihren Kopf nach oben. Sie trat um ihn herum, legte ihre Handflächen gegen seine Brust und neigte den Kopf, um seinen Blick einzufangen. „Mmn?“

 

Shikaku sah zu ihr hinab und Emotionen schimmerten direkt unter der Oberfläche seiner Augen, als sich die Vergangenheit wie eine Wunde auf seinem Gesicht öffnete; so viel bösartiger als seine Narben. „Weißt du noch, was ich zu dir gesagt habe? In der Nacht, als ANBU mich freigelassen hat?“

 

Schock jagte wie eine Welle über Yoshinos Gesicht, gefolgt von einem unmittelbaren Schmerz. Er fror ihre Miene ein, aber zerbrach in ihren Augen, um diese schönen dunklen Tiefen mit Bändern aus Silber zu durchziehen. Sie hob eine Hand, strich mit den Fingerspitzen über Shikakus Narben und dann kopfschüttelnd weiter hinunter zu seinen Lippen. „Warum fragst du mich das…?“

 

Er packte sie bei den Hüften und zog sie näher; sein Griff grob, seine Augen weich und seine Stimme irgendwo dazwischen gefangen. „Sag mir, was ich gesagt habe.“

 

Yoshino starrte auf seinen Mund, stählte sich selbst und ummantelte dann sein Gesicht mit ihren Händen, um seinen Kopf anzuheben und ihm in die Augen zu blicken…sie sah direkt durch den Rauch und die Schatten, direkt durch all die Schichten der Vergangenheit und Gegenwart…direkt durch den Mann, den sie beinahe verloren hatte. Derselbe Mann, der manchmal verschwand…und die Hälfte ihres Herzens mit sich nahm…um es zu nutzen, ihn wieder zurück zu führen. 

 

„Dich daran zu erinnern“, wisperte sie. „Du sagtest mir, ich solle dich erinnern.“

 

Shikaku hielt ihren Blick, fiel hinein in das Schwarz und Silber, die Tränen und die Zärtlichkeit. Er stieß ihre offenen Münder mit einem zerfetzten Atem aneinander. „Erinnere mich“, wisperte er in den Kuss. „Erinnere mich.“

 

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Oja, ein sehr emotionales Kapitel...finde ich zumindest. Es gibt so viel mitzuleiden und auch den ein oder anderen Hassmoment, wie ging es euch dabei? ;) 

Und ja, endlich betritt auch mal Inos Mutter die Bildfläche...ich bin ja schon sehr gespannt, was ihr von ihr haltet. ^^ Sogar auf Shikamaru kann mir hier einen Moment lang ziemlich sauer sein finde ich ;) 
 

Auf jeden Fall hoffe ich sehr, dass euch das Kapitel gefallen hat! :) 
 

Vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen <3

Mission, game, fate...

Holzrauch hing wie ein Leichentuch in der Luft; schwer und grau, als wären die Wolken nach unten gesunken, um sich wie Gespenster für die Zeremonie zu versammeln. 

 

‚Du standest dort…hast zugesehen, wie sie diese Blumen auf sein Grab gelegt hat.‘

 

Genma stand in der Mitte der verlassenen Lichtung und sah zu, wie die Flammen hoch gen Himmel leckten. Funken stoben aus dem Brand; ausgestoßen von dem trockenen Knacken des Anzündholzes, bevor sie verpufften und zu Asche schrumpften – wie das Licht in den Augen des Shiranui. 

 

‚Wie erleichtert du gewesen sein musst.‘

 

Er biss zu, spürte, wie das Senbon tief in seinen Gaumen stach. Blut quoll salzig und metallisch hervor. Es rann über seine Zunge, sickerte an seinen Lippen vorbei und glitt die Nadel entlang, um sich als Rubin an der silbernen Spitze zu sammeln, der im Feuerschein funkelte. 

 

‚Kümmert es dich überhaupt, dass Asuma in dem Glauben zu Grabe gegangen ist, du hättest ihn verraten?‘

 

Genma spie aus und sah zu, wie das Senbon in den Flammen verschwand, Holz aufplatzen ließ und Funken in alle Richtungen sandte. Rasch glühte es weiß. Während er mit der Zunge über den Riss in seinem Mund fuhr, hob er eine der beiden Shōchū Flaschen, die von seinen Fingern baumelten. Er hatte den Likör mitgebracht, um den Brand zu entfachen; eine für das Lagerfeuer und den Rest für sein Blut. 

 

‚Sorry Asuma. Aber ich schätze, ich vertrage meine Drinks besser als du.‘

 

Genma nahm einen Schluck und schmeckte das bittere Kupfer in der Mischung. Mit einem Brennen rann es seine Kehle hinab. Doch es scheiterte darin, der Kälte in ihm den Biss zu nehmen. Sie blieb und nagte sich noch tiefer. 

 

Bring es hinter dich.

 

Er ruckte sich die schwarze Tasche von der Schulter. Dumpf schlug sie auf dem Boden auf und öffnete sich wie der Mund einer Leiche, wobei der unverschlossene Reißverschluss eine Reihe winziger silberner Zähne offenbarte; das höhnische Grinsen des Todes. Und hinter diesem hässlichen Lächeln lagen all die zerknitterten Geheimnisse; Durchschlagspapiere, Berichte, Listen…der gesamte Vorrat von Asumas Detektivarbeit.

 

Schätze, du hast getan, was du tun musstest…

 

‚Warum? Ist es das, was du tust?‘

 

„Immer“, murmelte Genma. 

 

Während er in die Hocke ging, nahm er einen weiteren raschen Schluck aus der Shōchū Flasche und kippte den Rest davon über und in das klaffende Maul der Tasche. Das rosa Kohlepapier sog es auf und verdunkelte sich wie eine anschwellende Zunge, bevor es die Wahrheit zu nassen Flecken auflöste. 

 

Im orangenen Glühen des Feuers arbeitete Genma, als würde es sich hier um den Inhalt eines Leichensackes handeln. Er übergoss die Eingeweide der Wahrheit, bevor er den Reißverschluss präzise wie ein Gerichtsmediziner bei einer Leiche zuzog. Ein Totengesicht grinste ihn an, bis er in einem fließenden Schwung dieses weite, hässliche Maul zu einer straffen, stummen Linie schloss. 

 

Und dann trat er die Tasche in die Flammen. 

 

Mit einem funkenspuckenden Schlucken flammte die Feuersbrunst auf und spie Asche in alle Richtungen von dem Scheiterhaufen. Genma trat einen einzigen Schritt zurück und warf die andere Flasche in das Feuer. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken sah er zu, wie das Glas platzte und eine heiße Flammenbrunst nach oben lecken ließ. Durch den dunstigen Schein wirkte es, als würde sich die Tasche winden und tanzen…ein Todeskampf der Wahrheit, ein weiteres Opfer des Spiels. Keine zweite Chance. 

 

‚Weißt du, was dein Problem ist, Shiranui? Du und Kakashi…ihr Typen glaubt nicht an zweite Chancen…‘

 

‚Ich brauche auch keine zweite Chance. Ich mach es gleich beim ersten Mal richtig.‘

 

‚Bullshit…Kurenai…diese Kids…sie sind meine zweite Chance…mein letzter Schuss…‘

 

‚Dein letzter Schuss war bereits vier Saké vorher, Sarutobi. Geh nach Hause.‘

 

‚Guter Plan, du eiskalter Typ. Wir brauchen noch einen Knackarsch Typ.‘

 

‚Als ob du das nicht erraten hättest, wäre das dann wohl Kurenai.‘

 

‚Danke, Hatake, ich hab’s kapiert.‘

 

Genma stierte in die Flammen und seine bronzenen Augen zogen sich gegen die brüllende Hitze zusammen. 

 

Und dennoch biss sich die Kälte tiefer. 

 

Er wartete, bis die Tasche nichts weiter war als eine schwelende Hülle, bevor er sich daran machte, das Feuer zu löschen. Ein ersterbendes Zischen und trotziges Fauchen später stieg schwarzer Rauch pilzartig hinauf in die dunkler werdenden Himmel, wurde eingefangen und weiter getragen von einer Brise. Nachdem das Feuer erloschen war, schob Genma mit den Schuhen Erde auf die erkaltende Glut, wartete ein paar weitere Minuten und driftete dann zusammen mit dem Rauch zurück in Richtung des Dorfes. 

 
 

~❃~
 

 

Die Vorladung war per Schweinepost gekommen. Und während Neji zwar keinerlei Dringlichkeit in Tontons unverständlicher Nachricht aus Oinks und Wimmern hatte feststellen können, hatte der schriftliche Befehl, sich sofort im Hokage Turm zu melden, den Hyūga nervös gemacht. Gedanken an ANBU hatten seinen Verstand überflutet und waren zu einem zeitweiligen Summen angeschwollen – bis die Godaime ihm eine Schriftrolle ausgehändigt hatte. Jetzt stand er also in der Mitte von Tsunades Büro und nahm all die Details des Papieres in seiner Hand in sich auf; die Stille in seinem Verstand war inzwischen absolut. 

 

Er konnte den Blick der Godaime auf sich spüren; beständig und spekulativ…wartend. 

 

Mit granitenem Gesicht neigte Neji marginal den Kopf. „Ich werde ein Team zusammenstellen.“

 

Tsunades Mundwinkel zucken in einem brüchigen Schmunzeln. „Ein S-Rang Auftrag und keine Fragen? Du hast bereits den halben Weg hinter der, Neji.“

 

Langsam sah er auf. 

 

Doch Tsunades Augen waren tot für den Humor. Sie sah ausgelaugt und erschöpft aus, was Neji den Hauch einer Ahnung von der zerbrechlicheren Form gab, die unter der jugendlichen Fassade ihrer Transformationstechnik lag.

 

Nach einer nachdenklichen Pause wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Schreibtisch zu, um mit einem scharfen Klacken ihrer Nägel Papiere zusammenzusammeln. „Versteh es nicht falsch, unser Hauptaugenmerk liegt unzweifelhaft weiter auf Akatsuki, aber wir – verdammt.“ Sie brach mit einem Grollen ab und suchte nach irgendetwas, als ihre müden Bernsteinaugen über Blätter und Tintenfässchen wanderten und kurz bei der kleinen Buddha Statue innehielten, die auf einer Ecke ihres Schreibtischs stand. Ihre Miene wurde etwas weicher. „Aber wir haben denen, die ins Kreuzfeuer unserer Kämpfe geraten sind, eine Menge zu verdanken.“

 

Nejis Kopf hob sich ein Stück. Unter seinen Wimpern musterte er sie, während sich seine Brauen zusammenzogen. Die Mehrdeutigkeit dieser Aussage warf alle Arten von Fragen bei ihm auf, denen es auch nicht an Antworten mangelte. So wie sie es formuliert hatte, hätte es auf jeden beliebigen der unzähligen Verluste hindeuten können, was ihm wiederum den jüngsten davon in den Sinn brachte…

 

Asuma…

 

Bevor Tsunade in einer weiteren Stille versinken konnte, trat Shizune nach vorn und übernahm für sie. „Die überlebenden Mönche wollen den Feuertempel wieder aufbauen, aber ihre finanziellen Mittel wurden während des Massakers von Kakuzu geplündert.“

 

Kakuzu. Hidan.

 

Die Namen zuckten durch Nejis Verstand, gefolgt von dem mentalen Aufblitzen durchgestrichener Fahndungsfotos in dem vertraulichen Buch, das momentan in den Kreisen der Jōnin zirkulierte. Genau dasselbe kleine weiße Buch, das Shikamaru bereits vor Monaten erhalten hatte.

 

‚Ich habe ein kleines weißes Buch bekommen, aber auf all die lustigen Details muss ich selbst kommen.‘

 

Nejis Brust zog sich bei der Erinnerung an diese Stimme zusammen. Er nahm einen sehr bewussten Atemzug und richtete seine Aufmerksamkeit auf das, was Shizune zu sagen hatte. Ah ja, genau, die geplünderte Tempelkasse. „Aus dieser Lieferstation konnte nichts gesichert werden?“, fragte er und ließ seinen Blick zur Hokage wandern, doch sie antwortete ihm nicht. 

 

Shizune seufzte leise. „Nein. Sie sind auf Spenden angewiesen, aber aufgrund der Engstirnigkeit des Feudalherren konnte bei dem Projekt kaum genug Geld gesammelt werden, um sich auch nur den Wiederaufbau der Schlafräume leisten zu können; ganz zu schweigen von der Haupthalle.“ Leicht neigte sie den Kopf Neji entgegen. „Deswegen auch dein Auftrag. Zwei Millionen Ryō reichen ein ganzes Stück.“

 

Und noch einiges mehr.

 

Mit gerunzelter Stirn musterte er die Schriftrolle in seiner Hand. „Du hast vor, dieses Projekt zu subventionieren, Hokage-sama?“

 

Tsunade blieb still und blieb für einen weiteren langen Moment in ihren Gedanken versunken, bevor sie den unterschwelligen Argwohn in seinen Worten bemerkte. In weniger als einem Herzschlag verhärtete sich ihre Miene und ihre Bernsteinaugen flammten auf wie zwei Klingen. „Ich habe vor, das zu tun, was zweckdienlich ist“, knurrte sie. „Der Feuertempel trainiert Kampfmönche. Als wir diese Männer verloren haben, haben wir Verbündete verloren. Eine komplette Infanterie – ausgelöscht.“ Mit knackenden Knöcheln presste sie ihre Finger ineinander. „Unsere Streitkräfte zu stärken ist unerlässlich – und wenn das bedeutet, das Projekt des Feuertempels zu subventionieren, um so unsere Allianz zu sichern, dann sei es eben so.“

 

Vollkommen aus Reflex warf Neji einen flüchtigen Blick auf die buddhistische Statue – und realisierte seinen Fehler zu spät. 

 

Donnernd fuhr Tsunades Handfläche nach unten, ließ Stiftbecher klappern und Porzellan scheppern. „Das hier ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung, Hyūga!“ Zusammen mit dem Ausbruch schnellte sie aus ihrem Stuhl. Die Hände flach auf den Tisch gestemmt und mit zitternden blonden Strähnen; eine Löwin bereit zum Sprung. „Wir stehen am Rande eines Krieges!“ Energisch warf sie eine Hand in Richtung des Fensters nach außen. „Unsere Grenzen sind kompromittiert, das Wissen über unseren Feind ist absolut unzureichend, unsere Shinobi sterben und du denkst, ich hätte die Zeit, philanthropisch zu sein?!“

 

Niemand sprach. 

 

Die Wucht von Tsunades Zorn schwärzte die Stille und dröhnte mit der sinnflutartigen Bedrohung eines schweren und feuchten Sturmes, als Emotionen durch ihre Augen strömten. 

 

Neji senkte den Blick und sagte nichts. 

 

Auf der anderen Seite des Raumes wand sich Shizune unbehaglich unter der Spannung und presste Tonton fest an sich. Doch ebenso schnell wie er gekommen war, verschwand der Zorn mit einem Atemzug, als Tsunade den Kopf in den Nacken legte und ein schweres Seufzen in Richtung Decke ausstieß, während sie sich langsam wieder in ihren Stuhl sinken ließ. Sie rieb sich eine Schläfe, streckte die andere Hand aus und winkte mit einem müden Fingerzucken. 

 

Neji trat nach vorn und reichte ihre die Schriftrolle. 

 

Doch sie nahm sie ihm nicht sofort ab. „Das hier ist eine Gelegenheit, die ich dir in den Weg lege, Neji, kein Hindernis.“

 

Innerlich geschockt stählte er sein Gesicht zu einer Maske und fühlte, wie sich das verzweifelte Bedürfnis nach der Anonymität ANBUs fester biss und tiefer wühlte. „Ja, Hokage-sama“, sagte er mit verschlossenen Gesichtszügen. 

 

Tsunade nahm die Schriftrolle, legte sie offen auf ihren Tisch begann die Details mit einem anderen Dokument gegenzulesen. Nur die gedämpften Geräusche der frühen Abendaktivitäten füllten die Stille und wurden in flüchtigem Geplapper von jenseits der großen offenen Fenster herein getragen. 

 

Neji nutzte die Pause, um seine Mitte zu beruhigen und sein Bewusstsein schrittweise zu erweitern, indem er sich eine Reihe konzentrischer Kreise vorstellte, die sich wie Wellen ausbreiteten. Es war eine meditative Übung, die Hiashi ihm beigebracht hatte. 

 

Während er das tat, spürte er, wie etwas an seiner Peripherie verharrte, nur wenige Augenblicke, bevor Tonton aus Shizunes Arm sprang und hinüber zum Fenster trottete. Kaum hatte Neji den Blick gehoben, da erschien auch schon eine Gestalt auf dem Dach vor der Scheibe; eine Faust auf die Ziegel gelegt und den Kopf geneigt. Er war tief in Schatten gehüllt. 

 

Tsunade wandte sich nicht einmal um. „Raidō.“

 

„Bitte entschuldige die Störung, Tsunade-sama. Ich muss mit Shizune sprechen.“

 

Tsunade grunzte nur und winkte Shizune zum Fenster. Erlaubnis erteilt. Sofort kam die Medic-Nin der Aufforderung nach. Doch Raidō sagte gar nicht viel, sondern schob Shizune einfach nur eine zusammengefaltete Notiz zu und ließ dabei sehr leise Genmas Namen fallen. Dann war er auch schon wieder weg. Aufmerksam studierte Shizune die Notiz und versteifte sich marginal. 

 

Nejis Augen verengten sich argwöhnisch, doch seine Aufmerksamkeit schwang zurück zum Schreibtisch, als Tsunade nach einem riesigen Stempel griff, der auf die Seite gefallen war. „Ich hatte eigentlich vorgehabt, dass Kakashi diese Mission anführt; aber das ist nicht möglich. Deswegen vertraue ich es jetzt dir an, Neji.“ Sie hielt kurz inne, um das Gewicht ihrer Worte sacken zu lassen, während sie den Stempel auf ein tiefrotes Tintenkissen presste. „Das Zusammenstellen eines Chūninteams liegt in deinem eigenen Ermessen; allerdings gibt es eine Voraussetzung, was bestimmte Personen angeht.“

 

Mit den Augen nach unten gerichtet wartete Neji darauf, dass sie sich näher erklärte und warf einen raschen Blick nach oben, als sie es nicht tat. Und was er vorfand, beunruhigte ihn mehr als Tsunades Zornausbruch. Der Blick der Hokage war erneut auf die Statue gerichtet und ihr Gesicht ein Nebeneinander unergründlicher Emotionen; ihr Mund war zu einer schmallippigen Linie zusammengepresst und ihre blassen Brauen scharf zusammengezogen…aber in dem diffusen Licht waren ihre Augen ein Bild verwaschener Farbe und die Linien an den Winkeln verwischt und weicher. 

 

Zögernd fragte Neji nach. „Wen soll ich ausschließen?“

 

Blinzelnd kehrte Tsunade zu sich selbst zurück. „Ich will nicht, dass du sie ausschließt, Hyūga“, sagte sie sehr leise, verkrampfte ihre Finger um den Stempel und hob ihn langsam an. „Ich bestehe darauf, dass du sie alle dieser Mission zuweist.“

 

Sofort spannte sich Neji alarmiert an. „Sie alle?“

 

Mit einem einzigen festen Schlag besiegelte sie diese Mission; und sein Schicksal. „Team 10.“

 
 

~❃~
 

 

„Okay, einen für’s Team. Ich glaube, ich habs jetzt auch, Shikamaru.“

 

„Achja? Na dann mach nur.“

 

„Es ist ein Windrad.“

 

Stille. 

 

Heftig die Stirn runzelnd lehnte sich Shikamaru etwas zurück und kniff die Lippen zwischen Daumen und Knöchel zusammen, während er den riesigen Skizzenblock anblinzelte, der gegen die Couch gelehnt dastand. „Ein Windrad…“, grübelte er kopfschüttelnd. „Seh ich da überhaupt nicht.“

 

Ino funkelte beide finster an, rutschte auf den Knien herum und zeichnete einen großen wobbeligen Kreis um das ‚Muss-erst-noch-identifiziert-werden‘-Objekt, das sie auf die rechte Seite des Blattes gemalt hatte. Während sie sich zurück auf die Fersen sinken ließ, tippte sie mit dem Finger auf ihre Zeichnung und stierte sie erwartungsvoll an.

 

Shikamaru und Chōji tauschten rasche Blicke aus. 

 

„Also kein Windrad?“

 

„Du willst gar nicht wissen, an was ich gedacht habe…“

 

Augenrollend fing Ino erneut an, eifrig drauflos zu kritzeln. 

 

Schmunzelnd griff Shikamaru nach seinem regenbogenfarbenen Kaffeebecher und nahm einen langsamen Schluck, um den schweren, bitter-reichen Geschmack zu genießen und das warme berauschende Summen, das er zurückließ. Verdammt, es hatte sich wirklich gelohnt, im Regen zu stehen, um auf Ino zu warten. Auf halbem Weg durch den Wolkenbruch und einen viertel Kilometer von Chōjis Haus entfernt, hatte sie sich entschieden, ihre Diät in den Wind zu schießen und Shikamaru losgeschickt, um etwas zu essen zu besorgen, während sie um die Rückseite vom Nijis davon gehuscht war, wobei sie natürlich den einzigen Regenschirm mit sich genommen hatte. 

 

Wie lästig.

 

Shikamaru ruckelte sich das feuchte Handtuch von seinen Schultern. Zumindest war es das wert gewesen. Zurückgezogen in die friedvolle Stille des Zeichenzimmers der Akimichi und auf heißem Schweine-Soba und Yakiniku zum Mitnehmen herumkauend, hatte sich Team 10 um den niedrigen Kotatsu versammelt und sich an der Wärme erfreut, die von der elektrischen Heizung ausgestrahlt wurde, die an der Unterseite des Tisches angebracht war. Sie waren mit den Beinen unter die große Decke geschoben dagesessen, die über den Rahmen drapiert war. 

 

Und während der Regen draußen tickend wie eine Uhr getropft hatte, hatte sich eine stille Lethargie über sie gelegt. Emotional total ausgelaugt und physisch erschöpft – als würde die Nahtoderfahrung ihrer letzten Mission gerade erst in sie sinken – hatten sie Geborgenheit aus der Vertrautheit ihres Kreises gezogen. Sie hatten sich zusammengefunden und für Weile ihre Reihen gegen die Welt geschlossen. Warm, schläfrig, zufrieden mit gutem Essen und einer lockeren Unterhaltung…und dann war das Trio irgendwie auf die Idee von Pictionary gestoßen. 

 

Shikamaru war sich nicht einmal sicher, wie genau sie dazu gekommen waren. Alles, was er wusste, war, dass das Spiel auf seinem Handrücken begonnen, sich dann auf eine Serviette übertragen hatte und dann auf einen großen Skizzenblock, den Chōjis Mutter nutzte, um Rezepte zu sammeln. Shikamaru und Chōji hatten beide zwei Runden gespielt, während Ino genug Appetit entwickelt hatte, um sich durch die gesamte Dessertplatte zu futtern. Und als die Energie des Zuckers eingesetzt hatte, hatte sie vollkommen mühelos ihre Kritzeleien erraten, bevor sie schließlich den Enthusiasmus aufgebracht hatte, sich selbst einen Stift zu schnappen; jetzt schien sie ihre vorherigen brillanten Vermutungen wieder wettzumachen, indem sie an der künstlerischen Front geradezu jämmerlich versagte. Ihr derzeitiges gestaltannehmendes Bild bestand aus ein paar stacheligen Linien, die quasi mit ihrem vorherigen Versuch identisch waren. 

 

Chōji legte den Kopf schief und musterte die Zeichnung, während er eine Nudel schlürfte. „Irgendwelche Ideen?“

 

„Jo. Das ist ein nie endendes Déjà Vu.“

 

„Oh halt die Klappe Shikamaru.“

 

Rasch duckte er sich, als Ino den Stift auf ihn warf, war aber enorm erleichtert, als er den Hauch eines Lachens auf ihren Lippen hörte. Keine drei Stunden vorher hatte sie sich in seinen Armen mehr oder weniger das Herz heraus geschluchzt. Und der Klang ihrer Tränen hatte ihn zerrissen; genau wie damals während der Nacht im Hotaru, dem luxuriösen Ryokan, wo sie beschlossen hatte, ihrem gemeinsamen siebzehnten Geburtstag zu gedenken, indem sie sich ins Koma gesoffen hatte. Doch damals war Shikamaru mehr als nur zerrissen gewesen, er war verängstigt gewesen. Er hatte sich wie ein in die Ecke getriebenes Tier gefühlt, das Feuer witterte. Instinkt hatte ihn energisch davor gewarnt, auch nur ansatzweise zu nahe zu kommen. Allerdings war es rückblickend zumindest so, dass der betrunkene Schleier zwischen ihnen gestanden war und Ino hatte sich kaum daran erinnern können, was sie getan und was sie gesagt hatte. 

 

Aber diesmal nicht.

 

Nein. Diesmal hatte sie überhaupt nichts, hinter dem sie sich verstecken und nichts, an das sie sich klammern konnte. Und Shikamaru hatte nicht einmal darüber nachgedacht, was zur Hölle er eigentlich machte, bevor er eingeschritten war und ihr irgendetwas gegeben hatte, um sich zu verstecken und daran festzuklammern, während er gehört hatte, wie sie brach und er sich so verzweifelt gewünscht hatte…

 

Mach es wieder gut.

 

Verrückt, wie er nicht einmal daran gedacht hatte, wegzurennen, sich abzutrennen, sich zur Hölle von dort aus dem Staub zu machen, bevor er in den emotionalen Sumpf hinein gezerrt werden konnte. Stattdessen war etwas anderes zum Vorschein gekommen, hatte sich an der Selbsterhaltung und all seinen Schilden vorbei gedrängt. Dieselbe Sache, die er verspürt hatte, als er Chōjis Kummer im Pavillon gesehen hatte. Dieselbe Sache, die er jedes Mal verspürte, wenn er an Asuma dachte und in diesen bodenlosen kummervollen Schmerz fiel. Er hatte sehr tief wühlen müssen, um es zu finden, aber es war da; tief begraben in der Trauer. Eine unberührte Stärke. Ein unerschütterlicher Drang, alles zu beschützen, was er noch zu verlieren hatte; sich diese kostbaren Menschen mit allen notwendigen Mitteln zu bewahren. 

 

Wenn ich mich daran festhalten kann, wenn wir uns daran festhalten können…dann können wir das durchziehen.

 

Er spürte einen schwachen Stoß und sah auf.

 

„Du driftest ab“, wisperte Chōji. „Find das jetzt lieber mal raus, Genie.“

 

Schmunzelnd setzte Shikamaru sein Kinn auf den Knöcheln ab. „Bin schon dabei.“

 

Das war er jetzt schon seit zehn Minuten. Inos erste fünf Versuche an der linken Seite des Blattes waren alle aufgegeben worden. Shikamaru warf immer wieder rasche Blicke auf die verloren wirkenden Kritzeleien und versuchte, die Bedeutung zweier toter Nacktschnecken und einer Reihe aus Herzen zu erkennen. 

 

Das muss einfach ein Horrorfilm sein.

 

„Es ist ein Baum!“, platzte Chōji heraus und stach seine Essstäbchen mit Überzeugung in Richtung der stacheligen Zeichnung. 

 

Ino wirbelte herum, nickte energisch und drehte das Handgelenk, als versuchte sie, noch mehr Informationen aus ihm hervor zu locken. Shikamaru besah sich das Blatt und analysierte die Skizze durch abgeschirmte Augen. 

 

„Es ist eine Palme“, führte er weiter aus und sprang damit auf Chōjis Gedankengang auf. „Und ich schätze mal, das da…“ Er wackelte mit einem Finger, um auf die wellige Linie hinzudeuten, die Ino zickzackartig unter den Baum gemalt hatte. „Ist Wasser.“

 

„Es ist eine Insel!“, explodierte Chōji. „Eine tropische Insel!“

 

Ino schwang den Kopf in einer ‚Ja-Ne-Nicht ganz‘-Geste von Seite zu Seite und kritzelte dann eine weitere Reihe Skizzen auf das Papier, wobei sie extra viel Aufmerksamkeit auf die Details legte. 

 

Ein paar lose Verbindungen und wilde Gestikulierungen später spähte Shikamaru zu Chōji. „Es wachsen also Shogi Spielsteine auf tropischen Inseln, huh?“

 

„Alles, was ich sehen kann, ist ein totes Schwein auf einer Servierplatte.“ Chōji verzog das Gesicht und sah mit zusammengekniffenen Augen etwas näher hin. „Und einen Typ mit verrückter Frisur und Messern.“

 

Ino klappte der Kiefer auf. „Was?! Das ist doch ganz offensichtlich ein Blumenstrauß, du Idiot!“

 

Heftig blinzelnd runzelte Shikamaru die Stirn. „Mh. Und da geht meine Horrorfilm Theorie den Bach runter.“

 

„Hast du schon mal das Schwein gesehen? Das ist ganz offensichtlich ein Horrorfilm.“

 

Genervt rammte Ino ihre Faust auf ihren Schenkel. „Verdammt nochmal ihr beiden, das ist so einfach!“

 

Chōji lachte auf. „Hey, hör auf zu mogeln! Der Künstler darf keine verbalen oder physischen Hilfen geben.“

 

„Scheiß drauf. Ich geb auf“, seufzte Shikamaru und nippte erneut an seinem Kaffee. „Also ich kapier die Insel, die Sonne, das Wasser und den missgebildeten Baum…obwohl…ein Baum, der im Wasser steht ist schon-“

 

„Shikamaru“, knurrte Ino. „Das ist kein Stillleben-Gemälde.“

 

Achselzuckend hob der Nara die Hände, um die verbalen Projektile abzuwehren. „Ich kann sogar akzeptieren, dass es vielleicht ein paar sehr lose Verbindungen zwischen dem Shogibrett, dem Kerl mit den spitzen Blumen und dem toten Schwein gibt. Aber es gibt eine Sache…“ Mit der Hand gestikulierte er zum anderen Ende des Skizzenblatts. „Ich kapier das mit den Nacktschnecken nicht.“

 

„Was für Nacktschnecken?“ Ino folgte seinem Blick und ihre Augen wurden rund, als ihr Mund erneut aufklappte. „Das sind doch keine Nacktschnecken, Shikamaru!“

 

Offensichtlich keine Nacktschnecken, Shikamaru“, muffelte Chōji um einen Mund voll gegrilltem Rindfleisch.

 

„Das sind Lippen“, verteidigte Ino ihre Zeichnung. 

 

„Lippen?“ Shikamaru legte den Kopf auf die andere Seite und sein nachlassendes Interesse wurde sofort wieder von der Möglichkeit – oder Hoffnung – geweckt, eine logische Verbindung herstellen zu können. „Und die Herzen sind was? Küsse?“

 

„Gut gemacht, Genie! Und das ist keine tropische Insel, ihr Banausen.“ Sie rahmte das Bild zwischen ihren Händen ein und lächelte süßlich. „Es ist das Paradies!“

 

Chōji warf ihr einen entsetzten Blick zu. „Mit toten Schweinen?!“

 

Plötzlich lachte Shikamaru auf; ein heiseres Kichern, das aus ihm heraus blubberte, als er eine Hand über seine Augen legte und ungläubig den Kopf schüttelte. „Das Icha Icha Paradies.“

 

„JA!“ Ino stieß beide Fäuste in die Luft und warf den Kopf in den Nacken. „Na endlich!“

 

Chōji umklammerte seine Schenkel, um nicht vorn über zu kippen. „Bitte was?“ Er linste zu Shikamaru. „Wie zur Hölle bist du von toten Schweinen auf das Icha Icha Paradies gekommen?“

 

Der Schattenninja zuckte leicht mit den Schultern. „Du magst Schweinfleisch. Ich mag Shogi. Ino mag…“ Er brach ab und versuchte nicht einmal, das Portrait ihres Helden in Worte zu fassen. „Was auch immer. Die Nacktschmecken machen miteinander rum. Knutscherei-Paradies.“ Kopfschüttelnd schmunzelte er Ino an. „Also das ist deine Version unseres Jenseits, huh?“

 

„Und meine Belohnung ist ein totes Schwein?“, murrte Chōji. 

 

„Zumindest bekommst du was zu essen.“

 

„Jo und du musst für alle Ewigkeit Shogi spielen. Ha. Schon Scheiße, du zu sein.“

 

„Das setzt aber auch erstmal voraus, dass es Shikamarus fauler Hintern überhaupt bis hinter die Himmelspforte schafft“, triezte Ino. Sie ließ ihr Meisterstück links liegen, krabbelte auf Händen und Füßen zu ihren Teamkameraden und rollte die langen orangenen Ärmel von Chōjis geliehenem Pulli nach oben, bevor sie zitternd ihre Füße unter die Decke schob. „Ich glaub’s nicht, dass ihr beiden so lange dafür gebraucht habt.“

 

Shikamaru beäugte sie über seinen Becher hinweg. „Weißt du, du hättest auch einfach Kakashi-sensei zeichnen können.“

 

Ino kicherte. „Habt ihr jemals eins dieser Bücher gelesen?“

 

Schnaubend wandte sich Chōji wieder der Grillplatte zu. „Shikamaru schon.“

 

Dieses Geständnis klatschte augenblicklich das Grinsen aus dem Gesicht des Schattenninjas. Aus zusammengezogenen Augen warf er Chōji einen vernichtenden Blick zu. „Klar, schubs mich nur ruhig in die Schusslinie, warum auch nicht?“

 

Leise lachend klopfte der Akimichi dem Nara auf den Rücken, während Ino ihn mit einem Ausdruck bedachte, der auf eine schwere Schädelverletzung hindeutete, sollte er nicht sofort alles ausspucken. 

 

„Shikamaru“, begann sie.

 

„Nein.“

 

„Ich hasse es, wenn ihr zwei das macht!“, grummelte sie und ließ einen Finger wie ein durchgedrehtes Metronom zwischen ihnen hin und her zucken. „Ihr habt all diese schmutzigen kleinen Geheimnisse miteinander, die ihr ständig andeutet, aber nie teilt.“

 

Chōji hatte ernsthaft den Anstand, beschämt auszusehen. Und Shikamaru seufzte schwer, da er wusste, dass sein potentieller Verbündete gerade endgültig das Schiff verlassen hatte. Nicht dass der Schattenninja zu diesem Zeitpunkt noch das Gefühl hatte, er könnte in Inos Augen noch tiefer sinken. Nach Temaris rücksichtslosem Versuch, ihn während seines Geburtstags von innen nach außen zu kehren, war das hier nur schwerlich qualvoll. 

 

Und so stierte Shikamaru nur in die schwarzen Wellen seines Kaffees und ächzte. „Ich habe sie durchgeblättert“, grummelte er in seinen Becher. „Also technisch gesehen, habe ich sie nie gelesen.

 

„Zumindest nicht die unschuldigen Abschnitte“, kicherte Chōji. 

 

Mit leuchtenden Augen wurde Ino noch munterer. „Und?“

 

Shikamaru verzog das Gesicht. „Und jetzt wechseln wir das Thema.“ Er neigte sich zur Seite und ruckte mit dem Kinn zu Chōji. „Frag ihn irgendwas.“

 

Bedächtig verschränkte Ino die Finger ineinander, lehnte ihren Kopf gegen ihre Arme und grinste den Akimichi zuckersüß an. „Wahrheit oder Pflicht?“

 

Chōji erbleichte mit rund werdenden Augen. Er warf Shikamaru einen flehenden Blick zu. 

 

Der Schattenninja zwinkerte ihm zu. „Schon Scheiße, du zu sein.“

 

Ein lautes Quieken explodierte draußen vor dem Haus. 

 

Shikamaru machte einen halben Satz und verschüttete mit einem heißen Schwappen Kaffee über den Rand seines Bechers und über seine Hand. „Shit!“

 

Während Chōji auf die Füße kam und zum Fenster trottete, spähte Ino perplex zu ihm hinüber. „Wow, Shikamaru. Du bist doch sonst nicht so schreckhaft.“ Mitleidig verzog sie das Gesicht und griff nach seiner Hand. „Bist du okay? Gib mal her.“

 

Doch Shikamaru vermied den Kontakt, indem er ihr den Becher in die Finger drückte und die Hand schüttelte, als könnte er so den Schmerz loswerden. „Verdammt“, zischte er und saugte an dem Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger, bevor er finster zum Fenster stierte. 

 

Gerade zog Chōji den vergitterten Shoji zurück und schob den Bambusschutz beiseite, der den Regen davon abhielt, herein zu prasseln. Als ein kleiner pinker Kopf herein lugte, trat er einen Schritt zurück und ein paar schwere Tritte klatschten auf das Fensterbrett. 

 

Fassungslos und mörderisch stierte Shikamaru das Schwein an. „Du willst mich wohl verarschen.“

 

Tonton fiel kopfüber in den Raum, überschlug sich und tropfte Regenwasser in einer kleinen Pfütze über den Tatamiboden. Als sie sich aufgerappelt hatte, stampfte sie mit gesenktem Kopf und die Augen stur auf Shikamaru gerichtet mit den Hufen; ein Miniaturstier, der bereit war, jeden Moment anzugreifen. 

 

Er kannte diesen Blick. 

 

Man hatte nach ihm rufen lassen. 

 

Seufzend erstickte Shikamaru ein genervtes Stöhnen in seiner Hand und widerstand dem unmittelbaren Drang, hinein zu beißen. Vermutlich würde das weniger Blut vergießen, als die Hokage von ihm haben wollte, wenn sie dieses lästige Borstenvieh schickte, um ihren Befehl auszuführen. Und gemessen an dem kompromisslosen Ausdruck, mit dem das Schwein ihn bedachte, wurde er stante pede erwartet. 

 

„Verdammt…“

 

Überrascht wandte sich Ino ihm zu und stellte den Becher ab. „Hättest du ein Treffen mit Tsunade-sama gehabt?“

 

„Scheinbar“, murrte er und schob sich widerwillig auf die Beine. Mit eingeknickter Hüfte und abgeschirmten Augen starrte er auf das Schwein hinunter; eine Darstellung, die mühelosen Widerwillen und absolute Faulheit zu einem einzigen stumpfen Blick vereinte. „Nur ich?“

 

Tonton nickte, drehte sich und hüpfte durch das Fenster zurück in den Regen, wobei sie auf dem nassen Kies rutschte und schlitterte. Für einen Moment sah Chōji ihr hinterher, zog auf dramatische Weise den Shoji-Fensterrahmen noch etwas weiter zurück und gestikulierte Shikamaru mit einem übertriebenen Schwung seines Armes hindurch. „Nach dir.“

 

Shikamaru bedachte ihn mit einem äußerst flachen Blick und wandte sich stattdessen der Tür zu. Lachend begleitete der Akimichi ihn hinaus in den Genkan, wo er dem Schattenninja einen Schirm reichte. Mit seiner unverletzten Hand griff Shikamaru danach, während er in seine Sandalen schlüpfte, bevor er sich mit dem Enthusiasmus eines zum Kielholen verurteilten Matrosen, auf die Tür zubewegte. 

 

Scheiße.

 

Nur Kami wusste, über welche Art von Planke Tsunade ihn gehen lassen würde. Und mit den Akatsuki, die unter ihm ihre Kreise zogen und dem immer noch frischen Blut im Wasser, war quasi alles möglich. All die Möglichkeiten begannen unaufhaltsam an die Überfläche seines Hirns zu steigen. Gott, er war viel zu müde, zu versuchen, sie alle jetzt im Moment vorherzusagen. 

 

„Bist du okay?“, fragte Chōji leise. 

 

Seufzend hielt Shikamaru an der Türschwelle inne und stierte hinaus in den grauen Nebel, als der Regen dünner zu werden begann. „Hätte eine Verschnaufpause gut gebrauchen können.“

 

Er spürte, wie sich Chōjis Hand auf seine Schulter legte. Beständig. Sicher. „Ich weiß.“

 

Shikamaru lächelte leicht und drehte den Kopf. „Hab ein Auge auf sie, ja?“

 

Chōji drückte leicht seine Schulter. „Ich pack das schon.“

 

Nickend hob Shikamaru den Schirm und trottete hinaus in die hereinbrechende Dunkelheit, um Tonton mit einem gewissen Abstand zu folgen. Und da er erwartet hatte, dass das Schwein in Richtung Hokage Turm abbiegen würde, war er überrascht, als ihr Weg eine unerwartete Wendung nahm und über eine breite Durchgangsgasse verlief, in der eine Reihe von Verkaufsständen und Restaurants die Straße säumten. Teehäuser dominierten das Bild und ihre Laternen hingen in trüber Ruhe hinab, während Noren Vorhänge schwer in der Brise flatterten und mit jedem Winken Gäste anlockten. 

 

Vor einem dieser Teehäuser, das mit einem weißen Kranich verziert war, blieb Tonton stehen und sah erwartungsvoll zu ihm auf. 

 

Mitten im Schritt hielt der Schattenninja inne und hob eine Braue. „Was?“

 

Doch Tonton stierte ihn an, als versuchte sie, nur durch Perlaugen und zuckende Schnauze zu kommunizieren, wobei sie geradezu hoheitlich auf sämtlichen telepathischen Ebenen versagte. 

 

„Ich bin kein Hellseher“, knurrte Shikamaru und spähte zu dem Teehaus. Er war gereizt und hatte Schmerzen und wollte nichts mehr, als seine Hand in einem Eiskübel versenken, seinen verdammten Kaffee austrinken und in der Gesellschaft derer entspannen, von denen er gerade so mir nichts dir nichts fort gerissen worden war. 

 

Und wofür?

 

Er konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass die Hokage ihm bei einem edlen Sencha oder Zuckerbrot ein paar aufmunternde Worte sagte oder ihm Missionsinformationen zukommen ließ. Erwartete sie von ihm, dass er unterwegs jetzt auch noch Besorgungen machte? Seine Augen zogen sich scharf zusammen und er warf Tonton einen verärgerten Blick zu. „Ich werde sicher nicht den Lieferjungen spielen.“

 

Ein unbeeindrucktes Schnauben und Tonton ruckte ihren Kopf in Richtung des Eingangs, bevor sie sich grunzend auf den Boden fallen ließ. Mit finsterer Miene duckte sich Shikamaru unter dem Noren hindurch und faltete dabei den Regenschirm zusammen, während er ihn schüttelnd vom Regen befreite, bevor er leise grummelnd eintrat. Kaum hatte er sich mit den Zehen die Sandalen von den Füßen geschoben, da kam auch schon eine junge Frau zu ihm und führte ihn durch einen der schmalen Gänge zu einer privaten Sitzecke im hinteren Teil des Lokals, was ihn an mehreren Räumen vorbei führte, die durch Wände und Gitterrahmen voneinander getrennt waren. 

 

Schweigend schob das Mädchen die Shojitür auf, trat beiseite und winkte ihn vorwärts. 

 

Etwas unbehaglich wegen dieser formellen Behandlung, neigte Shikamaru in verwirrtem Dank den Kopf und betrat den Raum; nur um mitten in seinem zweiten Schritt zu erstarren. Seine Augen flogen weit auf und mit schlagartig hämmerndem Herzen geriet sein Atem in seiner Kehle heftig ins Stocken. 

 

Weiße Augen sahen ihn über den niedrigen Tisch hinweg an. 

 

Langsam setzte Neji die Tasse ab und seine tiefe weiche Stimme rollte leise in die Stille. „Hallo, Shikamaru.“ 

 

_________________________

Oh ja, es ist soweit, Shikamaru und Neji treffen wieder aufeinander ;) Wurde langsam ja auch Zeit :D 

Joa, viel hab ich zu dem Kapitel eigentlich gar nicht zu sagen, ich hoffe einfach nur wie immer, dass es euch gefallen hat! :) 
 

Vielen lieben Dank natürlich wieder an alle meinen lieben Reviewer/innen und Leser/innen! <3

Just a moment

Stille. Die Art, die zu einem gestohlenen Augenblick gehörte. Einem kostbaren Augenblick. Denn Neji wusste, dass sich dieser ganz besondere Fall, den Schattenninja bis zu einer sprachlosen Schockstarre zu überraschen, niemals wiederholen würde. 

 

Shikamaru würde es niemals ein zweites Mal geschehen lassen; er würde diesen Moment genauestens katalogisieren und das nächste Mal vorbereitet sein. 

 

‚Bis zum nächsten Mal, Nara?‘

 

‚Verlass dich drauf.‘

 

Neji legte die Hände auf den Schenkeln ab und stählte sich im selben Atemzug. Es brauchte eine ganze Menge an Zurückhaltung, sitzen zu bleiben; zentriert zu bleiben. Seltsam, wie in der Vergangenheit diese seltene Erfahrung, den Schattenninja so unvorbereitet zu erwischen, immerzu ein tiefes und berauschendes Gefühl der Befriedigung in ihm hervorgerufen hatte. Und Neji hätte dem Drang vielleicht auch nachgegeben; wenn er nicht die Panik gesehen hätte, die direkt unter der Oberfläche der Augen des Schattenninjas hindurch huschte. 

 

Klickend schloss sich die Tür und durchbrach den Zauber. 

 

Shikamaru blinzelte rasch angesichts des Geräuschs, drehte sich halb und blinzelte etwas mehr, was ihn äußerst desorientiert wirken ließ. „Du hast das Schwein geschickt…“, sagte er unbeholfen und vollkommen unnötig. 

 

Aus deinem Spiel geworfen.

 

Das Lächeln des Hyūga spannte sich an, um nicht noch breiter zu werden. Bedächtig griff er nach seinem Tee und tat so, als würde er daran nippen, um die Gelegenheit zu ergreifen, seinen Blick langsam über Shikamaru wandern zu lassen. Er machte sich wieder mit jeder einzelnen schlanken und sehnigen Kontur vertraut – fühlte den Stich und das Ziehen hinter seinen Rippen, die die bittere Bedeutungslosigkeit von Distanz und Zeit offenbarten. 

 

Jedes Mal.

 

Shikamaru begab sich zu dem Tisch und seine Anspannung verriet sich durch den Winkel, in dem er langsam die den Abstand überbrückte; er bewegte sich gerade links der Mitte und vermied energisch den scharfen Strahl von Nejis kühlem und unbeirrbarem Blick. Mit leicht gedrehtem Körper setzte er sich und spähte aus dem Augenwinkel zu ihm. „Würdest du damit aufhören? Man begutachtet mich sowieso schon von allen Seiten.“

 

„Und ist diese genaue Musterung denn gerechtfertigt?“

 

Überraschenderweise hielt Shikamaru diesmal den Augenkontakt. „Ist das deine Art mich zu fragen, ob ich mich in kalten tiefen Wassern befinde?“

 

Neji hielt das zusammengezogene Starren und spürte deutlich, wie der Pulspunkt seinem Kiefer pochte. „Ja.“

 

Nach ein paar angespannten Sekunden seufzte Shikamaru leise durch die Nase und lächelte leicht. „Jo. Dachte ich mir.“

 

Es war keine Antwort auf Nejis Frage…und es warnte ihn eindringlich davor, noch weitere zu stellen. Der Hyūga wusste es besser als zu drängen, wenn Shikamaru ihn bereits auf halbem Weg getroffen hatte. Und er wusste es ebenso besser als fade Höflichkeiten auszutauschen. „Team 10 wurde einer Mission zugewiesen“, sagte er. 

 

Shikamarus Augen wurden kaum sichtbar einen Hauch schärfer, bevor der Schattenninja in seine abgestumpfte Haut schlüpfte, sich zur Seite neigte, während er die Ellbogen aufstellte und die Finger gegen seine Schläfe drückte. „Schön, sag mir, was ich wissen muss.“

 

Neji griff in die Falten seiner Robe, zog ein zusammengefaltetes Dokument hervor und schob es über den schmalen Tisch, wobei er auf halbem Weg erstarrte, als Shikamaru ihm die Hand entgegenstreckte, um es zu nehmen. Sofort fielen seine blassen Augen auf verletzte scharlachrote Haut und ohne überhaupt nachzudenken reagierte Neji. Er umfasste das Handgelenk des Schattenninjas und spürte, wie der Puls unter seinen Fingern einen wilden Satz machte. 

 

Shikamaru warf ihm einen Blick zu, der quasi ‚Zur Hölle?‘ schrie. 

 

Stirnrunzelnd räusperte sich Neji. „Was ist mit deiner Hand passiert?“

 

„Heißer Kaffee. Langweilige Geschichte.“ Vorsichtig befreite Shikamaru sein Handgelenk, entfaltete das Dokument zwischen zwei steifen Fingern und überflog den Text, während sich seine Brauen tief zusammenzogen. „Kusagakure?“

 

„Potentielle S-Rang Aktivitäten.“

 

Shikamarus Augen zuckten rasiermesserscharf nach oben. „Akatsuki?“

 

„Nein“, erwiderte Neji und versuchte zu entschlüsseln, ob die Linie, die sich zwischen die Brauen des Schattenninjas schnitt, auf Verwirrung oder Enttäuschung zurückzuführen war. Er konnte all die Fragen spüren, die seinen Rachen hoch stiegen, die Spannung, die unter seiner Haut entlang kroch und das Kribbeln in seinen Fingerspitzen; den Drang, die Hand nach dem Nara auszustrecken. Mit viel Mühe zog er sie von seiner Tasse zurück, legte sie in seinen Schoß und krümmte krampfhaft die Finger. 

 

Währenddessen waren Shikamarus Augen wieder auf das Papier gerichtet und seine Brauen hoben sich. „Zwei Millionen Ryō, huh?“

 

„Anreiz genug“, sagte Neji. „Wenn es zu einem Krieg kommt, dann müssen wir auf die Kosten vorbereitet sein.“

 

„Jo“, murmelte Shikamaru und sein wandernder Blick hielt am Ende des Blattes inne; zusammen mit seinem Atem. „Zu blöd, dass man kein Preisschild an ein Leben hängen kann.“

 

Neji beobachtete ihn und die kühle Fassade löste sich von seinem Gesicht, als sich Shikamarus Augen anzuspannen begannen und seine Atmung stoßweise wurde. „Shikamaru…“

 

Nicht!“, knurrte Shikamaru und zerknüllte das Papier in seiner Hand, als er die Lider aufeinanderdrückte. Scharf sog er die Luft ein und hob eine Faust, deren Knöchel weiß hervor traten, bevor er einen langsamen und steten Atem ausstieß. „Nicht.“

 

Sofort zog sich Neji mit steif aufgerichteter Wirbelsäule, zusammengepressten Lippen zurück und griff mit seinen Augen allein nach dem Schattenninja. Das, genau dieser Moment – jetzt – war das, was er an Asumas Begräbnis hatte vermeiden wollen. Die Qual, nicht zu wissen, was er sagen sollte; die Qual, nicht zu wissen, was er tun sollte. Die Qual, durch Gewohnheit und Zurückhaltung dazu gezwungen zu sein, sich zurückzulehnen und zuzusehen, zu warten…und sich bei allem auf dieser Welt zu wünschen, dass das Leben nicht so war wie es war und immer sein würde; Menschen fortstehlend, sie trennend, ob nun durch die grausame Hand des Todes oder durch die eiserne Faust erzwungener Distanz. 

 

Distanz…

 

Er zwang sich selbst dazu, diese Distanz jetzt mit straffem Körper und festem Gesichtsausdruck zu wahren. 

 

Mit immer noch geschlossenen Augen presste sich Shikamaru eine Faust gegen die Lippen und sein Ellbogen war dabei ein starrer Punkt, der sich in den Tisch drückte, als er sich gegen das leiseste Zittern wehrte. Seine Schultern hoben und sein Körper verkrampfte sich – und dann bebten seine Nasenflügel und stießen den angestauten Atem in einem einzigen kontrollierten Strom aus. Beinahe sofort danach öffneten sich seine Augen; undurchsichtig wie Obsidian und auf die Mitte des Tisches fixiert.

 

„Rede“, raunte er rasch und rau. 

 

Ein Stich grub sich tief hinter Nejis Rippen, doch er zog die Riemen um sein Herz straffer und tat wie ihm geheißen. „Ich werde diese Mission nach Kusagakure anstelle von Kakashi-senpai anführen. Unser Ziel ist es, herauszufinden, ob Kusagakure in den illegalen Handel durch Chakra gestärkter Exemplare verwickelt ist.“

 

„Exemplare?“, krächzte Shikamaru und räusperte sich. „Menschlich?“

 

Neji schüttelte den Kopf. „Unbekannt. Könnte tierisch oder menschlich sein. Wir sind uns auch nicht sicher, ob dieser illegale Handel nur innerhalb von Kusagakure stattfindet, oder ob es über die Grenzen hinaus geht. Gemessen an dem S-Rang Niveau können wir davon ausgehen, dass das Risiko besteht, dass es eine endemische Operation wird. Ich würde deinen Ratschlag bei der Zusammenstellung eines Teams sehr zu schätzen wissen.“

 

Shikamarus Stirnrunzeln wurde tiefer, als seine Augen arbeitend vor und zurück zuckten, um die Informationen anzuordnen und erneut durchzugehen. Er nickte langsam, sagte aber nichts. 

 

Neji wartete einen Herzschlag, bevor er fortfuhr. „Unter Berücksichtigung all der unbekannten Faktoren, möchte ich eine Mischung stationärer und offensiver Einheiten. Das könnte sich als Suchen und Sichern herausstellen, aber wir können ein Suchen und Zerstören nicht ausschließen.“ Bedächtig spähte er auf das zerknitterte Papier in Shikamarus Faust, um sich davon abzuhalten, auf die zerknitterten Linien zu stieren, die sich in die Augenwinkel des Schattenninjas bissen. „Unser Klient ist ein Mitglied des Hofes des Daimyōs. Wir werden uns bei den Ruinen der alten Kannabi Brücke mit seinen Leuten treffen. Nächste Woche brechen wir auf.“

 

Was bedeutete, dass Neji schnell handeln musste, um sich all seine nötigen Spieler zu sichern; besonders da alle verfügbaren Chūnin für Missionen von Nijū Shōtai Jōnin weggeschnappt wurden, die zusätzliche Teams benötigten. 

 

Wie immer war Zeit von entscheidender Bedeutung. 

 

Und dennoch; während er Shikamaru jetzt so beobachte und sein scharfes Profil musterte, das im weichen Laternenlicht noch markanter war, strömte Geduld wie ein Bach durch Neji…wusch die Glut der Dringlichkeit fort…und brachte all diese kostspieligen Lügen mit sich, die er zu glauben liebte…die grausame Illusion, dass die Zeit langsamer wurde…still stand…

 

Nur ein Augenblick.

 

Gestohlen; wie immer – und was wäre dieses Mal der Preis? Neji stählte sich dagegen, das zu beantworten, darüber nachzudenken. Stattdessen hielt er seinen Blick beständig auf Shikamaru gerichtet, nahm seinen Tee auf und tat noch einmal so, als würde er trinken, um dem Schattenninja einen Moment zu geben, seine Gedanken zu sammeln. 

 

Was geht in diesem Verstand von dir vor sich?

 

Die so banale Frage wurde von einer Flutwelle weit dringlicherer Sorgen beiseite geschoben; Sorgen, die aller Wahrscheinlichkeit nach viel schmerzhaftere Antworten herauf beschwören würden.

 

Wo bist du, Nara? Rennst du weg? Bist du kurz davor? Stehst du am Abgrund?

 

Energisch biss Neji den Drang zu sprechen zurück und die Muskeln in seinem Kiefer zuckten dabei hart. Er suchte nach einem Erdungspunkt, einem meditativen Zustand halb zwischen erweitertem Bewusstsein und fester Distanziertheit, während er Shikamaru durch den Dampf musterte. 

 

Es war schwer zu sagen, ob der Schattenninja in dem Moment versunken oder vollkommen davon abwesend war. Seine Brauen hatten sich über verengten Augen zu einem scharfen V zusammengezogen und der Atem rauschte in einem abgehackten Rhythmus aus seiner Nase und strich dabei über kreideweiße Knöchel – ein-und-aus, ein-und-aus – die Faust noch immer an seinen Mund gepresst. 

 

Es schien eine lange und erschöpfende Zeit zu dauern, bevor Shikamaru schließlich sein Kinn hob und leise in die Stille sprach: „Lass mich drüber schlafen.“

 

Neji schmunzelte leicht. „Ich habe nichts weniger von dir erwartet, Nara.“

 

Langsam sah Shikamaru auf und sein Blick wurde im Laternenlicht so weich, dass die brandyfarbenen Partikel, die tief in den Schatten seiner Augen schwebten, beinahe golden erschienen. Seine Lippen hoben sich in dem kleinsten Anzeichen eines Lächelns. „Es tut gut, dich zu sehen, Neji.“

 

Eine Grube öffnete sich in Nejis Brust und schluckte alle Luft aus seinen Lungen. Seine Rippen dehnten sich gegen den wachsenden Druck aus. Kopfschüttelnd atmete er leise aus. „Worte sind…“ Er brach ab und alles, was er in sich hatte, um es zu sagen, war… „Schwierig“, gestand er.

 

Shikamarus Augenbraue zuckte; es war eine schwache Imitation seines üblichen charakteristischen Bogens. „Jo. Aber du bist viel eloquenter und ich viel zu faul, um es überhaupt zu versuchen.“

 

Neji lachte; fühlte, wie das vibrierende Geräusch etwas von der Anspannung in seiner Brust löste. „Zumindest das hat sich nicht verändert.“ Doch er ernüchterte rasch und verband wieder ihre Blicke. „Und mir tut alles leid, das sich verändert hat.

 

Eine kurze Pause entstand, als Shikamaru erneut seine Faust gegen seine Lippen klopfte und versuchte, sich an seinem Lächeln festzuhalten. „Ich fühle einen mächtigen Sprung, der auf dem Weg ist, Hyūga“, sagte er gedehnt, doch der Schmerz in seinen Augen drängte sich an die Oberfläche und zerschmetterte den schwachen Versuch von Humor. „Und ich bin viel zu erledigt, um uns aus diesen kalten tiefen Wassern zu zerren.“

 

Neji lehnte sich nach vorn und fing sich gerade noch rechtzeitig, als er einen Arm über die Kante des Tisches legte und sich so selbst dabei blockierte, noch weiter zu gehen. So gut es ging verbarg er den Ausrutscher, indem er seinen Körper neigte und auf seinen Ellbogen stützte, wobei er eine Leichtigkeit vortäuschte, die er keineswegs verspürte. Er trommelte leicht mit den Fingern; ein beweiskräftiges Tippen. 

 

Ein leises Lachen schwebte über den Tisch. „Verdammt. Was für eine rettende Parade. Du kannst einfach nicht lässig oder beiläufig sein, oder?“

 

Neji verzog leicht das Gesicht über die Offensichtlichkeit dieser Aussage. „Es entzieht sich mir.“

 

„Jo. Ist fast schon schmerzhaft, dabei zuzusehen.“

 

So wie bei dir…, dachte Neji und kämpfte hart darum, den Augenkontakt nicht zu unterbrechen. Und auf einmal sprang der Drang, sich zu rechtfertigen völlig ungebeten nach oben und flog sofort von seinen Lippen. „Ich habe uns nicht hierfür eingeschrieben, Shikamaru.“

 

Der Schattenninja warf ihm einen gespielt zweifelnden Blick zu. „Ja, ich dachte auch nicht, dass du so ein abartiger Sadist bist.“

 

„Nicht wirklich. Ich bevorzuge es einfach, eine dramatischere Wirkung zu erzielen.“

 

Shikamaru schmunzelte und dieses gerissene Grübchen schnitt sich dabei in seine Wange. Er senkte ein wenig die Augen. „Also was hat es damit auf sich, dass du auf einmal Kakashi-sensei usurpierst?“

 

„Usurpieren?“ Neji zog eine Grimasse und mochte es gar nicht, wie Kibas Gesicht in seinem Geist aufploppte, begleitet von dem hallenden Heulen von ‚Hoheit‘. „Ich bin mir nicht sicher, was bei dieser Entscheidung ausschlaggebend war.“

 

„Deine makellose Erfolgsbilanz?“, scherzte Shikamaru, doch seine Augen behielten diese scharfe, spekulative Kante bei, die auf Teile und Puzzle und Möglichkeiten hindeutete. „Schätze, du bist inzwischen ganz oben angekommen.“

 

Wohl kaum.

 

Er befand sich auf der untersten Sprosse eines Leiterspiels, und spielte mit einem Schicksal, das weniger sicher war als der Tod und weitaus deprimierender. Kontrolle, Freiheit und der potentielle Verlust von beidem. Er hatte seine Kontrolle in die zuckenden Hände eines Tokujō Sadisten gelegt und sein Leben praktisch einem militärischen Strategen überlassen, der geradezu darauf versessen war, seinen Kampf um Freiheit so zermürbend wie nur irgend möglich zu machen. Was für eine Schande, dass er kein Masochist war; zumindest wäre er dann in der Lage gewesen, darüber zu lachen. 

 

Götter, wie ironisch ist das eigentlich? Die Kontrolle aufzugeben, für die ich beinahe gestorben wäre, um eine zweite Chance im Leben zu bekommen…

 

Und was für ein Leben er gewählt hatte. 

 

Zumindest konnte ich wählen.

 

Und das war doch genau der Punkt, oder nicht? Die Chance zu ergreifen, die sein Vater hatte verstreichen lassen. Und für welchen Zweck hatte Hizashi sie aufgegeben? Welchen Sinn? Welches Selbstgefühl? Um für Kameraden zu sterben, ja. Aber vom Käfig des Lebens in das Gefängnis des Todes zu springen ohne jemals Freiheit geschmeckt zu haben, ohne diesem weggeworfenen Leben jemals einen Wert gegeben zu haben? Was war das schon? Nicht bedeutungsvoller als ein nobles Opfer, das von einem edelmütigen Sklaven erbracht wurde. 

 

Und ich weigere mich, auf diese Weise zu sterben.

 

„Du siehst alle Arten von tiefsinnig aus, Hyūga.“

 

Neji blinzelte. „Was?“

 

Shikamaru legte den Kopf schief, senkte die Faust von seinem Mund und legte seinen Arm zwischen ihnen auf dem Tisch ab. „Du siehst aus, als würdest gleich wieder einen gewaltigen Satz machen. Hast du mich damals nicht gehört?“

 

Während er auf Shikamarus Arm stierte, der parallel und so nah an seinem ausgestreckt dalag, widerstand Neji dem Drang, den gewaltigen Satz zu erwähnen, den der Schattenninja gerade gemacht hatte, indem er die Distanz auf die unschuldigste Weise geschlossen hatte. 

 

Unschuldig? Beabsichtigt?

 

Es war immer schwer zu sagen.

 

„Hörst du mich überhaupt, Neji?“

 

Räuspernd hob Neji seine Hand und zog sie fort, wobei er zusah, wie sein Schatten in einer phantomhaften Berührung über die Haut des Naras strich. „Nein“, sagte er, krümmte die Fingerspitzen über seine Teetasse und drehte sie in einem langsamen Kreis. „Mein steinhartes Ego steht direkt zwischen meinen Ohren und meinem Hirn.“

 

Shikamaru saugte an seinen Zähnen und hielt etwas in sich, was vermutlich ein Lachen gewesen wäre. Mit einem leichten Kopfnicken gab er nach. „Verdammt. Das erklärt einiges. Sag mir, dass daran auch irgendwas Gutes ist.“

 

„Ich habe einen diamantharten Schädel.“

 

Und da war es. Dieses leise Lachen. Rauchig und tief, gefolgt von diesem Blut aufwühlendem Klang eines Honig-und-Rauch gedehnten Sprechens. „Sag bloß. Ich glaube, ich habe immer noch einen Blutsturz von deiner letzten Hyūga Kopfnuss.“

 

Neji zog leicht das Kinn zurück, doch er war eher amüsiert statt gekränkt. „Ich habe niemals dein Blut vergossen“, verteidigte er sich. 

 

Schnaubend schossen Shikamarus Brauen nach oben. „Hast du jetzt auch noch ein selektives Gedächtnis? Du hast mein Blut vergossen und mir eine Gehirnerschütterung verpasst.“

 

„Das war wohl kaum ein Blutsturz, Nara. Es hat ja nicht mal eine Narbe gegeben.“

 

„Oh ich bin bereits vernarbt; mental vernarbt fürs Leben.“

 

Neji beugte sich vor; ein unbewusster Versuch, sein Lachen zu ersticken. Doch das Lächeln brach sich trotzdem Bahn, schnitt das Eis von seinem Gesicht; es war wie ein fremder Schmerz, der sich über seine Wangenknochen zog. Er hatte nicht mehr auf diese Weise gelächelt, seit…

 

Dem letzten Mal, als ich mit dir zusammen war. 

 

Es war ein trauriger und ernüchternder Gedanke. Rasch lehnte er sich fort und fuhr sich mit einer Hand durch die dunklen Strähnen, die sein Gesicht einrahmten, bevor er sie mit einem leisen Seufzen und kopfschüttelnd fallen ließ. Wenn es um Shikamaru ging, dann stand er immerzu an einer Kreuzung; Meilen von dort entfernt, wo er sein musste – sowohl mental als auch emotional. 

 

Für einen Moment musterte Shikamaru ihn. „Ich kann aus der Mission aussteigen.“

 

Scharfsinnig wie immer…

 

Neji schmunzelte bitter. Wie so vieles kommuniziert werden konnte und dennoch für immer unausgesprochen blieb, überraschte oder ärgerte den Hyūga immer wieder. Doch was ihn mehr störte als Shikamarus scharfe Augen, war die Andeutung, dass er sich nicht unter Kontrolle halten könnte. Er spürte, wie sich seine kühle Miene über sein Gesicht fror und etwas Wärme aus seinen Zügen stahl. 

 

„Das ist keine Option“, sagte er. „Und selbst wenn es das wäre, bleibt immer noch die Tatsache, dass du und ich unsere Pflicht und unsere getrennten Leben hatten, lange bevor wir diese…“ Er suchte nach einem Wort und spuckte es ohne nachzudenken aus: „Ablenkung hatten.“

 

„Ablenkung…“, schnaubte Shikamaru beinahe schon knurrend und sah zur Seite des Tisches. „Das ist ja mal ein abartiges Wieselwort.“

 

Neji mahlte bei dieser blasierten Erwiderung mit den Kiefern, als er fühlte, wie sich alte Wunden öffneten. Herausfordernd hob er das Kinn. „Bestreitest du es?“

 

Shikamarus Augen zuckten angesichts des samtenen Tonfalls. „Nein“, sagte er weich und verband erneut ihre Blicke. „Ich bestreite es nicht.“

 

„Genau“, sagte Neji. „Aber du wirst es lernen. Und um der Mission willen vertraue ich darauf, dass du tun wirst, was auch immer notwendig ist.“

 

„Notwendig…?“ Shikamarus hauchte das Wort, während er den Arm über den Tisch zog und seine Stimme noch leiser wurde. „Danke für den Spickzettel der Akademie, Hyūga. Aber ich habe die Klasse bereits bestanden.“

 

„Dann kennst du auch die Regeln“, fuhr Neji fort und nutzte jede Unze seiner Selbstbeherrschung, um seine nächsten Worte nicht hinunter zu schlucken, sondern sie in einem flachen Tonfall hervor zu zwingen. „Diese Mission ist mehr als nur eine direkte Anweisung der Hokage; sie ist eine Gelegenheit zu beweisen, dass persönliche Gefühle und vergangene Übertretungen keinen Einfluss darauf haben, wer wir jetzt sind und was wir tun müssen.“

 

Was auch immer noch an Wärme geblieben war; sie erstarb schlagartig wie eine erstickte Flamme in Shikamarus Augen und die goldenen Sprenkel verschwanden im Schatten. „Du hast nie einen direkten Befehl oder eine Mission gebraucht, um das zu beweisen.“

 

Der verbale Schlag prallte von den Schilden um Nejis Herz ab und löste einen unmittelbaren und verheerenden Gegenschlag aus. „Nein. Aber du hast das immer gebraucht.“

 

Ein direkter Treffer. 

 

Shikamaru saß regungslos da; sprach nicht, atmete nicht. 

 

Und erst dann registrierte Neji wirklich, welche Wirkung seine Worte hatten. Aber jetzt war es – wie immer – zu spät, um sie zurück zu nehmen; zu spät, um so zu tun, als wären sie nicht dazu gedacht gewesen, zu verletzen, zu schockieren, ebenso viel Kummer auszuteilen, wie er immerzu durch Shikamarus scharfe Zunge und Schnellfeuer-Konter hatte einstecken müssen. 

 

Aber es lag keine Befriedigung darin; kein Erzielen eines Ausgleichs, nur der dumpfe Schmerz von -

 

Distanz. 

 

Nach einer langen Pattsituation kräuselten sich die Lippen des Schattenninjas zu einem bitteren Schmunzeln. Es war seine einzige Antwort, außer dass er noch die Missionsbeschreibung in seiner Hand zerknüllte und mit einem Schwung auf die Füße kam, mit dem er sich gleichzeitig abwandte. Es war eine erzwungene Bewegung; zu entspannt, um echt sein zu können und es war eine, die Neji sofort erkannte - sie zeigte, dass Shikamaru gegen den verzweifelten Drang ankämpfte, aufzuspringen und wegzurennen. 

 

‚Lass ihn nicht wegrennen.‘

 

Gnadenlos zertrümmerte er diesen Gedanken – immerhin gehörte er nicht zu ihm – und ohne sich zu erheben, um dem Schattenninja zu folgen, hielt er seine Stimme sehr ruhig und sehr leise. „Was glaubst du, wo du hingehst?“

 

Shikamaru ließ sich nicht einmal herab, sich umzudrehen. „Ich muss mir diese Scheiße nicht anhören. Und selbst wenn, dann muss ich sie mir ganz sicher nicht von dir anhören.“

 

„Setz dich hin, Nara.“

 

Der kalte autoritäre Tonfall ließ Shikamaru augenblicklich innehalten. Er wirbelte auf dem Absatz herum und warf Neji einen fassungslosen Blick zu, der von dem dunkelsten Anflug von Belustigung übertüncht wurde. „Spielst du gerade ernsthaft deinen Rang gegen mich aus?“

 

Gefasst sah Neji zu ihm hoch. Er mochte Shikamarus Vorteil der Höhe nicht, war aber auch nicht willens, seine kühle Haltung für reines Getue zu opfern. „Wir sind hier noch nicht fertig.“

 

„Ich schon.“

 

„Ich nicht.“

 

„Zu blöd.“

 

„Setz dich hin.“

 

„Fick dich ins Knie.“

 

Jetzt stand Neji auf; er strahlte völlige Kontrolle auf, als er sich mit kraftvollen Gliedern zu seiner vollen Größe aufrichtete. Über den niedrigen Tisch hinweg standen sie sich gegenüber; Shikamaru bereits halb der Tür zugewandt – eine unverhohlene Beleidigung oder ein strategisches Manöver. Bei dem Schattenninja konnte man das nie so genau wissen und das hatte ihn immer zu einem unwiderstehlichen Gegner gemacht – einer Herausforderung, die einen in den Wahnsinn trieb.

 

Neji versuchte es erneut. „Setz dich hin, Shikamaru.“

 

Doch Shikamaru hob nur eine Braue. „Glaubst du wirklich, dass es deiner Aussage irgendein Gewicht verleiht, nur weil du aufgestanden bist?“

 

„Das kommt darauf an, ob du immer noch stehst, wenn ich mich das nächste Mal wiederhole.“

 

Beide von Shikamarus Brauen wanderten bis zu seinem Haaransatz und ein raues Lachen rasselte in seiner Kehle, als etwas Unbestimmbares hinter seinen Augen aufflackerte; heiß und wild – ein blitzartiges Flimmern, an das sich Neji durch weit intimere Begegnungen erinnern konnte.

 

Es ließ ihn innehalten – ließ ihn zögern. 

 

Sehr langsam wandte sich Shikamaru ihm zu und als er das tat, fing Neji an der Peripherie seines Sichtfeldes synchronisierte Bewegungen auf. Schatten bewegten sich in spektraler Nachahmung der langsamen Drehung des Nara und krochen in einem zunehmenden Pulsieren über die Wände. 

 

Was zur Hölle?

 

Und dann, in diesem kaum vorhandenen Moment – einem Moment der nicht länger andauerte, als der Schatteninja brauchte, um sich umzudrehen – realisierte der Hyūga, dass da etwas subtil Anderes an der Art und Weise war, wie Shikamaru aussah – nein, wie er sich anfühlte. Doch er konnte es nicht auf irgendetwas Physisches festlegen. Es war mehr die Aura, die der andere Ninja ausstrahlte. Sie ging über die straff gezogenen Muskeln, die Intensität dieser Augen und der Schärfe der Intelligenz hinter ihnen hinaus; ja, es ging tiefer, viel tiefer. 

 

Und Neji wurde abrupt vollkommen regungslos, als er mit stockendem Atem identifizierte, was es war. 

 

Sein Chakra ist anders.

 

Dichter. Dunkler. Neji hatte das schonmal gefühlt, genauer gesagt sogar zweimal; und beide Male war Shikamaru dabei unter ihm festgenagelt gewesen. Das letzte Mal, dass er diese seltsame Manifestation erlebt hatte, war im Ryokan gewesen, als sie gegeneinander gekämpft hatten. Wirklich gekämpft. Nur hatte er damals sein Byakugan gebraucht, um es entdecken zu können. Jetzt spürte er es vollkommen intuitiv; eine fast schon zähflüssige Energie, eine greifbare Kraft. 

 

Finde es. 

 

Die Venen an seinen Schläfen traten wie Drähte hervor; sofort blutete die Welt zu einem glühenden Monochrom aus und seine Sicht zog sich zusammen, bevor sie sich ausdehnte und mikroskopische Details in einem Netzwerk konzentrierten Chakras aufflammten. Aber fast sofort verdunkelten sich diese Pfade zu einem undeutlichen Nebel, als würde Shikamaru die verschleiernde Wirkung eines Barrierejutsus einsetzen. 

 

Kami…maskiert er sein Chakra?

 

Eine weitere eiskalte Flut der Erinnerung.

 

‚Ich weiß nicht, wie du gelernt hast, dein Chakra so maskieren zu können, aber es wird mich nicht davon abhalten, dich zu finden.‘

 

Und das hatte es auch nicht. Aber jetzt? Er starrte Shikamaru an und sein durchdringender Fokus taumelte verwirrt, als die Vergangenheit die Gegenwart überlagerte.

 

‚Ich habe mein Chakra nicht verloren.‘

 

‚Nein, aber du hast die Kontrolle darüber verloren. Und ich bezweifle, dass es dir überhaupt bewusst ist, was im Moment damit passiert.‘

 

Energisch wischte er die Erinnerung beiseite und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart, nur um festzustellen, dass die Netzwerkpfade des Schattenninja sichtbar und klar waren, die Tenketsu geladen mit Chakra, aber nicht verdorben von etwas Unheimlicherem als Geschwindigkeit; da war nichts außer eine beschleunigte Zirkulation. Nichts Dunkles, nichts Unheilvolles. 

 

Hatte er sich das gerade eingebildet?

 

Nein.

 

Und dennoch fand er keinerlei Beweise, die seine vorherige Intuition unterstützten. Er war sich auch nicht sicher, was ihn mehr verstörte, der Mangel an Beweisen oder die Fehler in seiner Wahrnehmung. Entsetzt überprüfte Neji sein eigenes Chakra und suchte nach Blockaden. 

 

Was stimmt nicht mit mir?

 

Als wäre sein Ausrutscher mit Ino nicht bereits beunruhigend genug gewesen – und jetzt auch noch das? Hatte Ibiki in seinem Hirn irgendetwas geändert? Oder schlimmer – hatte er irgendetwas dort hinein gepflanzt? Nahm er jetzt Realitäten wahr, die gar nicht existierten?

 

Götter, ich klinge total paranoid.

 

Doch er fühlte es auch…wie diese Kontrolle abrutschte. Er war daran gewöhnt, dass sein Körper ihn gelegentlich im Stich ließ; aber niemals sein Verstand. Gott, das könnte er nicht ertragen. Bei dem Gedanken daran wurde ihm speiübel und es ließ ihn fassungslos zurück. Als er sein Byakugan deaktivierte, stellte er fest, dass Shikamaru ihn unbeirrt musterte; die vorherige Bedrohung war aus diesen dunklen Augen verschwunden und fort aus seiner Aura. 

 

Wenn es überhaupt da gewesen ist…

 

Alles, was zurückblieb, war eine erschöpftes Schweigen. Und der verzweifelte Drang, sich zu erden. 

 

Den Kopf wieder gerade zu rücken.

 

Da er seinen Sinnen im Moment nicht traute, zögerte Neji, als er geradezu spürte, wie sie ihn anschrien. Viel zu spät bemerkte er eine seltsame Empfindung der Schwerelosigkeit, die sich um ihn legte; ein komisch kribbelnder Fluss, der alle Energie aus seinen Gliedern raubte, sie hinunter zerrte zu den Sohlen seiner Füße und dort zu einer sichtbaren Masse erstarren ließ. Und bevor er sich der abrupten Lahmlegung seiner motorischen Funktionen widersetzen, oder die Masse aus Energie als seinen eigenen Schatten identifizieren konnte, musste er feststellen, dass er vollkommen bewegungsunfähig war. 

 

Schattenbesitz.

 

Weiße Augen flogen weit auf. Wie zur Hölle hatte der Nara das geschafft?

 

Indem er durch den Spalt geschlüpft ist…

 

Durch den Spalt zwischen Paranoia und Zögern. 

 

Du Narr.

 

Er hatte all seine Wachsamkeit so gut wie fallen gelassen und sich selbst weit offen gelassen, während er völlig arrogant angenommen hatte, dass sich Shikamaru nicht die Mühe machen würde, sich diesen Treffer zu holen. Vergangene Erfahrung diktierte eigentlich Faulheit und Vermeidung. Die einzige Zeit, zu der Shikamaru vielleicht einen Kampf provozieren würde, wäre nur dann, wenn er die Notwendigkeit verspürte, ernsthaft Dampf abzulassen. Doch als Neji den Schattenninja anfunkelte, sah er keinen Zorn, keine Aggression.

 

Also was dann?

 

Er spürte, wie sich sein Körper bewegte und Shikamarus Schritte durch den Raum spiegelte, bis der Schattenninja stehen blieb und sie nur noch zwei Schritte voneinander entfernt waren. Ohne ein Wort beäugten sie sich und ihre Brustkörbe hoben sich unter dem Widerstand eines Tauziehens, während die Luft zunehmend dichter wurde und ihnen das Atmen erschwerte. 

 

Verdammt.

 

Nejis Muskeln brannten, als sie gegen die Paralyse ankämpften, die alles bewegungslos machte außer sein Gesicht – der einzige Teil von ihm, den er verzweifelt nicht zu bewegen versuchte. Ein einziger Gesichtsausdruck würde ihn mehr verraten als sein Körper. 

 

Zur Hölle damit.

 

Er sammelte sein eigenes Chakra und versuchte, es durch seine Tenketsu-Punkte zu drängen. Er schaffte es, Shikamarus Griff lange genug zu durchbrechen, um eine leichte Reibung zu erzeugen und einen Konterpunkt zu erschaffen. Ein blauweißes Glühen erschien auf der Oberfläche seiner Haut. 

 

Schweiß brach auf Shikamarus Stirn aus. 

 

Langsam schaffte es Neji, seine Finger zu krümmen, fühlte aber einen heftigen Krampf, der seine Muskeln packte und Spasmen über seine Kniesehnen, Schenkel und seinen unteren Rücken sandte. „Lass los“, sagte er. 

 

Keuchend trat Shikamaru einen weiteren Schritt nach vorn, sodass sich ihre Brustkörbe beinahe berührten. Langsam legte er seinen Mund dicht an Nejis Ohr und zwang den Hyūga, die Bewegung nachzumachen. Die Nähe von Lippen an Haut sorgte dafür, dass sich die feinen Härchen an Nejis Nacken aufstellten und es jagte eine vertraute Statik über seine Nervenenden, die elektrische Signale und chemische Hitze explodieren ließ. 

 

„Du hast gezögert“, murmelte Shikamaru verführerisch leise. „Du zögerst nie.“

 

Energisch ignorierte Neji die Wärme von Shikamarus Atem, der ihm eine Gänsehaut bescherte und über seinen Hals geisterte. Der Hyūga bleckte die Zähne gegen das gepiercte Ohr und kämpfte den Drang zurück, seine Zähne in der blassen Haut zu versenken. „Ich habe nicht gezögert“, erwiderte er. „Ich habe mich zurückgehalten.“

 

„Nein. Du hast gezögert.“

 

Neji stierte über die Schulter des Schattenninjas und war froh, dass Shikamaru nicht seine Augen sehen konnte. Denn er wusste, dass der Stahl in seinem Blick widerwilligen Respekt zeigte. Er hatte Shikamaru bereits des Öfteren dafür verspottet, es niemals auszunutzen, wenn er sich offen ließ oder sich Treffer zu holen, wenn er die Chance dazu hatte. 

 

Zögere niemals.

 

Shikamarus Lippen strichen zärtlich über seine Schläfe und bewegten sich geräuschlos. 

 

Mit einem unterdrückten Erschauern schloss Neji die Augen. „Was?“, knurrte er, doch es war viel weicher, als er es beabsichtigt hatte. 

 

Er spürte, wie sich der Mund des Schattenninja gegen seine Haut bog; ganz leicht, aber so bedeutsam. „Ich habe gesagt, ich mache einen Spaziergang.“

 

Neji schnaubte – aber schon wieder klang es nicht ansatzweise so, wie er es beabsichtigt hatte oder es gebraucht hätte. Sein Chakra verblasste und die Spannung blutete fort. „Lügner“, beschuldigte er noch weicher. 

 

Und Shikamaru bestritt diese Anschuldigung nicht; machte überhaupt nichts, außer für ein paar stumme Herzschläge sanft gegen Nejis Schläfe zu atmen. Und dann wich er zurück und zog Neji einen Schritt nach dem anderen mit sich; ihre Schatten immer noch miteinander verbunden.

 

Blasse Augen richteten sich wachsam auf Shikamarus Gesicht. „Sei vorsichtig…“, warnte er, war sich aber nicht sicher, wen genau er ansprach; Shikamaru, oder sich selbst. 

 

„Ich bin immer vorsichtig“, erwiderte Shikamaru und bewegte sich mit einem langsamen Gleiten seiner Fersen, die wispernd über den Tatamiboden glitten. Er schien beinahe von Neji zu erwarten, sich zu widersetzen.

 

Zu kämpfen.

 

Aber Neji kämpfte nicht. Zumindest nicht mit seinem Körper. Stattdessen bekämpfte er einen viel tiefer sitzenden Zug, an viel tiefer liegenden Orten, dieselbe Vorsicht, die in seinen Mondaugen ein- und ausging.

 

Shikamaru blinzelte hypnotisch langsam und bewegte seine Finger. 

 

Nejis Hand ahmte ihn bis zum forschenden Drehen des Handgelenks nach; wie ein Gefangener, der seine Handschellen testete. Zu jeder anderen Zeit hätte ihn der Gedanke an Ketten in unmittelbare Raserei versetzt. 

 

Aber diesmal nicht. 

 

Er spürte ein zaghaftes Ziehen an dem Schatten; wie ein Kind vermutlich an der Hand eines Erwachsenen zupfte. Er leistete keinerlei Widerstand. Und als sich Shikamaru umwandte, um davon zu laufen, bewegte sich Neji exakt in seinen Fußabdrücken. 

 
 

~❃~
 

 

‚Du verweigerst diese Mission, Senpai?‘

 

‚Nein. Ich beantrage, dass sie jemand anderem übergeben wird.‘

 

‚Also verweigerst du diese Mission total. Verdammt, ich muss jetzt auch mal den Jōnin machen. Also, warum verdrückst du dich?‘

 

‚Das geht nur meinen Therapeuten und mich was an.‘

 

‚Urkomisch. Ist dein Therapeut zufällig auch noch Tsunade-sama? Denn sie wird uns beiden den Schädel einschlagen, wenn sie rausfindet, dass ich an den Missionsbeschreibungen rumspiele.‘

 

‚Ich bitte hier nicht um einen Gefallen, Kotetsu. Ich habe das bereits mit der Hokage geklärt.‘

 

‚Ja klar, so wie du deine kleine Schatzsuche in den Archiven geklärt hast?‘

 

‚Ich habe den Hund gefunden, wenn es das ist, was du meinst.‘

 

‚Du weißt, dass das nicht das ist, was ich meine. Und ich weiß, dass es nicht das ist, was du da unten gemacht hast.‘

 

‚Ah, aber sieh mal, ich weiß, dass du denkst, du wüsstest, was ich gemacht habe. Aber du solltest dir da besser sicher sein, denn was du denkst zu wissen und was du dich entscheidest zu meinen, sind zwei verschiedene Dinge.‘

 

‚…Sag das nochmal. Ganz langsam.‘

 

‚Kotetsu.‘

 

‚Tz. Shit. Was auch immer. Schön. Ich werden den dämlichen Papierkram überarbeiten und versuchen, mir nicht die Pulsadern daran aufzuschneiden.‘

 

‚Ah, na da ist ein guter Untergebener.‘

 

‚Was auch immer. Also, Kannabi Brücke, huh? Kennst du das?‘

 

‚…Ja. Ich kenne es.‘

 

Er kannte es immer noch. Er durchlebte es jedes Mal aufs Neue, wenn er in den Spiegel sah. Nicht einmal die Maske konnte ihn dort retten. Und er sah es auch noch doppelt durch zwei sehr verschiedene Augen, wobei das eine Details auf beinahe schon mikroskopischer Ebene aufzeichnete. Er konnte diesen Tag erneut durchleben; in solch graphischen Details, dass es war, als würde man die Zeit in Standbilder sezieren. Er konnte hinein und wieder hinauszoomen, den Ton ausschalten oder verstärken…aber er konnte es nicht ändern, konnte die Ereignisse nicht neu anordnen oder auslöschen. Er konnte nur zurückspulen, zusehen, zurückspulen, zusehen…wieder und wieder…

 

Und normalerweise konnte er das auch tun. 

 

Normalerweise.

 

Aber nicht heute Nacht. 

 

Heute Nacht durchstreifte Kakashi die Wälder des Trainingsareals 44 wie ein wilder Hund an einer kurzen Leine. Viel zu rastlos, um von den vier Wänden seines Apartments eingeengt zu werden, hatte er sich für einen größeren Käfig entschieden; einen Metallkäfig, dessen hoher Zaun von vierundvierzig Toren durchlöchert war. Vierundvierzig Ausgänge. Vierundvierzig Gelegenheiten, um…

 

Irgendwo anders zu sein…

 

Und war das nicht die Tragik daran? Er hatte nichts, wo er sonst sein könnte. Oder zumindest keinen Ort, an den er gehen konnte und an dem er so sein konnte. 

 

Und was genau ist so?‘

 

Rückschritt. Das war es, was das hier war. Er wusste das, denn er wusste es besser als das. Wusste es besser als es zuzulassen, dem zu frönen, sich damit gehen zu lassen. So wie er es zugelassen hatte, dass Sasuke damit ging…ohne dem Jungen jemals nachzujagen…sondern ihn einfach entgleiten zu lassen.

 

Ich bin nicht wie du, Asuma. Ich hatte das noch nie in mir.

 

Und dennoch; wenn er in der Nähe des Sarutobi gewesen war, war er dazu inspiriert worden. 

 

Es scheint, dass ich immer nur den Geistern meiner Kameraden nachjage…versuche, ihre Tode zu nutzen…um einen Sinn aus meinem Leben zu machen…

 

Oh, es war verrückt, ziemlich sogar. Diese Reaktion, dieser Zerfall – wie er es verstand – deutete auf eine Unfähigkeit hin, Trauer verarbeiten zu können…mit Verlust umgehen zu können…mit Reue umgehen zu können…

 

‚Gott, du bist erbärmlich. Dich auf Asumas Reue zu berufen…nur weil du es nicht ertragen kannst, dich deiner eigenen zu stellen…‘

 

Diese unsichtbare Kette verdrehte sich in ihm, rasselte und klirrte. Kakashi beschleunigte seine Schritte, lief durch das pudrige Sternenlicht und die tiefen Schatten des Mondes, während er spürte, wie sich das Rudel um ihn herum bewegte. Kreisend, kreisend…

 

Ein Hund brach aus der Formation, kroch näher; das Fell ebenso silbergrau wie Kakashis Chaos ungezähmter Strähnen. Sein Hitai-ate war fort. Es war in einem Tourniquet festgezurrt, um den roten Strom zu stoppen, der aus seinem Bizeps und seinen Unterarm entlang rann. Seltsam, wie er die Wunde kaum spürte und dennoch zusammenzuckte als hätte er Schmerzen, als eine rosa Zunge über seinen Handrücken leckte. 

 

Seine ungleichen Augen schwangen nach unten. 

 

Er fing Shibas raschen, neugierigen Blick auf, fühlte die nasse Hundenase, die tröstend über seine Fingerspitzen strich. Ein leises Winseln erscholl aus dem Ninken. Mit aufflammendem Sharingan und wirbelnden Tomoe versteifte sich Kakashi. Ruckartig zog er seine Hand zurück und sein Nasenrücken zog sich in einem animalischen Knurren kraus. 

 

Shiba duckte sich tief nach unten und huschte mit gebeugtem Kopf und eingezogener Rute zurück zum Rudel. 

 

Die Jagd ging weiter. 

 

Kakashi machte Sätze, sprang so hoch und weit, dass sich Muskeln zerrten und Haut aufplatzte. Blut gerann klebrig und warm zwischen seinen Fingern und in seinen Armbeugen, sowie die Schnitte in seinem Bauch entlang. Blutbesudelt und verdorben hinterließ er Tod auf der Brise; einen Geruch, um ihm zu folgen. 

 

Und er musste nicht lange warten. 

 

Als das Biest mit einer hybriden Masse aus Streifen und Klauen und entfesselter Rage aus dem Untergrund angriff, erscholl das brutale Kreischen tausender Vögel zusammen mit dem Aufflammen eines Blitzschlags – das stroboskopartige Flackern geweiteter brauner Augen, ein schönes Gesicht, blutige Lippen, die seinen Namen hervor husteten – und dann stieß sich Kakashis Hand direkt durch die Erinnerung, direkt durch Muskeln, direkt durch Knochen und ein schlagendes Herz. 

 

CHIDORI!

 

Das Biest brüllte – ein stranguliertes Jaulen zerbarst in der Nacht. Kakashi rammte seine Knie in den zuckenden Körper, drückte ihn hinunter auf den kalten harten Boden, bis seine Faust auf Erde traf; den Arm in einem zersplitterten Brustkorb begraben, während seine Finger ein noch immer schlagendes Herz umklammerten. 

 

‚K-Kakashi…‘

 

Galle kroch dick wie Blut seine Kehle hinauf…so viel Blut…

 

Kakashi krümmte sich nach vorn, packte beflecktes Gras zwischen befleckten Fingern, die Augen ohne Fokus, die Muskeln verschlossen und sein Rachen in Feuer getaucht…brennend, brennend, brennend…

 

Eine raue rosa Zunge fuhr über seine Wange. 

 

Qual.

 

Knurrend schnellte Kakashi mit gezogenem Tantō aufschlitzend zu dem Hund herum, als er einen wilden animalischen Kreis beschrieb und mit so viel unkontrollierter Brutalität um sich schlug, dass seine Ninken tief gebückt zurück in die Schatten huschten, um aus der Dunkelheit zuzusehen; ihre Augen waren weich mit Geduld, mit Mitgefühl, mit…

 

Oh Gott…

 

Das Tantō fiel aus seiner blutigen Hand und traf mit einem nassen Schmatzen auf dem Boden auf. 

 

‚Nun, da ist der Mann…an den ich mich erinnere.‘

 

Er starrte auf die schwelende Leiche…taumelte einen Schritt zurück…brach auf seine Knie zusammen, warf seinen Kopf in den Nacken…und heulte.

 
 

~❃~
 

 

Vielleicht war sie schreiend aufgewacht. War sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt eingeschlafen war. Zeit hatte innerhalb dieser vier Wände eine seltsame Dimension angenommen. Aber selbst diese vier Wände konnten das Geräusch nur bedingt verzerren. Sie wollte keine Gesellschaft. Wusste, dass diese Gesellschaft vor ihrer Tür kam und ging…das Tapsen von Pfoten…das Schlurfen von Füßen…

 

Leise…leise…

 

Nein, sie hatte nicht geschrien. Aber es tat weh zu schlucken. Rauch verstopfte ihre Kehle, verdrehte sich wie eine dicke graue Schlange, schnitt ihr die Luftzufuhr ab und füllte ihre Lungen. Der Geruch entzündeter Räucherstäbchen umhüllte die Luft mit einem Dunst, der so dicht war, dass man kaum atmen konnte. 

 

‚Ich rauche nicht, keine Sorge.‘

 

‚Du hörst immer nur damit auf, wenn du wegen etwas besorgt bist.‘

 

Kurenai spürte ein frisches Brennen in ihren Augen. Ob es nun vom Salz oder Rauch kam, war jedoch schwer zu sagen. Die Tränen waren inzwischen dort festgefroren und weigerten sich zu fallen. 

 

Vielleicht werde ich fallen…

 

Wenn sie einschlief; wie hoch wären die Chancen, dass sie vielleicht nie wieder aufwachte?

 

Morbider Weise stellte sie sich das vor. Sah, wie die lilienweiße Leiche in dem Driften von Wolken verschwand; erstickt von Trauer und unter einem Deckmantel aus Rauch. Es lag geradezu Poesie darin; die Art, von der sie immer gewollt hatte, dass sie bei ihrer Beerdigung vorgetragen wurde. Kein Bedarf für Blumen. Nur ein lieblicher Vers, gesprochen von einer lieblichen Stimme. 

 

Oh lieblicher Himmel…niemals konntest du singen…

 

Sie stierte in den mondbeschienenen Dunst, sah zu, wie das Licht durch die Jalousien glitt und sich in funkelnden Mustern auflöste, als es sich wirbelnd zu Windungen und Bändern, Schwaden und Fäden verdrehte. Der Schmerz in ihrer Brust wurde heftiger und die Krämpfe in ihrem Bauch mahlten wie stumpfe Messer aneinander. 

 

Ein schlechtes Zeichen, wie sie nur zu gut wusste. 

 

Sie hätte nehmen sollen, was auch immer Shizune vorhin für sie hier gelassen hatte…jetzt war es zu spät…sie schien sich nicht einmal aufsetzen zu können. War sich auch nicht sicher, ob sie überhaupt gewusst hätte, in welcher Richtung das Badezimmer lag. Sie hatte sich zweimal über den Rand des Sofas in etwas übergeben, das vielleicht eine Bratpfanne gewesen war. Sie erinnerte sich nicht daran, was sie gepackt hatte. Erinnerte sich nicht an das letzte Mal, als sie sich bewegt hatte – ah ja, sie hatte das Fenster geschlossen, oder nicht? Hatte den Weihrauch angezündet. Alle zwanzig Stäbchen davon. Als könnte sie sein Gespenst ausräuchern. 

 

Asuma…

 

Ein weiterer Spasmus; wild und unnachgiebig. Sie konnte nicht einmal den Wunsch aufbringen, diesem Schmerz zu entkommen, sich zusammenzurollen, etwas Beschützendes, Instinktives, Mütterliches zu versuchen. 

 

Ich kann nicht…ich kann nicht…ich kann nicht…

 

Hatte sie es jemals gewollt? Schuldgefühle peitschten durch sie und Scham strömte dicker als Blut, um ihre Augen zu füllen. Aber sie konnte nicht weinen. Sie war trocken wie der Rauch und innerlich zusammengeschrumpelt. Und so blieb sie bewegungslos liegen; ein zerknittertes Chaos aus fleckiger Seide und rabenschwarzen Strähnen, einen Arm lose von der Couch hängend. 

 

Und so fand sie der Geist.

 

„Asuma…“

 

Das im Schatten stehende Gespenst schien eine menschliche Form zu haben. Kurenai sah zu, wie es sich durch ein Laken aus Rauch ein Stückchen vorwärts bewegte; ihre Sicht war viel zu verschwommen, um einen Sinn oder eine Form oder eine Dimension erkennen zu können, ihr Körper zu taub, um den plötzlichen Luftzug zu spüren. Ihre Haut kribbelte und sie hörte, wie sie selbst leise gegen den Smog der Räucherstäbchen anschnaufte, als sie darum kämpfte zu atmen, bis Luft – frisch, kühl und nach Regen schmeckend – ihren Rachen traf. 

 

Das Fenster war offen. 

 

Ich habe es zugemacht…ich weiß, dass ich es zugemacht habe…

 

Sie wusste, dass sie es geschlossen hatte, weil es sie zerschmettert hatte, das zu tun. Sie war die kurze Strecke zum Sofa auf allen Vieren gekrochen…war dabei zerbrochen…Staub und Asche…

 

Doch das Fenster war offen. 

 

Und sofort begann sich die Welt aus Geistern und Tod, die sie hier erschaffen hatte, aufzulösen; wie ein Genjutsu, das durchbrochen wurde. Sie sah einen Nadelstich aus Licht, verloren im Rauch; es zuckte hinein und hinaus wie eine entschwindende Seele.

 

„Asuma…“, wisperte sie verzweifelt; wusste, dass sie im Delirium war, getäuscht wurde und betrunken war von einer Hoffnung, die bereits gestorben war. „Asuma…“

 

Das Licht erschien erneut; ein dünnes Aufflammen in der Dunkelheit. Der Geist, der so still und stumm geblieben war - so vollkommen verhüllt von Schatten und Rauch – trat hinein ins Licht. Mit den geschmeidigen Bewegungen einer Katze sank er hinunter in eine Hocke und das Mondlicht strich über das Gesicht des Gespenstes; eine kalkweiße Skizze gegen den schwarzen Hintergrund ihres Verstandes. 

 

Sie kniff die Augen zusammen und ihre trübe Sicht bemühte sich, sich zu fokussieren, als die Details langsam schärfer wurden. Lange Strähnen aus dunklem Sienna rahmten eine scharfe maskuline Kieferlinie ein; bartlos und glatt und straff wie die Haut, die über hohe Jochbeine gespannt war. Schlanke Wangen höhlten sich zu einem ernsten Mund aus, wo sich glatte blasse Lippen um eine dünne Stahlnadel legten. 

 

Die Realität traf Kurenai wie eine Ohrfeige. 

 

Ihr Blick zuckte nach oben und traf auf ein paar dunkel-bronzener Augen, die sich an den Winkeln leicht nach oben krümmten und nichts reflektierten als das ominöse Schimmern von Metall; der Funke eines verlorenen Lebens.

 

Nein…

 

Und letztendlich erlosch Kurenais Hoffnung. „Nein.“ Das Wort erstarb auf ihren Lippen, ein verzweifelter Hauch aus Luft. 

 

Genmas Augen senkten sich, glitten wieder nach oben. Er streckte eine Hand nach ihr aus. 

 

Sie versteifte sich. „Nein.“

 

Seine Finger krallten sich in die zerlumpte Decke und rissen sie mit einem einzigen heftigen Ruck von ihr. Die kalte Luft traf wie Nadeln auf ihre Haut; winzige kleine Senbons. Sie wollte das nicht fühlen. 

 

„Nein, nein, nein“, keuchte sie kläglich und drehte sich von seinen Händen fort, als heiße rote Scham ihren Hals besprenkelte und tief in ihren Augen aufflammte. „NEIN!“

 

Doch Genma packte ihre um sich schlagenden Handgelenke zerrte sie daran grob und ohne viel Federlesen nach oben. Wie ein Seilbrand stach sich sein Griff in ihre Haut, sägte sich hindurch und zog sich zusammen wie eine Schlinge, als sie versuchte, sich zu befreien. Warum schaffte sie es nicht?

 

Du hast mich verlassen…

 

Vollkommen. Alles davon. All ihr Training, all ihre Stärke, all ihr Wille zu kämpfen…alles war fort. Ihr Taijutsu, Ninjutsu, Genjutsu…nichts weiter als Erinnerungen; Erinnerungen, an die sich weder ihre Muskeln, noch ein ihr Verstand entsinnen konnte. 

 

Ihre Beine falteten sich zusammen und ihre Knie sanken nach unten in die Polster. 

 

Genma riss sie wieder nach oben und spuckte dabei sein Senbon zur Seite. „Steh auf, Kurenai.“

 

Inzwischen bebte sie und ihre rabenschwarzen Strähnen zitterten; während ihre Stimme heiser und zischend aus ihr brach. „Verschwinde…“

 

„Steh auf.“

 

In einer trägen und betrunken wirkenden Anstrengung zog Kurenai an ihrem Handgelenk und wiegte auf ihren Knien vor und zurück als sie den bemitleidenswerten Versuch startete, sich von dem Griff zu befreien, der nur stärker und stärker wurde. Und sie fuhr damit fort, bis nur noch ihr Kopf pendelte, tiefer nach unten nickte und noch tiefer, bis sich ihre Wirbelsäule krümmte und sie ihre Lider zusammenpresste, um diese grausame Erniedrigung nicht mit ansehen zu müssen. 

 

Die Übelkeit stieg wie Säure in ihrer Kehle auf. 

 

Schon wieder riss Genma an ihren Handgelenken. „Steh auf.“

 

Doch sie krümmte sich nur noch weiter, bis ihr Kopf auf ihre Schenkel sank, während ihre Handgelenke schmerzhaft weit nach oben gehalten wurden und ihre Arme von der Dehnung zitterten; ihr ganzer Körper bebte so heftig, dass der Schweiß wie Funken von ihr tropfte. „Verschwinde…verschwinde…ver-“ Sie hustete; ein schwerer abgehackter Klang und ihre Lungen entleerten sich anstelle ihres Magens. Es gab nichts, das sie hätte erbrechen können, nichts auszustoßen…nichts außer der Trauer…

 

Er ließ sie so abrupt los, dass sie beinahe gefallen wäre. 

 

Gerade noch rechtzeitig fing sie sich am Rand des Sofas ab, rammte sich die Fäuste gegen die Schenkel und versuchte, sich zu einem Ball zusammenzurollen; versuchte, durch Zusammenfalten vollkommen zu entschwinden. 

 

Genmas Finger gruben sich brutal wie Messer durch ihr Haar und rissen ihren Kopf nach oben. 

 

Wie ein Taucher, der vom Meeresgrund nach oben gezerrt wurde, schnappte sie nach Luft und ihr Mund fiel weit auf, während ihre Hände hoch schnellten. Sie packte seine Hüften, vergrub ihr Gesicht gegen die harten, unnachgiebigen Ebenen seines Bauches und schrie…

 

Genmas Finger fuhren über ihre Kopfhaut, krallten sich in ihr Haar. „Steh auf.“

 

Sie war so nah dran zu fallen…hielt sich nur noch mit ihren Fingerspitzen fest. Laut aufheulend grub Kurenai ihre Nägel gegen Genmas Körper und riss sie wie Klauen aufwärts, zerrte Stoff nach oben und Blut nach außen, kratzte höher, immer höher…wie ein Tier, das zappelnd nach festem Boden suchte…

 

„Steh auf!“

 

Schreiend krümmte sie ihre Krallen und schnitt eine frische blutige Spur über seinen Unterarm, fuhr hart über seine Hände, bis sich ihrer beider Finger vergraben in ihrem Haar ineinander legten. Sie presste ihre Knöchel aneinander, öffnete weit den Mund und schaukelte dabei vor und zurück, als würde sie sich vollständig auseinander rütteln.

 

Asuma…Asuma…

 

„Kurenai.“

 

Oh du Bastard…was hast du mir nur angetan…?

 

Genma schob ihre verschränkten Hände zu ihrem Hinterkopf, wobei verschwitzte Strähnen über blutige Finger strichen. 

 

Weißt du nicht…weißt du denn nicht, wie sehr ich dich brauche? Wie sehr ich es brauche, dass du…

 

Bleib…“ Sie presste das Wort zwischen ihren Lippen hervor, keuchte und keuchte…

 

Sie versuchte, sich festzuhalten und gesplitterte Nägel vergossen noch mehr Blut der Hände, die sich befreiten und ihren Rücken hinunter wanderten; grob und schnell. Nicht wie Asuma. Niemals wie Asuma. Sie fühlte, wie sie hochgehoben wurde und ihre Arme schlangen sich um breite Schultern; fest, stark...

 

Aber nicht wie Asumas.

 

Sie schluchzte gegen Genmas Hals und verdrehte die Finger in seinem Haar. Langsam packte er die Rückseiten ihrer Schenkel und hob ihre Beine in einem einzigen starken Zug über seine Hüften. Er musste sie nicht halten; sie klammerte sich an ihn, nicht wie es eine Frau tun würde…sondern wie es ein Mädchen tun würde…wie es ein Kind tun würde…

 

Ein Kind…unser Kind…

 

Der Gedanke ließ zersplittern, was von ihrem Herzen noch übrig war. Erneut schrie sie auf und die Welt kam auseinander…doch anders als ihr Herz, löste sie sich in Bändern auf…weich wie Rauch…roch nach Glut…beinahe, aber nicht ganz wie Asuma.

 

Asuma…

 

Aller Kampf verließ sie schlagartig. Sie sackte gegen Genma zusammen, zog ihn an sich und umarmte ihn wie eine Rettungsleine, die er in dieser dunkelsten aller Stunden unzweifelhaft war. Er legte einen Arm um sie, doch es war keine erwidernde Umarmung. Es war ein Anker. 

 

Vielleicht hatten sie sich bewegt, sie war sich da nicht so sicher…über Felsen und über Wasser…die Welt war eine Flut – nein, ein Wrack – aus Emotionen. 

 

Sie hörte das Knistern von Räucherstäbchen, die erstickt wurden. 

 

„Nein…“, ächzte sie. „Nein…“

 

„Das reicht jetzt.“

 

Noch mehr Bewegungen; fließend genug, dass sie sie kaum fühlte…Götter, was würde sie nicht geben, um aufzuhören zu fühlen, nur für einen Augenblick. Sie stieß ein ersticktes Schluchzen gegen Genmas Hals aus und verstärkte die Umklammerung ihrer Schenkel um ihn, während sie sich mit den Händen an seinem Nacken festhielt. 

 

So eine intime Umarmung…so ein leeres Gefühl…

 

Ungerührt trug Genma sie aus dem mit Rauch gefüllten Fegefeuer, machte das Licht im Schlafzimmer an und brachte sie direkt ins Badezimmer. Langsam ließ er sie auf dem Rand der Wanne nieder; seine Hände strichen ihre Arme hinauf und ihre Beine hinunter, um eine zitternde Gliedmaße nach der andere von ihm zu lösen. 

 

„Setz dich auf, Yūhi.“

 

Benommen stolperte Kurenai über die knappe Nutzung ihres Nachnamens. Yūhi Kurenai, Jōnin; Name und Rang. Etwas Kaltes, aber Konkretes, etwas, an dem man sich festhalten konnte. Etwas, um diese Erniedrigung auf ein Ereignis zu reduzieren, das zwischen ausgebildeten Shinobi und altehrwürdigen Kameraden gelöst werden konnte. Als hätte sie bei einer Mission versagt, als würde sie es brauchen, zusammengeflickt zu werden…als würde der atemlose Schmerz tief in ihrer Brust von einem Kunairegen herrühren und nicht von den zersplitterten Teilen ihres gebrochenen Herzens…

 

Asuma…

 

„Yūhi.“

 

Übelkeit und Scham schwammen ineinander; eine potente Mischung, die dafür sorgte, dass sich Kurenai schlagartig vornüber krümmte. Genmas Hand umfasste ihren Hinterkopf und drückte ihre Stirn fest gegen seinen Bauch, als er sich über sie beugte und an irgendetwas hinter ihr herumnestelte. 

 

Wasser donnerte in die Badewanne und Rosenduft stieg auf. 

 

‚Das war das letzte Mal, dass ich versuche, irgendwas Romantisches zu machen.‘

 

‚Du hättest die Blütenblätter auch eigentlich vom Stil entfernen sollen, du Höhlenmensch.‘

 

Angst packte sie und wrang ein Schluchzen tief aus ihrer Kehle. Sie hatte nicht einmal mehr die Kraft zu weinen, glaubte nicht, dass sie noch irgendwelches Leid übrig hatte um zu wehklagen…würde es jemals aufhören?

 

Oh lieblicher Himmel…bitte hör auf…

 

„Bitte…“, wisperte sie. „Bitte…“

 

Genma kniete sich zwischen ihre Beine, mied ihre Augen und schälte die Robe von ihren Schultern. Vollkommen betäubt wehrte sich Kurenai nicht gegen seine Fürsorge und blieb vollkommen losgelöst davon; ihre Sinne waren in einen Dunst eingehüllt und versuchten so sehr, den Fluss aus Erinnerungen versiegen zu lassen. 

 

Ich kann nicht…

 

Nach und nach wurde sie sich bewusst, dass Genma sie an seine Brust gezogen hatte, um ihre Nacktheit abzuschirmen und ihr das wenige Bisschen Würde zu gewähren, was ihm möglich war, während er ihre Arme aus den langen Kimonoärmeln befreite. Schweißgetränkte Seide fiel an Kurenais Füße; abgezogen wie alte Haut. Sie fühlte sich roh und verletzlich wie eine offene Wunde. 

 

Oh Liebling…was hast du mir nur angetan…?

 

Ohne innezuhalten hob Genma sie hoch und setzte sie in die Wanne. 

 

Wärme umschloss sie so plötzlich, dass sie das Gefühl hatte, sie würde verbrüht werden. Keuchend sah sie durch halb geschlossene Augen zu, wie der Dampf aufstieg. Es hätte ein Traum sein können, oder nicht? Die Realität schwamm in losen Fragmenten um sie herum, schwebte an die Oberfläche ihres Geistes. 

 

Sie hörte Genmas Aktivitäten wie unter Wasser; wie aus weiter Ferne…

 

Schlaf drohte ihr…eine dunkle düstere Wolke am Horizont…

 

Nein…lass mich nicht träumen…

 

Ihr Haar wurde beiseite gewischt und ein rauer nasser Stoff rieb über ihren Rücken, um akribische Kreise über ihre Haut zu ziehen. Warmes und duftendes Wasser stürzte über ihr Haar. Genma musste seine Hände dafür benutzt haben, denn der Affenbecher war…

 

Zerbrochen…

 

Kurenai zog ihre Beine nach oben, legte sich die Hände vors Gesicht und ließ ihre Tränen stumm durch ihre Finger strömen. Doch sie bat ihn nicht, zu gehen, bat ihn nicht, aufzuhören, würde ihn aber auch nicht bitten zu…

 

Bleib…

 

Ein Rumoren im Zimmer, das Aufklappen eines Deckels, ein rasches Schnuppern. Und dann waren Genmas Hände wieder in ihrem Haar und seine Finger bewegten sich in rauen aufschäumenden Kreisen. Sie verlor die Spur der Tränen, der Berührungen, der Zeit, von allem außer dem Geist in ihrem Zuhause. 

 

‚Wenn ich bei dir bin, dann bin ich zuhause.‘

 

Sie sackte gegen das kalte harte Emaille…hätte für Stunden so bleiben können, für Tage…

 

Erst als das Wasser abkühlte und wirbelnd im Abfluss verschwand, rührte sich Kurenai und fühlte, wie sich etwas Großes und Weiches um sich legte. Sie versuchte aufzustehen und war entsetzt über die Schwäche in ihren Knien. 

 

„Nicht“, sagte Genma. Es war weder eine Bitte, noch ein Vorschlag. 

 

Und als Reaktion auf diesen Befehl verknotete sie das Handtuch über ihren Brüsten und schloss die Augen, sodass sie nicht die Scham sehen musste, die darin brannte. Er hob sie aus der Wanne und trug sie ins Schlafzimmer, während er im Bad mit dem Ellbogen das Licht ausmachte. Ein milchiges Glühen des Vollmonds fiel herein und prägte die Dunkelheit mit silberbläulichen Linien. 

 

Langsam ließ Genma sie auf das Bett sinken – auf Asumas Seite. 

 

Sofort versteifte sich Kurenai. „Nicht hier…“, wisperte sie. „Nicht hier…“

 

Genma verstand nicht, was sie meinte und stieß ein barsches ‚sh‘ Geräusch aus, bevor er sich daran machte, die Laken mit raschen klinischen Bewegungen fort zu reißen, die nach und nach Kurenais Aufmerksamkeit aus dem Sumpf verwirrter Gedanken zogen. Hier war etwas, auf das sie sich konzentrieren konnte; etwas Reales, etwas Unerwartetes…und das völlig fehl am Platz war. 

 

Stirnrunzelnd wurde sie sich wie zum ersten Mal ihrer Umgebung und Genmas Anwesenheit bewusst.

 

Was macht er…?

 

Und noch viel wichtiger; warum.

 

Da die Erschöpfung den Schmerz betäubte, begann Kurenais Verstand, all die Fäden der Realität wieder zusammen zu knüpfen. Was machte Genma hier? Er war die letzte Person, von der sie erwartet hatte, er würde unangekündigt und uneingeladen in ihrem Zuhause auftauchen…ganz zu schweigen in ihrer Stunde der Trauer.

 

Sie schüttelte den Kopf. „Was ma-“

 

„Sh.“ Er schritt mit dem Rücken zum Fenster und das Gesicht in Schatten gehüllt um das Bett. „Dreh den Kopf.“

 

Sie tat wie ihr geheißen. 

 

Ohne ein Wort stützte er ein Knie gegen die Matratze und griff mit beiden Händen nach ihrem Haar, um es auf den Teppich auszuwringen. 

 

Die Tropfen fingen das Mondlicht auf und fielen wie Glasscherben zu Boden. 

 

Nach hinten blickend suchte Kurenai in der Dunkelheit nach seinem Gesicht und fand Andeutungen seiner Konturen in dem dämmrigen Schein, die von einem schonungslos leeren Ausdruck dominiert wurden. Wie eine Maske war alles fixiert; der stumpfe Blick, die grimmige Linie seines Mundes, die harte Kante seines Kiefers.

 

„Genma.“

 

Er legte eine Hand auf seinen Schenkel und nickte in Richtung der Kissen. „Leg dich hin.“

 

Doch stattdessen erhob sich Kurenai; immer noch zitternd, immer noch in Bruchstücken, aber stark genug, um ihr Kinn zu heben und ihre Stimme zu stabilisieren. „Warum tust du das?“

 

Genma richtete sich auf, lehnte sich zurück und sah ihr direkt in die Augen. Solch seltsame, gesteltzte Bewegungen, jede Aktion so anders als die andere. Nicht wie die Bewegungen des Mannes, den sie in der Vergangenheit beobachtet hatte; ein Mann, der mit seiner Umgebung im Reinen war und sich in seiner Haut wohl fühlte, lässig in seiner Manier und bewaffnet mit dem entspannten Selbstbewusstsein eines Eliteninjas, der nichts zu beweisen und auch nichts zu verbergen hatte. 

 

Ein Mann der so unglaublich weit entfernt von dem war, der gerade vor ihr stand.

 

Sie hatte nur Mitglieder von ANBU gesehen, die sich auf diese hölzerne und unpersönliche Weise bewegten und benahmen. Und dennoch war alles, was Genma gerade getan hatte, sehr persönlich gewesen – zutiefst persönlich – mehr als jede Geste der Sorge oder des Mitgefühls, die sie bisher erhalten hatte, egal wie ehrlich, egal wie gut gemeint. 

 

Was war die Intention hierbei? Was hatte ihn dazu getrieben, so eine aufdringliche Maßnahme zu ergreifen? Die Hokage hätte das niemals angeordnet. Oder wenn doch, dann hätte sie mit Sicherheit niemals einen Mann geschickt. Und ganz sicher nicht Genma. Es war absurd, fühlte sich beinahe unerlaubt an und ging weit über den Ruf der Pflicht hinaus, auch wenn sie es gebraucht hatte. 

 

Brauchte es…

 

Sie wusste, dass sie auf diese Nacht zurückblicken und erschaudern würde, konnte bereits die Funken ihres Stolzes spüren, eine brennende Empörung über ihre Schwäche…aber jetzt im Moment war ihr Stolz am Boden, zusammen mit all den Bruchstücken, die überhaupt nichts mit Genma zu tun hatten. Und dennoch war er hier. Behandelte sie wie eine zersplitterte Puppe und hielt sie aber trotzdem zusammen.

 

„Warum hast du das gemacht?“, fragte sie noch einmal.

 

Blinzelnd griff Genma in seine Tasche und zog ein Fläschchen mit Tabletten hervor. Es waren dieselben, die Shizune ihr gegeben hatte. Sie spähte zurück zum Badezimmer – hatte sie sie dort gelassen?

 

Er trat etwas nach vorn und drückte ihr das Döschen in die Hand. „Du wirst anfangen, die hier zu nehmen.“ Er drehte die Flasche und tippte auf das Etikett, das darauf geklebt war. „Wie beschrieben. Nicht mehr. Nicht weniger.“

 

Bevor er sich zurückziehen konnte, packte sie sein Handgelenk und stierte auf die Risse, die sie durch seine Haut gegraben hatte; vier rote Bäche strömten durch die Täler seiner Knöchel bis hinunter zu seinem Unterarm. 

 

„Große Katze“, sagte er ebenso flach, wie es seine Miene war. 

 

Sie beobachtete ihn genau und wartete auf einen flüchtigen Blick auf etwas Reales, wobei sie sich aber nicht sicher war, ob sie es erkennen würde, wenn sie es sah. „Genma…“

 

Er zog seine Hand zurück. „Niemand wird fragen.“

 

„Ich frage.“

 

„Ich habe nichts zu sagen.“ Er verschwand im Badezimmer und kam mit einer frischen Robe zurück, die er auf das Bett warf. Die ganze Zeit über hielt er ihr den Rücken zugewandt. „Zieh dich an. Shizune wird bei dir bleiben.“ Schon wieder; kein Vorschlag. „Ihre Schicht endet in einer Stunde.“

 

Während sie in ihre Robe schlüpfte, machte sich Kurenai nicht die Mühe zu diskutieren; sie hatte auch keine Kraft, ihre Stellung zu halten. Hatte keine Kraft, zu stehen; Punkt. Sie wäre genau hier auf den Boden gesunken, wenn Genma sie nicht am Arm gepackt hätte – fest und kompromisslos – und sie wie ein kleines Kind um das Bett herum auf die andere Seite geführt hätte; ihre Seite…zumindest war sie das gewesen, wenn sich Asuma nicht in der Mitte ausgestreckt hatte und allen Platz einnahm. 

 

Allen Platz…selbst in meinem Herzen…

 

„Von jetzt an wirst du hier schlafen“, sagte Genma. „Wenn du wieder zu diesem Sofa zurückkehrst, dann schmeiß ich es raus.“

 

Surreal…absolut surreal…vielleicht träumte sie wirklich. Nur eine einzige Sache war sicher; wenn sie ihre Stärke wiedererlang hätte, würde sie Genmas Hintern quer durchs Dorf treten, weil er sich wie ein aufdringlicher und herrischer Hurensohn aufführte. 

 

Und wo würdest du dich denn befinden, wenn er es nicht getan hätte?

 

Kopfschüttelnd schlüpfte Kurenai unter die Decke, war sich dabei seines Blickes bewusst und fragte sich, ob eine anständigere Frau wohl errötet wäre. Oh Kami, was zur Hölle spielte es schon für eine Rolle? Er hatte bereits alles gesehen, was er jemals sehen würde. Viel zu bekümmert, um sich um Scham zu sorgen ließ sie sich in die Kissen sinken und legte dabei einen schützenden Arm über ihren Bauch, während sie sich daran erinnerte, wie Asuma das unzählige Male gemacht hatte. 

 

Wie sehr ich dich vermisse…

 

Er war neben ihr geblieben, hatte einen sinnlosen Rhythmus mit seinen Fingern getrommelt oder mit seiner Handfläche Kreise auf ihrem Bauch gezeichnet. 

 

Wie sehr ich uns vermisse…

 

Und als sie die Bewegung jetzt wiederholte, wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie nicht allein war, dass sie niemals allein gewesen war, nicht einmal in den dunkelsten Stunden, als die Nacht näher gekrochen war; grausam und kalt und jeder Gesellschaft beraubt. Und endlich, langsam, begann sich diese mütterliche Glut zu regen. 

 

Ja. Wie sehr ich dich vermisse. Aber wie sehr werde ich dieses Kind lieben…

 

Dieser plötzliche Sturzbach aus Liebe kam wie ein Drogenrausch, ein süßes Morphin gegen die Pein ihres Herzens; es ließ sie müde und direkt auf Messers Schneide des Schlafes zurück…sie driftete hinein und hinaus…kämpfte darum, Genma durch ihre Wimpern zu beobachten. 

 

Der Shiranui lehnte sich gegen die Wand und stemmte ein Bein gegen den Gips, während er ein Senbon hervor zog und es mit einer Bewegung zwischen seine Lippen schob, die so schmerzhaft vertraut aussah.

 

Aber nicht wie Asuma.

 

Das Metall, das das Mondlicht auffing, gehörte zu einer Nadel, nicht zu einem Feuerzeug und keine Flamme brannte an der Spitze; da war nur das scharfe Zwinkern von Stahl. 

 

‚Hn. Genma wird vermutlich darauf aus sein, ein paar Senbons auf meinen Hintern zu schießen.‘

 

Kurenais Atem geriet hart ins Stocken. 

 

Genmas Augen zuckten nach oben. 

 

Ihre Blicke trafen sich und erzeugten denselben statischen Schock, den man gelegentlich beim Berühren der Fingerspitzen spürte. Und in diesem kurzen Austausch, diesem einen Blick, fühlte sie sich, als wäre ein Schleier gelüftet worden, als wäre Asuma hier bei ihnen, ein Geist im Zimmer, eine Spur aus Rauchsignalen, die aufwärts wirbelten; eine phantomhafte Schrift an der Wand. 

 

Und im selben Moment wusste Kurenai, warum Genma gekommen war. 

 

Zielsicher regungslos beobachtete er sie – stellte sich tot.

 

Aber sie wusste es.

 

Mitgefühl breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sanft sah sie ihn an und brachte die Kraft für ein Wispern auf. „Was auch immer es gewesen ist, was auch immer zwischen euch vorgefallen ist…am Ende hat es keine Rolle gespielt.“

 

Genma musterte sie und sein Senbon zuckte dabei vor und zurück. Er erwiderte nichts, reagierte nicht. 

 

Kurenai drehte ihren Kopf gegen das Kissen und kämpfte darum, die Augen offen zu halten, die Reaktion zu sehen, die ihr sagen würde, dass er sie gehört hatte. Asuma hätte das gewollt. Als die widersprüchliche Kreatur, die er gewesen war – illoyal und loyal – er hätte diese gottlose Stunde der Trauer genommen, Genmas Stellung darin überprüft und es alles einfach nur dem Karma zugeschrieben. 

 

„Genma…?“

 

Er hatte sich bewegt…oder bewegte sie sich? Davon schwebend. 

 

„Es hat keine Rolle gespielt…“, wisperte sie nochmal, als sich ihre Wimpern senkten und ihr Körper für heute Nacht aufgab, als wüsste er irgendwie, dass es morgen leichter sein würde. „Verstehst du…das…?“

 

Verstehen, Begreifen…sie hätte niemals erkannt, was durch seine Augen huschte, selbst wenn sie lange genug wach geblieben wäre, um einen Blick darauf zu erhaschen; es war so kurz und flüchtig – da und auch schon wieder fort…

 

Da und auch schon wieder fort, genau wie Genma…direkt hinaus aus dem Fenster und in die Nacht, während irgendwo in der Ferne – weit jenseits von Wänden und Dächern und Umzäunungen – ein Rudel Ninken zu heulen begann.

 

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Uff, ein langes Kapitel ;) Und ja, ich bin gespannt, wie ihr vor allem das Wiedersehen von Shikamaru und Neji empfunden habt...habt ihr es euch anders vorgestellt? :D 

Und ich könnte mir vorstellen, dass die Szene mit Kakashi wieder einige Fragen aufgeworfen hat ;) 

Naja, wie auch immer...es ist spät, ich bin müde und deswegen werde ich jetzt hier nicht so viel schwafeln ^^

Ich hoffe wie immer sehr, dass es euch gefallen hat und würde mich natürlich auch über ein paar Worte freuen :) 
 

Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! <3

 

​Ahja und alle Reviews werden natürlich beantwortet, keine Sorge! :) Ich weiß, dass ich da gerade wieder ziemlich hinterher hänge :/

A burden to carry

Einsam und traurig erscholl das Heulen in einem Klagelied über dem Dorf, hallte von den Dächern wider, durch die Straßen und tief hinein in die Schatten der Trainingsareale. 

 

Shikamaru blieb stehen. „Was zur Hölle?“

 

Einen Schritt hinter ihm hielt auch Neji inne, halb abgewandt und den Blick himmelwärts gerichtet. 

 

Die Symphonie aus Schreien hob und senkte sich in wechselnden Tonhöhen, nahm an Lautstärke und neuen Stimmen zu, als sich die Echos weiter ausdehnten; ein qualvolles Geheul auf dem Wind, durch das sich Köpfe drehten und Lichter hinter geschlossenen Türen und schlafenden Fenstern aufflackerten. 

 

Shikamaru fühlte, wie ein Frösteln durch ihn jagte und seine Haut straff zog. 

 

Er tauschte einen raschen Blick mit Neji aus und sah dieselbe Unruhe in den Augen des Hyūga. Doch ihm blieb keine Zeit, den Mund aufzumachen, bevor ein markerschütterndes Bellen aus einer der verwinkelten Gassen explodierte. Der Schattenninja wirbelte herum und sah, wie ein massiver rot-weißer Fleck auf sie zu stürzte. 

 

Und dann geschahen drei Dinge direkt hintereinander. 

 

Die ersten beiden Aktionen passierten sogar vollkommen simultan und ohne überhaupt darüber nachzudenken; Shikamaru und Neji setzten sich in Bewegung, um den jeweils anderen zu verteidigen. Und das dritte Ereignis spielte sich nur einen Herzschlag danach ab; und zwar in Form eines Inuzuka Kiba, der Kopf voran über zweihundert Pfund angreifenden Hundes sprang, um in einer Hocke zwischen den Vierbeiner und die aufgeschreckten Ninja zu kommen. 

 

„Akamaru, STOP!“

 

Moment. Akamaru?

 

Shikamaru sah noch einmal genauer hin. Die Bestie, die auf sie zuraste, war doppelt so groß wie Akamaru und bestand schier nur aus sich bewegenden Muskeln. 

 

Wohl doch eher vierhundert Pfund angreifender Hund.

 

Und besagte vierhundert Pfund angreifenden Hundes schienen auch noch ihre Farbe zu wechseln. Das dichte Fell des Vierbeiners kräuselte sich zwischen rot und weiß, als eine Ninjutsu Verwandlung gerade im Entstehen war. 

 

Shit. Das kann echt nichts Gutes bedeuten. 

 

Shikamaru bereitete sich darauf vor, selbst loszuspringen und bemerkte, wie sich Neji neben ihm in seine defensive Stellung schob. 

 

Doch wie es der Zufall wollte, bewegte sich Kiba schneller als sie beide. 

 

Mit einem qualvollen Zischen duckte sich der Hundeninja tief und stürzte nach vorn, um Akamaru in einem Zug um den Hals einzufangen, der einen rennenden erwachsenen Mann von den Füßen gerissen hätte. Der Inuzuka warf sein gesamtes Gewicht in diese Attacke, verschloss die Schultern und seine Muskeln traten hervor, während sich sein Gesicht schmerzerfüllt verzerrte. 

 

Ein ekelerregendes ‚Pop‘ erscholl. 

 

Akamaru kläffte und alle vier Pfoten trugen ihnen ein Schritt nach vorn, als Kiba ein ersticktes Brüllen ausstieß, die Hüfte seitwärts nach vorn schnellen ließ und Akamaru mit einem Würgegriff in den Boden hämmerte. 

 

In einem Krachen gingen sie nieder. 

 

Shikamaru spürte, wie der Aufprall direkt durch seine Füße und hinauf in seine Beine bebte. „Kiba!“

 

Rasch ließ sich Kiba auf die Knie fallen und packte seine ausgekugelte Schulter, wobei seine Augen vor Schmerz nach oben zuckten. „FUCK!“

 

Neji bewegte sich auf ihn zu.

 

Und als er eine Bedrohung – oder vielleicht auch einfach nur einen roten Nebel – wahrnahm, setzte Akamaru über Kibas Kopf hinweg und schien mitten im Flug noch einmal sechzig Zentimeter an Körpergröße zuzunehmen. Sein Fell bebte karmesinrot von Schnauze bis zur Rute und Speichel troff von gelblich verfärbten Fangzähnen, während ein wildes Funkeln tief in den goldenen Augen brannte. 

 

Shikamarus Herz blieb stehen und rauschte schlagartig bis in seine Kniekehlen. „Neji!“

 

Gerade wollte Neji zurück springen, bevor er abrupt stehen blieb und schlagartig die Taktik änderte, als er sich mit den Füßen zuerst nach vorn rutschen ließ und so unter dem Luftangriff hindurch schlitterte. Akamaru flog direkt über ihn hinweg und der Wind, den der Hund verursachte, zerzauste die langen Mokkasträhnen.

 

Rasch kam Neji wieder auf die Beine und warf einen Arm nach außen. „Renn, Nara!“

 

„Nein!“, schrie Kiba. „Nicht rennen!“

 

Verwirrt erstarrte Shikamaru bei diesen vermischten Anweisungen und sah zu, wie dreieinhalb Meter einer tollwütigen Bestie direkt auf ihn zustürzte. Die Konturen des Hundes waren nicht länger erkennbar; sie waren grotesk verzerrt und karikiert, die Schnauze zu roten Falten geronnen und die Zähne hingen wie Stalaktiten aus einem klaffenden Schlund; entsetzlich, tollwütig…

 

Vertraut…

 

Wie ein heftiger Schlag auf seinen Hinterkopf lösten sich Erinnerungen, die schärfer waren als Schädelfragmente, bevor sich ihre Bilder in sein Hirn schnitten. 

 

Kiefer – erstarrt in hässlichen Grimassen, die Zähne gefletscht, schwarzes Zahnfleisch, herab hängende Zungen, verzogene und verdrehte Knochen…

 

‚Wir fügen Brodifacoum hinzu. Wringt sie aus, bis sie komplett trocken sind. Aber das hier ist nichts. Du solltest sehen, was wir Schoßtieren wie dir geben.‘

 

Hände packten seinen Kopf und Finger gruben sich wie Sonden in seine Schläfen. 

 

‚Renn. Renn jetzt sofort. Renn und sieh nicht zurück.‘

 

Die Erinnerung brach ab und wie ein heißer Schürhaken sengte sich Pein durch sein Hirn. 

 

Nach Luft schnappend umklammerte er seinen Schädel und taumelte rückwärts. 

 

Akamaru sprang. 

 

„SHIKAMARU!“

 

Kiba rammte ihn mit einem so brutalen Stoß aus dem Weg, dass der Aufprall die Schulter des Hundenninjas wieder hinein in das Gelenk trieb. Laut aufbrüllend warf Kiba den Kopf bereits zum zweiten Mal in den Nacken. „GOTT, HURENSO-!“, sein Schrei erstarb in einem Zischen, als Akamaru aus nächster Nähe von hinten mit ihm kollidierte und ihn seitwärts in Shikamaru donnerte. 

 

Gemeinsam stürzten sie zu Boden. 

 

Shikamaru keuchte auf, als über fünfhundert Pfund Gewicht auf seinem Körper kollabierten und sämtliche Luft aus ihm pressten. Der Schmerz breitete sich wie eine Schockwelle in ihm aus, doch auch das schaffte es nicht, die grellen Blitze hinter seinen Augen aufzuhalten. 

 

Violette Augen. Tiefe Ringe darunter. Eingebettet in ein schmales, hageres Gesicht. Aschblonde Strähnen, durchzogen von Blut. Die Wangenknochen hoch, der Kiefer hart. Ein vernarbter Mund bewegte sich, Lippen aufgeplatzt und blutig, die Stimme heiser und erstickt und so rau, als käme es vom Schreien. ‚Renn. Renn jetzt sofort. Renn und sieh nicht zurück.‘

 

Renn…renn…renn…

 

„Shikamaru!“

 

Der Ruf seines Namens zerrte ihn zurück. 

 

Neji…?

 

Nach Luft schnappend rollte Shikamaru seinen Kopf. Glasige Augen suchten – Lungen schrien. 

 

Kann nicht…atmen…!

 

Eine plötzliche Veränderung des Drucks, als Kiba, der durch den Schmerz hindurch brüllte, seine Hände und Knie zu beiden Seiten des Schattenninjas legte und versuchte, das Gewicht zu verringern. Akamaru kletterte wild über den Rücken des Hundeninjas und sein riesiger monströser Kopf stieß über Kibas Schulter, als seine Zähne nach Shikamarus Kehle schnappten. Dicke Tropfen aus Speichel stürzten herab, trafen auf den Kiefer des Schattenninjas und glitten seinen Hals hinunter wie…

 

Eine Zunge auf seiner Haut; strich schlangengleich durch die Mulde in seiner Kehle…dunkle Augen…seelenlose Augen…

 

Neji schrie irgendetwas, doch Shikamaru hörte es nicht; war verloren in den goldenen Augen, die mit roten Fäden durchzogen waren. War verloren in dem trockenen Schnappen von Fangzähnen, dem abgestandenen Keuchen von Atem.

 

‚Wir sind alle Tiere, Shika.‘

 

Finger wie Krallen in seinem Haar, Nägel gruben tief, rissen seinen Kopf nach hinten…

 

‚Es ist unsere Natur…zeig mir deine Natur…‘

 

„SHIKAMARU!“ Nejis Stimme schnitt sich durch seinen Schädel und durchtrennte die Erinnerung. „ATME!“

 

Die Zeit kam zurück gerauscht, wusch über die Vergangenheit hinweg, ertränkte die Visionen und schickte sie wirbelnd zurück hinunter auf den unterbewussten Meeresboden. Eine heiße Welle aus Adrenalin schoss nach oben. Sie verschlang Shikamaru wie in einem Rausch, stieß ihn wie durch Wasser nach oben; verzweifelt nach der Oberfläche, verzweifelt nach einem Ausweg, verzweifelt nach…

 

LUFT!

 

Der Verschluss von Shikamarus Kiefern löste sich und sein Mund flog weit auf, als er einen heftigen bebenden Atemzug nahm und er feststellte, dass sich seine Brust ausdehnen konnte, da sich eine ausreichend große Lücke zwischen ihm und Kiba geöffnet hatte. 

 

Wie?

 

Er riss seinen Blick von Akamarus wahnsinnigen Augen los und sah, wie sich Nejis Arm in einem Würgegriff um den roten Hals des Hundes legte. Der Hyūga schien von hinten zu ziehen, was es Kiba gestattete, sich nach hinten zu schieben und mehr Raum zu schaffen. 

 

Doch nach und nach verlor Neji dieses Tauziehen. Akamaru warf sich nach vorn und die Sehnen im Unterarm des Hyūga wölbten sich, während Venen Streifen in seine Haut gruben. „Kiba!“, zischte er. 

 

„Sei still!“, knurrte Kiba, doch die Panik in seiner Stimme war unverkennbar. Schweiß tropfte von seiner Stirn auf Shikamarus Brauen. Seine Arme zitterten. „Verdammt nochmal, Hyūga, zieh!“

 

„Wenn ich noch härter ziehe, Inuzuka, dann brech ich deinem Hund das Genick!“

 

Kiba presste die Lider aufeinander und zog die Schultern hoch, während er versuchte, die schnappenden Kiefer in Schach zu halten. „Akamaru!“

 

Nichts; kein Wiedererkennen in diesen wilden Augen. Nur Wahnsinn. 

 

Denk nach…denk nach…

 

Heftig blinzelnd bekämpfte Shikamaru die Punkte, die in seiner Sicht tanzten und suchte sein Hirn nach einer Strategie ab…und fand klaffende Lücken.

 

W-Was?

 

Er konnte sich nicht fokussieren, konnte seine verstreuten Gedanken nicht finden; geschweige denn, sie zusammenfügen. 

 

„Kiba“, rief Neji mit einer angestrengten, aber ruhigen Stimme. „Du hältst dich zurück. Du bist in deiner Biestform viel stärker. Nutze sie. Und mach es jetzt!“

 

„Fick dich, Hoheit“, fauchte Kiba. 

 

Neji ignorierte ihn und fuhr genauso ruhig fort. „Shikamaru. Stemm deine Hände nach oben und fang an zu schieben.“

 

Dämlich simpel. Shikamaru verzog über die Offensichtlichkeit dieser Anweisung das Gesicht. Stirnrunzelnd versuchte er, den Freiraum zu finden, sich umzudrehen und dabei nicht zerfleischt zu werden. Während er das Krachen und Schnappen von Zähnen so gut es ging mied, stemmte er die Hände gegen Kibas Brust und schob hart, um den Inuzuka mit Mühe zu stützen.

 

Mühe? Was zur Hölle? Ich bin stärker als das!

 

Also warum fühlte er sich dann so schwach? Energielos und mit bebenden Muskeln. 

 

Jetzt, Shikamaru!“, bellte Neji. 

 

Der Nara zischte. Er musste anhalten, musste nachdenken, musste-

 

ATME!

 

Mit hebendem Brustkorb drehte er den Kopf zur Seite und keuchte heftig. Verrückt! Es war, als würden seine Lungen die Luft nicht in sich halten. Zugegeben, es lastete immer noch ein beträchtliches Gewicht auf ihm, aber Kiba hatte genug davon gehoben, dass Shikamaru seine Hände abstützen und Atem holen konnte. 

 

Also warum kann ich nicht…?!

 

Kalter Schweiß benetzte seine Haut und Nadelstiche explodierten in seinen Händen und Beinen. Er spürte, wie sein Puls raste, sein Kopf schwamm und sein Verstand wankte.

 

Oh, fuck nein…

 

Schlagartig identifizierte er die Zeichen einer einsetzenden Panik und erstarrte mit weit aufgerissenen, stierenden Augen. 

 

Jetzt war definitiv nicht die Zeit für diese Scheiße. 

 

Akamarus Fänge schnappten nur wenige Zentimeter von seiner Nase entfernt zu. 

 

Kiba schrie auf und seine Arme drohten langsam nachzugeben.

 

„SHIKAMARU!“, brüllte Neji. 

 

Shikamaru richtete seinen Blick auf Nejis Arm und konzentrierte sich darauf, Luft durch die Nase zu ziehen und sie zischend in einem dünnen Strom durch die Zähne auszustoßen. Ein-aus. Ein-aus. Erzwungen, aber fokussiert. Langsam. Einfach. Dämlich. Simpel. 

 

Atme. Atme.

 

Die Panik begann zu verschwinden und wurde von Adrenalin überwältigt. Stück für Stück kehrte Stärke zurück, tröpfelte durch seine Venen und zog seine Muskeln straff. Er richtete seine Hände neu aus, stützte sich feste ab und begann, Kiba nach oben zu schieben und das Gewicht wie beim Bankdrücken nach oben zu stemmen. Langsam – Zentimeter für Zentimeter – begann sich das Gleichgewicht zu verlagern. 

 

Knurrend zappelte Akamaru in Nejis Umklammerung, seine Klauen suchten kratzend nach Halt und rissen Fetzen aus Kibas Jacke, bis seine Krallen über Haut ritzten und Blut vergossen. Der Inuzuka gab keinen Laut von sich; er hatte den Kiefer verschlossen und die Augen in der Anstrengung zusammengezogen, den Hund zurück zu halten. 

 

„Kiba“, drängte Neji ihn. „Jetzt mach endlich, verdammt nochmal!“

 

„Nein“, grollte der Inuzuka, während Tränen des Frusts in seinen Augen brannten. „Es ist meine Schuld…“

 

Shikamaru wimmerte. „Kiba…jetzt mach schon…“

 

„Nein.“

 

Nejis Stimme donnerte über jedes Knurren und Grollen. „KIBA! Wenn du dieses Vieh nicht ruhig stellst, dann mach ich es!“

 

Das zeigte Wirkung. 

 

„Shikyaku no Jutsu!“

 

Shikamaru hörte, wie sich Kibas Krallen zu beiden Seiten seines Kopfes ausdehnten und sah zu, wie die Transformation über das Gesicht des Hundenninjas schoss. Augen verengten sich, Pupillen schrumpften zu glühenden schlangengleichen Schlitzen und Schneidezähne verlängerten und schärften sich. Seine gesamte Muskulatur veränderte sich, Knochen knackten, Haut zog sich straff, ein Körper beugte sich zu einer raubtierhaften Krümmung, rohe Kraft sammelte sich in jeder Gliedmaße. 

 

Und dann entfesselte er es. 

 

Mit einem animalischen Heulen warf Kiba sein gesamtes Gewicht nach hinten und drehte sich, als er herum wirbelte. Die Geschwindigkeit und Wucht, mit der er sich bewegte, schleuderte Akamaru und Neji gute eineinhalb Meter in die Luft. Im Flug löste sich der Hyūga von dem um sich schlagenden Hund, landete anmutig mit einem ausgestrecktem Bein auf den Füßen, um die Balance zu halten. 

 

Shikamaru rollte sich auf die Seite und hustete heftig. 

 

Rasch erholte sich Akamaru von dem überraschenden Angriff, sah den Nara verwundbar auf dem Boden liegen und stürzte schlagartig los. 

 

Doch Kiba war schneller. 

 

Der Inuzuka fing Akamarus Kiefer mit seiner Armbeuge ab und legte dem Hund mit einer eisernen Umklammerung aus Bizeps und Unterarm einen Maulkorb an, während er seinen anderen Arm um den dicken roten Hals legte, um den rasenden Ninken wieder auf den Boden zu zwingen. 

 

Shikamaru krümmte sich vornüber und spürte, wie sein Innerstes nach außen wollte. Energisch schluckte er es hinunter und konzentrierte sich auf seine Atmung. Und dann legten sich Nejis Hände auf ihn, drehten ihn um, während er von Byakugan Augen gemustert wurde, die nach Brüchen oder Wunden suchten. Er schob die Berührung von sich, krallte eine Hand in Nejis Robe und zog sich daran in eine aufrecht sitzende Position. 

 

„Mir geht’s gut…mir geht’s gut…“, keuchte er mit den Augen auf Kiba gerichtet. 

 

Der Inuzuka knurrte noch wilder als Akamaru. Ineinander verhakt wirbelten sie in einem grimmigen Tanz umher, krachend und kratzend und jedes Schlagen und Schnappen befeuert von dem heftigsten aller Impulse; der Art, die Raubtiere dazu trieb, direkt auf die Halsschlagader zu zielen. Direkt aufs Töten. 

 

Was genau das war, was Akamaru tat. 

 

Die Kiefer des Hundes schlossen sich um Kibas Kehle. 

 

Shikamaru erbleichte. „NEIN!“ Ruckartig stürzte er vorwärts, doch Nejis Arm schoss zur Seite und fing ihn an der Brust ab, riss ihn zurück und hielt ihn fest. 

 

„Warte, Nara.“

 

„Auf WAS?“, fauchte Shikamaru. Unnachgiebig befreite er sich, stolperte zwei Schritte nach vorn und erstarrte.

 

Akamarus Kiefer war wie eingefroren und die Zähne wie ein Stachelhalsband um Kibas Hals gelegt – doch der Biss hatte sich nicht in die Haut gegraben. Hatte nicht einmal Blut vergossen. Knurrend zwang der Hund Kiba in die Knie; zerrte ihn mit der Drohung aus Zähnen nach unten, hatte aber offenbar keine unmittelbare Absicht, das Töten auch durchzuziehen. 

 

Oh Shit. Oh Shit. Oh Shit.

 

Shikamaru fühlte das Adrenalin, das in seinen Muskeln bebte und seine Zähne klappern ließ. 

 

Neji trat an seine Seite; still, ruhig und unter vollkommener Kontrolle. „Warte“, sagte er nochmal. 

 

Doch Shikamaru hatte da andere Vorstellungen. „Scheiß drauf.“ Er ließ sich auf ein Knie sinken und vollführte zwei rasche Zeichen; Ratte, Vogel. „Kage Nui no Jutsu!“

 

Schattenranken explodierten wie ein Nest schwarzer Schlangen nach außen und umschwärmten Akamaru, bevor der Hund überhaupt bemerken konnte, dass sie sich auf ihm befanden. 

 

Ein schrilles Jaulen. 

 

Kiba war frei und schnellte zu Shikamaru herum. Das Weiß seiner Augen hatte ein wässrig rötliches Gelb angenommen. In animalischer Raserei bleckte er die Zähne. „MISCH DICH NICHT EIN!“

 

Zögernd zuckten Shikamarus Augen zwischen den beiden Inuzuka Biestern hin und her – nicht sicher, welches von beiden die größere Gefahr darstellte. Alles in ihm schrie danach, die Schatten noch fester zu zurren und das Leben gnadenlos aus der größten Bedrohung zu quetschen.

 

Nein. Stop. Denk nach. Das ist Akamaru…es wird eine Erklärung für alles geben…beruhige dich…denk nach…

 

Fluchend lockerte er seinen Griff. 

 

Und Kiba sprang los, bevor sich Akamaru erholen konnte. Sie rollten im Schmutz herum, wieder und wieder, bis Flecken aus Weiß zwischen dem rostroten Fell erschienen. Akamaru schien zu schrumpfen, seine Muskeln zitterten und zuckten, während die riesige Masse mit jedem Schlagen und Rollen abnahm, bis es Kiba endlich mit einem heftigen Stoß gelang, den Hund unter sich festzupinnen. Mit gefletschten Zähnen schloss er eine Hand um Akamarus Kehle und seine Fänge blitzten wie Klingen auf, als er tief in die Augen des Hundes stierte. 

 

Kein Vergeltungsschlag. Nur ein tiefes vibrierendes Knurren, das durch den Hundekörper bebte. 

 

Das Geräusch hallte über Shikamarus Nervenenden und rüttelte an dem schreckhaften Drang, die Beine in die Hand zu nehmen und abzuhauen. Mit kalkweißem Gesicht spürte er, wie der vorherige Adrenalinrausch in seinen Venen abkühlte und drohte, ihn mit einem Anfall von Zittern zurück zu lassen. Doch was ihn noch viel mehr verstörte als die Angst, die begann, sich festzukrallen, war, woher diese Angst kam. 

 

Er erschauderte heftig. 

 

Gott, mein Kopf tut weh…

 

Er grub beide Knie in den Boden und stemmte eine Hand gegen seinen Schenkel, während er enorm schwitzte und hektisch atmete. 

 

Kühle Finger legten sich zärtlich und beruhigend an seinen Nacken, bevor sie ganz sanft drückten. „Es ist vorbei“, murmelte Neji. „Beruhige dich.“

 

In einem einzigen rauen Atem verließ die Panik Shikamaru, doch die Angst und Anspannung blieben. Sie schlossen sich wie ein Schraubstock um seinen Schädel. Energisch widerstand er dem Drang, nach hinten zu greifen und Nejis Finger zu seinem Kopf zu führen. 

 

„Jo“, raunte er. 

 

Der Hyūga trat noch etwas näher; seine Präsenz war wie eine unerschütterliche Mauer an Shikamarus Rücken. Und es brauchte noch viel mehr Zurückhaltung, sich nicht gegen diese Stütze sinken zu lassen. Seufzend fokussierte der Schattenninja seine Bemühungen wieder auf das Atmen und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Darstellung animalischer Dominanz, die sich in kurzer Distanz von ihnen abspielte. 

 

Der Kampf schien sich zu einigen langen Minuten auszudehnen, bevor Kibas tiefes kehliges Knurren zu einem sanften Grummeln verstummte. „Akamaru…guter Junge…komm schon…ganz ruhig…ruhig…“ Er strich mit der Hand über die bebenden Flanken des Hundes und jedes Streicheln schien dabei das Rot aus dem dichten Fell zu bürsten, als der Pelz zu flauschigem Weiß zurückkehrte. „Du bist okay…du bist okay…“

 

Beinahe sofort wurden goldene Augen wieder klar und Akamarus Grollen zerfiel zu einer Litanei aus verzweifeltem Winseln und schrillem Wimmern. Der große Kopf hob sich und eine lange rosa Zunge leckte über Kibas Gesicht und seinen Hals. 

 

„Es ist gut“, murmelte Kiba gegen Akamarus zerknitterte Stirn und kraulte den weißen Nacken. „Es ist alles gut.“

 

„Alles gut?“, würgte Shikamaru hervor, als er sich auf die Füße schob und die Hände in die Hüften stemmte, um seine bebenden Finger zu beruhigen. „Was zur Hölle ist gerade passiert, Kiba?“

 

Neji schob sich zwischen sie und positionierte sich so, dass er keinem der beiden anderen Ninja den Rücken zuwandte. „Gib ihnen einen Moment, Shikamaru.“

 

Einen Moment. Klar. Das hätte auch funktioniert, wenn sein Hirn nicht wie ein Spielzeug aufgezogen wäre, das jeden Moment ausflippte. 

 

Idiot. Reiß dich zusammen.

 

Shikamaru stieß einen langen Atem durch die Nase aus und presste die Lippen aufeinander. Zitternd schloss er die Augen und fing an, durch einen mentalen Katalog dämlich simpler Techniken zu blättern, um seinen Kopf gerade zu rücken. Wenn er das richten konnte, dann würde sein Körper vollkommen automatisch nachziehen. Es war geradezu lächerlich daran zu denken, dass er zwei Akatsuki Killer überlebt hatte, wobei er einen davon ganz allein ausgeschaltet hatte, nur um dann völlig durchzudrehen, wegen…

 

Wegen was?

 

Akamaru oder wegen des wiedererweckten Monsters in seinem Kopf?

 

Konzentrier dich auf Akamaru. Verstehe die Situation. Wenn du die Situation verstehst, dann wirst du dich beruhigen. 

 

Denn der Logik zu folgen und Muster zu sehen würde ihm helfen, die Risse zu kitten und all die Teile zurück an ihren Platz zu zementieren. 

 

Guter Plan.

 

Der Nara hob die Lider, fühlte sich stärker und stabiler. Langsam richtete er seinen Blick auf Neji, las den Gesichtsausdruck des Hyūga und folgte ihm dorthin, wo Kiba kniete und mit den Händen durch Akamarus Fell streichelte. Als sie sich näherten sah der Hundeninja auf und seine Konturen kehrten nach und nach zu ihrer weniger wilden Form zurück. 

 

„Militärische Nahrungspillen“, sagte Kiba kopfschüttelnd, bevor sie ihn überhaupt fragen konnten. „Neue Charge und frisch aus den Laboren. Dämliche Genin Kackbratzen haben die Lieferung durcheinander gebracht. Dieses Zeug war nicht für unsere Ninken gedacht.“

 

Shikamarus Brauen schossen nach oben. „Wofür zur Hölle war es gedacht?“

 

Kiba ruckte mit dem Kopf und gestikulierte so zur rechten Seite des Dorfes. „Trainingsareal Vierundvierzig. Sie lassen die Biester für die Chūnin Prüfungen damit volllaufen. Testen gerade die Nebenwirkungen und alles.“

 

„Testen sie an was?“, presste Neji weiter. 

 

„Kakashi-sensei, soweit ich gehört habe.“ Kiba erwiderte ihre perplexen Blicke mit einem grimmigen Schmunzeln. „Hey, kommt mir zu Gute. Kotetsu meinte, er hätte gewechselt und wollte den Auftrag solo durchführen.“

 

Shikamarus Augen wurden rund. „Solo?“ Er tauschte einen raschen Blick mit Neji. „Denkst du…?“

 

Nachdenklich neigte Neji den Kopf. „Das erklärt auf jeden Fall das Heulen.“

 

„Jo“, stimmte Kiba zu, als er auf die Füße kam, während er seinen Arm packte und mit der Schulter rollte. „Nachdem ich gehört hatte, wie dieses Blitzgewitter losgegangen ist, dachte ich mir, das mal zu überprüfen.“ Mit dem Kopf nickte er zu Akamaru hinunter. „Dachte mir auch, dass wir dann am besten vorbereitet gehen, also habe ich Akamaru eine Chakrapille gegeben. Ich war der Meinung, wir bräuchten irgendeine Art von Biss, wenn wir es mit Bestien auf Steroiden zu tun bekommen.“

 

„Irgendeine Art von Biss, klar“, murmelte Shikamaru kopfschüttelnd. „Nur gut, dass du nichts von diesem Mist genommen hast.“

 

Die Miene des Hundeninjas verfinsterte sich. „Ich glaube, das mach ich einfach. Scheiße, ich bin kurz davor, irgendjemandem den Kopf abzureißen.“

 

„Du bist nicht in der Verfassung zu kämpfen“, sagte Neji leise mit den Augen auf Kibas Schulter gerichtet, bevor er einen subtilen Blick auf Akamaru warf. „Und du musst Akamaru unter Quarantäne stellen, bis ein Tierarzt versichern kann, dass die Droge seinen Kreislauf verlassen hat und er nicht länger ein Risiko darstellt.“

 

Kiba wirbelte zu ihm herum. „Verarschst du mich? Hast du verstanden, was ich gera-“

 

„Ich habe dich ganz hervorragend verstanden, Inuzuka. Und ich schlage vor, dass du dir deine Energie für die Mission aufsparst, für die ich dich einteilen werde, sobald Akamaru überprüft und für den Dienst freigegeben ist.“

 

Kibas Augen verengten sich zu Schlitzen, doch sein Kopf legte sich interessiert schief. „Mission?“

 

„Wir brechen nächste Woche auf“, erwiderte Neji ohne sonst noch etwas hinzuzufügen. 

 

Schlechter Zug. Argwöhnisch zogen sich Kibas Brauen zusammen. 

 

In dem Moment schritt Shikamaru ein. „Plus, diese ätzende Zuteilung kommt vielleicht mit ihren ganz eigenen durch Chakra verstärkte Bestien“, fügte er hinzu, während seine Aufmerksamkeit an Kiba vorbei wanderte und sich bis zu dem abgesperrten Trainingsgelände ausstreckte. „Also kannst du dich richtig austoben, wenn wir ankommen.“

 

Das Versprechen einer lockeren Leine schien von Erfolg gekrönt zu sein. Für einen Moment kaute Kiba auf dieser Information herum und gab dann nach, wobei er auf eine Seite sackte. Mit verzerrtem Gesicht rollte er mit der Schulter. „Was ist mit Kakashi-sensei?“

 

„Wir überprüfen das“, erwiderte Shikamaru sofort, was ihm einen undeutbaren Seitenblick von Neji einbrachte. Yep, wahrscheinlich hatte er sie gerade als Freiwillige für eine Nacht auf der Krankenstation angemeldet. Nett. 

 

Mit gerümpfter Nase sah Kiba zwischen den beiden hin und her. „Soll ich euch Verstärkung schicken?“

 

„Nah, wir packen das.“ Shikamaru wartete nicht einmal auf eine Bestätigung vonseiten Nejis. Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt die Straße entlang, während sein Hirn bereits wieder mehrere Schritte voraus sprang und all seine zerstreuten Gedanken aufsammelte.

 

Zeit, meinen Kopf wieder klar zu bekommen…

 

Er hatte vorhin die Fassung verloren. Auf übelste Weise verloren. Nicht einmal dieser silberhaarige sadomasochistische und unsterbliche Freak mit einer Vorliebe für Tod und Zerstörung hatte ihn so heftig erschreckt wie das, was gerade mit ihm bei Akamarus Angriff passiert war. Als er es mit Hidan und Kakuzu zu tun gehabt hatte – sogar nach allem, was sie Asuma angetan hatten – hatte er es dennoch geschafft, alles zusammenzuhalten. Er hatte einen klaren Kopf behalten und das durchgezogen, was er trotz der Trauer tun musste; trotz der Schuldgefühle. 

 

Und jetzt drehst du durch wegen einer Hundeattacke?

 

Mit Sicherheit war es eine tollwütige und unvorhersehbare Situation gewesen, aber auch nichts, was sich normalerweise nicht mit einem ‚kühlen Kopf und agilen Geist‘ händeln lassen würde. Und um die Wahrheit zu sagen; Akamarus Angriff war auch nicht das gewesen, was ihn verängstigt hatte – es war der Kampf gewesen, der in seinem Kopf stattgefunden hatte. Diese Fehlzündung aus Erinnerungen hatte mehr oder weniger ein Loch in sein Hirn gesprengt; ein Schrotschuss aus Angst und Panik, der sein gnadenloses Flakfeuer direkt in seinen Schädel gejagt und seine Fähigkeit verkrüppelt hatte, zu denken, zu strategisieren…zu überleben…

 

Ich muss das richten.

 

Deswegen auch sein nächster Zug. Wenn er in diesem nächsten Dilemma wieder den Kopf verlieren würde, dann könnte er sich auch genauso gut aus der nächsten Mission austragen und bei einem verdammten Seelenklempner einchecken. 

 

 Dr. Mushi.

 

Er erinnerte sich daran, dass er diesen Namen vor zwei Jahren überprüft hatte; damals, als er sein Hirn auf eigene Faust neu verkabelt hatte. Der Gedanke daran, seinen Verstand in die Hände von jemand anderem zu legen? Ihm wurde so speiübel dabei, dass er ernsthaft darüber nachdachte, in welcher Gasse er eine Pause machen müsste, um hinein zu kotzen. 

 

„Nara.“

 

Shikamaru zauberte ein Schmunzeln auf sein Gesicht, hielt die Augen aber geradeaus gerichtet. „Ah und hier kommt die Stimme des Tadels.“

 

Neji schnaubte auf diese leise eloquente Art und Weise, die die Missbilligung verspottete, die direkt darunter lag. „Würde dir die Stimme der Vernunft besser gefallen?“

 

„Vernunft geht klar.“

 

„Möchtest du dich dann vielleicht erklären? Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich von deiner plötzlichen Zurschaustellung von Initiative beeindruckt oder alarmiert sein soll.“

 

„Initiative, huh?“ Shikamaru spähte zu ihm. „Ich habe unsere Ärsche gerade für eine ordentliche Tracht Prügel angemeldet. Ich denke, Alarm ist angebracht.“

 

„Ohne Zweifel. Das passt nicht zu dir.“

 

Shikamaru blieb stehen und spürte, wie Neji direkt neben ihm innehielt. „Weißt du, was nicht zu mir passt? Es zu brauchen, dass Kameraden mir dämlich simple Anweisungen zubrüllen, wenn wir in der Klemme stecken.“ Als der Hyūga Anstalten machte zu sprechen, packte Shikamaru seine Schulter und schnitt ihm mit einem raschen, direkten Blick das Wort ab. „Das darf nicht passieren, Neji. Ich muss wissen, dass ich das in meinem Kopf richtig habe. Hörst du mich?“

 

„Das ist nicht die Art und Weise, um das zu machen.“

 

„Das ist die beste Art und Weise, um das zu machen.“

 

„Du gehst einfach davon aus, dass wir in der Lage sein werden mit allem umzugehen, was auch immer jenseits dieses Zaunes liegt.“

 

Seufzend spürte Shikamaru Nejis Spannung wie eine Granitplatte unter seiner Hand. Er drückte den verkrampften Muskel und sein Daumen fuhr nach außen, um sanft über ein scharfes Schlüsselbein zu streichen. „Ich nehme mir an dir ein Beispiel. Und zwar an dem ‚gewaltigen Satz‘-Manöver. Nachzusehen, bevor man den Satz macht, nimmt dem Ganzen den Spaß. Hab ich nicht recht?“

 

Ein Flackern von Belustigung in diesen schillernden Augen, doch das blasse Gesicht behielt die steinerne Kante bei und sie wurde nur von dem leisesten Hauch eines Stirnrunzelns durchbrochen. „Das ändert meine Meinung zu dieser Angelegenheit aber nicht.“

 

Shikamaru lächelte leicht. „Neji, ich halte dir den Rücken frei. Du mir meinen. Dämlich simpel. Schlimmster Fall? Ich werfe schreiend die Flinte ins Korn und hau ab und du entschwindest im Äther. Auf jeden Fall müssen wir schnell handeln. Also entscheide dich.“

 

Neji bedachte ihn mit einem langen nachdenklichen Blick. Und nach dem, was wie ein angespannter, gefährlich elektrischer Moment wirkte, gab der Hyūga keine Antwort von sich, außer mit einem Neigen seines Kopfes seine Entscheidung zu signalisieren, bevor er sie eine Abkürzung entlang führte. Sie nahmen einen diagonalen Weg durch die Hauptverkehrsstraßen, vorbei an aufragenden Wohnungen, Läden und Verkaufsständen, bis die Gebäude kurz darauf in den Außenbezirken der Trainingsareale ausliefen. 

 

Shikamarus Gedanken drohten, sich Konohamaru zuzuwenden. 

 

Jetzt nicht.

 

‚Jetzt nicht! Jetzt nicht! Immer ‚Jetzt nicht‘, aber jetzt ist es zu spät, Ojisan!‘

 

„Shikamaru?“ Ein paar Schritte vor ihm hielt Neji inne und wandte sich um. „Was ist los?“

 

Shikamaru runzelte die Stirn; er hatte nicht einmal bemerkt, dass er aufgehört hatte zu laufen. Rasch tat er so, als würde er über den Zielort nachdenken, der vor ihnen lag. „Noch nichts“, witzelte er. 

 

Doch Neji schmunzelte nicht, sondern musterte ihn nur aufmerksam im Mondlicht. Diese opaleszenten Augen ruhig auf sein Gesicht fixiert, beobachtend, wartend…wortlos Gedanken und Gefühle hervorrufend, die im Hier und Jetzt keinen Platz hatten. 

 

Nicht jetzt…und auch damals nicht…

 

Nicht, dass es jemals eine rechte Zeit dafür gab. Und nicht, dass er auch nur eine gottverdammte Sache hätte unternehmen können, um es aufzuhalten; damals nicht und auch nicht jetzt. Denn wie er Neji einst gesagt hatte, war Schicksal ein Miststück, das sich nicht zurückhielt…und jetzt im Moment, festgenagelt von Nejis Blick, fühlte er eine bösartige Faust aus Emotionen, die sich in seine Eingeweide rammte und ihm wieder einmal sämtliche Luft aus den Lungen raubte. 

 

Neji schüttelte ganz leicht den Kopf. „Rede mit mir, Shikamaru.“

 

Seufzend sah Shikamaru zur Seite weg. „Jetzt nicht.“

 

Was zur Hölle machten sie hier? Kakashi könnte sich in ernsthaften Schwierigkeiten befinden und hier waren sie und tauschten unter dem pudrigen Glühen eines riesigen lunaren Rampenlichts gequälte Blicke aus. 

 

Verrückt.

 

Er stieß ein selbstironisches Schnauben auf. „Muss am Vollmond liegen.“

 

„Was?“

 

„Ach nichts. Lass uns gehen.“ Er beschleunigte ihre Schritte, als sie nordwärts durch den Wald vordrangen und sich dem hohen Zaun näherten. Erinnerungen an die Chūnin Prüfungen kehrten in flüchtigen Bildern zurück und keine davon war besonders angenehm. 

 

Klasse…

 

Es half auch überhaupt nicht zu wissen, dass was auch immer jenseits dieser Zäune lag, wahrscheinlich eine noch viel größere Nummer in der ‚Kranker Scheiß‘-Abteilung war als das, mit dem sie es vor drei Jahren zu tun gehabt hatten. 

 

„Scheiße“, raunte Shikamaru mit den Händen an den Hüften und sah unter seinen Brauen hinauf zu dem Warnschild, das an dem Zaun angebracht war. „Erinner mich nochmal, warum genau ich uns hierfür angemeldet habe.“

 

„Ich glaube, du wolltest einen Spaziergang machen, Nara“, sagte Neji gedehnt und in seinen tiefen Tönen schwang Belustigung mit. „Obwohl ein Spaziergang in diesem Wald nicht gerade das ist, wovon ich dachte, dass du es im Kopf hast.“

 

„Hyūga Humor. Dazu gedacht, einen ins Schwitzen zu bringen.“

 

„Naja, es hat auf jeden Fall diesen Biss von Ironie, an dem du dich so gerne erfreust.“

 

„Jo. Wie gut, dass es für einen Überflieger wie dich wirklich nur wie ein netter Spaziergang im Park werden wird.“

 

„Wenn das dafür sorgt, dass du weniger schwitzt, Nara.“

 

Shikamaru schmunzelte und sah zu dem Jōnin hinüber. „Du erinnerst dich noch, wie man diesen Ort nennt, oder?“

 

Neji nestelte bereits an dem Schloss des nächsten Tores. „Ich bin mir sicher, dass wir irgendetwas finden werden, um meine Erinnerung aufzufrischen.“

 

Bei dieser fröhlichen Note zentrierte sich Shikamarus Verstand wieder auf die Aufgabe, die auf der Hand lag. „Richtig, unser Ziel ist es, Kakashi-sensei zu finden, das Level der Gefahr einzuschätzen und -“

 

„Nicht zu sterben.“

 

„Das auch.“

 

Und mit dem Ziel fest an Ort und Stelle betraten sie den Wald des Todes.

 
 

~❃~
 

 

Bereits vor einigen Blocks hatte das Heulen aufgehört und der letzte Ruf lief zu einem Schrei aus, der ebenso schrill war wie das Kreischen einer Eule. Verwirrt und erschrocken wanderten Dorfbewohner durch die Straßen, sahen nach ihren Nachbarn, während Kinder ihre Hälse aus offenen Fenstern streckten und Mütter als Silhouetten im Türrahmen die Hausschwellen bewachten. 

 

Shinobi bewegten sich leichtfüßig und geräuschlos über die Dächer. 

 

Am Ende der Straße auf dem Dach des zweiten Stocks eines Holzhauses, in dem Papierlaternen und Gitterrahmen verkauft wurden, erwachte flackernd ein Lampe hinter den Jalousien. Ein Schlitz aus Licht fiel durch das offene Fenster. 

 

„Shh!“, warnte eine junge Stimme. „Du wirst noch Ärger bekommen!“

 

„Ich will aber sehen, was da los ist.“

 

Kleine Finger hakten sich unter den Rahmen der Jalousie und schob ihn leicht nach oben. Ein kleiner zotteliger Kopf schob sich durch den Spalt, bevor der Bub hinaus in die Nacht linste und die Gestalten anblinzelte, die zwischen den Häusern hin und her drifteten. 

 

„Was siehst du?“, fragte das andere Kind; jünger und weiblich. 

 

„Nichts.“ Der Junge schob die Unterlippe vor und wollte sich noch weiter hinaus auf das Ziegeldach schieben, doch ein scharfes Funkeln aus dem Augenwinkel ließ ihn abrupt innehalten. Keuchend spähte er hinüber. „W-wer…?“

 

Da; zusammengekauert in den Schatten eines Überhangbalkons, drehte eine einsame Gestalt den Kopf. Obwohl kaum erkennbar sandte die bruchstückhafte Bewegung einen grellen Lichtstreifen eine lange dünne Nadel entlang, was ihr die Illusion eines Messers verlieh, das durch die Dunkelheit schnitt. 

 

„Geh zurück ins Bett“, knurrte der Schatten. 

 

Mit weit aufgerissenen Augen und kalkweißem Gesicht zog sich der Bub schlagartig zurück in das Schlafzimmer, knallte das Fenster zu und löschte mit einem verängstigten Quieken das Licht. Von irgendwo weiter unten rief eine aufgeschreckte Mutter und Schritte donnerten von drinnen über die Treppe.

 

Genma seufzte. 

 

Rasch verließ er seinen Platz und sprang auf das angrenzende Gebäude. Er schwankte ein bisschen, als er die Balance hielt und fluchte leise, bevor er anfing zu rennen, wobei er sich gebückt und außer Sicht hielt. Er hatte bereits einen schwindelerregenden Rundgang um den Hokageturm hinter sich, also nahm er jetzt einen neuen Weg und fand einen anderen Ort um zu warten, zu beobachten und die Reste der Shōchū Flasche hinunter zu kippen, die von seinen Fingerspitzen baumelte. 

 

Der Likör brannte sich seinen üblichen Pfad durch ihn und ließ nichts zurück außer eine betäubende Kälte. 

 

Nutzlos…

 

Kein warmes Summen, nur ein Kopf voll von Frost…seine Gedanken wirbelten wie Schneeflocken und waren dunkel wie die Nacht. 

 

‚Was auch immer es gewesen ist, was auch immer zwischen euch vorgefallen ist…am Ende hat es keine Rolle gespielt.‘

 

Das Ende. Das ist es, was eine Rolle gespielt hat, oder nicht? Das Ende. Nicht der Weg und die Mittel. 

 

Genma verkrampfte den Kiefer; sein Senbon zuckte von oben nach unten, von Seite zu Seite. Verdammt, wie sehr hatte er dieses komplizierte Netz aus Lügen eigentlich sabotiert, indem er Asuma in das Chaos verwickelt hatte? Seine umgekehrte Methode war nach hinten losgegangen. Übel. Er hatte versucht, den Sarutobi mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl zu warnen, nur um dann die Taktik zu ändern und ihm damit eine verdammte Karotte vor der Nase baumeln zu lassen, wobei er gedacht hatte, er hätte Asuma gerade genug Wahrheit gegeben, um ohne Schuld leben zu können, ohne Ketten, ohne…

 

Diese verfickte Kälte…

 

‚Es hat keine Rolle gespielt…verstehst du…das…?‘

 

Worte, Worte, Worte.

 

Es gibt keine Worte, sondern nur Taten.

 

Und genau darin lag die Ironie. Denn es waren nicht Worte gewesen, die ihn verraten hatten, sondern Taten. Dieses verdammte Senbon in diese Karte getrieben zu haben. Was zur Hölle hatte er sich nur dabei gedacht? Was zur Hölle hatte er getan?

 

Scheiße.

 

Dieser dämliche Ausrutscher hatte einen verdammten Schneeballeffekt nach sich gezogen. Und die jetzige Frage war, ob das Bergabrollen jetzt bei Kakashi gestoppt hatte. Wie viel wusste Kakashi eigentlich wirklich? Würde er die Sache fallen lassen? Würde er sie ganz privat weiter verfolgen? Würde er ein weiterer Freund werden, den Genma als potentielle Bedrohung behandeln müsste? Ein weiterer Kamerad, den der Shiranui unter Beobachtung halten müsste? Oder noch schlimmer; würde er die höheren Tiere einbeziehen müssen, um den Kopierninja ruhig zu halten?

 

Tief durchatmend fuhr sich Genma mit der Hand durchs Gesicht. 

 

Streich das. Er würde sich selbst um Kakashi kümmern. Kein Grund, irgendjemand anderen dort mit hinein zu bringen. Und außerdem, was ihn viel mehr beunruhigte als was auch immer Kakashi wusste, war, wie viel Shikamaruwusste. Hatte Asuma mit ihm gesprochen, bevor er starb? Und wenn ja, was hatte das wachgerüttelt?

 

Geh jetzt noch nicht vom Schlimmsten aus. Der Junge hat einen Akatsuki erledigt…hat eine S-Rang Mission ganz allein zu Ende gebracht. Dazu wäre er nicht in der Lage gewesen, wenn er labil wäre. 

 

Oder doch? 

 

Die Fragen wirbelten durch sein Hirn wie der Shōchū durch die Flasche. 

 

Scheiße. Ich muss dieses abgefuckte Schlamassel wieder ins Lot bringen. 

 

Und er müsste es schnell richten. Die Tasche zu verbrennen war nicht genug. Er musste alles überprüfen. Und das würde Zeit brauchen. Zeit, die er zu zwei Teilen falten und in der Hälfte durchschneiden müsste. 

 

Eine Woche.

 

Sieben Tage, um zwei Jahre aus Geheimnissen feinsäuberlich durchzukämmen. Sieben Tage, um die Archive von innen nach außen zu kehren, alle Papierspuren aufzuwischen, alle ausgebuddelten Hinweise zu begraben, alle losen Enden zu verknoten und –

 

Melde dich bei den Gefängniswärtern.

 

Schnaubend schüttelte Genma den Kopf. 

 

Utatane Koharu und Mitokado Homura.

 

Die ‚höheren Tiere‘, die ausharrten und wie Geier im Schatten der Hokage lauerten. Die beiden Schlüsselspieler, die so begierig darauf waren, ihn unter dem Darunterliegenden zu halten, um sicher zu gehen, dass er niemals von ANBU frei sein würde, niemals frei sein würde von all den Lagen aus Lügen. Er konnte es immer noch vor sich sehen, wie sie im Licht dieser roten Morgendämmerung vor zwei Jahren dagesessen hatten; ihre Gesichter hängend wie zwei ausgewaschene Papierlaternen, aber glühend mit einem arroganten selbstgerechten Feuer. 

 

„Was in Kusagakure passiert ist, ist bedauerlich. Aber du hast deine Befehle. Wir haben Tsunade-sama bereits den manipulierten Bericht gegeben. Und diese Version ist endgültig. Unanfechtbar. Hast du das verstanden?“

 

„Ich verstehe, dass ihr mir befehlt, meinen Hokage zu belügen. Ich verstehe, dass ich gerade der Gosse von ANBU zugewiesen wurde.“

 

„Hüte deine Zunge, Genma. Du hast in der Tat Glück, dass Hiruzen dich vor dem KERN bewahrt hat und dich aus deiner eigenen selbstzerstörerischen Gosse geholt hat, denn ansonsten würde Danzō deine Zunge mit weit drastischeren Maßnahmen versiegeln.“

 

„Homura. Das reicht. Genma, der Sandaime hat dich zu einem Goei Shōtai gemacht, weil er dir nicht nur mit seinem Leben, sondern auch mit all seinen Geheimnissen vertraut hat. Und während du zwar darin gescheitert bist, Hiruzens Leben zu retten, wirst du dennoch seine Geheimnisse schützen. Das ist deine Mission. Das ist dein Eid als Goei Shōtai.“

 

„Ich kenne meinen Eid. Ich weiß, dass ich geschworen habe, meinen Hokage zu beschützen.“

 

„Und Hiruzen-sama war bereits lange vor Tsunade dein Hokage. Denk nicht, dass dein Eid ihm gegenüber durch seinen Tod oder die Nachfolge von Tsunade aufgehoben wurde. Du bist durch Pflicht daran gebunden, seine Geheimnisse über den Nara zu bewahren.“

 

„Was den Vorfall mit Shikaku Nara angeht, ja. Das geschah auch während seiner Amtszeit und wie er damit umgegangen ist, war allein seine Sache. Aber was ist mit Shikamaru? Als Goei Shōtai, wie kann ich meiner derzeitigen Hokage weiterhin dienen und sie schützen, wenn ich mein Wissen über das, was dem Jungen zugestoßen ist, vorenthalte? Wie kann ich das vor der Godaime geheim halten, wenn es möglicherweise eine massive Bedrohung darstellt?“

 

„Es gibt keine Bedrohung, vorausgesetzt du hältst den Mund, Shiranui.“

 

„Homura hat recht. Du gehst auch davon aus, dass wir keine Präventionsmaßnahmen ergriffen haben, sollte sich ein Vorfall wie das, was Nara Shikaku zugestoßen ist, jemals wiederholen. Mit der Unterstützung einiger ausgewählter Personen werden wir sicherstellen, dass das niemals wieder passiert.“

 

„Einiger ausgewählter Personen?“

 

„Du bist nicht der Erste, den wir gebeten haben, solch ein Opfer des Gewissens für dieses Dorf zu bringen, um es zu beschützen, Genma.“

 

„Wer weiß sonst noch über den Nara Clan Bescheid?“

 

„Das geht dich nichts an. Obwohl du eine dieser Personen in Kusagakure getroffen hast. Hast du den Agenten gekannt?“

 

„…Ja, Homura-sama. Ich kannte ihn.“

 

„Dann weißt du, dass du nicht der Einzige bist, der diese Bürde zu tragen hat. Aber tragen musst du sie. Der Sandaime hat uns diese Angelegenheit anvertraut. Und jetzt wurde sie auch dir anvertraut. Das ist deine Bürde. Aber es ist auch deine Pflicht. Und ein Shinobi muss tun, was auch immer notwendig ist, um seine Pflicht auszuüben.“

 

Was auch immer notwendig ist, was auch immer gebraucht wird, nicht weniger und auch nicht mehr. Und er hatte keinen Hehl daraus gemacht, denn das war es gewesen, was er mit an ANBUs Tisch gebracht hatte und es war auch das, womit er wieder gegangen war: nichts. 

 

Nichts außer die Kälte.

 

Genma zog scharf einen Atem gegen die Kühle ein und griff in die Tasche, die an seinen Schenkel gebunden war, um eine winzige fuchsiafarbene Pille hervor zu holen, sie sich zwischen die Lippen zu schieben und sie mit einem weiteren Schluck seinen Rachen hinunter zu waschen. 

 

Triff mich schnell heute Nacht. 

 

Während er darauf wartete, dass das Stimulans seine Blutbahn traf, blieb er kauernd im Schatten und beobachtete das langsame Flackern der Lichter auf der Straße; ein systematischer Shutdown, ein Zurückkehren zum Schlaf, eine Rückkehr zur Sicherheit, ein-

 

BRENNEN! Es schoss durch seinen Körper; ein heißes Pulsieren, als der Blutdruck einen Satz machte und Nervenenden aufflammten. Genma verdrehte seine Augen gen Himmel, als sich seine Pupillen verzogen und sein Kopf nach hinten kippte. Wärme pumpte durch seine Venen, zäh wie Honig und grell wie glühender Bernstein. 

 

Erregung strömte durch ihn und weckte schlummernde Triebe. 

 

Wann war das letzte Mal gewesen, dass er ihnen nachgegeben hatte? Wirklich nachgegeben hatte? Er konnte sich nicht erinnern. War danach viel zu gottverdammt kalt, um sich darum zu kümmern.

 

Eine Verbindung einzugehen…

 

Er stürzte den Rest des Shōchū hinunter, ließ die Flasche auf dem Rand des Gebäudes stehen und sah zu, wie das Mondlicht in verstärkten Strahlen vom Glas gebrochen wurde. Alles war verstärkt. Alles außer die Kälte; sie verdampfte in der Wärme. 

 

Falsches Licht, falsches Fühlen…

 

Er sonnte sich in dieser chemischen Lüge…ließ die Strahlen durch sich scheinen…

 

Und als sich der Tumult im Dorf endlich beruhigte, beendete er seine träumerische Mahnwache und begab sich schnurstracks nach Hause, wobei er ununterbrochen auf höheren Ebenen blieb, bis er ein halb zusammengebrochenes Bambusgerüst erreichte. Leichtfüßig wie eine Katze sprang er hinüber, packte einer der gelblichen Sprossen, schwang sich ungeschickt um ihre Achse und warf sich selbst nach oben und über die Balkonbalustrade des baufälligen vierstöckigen Wohnhauses. Taumelnd kam er auf und klopfte sich den Staub von den Händen, während er sich die Schuhe von den Füßen trat und seine spartanische Wohnung durch die Schiebeglastüren betrat. 

 

Keine zwei Schritte in den beschatteten Tatamiraum und er wusste, dass er nicht allein war. 

 

Verstärkte Sinne summten. 

 

Mit umherzuckenden Augen schnupperte er und seine Umgebung strich wie verschmierte Farbe in seiner Sicht vorbei. 

 

Jenseits der zerrissenen und verzogenen Fusama Paneele flackerte ein Licht. Die Lampen bei der Küchenzeile waren an. Sie waren niemals an. Er hatte sie immer noch nicht repariert. Ein Geräusch erklang, als eine Schranktür geschlossen wurde und es wurde von dem Summen in seinem Kopf und dem Brüllen in seinem Blut noch verstärkt. Auf dem dünnen Papiershōji, der diesen Platz von dem Wohnzimmer trennte, spielte ein Schatten.

 

Das Senbon in Position schob Genma den Shōji mit weit mehr Kraft zurück als er vorgehabt hatte. 

 

Das scharfe Zischen der Tür zerschnitt die Stille wie eine Klinge. 

 

Eine Gestalt hielt im Türrahmen der kleinen Küche inne und wurde von den Neonstrahlen einer billigen Beleuchtung illuminiert. Das vernarbte Gesicht spannte sich in einem Stirnrunzeln an. „Du hast immer noch nicht das Licht repariert.“

 

Genma hob eine Braue. „Hallo, Mutter.“

 

Raidō ignorierte den bissigen Kommentar und wandte sich wieder der Kochnische zu, wo sich zum Summen der Neonröhren bald das dumpfe Röhren der Dunstabzugshaube gesellte. Genma erhaschte den Geruch von Kürbissuppe, Duftreis und Zigarettenrauch, der zu stur war, um von dem Abzug aufgesogen zu werden. Doch es war Raidōs Anwesenheit, die das Apartment ausfüllte; so spürbar wie jeder Geruch. Genmas Nasenflügel bebten; ein Raubtier, das Wind von einem Eindringling bekam. Tief in seiner Kehle fauchte er und durchmaß das Wohnzimmer in langen unkoordinierten Schritten, wobei er leicht schwankte. 

 

Ihm wurden all die Dinge bewusst, die bewegt worden waren, zur Seite geschoben, geordnet oder aufgeräumt. Um die sich gekümmert worden war.

 

Kümmern…

 

Mit finsterer Miene entriegelte er die Schiebetüren, die auf den Balkon führten und ließ einen eisigen scharfen Windstoß in die Wohnung. Er spürte ihn wie eine Hitzewelle und als seine Haut kribbelte, lag das nicht an der Kälte. 

 

Er wandte sich um und begegnete dem Blick, der ein Loch in seinen Rücken bohrte. 

 

Raidō lehnte mit verschränkten Armen am Herd und seine Augen erschienen im flackernden Licht liquide und intensiv. Eine kurzhaarige grau gestromerte Katze wand sich um seine Knöchel und verlangte nach Aufmerksamkeit. „Du hast dir eine Katze zugelegt?“

 

Genma stierte hinunter zu dem Tier, das er Waif getauft hatte und blinzelte, um den beweglichen Streifen kreisenden Graus in den Fokus zu bekommen. 

 

„Ich habe Mäuse“, erklärte er knapp. 

 

Waif hörte beim Klang seiner Stimme mit dem Zirkeln auf und trottete mit erhobenem krummem Schwanz herüber, wobei er eine lange miauende Beschwerde ausstieß. 

 

Grunzend stieg Genma über den jammernden Stubentiger hinweg und hielt eine Hand gegen die braune Gipswand gestützt. Unter seiner Berührung gab trockener Puder nach. Waif sah fasziniert und mit zuckendem Schwanz zu, wie er nach unten schwebte. Auch Genma studierte den Gipsstaub mit derselben animalischen Neugierde. Er klebte in den Falten seiner Handfläche…wie Asche in seiner Hand. 

 

Raidō seufzte. „Was zur Hölle hast du genommen?“

 

Bei dem beschuldigenden Tonfall wurde Genma regungslos und seine Augen schwangen mit Pupillen wie Nadeln nach oben. 

 

Raidōs Brauen zogen sich zusammen, löste die Verschränkung seiner Arme und wollte nach vorn treten.

 

Genma spuckte. Ein Lichtstrahl schoss durch den Raum. 

 

Ein lautes gläsernes Platzen und die Neonröhre zerbarst hinter Raidō und ließ einen Regen zersplitterter Scherben in der Kochnische niedergehen. Waif fauchte, schnellte herum und jagte davon in den Tatamiraum. 

 

Raidō versteifte sich und hob eine Hand, um mit der Rückseite seiner Knöchel über seine vernarbte Wange zu streichen, als er das Stechen fühlte, wo das Senbon ihn gestreift hatte. Kopfschüttelnd sah er zu Genma. „Bist du verfickt nochmal bescheuert?“, sagte er mit solcher Neutralität, dass er Genma genauso gut hätte fragen können, wie spät es war. 

 

Keine schlechte Vermutung. Denn Zeit war Geld soweit es Raidō betraf. Warum er sie allerdings hier verschwendete…

 

Ah.

 

Ein langsames Schmunzeln kroch über Genmas Lippen. Er beschrieb eine gemächliche, mäandernde Route über den rauen Dielenboden, wobei seine nackten Füße Nägel und Spreißel und Kami weiß was sonst noch riskierten. Die ganze Zeit über beobachtete Raidō sein Näherkommen wie ein Habicht vielleicht eine Schlange im Auge behielt; den Kopf leicht zur Seite gelegt und mit scharfem Blick, während er jede einzelne Bewegung im Mondlicht musterte. 

 

Langsam und bedächtig legte Genma eine Hand auf den Tresen neben Raidōs Hüfte und hob die andere, um sich über dem Kopf seines Partners abzustützen und ihn zwischen seinem Körper und dem Herd einzupferchen. Er hielt die Augen auf Raidōs Gesicht fixiert und lehnte sich nach vorn, bis ihre Lippen nur knapp einen Zentimeter übereinander schwebten. 

 

„Mir Essen bringen und meine Scheiße wegräumen“, schnurrte Genma finster. „Was bin ich? Dein verficktes Schoßtier?“

 

Raidō erwiderte nichts und hielt seine Arme mit verengten Augen und verschlossenem Kiefer wie Eisenstäbe über seiner Brust verschränkt. Genma kannte diesen Ausdruck, denn er war mehr als einmal der Empfänger davon gewesen. Aber nicht in letzter Zeit. In letzter Zeit war er distanziert genug gewesen, dass Gesichter ebenso undeutlich blieben wie verwischte Farbe. Doch aus dieser Nähe gab es kein Entkommen vor den vielen Schichten hinter Raidōs Blick. Genau wie bei dem Narbengewebe, das in Falten und Quaddeln zerklüftet war, stand sehr vieles in der dunklen Linie geschrieben, die sich zwischen die Brauen des Namiashi grub. Diese Miene schrie geradezu. Lärm, viel zu viel Lärm. 

 

Über ihnen surrte der Lüfter laut und ruppig. 

 

Genmas Hirn pulsierte unter dem Druck; es pochte in seinem Schädel und drückte gegen die Rückseiten seiner Augen. 

 

Krampfartig schloss er sie und sah, wie Farben erblühten und wirbelten. 

 

„Du stinkst nach Schnaps“, raunte Raidō gegen seinen Mund. „Und du bist drauf.“

 

„Jo…“ Genma lehnte sich weiter nach vorn, legte seine Lippen gegen Raidōs Ohr und zischte: „Ich fliege.

 

Er donnerte die Abzugshaube mit solcher Gewalt und so plötzlich aus, dass Raidōs Handflächen vollkommen aus Reflex nach oben schossen und ihn heftig zurück stießen. 

 

Halb aus der Kochnische hängend fing sich Genma ab und seine Finger krümmten sich um den Türknauf; ein Bein in der Luft und das andere feste auf dem Boden. Düster kichernd schwang er sich mit einem Rucken des Kopfes das Haar aus dem Gesicht. Als er aufsah bemerkte er, dass Raidōs Augen auf seine Hände fixiert waren und auf die offenen Schnitte stierten, die Kurenai von seinen Knöcheln bis über seinen Unterarm gekratzt hatte. 

 

Doch Raidō fragte nicht; er schüttelte nur den Kopf. „Du hattest einen Termin bei Dr. Mushi.“

 

Stirnrunzelnd zerrte sich Genma in die Aufrichtung und hielt abrupt inne. Dr. Mushi. Die Mantis. Ah, das stimmte. Er hatte seine zweiwöchige Sezierung verpasst. War viel zu beschäftigt gewesen, Beweise zu verbrennen und Brotkrumenspuren zu verwischen. 

 

„Genma, hast du mich verstanden?“

 

Er sah auf und fand Raidōs dunkle rosinenfarbene Augen vor, die auf sein Gesicht gerichtet waren; sah, wie sie sich verwandelten und zu Dimensionen weiteten, die mehr käferähnlich waren, bis sich Raidōs gesamte Züge wie Spachtelmasse in Genmas Verstand neu formten, sich nach außen ausbreiteten und die flachen, herzförmigen Konturen einer Gottesanbeterin annahmen. Dünne Strähnen weißen Haares, das zu einem hohen schilfartigen Pferdeschwanz zusammengefasst war und wie eine Antenne abstand. Er konnte Dr. Mushis funkelnde Augen sehen, die hinter riesigen randlosen Linsen vergrößert wurden und in einem Röntgenblick fixiert waren, der Genma wahrnahm, sondierte, psychoanalysierte und anpisste wie nichts sonst. 

 

„Ich frage mich, ob du glaubst, dass du in Stille leiden musst, Genma.“

 

„Wer sagt, dass ich leide?“

 

„Würdest du sagen, dass du leidest? Vielleicht kannst du mir ja ein Beispiel geben, was Leiden für dich bedeutet.“

 

„Zählen diese Sitzungen?“

 

„Du fühlst dich unwohl dabei, hier zu sein?“

 

„Ich fühle überhaupt nichts.“

 

„Was einer der Gründe ist, warum du hier bist. Wie wäre es, wenn du mir erzählst, was du nicht über diese Sitzungen fühlst, was du aber vielleicht gerne fühlen würdest?“

 

„Nichts.“

 

„Nichts? Nicht einmal Vertrauen? Möchtest du dich nicht verstanden fühlen? Akzeptiert? Erleichtert? Du hast nichts, was du fühlen willst?“

 

„Ich habe nichts, was ich sagen will.“

 

„Und das, Genma, sagt dennoch etwas.“

 

Zu dumm nur, dass der Doktor trotzdem immer noch gar nichts wusste. Immer noch nichts verstand. Und mit Sicherheit nicht, dass er das Insekt war, das seziert wurde. Denn immer, wenn Genma in diesem Stuhl saß und in diese leuchtenden Käferaugen stierte, ahnte Dr. Mushi kein einziges Mal, dass er derjenige war, der beobachtet wurde, der sich unter dem Messer befand, unter wachsamen Augen.

 

Befehl ist Befehl.

 

Und das war alles, was es war. Denn Nara Shikakus Psychiater zu überwachen und Wanzen in diesem vertraulichen Bienenstock aus Büros zu platzieren, der vor Geheimnissen und Verschwörungen brummte, war nur eine weitere Mission, die zu einer Vergangenheit gehörte, die er nicht loslassen konnte. Oder zumindest einer Vergangenheit, die ihn nicht loslassen wollte. 

 

Weil wir uns nicht alle aus dem Staub machen können. 

 

„Genma“, knurrte Raidō. „Warum bist du nicht hingegangen?“

 

Die Hände in den Türrahmen gekrallt, schwankte Genma nach vorn und hing halb in die Kochnische. „Ich hab es nicht nötig, von diesem Insekt seziert zu werden.“

 

„Ich glaube nicht, dass du das zu entscheiden hast.“

 

Nein. Die einzige Sache, die er zu entscheiden hatte, war, wie er mit der Kälte umging, die er nicht abtöten konnte; nicht mit Alkohol und nicht mit Drogen, zumindest nicht dauerhaft. Und jetzt im Moment war Raidōs Anwesenheit wie eine Scherbe aus Eis, die sich durch künstliches Glühen und simulierte Wärme schnitt.

 

Chemische Lügen…

 

Er versuchte, sich an diesen falschen Gefühlen festzuhalten, versuchte sie zu jagen, sie zu fangen, sie zu halten, während sein glasiger Blick über den Boden glitt und fort reiste, wie er immer hatte reisen wollen…kletternd über zersprungene Fließen und Holzsplitter, wo Linien wie Flüsse strömten und Löcher wie weite offene Täler gähnten, während Scherben zerbrochenen Glases glitzerten wie gezackte Seen und kleine Teiche. 

 

Er sah es alles; ein Habicht, der über der Welt schwebte. 

 

Ja, er flog…flog zu nah am Boden. 

 

Und hoch über ihm schwebten Raidōs Augen wie dunkle Wolken und seine Stimme war wie ein kalter Wind. „Du konstruierst dein eigenes Elend, ist dir das klar?“

 

„Muss“, murmelte Genma, als er sich das Konzil in sanguinischen Licht vorstellte. „Ich habe mein Gewissen in die Hände von Insekten gelegt, die weit kälter sind als ich.“

 

„Wovon redest du? Da ist doch nur dieser eine.“

 

„Da ist niemals nur dieser eine.“

 

Seufzend rieb sich Raidō über die Stirn. „Diese paranoide Vorstellung, dass sich dein eigener Therapeut gegen dich verschworen hat, ist genau der Grund, warum du immer noch jede zweite Woche in diesem gottverdammten Stuhl festsitzt, Genma. Wenn du Dr. Mushi nur etwas geben würdest, mit dem er arbeiten kann, eine Halbwahrheit, eine ausgewachsene Lüge, irgendwas, dann musst du das nicht noch länger durchmachen.“

 

Doch, das muss ich…

 

Was dazu führte, dass er stattdessen Raidō belog, wie er Asuma belogen hatte; und Kakashi…jeden belog, bei dem es sein musste – wie es notwendig war – er zog Halbwahrheiten und Ablenkungsmanöver hervor und führte alle richtigen Personen alle falschen Pfade entlang. 

 

‚Vielleicht bin ich einfach nur ein grausamer, grausamer Bastard, der es mag, den Leuten ans Bein zu pissen.‘

 

‚Nein, das bist du nicht.‘

 

Aber es wäre so viel einfacher, wenn er das wäre. Wie schwer konnte es schon sein, zumindest so zu tun? Den Part zu spielen. 

 

Seufzend senkte Genma den Kopf und dunkle Strähnen verhüllten wie ein Vorhang sein Gesicht. „Geh nach Hause, Raidō.“

 

„Oder vielleicht genießt du dieses Elend ja tatsächlich. Ist es das?“

 

Genma versteifte sich und seine Schulterblätter hoben sich. Jetzt ließ das Summen definitiv nach. Er hob den Blick und starrte seinem Partner direkt in die Augen. „Geh nach Hause.“

 

Raidō begegnete seinem Blick und hielt ihn. Aber wie jedes Mal hielt diese Konfrontation nicht lange an. Raidō hatte einfach nicht die Geduld dazu. Der Namiashi machte Anstalten, als wollte er etwas sagen, fuhr sich dann aber nur kopfschüttelnd mit der Zunge über die Lippen. Er trat von dem Tresen fort, vermied dabei das Glitzern winziger Scherben auf dem Boden und hielt vor Genma inne, wobei sich seine Brauen erwartend hoben. 

 

„Nun?“

 

Genma brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass er den Ausgang blockierte. Er ließ die Hände fallen, drehte sich zur Seite und lehnte seinen Rücken gegen den Rahmen, während er seinen Partner mit einem Schwung seines Armes weiter gestikulierte. Aus dem Augenwinkel bemerkte er Raidōs Enttäuschung; ein schwaches Kopfschütteln. 

 

„Wir waren so lange befreundet, Genma…“ Raidō ließ diese Aussage in der Luft hängen und ihre Ambivalenz war ebenso ernst wie seine Augen. 

 

Es war eine Einladung, eine offene Hand, eine Geste des Vertrauens, eine Brücke zwischen Freundschaft und Entfremdung. Es würde nur einen Blick, ein Wort, eine Handlung für Genma brauchen, um ihm auf halbem Weg zu begegnen. 

 

Doch auch nur einer dieser Schritte wäre ein Schritt zu weit. 

 

Genma spürte bereits, wie sich die Ketten um seine Seele schlagartig straff zogen. 

 

Er hielt das Gesicht abgewandt und stierte auf die Behälter, die auf einer Seite der Küchenzeile standen; ordentlich sortierte Kartons, abgeplatzte Keramik und lackierte Essstäbchen. Für alles gesorgt. 

 

Er spürte Raidōs Blick auf seinem Gesicht; suchend…hoffend…

 

Genma schluckte schwer und zwang sich zu einem abweisenden Schnauben. „Schreib es auf meinen Deckel.“

 

Gekränkt spannte sich Raidōs Stirn an und kummervoller Schmerz flammte flüchtig in seinen Augen auf. „Iss es einfach“, knurrte er, bevor er an dem Shiranui vorbei in das Wohnzimmer und den Gang hinunter fegte. 

 

Genma hörte, wie er in dem Genkan rumorte und dann, wie sich die Tür zu seiner Wohnung klickend schloss, um nichts außer Stille und Schatten zurück zulassen…und den Geruch von Kürbissuppe.

 

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Oh oh oh, ja, so langsam nimmt alles etwas Fahrt auf ^^ Es kommen immer mehr Puzzleteile dazu und immer mehr Teile des großen Rätsels ;) 

Hier wird etwas mehr zu Genmas Rolle in diesem Netz aus Lügen verraten und, wer da natürlich noch so seine Finger im Spiel hat - die Ältesten von Konoha ;) 

Und auch in Shikamarus Vergangenheit gab es wieder einen kleinen Einblick...

Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat! :) So langsam wird es richtig spannend - also finde ich zumindest ^^ Ich hoffe, es geht da nicht nur mir so :D 
 

Vielen Dank auf jeden Fall wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!! <3

Living hell

„KAITEN!“

 

Die blauweiße Kuppel wirbelte nach außen, brach durch verstärkte Knochen und Arachnidenpanzer, um das Rudel aus Skorpion-Tiger-Hybriden auseinander zu treiben. Ein Miasma aus Blut, Schweiß und Chakra stieg auf und wuchs zu einem pilzartigen roten Dunst, der das Licht dimmte.

 

Ich brauche ein paar Schatten.

 

Shikamaru warf einen flüchtigen Blick um die Ecke des Findlings und duckte sich rasch, als ein massiver Stachel über seinen Kopf hinweg flog und auf den harten Boden krachte. Gift tropfte von dem Widerhaken und traf mit einem säureartigen Zischen auf die Erde. 

 

Wie nett.

 

Beinahe wären seine Eingeweide von diesem Ding durchstochen worden. Konoha hatte auf jeden Fall den Einsatz erhöht, indem beschlossen worden war, durch Chakra verstärkte Chimären in die Chūnin Prüfungen mit einzubeziehen. Wahrscheinlich hatte Mitarashi Anko diese verfluchten Dinger von Hand aufgezogen. Es waren auch einige besonders sonderbare Schlangen-Insekten Mischungen hinein geworfen worden. Doch es waren die Echsenvogel-Kreuzungen, die über ihnen lauerten, die definitiv den Preis für ‚Krankester-Scheiß-jemals‘ gewannen. Shikamaru hatte das Nest zerstört, gerade als die Eier Risse bekommen hatten. Zu diesem Zeitpunkt war es ein guter Zug gewesen, aber jetzt wartete Mommy irgendwo auf ihren Einsatz – bereit dazu, ihm bei der ersten Gelegenheit den Kopf abzureißen. 

 

Wo bist du?

 

Doch ihm blieb keine Zeit, sie aufzuspüren. 

 

Ein explosives Geheul zerrte ihn schlagartig zurück ins Spiel. 

 

Er hechtete über den Findling und sprang über die verstümmelten Körper der Tigerskorpione; ihre massiven konkaven Platten schützender Rüstung lagen aufgeknackt wie offene Eierschalen da, aus denen Eingeweide und Schleim sickerten. Rollen dampfender Gedärme lagen in aufgedunsenen Häufen verstreut und nahmen im Mondlicht ein schillerndes Leuchten an. 

 

Der Gestank war so stechend, dass er Augen tränen ließ. 

 

Shikamaru konzentrierte sich so gut es ging darauf, die Distanz zu schließen und sprang dabei über aufgewühlte Erde und blutige Überreste. Mit aller Kraft donnerte er seinen Fuß in die Kehle einer zuckenden Bestie und hob gerade rechtzeitig den Blick, um sehen zu können, wie Neji seinen Handballen unter das Kinn eines angreifenden Wolf-Ochsen-Dings rammte. Der Köter von der Größe eines Nashorns hatte einfach Hörner. Die Wucht des mit Chakra verstärkten Schlags riss den Nacken mit einem ekelerregenden nassen Knacken nach hinten. Eine rückwärtige Drehung und einen Axe-Kick später hämmerte Nejis Fuß einen weiteren gehörnten Schädel in den Boden. 

 

Jetzt.

 

Rasch führte Shikamaru seine Finger in einem Zeichen zusammen, während er sich seine Zielobjekte herauspickte. 

 

Und dann kamen sechs Meter einer ultra angepissten Mommy krachend durch die Baumkronen gestürzt. 

 

Shikamaru wirbelte herum und sah zu, wie dieses groteske dinosaurierartige Ding aus der Luft fiel, als wäre es gerade eben aus den Seiten eines Horrorromans herauf beschworen worden. Die riesigen Hinterbeine fingen den Sturz des Körpers ab, der von vogelähnlichen Federn bedeckt war, die sich allerdings zu ledernen Stacheln verdickten. Das Vieh richtete seine roten Augen auf Shikamaru und ein Schuppenkamm fächerte sich dabei über seinem Kopf wie ein Mohawk auf, während eine Krokodilschnauze ein seltsam vogelähnliches Kreischen ausstieß. 

 

„Ah Shit.“

 

Ohne zu zögern ging es mit Klauen auf ihn los, die die Erde wie ein rasiermesserscharfer Pflug aufrissen. 

 

Shikamaru ließ sich einen Schritt zurückfallen; sein Verstand raste. „Neji! Ich brauche Licht!“

 

„KAITEN!“

 

Chakra erhellte die Lichtung mit einem blauweißen Aufflammen und warf gezackte Silhouetten über den Boden. 

 

Perfekt.

 

Rasch ließ sich Shikamaru auf ein Knie sinken. 

 

Die Vorderbeine des Monsters streckten sich mit gekrümmten Krallen aus; bereit, ihn in winzige Würfel zu zerschneiden. 

 

„Kageyose no Jutsu!“

 

Schwarze Ranken schossen aus Shikamarus Schatten und jagten zu allen Seiten. Sie schlängelten sich durch die Schatten, die die Lichtung umgaben und zurrten sie rasch zu einem knotigen Seil zusammen, bevor sie sich unter dem angreifenden Biest zu einem schwarzen Netz zusammenschlossen. 

 

Hab ich dich, Dinovogel.

 

Doch Dinovogel hatte scheinbar ganz andere Pläne; nämlich drei Meter in die Luft zu springen und direkt über die Falle hinweg zu segeln und dabei einen bösartigen Triumphschrei auszustoßen.

 

Fuck…

 

Fluchend stieß sich Shikamaru von den Füßen ab, stürzte nach vorn und landete krachend in der Sicherheit seines eigenen Schattennetzes, bevor er spürte, wie sich die Ranken in schützenden Streifen um ihn legten. Sofort war Dinovogel bei ihm und schlug und hackte an dem schwarzen Gewebe. 

 

Er saß gefangen wie eine Lockente. 

 

Durch die Lücken in seinem Schattenkäfig konnte er sehen, wie Neji an der Peripherie entlang zirkelte und dabei ein ganzes Rudel aus Tigerskorpionen abwehrte, wobei seine Lufthandfläche unsichtbare Wälle gegen die Masse aus wirbelnden Stacheln und peitschenden Ruten rammte. 

 

Sechs Stachelkatzen gegen einen Hyūga. 

 

Die Chancen standen gegen die beiden Ninja und verlagerten sich ein verzerrtes Biest nach dem anderen noch weiter zu ihren Ungunsten. 

 

In seinem Schattenkokon ließ sich Shikamaru in eine Hocke sinken und spürte, wie der Zusammenhalt seiner Rüstung nachzulassen begann. Es brauchte weit mehr Chakra als er gedacht hatte, um die Schatten stabil zu halten. Er konnte bereits fühlen, wie sich das Konstrukt langsam auflöste und kämpfte energisch darum, es irgendwie zusammenzuhalten. 

 

Scheiße. Zeit zu handeln. 

 

Dinovogels Zähne krachten nach unten und schnitten sich geradewegs durch die dünner werdenden Schatten, bevor die Kiefer eine Haaresbreite von Shikamarus Gesicht entfernt zuschnappten. Ranziger Atem schlug ihm entgegen und Speichel besprühte seine Haut, bevor eine schwarze Zunge nass über seine Wange zischelte. 

 

Jetzt!

 

So schnell wie möglich ahmte er nach, was er vorhin bei Kiba beobachtet hatte und fing die Krokodilschnauze in seiner Armbeuge ein, bevor er hart zudrückte und hörte, wie die Kiefer übereinander mahlten und krachten. Er schlang seinen anderen Arm um den Hals des Monsters und vollführte mit den Fingern ein rasches Zeichen. 

 

„Kage Nui no Jutsu!“

 

Eine plötzliche Chakraexplosion und die Schatten schossen ein weiteres Mal nach außen wie die scharfen Stacheln eines Stachelschweins, als sie darauf abzielten, sich durch ledriges Fleisch zu bohren. Doch sie glitten wirkungslos von der dicken Haut ab und waren nicht stark genug, sie zu durchdringen.

 

SCHEIßE!

 

Fauchend gab Shikamaru seinen Griff um das Biest auf und stieß sich von den Füßen ab, um sich nach oben und um den sich biegenden Hals zu schwingen, sodass er auf der anderen Seite landete und sofort aus dem Weg sprang, als das Monster mit nach vorn gestrecktem Nacken herum wirbelte und Speichelfäden von Reihen gezackter Zähne tropften. 

 

Shikamaru duckte sich und stürzte zur Seite weg, während er aus dem Augenwinkel eine plötzliche Bewegung auffing. 

 

Von rechts spürte er den Wind eines Angriffs. 

 

Ein gigantischer Skorpionschwanz schoss auf seinen Kopf zu. 

 

Jeden bewussten Gedanken aufgebend ließ er sich in eine abtauchende Rolle fallen, um sich unter giftigen Widerhaken hindurch zu ducken. Auf den Ballen seiner Füße kam er wieder auf; direkt hinter einem Haufen stinkender Kadaver und zerbrochener Schalen. Stützend ließ er seine Schulter gegen die Panzer sinken und versuchte zu Atem zu kommen, während er auch schon wieder seine Hände aneinander legte. 

 

Keine Zeit. 

 

Dinovogel kam von rechts angeschlittert und rutschte dabei über den mit Eingeweiden übersäten Boden. 

 

Und die Stachelkatze kroch mit dem Körper nah an der Erde von der anderen Seite auf ihn zu; das Fell aufgestellt und den Kopf gesenkt, als sich der kolossale Schwanz gifttropfend über die Wirbelsäule krümmte. 

 

Er war von beiden Seiten eingekesselt. 

 

Denk nach.

 

Die Finger aneinander gelegt zuckten seine Augen hin und her. Die Strategie formte sich innerhalb eines Herzschlags – demselben Herzschlag, in dem sich beide Monster auf ihn stürzten. Und in der Sekunde, die die Stachelkatze für ihren Sprung brauchte, riss Shikamaru den schützenden Panzer von dem Kadaver. Er krümmte seine Wirbelsäule gegen den schleimigen konkaven Schild, wandte seinen Rücken dem trampelnden Dinovogel zu und faltete sich zu einem Ball zusammen, bis die Kuppel der provisorischen Rüstung gerade so über dem Boden schwebte. 

 

Dunkelheit und der Gestank des Todes. 

 

Dann ein markerschütternder Aufprall. 

 

Dinovogel krachte gegen seinen Rücken. Die Wucht des Schlages hämmerte ihm die Luft aus den Lungen, doch glücklicherweise fing die schützende Kuppel den Großteil des Aufpralls ab. Mit zusammengebissenen Zähnen spürte Shikamaru, wie die Nachbeben durch seine Wirbelsäule vibrierten. 

 

Nicht umfallen. Nicht nach vorn rollen. 

 

Mit aller Kraft schob er die Schultern gegen die dicke Hülle und beugte sich noch tiefer, als die Bestie all ihr Gewicht gegen den Panzer warf. 

 

Ein Knacken erscholl irgendwo über ihm.

 

Der Panzer würde gegen diese Last nicht lange bestehen – was bedeutete, dass er wie ein Käfer zerquetscht werden würde, sobald der Schild zerbrach oder umfiel. Shikamaru hörte das Fauchen der Stachelkatze von irgendwo weiter oben und konzentrierte sich auf die Lücke zwischen seiner provisorischen Rüstung und dem Boden…bis er das Glühen von Chakra sah. 

 

„KAITEN!“

 

Jetzt!

 

Seine Finger zuckten zweimal.

 

Eine schwarze Ranke peitschte nach außen, schoss über den Boden und suchte nach dem Schatten des Tigerskorpions. Da! Im selben Augenblick spürte er das Ziehen und Stechen des Schattenbesitzes, während sich sechs gekrümmte Klauen unter seine improvisierte Defensive hakten und sie ihm in einem einzigen brutalen Ruck entriss. 

 

Fluchend drehte sich Shikamaru auf den Rücken, schlug mit seinem Fuß aus und hämmerte einen heftigen Tritt in die Seite von Dinovogels Kopf. Mit einem überraschten Squawken taumelte das Biest seitwärts. Rasch setzte Shikamaru die Füße wieder auf den Boden, kam wirbelnd auf die Knie und wäre beinahe zur Seite geschlittert. Mühsam versuchte er Halt zu finden, als Blut und Schleim unter ihm nachgaben und ihn dazu zwangen, Chakra in seine Füße zu leiten. 

 

Sein Schattenbesitz schwankte. 

 

Die Stachelkatze befreite sich. 

 

In einem letzten verzweifelten Versuch gab Shikamaru den Kampf um den Halt seiner Füße auf und warf all sein verbliebenes Chakra in eine Änderung der Schattentechnik. Statt sein Paralysejutsu zu nutzen verfestigte er die Ranken und legte eine Schattenhand um den Skorpionschwanz der Katze. 

 

Götter, bitte, das muss funktionieren. 

 

Er hörte, wie sich Dinovogel hinter ihm aufbäumte. Roch den giftigen Gestank von Schweiß und Blut und stinkenden Gedärmen. Sah, wie die Stachelkatze abhob; eine Silhouette gegen den Nachthimmel mit ausgestreckten Pranken und Krallen wie Messer, während der Insektenschwanz an der riesigen Spitze mit Tod tropfte. 

 

Er glaubte zu hören, wie Neji seinen Namen rief. 

 

Und dann war alles, was er hörte, das Klatschen seiner Hände, die aufeinander trafen und hart zupackten. Die Schattenhand verstärkte ihren Griff um den Skorpionschwanz. Die Katze fauchte zornig auf, hatte aber keine Zeit zu realisieren, was genau geschah. 

 

Spiel vorbei.

 

Mit einem gutturalen Brüllen wirbelte Shikamaru auf den Knien herum und schwang seine zusammengeklatschten Hände über die Schulter, als hätte er mit einem Schläger nach einem imaginären Ball geschlagen. Und das Jutsu ahmte seine Bewegung nach. In einer lassoartigen Drehung riss die Schattenhand die Skorpionkatze seitwärts und schwang das Biest wie einen Ball an einer Kette herum, um die zischende Masse aus Klauen, Zähnen und Gift direkt in den Dinovogel zu katapultieren.

 

Die Monster krachten ineinander und gingen sofort aufeinander los. 

 

Der Stachel der Katze zuckte nach vorn und vergrub sich wieder und wieder in Dinovogels ledrigem Nacken. Blut sprudelte hervor und Säure dampfte aus der Wunde, fraß sich durch Fleisch und lähmte Muskeln. Doch im Todeskampf sägte Dinovogel zwanzig Zentimeter lange Klauen durch den ungeschützten Bauch der Katze. 

 

Fauchend und knurrend und in animalischem Hass ineinander verkeilt starben sie gemeinsam. 

 

Auf der anderen Seite der Lichtung stürzte eine weitere Bestie zu Boden. Sie stand nicht wieder auf. 

 

Tod füllte Shikamarus Nase und verstopfte seine Kehle. Auf dem Rücken ausgestreckt rollte er sich auf Hände und Knie, während er zerfetztes Husten ausstieß. Er krallte eine Hand in die Rippen, versteifte sich und erstarrte, als ein Schatten über ihn fiel. 

 

Ein starker blumiger Duft wehte übermäßig süß vorbei. 

 

Stirnrunzelnd spähte er durch seine Wimpern nach oben und blinzelte sich den Schweiß aus den Augen. Er brauchte ein paar Sekunden, um Sinn aus der Gestalt zu machen, die über ihm stand. Sofort fiel der kalte Griff von seinem Herzen und…wurde ersetzt von…einem seltsamen Kitzeln in seinem Brustbein. 

 

Für einen langen Moment starrte er einfach nur mit weiten Augen und hochgezogenen Brauen. Und dann wuchs das Kitzeln immer mehr und begann sich blubbernd in etwas Wärmeres zu verwandeln. So sehr es auch versuchte, er konnte das schiefe Lächeln nicht aufhalten, das rasch von einem Lachen abgelöst wurde. „Oh Shit, Hyūga.“

 

Heftig keuchend ging Neji vor ihm in die Hocke. „Kein Wort, Nara.“

 

Immer noch kichernd schüttelte sich Shikamaru Schleim von der Hand und ließ sich auf die Fersen sinken. Die Hände auf den Schenkeln abgestützt beugte er sich vor und ließ seinen Blick langsam und kopfschüttelnd über Neji gleiten, während er mit aller Mühe versuchte, sein Lachen zu ersticken. 

 

„Bist du in irgendetwas gefallen?“

 

Neji funkelte ihn an. „Nein. Irgendetwas ist auf mich gefallen.“

 

„Auf dich gefallen, huh?“ Shikamaru legte den Kopf schief und machte sich einen Spaß daraus, mehr als offenkundig zuerst die rechte Seite von Nejis Körper zu mustern, die in ein grelles fuchsienpink getaucht war, bevor er seinen Blick zur linken Seite wandern ließ, die unter dem schimmernden Mondlicht gerade neongelb leuchtete. „War es ein Einhorn?“

 

Neji rollte die Augen über das heisere Lachen, das gleich darauf folgte. „Idiot.“

 

„Hey, wenn es dir irgendein Trost ist; du riechst weitaus besser als du aussiehst.“

 

„Was deutlich mehr ist, als man von dir behaupten kann“, konterte Neji mit dem Hauch eines Schmunzelns in den Augen, während sein Byakugan die Umgebung scannte. „Für den Moment ist alles sauber.“

 

Shikamaru nickte und stieß einen langen langsamen Atem aus. „Glaubst du, Kakashi hat es sicher raus geschafft?“

 

„Die verbrannten Hülsen, die wir vorhin gefunden haben, kamen definitiv vom Chidori. Der Ozongeruch unterstreicht das auch noch. Ich habe außerdem die Umgebung soweit überprüft, wie es mir mit dem Byakugan möglich ist. Ich denke, dass es sicher ist anzunehmen, dass er die Situation eingeschätzt hat und hier ziemlich schnell wieder verschwunden ist.“

 

„Cleverer Zug. Wusste doch, ich hätte schreiend die Flinte ins Korn schmeißen sollen.“

 

Neji schmunzelte leicht, ernüchterte aber rasch. „Bist du verletzt?“

 

„Nein. Du?“

 

„Nur mein Stolz.“

 

Lächelnd hob Shikamaru eine Hand, um über eine leuchtend pinke Wange zu streichen. „Ja, du bist ganz errötet.“ Das brachte ihm ein flaches Funkeln vonseiten des Hyūga ein. Lachend stemmte sich Shikamaru auf die Füße und begann, sich einen Weg durch die blutigen Wracks zu bahnen, wobei er so hoch wie möglich über Skorpionschwänze stapfte. „Jetzt mal im Ernst, was genau ist auf dich gefallen?“

 

Neji folgte ihm dicht auf den Fersen, während seine Augen noch immer wachsam ihre unmittelbare Umgebung musterten. „Eine Blume.“

 

Shikamaru blieb stehen und spähte über die Schulter. „Wirklich?“

 

Doch Neji antwortete nicht mit Worten, sondern hob nur den Blick. 

 

Shikamarus Augen folgten und rasch wich er einen Schritt zurück. „Whoa.“

 

Hoch über ihnen wanden sich enorme Dschungelranken durch die Baumkronen. Und von diesen riesigen grünen Kabeln hingen gigantische rosa Schoten. Bei näherer Inspektion erkannte Shikamaru, dass die grellen Schalen in Wahrheit Blütenblätter waren, die sich zu festen Knospen zusammengefaltet hatten. Eine allerdings war aufgeblüht. Von den langen orangenen Staubblättern tropfte ein knallgelbes Wachs, während die Blüte an sich ihre Farbe in einem glänzenden, gallertartigen Harz ausschwitzte. Dicke magentafarbene Perlen tropften und nieselten in eine riesige Pfütze am Fuß des Baumes. 

 

„Okay. Also dieses Ding hat seine Eingeweide auf die gekotzt, huh?“ Shikamaru senkte den Blick und sein Schmunzeln erstarb augenblicklich, als er sah, wie Neji mit den Händen an den Hüften nach vorn gebeugt dastand, als müsste er sich übergeben. „Hey, bist du okay?“

 

„Nein.“

 

Shikamarus Puls und Herz machten einen panischen Satz und schlagartig stürzte er nach vorn, nur um abrupt stehen zu bleiben, als Neji warnend eine Hand nach außen schnellen ließ.

 

„Rede mit mir, Neji“, knurrte er, während Furcht und Sorge in seinen Augen aufstiegen. 

 

„Es ist ein Opiat.“

 

Shikamarus Hirn fror zusammen mit seinem Herz ein. „Was?“, stotterte er. 

 

Mühsam richtete sich Neji auf und seine Augen schwangen dabei ihn einem distanzierten glasigem Orbit umher. „Es ist ein Opiat…ich kann es fühlen…“

 

Bedächtig einatmend versuchte Shikamaru, seinen Verstand zu beruhigen und trat näher, bevor er seine Hand nahe an Nejis Arm hielt, ohne ihn zu berühren. „Wir müssen dich so schnell wie möglich hier raus bringen. Mein Chakra ist niedrig und die riechst wie ein Dessert.“

 

Neji schnaubte, doch seine Lippen verzogen sich zu einem sanften schläfrigen Lächeln. Ein Lächeln, das Shikamaru erst ein einziges Mal gesehen hatte. Ein einziges Mal in einer betrunkenen Nacht. Und er wäre darüber amüsiert gewesen, doch die Angst war stärker. Er musste Neji so schnell wie möglich zu einem Sanitäter bringen. 

 

„Kannst du laufen, Hyūga?“

 

Neji summte tief und schloss die Augen. „Absolut.“

 

Er machte einen taumelnden Schritt und streckte dabei die Arme nach außen, um die Balance halten zu können, wobei sich die Ärmel seiner Roben auffächerten, was ihn aussehen ließ wie einen exotischen Vogel, der die Flügel ausbreitete. Naja, solange er nicht anfing, damit herum zu flattern; wobei es gar nicht so unwahrscheinlich erschien, dass sich der Hyūga jeden Moment fühlte, als würde er fliegen. 

 

Scheiße. Dann bleibt wohl nur eins. 

 

Seufzend kratzte Shikamaru zusammen, was von seinem Cakra noch übrig war. „Ich werde dich jetzt mit dem Schattenbesitz belegen, okay? Wir werden rennen, was wahrscheinlich dafür sorgen wird, dass dieses Zeug noch schneller durch deine Blutbahn zirkuliert.“ Er spähte umher. „Aber ich will mich lieber mit deinem benebelten Hintern rumschlagen, als meinen zum Abendessen auf dem Silbertablett zu servieren.“ Als Neji nichts erwiderte, trat er noch näher und schnippte mit den Fingern vor den geschlossenen Augen. „He. Neji. Bist du noch bei mir?“

 

Dunkle Lider hoben sich und glasige Mondsteinaugen drifteten hinein in Fokus und wieder hinaus, während sie ihren Blick zärtlich über Shikamarus Gesicht wandern ließen. „Ich bin immer bei dir, Nara.“

 

Die sanfte, leise Antwort glitt wie eine Klinge zwischen Shikamarus Rippen. Und er brauchte ein paar qualvolle Atemzüge, bevor er etwas erwidern konnte. „Gut zu wissen. Jetzt lass uns hier verschwinden.“

 
 

~❃~
 

 

‚Renn. Renn jetzt sofort. Renn und sieh nicht zurück.‘

 

‚Steh auf, verdammt nochmal. Hier wird es sicher nicht enden.‘

 

‚Du hast Recht. Du wirst leben. Nimm den Jungen. Nimm den Jungen und geh.‘

 

‚Nicht ohne dich.‘

 

‚Hey…du weißt, wie das läuft. Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen.‘

 

‚Bitte mich nicht darum, das zu tun…‘

 

‚Es ist das, was wir tun, Genma. Der Junge wird sich nicht erinnern…oder zumindest nicht an alles…ich habe versucht…‘

 

‚Hör auf zu reden.‘

 

‚Scheiße…nie ist genug Zeit, um es ordentlich zu machen…um es nochmal zu machen. Du weißt, wovon ich spreche…‘

 

‚Jetzt hör schon auf zu reden und steh auf.‘

 

‚Er wird sich nicht an alles erinnern. Frag ihn nicht danach…niemals…und wenn er anfängt, sich zu erinnern…‘

 

‚Dann wirst du da sein, um es zu richten; jetzt steh endlich auf.‘

 

‚Hör mir zu, Genma. Geh zu den Leuten, von denen ich dir erzählt habe. Er darf sich nicht erinnern. Aber du wirst dich erinnern. Du musst. Denn du musst dich an dein Versprechen an mich erinnern…und an mein Versprechen an den Sandaime. Und jetzt schwöre es.‘

 

‚Bastard, bitte mich nicht, das zu tun.‘

 

‚Das wirst du. Denn es ist das, was wir nunmal machen. Und jetzt schwöre es.‘

 

‚…Shit.‘

 

‚Schwöre es!‘

 

‚Ich schwöre es.‘

 

‚Gut. Und jetzt sieh zu, dass du hier verfickt nochmal weg kommst.‘

 

Ein erschütternder Knall von hinten und eine Welle aus Hitze, die sich in seine Wirbelsäule rammte. 

 

Nach Luft schnappend erwachte Genma und sein Rücken bog sich spastisch von dem Tatamiboden nach oben. Desorientiert und in völliger Dunkelheit erstarrte er; gefangen irgendwo zwischen Träumen und Wachen. Seine Haut stach und kribbelte; fühlte sich an, als hätte man ihn über glühende Kohlen gezerrt. Übelkeit wirbelte in einem giftigen Strudel durch seine Eingeweide. Und hinter seinen Augen pulsierten Kopfschmerzen wie ein elender Hurensohn. 

 

Scheiße…

 

Seine Lider hoben sich einen Spalt breit und seine Wimpern flatterten auf Halbmast. Konturen schwammen ineinander; keine Formen, kein Sinn. Er fühlte sich lethargisch und benommen, aber immer noch viel zu nah am Boden. Unter dem Boden. Überall um ihn herum war Druck und Blut pumpte wie Schlamm durch ihn, seine Glieder waren schwer und reagierten kaum. 

 

Hn. Übler Trip…

 

Er krümmte die Finger; hörte das dumpfe Fallen und Rollen einer Shōchū Flasche. Blinzelnd sah er pinke Pillen auf den Tatamimatten verteilt liegen; schrumpfend und anschwellend, tanzend und wirbelnd. Er versuchte, sich zu fokussieren, aber seine Sicht verdoppelte sich, wurde zu einem Tunnel und verschwamm. 

 

Richtig übler Trip…

 

Er ließ den Kopf nach hinten kippen und sah unter schweren Lidern auf. Mondlicht flutete durch die Balkontüren herein und strömte über die Zimmerdecke. Fahrig strich er sich sein Haar aus dem Gesicht; sein Hitai-ate war schon lange fort, zusammen mit seinem Rollkragenoberteil. Wahrscheinlich hatte Waif das Ding bereits für sich beansprucht, es in Fetzen gerissen und vielleicht sogar reingeschissen. 

 

Wäre nicht das erste Mal. 

 

Mit finsterer Miene drückte Genma seinen nackten Rücken gegen das raue Gewebe der Halmmatten und seufzte in seine Hand. Wann hatte er das Bewusstsein verloren? Er konnte sich nicht daran erinnern, in sein Schlafzimmer gekrochen zu sein…

 

Kriechen…

 

Wie die Kälte über seiner Haut.

 

Er wurde vollkommen regungslos und sofort wurde er sich des Geruches nach Blut bewusst; ein schwacher Messinggeschmack in seiner Kehle. Langsam zog er die Nase kraus, bevor er den Kopf gegen den Boden drehte und durch das Zimmer in die ungleichen Augen der Gestalt starrte, die halb in Schatten gehüllt in der entferntesten Ecke des Raumes hockte. Schweiß schimmerte auf der blassen Haut des Eindringlings; weich und taufrisch im Mondlicht. Blut, das eher schwarz als rot erschien, tränkte den Tatamiboden und setzte seine nassen Pinselstriche auf bloßen Armen fort; die Muskeln straff gezogen und die Ellbogen nach außen zeigend, als die Hände locker zwischen den hochgezogenen Knien baumelten. 

 

Genma konnte die Spannung fühlen – ein kompaktes Vibrieren in der Luft. 

 

Langsam zog er die Ellbogen unter sich; wachsam und auf alles vorbereitet – oder zumindest redete er sich ein, dass er das war. Doch im Grunde war er in etwa so koordiniert wie ein komplett weggetretener Süchtiger und fühlte sich gerade eher hackedicht als tödlich. Zu dumm, dass besoffene Prügeleien noch nie seine Stärke gewesen waren. 

 

Nein, dachte er düster. Konnte noch nie besoffen genug für sowas werden. 

 

Das schwere Schweigen von der anderen Seite des Zimmers fühlte sich extrem ernüchternd an. 

 

Er verdoppelte seine Anstrengungen, sich zu konzentrieren und seine Stimme krächzte leise und schläfrig heiser durch die Stille. „Kakashi.“

 

Keine Erwiderung, kein Wiedererkennen – nur das ominöse Wirbeln von drei schwarzen Tomoes, als das rote Auge in einem leeren Stieren nach vorn gerichtet war. Genma kannte diesen Blick. Genau wie den Blick, den Kakashi ihm unten in den Kellern zugeworfen hatte. Es war ein Ausdruck, der zu einer lange verlorenen Zeit gehörte; genau wie dieser Augenblick. Denn es war in den Tagen einer längst verlorenen Zeit gewesen, dass Kakashi auf diese Weise auftauchte; blutend, verletzt…vielleicht ein wenig zerbrochen.

 

Genma hatte es niemals wirklich gewusst, weil er niemals wirklich gefragt hatte. 

 

Und das war auch der Grund, aus dem Kakashi kam. 

 

Keine Fragen, keine Antworten, keine Komplikationen. 

 

Hn. Es gab sehr wohl Komplikationen.

 

Wahrscheinlich einseitig – und genau wegen dieser traurigen Tatsache nur umso komplizierter. Sein Blick wanderte zu Kakashi, während er sich fragte, ob es wohl eine einzige Stunde der Trauer war, die nach ihm rief, oder aber die lange traurige Geschichte einer von Schuldgefühlen zerfressenen Vergangenheit. Doch wie es schien hatten Schuld und Trauer heute Nacht ihre Kräfte vereint; hatten sich wie Diebe zusammen getan und dabei alle Dielenbretter in jedem Verstand aufgebrochen, während gleichzeitig versucht wurde, so gut wie möglich stabil zu bleiben. Ein Aufreißen verbotener Kisten und ein Suchen nach begrabenen Erinnerungen. 

 

Und es gab in Genmas Psyche durchaus einen Schatz zu finden, der geplündert und bespielt werden konnte. Genau deswegen beschützte er ihn. Verbarrikadierte ihn hinter Mauern aus Schweigen. Nichts zu sagen, nichts zu erleiden. 

 

‚Ich frage mich, ob du glaubst, dass du in Stille leiden musst, Genma.‘

 

Dr. Mushis Worte bohrten sich in sein Hirn, wurden zu Termiten, denen winzige Beißzangen und Beine wuchsen, bevor sie anfingen umher zu huschen und sich durch seinen Verstand zu krallen und zu nagen, bis Genma spürte, wie seine Kontrolle zu knacken begann; die hölzerne Miene, die er seit Wochen trug, seit Monaten – zwei Jahren – drohte zu splittern. Selbst die Nägel, die er tief hinein in sein hölzernes Herz gehämmert hatte, fingen an, sich zu drehen. 

 

„Du erbärmlicher Hurensohn, Kakashi“, knurrte der Tokujō. Er erhob sich vom Boden – eine Anstrengung, scheiße, geradezu ein verficktes Ereignis – und spürte dabei, wie ihm dieser ungleiche Blick hinaus aus dem Raum folgte. Wie ein einziger solcher Blick so viele Gespenster in sich halten konnte. 

 

Gespenster…

 

Zur Hölle mit Gespenstern. Es gab nur eine einzige Art von Geist, um die er sich scherte; die Art, die in besoffen genug machte, um vergessen zu können. Und nicht einmal das war genug, denn…

 

‚…du musst dich an dein Versprechen an mich erinnern.‘

 

Im sanften Gitter des Mondlichtes, das durch das Gerüst und die Balkonfenster fiel, tastete sich Genma langsam seinen Weg in die Küche, verfluchte dabei das Glas unter seinen Füßen und begann Schranktüren auf der Suche nach einem Erste-Hilfe-Set aufzureißen. Scheiße, vielleicht hatte er gar keins mehr. Er kannte das Innere seiner Zelle ja kaum. Hatte Raidō versprochen, es in Ordnung zu bringen. Es zu reparieren. So wie die Lichter. Den Boden. Die Wandfarbe. Die Lecks. Die Löcher. Die Risse. 

 

Er packte eine Flasche mit Sesamöl. Der Geruch drang in seine Nase und er sah violette Augen, die ihn aus dem gesprungenen Glas anstarrten. 

 

‚Hast du den Agenten gekannt?‘

 

‚…Ja, Homura-sama. Ich kannte ihn.‘

 

‚Dann weißt du, dass du nicht der Einzige bist, der diese Bürde zu tragen hat. Aber tragen musst du sie.‘

 

Genma donnerte die Flasche auf den Tresen, hörte, wie die Risse noch tiefer knackten; gezackte weiße Linien, die sich über das Glas schnitten. Sesamöl sickerte zwischen seinen Fingern hervor und verteilte sich auf dem billigen Resopal der Arbeitsplatte…davon rinnend…entkommend…

 

‚Hey…du weißt, wie das läuft. Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen.‘

 

Zorn; so tief, dass er ihn nicht einmal zu packen bekam – fühlte nichts außer eine harte Kruste. Eine Kruste, die er so lange genutzt hatte, um all die Stimmen abzuwehren, die in seinem Kopf heulten. Wie sie so zielsicher sein und doch so weit daneben liegen konnten. So nah an der Wahrheit und dennoch so verheddert in Lügen. 

 

‚Oh, einige Hunde schlafen nur zu gut. Hätte aber nie gedacht, dass du so ein Hurensohn bist.‘

 

‚Wie kann es sein, dass dich Goei Shōtai auf so viel schlimmere Arten verändert hat als ANBU?‘

 

Krachend riss Genma eine weitere Schranktür auf und begann, alle Gegenstände darin in harschen, zornigen Schwüngen heraus zu zerren; er befreite sie, ließ sie fliegen wie Vögel aus Käfigen. Zigarettenpackungen, Streichholzschachteln, leere Behälter, Suppendosen mit abblätternden Etiketten, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bereits seit zwei Jahren abgelaufen war. Zwei Jahre. Zwei Jahre seit Kusagakure…zwei Jahre seit…

 

‚Er darf sich nicht erinnern. Aber du wirst dich erinnern. Du musst. Denn du musst dich an dein Versprechen an mich erinnern…und an mein Versprechen an den Sandaime…‘

 

‚Und während du zwar darin gescheitert bist, Hiruzens Leben zu retten, wirst du dennoch seine Geheimnisse schützen. Das ist deine Mission. Das ist dein Eid als Goei Shōtai.‘

 

Knurrend öffnete Genma einen weiteren Küchenschrank, wiederholte diesen ausweidenden Vorgang, nur schneller und zunehmend frustriert diesmal, bis der harsche Schwung seiner Hand weit zerbrechlichere Objekte durch die Luft schleuderte; Regal für Regal, Detonationen von Tellern, Flaschen und Tassen, die auf den gesprungenen Fließen zerschellten und sich wirbelnd in winzigen Orbits drehten. 

 

‚Und jetzt schwöre es.‘

 

Er rammte die Schranktür zu. Sie sprang zurück. Ein höhnischer Schlag ins Gesicht. 

 

‚Schwöre es.‘

 

Genma rammte sie erneut zu und sah zu, wie sie zurück sprang. 

 

Er machte es wieder und wieder, härter und härter mit immer demselben Ergebnis, bis sie zerbrach und an den Angeln nach unten baumelte…immer noch daran hängend…immer noch daran festhaltend…schaukelnd vor seinen Augen…

 

‚Schwöre es!‘

 

Er donnerte seine Faust direkt hindurch. Hörte, wie das Holz knackte und splitterte, doch fühlte nichts. 

 

Nichts.

 

Schwer keuchend fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, trat zurück und kam wieder nach vorn; vor und zurück und einmal umher in einem schwankenden Kreis, bis sein nach außen schnellender Arm über die Arbeitsplatte fegte und sie in einem einzigen brutalen Schwung leer wischte, als er Kartons und Keramik zusammen mit orangener Suppe und klebrigem Reis auf den gnadenlosen Boden krachen ließ. 

 

„FUCK!“ Mit hochgezogenen Schultern stützte er die Hände gegen den Tresen und beugte seinen Kopf tief zwischen steife Armen, während sein Verstand wirbelte und Worte wie geschäftige Insekten summten und sein Körper nichts mehr wollte als zusammenzusacken, zu Boden zu sinken, zu schlafen.

 

Hinter ihm veränderte sich die Luft und wurde dichter. Er spürte es an seinem Rücken; eine greifbare Kraft, warm und pochend. 

 

Genmas Gesicht verzerrte sich zu einem Knurren. „Nimm was du brauchst und verschwinde…“ Seine Stimme presste sich durch seine Zähne; ebenso angestrengt und ausgezehrt wie er sich fühlte. Zu rau, zu roh, zu real. Da war keine kalte lackierte Miene, um sein Gesicht zu maskieren, kein beißender Sarkasmus, um seine Worte zu verschleiern. 

 

Nichts…

 

Und es waren nicht die Drogen, der Alkohol oder die Träume, die ihn an diesen Ort geführt hatten…zu dieser massiven abgefuckten Scheiße – es war Pflicht. Geteilte Pflichten. In zwei Hälften zerrissene Loyalitäten. Genma stieß ein barsches, freudloses Lachen aus. Auf dem Tresen klatschte er die Hände zusammen und presste seine Stirn kopfschüttelnd gegen seine Unterarme, während sein Körper vor und zurück wiegte. Pflicht. Eine Pflicht, die er makellos ausgeführt hatte, direkt bis er versagt hatte. Makellos versagt. Einmal. Zweimal. Dreimal…wie viele Male? Zuzulassen, in Asumas Scheiße verwickelt zu werden. Zu wollen, Asuma vor dieser Scheiße zu beschützen. Zu wollen, wirklich glauben zu können, dass diese Scheiße nicht aus dem Ruder lief. Zu wollen…

 

Was? Ein besserer Mensch zu sein?

 

Erbärmliche, sinnlose, persönliche Scheiße. Was er wollte, war überhaupt nicht von Belang. Er hätte Asuma niemals diesen Hinweis geben dürfen. Hätte es niemals herum liegen lassen dürfen, sodass Kakashi es finden konnte. Hätte niemals zu Kurenai gehen sollen. Hätte niemals die Distanz schließen sollen. Hätte ihn niemals herstellen dürfen, diesen – 

 

Kontakt…Kakashis kühle, leicht schwielige Fingerspitzen geisterten über seine Flanken und folgten den roten Bächen, die Kurenais Nägel in seine Haut geritzt hatten. 

 

Geschockt versteifte sich Genma und seine Schultern zogen sich hoch, als sein Atem stockte. 

 

Daumen zeichneten die lange Vertiefung seiner Wirbelsäule nach und gruben sich in verkrampfte Muskeln, rollten hart und suchten drängend nach etwas, das tief unter der Oberfläche begraben war; suchten nach Knoten und Nerven, die alle mit einem Nexuspunkt verbunden waren – ein Schalter, der ständig ausgeschaltet war. 

 

Schalte diesen Bastard aus. Jetzt.

 

Knurrend erwachte Genma schlagartig zum Leben. 

 

Ohne irgendeine Geistesgegenwart, seinen Stand stabilisierend auszuweiten, rammte er sich zurück gegen den festen Körper – unkoordiniert, unausgeglichen und sich in dem Stoß halb drehend. 

 

Fehler. 

 

Kakashis Hand flog zu seinem Nacken und schloss sich wie die Kiefer eines Raubtieres rau und unerbittlich darum. Mit leuchtend rotem Auge hämmerte er die Seite von Genmas Gesicht hinunter auf den Tresen, als sich stumpfe Nägel tief in die Haut bissen. Der heftige Schlag rasselte durch den Schädel des Shiranui, brachte kalte und grelle Erinnerungen dazu, an Genmas peripherer Sicht zu schimmern; tausende winzige Scherben, Nadelstiche in seinem Hirn. 

 

Blasse, schweißbedeckte Haut, die sich über spielenden Muskeln straff zog…Kunaidrähte um Handgelenke geschlungen, die Klinge in einen Baum getrieben…Rinde, die an Schultern und Rücken scheuerte…eine bloßgelegte Kehle, den Nacken durchgebogen, von Seilen wund geriebene Haut…Schenkel angespannt wie Eisenstäbe…Kraft…Druck…Lust und…

 

Schmerz. Er flammte in Genmas Kopf auf. Ein verspätetes Pochen, das sich platzend über Wange und Kiefer ausbreitete und von seinem Puls verstärkt wurde, der schwer in den Sehnen seines Halses schlug und dann tiefer bis in seine Brust sank. Er nahm seinen Herzrhythmus auf, pulsierte drogengleich in seinem Blut und sammelte sich tief in seinem Unterleib, wo er sich in perversen Windungen verdrehte und krümmte, bevor er auswärts pumpte; heiß und schwer zwischen seinen Beinen, um ihn schlagartig und schmerzhaft hart zurück zu lassen. 

 

Angewidert würgte Genma einen Fluch hinunter und atmete heftig durch die Nase. 

 

Bei diesem abgehackten Klang beugte sich Kakashi nach vorn; eine geschmeidige, kurvige Bewegung von Muskeln, die sich in einer erotischen Nachahmung des Sexaktes über Genmas Rücken stießen und zogen. Er spürte, wie sich der Griff von Kakashis Fingern um seinen Nacken verstärkte, während er hörte, wie die andere Hand des Kopierninjas in einem nassen Klatschen auf der Küchenarbeitsplatte aufschlug. Und dann war sie wieder auf seiner Haut; ölig und schlüpfrig schob sie sich um die scharfe Kurve seiner Hüfte, glitt über die angespannten Ebenen seines Bauches und wanderte weiter, bis sich lange kenntnisreiche Finger unter Stoff schoben und nach hartem hervorstehendem Fleisch suchten. 

 

Und diese Berührung legte den schlummernden Schalter in Genmas Verstand um. 

 

Mit weit auffliegenden Augen erwachte er mit brüllender Brutalität zum Leben. Aggression traf sein Netzwerk und rannte in einem einzigen Herzschlag eine ganze Runde durch seinen Körper. Er rammte seinen rechten Fuß gegen die hölzerne Plinthe und warf sich nach hinten, um ihre Leiber ineinander krachen zu lassen, während er seinen linken Fuß nach oben riss, um ihn gegen die Arbeitsplatte zu stemmen, sodass er einem weiteren Schlag auf den Kopf vermeiden konnte. 

 

Kakashis Griff verlagerte sich und diese stählernen Finger schlossen sich um Genmas Kehle. 

 

Druck, Schmerz, Panik…

 

Aber statt der kalten Umklammerung von Angst, verspürte Genma eine vollkommen andere und weit verstörendere Empfindung, die von ihm Besitz ergriff. Kakashi drückte fester zu. Die Luft in Genmas Lungen wurde dünner, doch die Hitze in ihm dichter; ein unnatürliches Feuer, das keinen Sauerstoff mehr hatte und dennoch heißer glühte. Es ließ ihn noch härter anschwellen, ihn sich noch tiefer und schmerzhafter sehnen. Er würgte ein Stöhnen hervor. 

 

Du kranker Bastard.

 

Und Kakashi wusste es. Erinnerte sich daran. Berief sich jetzt auf dieses Wissen, um handlungsunfähig zu machen, zu berauschen…

 

Berauschen…toxisch…

 

Seit Jahren war er nicht mehr süchtig nach dieser ganz speziellen Droge. Hatte beinahe ihr trügerisches Gift vergessen, ihr süßes, leeres Versprechen, erinnerte sich an das kalte komplizierte Chaos, das sie zurücklassen würde. 

 

Und er würde nicht in der Lage sein, sich davon aus dem Staub zu machen…

 

Zischend schob sich Genma mit seinem abgestütztem Bein nach hinten – fühlte sich, als würde er sich langsam und träge durch Schlamm bewegen. Und dann prallte er gegen Kakashis eisernen Widerstand. Ein heftiges, wogendes Schaudern bebte zwischen ihren Körpern. Muskeln bewegten sich und rieben übereinander wie tektonische Platten; Vergnügen und Schmerz stiegen spiralförmig aus dem Epizentrum auf. 

 

Kakashis Finger spannten sich an. 

 

Genma würgte Atem hervor und krümmte sich gegen ihn; schwindelnd in dem erstickenden Rausch aus Alkohol, Opiaten, Zorn, Erregung – und einem animalischen Ausbruch eines rohen und primitiven Bedürfnisses. Seit Jahren hungerte er danach, fühlte, wie es sich ihm jetzt zuwandte; ein abgemagertes und verbittertes Ding, hungrig nach Fleisch, durstig nach Fühlen…

 

„Es heult in dir, nicht wahr?“ Maskierte Lippen legten sich an sein Ohr und die Stimme, die in abgehacktem Keuchen grollte, war all ihrer wohlklingenden Tonfälle beraubt. Sie war leise, rau – beinahe guttural. „Ich weiß. Ich habe es gespürt, als wir gekämpft haben. Auf die Weise auf die wir immer gekämpft haben. Die Weise, auf die wir immer-“

 

Gefickt haben“, zischte Genma durch die Zähne. 

 

Hinter ihm versteifte sich Kakashi und Genma stieß ein heiseres Lachen aus. Kakashi hatte dieses Wort schon immer gehasst. Zumindest hatte er es niemals laut ausgesprochen. Nicht einmal damals; als ihre Version von ‚Schere, Stein, Papier‘ ‚Essen, Kämpfen, Ficken‘ gewesen war. 

 

Genma würde das Wort wie ein Senbon ausspeien, es dazu nutzen, eine Erwiderung zu provozieren, aber es war niemals die gewesen, die er erwartet hatte. Was eigentlich keine Überraschung war. Animalisch wie sie gemeinsam gewesen waren…da lag immer etwas in Kakashis Berührungen, selbst dann, wenn diese Berührungen Blut vergossen. Und dieses unsägliche etwas verwandelte einen wilden verrückten Fick in eine verzweifelte Fusion von Gefühlen, die viel zu intensiv waren, um sie simpel, klar und unkompliziert halten zu können. 

 

Und der komplizierteste Teil daran? Kakashis vollkommene Ahnungslosigkeit darüber; direkt bis zum Ende. 

 

Denn leider waren es die naivsten und unwissendsten Handlungen des Kopierninjas, auf die Genma herein gefallen war – von denen er so angetan war; von den leisesten Ausrutschern der Wahrheit bis hin zu der größten und transparentesten Lüge. Bis zu diesem raren Geschmack von Lippen, der zwischen die rauesten Berührungen schlüpfte. Bis zu der Litanei aus Gebeten, die die Flüche und keuchenden Atem unterbrach. Es waren diese flüchtigen, fragilen Anzeichen von Menschlichkeit, diese naiven Handlungen einer plötzlichen Zärtlichkeit, die eigentlich keinen Platz in Menschen wie ihnen hatte; so verdorben, so zerstörerisch, so verzweifelt nach einem Ausweg – und so hatte Genma seinen Weg hinein gefunden. Er hatte die Risse gesehen und hatte sich direkt hindurch geschoben, war zu nah gekommen. Genau wie ANBU. Und so hatte Kakashi getan, was jeder kluge, sich selbst erhalten wollende Mann getan hätte. Er hatte sich aus dem Staub gemacht…und niemals einen Blick zurück geworfen. 

 

Doch Genma hatte diesen Luxus nicht gehabt; nicht diese Freiheit. Weder auf persönlicher, noch auf professioneller Ebene. Nicht mit ANBU, nicht mit Kakashi…und auch nicht mit dem letzten Partner, bei dem er töricht genug gewesen war, ihn zu lieben – und bei dem sein Schicksal so unglückselig gewesen war, dass er ihn verloren hatte. 

 

Schicksal?

 

Er würgte ein weiteres benommenes Lachen hervor; bitter und schwarz…

 

Zärtlichkeit, Liebe, Verbundenheit…all dieses Zeug befand sich nicht in seinen Karten. 

 

Masochist…

 

Natürlich. Er hatte gelernt, Vergnügen und Lust im Schmerz zu finden…wie zur Hölle sollte oder konnte er sonst damit leben?

 

Ein Brennen hinter seinen Augen. 

 

Plötzlich, stark… so verfickt erschreckend…

 

Energisch presste Genma die Lider aufeinander und schluckte schwer, als er versuchte, den qualvollen Kummer hinunter zu schlucken. Es lag nicht an Kakashis Griff und dennoch lockerte der Kopierninja seine Umklammerung, griff weiter nach oben und packte Genmas Kiefer, um seinen Kopf nach hinten zu zwingen und seine Luftröhre zu öffnen. 

 

Kakashis Atem geisterte gegen sein Ohr. „Wir hatten nichts zu verlieren…nichts, für das es sich zu leben lohnte…nichts außer Schmerz. Erinnerst du dich?“

 

Genmas Augen öffneten sich halb. Die Worte stachen sich mit einem ernüchternden Frösteln durch ihn und legten sich wie Frost über seine erhitzte, gerötete Haut. Er spannte sein erhobenes Bein an; die Muskeln straff und den Fuß gegen den Tresen gestützt; bereit loszustürzen, den Spieß umzudrehen, einen Krieg zu entfesseln. Was für ein gesichtswahrender Haufen Scheiße. Er würde verlieren. Wusste es auch. War viel zu weit fort, um zu kämpfen, zu denken, irgendeinen Versuch zu organisieren oder zu koordinieren, um diese Runde gewinnen zu können. Kakashi hatte ihn am Boden liegend erwischt; in der Gosse…

 

„Ich bin zu dir gekommen“, fuhr Kakashi fort. „Beschädigt, verdorben…zerstörerisch…und du hast es alles absorbiert. Hast es genommen. Hast nichts erwartet…nichts dafür oder daraus bekommen…“

 

Das ist nicht wahr…

 

Genma rollte seine Zunge ein, schmeckte den rauen kupferartigen Schorf an seinem Gaumen. Er würde eher an diesen Worten ersticken, als sie preiszugeben.

 

„Nichts. Nur Leere“, murmelte Kakashi in Genmas Halsbeuge. „Bis du mir einen Ausweg aus dieser Hölle gezeigt hast. Aber du lebst noch immer darin, nicht wahr?“ Kakashi fing Genmas Kinn ein und krümmte das Handgelenk, um den Kopf des Shiranui zu drehen und mit seinen maskierten Lippen Genmas Mundwinkel zu berühren, bevor er in einem vernichtenden Wispern sprach. „Warum kannst du sie nicht verlassen?“

 

Qualvolle Pein explodierte in Genmas Brust; ein phantomhaftes Chidori, das sich durch sein bebendes Sternum und blutendes Herz schnitt. Die letzten Reste zerfetzter Kraft verließen ihn, als wäre eine lebenswichtige Arterie durchtrennt worden. Sein Bein fiel von der Arbeitsplatte und schwang schwer wie Blei nach unten. 

 

Kakashis Hand schob sich wieder um seine Kehle, rieb zaghaft, liebkoste die Haut. „Verlass diesen Ort.“

 

Kopfschüttelnd sog Genma einen krampfigen Atemzug ein und stieß ihn in einem Erschauern aus, als Kakashis andere, immer noch ölige Hand über seinen Oberkörper strich und Grate zitternder Muskeln entlang geisterte. Schweiß und Öl hinterließen silberne Streifen, die wie Speichel schimmerten. 

 

„Du wirst einen Teil davon mit dir nehmen“, raunte Kakashi. „Und dieser Teil wird heulen…aber es ist weit entfernt von dieser Höller. Warum bleiben?“

 

Genma schloss die Augen, bevor er heiser antwortete: „Lieber mit dem Teufel leben, den man kennt.“

 

Eine schamlose Lüge, hinein geschrieben in die Falte zwischen seinen Brauen und gewispert in dem rauen Schorf seines Atems, als Kakashis Hand südwärts glitt, sich um responsives Fleisch legte und es durch leichteste Berührungen zur Härte lockte, als sie einen langsamen, qualvollen Pfad von erigierter Wurzel bis zur geschwollenen Spitze beschrieb. 

 

Hitze…süße, sehnsuchtsvolle Hitze…

 

Lust…sie glühte und spuckte unter seiner Haut, fraß sich durch Fleisch und Fasern wie eine Flamme durch Pergament, um eine schwelende Spur zurück zu lassen. 

 

Es wird nichts übrig bleiben…

 

Nichts Neues. Zu Beginn war sowieso nicht viel gewesen. Also warum es bekämpfen? Er verlor sowieso; fühlte bereits die Wärme eines lange vergessenen Feuers, das sich nach außen schlängelte wie flüssige Zungen…eine Vision einer ausgehungerten Bestie, die Blut leckte…

 

„Ich bin nicht hier wegen des Teufels“, raunte Kakashi.

 

„Lass mich…ah…raten…“, stöhnte Genma, als sein Kopf nach hinten kippte, seine Stimme zu einem Keuchen wurde und er erschauernd zwischen seinen Worten nach Luft schnappte. „Du bist wegen des Mannes gekommen…den du kanntest…?“

 

Kakashis Hand drückte kurz zu, bevor sie von seinem Hals fiel und durch das Öl auf Genmas Brust fuhr, bevor sie nach unten und dann zwischen sie glitt. „Lass ihn gehen, Genma…“

 

Genma biss hart die Zähne aufeinander und keuchte auf, als sich Kakashis Körper gegen ihn wiegte; ein seismisches Schauern übereinander reibender Muskeln, das so tief ging, dass Venen wie blaue Risse auf blassen harten Oberflächen hervortraten. Eine überfrostete Tundra aus Fleisch, die in einem Hitzeschleier zu schimmern begann. 

 

Ein tiefes kehliges Knurren und die Maske dehnte sich mit heißem Atem aus…

 

„Lass ihn diesen Ort verlassen…“, grollte Kakashi noch einmal. 

 

Kopfschüttelnd griff Genma nach hinten, schob seine Hände an der Barriere von Stoff vorbei und packte zwei Rundungen festen Fleisches, bevor er die Finger tief in die kraftvoll zuckenden Gesäßmuskeln krallte. Kakashis Hüften ruckten bei der Berührung nach vorn und Genma spürte den Stich von Kakashis Erregung, unterbrochen von den Rillen aus Knöcheln, die in einem öligen Gleiten die Hand spiegelten, die ihn selbst zu einem zitternden Wrack streichelte. Ein rückfällig werdender Süchtiger…

 

Rückzug…

 

Kami wusste, er versuchte, sich darauf zu konzentrieren; versuchte, die Chemikalien aus seinem Körper zu spülen – zusammen mit den Endorphinen, dem lebenden Feuer, doch sie verbanden ihre Kräfte mit Kakashis Berührungen und wurden zu einem lebendigen Ding in ihm, der Fütterung eines Incubus, als das Verlangen stark wie die Drogen jeden Widerstand sedierte; jede Weigerung, jede Vernunft…

 

Und dann spürte er das brennende Eindringen…

 

Eine tropfende Nadel direkt in die Vene…

 

Ah, ja. Triff mich schnell…triff mich…triff mich…triff mich…

 

Ein brutaler Aufwärtsstoß katapultierte ihn auf die Fußballen, jagte sengendes Feuer brüllend von der Wurzel seiner Wirbelsäule bis hinauf zum Scheitel seines Schädels…ließ ihn fliegen…fliegen…fliegen…

 

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Ah yes...etwas mehr wieder zu Genmas Vergangenheit und natürlich zu seiner Beziehung zu Kakashi, mal ganz davon abgesehen, dass wir hier auch etwas über Genmas Vorlieben etc. erfahren ^^ 

Und ja...ich nutze diese Gelegenheit um zu sagen...Requiem nähert sich mit großen Schritten dem Ende. Es kommen schätzungsweise noch fünf, vielleicht aber auch nur noch vier Kapitel...je nach dem, wie ich sie aufbauen werde...

Wie immer hoffe ich natürlich sehr, dass es euch gefallen hat und freue mich auf ein paar Worte von euch! :) 

Vielen Dank an alle, die mich weiterhin so unglaublich unterstützen! <3

Cat and dog and crappy coffee

Raschelndes Plastik weckte Shikamaru ruckartig und sein Kopf rutschte von einer Schulter. Er schnappte nach Luft und hob eine Hand, um sich einen Knoten aus dem Nacken zu kneten. 

 

„Wow. Na, sieh mal einer an, wer wach ist.“

 

Shikamaru verzog das Gesicht, war aber viel zu müde, um peinlich berührt zu sein. Es dauerte auch einen Moment, bis sein Hirn aus dem Theta-Zustand hochfuhr und all die Schmerzen und Verspannungen dokumentierte, die eine dämlich simple Geschichte eines beschissenen Schläfchens in einer Position spinaler Folter erzählten. Und dann war da noch dieses Gefühl des Wundseins, das jeden Quadratzentimeter seiner Haut abzudecken schien; als wäre er lebendig gekocht worden. 

 

„Au…“, ächzte er. 

 

„Hey, ich hab alles versucht“, sagte Chōji und stupste seine Schulter gegen Shikamarus Kopf, von dem feuchte Strähnen in alle möglichen und unmöglichen Richtungen abstanden. „Ich sollte dir und Ino echt was für eure ‚Kissenprivilegien‘ an meiner Schulter berechnen. Übrigens bin ich jetzt auch noch total durchnässt.“

 

Grunzend rollte Shikamaru seinen Kopf wieder gegen die breite Schulter und hielt die Augen fest gegen das beleidigend grelle Leuchten der Deckenlampen geschlossen. „Mhn…nicht leid…“, nuschelte er und dann direkt danach und deutlich klarer: „Neji?“

 

„Noch nichts Neues“, erwiderte Chōji, bedacht darauf, den Schattenninja nicht zu schubsen. „Wie fühlst du dich?“

 

Leicht schniefend zog Shikamaru die Nase gegen das chemische Brennen in seinen Nasenlöchern kraus. „Als hätte man mir gerade alle fünf Lagen meiner Epidermis vom Leib gerissen.“

 

Das war nichtmal allzu übertrieben.

 

Nachdem sein Chakra endgültig aufgegeben hatte und er zusammen mit Neji halb durch die Türen der Notaufnahme kollabiert war – sehr zu Nejis explosiver und unaufhaltsamer Hysterie – war er von einer ganzen Horde Krankenschwestern aufgehoben und in einen Untersuchungsraum abgeführt worden. 

 

Eher in eine Folterkammer.

 

Nachdem er seine Begegnung mit den durch Chakra verstärkten Hybriden erklärt hatte, hatte der Arzt einen gewaltigen Satz von ihm fort gemacht, als würde er etwas Toxisches oder Ansteckendes ausstrahlen. Und der ganze Rest war so schnell passiert, dass er überhaupt keine Zeit gehabt hatte, um die direkt darauf folgende Behandlung verarbeiten, geschweige denn dagegen protestieren zu können. 

 

Definitiv Folterkammer.

 

In einem sterilen Raum unter Quarantäne gestellt hatte man ihn ohne viel Federlesen und ohne sein Einverständnis komplett ausgezogen, in eine würfelartige Dusche geschubst und ihn bei einer Temperatur, die sich angefühlt hatte wie saurer Regen, bis zu einer leuchtenden Hummerschattierung gedämpft. Mit brennender Haut war er mit irgendeinem nicht alkalischen und nicht carcinogenen chemischen Desinfektionsmittel geschrubbt worden, bevor er von Kopf bis Fuß abgespritzt worden war. 

 

Noch viel fuchsienpinker als Neji war er wieder heraus gekommen. 

 

Von lauter gackernden und um ihn herumwuselnden Krankenschwestern war er mit Aloe eingerieben worden, bevor man ihn in einen kratzigen Yukata gehüllt und den Händen irgendeines Aburame Arztes übergeben hatte, der eine ganze Kolonie blutsaugender Flöhe des Dinovogels unter seiner Haut hervor gelockt hatte. 

 

Nett.

 

Und eine halbe Stunde, nachdem dieses Zeckenentfernungstrauma begonnen hatte, waren Chōji und Ino in den Raum geplatzt, um frische Klamotten und tief besorgte Gesichtsausdrücke herein zu schleppen. Doch ihr Mitgefühl hatte ihn nicht vor einer weiteren ätzenden Dusche gerettet. Nach einer gründlichen Haarwäsche und einem letzten Abspritzen war er von der Front der Ansteckenden befreit, aus der Quarantäne entlassen und nach Hause geschickt worden. 

 

Die letzte Aufforderung hatte er jedoch höflich abgelehnt, indem er sich schlicht und einfach strikt geweigert hatte, überhaupt zuzuhören. 

 

Zurückgelassen auf der Schwesternstation war er für die meiste Zeit ignoriert worden und er hatte glänzend darin versagt, irgendeine Information über Neji von einer Frau zu erhalten, die darauf bestanden hatte, in irgendeinem seltsamen hospitalen Fachjargon zu kommunizieren, den nur Ino zu kapieren schien. 

 

Erschöpft, wund und durch und durch angepisst hatte Shikamaru begonnen, immer lauter zu werden, was ihm eine Strafauszeit im Wartezimmer eingebracht hatte. Chōji und Ino hatten sogar die Tür bewacht, um sicher zu gehen, dass er ihnen nicht entwischte. Er hatte es versucht - und versagt. 

 

Also wann bin ich…?

 

Er konnte sich nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein. Doch peinlicherweise erinnerte er sich sehr wohl daran, dass er auch noch einen erhitzten Streit mit Ino über den Besitzanspruch auf ihren Haargummi verloren hatte – denn seiner war zusammen mit all seiner Kleidung eingeäschert worden. Wenn man aber den Zorn beiseite ließ, dann entsann er sich, sich schwindlig, krank und ein wenig atemlos gefühlt zu haben. Erinnerte sich auch daran, unruhig auf und ab getigert zu sein, geschimpft und enge frustrierte Kreise gedreht zu haben, bevor…bevor…?

 

Stirnrunzelnd rieb er sich über die Augen und suchte energisch sein Hirn ab.

 

Jo, der Rest war blank – was nur bedeuten konnte…

 

„Habe ich das Bewusstsein verloren?“, krächzte er. 

 

Chōji schnaubte. „Worauf du dich verlassen kannst.“

 

„Bin ich auf dem Boden aufgeschlagen?“

 

„Nah, du hast irgendwie diesen kreisenden kleinen Ohnmachtsanfall direkt in meine Arme abgezogen. Es war sehr romantisch.“

 

Shikamaru presste seine Lider noch fester aufeinander. „Ich hasse dich.“

 

Chōji lachte. „Ich hab dich sogar im Brautstil getragen.“

 

„Ugh. Wie lange war ich weg?“

 

„Mein eingeschlafener Arm sagt mir, dass es circa vierzig Minuten oder so waren.“

 

Shikamaru verzog das Gesicht. „Warum bin ich…“

 

„Dein Chakra war abartig niedrig. Genau wie dein Blutdruck.“ Chōji schwieg für einen Moment und sah hinunter auf den Scheitel des Schattenninja. „Hat mir ziemlich Angst eingejagt.“

 

„Ich dachte, ich wäre romantisch gewesen.“

 

„Shikamaru…“

 

„Jaja, ich hab’s verstanden. Ich weiß. Schlechte Entscheidung. Dämlich.“

 

„Jo. So richtig dämlich. Und überhaupt nicht wie du. Warum hast du das gemacht?“

 

Lügen oder nicht lügen, das war hier die Frage. Seufzend drehte sich Shikamaru auf den billigen Plastikbanksitzen, die die Wände säumten. Er hielt die Augen geschlossen und rieb sich über seine trockenen Lider, während er die Nase kraus zog, bis der dumpfe Schmerz in seinem Kopf zumindest ein bisschen besser wurde. „Weil ich für einen Moment dachte, dass ich es nicht tun könnte.“

 

„Huh?“

 

„Erinnerst du dich daran, was du zu mir gesagt hast? Im Pavillon heute Nachmittag?“

 

Unbehaglich rutschte Chōji auf seinem Platz hin und her. „Wir haben beide ein paar Dinge gesagt…“

 

Überrascht darüber, dass sein Freund offenbar ein bevorstehendes ‚Wie du mir, so ich dir‘ erwartete, stupste Shikamaru seinen Kopf zurück gegen eine angespannte Schulter, um Chōji zu beruhigen ohne sich zu ihm umdrehen zu müssen. „Ja, aber das Zeug, das du gesagt hast, war gerechtfertigt.“

 

Chōji bestritt das nicht, was der Schattenninja respektierte und zu schätzen wusste. 

 

Und als er spürte, wie sich Chōji entspannte, fuhr Shikamaru fort; oder zumindest versuchte er es. „Nach Asumas…“ Seine Kehle zog sich um den Namen zusammen. „Nach unserer letzten Mission-“

 

„Shikamaru, du musst nicht-“

 

„Doch. Ich habe dafür gesorgt, dass mein Kopf klar war. Aber es ist, als ob…“ Shikamaru stieß einen zitternden Atem aus und grub seinen Daumen gegen den Grat seiner Augenbraue, fand den Druckpunkt und presste hart. „Es erscheint etwas…immer wieder wie ein Aufblitzen…“

 

„Aufblitzen? Was meinst du?“

 

Selbst mit den Wimpern fest aufeinander gedrückt flackerte Asumas Gesicht hinter Shikamarus Augen auf wie bei einer fehlerhaften Filmrolle; Bilder, die aus der Vergangenheit projiziert wurden – eine Serie aus Vignetten. Schnappschüsse von Team 10, die an den Rändern verschwammen; immer noch zu roh, um sie in den Fokus bringen zu können. Aber eine Sache rahmte sich unumstößlich fest in seinen Verstand. Sein Versprechen, seine Freunde zu beschützen, sie zu bewahren…sodass sie nicht zu verblassten Erinnerungen verkamen…Rückblicke und Bruchstücke…

 

Ich kann sonst niemanden mehr verlieren, Chōji…und wenn ich meinen Kopf verliere…

 

„Ich muss einfach wissen, dass ich euch nicht hängen lassen werde“, war das, was er stattdessen sagte. „Ich habe eine Situation mit hohem Stresslevel gebraucht. Musste wissen, dass ich unter Druck immer noch denken und agieren kann.“

 

„Es hätte sicherere Wege gegeben, das zu prüfen, weißt du?“

 

„Im Nachhinein, ja. Habe ich schon erwähnt, dass ich mir dämlich vorkomme?“

 

„Jo.“ Chōji änderte seine Position und stupste sanft seine Schulter an. „Shikamaru, du hast uns niemals hängen lassen. Du lässt uns nur nicht immer ein. Und das ist…ich versteh es ja…aber es ist nicht…uh, Ino könnte das jetzt hundert pro besser erklären als ich.“

 

Schmunzelnd begann Shikamaru, auf seiner Stirn herum zu drücken. „Ich bin fällig für eine Gardinenpredigt, huh?“

 

„Nah, ich glaube, du hast es schon wieder gut gemacht. Aber du bist auf jeden Fall fällig für eine dicke fette Chakrapille und ein Glas Salzwasser.“

 

„Ja klar…auf keinen Fall.“

 

„Hey, sind nur die Anweisungen des Arztes. Ino hat die Pille auch selber gemacht, weil die letzte Charge wohl nur aus verrückten Tabletten besteht.“

 

„Jo. Kiba hat eine davon Akamaru gegeben…“

 

„Genau. Also wirst du jetzt Inos nehmen, oder sie wird mir den Kopf abreißen. Sie hat mir eingebläut, auf jeden Fall sicher zu gehen, dass du sie isst, damit sich dein Blutdruck und dein Chakralevel wieder erhöhen. Sie meinte auch, es schmeckt besser als das Zeug von Sakura.“

 

Das war auf keinen Fall beruhigend oder verlockend. Aber auf der anderen Seite war das der Gedanke, auf den Hintern zu plumpsen oder in irgendjemandes Arme zu fallen auch nicht. 

 

„He, du denkst schon wieder über deinen Ohnmachtsanfall nach, stimmt’s?“

 

Shikamaru verzog das Gesicht. „Du hast da was von einer Pille gesagt?“

 

„Und Salzwasser.“

 

„Das krieg ich hin.“

 

„Ha. Dann setz dich mal hin. Ich fang dich auf, wenn du wieder ohnmächtig wirst, aber ich geb dir sicher nicht den Kuss des Lebens, solltest du ersticken.“

 

Leise lachend versuchte sich Shikamaru aufzusetzen, sackte aber bei einem plötzlichen Schwindelanfall zusammen. Rasch packte er die Rückseite der Bank und blinzelte rapide. „Okay…das ist interessant…“

 

„Hey, mach langsam. Du bist immer noch ziemlich benommen.“

 

„Habe ich zufällig Blut gespendet, während ich weg war?“

 

„Ich glaube eher, dass du eine ganze Armee aus Vampirflöhen gefüttert hast. Diese Dinger waren mal richtig gruselig.“

 

„Danke, dass du mich daran erinnerst.“ Wie gut, dass im Moment die einzige Irritation unter seiner Haut das rote Brennen von Peinlichkeit war; der Gedanke daran, dass er dumm genug gewesen war, sich kopfüber in die absolute Gefahrenzone zu stürzen, nur um zu versuchen zu beweisen, dass er stabil war. 

 

Clever. Wirklich clever.

 

Er stieß einen genervten Atem aus und schob sich die feuchten Strähnen aus dem Gesicht, bevor er mit einer Hand durch sein loses Haar fuhr und mit stumpfen Nägeln über seine Kopfhaut kratzte. 

 

Seine Finger verfingen sich in einem Knoten. 

 

Nein. Kein Knoten.

 

Shikamarus Lider zuckten irritiert. 

 

Zur Hölle?

 

Stirnrunzelnd befingerte er das Band straff zusammengefassten Haares, folgte ihm zurück durch die dunklen Strähnen und fand ein weiteres, dann noch zwei…drei…vier…mehr…

 

Mit weiten Augen und vernichtender Miene beugte er sich auf seinem Platz nach vorn. „Chōji…“

 

Der Akimichi drehte den Kopf und würgte ein ersticktes Geräusch hervor, das verdächtig nach einem innegehaltenen Lachen klang. „Oh, Junge.“

 

Oh nein.

 

Sehr langsam – ganz so, als wollte er die Unvermeidbarkeit des Moments bestreiten – hob Shikamaru seine andere Hand und strich mit den Fingern durch dunkle gezackte Strähnen, wobei er einen nach dem anderen vorfand; Schnur um Schnur von…

 

Oh verfickte SCHEIßE, nein…

 

Ein Schluckauf aus Lachen, das von einer Chipspackung gedämpft wurde. 

 

Shikamaru wandte den Kopf und warf die volle Wucht seines mörderischen Funkelns wie eine Klinge über die Schulter, um Chōji mit dem rasiermesserscharfen Blick zu erstechen. „Wo ist sie?“, knurrte er verstörend leise; alarmierend tief. 

 

Chōji jedoch zuckte nur mit funkelnden Augen die Schulter. „Ich finde, es steht dir.“

 

„Du hast sie das machen lassen. Ich war komplett weggetreten und du hast sie-“

 

„Naja, also technisch gesehen habe ich sie nicht-“

 

„Du hast sie meine gottverdammten Haare flechten lassen.“

 

Mit hängendem Kopf vergrub Chōji sein Gesicht in der Chipspackung. „Ja. Ja, das habe ich.“

 

Shikamarus Miene wurde noch finsterer und er spürte, wie ein Tic in seinem Augenlid begann, als er zusah, wie sich die Chipspackung aufblähte und zusammenzog, als Chōji krampfhaft versuchte, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und vor unterdrücktem Lachen bebte. 

 

Shikamaru schüttelte den Kopf und ließ dabei kleine Zöpfe schwingen. Zornfunkelnd stach er mit einem Finger auf sein geflochtenes Haar. „Davon gibt es kein Zurück, Chōji.“

 

„Awww, na komm schon. Ich hab dich doch auch gefangen, als du ohnmächtig geworden bist.“

 

„Zu blöd. Du hättest mich fallen lassen sollen.“

 

„Auf keinen Fall!“

 

„Hättest mich meinen Kopf einschlagen lassen sollen, sodass ich mich nicht daran erinnert hätte, wer zur Hölle ich bin, als ich aufgewacht bin.“

 

Chōji explodierte zu ungezügeltem Lachen und katapultierte dabei die Chipspackung durch den halben Raum. 

 

Und Shikamaru fixierte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Ich wette, dass mein Kopf in deinem Schoß lag, als sie das gemacht hat.“

 

Chōji lachte schallend und musste die Lehne seines Sitzes packen, um aufrecht bleiben zu können. Die Spiralen auf seinen geröteten Wangen leuchteten grell auf. „Es stimmt…es stimmt…“, prustete er. 

 

„Mann, du bist echt krank.“

 

„Tut mir leid, Shikamaru.“

 

„Jo, ich sehe, dass du total fertig deswegen bist.“ Shikamaru wandte sich ab und lümmelte sich wieder gegen Chōjis Schulter, bevor er begann, mit den Fingern an diesen dämlichen Zöpfen zu zupfen und in scharfen ruckartigen Bewegungen das Geflecht zu lösen. „Ich hoffe, das war es wert.“

 

„Sie kauft mir für eine Woche Barbecue.“

 

„Dachte ich mir.“

 

„Ja, ich weiß. Sie ist genauso schlimm wie Asuma w-“ Chōji stolperte über das Wort und beendete seinen Satz dann leise: „..war.“

 

War. Zu sein pflegte. Niemals wieder sein würde. 

 

„Ja“, wisperte Shikamaru. Er sog einen zerfetzten Atem ein und ließ sein Kinn nach unten kippen, bevor er sich daran machte, den nächsten Zopf zu lösen, während seine Augen nach oben rollten und sich beinahe überkreuzten, als versuchten sie, durch seine Schädeldecke sehen zu können. 

 

Lästiges Mädchen.

 

Er spürte, wie sich Chōji leicht bewegte und hörte das Rascheln einer weiteren Packung. „Uh, Shikamaru? Deine Haare werden dieses komische Meerjungfrauen-Ding machen, wenn du das jetzt aufmachst – so wie bei Ino.“

 

Shikamarus Finger erstarrten, als er sich diesen Horror vorstellte, doch er nahm seine Bemühungen rasch wieder auf, während er seine Beine auf den angrenzenden Sitz legte. „Dann steck ich meinen Kopf eben in ein Waschbecken. Oder vielleicht kannst du ihn auch in eine Toilette drücken, während Ino die Spülung betätigt.“

 

Erniedrigt zuckte Chōji zusammen. „Es tut mir leid, Shikamaru.“ Sein schuldbewusstes Schweigen hielt jedoch gerade einmal zehn Sekunden an, bevor Lachen schon wieder deutlich in seiner Stimme zu hören war. „Willste, dass ich dir dabei helfe?“

 

„‘Hilf mir‘ am Arsch“, knurrte Shikamaru, doch ein widerwilliges Schmunzeln zupfte an seinem Mund. „Wo ist Ino eigentlich?“

 

„Sie haben sie vor etwa einer halben Stunde gerufen. Sie hilft mit Neji.“

 

Shikamarus Finger hielten sofort inne – zusammen mit seiner Atmung. Wie zur Hölle konnte es sein, dass es immer noch nichts neues gab?

 

„Sie hat nichts gesagt?“

 

„Sie meinte, sie würde sofort kommen, wenn irgendwas im Argen ist. Schätze mal, dass wir es schon rausfinden werden, sobald sie zurück ist.“

 

Shikamaru musste sich mächtig zusammenzureißen, um nicht zu fragen, wann verfickt nochmal das sein würde. Rasch nach irgendeiner Ablenkung suchend griff er nach einem weiteren Zopf, der geradezu sadistisch feste geflochten war und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als würde er Fäden aus einer Wunde ziehen. „Ugh. Ich glaub’s nicht, dass sie genug Zeit hatte, Nahrungspillen herzustellen und mich zu verstümmeln.“

 

„Mann, du hättest sie sehen sollen, Shikamaru. Sie hat alles total übernommen. Hat sogar den Arzt ausgestochen und angefangen, über Opiate und Botanik und so Zeug zu reden.“ Chōji hielt inne und atmete leise aus. „Asuma-sensei wäre stolz gewesen.“

 

Kummervoller Schmerz grub sich erneut zwischen Shikamarus Brauen – scharf wie immer, aber gemildert durch den leichtesten Hauch eines Lächelns. „Ja. Das wäre er.“

 

Eine entspannte Stille legte sich zwischen sie, aber er hätte nicht sagen können, wie lange sie andauerte, bis sein Kopf nach vorn nickte; schwer von dem Gewicht jeder verstreichenden Sekunde, während er an den letzten verhedderten Zöpfen arbeitete…seine Finger nestelten…Arme schmerzten und fielen schließlich nach unten…eine Art der Schwerelosigkeit…wie zu sinken…beruhigend…der sanfte Druck einer Hand, die auf seinem Kopf ruhte…

 

Asuma…?

 

Einige Zeit später kam Shikamaru wieder zu Bewusstsein…driftete träge direkt unter der Oberfläche des Schlafes. Vage hörte er das Rascheln von noch mehr Plastik, das gedämpfte Knuspern von Kartoffelchips und das Knirschen von Zähnen…

 

Chōji…

 

Ein Summen von Wolframlichter über seinem Kopf und das grelle Strahlen, das gegen seine Lider schlug…

 

Krankenhaus…

 

Noch mehr Lärm drang herein und hinaus…Stimmen kamen vorbei, schwebten davon…bis – etwas weiter entfernt – das Klacken von Absätzen immer näher kam…

 

Von dem lauten Klopfen aufgeschreckt flatterten Shikamarus Wimpern. 

 

Die scharfen Schritte kamen noch näher, bevor sie in eine andere Richtung abbogen. Das mechanische Ächzen einer Kaffeemaschine erscholl, dem das Spucken von Wasser und das Kratzen eines Rührstäbchens in einem Pappbecher folgten.

 

Ein plötzlicher Geruch; der starke Duft von Kaffee. 

 

Schnuppernd öffnete Shikamaru die Augen – und zog sie sofort zu Schlitzen zusammen. 

 

Azurblaue Seen funkelten über ihm und blonde Strähnen wippten. „Ah, ich liebe dieses sexy ‚gerade aufgestanden‘ Aussehen, Shikamaru.“ Ein leises Giggeln. „Es steht dir wirklich sehr gut.“

 

Viel zu groggy für eine scharfzüngige Erwiderung, begnügte sich Shikamaru mit einem leisen Grummeln. Gekonnt mied er Inos ‚Katze-hat-den-Sahnetopf‘-Grinsen und drehte Kopf und Schultern, weil er ihr den Rücken zuwenden wollte. 

 

Chōji stupste ihn an, bevor er wieder einnicken konnte. „Shikamaru.“

 

„Steh schon auf, Faulpelz. Ich habe dir sogar Kaffee statt Salzwasser geholt, also sei mal etwas dankbar.“

 

Keine Erwiderung. 

 

Ino schnaubte und beugte sich vor, um einen kühlen Luftzug in sein Gesicht zu pusten. 

 

Shikamaru rümpfte die Nase und stieß ein schwer leidendes Seufzen aus. „Wieso?“

 

„Ich bringe dir die Geschenke, mit denen dich Chōji eigentlich hätte zwangsernähren sollen.“

 

„Ich wollte ihn nicht wecken. Da hätte ich mich schlecht gefühlt“, verteidigte sich Chōji. 

 

Schnaubend setzte sich Shikamaru ein wenig auf. „Ich wette, dass du dir das auch beim ersten Mal eingeredet hast.“ Er warf Ino ein halbherzig zorniges Funkeln zu. „Als ich diese Dauerwelle verpasst bekommen habe.“

 

Ino grinste. „Ich habe Jahre darauf gewartet, das machen zu können.“ Sie reichte ihm einen der beiden dampfenden Becher und drückte ihm eine riesige braune Chakrapille von der Größe eines Reisballs in die Hand, bevor sie einen Haargummi von ihrem Handgelenk zog. „Hier, jetzt kannst du aufhören zu jammern.“

 

Shikamaru nahm die angebotenen ‚Geschenke‘ mit einem Grunzen entgegen und sammelte sein Haar zu dem üblichen spitzen Pferdeschwanz zusammen, der straff genug war, um diese dämlichen Wellen aus seinen Strähnen zu ziehen. Und während er auf der Chakrapille herum kaute, ignorierte er Inos albernes Feixen. Rasch nahm er zwei Schlucke des Kaffees, zog eine säuerliche Miene und blinzelte zu ihr auf, als hätte sie ihm Gift eingeschenkt. 

 

Ino schmunzelte. „Ich weiß, okay? Die heiße Schokolade ist noch schlimmer. Neji schien sie allerdings zu mögen…wobei…er hat auch versucht, einen Becher Blumenshampoo und eine Flasche Desinfektionsmittel zu trinken.“

 

Weitäugig blinzelnd drehte sich Shikamaru abrupt auf seinem Platz und ließ dabei die Beine nach unten schwingen. „Was?“

 

Ino nickte ernst, aber ihr Blick war spielerisch. „Jo. Er war scheinbar auf irgendeiner Mission, sich sämtliche Farben des Regenbogens einzuverleiben.“ Sie drehte einen Finger in der Nähe ihrer Schläfe um die eigene Achse und machte ein pfeifendes Kuckucksgeräusch. „Außerdem hat er alle Topfpflanzen im Aufwachraum abgeschlachtet. Du kannst gleich zu ihm.“

 

Aufwachraum?

 

Angst stach sich in ihn. Krampfhaft umklammerte er den Kaffee zwischen seinen Knien und versuchte, so ruhig wie möglich Atem zu holen. „Ist er okay?“

 

Chōji schnaubte. „Junge, er hat versucht, Bleichmittel zu trinken. Regenbogen Bleiche. Das ist nicht okay.“

 

Ino schürzte die Lippen und wackelte mit dem Kopf. „Naja, sagen wir einfach, er ist immer noch ein bisschen…“ Sie fuchtelte vage mit den Händen herum. 

 

Shikamaru bedachte sie mit einem trockenen Blick, während seine Brauen nach oben wanderten. „High?“, schlug er vor. 

 

„Ha! Hyūga ist total drauf!“, plärrte eine Stimme aus dem Wartebereich. Gleich darauf folgte das dumpfe Schlagen einer Faust gegen einen unkooperativen Automaten. Ein Klappern von Münzen erscholl und die Maschine spuckte die Ware plus ein paar Extras aus. „Lässig.“

 

Shikamaru reckte den Hals und spähte an Ino vorbei. 

 

Am anderen Ende des Raumes hockte Kiba und sein struppiger Kopf klebte geradezu am Schlitz des Spenders, als er aufwärts in die gläsernen Eingeweide der Maschine linste und gleichzeitig die breite Metallflanke in einer unbeholfenen Umarmung tätschelte. „Da haste mich echt hingehalten, Freundchen.“

 

Chōji kicherte. „Netter Trick.“

 

Schnaubend drehte sich Ino an der Hüfte und verschränkte die Arme in einer seltsam defensiven Geste vor der Brust. „Was machst du hier, Kiba? Abgesehen vom Klauen natürlich.“

 

„Er hat sich die Schulter ausgekugelt“, sagte Shikamaru und biss ein weiteres Mal in die Chakrapille, während er Ino fragend und stirnrunzelnd musterte. Was hatte sie für ein Problem mit Kiba?

 

Der Hundeninja ließ seine ‚gestohlene‘ Ware in der Schlinge verschwinden, die seinen Arm gegen seine Brust hielt. Seine Lederjacke hing offen über den Schultern, als er herüber schlenderte und offenbarte einen zusätzlichen Schultergurt, der straff um seinen Torso gezurrt war.

 

Shikamarus Brauen hoben sich. „War es so übel?“

 

Kopfschüttelnd rollte Kiba mit der Schulter. „Nah, ich hab ein bisschen eine Szene gemacht. Wollte die Schlinge haben, um mein ganzes Zeug dadrin zu verstecken, aber die haben dann auch noch auf den dämlichen Gurt bestanden.“ Er ruckte mit dem Kinn zu den Bindungen. „Sobald ich hier raus bin, ist das Ding weg.“

 

„Na das ist mal eine richtig dumme Idee“, erwiderte Ino und sah ihn finster an. 

 

Kiba zwinkerte ihr zu. „Kein Grund zur Sorge, sie haben mir entzündungshemmende Tabletten verschrieben und eine dringende Überweisung zur Physio.“

 

Ino hob eine feine Braue und setzte ein krampfiges, zuckersüßes Lächeln auf. „Zu blöd das keins von beidem die Schwellung in deinem Kopf lindern kann.“

 

Shikamaru hielt mitten im Kauen inne und runzelte heftig die Stirn über diese völlig ungerechtfertigte Kante in ihrer Aussage. „Ino.“

 

Kiba stieß einen schrillen Pfiff aus und zog ruckartig das Kinn zurück, als hätte er einen Schlag verpasst bekommen. „Wow, es wird wohl keine süßen Worte geben, die mir etwas Mitgefühl von dir einbringen, huh?“

 

Ino schenkte ihm ein weiteres dünnes und unschönes Lächeln. „Für süße Worte braucht es Charme, Inuzuka.“

 

„Na klar“, sagte Kiba gedehnt und riss dabei eine Packung Trockenfleisch mit den Zähnen auf. „Die süße kleine Praktikantin konnte gar nicht genug für mich tun. Sie hat darauf bestanden, mich über Nacht hier zu behalten, aber ich habe ihr gesagt, ich müsste wegen eines Hundes weg.“

 

Ino rollte mit den Augen. „Soll das irgendwie witzig sein?“

 

Kibas finstere Miene wurde von dem Funkeln in seinen Augen ruiniert. „Schätze mal, dass du mir dann keinen Knochen zuwerfen wirst.“

 

Shikamarus Lippen kräuselten sich und er unterbrach diese grauenhaften Wortspiele, bevor Ino noch weiter machen konnte. „Hey, wie geht es Akamaru denn?“

 

Die Miene des Hundeninjas zuckte. „Hana führt ein paar Tests durch. Sie hat mich rausgeworfen und gesagt, ich soll später wiederkommen. Sie haben diese Pillen zurückgerufen, weißt du?“

 

„Wenig überraschend“, erwiderte Shikamaru. „Würde auch nicht wissen wollen, was dieses Zeug bei Menschen anrichten würde.“

 

„Ganz genau. Gerüchten zufolge war diese Charge aber beabsichtigt. Sowohl die Pillen, als auch diese Bestien.“

 

Shikamarus Brauen schossen nach oben. Das erklärte natürlich die Dringlichkeit der anstehenden Mission. Rasch schluckte er den Rest der Chakrapille und spülte sie mit einem Schluck widerlichem Kaffee hinunter, wobei er das Gesicht verzog. „Was machen sie mit dem Rest der Chimären?“

 

„Wie ich höre hat man eine ganze Gruppe Jōnin ausgeschickt, um sie vom Boden aufzuwischen“, seufzte Kiba und sah dabei etwas verstimmt aus. „Mann, ich hätte mich richtig gern an diesen Dingern ausgetobt. Naja, wie auch immer, dachte mir dann, dass wenn ich schon Zeit totzuschlagen habe, dass ich auch was Sinnvolles machen kann.“

 

Der Schattenninja schmunzelte. „Wie zum Beispiel Automaten zu vergewaltigen und Trockenfleisch zu schmuggeln.“

 

Achselzuckend steckte Kiba eine Hand in seine Jackentasche und zog einen Blister Schmerztabletten heraus. „Du nennst es schmuggeln, ich nenn es gesunde Plünderung.“ Er hielt inne und setzte ein schelmisches Grinsen auf. „Und hey, ich weiß über deine Schmugglerware Bescheid, Nara. Soll ich vielleicht noch etwas mehr flirten? Ich könnte ein paar Zigaretten einstreichen. Scheiße, ich könnte wahrscheinlich auch ein paar schwere Betäubungsmittel für Neji stibitzen; dieser verkappte Junkie.“

 

Kopfschüttelnd schnaubte Shikamaru in seinen Kaffee. „Heb dir den Missbrauch dafür auf, wenn er wieder klar ist, Inuzuka.“

 

„Jo, ist gar nicht mehr so einfach, sich über diesen stählernen Bastard lustig zu machen. Ich muss auf jeden Fall meine Munition aufsparen. Muss ihn dann bombardieren, wenn er wieder auf seinem hohen Ross hockt und total ahnungslos ist.“ Mit dem Daumen drückte Kiba zwei der großen Tabletten heraus und schnippte sie sich in den Rachen. 

 

„Oh mein Gott!“, kreischte Ino und schlug ihm mit dem Handrücken auf den Arm, wobei sie ihn mit Kakao bekleckerte. „Du sollst dir eine gute Grundlage schaffen, bevor du das nimmst und außerdem musst du sie mit Wasser einnehmen, du Volltrottel!“

 

Achselzuckend schnappte Kiba ihr den Becher aus der Hand. Und Ino ließ ihn los, kaum dass sich ihre Finger berührten und quiekte, als hätte sie sich an ihm verbrannt. 

 

Shikamaru schnitt eine Grimasse. „Kiba, ich würde nicht-“

 

Doch der Hundeninja schluckte das Gebräu in zwei langen Schlucken – erstarrte abrupt – und prustete die Hälfte davon aus seiner Nase, bevor er Luft gegen das Brennen einsog und keuchend seine Zunge heraus hängen ließ. „Argh! Was zur Hölle ist das?“

 

Ino bedachte ihn mit einem säuerlichen Schmunzeln. „Geschieht dir ganz recht. Dafür wirst du sowas von bezahlen.“

 

„Einen Scheiß werde ich dafür bezahlen“, knurrte Kiba und strich mit ihrer Zunge in seinem verbrühten Mund umher, bis sich ein verspätetes Glühen in seine Augen schlich. „Ah, bezahlen. Das erinnert mich doch an was.“ Er drehte den leeren Becher in seiner Hand und wedelte damit in ihre Richtung. „Du und ich müssen uns mal über ein paar eurer ‚geprüften und getesteten‘ Produkte unterhalten. Und das schließt auch diese rotznäsige Bitch ein, die bei dir hinterm Tresen arbeitet.“

 

Vollkommen perplex warf Shikamaru Chōji einen fragenden Blick zu. Doch der Akimichi zuckte nur mit den Achseln und hielt die Augen auf die Szene gerichtet, die sich gerade vor ihnen abzuspielen begann. Langsam lehnte er sich zurück und schaufelte sich Chips in den Mund wie Popcorn im Kino. 

 

Bitch?“, keuchte Ino fassungslos. „Warum? Weil sie nicht auf deinen Schürzenjäger-Bullshit reingefallen ist?“

 

Kiba legte den Kopf wie ein verwirrtes Tier schief. „Wie bitte?“

 

„Du hast nicht bekommen was du wolltest-“

 

„Verdammt richtig, ich habe-“

 

„-und deswegen hast du dich wie ein Arschloch aufgeführt.“ Ino reckte ihr Kinn in einem trotzigen Winkel nach oben. „Dann wird es dich ja freuen zu erfahren, dass sie sofort gekündigt und sich auf dem ganzen Weg nach Hause die Augen ausgeheult hat.“

 

„Aw, armes kleines Schweinchen.“ Kiba ließ den Kopf nach hinten kippen und sah aus, als würde er sich bestätigt fühlen. „Erspart mir das Husten und Prusten, um ihr Haus zusammen zu pusten.“

 

Ino würgte ein ungläubiges Lachen hervor, während sich ihre Finger wie Krallen in ihre Arme gruben. „Oh wow.Vielleicht, wenn du dich weniger wie ein Köter und mehr wie ein Gentleman benehmen würdest, hättest du ja auch bekommen, was du wolltest.“

 

Kiba hob eine Braue. „Wenn der Kopf derart hohl ist, dann bringt auch Charme nichts.“

 

„Oh?“ Ein bösartiges Grinsen spielte an Inos Mundwinkeln. „Und auf welcher Charme-Schule warst du denn bitte, Inuzuka? Dem örtlichen Hundezwinger?“

 

Oh Mann.

 

Shikamaru blies die Backen auf und rieb sich über die Stirn. „Ino.“

 

Doch statt der erwarteten Zurschaustellung aus Zorn, zog Kiba den Kopf zurück und bedachte Ino mit einem Ausdruck, der zur gleichen Zeit überrascht, als auch abschätzend war. „Mi-au. Das Kätzchen hat Krallen.“ Er vollführte eine spöttische Gentleman Verbeugung, die jedoch von seinem Piratengrinsen besudelt wurde. „Bitte komm doch auf dem Spielplatz vorbei, Prinzessin. Du könntest einen Meisterkurs darüber leiten, wie man an jemandes Hintern kaut. Dafür würde ich auf jeden Fall vorbei kommen.“ Langsam beugte er sich näher; angezogen von dem temperamentvollen Aufflammen in ihren Augen. „Scheiße, ich würde vorbei kommen, nur um zusehen zu können, wie du dir diese hübschen Klauen abbrichst, während du versuchst, mich durchzukauen und anschließend aus deinen Zähnen zu pulen.“

 

Inos Stirnrunzeln verkrampfte sich, aber sie hielt ihre Stellung. „Schmeichel dir nicht selbst, Kiba“, fauchte sie mit weiß aufblitzenden Zähnen. „Außerdem würde ich dich eher ausspucken, als durchkauen.“

 

Er schmunzelte sie nur an und Schalk funkelte in seinen animalischen Augen. „Jäh, dachte mir schon, dass du die Nase rümpfen würdest.“ Er drehte den Pappbecher zwischen ihnen, bevor er kurz davor inne hielt, ihre Nase damit zu berühren. „Und hey, lass uns doch ehrlich sein. Gemessen an deinem raffinierten und delikaten Gaumen glaube ich nicht, dass du etwas so Rohes wie mich überhaupt verdauen könntest.“

 

Inos Blick wurde arktisch. 

 

Shikamaru und Chōji zuckten gleichzeitig zusammen und warteten auf die imminente Explosion. 

 

Doch sie kam nie. 

 

Mit dem Fauchen einer Wildkatze wirbelte Ino auf dem Absatz herum. „Shikamaru, kommst du jetzt, oder was?!“, keifte sie mit so lauter Stimme, dass sie von den Wänden abprallte und ihr finstere Blicke einbrachte, während ihr eine Frau auf der Schwesternstation ein knappes ‚Psst‘ zu zischte. 

 

Kiba sah ihr nach und seine offenen Lippen verzogen sich zu einem halben Schmunzeln, während seine Zungenspitze über einen scharfen Fangzahn strich. Ein spekulatives Glimmen funkelte in seinen schmalen Iriden. „Tz. Sie ist echt anstrengend.“

 

Shikamaru hob eine Braue und wechselte einen Blick mit Chōji. 

 

Doch Chōji zerbrach nur einen Kartoffelchip zwischen den Zähnen und zuckte in routiniertem Pazifismus mit den Achseln. Gute Entscheidung. Jetzt war auch wirklich nicht die Zeit, um über diesen farbenfrohen Streifen im Yamanaka-Zauberwürfel zu grübeln. Oder über Kibas plötzliches Interesse oder Involvierung zu rätseln. 

 

Ugh. Alphamännchen-Modus erforderlich…

 

Dafür hatte Shikamaru im Moment einfach nicht die Energie. War es denn überhaupt seine Angelegenheit? Langsam schob er den Kaffee unter seinen Sitz und stemmte sich auf die Füße, bevor er so tat, als würde er Kiba auf den Rücken klopfen und gleichzeitig eine Diätlimo direkt unter der zuckenden Nase des Inuzuka wegstahl. 

 

Kiba machte einen leichten Satz, als seine Aufmerksamkeit ruckartig umgelenkt wurde. Rasch drückte er sich seinen Vorrat an die Brust. „Hey!“

 

„Als würde man einem Kleinkind Süßigkeiten wegnehmen“, sagte der Schattenninja gedehnt und duckte sich unter dem Pappbecher hinweg, den Kiba nach seinen Schädel geworfen hatte. „Du solltest heim gehen, Chōji“, schlug er vor, als er sich in Bewegung setzte, um Ino zu folgen. 

 

„Ich werde noch auf Ino warten.“

 

„Deine Entscheidung.“

 

„He!“, bellte Kiba hinter ihm her. „Komm ja nicht jammernd angerannt, wenn du nichts mehr zum quarzen hast, Nara!“

 

Schmunzelnd hob Shikamaru in einem rückwärtigen Winken die Hand und verlängerte seine Schritte, um zu Ino aufzuholen. Sie war einfach so voraus marschiert und das Klacken ihrer Absätze hallte von dem harten polierten Boden wider. Ihr Zopf peitschte vor und zurück wie der zornige Schwung eines Katzenschwanzes. Energisch stieß sie eine Schwingtür auf, wirbelte herum und wartete auf Shikamaru. 

 

Der Nara schlenderte hindurch und entschied sich, das gesamte Kiba-Drama zu umschiffen. „Willst du mir nicht noch ein besseres Update zu Neji geben?“

 

Beiläufig, ruhig, entspannt. Ein riesiger Haufen Scheiße. Auch wenn Ino ihm sofort gesagt hätte, wenn wirklich etwas im Argen liegen würde, war der Gedanke an einen Neji, der Bleichmittel trank und Topfpflanzen den Garaus machte, nicht direkt eine ermutigende Prognose in Bezug auf den mentalen Zustand des Hyūga. 

 

„Klar.“ Inos düstere Stimmung hob sich ein wenig und sie summte nachdenklich. „Wir haben ihn gereinigt, sein Respirationssystem untersucht-“

 

Shikamarus Schritte gerieten zusammen mit seinem Herz ins Taumeln. „Was?“
 

„Ganz ruhig, Shikamaru. Neji ist bei guter Gesundheit. Ich denke, das Schlimmste, was zu erwarten ist, nachdem die Opiate abgeklungen sind, wird eine heftige Übelkeit sein. Obwohl…“ Sie warf ihm einen ernsten Blick zu, der durch das Wissen ihrer medizinischen Ausbildung nur noch verstärkt wurde. „Es war gut, dass du ihn so schnell hierher gebracht hast. Wenn man ihn nicht direkt von dem Zeug gesäubert hätte, wäre es vermutlich eine ganz andere Sache gewesen.“

 

Shikamaru seufzte durch die Nase und wollte sich diesen Ausgang ihrer Aktion nicht einmal vorstellen…er konnte viel zu viele Schatten der Vergangenheit spüren, die näher krochen; freudig darauf, sein Hirn mit allen möglichen Szenarien zu konfrontieren. Wie gut, dass Ino dagewesen war, um zu übernehmen. Die botanische Expertise des Yamanaka Clans war von unschätzbarem Wert. Die Verwendungszwecke gingen dabei auch weit über Handel von Blumen und Lebensmitteln hinaus. Ihr Beitrag kombiniert mit den Fortschritten der Nara bei pharmazeutischen Studien hielt Konoha stets auf dem neuesten Stand medizinischer Forschung und Chakrasteigerung.

 

Hn. Zumindest haben wir gewisse Regeln und Grenzen. Nicht so wie wer auch immer in Kusagakure mit diesen Bestien Gott spielt. 

 

Sein Vater hatte überhaupt nichts über Chimären-Hybriden erwähnt. Aber auf der anderen Seite war der Nara Clan auch strikt gegen Tierversuche. Doch auch ganz abgesehen von den Beiträgen seines Vaters, hatte Shikamaru auch allen Sitzungen beigewohnt, bei denen über die Chūnin Prüfungen diskutiert worden war. Und obwohl er ein Aufseher war, hatte er keinerlei Erwähnung über die Einführung neuer Spezies mit zusätzlicher Chakraverstärkung gehört. Kein Wispern, keine Gerüchte, die sich durch die Reihen der Proktoren zogen. Außerdem hätte es ihm Genma als sein aufsichtsführender Jōnin gesagt.

 

Komisch…

 

Sofort schaltete Shikamarus Verstand auf die Beschreibung der aktuellen Mission um. 

 

‚Unser Ziel ist es, herauszufinden, ob Kusagakure in den illegalen Handel durch Chakra gestärkter Versuchsexemplare verwickelt ist.‘

 

Versuchsexemplare…

 

Das Wort rollte kalt wie ein Frösteln seine Wirbelsäule hinunter. In seinem Verstand nahm eine unheimliche Vorahnung Gestalt an; Vorhersagen über das, womit sie es vielleicht zu tun haben würden, wenn man an die Monster dachte, gegen die sie im Wald gekämpft hatten. 

 

Viel zu früh, um irgendwelche Vermutungen anzustellen.

 

Aber es schadete auch nicht, über die Möglichkeiten nachzudenken. Vorbereitung und präventive Strategien waren nunmal sein Part im Spielplan. Und genau das war der Punkt. Er war noch immer im Spiel. Während des Kampfes hatte er es geschafft, den Kopf zu behalten; er hatte sogar schon begonnen, alles zu katalogisieren, was er über diese Viecher analysiert hatte, mit denen sie es zu tun gehabt hatten. 

 

Gut. Jeder noch so kleine Vorteil ist besser, als vollkommen ahnungslos aufzubrechen. Das letzte, was ich brauche ist, überrumpelt zu werden…

 

Oder von irgendeiner schreckhaften Reaktion und diesem seltsamen Aufblitzen, das an den abgesperrten Grenzen seines Geistes schwebte, verraten zu werden.

 

Ich weiß, dass du da bist…was auch immer du bist…aber du wirst nicht näher kommen.

 

Wenn er seine Emotionen hatte begraben können, als er sich den Mördern seines Senseis gestellt hatte, dann könnte er sich verdammt nochmal auch lange genug zusammenreißen, um die nächste Mission abzuschließen. 

 

Denn ich werde nicht noch jemanden verlieren…

 

Und am direkten Ende dieses Gedankens wurde Shikamarus Aufmerksamkeit von etwas Flatterndem an seiner peripheren Sicht eingefangen. Als er langsam den Kopf drehte, wurde ihm klar, dass es Inos Hand war, die hektisch herum fuchtelte und darauf schließen ließ, dass sie gerade leidenschaftlich über etwas schimpfte. Rasch konzentrierte er sich wieder auf sie. 

 

„-Arzt war so ein Esel. Also habe ich ihm erklärt, dass sich diese Blume durch die chemischen Opiate in ihrem Harz verteidigen. Natürlich haben wir es hier mit Hybriden zu tun. Wusstest du, dass-“

 

Shikamaru räusperte sich. „Ino.“

 

„Oh, sorry!“ Sie wischte ihren Kommentar beiseite. „Ja. Also, wie auch immer, Neji wird schon wieder. Wie ich gesagt habe, vielleicht wird ihm später schlecht, aber das Schlimmste hat er hinter sich.“

 

„Das Schlimmste…?“

 

„Ja, den ‚Lass ihn uns schnell ans Bett binden und ausknocken, sodass er sich nicht selbst verletzt‘ Part.“

 

Shikamaru zuckte zusammen. 

 

Leicht berührte Ino ihn an der Schulter. „Hey, er ist okay; wirklich. Er hat einfach nur viel energischer reagiert, als wir es von jemandem erwartet hätten, der unter dem Einfluss solch schwerer Opiate steht. Obwohl die Kurzzeitwirkungen oft so aussehen, dass die Leute vom Alarmzustand zu Schläfrigkeit wechseln. Aber in Nejis Fall sind die Stresshormone quasi durch die Decke gegangen. Wir mussten ihn irgendwie bändigen.“

 

Allein der Gedanke daran verdrehte Shikamarus Magen, da er nur zu gut wusste, wie sich Neji dabei fühlte, unten gehalten zu werden. „Er hat sich gewehrt?“

 

Ino warf ihren Kopf mit einem kurzen Lachen in den Nacken. „Oh und wie er sich gewehrt hat. Ich musste in seinen Kopf springen und ihn bewegungsunfähig machen. Bin aber schnell wieder raus.“ Sie schnitt eine Grimasse und tippte sich an die Schläfe. „Ich hasse es, das zu machen. Ein stabiler Verstand ist ja schon schlimm genug, aber ein zugedrogter? Ugh. Da drin ging ein Hurrikan ab.“

 

Shikamaru konnte sich das nur vorstellen. Stirnrunzelnd rollte er mit den Schultern und versuchte die Spannung abzuschüttelnd, die sich langsam festsetzte. „Muss er hier bleiben?“

 

„Naja, in ein paar Stunden kann er wahrscheinlich gehen; vorausgesetzt er hat jemanden, der bei ihm bleibt, bis das Opiat seinen Körper verlassen hat. Entweder das oder sie werden ihn ans Bett schnallen und über Nacht hier behalten.“

 

Auf keinen Fall!

 

Besonders nicht, wenn das bedeutete, dass er ein Krankenbett gefesselt und überwacht wurde wie irgendein Versuchsexemplar. Aber auf der anderen Seite wäre es auch nicht sicher, wenn Neji nach Hause ging. Nur Kami wusste, was zur Hölle er in diesem Zustand vielleicht zu Hyūga Hiashi sagen würde; ganz zu schweigen davon, was er zu den Ältesten sagen würde. 

 

Seufzend rieb sich Shikamaru über den Mund. „Wie lange muss er unter Beobachtung bleiben?“

 

„So lange, bis er wieder in Form ist, schätze ich.“

 

„Wie lange wird das dauern?“

 

Ino verzog das Gesicht. „Schwer zu sagen, Shikamaru, jeder reagiert anders. Und noch dazu dieses ganze Pflanzen-Hybriden-Ding? Wer weiß das schon? Man sollte ihn über Nacht hier behalten. Ist sicherer für jeden. Ich meine, wer wird schon die ganze Nacht damit verbringen, auf ihn-“

 

„Ich.“

 

Abrupt blieb Ino stehen und hob die Brauen. „Was?“

 

„Wäre nicht das erste Mal“, sagte Shikamaru und lief einfach weiter den Gang entlang, als wüsste er, wohin zur Hölle er ging. Aufmerksam sah er sich nach irgendwelchen Schildern um. 

 

Rasch schloss Ino zu ihm auf, berührte ihn am Ellbogen und führte ihn nach rechts. „Aber wo willst du ihn denn hinbringen?“

 

Gute Frage. Abgelenkt schüttelte er den Kopf. „Zu mir, in ein Hotel, ich weiß noch nicht…ich werd mir was einfallen lassen.“

 

„Okay. Aber mach dich auf einiges an…naja, wie soll ich es sagen…wahlloses Zeug gefasst.“ Schnaubend biss sie ein Giggeln zurück. „Ich glaube, ich habe Neji noch nie so viel reden hören. War surreal und irgendwie süß.“

 

Süß?“ Shikamarus Mund formte das Wort mit Belustigung und er trat zur Seite, als zwei Krankenschwestern und ein kleiner, wie ein Insekt aussehender Mann mit einem schilfartigen weißen Pferdeschwanz und dem Gesicht einer Mantis zielstrebig vorbei trotteten. Der Mann schien für den Bruchteil einer Sekunde zu zögern und warf Shikamaru einen flüchtigen Seitenblick zu; dann lief er weiter. 

 

Der Nara blinzelte, dachte sich aber nichts weiter dabei. 

 

Sie liefen einen weiteren Korridor entlang und Shikamaru sah ein Schild über der nächsten Tür hängen: AUFWACHRAUM. Während sie sich näherten, schob er die Hände in die Taschen seiner Hose und verspürte ein plötzliches Stechen von Schuldbewusstsein, weil er vorhin Inos Blumen-Tirade unterbrochen hatte; rasch suchte er nach etwas, das er sagen könnte. Und er musste auch gar nicht lange nachdenken. 

 

Ugh. Mach einfach. Wie ein Pflaster. Schnell. Schmerzlos…

 

„Also“, begann er, während er ununterbrochen Pflaster, Pflaster dachte. „Was ist da los mit dir und Kiba?“

 

Ino blieb stehen. 

 

Stille. Langsame und qualvolle Stille. 

 

Pflaster am Arsch.

 

Und gerade als er dachte, sich in ihre persönlichen Angelegenheiten einzumischen, würde ihm einen Schädelbasisbruch einbringen, ging ein Ruck durch Ino wie bei einem aufgeschreckten Pferd und sie marschierte einfach weiter. 

 

Verdutzt musste Shikamaru ein paar Schritte joggen, um wieder zu ihr aufzuholen. „Ino“, rief er und sein sanfter Ton ließ sie etwas langsamer werden. Er kam an ihre Seite und spähte stirnrunzelnd zu ihr. „Hat er irgendwas angestellt, das dich ärgert?“

 

Ino schwang ihren Kopf herum und schnaubte wie eine stolze Stute. Goldene Strähnen flatterten wieder nach unten und schirmten ihre Miene wie ein Vorhang ab, bevor sie eine verwirrende Antwort aus „Nein. Doch. Nein. Naja…nicht direkt“ murmelte. 

 

Shikamarus Brauen hoben sich.

 

Seufzend nahm Ino die Limo entgegen, die er ihr reichte und öffnete die Blechöffnung mit einem Knacken und Zischen. „Du erinnerst dich an unsere gemeinsame Geburtstagsfeier im Hotaru?“

 

Schlagartig wünschte er sich, es wäre anders. „Ja“, sagte er aber langsam und vorsichtig. 

 

Zögernd nahm sie einen Schluck und zog wegen des Sprudels die Nase kraus. „Naja, du weißt ja auch, dass ich betrunken war.“

 

„Jo, daran erinnere ich mich.“

 

„Und dass ich…irgendwie getanzt habe…“

 

Jo, direkt über meine Füße…

 

Und dann den Gang hinunter und direkt über…

 

Kiba…

 

Shikamaru blinzelte weitäugig. „Oh.“ OH. Richtig. Peinlich.

 

Ino stieß ein nervöses lachen aus, das voller Grübelei zu sein schien, während sie sich die Aluminiumdose gegen eine gerötete Wange drückte. „Weißt du was? Ist nicht wichtig. Und irgendwie auch peinlich. Vergiss es.“

 

Schweigend musterte er sie mit ausdruckslosem Gesicht, als er darüber nachdachte, ob er bei dieser Sache weiter bohren sollte. Bei Ino war das immer ein Glücksspiel. Manchmal wusste sie diesen Einsatz zu schätzen und manchmal war sie darüber – gelinde gesagt – brüskiert. Und gerade hatte er angefangen, das Für und Wider gegeneinander abzuwägen, als sie stehen blieb und sich ihm zuwandte. 

 

„Aber danke, dass du gefragt hast“, sagte sie leise, als sie ihre Hüfte gegen die Schwingtür einknickte und sie damit aufschob. Doch diesmal folgte sie ihm nicht hinein. 

 

Hinter der Schwelle hielt Shikamaru inne und sah über die Schulter. 

 

Ino lächelte und deutete eine Reihe Tragen und Betten entlang, um auf den Trennvorhang hinzuweisen, der am Ende des dämmrig beleuchteten Raumes nahe am Fenster nach vorn gezogen war. „Bist du dir sicher, dass du ihn hier raus holen willst? Du musst das nicht machen.“

 

„Ich habe ihn überhaupt erst in diese Scheiße mit rein gezogen.“ Das war genug Erklärung. 

 

Ino nickte und wandte sich um. „Ich werde dafür sorgen, dass man ihn deiner Obhut überlässt.“

 

„Hey, Ino?“ Shikamarus Stimme ließ sie pausieren. „Danke, dass du gekommen bist. Ich weiß das echt zu schätzen; von dieser dämlichen Dauerwelle mal abgesehen.“ Rasch hob er eine Hand, damit sie ihn nicht abweisen konnte. „Ich mein’s ernst; wir wären ohne dich ziemlich am Arsch gewesen.“

 

Blaue Augen weiteten sich, bevor sie hektisch zur Seite zuckten. „Oh, ja, klar.“ Mit einem weiteren Wedeln des Handgelenks wischte sie den Dank beiseite. „Ich komm euch beide dann holen, wenn der ganze Papierkram erledigt ist.“ Und dann war sie fort. 

 

Die Tür fiel zu. 

 

 

_______________

Soooo, mal zur Abwechslung ein etwas 'fröhlicheres' und lockereres Kapitel - also hoffe ich zumindest :D 

Ja, der arme Shikamaru muss da ganz schön leiden, während er auf Neuigkeiten zu Neji wartet...und ja...sorry für den Cut, aber das musste irgendwie sein, keine Sorge, im nächsten Kapitel erfahren wir, wie es Neji geht, und ob er die Regenbogen Bleiche gut überstanden hat ^^

Ahja und habt ihr den Arzt erkannt, dem Shikamaru auf dem Weg zu Neji begegnet? ;) Bin gespannt, ob es jemandem aufgefallen ist. 
 

Auf jeden Fall hoffe ich natürlich wie immer, dass euch das Kapitel gefallen hat und bedanke mich bei all meinen lieben Reviewer/innen und Leser/innen! <3

The ghosts are gathering


 

A./N.

Aus gegebenem Anlass will - und muss ich in gewissem Maße auch - eine Anmerkung vor das nächste Kapitel stellen. 

Gestern bin ich durch Zufall auf Wattpad darauf aufmerksam geworden, dass ein User Wort für Wort meiner BtB Übersetzung geklaut und als seine eigene veröffentlicht hat. 

Ich denke, ich muss nicht erwähnen, dass ich mehr als sauer und am Boden zerstört war...allerdings habe ich daraus auch einige Konsequenzen gezogen...

Ich hätte nie gedacht, dass es wirklich nötig sein würde, das so hart klarstellen zu müssen, da ich es als selbstverständlich erachte, die literarische Arbeit anderer Autoren nicht als die eigene auszugeben.  

Ich möchte hier auch ausdrücklich klarstellen, dass ich niemandem meiner treuen Leser/innen zu nahe treten will, aber da die BtB Serie nur hier und auf ff.de von mir veröffentlicht wurde, muss das Plagiat über eine der beiden Plattformen erfolgt sein. 
 


 

Daher hier die ausdrückliche Erklärung und Warnung: 

Außer mir ist 

niemand

 zu einer deutschen Übersetzung der BtB Serie autorisiert und Okami Rayne wurde über den Plagiatsfall informiert, entsprechende rechtliche Maßnahmen wurden von mir eingeleitet.

Es ist 

nicht

 gestattet, mein Werk zu kopieren, auf anderen Webseiten zu veröffentlichen, es in anderer Form weiterzugeben, als Buch zu drucken, etc., ohne vorher direkten Kontakt zu mir aufgenommen und mich um Erlaubnis gebeten zu haben.

Sollte es dennoch dazu kommen, werden sowohl Okami Rayne, als auch die Betreiber entsprechender Webseiten informiert und in jedem Fall rechtliche Schritte eingeleitet. 

Diebstahl geistigen Eigentums ist kein Kavaliersdelikt! 

Ich möchte hier auch wirklich alle meine lieben Leser/innen - die mir wirklich die Welt bedeuten, da sie die Geschichte erst zu dem machen, was sie ist - dazu aufrufen, sich sofort bei mir zu melden, sollte ihnen eine weitere Geschichte, die meiner ähnelt, auffallen!
 


 

Noch einmal: es tut mir leid, dass ich dieses Kapitel mit so etwas Harschem und Deprimierendem beginnen muss, aber es war mir auch wichtig, das zu teilen, denn ich denke, dass ihr nachfühlen könnt, wie es mir mit diesem Plagiatsfall geht...

Ich möchte jedem einzelnen danken, der/die mich bei dieser Geschichte begleitet und unterstützt, es bedeutet mir unglaublich viel und gibt mir alle Kraft und Motivation, damit weiter zu machen! 
 


 

So und jetzt genug mit dem verbitterten Gesabbel...viel Spaß bei Kapitel 12!! :) 
 


 

~❃~
 

 

Ruhe legte sich über den Raum; eine hauchdünne Stille, die nur von dem leisen Wispern der Brise gestört wurde, die die Reihen an Trennvorhängen leicht schwingen ließ. Wie angewurzelt stand Shikamaru für einen langen Moment einfach nur da und wartete darauf, dass sich seine Augen an das gedämpfte silbergraue Licht gewöhnten, das durch die Fenster fiel. Er atmete bedächtig ein, bevor er den Gang zwischen den Bettreihen entlang schritt, bis er das Ende davon erreichte. 

 

Ein kurzes Zögern. 

 

Beweg dich, du Genie.

 

Er teilte den Vorhang und trat ans Ende des Bettes, um unter einer sanft gerunzelten Stirn Neji anzusehen. 

 

Das Bett hatte man leicht nach oben geneigt und obwohl Neji an nichts biependes, blinkendes oder summendes angeschlossen war, erschien er unglaublich regungslos gegen das dünne Weiß der Laken. Das schlanke maskuline Gesicht war ein Stück zur Seite gedreht und in ein Filigran aus Schatten und Licht getaucht, als sich blättrige Silhouetten über seinen Hals und Oberkörper bewegten, weil die alte Eiche vor dem Fenster zitterte. 

 

Und Shikamaru spürte ein ähnliches Schaudern, das durch seinen Körper jagte und über seine Haut kribbelte. 

 

Gott…Neji so zu sehen…die Erinnerungen, die es wieder auferstehen ließ…

 

Begib dich nicht dorthin…

 

Er zwang sich dazu, näher und an die Seite des Bettes zu treten, während er sich auf die Details konzentrierte, um sich davon abzuhalten, die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen zu lassen.

 

Keine Hämatome, keine Embolien, kein Blut…

 

Nur ein schmaler Verband, der um die Stirn des Hyūga befestigt war; diskret und simpel. Genug, um das Gesicht wahren zu können, ohne auf das Fluchsiegel aufmerksam zu machen. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie Neji darauf reagiert hatte, dass sein Hitai-ate entfernt worden war. Obwohl ihn das weit weniger besorgte als die gepolsterten Manschetten, die um die Hand- und Fußgelenke des Hyūga geschnallt waren. 

 

Nur wegen mir befindest du dich jetzt in diesem Mist…

 

Mit zusammengezogenen Brauen neigte Shikamaru den Kopf und das Weiß seiner Augen schimmerte weich im Mondlicht, während seine Iriden tief und schwarz funkelten. Und er hätte diesen Ausdruck auf seinem Gesicht nicht erkannt, wenn er ihn im Spiegel gesehen hätte; vielleicht hätte er sich diesem Anblick solch ungezügelter Emotionen sogar verweigert, da er sich ihres plötzlichen Auftauchens überhaupt nicht bewusst war – nur ihrer unerlaubten Residenz in seiner Seele. 

 

Und mit diesem sanften, vollkommen ungeschützten Blick ließ er seine Augen langsam und zärtlich über die muskulöse Kurve zwischen Hals und Schulter, die stolze Säule der Kehle und der starken Neigung des Kiefers wandern. Er lächelte leicht, als er sah, wie die hohen blassen Wangen von dem geringsten Hauch eines Rosa überzogen waren; einer leichten Röte, die den Opiaten geschuldet war. Und es war immer so beruhigend – jedes verdammte Mal, wenn Shikamaru ihn sah – keine gelblichen oder bläulichen Farbtöne in Nejis Haut vorzufinden, keine dunklen Flecken unter seinen Augen, keine hässlichen Quetschungen auf seiner Haut, kein Abmühen und keine Störung in dem steten Heben und Fallen dieser breiten und konturenreichen Brust. 

 

Kein Schmerz, kein Leiden. 

 

Nur tiefes Atmen…

 

Darum bemüht, seine eigene Atmung ruhig zu halten, streckte Shikamaru eine Hand aus und ließ die Rückseite seiner Finger über die stolz geschwungene Kieferpartie wandern. Er spürte die Wärme der Haut, hörte das Leben in dem sanften Luftstrom, der von leicht geöffneten Lippen geisterte und erinnerte sich mit erstaunlicher Klarheit daran, wie sich dieser Atem halbierte, sich selbst in Fetzen riss und zwischen ihnen hin und her ging; jedes Mal wenn sich ihre Münder zusammen und gegeneinander bewegt hatten.

 

Scharf sog Shikamaru die Luft ein und schüttelte den Kopf gegen diese schwindelerregen Erinnerungen…

 

Aber diese Erinnerungen ließen ihn nicht eiskalt zurück. Nicht mehr. Da war keine Verbitterung mehr, kein Salz mehr in offenen Wunden. Nur ein dumpfer Schmerz und ein Brennen, die ihn sehnsüchtig zurückließen, vielleicht sogar ein wenig wahnsinnig. Denn wahnsinnig war es auf jeden Fall. Wahnsinnig, wie eine einzige Berührung, ein einziger Blick, ein einziger flüchtiger Augenblick ihn sofort wieder mitten in es hinein warf. 

 

Es?

 

Wie zur Hölle hatte Neji es nochmal genannt?

 

Ah. Ja.

 

„Eine Ablenkung…“, murmelte er und schnitt eine Grimasse. Er hob den Blick hinauf zur Decke und grübelte mit einem langsamen Kopfschütteln über das Wort nach. „Eine Ablenkung, huh…? Ernsthaft? Das ist alles, was du zu bieten hast? Hätte echt nicht gedacht, dass ausgerechnet du dir für unsere lästige Situation so eine faule Drückebergerausrede einfallen lässt.“ Er bedachte Nejis Gesicht mit einem trockenen Blick. „Das ist meine Rolle.“

 

Nejis Lippen hoben sich zu einem Schmunzeln. 

 

Entsetzt zuckte Shikamaru zurück; fassungslos und beschämt von dieser abrupten Unterbrechung dessen, was er für totale Privatsphäre gehalten hatte. „Was zur Hölle, Neji?“

 

Lachen; tief und volltönend – es ergoss sich in angenehm sanften Wellen, reich und erregend, über Shikamaru. Mit finsterem Blick verschränkte er die Arme vor der Brust, als wollte er die Reaktion abwehren, doch seine Finger brannten noch immer von dem Kontakt mit Nejis Haut. 

 

„Du…bist voll raus…aus deinem Spiel…“, sagte Neji. 

 

Schnaubend stählte sich Shikamaru so gut es ging gegen dieses nachhallende leise Lachen des Hyūga und ließ seine Hüfte gegen das Bett einknicken – vollkommen entschlossen dazu, gereizt zu sein. Eigentlich hätte er sowas in der Art erwarten müssen; schließlich war es ihm heute Nacht einfach nicht vergönnt, eine Pause zu machen. Doch als er jetzt genervt auf Neji hinunter funkelte, verlor der Schattenninja jeden Anschein seiner Verärgerung in der Sekunde, als sich diese Opalaugen zitternd öffneten und ohne Fokus zu ihm aufsahen. 

 

„Du hast verloren“, murmelte Neji. 

 

In falscher Drohung verzog Shikamaru die Augen zu Schlitzen; alles nur, um sich irgendwie davon abzuhalten, Neji unverhohlen anzustarren. „Tz. Ich sage, das war ein unfaires Spiel, Hyūga.“

 

„Ganz eindeutig…“, schnurrte Neji und neigte seinen Kopf mit einem langsamen anzüglichen Lächeln gegen das Kissen. „Du hast trotzdem verloren.“

 

Oh er verlor definitiv; verlor einen Kampf gegen sich selbst. „Jo. Ganz eindeutig“, murrte Shikamaru trocken, doch die Worte fielen irgendwie unbeholfen in seinem gedehnten Sprechen. Schmunzelnd erholte er sich so schnell wie möglich. „Aber du wurdest von einer riesigen mädchenhaften Blume zum Deppen gemacht.“

 

„Es war gut.“ 

 

Perplex zog Shikamaru sein Kinn zurück. „Von einer riesigen mädchenhaften Blume zum Deppen gemacht zu werden?“

 

Schläfrig schüttelte Neji den Kopf; ein Rascheln dunkler Strähnen gegen die Laken. „Teamarbeit. Wir arbeiten sehr gut zusammen.“

 

Kurzzeitig verblüfft lenkte Shikamaru seinen Blick zu Nejis Handrücken und betrachtete die aufgescheuerte Haut um die gefesselten Handgelenke des Hyūga. „Jo“, erwiderte er so leise und sanft, dass er sich nicht einmal sicher war, dass seine Worte eine Stimme hatten. „Das tun wir.“

 

Er wandte sich ab und zog einen verlassenen Stuhl heran, um sich darauf niederzulassen und seine Hände gegen seine Schenkel zu reiben. „Aber wir hatten Glück. Haben uns da ziemlich voreilig und unvorbereitet rein gestürzt.“ Er verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Richtig dämlich, auf diese Weise zu beweisen, dass mein Kopf richtig angeschraubt ist, stimmt’s?“ 

 

„Mein Name bedeutet Schraube, wusstest du das? So wie nageln.“

 

Stille. Für eine langen unbehaglichen Moment stierte Shikamaru ihn einfach nur an, bevor er den Kopf etwas heftiger schüttelte. „Okay, also sag das niemals zu einem Mädchen, ja?!“

 

Neji blinzelte langsam und schien die Heiterkeit in den Augen des Schattenninjas überhaupt nicht zu bemerken. „Dein Kopf ist auf deinen Schultern.“

 

Energisch saugte Shikamaru an seinen Zähnen, um sich vom Lächeln abzuhalten. „Und da haben wir die zwei Millionen Ryō Frage, Hyūga. Wenn das denn überhaupt eine Frage war. Schätze mal, das werden wir dann nächste Woche rausfinden.“

 

„Weil nächste Woche eine Mission losgeht“, sagte Neji – und dann, mit plötzlicher Autorität: „Ich teile dich dieser Mission zu, Nara.“

 

Shikamaru spielte mit und stellte sich überrascht. „Wow. Danke für deine Rücksicht.“

 

„Weißt du, warum ich dich zuweise?“

 

„Weil die Hokage es dir aufgetragen hat?“

 

„Weil ich es kann“, korrigierte Neji, während sich seine Lippen hoben. 

 

Mit aller Kraft bemühte sich Shikamaru, den anziehenden Charme in diesem Lächeln zu ignorieren und versuchte sich stattdessen an einem belästigten Blick, der aber viel zu viel Humor in sich hielt, um ernst genommen werden zu können. „Das ist jetzt schon das zweite Mal heute, dass du versuchst, deinen Rang gegen mich auszuspielen, Hyūga. Langsam verliert das seine Wirkung.“

 

„Ich verliere niemals.“

 

„Jo, nur gegen Blumen.“

 

Weiße Augen blitzten auf. „Diese Pflanze…“ Neji spie das Wort wie eine Beleidigung aus. „Ich dachte, dieses Ding nutzt mich zum Fortpflanzen.“

 

„Uh. Ich glaube, das Ding hat versucht, dich umzubringen, Neji.“

 

Kopfschüttelnd knurrte Neji die Zimmerdecke an und seine Finger zuckten, während sich seine Handgelenke drehten. „Meinen blinden Fleck ausnutzen. Mich mit diesem Nektar verführen…“ Ruckartig schwankte er auf dem Bett nach vorn und zog schlagartig die Fesseln straff, während er so aussah, als würde er sich jeden Moment übergeben. „Oh Gott…

 

Sofort stürzte Shikamaru mit weiten panischen Augen aus seinem Stuhl. „Neji?“

 

Die milchigen Seen zuckten durch den Raum und prallten von Ecken und Vorhängen ab, bevor sie sich mit weitäugigem Entsetzen auf den Schattenninja richteten. „Ich habe es geschluckt.“

 

„Was?“

 

„Den Samen.“

 

„Den Sa…?“ Shikamaru klopfte sich mit einer Faust gegen den Mund und räusperte sich so leise wie möglich das Lachen aus seiner Kehle. „Klar.“ Er setzte sich wieder. „Ich weiß. Ist schon okay.“

 

„Nein, Shikamaru. Es ist nicht okay. Und weißt du auch wieso?“

 

„Weil du den Samen deines Feindes geschluckt hast?“

 

„Weil ich diesen zuckrigen Geschmack ziemlich genossen habe.“

 

Shikamaru musste einfach die Augen schließen und all sein Inneres verkrampfen, um das offene Lachen in sich halten zu können. Er fühlte ein Stechen in seiner Seite. Rasch setzte er eine ernste Miene auf und tätschelte Nejis Bauch, während er den Hyūga sanft dazu zwang, sich wieder hinzulegen. „Jo. Glaub ich sofort. Ino meinte, du wärst auch hinter dem Blumenshampoo her gewesen.“

 

„Die Natur ist eine grausame Verführerin, Shikamaru.“

 

„Das ist sie auf jeden Fall.“ Leicht neigte er das Kinn, um den paranoiden Blick des Hyūga einzufangen und senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Wispern. „Ich glaube, die Blumen haben dich in ihrer Gewalt.“

 

Neji rümpfte die Nase über den wahrgenommenen Sarkasmus. „Du machst Scherze auf meine Kosten, obwohl Ino eine glatte Lüge erzählt hat.“

 

„Achja?“

 

„Sie hat die Frechheit besessen, mich einen Haruno zu schimpfen. Kannst du dir meinen Gesichtsverlust vorstellen? Von all diesem Entmannen…“ Neji brach ab und knurrte über diese Ungerechtigkeit, bevor seine Augen in die entferntesten Winkel ihrer Höhlen glitten. „Wie du sehen kannst, ist mein Haar nicht mehr pink. Und ich werde dich jetzt wissen lassen, dass ich es auf diese Weise deutlich bevorzuge.“

 

Schmunzelnd streckte Shikamaru eine Hand aus und hob eine dichte Mokkasträhne, sodass Neji sie mit seinem Seitenblick inspizieren konnte. „Jo, das war wirklich eine bösartige Lüge“, sagte er, während er das seidige üppige Haar liebevoll zwischen den Fingern glatt strich. „Obwohl; ich werde dich wissen lassen, dass es die Haruno Männersind, die pinkes Haar haben. Nicht die Frauen. Also mach dir keinen Kopf, du wärst aus der Sache trotzdem mit intakten Eiern raus gekommen.“

 

Eine tiefe, nachdenkliche Pause. „Die Männer haben pinkes Haar?“

 

„Jo.“

 

„Mein Gott“, wisperte Neji und sein Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck untröstlichen Schmerzes. „Die Natur ist nicht grausam, Shikamaru. Sie ist brutal.“

 

Und diesmal brach Lachen aus Shikamarus Brust und schüttelte ihn so heftig, dass ihm Tränen in die Augen sprangen, während sein Atem so abrupt abgeschnitten wurde, dass er sich zu einem Zischen verwandelte, das einfach nicht aufhören wollte. Er presste eine Faust gegen seinen Mund und schaukelte auf seinem Stuhl vor und zurück. 

 

Voller Mitgefühl sah Neji ihn an. „Ich wusste doch, dass es ansteckend war. Was ein Elend.“

 

Unfähig, ein weiteres bellendes Lachen zu unterdrücken, krümmte sich Shikamaru nach vorn und musste seine Ellbogen stützend auf der Kante des Bettes abstellen, während er sich die Handballen gegen die Augen presste und ein ersticktes Keuchen ausstieß, als sich seine Rippen verkrampften. „Ah…Shit…“

 

„Du wirst ganz rot“, beobachtete Neji. „Oder vielleicht eher lila. Meine Sicht ist durch meinen Gegner kompromittiert worden.“ Ein bösartiges Zusammenziehen opalhafter Augen. „Dieser Pflanze.

 

„Ssh…“, schnaufte Shikamaru, als er sich abmühte, Luft zurück in seine darbenden Lungen zu ziehen. Er drückte sich die Hände gegen den Mund und blies mit stechenden Seiten und nassen Augen seine schmerzenden Backen auf.

 

Gott verdammt, er hatte nicht mehr so gelacht, seit…wann?

 

Während er darauf wartete, dass der Schluckauf in seiner Brust abebbte, wischte er sich über die Augen und sah endlich hinüber. Amüsiert stellte er fest, dass Nejis Blick auf sein Haar fixiert war und den gezackten Spitzen mit solch akribischer Anstrengung folgte, dass der Kopf des Hyūga den Bewegungen folgte. 

 

Erneut drohte ein Schluckauf rostigen Lachens. „Hast du Spaß?“

 

„Ino hat mein Haar gebürstet. Es war absurd und so entwürdigend. Viel intimer als wenn sie in meinem Kopf mit Blumen um sich schmeißt.“

 

Shikamaru schrieb das einfach den Betäubungsmitteln zu und setzte ein amüsiertes Schmunzeln auf. „Sei mal lieber froh, dass sie dein Haar nicht geflochten hat, während du dir die Schleimhäute aus deinem Magen geätzt hast.“ Bei Nejis verständnislosem Starren mimte Shikamaru mit Daumen und Zeigefinger eine Flasche und ruckte mit dem Handgelenk, um einen tiefen Schluck zu schauspielern. „Regenbogen Bleiche direkt aus der Flasche, huh? Muss ein gewöhnungsbedürftiger Geschmack gewesen sein. Hätte mir denken können, dass du nach irgendeinem Hardcore Zeug suchst.“

 

„Noch mehr abscheuliche Verleumdung.“

 

„Ich glaube eher nicht, Hyūga.“

 

„Lügen“, schnaubte Neji und rollte die Schultern gegen die steif geneigte Matratze, bevor er sich mit hängenden Lidern zurücklehnte. „Außerdem“, fügte er hinzu „habe ich nichts geschluckt.“

 

„Nein, das war ja nur der Pflanzensamen, stimmt’s?“

 

„Die Natur ist brutal, Shikamaru“, wiederholte er. 

 

Shikamarus Lippen bogen sich zu einem alarmierend vernarrten Lächeln, als sich Grübchen in seine Wangen schnitten. „Mann, du bist schon echt `ne Nummer für sich, weißt du das?“

 

„Diese Redewendung habe ich noch nie verstanden.“

 

„Es ist ein Kompliment.“

 

„Du machst keine Komplimente.“

 

„Oh doch. Nur nicht oft und auch nicht leichtfertig.“

 

„Wieso?

 

Shikamaru rollte mit einer Schulter. „Du solltest es wissen. Es braucht schon etwas Dramatisches wie eine Hyūga Kopfnuss, um einen Eindruck zu hinterlassen.“

 

Für einen langen Moment schwieg Neji mit zur Seite gerichtetem Blick, während er die Worte mit säuerlicher Miene verdaute. Und als er endlich wieder zu dem Nara sah, hob sich ein Kiefer zu einem hochmütigen Winkel. „Willst du damit andeuten, ich würde ständig versuchen, dich zu beeindrucken?“

 

Shikamarus Braue wanderte nach oben. „Wow, deine geistige Mathematik ist im Moment aber mal so richtig Scheiße.“

 

Das war eine Beleidigung.“

 

„Gut erkannt.“

 

„Deine Beleidigung subtrahiert den Wert deines Kompliments.“

 

Schmunzelnd neigte Shikamaru sein Gesicht in seine Handfläche. „Hallo dämlich simple Arithmetik. Schätze, du bist viel zu zugedröhnt, um auch nur irgendwas mehr als die einfachsten Grundlagen greifen zu können.“

 

„Das ist schon wieder eine Beleidigung. Ich zähle mit.“

 

„Nein, es ist einfach nur eine Beobachtung. Und wir zählen hier keine Punkte.“

 

„Dann steht immer noch die erste Beleidigung. Meine Punktezahl ist also höherwertig.“

 

Shikamaru schnaubte spöttisch und sein Schmunzeln brach zu einem leisen Lachen auf. „Du sollst Punkte zählen für die Beleidigungen, die du austeilst, du Genie.“

 

„Meine Punktezahl ist höherwertig“, krähte Neji noch einmal. 

 

„Deine Punktezahl ist kompletter Bullshit. Genau wie deine Logik.“ Der Nara lehnte sich zurück und breitete die Hände aus. „Hier. Ich hab dich schon wieder beleidigt. Ich bin also schon zwei Punkte in Führung.“

 

„Du nutzt nur meine geistige Beeinträchtigung aus.“

 

Lachend zog Shikamaru die Nase kraus und schüttelte den Kopf. „Gerade hast du dich selber beleidigt und mir ein taktisches Kompliment gemacht. Vier Punkte für Nara.“

 

„Lüge.“

 

„Nein. Endspiel. Ich gewinne. Du verlierst.“

 

„Ich verliere niemals.“ Ausgesprochen mit dieser üblichen steinharten Gewissheit, die Nejis nächste Worte nur umso schockierender machte. „Aber manchmal frage ich mich, ob ich dazu bestimmt bin.“

 

Wie ein unter den Füßen weggezogener Teppich wurde sämtlicher Humor auf einen Schlag entrissen – was nur rutschigen Untergrund und betäubte Stille zurückließ. Die Geschwindigkeit, in der sich die Stimmung verändert hatte, brachte Shikamaru für einen Moment ins Taumeln. 

 

Bestimmung…?

 

Ein Frösteln ließ sich in seinem Blut nieder. Bestimmung war stets ein äußerst ambivalentes Thema, besonders wenn Neji involviert war. Mit argwöhnisch zuckenden Augen sah der Schattenninja zu ihm. 

 

Nejis Gesichtszüge waren zu einer seltsamen Anordnung ernüchtert, die irgendwo zwischen Verwirrung und wachsender Bestürzung gefangen war. Zornfunkelnd stierte er auf die Fesseln, die um seine Handgelenke geschnallt waren und die Muskeln in seinem Kiefer traten krampfhaft hervor. 

 

„Mach sie ab.“

 

Oh Shit…

 

Friedvoll hob Shikamaru eine Hand. „Sie werden abgemacht. Wir müssen nur warten, bis Ino den ganzen Papierkram erledigt hat. Dann können wir dich hier rausholen, okay?“

 

Nejis Blick zuckte nach oben und schnitt scharf auf der Suche nach einer Täuschung über Shikamarus Gesicht. Eine angespannte Stille verschanzte sich zwischen ihnen. Shikamaru konnte geradezu spüren, wie sie über seine Haut kroch, sah wie sie sich in der Spannung über Nejis Arme und seine Handrücken zog; zornige Sehnen und steife Venen. 

 

Gar nicht gut…

 

Shikamaru behielt seine offenen Handflächen im Sichtfeld des Hyūga. „Entspann dich“, sagte er sanft, während sein Verstand um all die verschiedenen Möglichkeiten schwirrte, wie er jetzt noch eine Szene vermeiden könnte. Er hatte ja noch nicht einmal darüber nachgedacht, wie er Neji von Punkt A zu Punkt B bringen würde. 

 

Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um den Teil mal auszuarbeiten.

 

Er schloss die Augen und richtete seine Aufmerksamkeit nach innen, um seine Chakrastärke einzuschätzen. Überrascht stellte er fest, dass es in einem vibrierenden Kribbeln durch sein Netzwerk strömte. Offensichtlich hatte die Idee mit Inos Chakrapille geklappt. Trotzdem; es war geliehene Energie, ein Stimulant, das sich durch sein System arbeitete. Er musste also sehr vorsichtig sein. 

 

Sieht so aus, dass es auf einen weiteren Schattenbesitz rauslaufen wird…

 

Das würde funktionieren. Neji war viel zu zugedrogt, um einen großen Kampf liefern zu können, oder zumindest keinen fokussierten. Das könnte Shikamaru leicht bewältigen, Neji zum nächsten sicheren Hafen bringen und ihn dazu verdonnern, das alles auszuschlafen. 

 

Kinderleicht…

 

In der Theorie. Und vielleicht nicht gerade das beste Idiom, wenn man bedachte, dass ihm Kinder nicht geheuer waren.

 

Es wird funktionieren.

 

Es musste einfach funktionieren. 

 

Er spürte Nejis Blick auf sich, öffnete die Augen und stellte fest, dass diese mondsteinhaften Seen mit zusammengezogenen Brauen bedächtig über sein Gesicht drifteten. 

 

„Wenn sie es rausfinden…dann werden sie es gegen mich verwenden…“, sagte Neji leise. 

 

Leicht stirnrunzelnd krallte Shikamaru die Hände in die Kante des Bettes und beugte sich mit sanfter, zögernder Stimme nach vorn. „Wovon redest du?“

 

Bei dieser Nähe zog sich Neji zurück und seine Finger krümmten sich in den Laken zu Fäusten, als sich sein Bizeps anspannte und seine Unterarme steif wie Eisenstäbe wurden. In einem Wandel begriffen musterte er Shikamaru und Verwirrung zerrte an den Winkeln seiner Miene. 

 

Und dieser verlorene Blick riss sich durch Shikamaru und schnitt tief in ihn. „Neji…?“

 

Die Türen zum Aufwachraum schwangen auf. 

 

Aufgeschreckt sprang Shikamaru aus seinem Stuhl und streckte seinen Kopf um den Vorhang herum. 

 

Ino kam mit rollenden Handgelenken und abgewandtem Kopf den Gang entlang geschritten, während sie mit einem der beiden Pfleger sprach, die sie begleiteten. Auf halbem Weg hielt sie inne und nickte Shikamaru zu, als sie ein ‚Daumen hoch‘ signalisierte. „Wir sind fertig, Drückeberger. Seid ihr soweit?“

 

Shikamaru spähte zurück zu Neji, begegnete den viel zu grellen Augen des Hyūga und zwang sich zu einem Lächeln, um sich davon abzuhalten, schuldbewusst das Gesicht zu verziehen. „Mach mir das jetzt nicht schwer, okay?“

 

Nejis Augen verengten sich zu Schlitzen und weiße Seen zogen sich mit dem leichtesten Anzeichen von Pupillen zusammen, als sich die Haut um seine Schläfen herum anspannte, Venen hervortraten und sich bis zu den Augenwinkeln ausbreiteten. 

 

Die Bindungen um seine Gelenke begannen zu rasseln. 

 

Oh FUCK…

 

Als die Pfleger den Vorhang umrundeten, hatte sich Shikamarus Schatten bereits bewegt.

 
 

~❃~
 

 

„AUFTEILEN!“

 

Der mentale Befehl donnerte durch die Agenten. Sie brachen ihre Formation auf, gruppierten sich neu und kreisten umher, um ihren Angriff zu forcieren. 

 

„Inoichi!“

 

Inoichi wandte sich um und taumelte unter Wucht eines Schlags gegen seinen Bauch, ließ sich mit dem Momentum in eine Rückwärtsrolle fallen und kam wieder auf die Füße, um rasch zurück zu springen, während sich seine Finger zu einem Zeichen verschlossen. „Shinran Enbu no Jutsu!“

 

Das gehörnte Biest kam ruckartig und nur Zentimeter vor dem Aufprall zum Stehen und riss dabei mit riesigen Wolfspranken Gräben in die Erde. Benommen stand es da und Wellen verrotteten Atems strömte aus seinen offenen Kiefern. 

 

Inoichi hatte überhaupt keine Zeit, zu Atem zu kommen. 

 

Ein Jaulen explodierte hinter ihm. 

 

Er stürzte nach vorn und katapultierte sich über die Bestie hinweg, die sich in seiner mentalen Gewalt befand, um den Körper als lebenden Schild zu nutzen. Ein massiver Skorpionstachel hämmerte sich in die Seite des gehörnten Giganten und sein animalisches Heulen schrillte wie eine Sirene durch Inoichis Verstand. 

 

„Kageyose no Jutsu!“

 

Ein Flattern über ihm; wie das Flügelschlagen winziger Vögel. Inoichi sah auf und bemerkte einen ganzen Schwarm Briefbomben, die an einer Schattenschnur hingen. Wie ein Flugdrachen segelte der Angriff durch die Luft. 

 

Ein stranguliertes Brüllen.

 

Das Spucken und Zischen von Papier, das Feuer fing. 

 

„RUNTER!“

 

In einer enormen Hitzewelle erschütterte die Explosion die Lichtung. 

 

Inoichi hörte das nachhallende Klirren von Chōzas Rüstung und sah, wie der gigantische Unterarm des Akimichi eine Gruppe Ninja vor dem Inferno schützte. Feuer loderte auf, Schatten tanzten und Inoichi musste einfach schmunzeln. 

 

„Du machst auch alles, um deinen Spaß zu haben, huh?“

 

„He, ich musste deswegen aus dem Bett aufstehen. Ich hatte ganz wunderbar meinen Spaß.“

 

Inoichi grinste über die trockene Antwort des Nara und sprang von dem zusammengebrochenen Monster fort, das ihn abgeschirmt hatte, bevor er die Lichtung scannte und beobachtete, wie sich einige Jōnin und eine Gruppe ANBU Agenten gemeinsam bewegten, um die verbliebenen Stachelkatzen in die Enge zu treiben und abzuschlachten. Blut hatte die Erde bereits in ein stinkendes Rot verwandelt; Eingeweide, Hirn, Knochen und Teile von Kami weiß was sonst lagen um sie herum verstreut wie eine ausgeschüttete Abfallgrube. 

 

Gott, was für ein Chaos. Kusagakure musste einiges erklären. 

 

Aus den Augenwinkeln erhaschte er eine Bewegung. 

 

„Shikaku. Angepisstes Echsen-Vogel-Ding. Zu deiner Linken.“

 

Wie eine Spinne sank der Nara aus einem Netz aus Schatten nach unten und trat den gerösteten Panzer der Stachelkatze beiseite, die er in die Luft gejagt hatte. Und dieser Echsenvogel kam in grellem Mondlicht auf ihn zugestürzt; der Schatten davon fiel nach hinten statt nach vorn. Außer Reichweite. 

 

„Shit. Lass dich zurückfallen, Shikaku!“

 

Shikaku sprang einen Schritt nach links und positionierte sich so direkt in der Linie der drohenden Attacke. Er bewegte sich keinen Millimeter. 

 

Inoichis Herz hämmerte sich in seine Kehle.

 

„SHIKAKU!“

 

„Entspann dich. Vertrau mir.“

 

Shikaku kauerte sich leicht nach unten und stürzte sich einen Spurt, legte stetig an Geschwindigkeit zu und verlängerte seine Schritte, bis er sich in den geschmeidigen, kontrollierten Sätzen bewegte, die ein Weitsprungsportler machen würde. 

 

Inoichi konnte nur verblüfft zusehen. Er hatte diesen Joker-Zug bereits zuvor gesehen, allerdings seit Jahren nicht mehr. Es war ein Taijutsustil, der von den Nara entwickelt worden war; inspiriert von den springenden Bewegungen ihrer Hirsche. 

 

Als der Echsenvogel in voller Tötungsabsicht seinen schlangenartigen Hals ausstreckte, stieß sich Shikaku mit voller Kraft von den Füßen ab und segelte elegant direkt über die geduckte Wirbelsäule des Monsters hinweg. Krachend gruben sich seine Fersen in den Schatten der Bestie, was sie schlagartig miteinander verband, als er über den rutschigen Boden schlitterte.

 

Inoichi stieß ein leises Lachen aus und sandte einen leichten psychischen Schubs über die Distanz hinweg. „Alter Angeber.“

 

„Ich werde langsam zu alt für diesen Scheiß“, erwiderte Shikaku, während er das Monster mit Streifen aus Schatten mumifizierte und das Leben aus ihm quetschte. „Hol dir mal den Lagebericht von ANBU. Bin überrascht, dass sie überhaupt hier sind.“

 

Nickend wandte sich Inoichi von der grausamen Szene ab. Aufmerksam suchte er die Menge nach verhüllten Shinobi ab, wobei sein Blick auf einen maskierten Agenten fiel, dessen Kapuze nach hinten gerutscht war, was einen hohen Pferdeschwanz aus kastanienbraunem Haar offenbarte. 

 

Inoichis Augen weiteten sich, bevor sie sich zu Schlitzen zusammenzogen. Er sandte eine mentale Spitze aus. „Du.“

 

Der ANBU Agent hielt inne, drehte sich dem Yamanaka zu und bernsteinfarbene Iriden starrten teilnahmslos durch die runden Augenlöcher der Maske. 

 

Inoichi hob das Kinn und krümmte einen Finger.

 

Für einen Moment blieb der Agent bewegungslos stehen, als würde er mit sich debattieren, trat dann aber doch näher. Inoichi traf ihn auf halbem Weg, streckte ohne zu zögern eine Hand aus und strich das Revers des dunklen Umhangs zurück, sodass er die kurze schwarze Jacke mit den roten Streifen auf den Schultern sehen konnte. 

 

KERN.

 

Und nicht einfach nur irgendein KERN Mitglied.

 

Seufzend zog Inoichi die Hand zurück. „Was zur Hölle willst du hier, Fū?“

 

„Ich antworte, wie es mir befohlen ist.“

 

Die standardmäßige Steinmauer der ANBU. Keine Chance, da hindurch zu kommen – besonders wenn es um den KERN ging. 

 

„Danzō.“ Inoichi knurrte den Namen und presste die Lippen wegen des sauren Nachgeschmacks zusammen. Er stierte den maskierten Mann an und wurde immer verärgerter über das Wissen, dass dieser Shinobi einst einer seiner Clansgefährten gewesen war, der bereits vor langer Zeit in die dunkelsten Eingeweide von Konohas Schattenseite eingezogen worden war. 

 

Er ist nicht der einzige…

 

Kurz schloss er die Augen gegen den Stich der Reue und des Kummers, bevor er den anderen Yamanka mit einem stählernen Ausdruck durchbohrte. „Warum schnüffelt KERN bei dieser Operation herum?“

 

Eine müßige Frage, wenn man das absackende Gefühl in seiner Magengegend bedachte; eines, das auf eine Antwort hindeutete, an die er nicht einmal denken wollte. Denn während er nicht überrascht war, dass diese Chimärenabscheulichkeiten den KERN angezogen hatten, wie Haie bei Blut, war er durchaus überrascht, dass diese paramilitärische Einheit die Frechheit besaß, sich einzumischen, ohne dass er davon wusste. Sie hatten überhaupt kein Recht, hier dazwischen zu funken. Das war nicht der Deal, den er eingegangen war. Aber auf der anderen Seite hätte er von Danzō auch nichts anderes erwarten sollen. 

 

Vermute nicht. Spekulationen sind nutzlos. Beschaff dir die Fakten. 

 

„Beantworte meine Frage“, knurrte Inoichi. 

 

Fū sagte überhaupt nichts. Er hatte nicht die Freiheit zu sprechen, geschweige denn hier zu stehen und sich Anweisungen von irgendjemandem sonst als seinem intriganten Lehensherrn zu beugen. 

 

Aber er lief auch nicht weg – und das beunruhigte Inoichi mehr als das Schweigen. 

 

Lauf weg. Lauf weg und lass diesen Stein in meinem Inneren nichts mehr sein als meine überaktive Einbildung…

 

Es gab Einbildung und es gab Instinkt und sie lebten in ganz unterschiedlichen Bereichen. Und jede verstreichende Sekunde zwang Inoichis Verstand in die letztere Zone; nährte sie, befeuerte sie und ließ die erstickte Asche der Vergangenheit aufflammen.

 

Das reicht jetzt.

 

Er mühte seinen Verstand nicht mit Rätselraten oder Wahrscheinlichkeiten ab. Das war Shikakus Fachgebiet. Seines war das der Beweise, Daten und harten Fakten. Er bereute beinahe, dass er nicht weit evasivere Methoden nutzte, um an die Informationen zu gelangen, die er brauchte. Was für eine Schande, dass er nicht skrupelloser war, wenn es um seine Moral ging. Ibiki hatte ihn schon so oft wegen seiner ‚Verhaltensregeln‘ verspottet. Aber Fū gehörte noch immer zu Inoichis Verwandtschaft, auch wenn der emotionslose junge Man keinerlei Loyalitäten oder Bande hatte, außer die Ketten, die ihn an Danzō fesselten. 

 

Dieser Bastard.

 

„Jede verdächtige Aktivität, die in Verbindung mit Kusagakure steht, ist mein Territorium“, grollte Inoichi. „Danzō weiß das. Es gibt also keinerlei Grund für dich oder irgendeinen anderen KERN Agenten, hier zu sein.“

 

„Es gibt einen Grund.“

 

Was für einen Grund?“

 

Fū schnaubte. „Ich antworte, wie es mir befohlen ist.“

 

Und gerade als Inoichi schon dachte, dass diese Antwort eine direkte Weigerung sein würde, ruckte Fū mit dem Kinn, um in einer nonverbalen Erwiderung über Inoichis Schulter zu deuten. 

 

Stirnrunzelnd wandte sich Inoichi um und folgte der Richtung von Fūs Blick. 

 

Taumelnd geriet sein Atem direkt nach seinem Herzen ins Stocken. 

 

Fū starrte Shikaku an. 

 

Der Nara stand an der Seite und untersuchte gerade eine Verletzung an Chōzas Schulter, bevor er dem Akimichi feste auf den Rücken klopfte und über was auch immer lachte, was sein Freund als Erwiderung auf diese raue Behandlung gegrummelt hatte. 

 

„Jetzt weißt du, warum ich hier bin“, sagte Fū. 

 

Inoichis Kehle zog sich zusammen. Ihm war speiübel; musste sich eine Faust auf den Unterleib pressen. 

 

„Du wirst vorgeladen, Yamanaka-san“, sagte Fū. „Die Geister versammeln sich. Du verstehst.“

 

Eine eisige Brise kroch durch die Blätter und das kalte Rascheln stahl sich über die whiskey-heisere Wärme von Shikakus Lachen. 

 

Kummervoll schlossen sich Inoichis Augen. „Ich verstehe.“

 

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Sooo, ich hoffe, ihr alle habt die heiteren Passagen der ersten Szene zwischen Shikamaru und Neji genossen ;) 

Bevor es dann ja auch sehr schnell wieder sehr ernst geworden ist...Ja, alles erwacht so langsam und zieht sich zusammen...Es bleibt hoffentlich spannend für euch ;) Was will wohl Fū von Inoichi? ;) 
 

Ich hoffe natürlich wie immer, dass es euch gefallen hat und bedanke mich bei allen treuen Reviewer/innen und Leser/innen! <3

Precious freedom or the greatest weakness?

Der Plan war simpel gewesen. Dämlich simpel. Von A nach B. 

 

Kinderleicht wie backe backe Kuchen. 

 

Ja klar; Kuchen, der von geisteskranken Kindern im Ofen in die Luft gejagt wurde. 

 

Shikamaru schnitt eine Grimasse und bog in eine weitere, von Laternen beleuchtete Gasse ab, um die Hauptstraße zu vermeiden. Schweiß bedeckte seine Haut und die Muskeln in seinen Schenkeln brannten, als würde er schon seit Stunden durch Wasser waten und gegen eine Strömung ankämpfen. 

 

Naja, das war auch keine Übertreibung. 

 

Denn Neji bekämpfte jeden einzelnen Schritt ihres Weges. 

 

Sturer Bastard.

 

Keuchend warf Shikamaru einen funkelnden Blick über die Schulter. „Das wäre viel leichter, wenn du endlich aufhören würdest, die Fersen in den Boden zu graben und dich stattdessen entspannen würdest.“

 

Nejis Nasenflügel bebten und er warf mit loser Mähne über den Schultern seinen Kopf wie ein gefesselter Hengst hin und her. „Wie kannst du es wagen, mich durch die Gegend zu zerren wie irgendein tollwütiges Tier“, knurrte er.

 

„Deine Worte, nicht meine.“

 

Aber um die Wahrheit zu sagen war es nicht die schlechteste Beschreibung, wenn man Nejis wilden Stimmungsumschwung und den schlagartigen Anstieg an Energie bedachte. Eigentlich hätten die Narkotika dafür sorgen sollen, dass Neji auf seinem Hintern blieb. Vorher war er noch schläfrig und desorientiert gewesen, aber in der Sekunde, in der Shikamaru ihn mit dem Schattenbesitz belegt hatte, war es gewesen, als hätte man ihm eine Adrenalinspritze verpasst. Was war es noch gewesen, was Ino gesagt hatte? Etwas über Stresshormone, die durch die Decke gingen?

 

Was auch immer…ugh…das nervt vielleicht…

 

Seufzend schleppte Shikamaru sie mehr oder weniger bis zum Ende der Gasse und hielt dann an, um wieder zu Atem zu kommen, als er sich gegen die Rückwand eines Dango Restaurants lehnte. Jedes einzelne Keuchen wurde dadurch von dem süßen Geruch nach Stärke und Sirup gefüllt. 

 

Und unter all dem lag der vorherrschende Gestank nach chemischer Seife.

 

Ich schwitze Bleichmittel…das kann echt nicht gut sein…

 

Wie viele gottverdammte Duschen würde er heute Nacht eigentlich noch nehmen müssen?

 

Shikamaru spähte himmelwärts und kalkulierte rasch, wie viel Mondlicht ihm zwischen dem Driften der Wolken noch bleiben würde. Während der Himmel größtenteils klar war, hing bereits der erste Nebel in niedrigen Spitzenrüschen über der entfernten Baumgrenze, die die Residenzen der Akimichis von denen der Nara trennte. Der Weg durch diese Bäume würde letztendlich zum Nara Wald führen. 

 

Auf keinen Fall. 

 

Neji zu sich nach Hause zu bringen war keine Option. 

 

Es ist viel eher das schlimmste Szenario überhaupt. 

 

Seine Mutter würde eine Schwindsucht erleiden, sollte sie heraus finden, was ihr Sohn heute Nacht getan hatte. Und er würde es Neji in diesem Zustand durchaus zutrauen, die volle Gänze dieses Glanz-und-Gloria-Versagens mit einem Lächeln auf dem Gesicht und einem Lied im Herzen herauszuposaunen. 

 

Das passiert auf keinen Fall. 

 

Ein Gasthaus war die sicherste Wette. Irgendwas Billiges und Unauffälliges. Er reckte den Hals und spähte eine Seitenstraße hinunter, die von hängenden Laternen und den bunten Streifen von Läden gesäumt war, deren Noren Vorhänge in der Brise flatterten. Er wusste von einem Platz hier in der Nähe; hatte bereits Temari während der Chūnin Prüfungen dort untergebracht.

 

Das wird reichen. 

 

Mit Punkt B fest auf seiner mentalen Karte markiert, drehte er den Kopf, um seinen Schützling zu mustern. Stocksteif im Laternenlicht stehend und jede straff gezogene Kontur von Schatten vertieft, dampfte Neji geradezu. Chakra und Anspannung wurden in einem fast schon greifbaren Summen von ihm ausgestrahlt. Er trug geliehene Kleider – dank Ino, die Shikamarus Kleiderschrank durchwühlt hatte – die sich etwas eng an seine breitere Statur schmiegten. Ein Paar alte schwarze Hosen und ein anthrazitfarbenes Oberteil mit Rundhalsausschnitt. Schweiß hatte den Kragen durchnässt und breitete sich in einem V hinunter über den Grat seiner Brust aus. 

 

Zumindest bin ich hier nicht der Einzige, der leidet…

 

Schnaufend schüttelte Shikamaru den Kopf und versuchte, sich darüber klar zu werden, wie zur Hölle diese Nacht so horrende hatte schieflaufen können. „Und alles was ich wollte, war, einen Spaziergang zu machen.“

 

Nejis Miene verdüsterte sich und seine blassen Augen verfärbten sich mit einem Hauch von Verwirrung. 

 

Klar, immer noch nicht auf der Höhe.

 

Aber luzide genug, um zu realisieren, dass er festgehalten und gegen seinen Willen gezwungen wurde, sich in eine Richtung zu bewegen, in die er nicht gehen wollte. „Ich werde nicht zulassen, dass du das machst“, knurrte der Hyūga und zog die Nase kraus wie die Schnauze eines tollwütigen Wolfes. 

 

Shikamaru runzelte über das kalte Misstrauen in diesen Worten die Stirn und war überrascht, wie sehr es ihm einen schmerzhaften Stich versetzte. Irritiert schob er seine Schulter von der Wand weg. „Neji, was zur Hölle soll das? Du hast zugelassen, dass ich dich in ein verficktes Blutbad mit reinziehe und jetzt führst du dich so auf, nur weil-“

 

„Ich werde nicht in euren Wald gehen.“

 

Das ließ Shikamaru schlagartig verstummen. Mit noch immer offenem Mund zogen sich seine Brauen scharf zusammen. „Hah?“

 

Neji ruckte mit dem Kinn. „Dein Zuhause. Es ist mir nicht gestattet.“

 

Machte er Witze? Doch das sture Funkeln in seinen Augen deutete nicht darauf hin. Shikamaru blinzelte ihn an. „Uh. Da gehen wir nicht hin. Und selbst wenn wir das tun würden…“ Mit den Händen deutete er demonstrativ von Kopf bis Fuß auf seinen Körper. „Ich bin deine wandelnde Reisegenehmigung.“

 

„Dein Vater hat es untersagt.“

 

Ruckartig zog Shikamaru den Kopf zurück und blinzelte. „Mein Vater?“

 

„Er weiß es.“

 

„Weiß was?“

 

„Was ich dir angetan habe.“

 

Schock; ein flüchtiger Moment des Versagens seines Hirns, als sein Verstand einfror – und das war alles, was nötig war. Sein Jutsu taumelte. 

 

„KAITEN!“

 

Shikamaru zuckte zusammen, als sich eine Woge blauweißen Chakras in ihn rammte, ihn von den Füßen riss und mit einem markerschütternden Knacken gegen die nächste Gassenwand donnerte. 

 

Er fühlte den Aufprall seines Schädels; ein Ausbruch von Schmerz und ein erschütternder Schock. 

 

Seine Sicht setzte aus. 

 

Finsternis. 

 

Panik flutete durch ihn, gefolgt von dem Rausch etwas weitaus Stärkerem. Schweiß brach auf seiner Haut aus. Chakra flammte in einem vibrierenden Puls auf und füllte seinen Kopf wie zwei Herzschläge, jagte fließend schnell durch seine Meridiane und gerann aufgewühlt zu einem heißen Wirbel in seiner Magengrube; schlagartig, giftig, kraftvoll, ein schwindelerregender Druck, der ihn ausfüllte, seine Knochen beben ließ und durch seine Muskeln vibrierte wie das sich aufbauende Zittern eines Orgasmus. 

 

‚Zeig mir deine Natur.‘

 

Bewusstes Denken brach in sich zusammen. 

 

Shikamarus Augen rollten sich in seinen Schädel und ein Ruck ging durch seinen Körper, als der Druck zerbarst. 

 

Chakra explodierte aus dem Nexus seines Schattens – ein ganzes Nest schwarzer Ranken. Um sich schlagend rissen sie sich wie die Riemen einer Peitsche über Nejis Brust, ließen Haut platzen, vergossen Blut und katapultierten den Jōnin weit in die Luft. Er krachte in eine Rikscha voller Reismehlsäcke und sandte eine weiße Pilzwolke gen Himmel. 

 

Schnappend wie Vipern fügten sich die Schattenranken zusammen und dehnten sich zu einer monströsen Schattenhand aus. Die schwarzen Finger schliffen sich zu der Schärfe von Stecknadeln; bereit dazu, aufzuschlitzen, zu erstechen, abzuschlachten. 

 

‚Wir sind alle Tiere, Shika.‘

 

‚HEY! Konzentrier dich! Komm hierher zurück. Sieh mich an! Shikamaru!‘

 

Asuma?

 

Shikamarus Augen flogen auf. 

 

Die Finsternis implodierte und die Schatten wurden zurück gesogen wie eine Flüssigkeit durch einen Strohhalm. Die Realität rammte sich zurück in sein Hirn, erschütterte die Grundfesten und zertrümmerte die Schwärze und alle Erinnerungen an ihre Präsenz. 

 

Atme!

 

Nach Luft schnappend sackte er gegen die Wand zusammen, als er spürte, wie seine Beine beinahe unter ihm nachgaben. Doch der Rausch von Kraft vollführte einen vollen Kreis und kam zurück zu ihm; jagte seine Beine hinauf bis in sein benommenes Hirn, um ihn von dem nahen Blackout zurück zu holen. 

 

Blackout?

 

Er verzog das Gesicht und griff mit einer Hand nach hinten, tastete an seinem Schädel nach Blut und wusste bereits, dass das einige dicke Beulen geben würde. Musste ein heftiger Schlag gewesen sein, um ihn so zu benebeln. Er war sich ziemlich sicher, dass er für eine Sekunde das Bewusstsein verloren hatte. Aber er fühlte sich seltsam bemächtigt…wach…gesteigert…

 

Die Chakrapille?

 

Doch ihm blieb überhaupt keine Zeit, irgendeinen Sinn daraus zu machen. 

 

Neji war wieder auf die Füße gekommen.

 

Wieder?

 

Wann zur Hölle war er denn gefallen? War das Kaiten nach hinten losgegangen? Das war nicht allzu schwer zu glauben, wenn man bedachte, dass Neji im Moment überhaupt nicht stabil genug war, um eine Ninjutsu Attacke zu kontrollieren oder zu koordinieren. Nicht, dass es ihn in der Vergangenheit aufgehalten hätte, labil zu sein. 

 

Sei lieber vorsichtig.

 

Shikamaru presste sich flach gegen die Mauer und spähte zu dem Hyūga; seine Augen wurden groß. 

 

Du willst mich wohl verarschen…

 

Neji stand von Kopf bis Fuß mit weißem Pulver bepudert da; ein glühendes Gespenst im Mondlicht und er sah aus wie ein rachsüchtiger Geist, der aber nicht in der Lage war, seine lächerliche Erscheinung begreifen zu können, die weit davon entfernt war, angsteinflößend zu sein. 

 

Ein Lachen verfing sich in Shikamarus Kehle; völlig ungebeten und nervös. „Shit.“

 

Blinzelnd hob Neji langsam die Hände und drehte sie hierhin und dorthin, während Reismehl in einem schneegleichen Wirbeln von ihm staubte und sich in den Falten seiner vernichtenden Miene niedersetzte. „Ich glaub’s nicht.“

 

Genauso wenig wie Shikamaru, was seiner Belustigung allerdings nicht die Schärfe nahm. Von all den Dingen, die er hätte vorhersehen können. Konnte diese Nacht eigentlich noch erniedrigender für sie beide werden?

 

„Hey, du hast mich gerade wie mit einer Fliegenklatsche in eine Wand gehämmert, Hyūga“, verteidigte der Schattenninja und stieß sich dabei mit einem Wimmern von der Backsteinmauer ab. „Zumindest bist du weich gelandet.“

 

Und dann sah er das Blut. 

 

Sofort fiel das Schmunzeln von Shikamarus Gesicht und mit drei langen Schritten schloss er die Distanz. 

 

Neji war viel zu beschäftigt damit, sich den Puder von den Armen zu klopfen, um sich überhaupt um das zerfetzte Shirt und die tiefen Schnittwunden auf seiner Brust zu kümmern. „Zuerst diese Pflanze. Und jetzt auch noch die-“

 

Shikamaru packte Nejis Schulter und ließ seine andere Hand über die Brust des Hyūga wandern. Er fühlte die Wärme von Blut auf seiner Handfläche und erbleichte. „Was zur Hölle ist passiert?“

 

Schnaubend schlug Neji seine Hand beiseite; vollkommen unbeeindruckt von dem Blut und dem getroffenen Ausdruck auf Shikamarus Gesicht. Er wuschelte sich mit den Fingern durch die Haare und schickte eine weitere Mehlwolke hinauf in die Luft. „Warum passiert das eigentlich ständig mir?“, knurrte er. „Ich versteh’s nicht.“

 

Genauso wenig wie ich.

 

Shikamaru starrte auf das Blut auf seiner Hand. 

 

Es machte keinen Sinn…wie konnte es sein, dass Neji blutete? Erneut hob er den Blick und musterte die Platzwunden auf der Brust des Hyūga. Sie sahen aus, als wären sie durch das Knallen einer mit Widerhaken versehenen Peitsche zugefügt worden, oder durch die Klauen eines Tieres. 

 

Unmöglich. WIE?

 

Er spähte zu der zerbrochenen Rikscha, musterte die gezackten Kanten des gesplitterten Holzes und ließ eine rasche forensische Analyse ablaufen. Da war kein Blut auf den Brettern und selbst wenn da etwas gewesen wäre; das erklärte nicht, wie diese Schnitte so aufeinanderfolgend sein konnten. 

 

Das ist unmöglich. Es kann einfach nicht sein…

 

Aber hier war der Beweis, schimmernd auf seinen Fingern und schwarz wie Öl im Mondlicht; es befeuerte ein eiskaltes und Übelkeit erregendes Brennen in Shikamarus Innerem. 

 

„Ich habe noch eine offene Rechnung mit meinem Feind“, verkündete Neji und seine tiefe Stimme prallte von den Wänden ab. „Gute Nacht, Nara.“

 

Moment. Was?

 

Rasch sah der Schattenninja auf und bemerkte, dass sich Neji bereits abgewandt hatte und sich in Schlangenlinien einen Weg zurück durch die Gasse bahnte, während er die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt hielt und Mehlschwaden hinter sich her zog wie ein mystisches Leichentuch. 

 

Shikamaru schob seine Verwirrung und seine Fragen beiseite und trabte hinter dem anderen Ninja her, wobei er über umgestürzte Säcke und die zersplitterte Rikscha sprang, um zu Neji aufzuholen. 

 

„Warte, Hyūga. Du kannst ja kaum geradeaus laufen. Du wirst jetzt sicher nicht für eine zweite Runde mit dieser dämlichen Blume zurück in diesen Wald gehen.“

 

Der Hyūga schnellte zu ihm herum und taumelte dabei seitwärts. „Wovon redest du? Ich gehe direkt zurück zum Hyūga Areal.“

 

„Du gehst nach Hause?“

 

„Das habe ich gerade gesagt.“

 

Shikamaru packte Nejis Schulter, um ihn zu stützen und senkte den Kopf, um den Blick aus diesen glasigen Augen einzufangen. „Neji, du hast gerade gesagt, dass du noch eine offene Rechnung mit deinem Feind hast.“

 

Weiße Augen blinzelten ihn an. „Das ist korrekt.“

 

Ein Bild zerbrochener Familienportraits kam in den Sinn und sorgte dafür, dass sich Shikamaru fragte, welches Hyūga Mitglied Neji wohl aus diesem Bild heraus kratzen wollte. Er wollte nicht einmal darüber nachdenken, wie Hyūga Hiashi darauf reagieren würde. 

 

„Shit“, seufzte er kopfschüttelnd. „So kannst du nicht nach Hause gehen, Neji.“

 

Grunzend sah Neji zur Seite weg und schien darüber nachzudenken. „Sehe ich deiner Meinung nach denn blass aus?“

 

Weitäugig blinzelnd musste Shikamaru die Lippen zusammenpressen, um sich beherrschen zu können. Irgendwie schaffte er es, sein Gesicht ruhig und seine Stimme eben zu halten. „Ist dir eigentlich klar, wie schwer es gerade für mich ist, nicht darauf einzusteigen? Du stellst dich heute Nacht wirklich direkt in die Schusslinie, huh?“

 

„Du auch“, erwiderte Neji. „Ich muss mich übergeben.“

 

Gerade noch rechtzeitig wich Shikamaru zur Seite, als sich Neji nach vorn krümmte und würgte, während er eine Hand gegen die nächste Mauer stützte. Ein nasses Klatschen und ein erstickter Versuch, nach Luft zu schnappen, gefolgt von einer brutalen Kontraktion der Wirbelsäule und dem abrupten Zusammenfalten von Beinen. Neji sackte mit beiden Händen an der Wand und geneigtem Kopf in eine Hocke und sein dunkles Haar schwang wie ein Vorhang nach unten über eine Schulter und schirmte sein Gesicht ab. 

 

Shikamaru machte einen Schritt nach vorne; blieb stehen. 

 

Ein weiteres Schaudern bebte durch die breiten Schultern und Neji würgte erneut, als er sich vornüber beugte.

 

Energisch widerstand Shikamaru dem Drang, näher zu treten und beobachtete stattdessen nur schweigend, während sich sein Gesicht mitfühlend verzog; doch es lag auch eine Art schuldbewusster Erleichterung darin. 

 

‚…das Schlimmste, was zu erwarten ist, nachdem die Opiate abgeklungen sind, wird eine heftige Übelkeit sein.‘

 

Nun, zumindest bedeutete das, dass sich die Opiate auf dem Weg hinaus aus Nejis Körper befanden. Er wartete noch einen weiteren Moment, bevor er sich näherte. „Neji“, rief er leise, strich zaghaft mit den Fingern über den Hinterkopf des Hyūga und zögerte, als sich Neji bei der Berührung versteifte. 

 

Wartend ließ er seine Hand schweben. 

 

Ein paar angespannte Herzschläge verstrichen, als beide Ninjas ein weiteres Rucken und Würgen erwarteten. 

 

Ein eisiger Wind wehte durch die engen Straßen, brachte Laternen an ihren Haken zum Schwingen, wühlte Nejis Strähnen auf und jagte ein Prickeln über Shikamarus Haut. Bedächtig zählte der Nara dreißig Sekunden, bis sich Neji endlich entspannte und nach vorn sackte. 

 

Er ließ seine Stirn mit einem dumpfen Klacken gegen die Steinmauer sinken und sein tiefes Ächzen rollte über die Wand. „Diese Nacht…ist so lang…“

 

Leicht schmunzelnd fuhr Shikamaru mit den Fingern durch die pudrigen Mokkasträhnen und ging auf den Fußballen in die Hocke; jederzeit bereit, zurück zu springen, sollte es nötig sein. „Dann lass es einfach gut sein für heute, okay? Du hast meinen Hintern gerade in eine Wand getreten und mit der Rikscha eine ganz schöne Nummer abgezogen. Du gewinnst. Ich verliere. Also, wirst du mich dich jetzt irgendwo hin bringen lassen, wo du zur Ruhe kommen kannst und ich ohnmächtig werden kann?“

 

Scharf hob sich Nejis Kopf von der Wand. „Ruhe…?“

 

„Jo. Ruhe.“ Shikamaru schwankte leicht und rieb mit der Hand über Nejis Rücken. „Klingt gut, oder?“

 

„Jedes Mal…“, wisperte Neji kopfschüttelnd und sein Hitai-ate kratzte dabei über die Backsteine vor und zurück. „Götter…ich kann nicht.“

 

„Du kannst nicht?“

 

„Ich kann nicht…nicht schon wieder…nicht jetzt…nicht, wenn ich so kurz davor bin…“

 

Stirnrunzelnd über diese rauen Worte und ohne wirklich ihrer Bedeutung folgen zu können, drückte Shikamaru Nejis Nacken mit sanften Fingern. „Doch du kannst. Und jetzt ein genauso guter Zeitpunkt wie sonst auch. Du bist durch. Du musst schlafen und ich auch. Vertrau mir, ja? Ich weiß ein bisschen was darüber, Nickerchen zu machen.“ Während er sich aufrichtete, faltete er seine Finger zu dem gewünschten Zeichen und verband ihre Schatten. „Und jetzt entspann dich. Ich helfe dir nur, okay? Kein Ziehen, kein Schubsen und kein gegen die Wand hämmern, ja?“

 

Neji sagte nichts. Aber er widersetzte sich auch nicht. 

 

Tatsächlich hatte der Hyūga sämtliche Kontrolle abgegeben, als Shikamaru sie gemeinsam durch die Tür des neuen Ryokans lief, das als Punkt B auf seiner mentalen Karte markiert war. Und so konnte sich Shikamaru mit dem perplexen Portier herum schlagen, der sie ins Reservierungsbuch eintrug und sie einen dämmrig beleuchteten Gang entlang zu einem Zweibettzimmer im ersten Stock führte. 

 

Kaum war die Tür klickend ins Schloss gefallen, da löste Shikamaru auch schon sein Jutsu. 

 

Neji schwankte nach vorn. 

 

Rasch fing Shikamaru den Jōnin mit dem Rücken ab und schob sich einen Arm des Hyūga über die Schultern, um Neji zum Badezimmer zu führen. „Wenn du auf mich kotzt, dann lass ich dich auf den Boden fallen und trete dir in deinen diamantharten Schädel.“

 

Neji schnaubte irgendetwas Unverständliches. 

 

Schmunzelnd schob Shikamaru sie seitwärts durch den Türrahmen, betätigte den Lichtschalter und ließ Neji gegen den Unterschrank der Spüle sinken. „Wir säubern lieber mal diese Schnitte. Wie ist das denn überhaupt passiert?“

 

Weiße Augen schnellten zusammen mit Nejis Handfläche nach oben. 

 

Aus dieser unmittelbaren Nähe sorgte der Schlag gegen die Brust dafür, das Shikamaru direkt aus dem Badezimmer katapultiert wurde und auf seinem Rücken landete. Atemlos rollte er sich auf die Ellbogen und stierte zu der Silhouette empor, die in der Tür stand. „Wofür zur Hölle war das denn?“

 

Doch Neji grinste nur und schlug die Tür zu. 

 

Geräuschvoll wurde die Dusche angestellt. 

 

Und Shikamaru ließ sich grummelnd zurück auf den Boden sinken, während er im dämmrigen Licht des Zimmers die Einrichtung musterte. Moderne und Tradition verbanden sich in einer seltsamen, aber durchaus akzeptablen Harmonie. Blasse Gipswände statt Shōji Leinwänden und ein kleiner Fernseher im Tokonoma statt der traditionellen Schriftrollenzeichnung oder eines Ikebana-Arrangements. Auf einer Seite des Raumes war anstelle von Fusama Paneelen eine Reihe Glasscheiben angebracht, die einen ruhigen und blättrigen Blick auf einen privaten Ahorn Garten freigaben. Ein bemooster Sockel stand nahe bei der Veranda und trug eine Statue von Kwan Yin; ihre Hände waren aneinander gelegt und die Lippen zu diesem rätselhaften Lächeln erhoben. Ähnlich, aber nicht ganz wie das Bildnis zuhause. 

 

‚Dein Zuhause. Es ist mir nicht gestattet.‘

 

Scharf sog Shikamaru die Luft ein und setzte sich auf; die plötzliche Enge in seiner Brust gehörte auf keinen Fall zu dem Schlag, den er gerade hatte einstecken müssen. Er spürte deutlich, wie der Krampf immer tiefer ging – direkt bis in sein Innerstes; eine kalte Faust, die seine Eingeweide verdrehte, als er über das nachdachte, was Neji vorhin gesagt hatte. 

 

‚Mein Vater?‘

 

‚Er weiß es.‘

 

‚Weiß was?‘

 

‚Was ich dir angetan habe.‘

 

Wie? Das konnte einfach nicht stimmen. Sein alter Herr hätte irgendetwas gesagt. Irgendetwas getan. 

 

Hat er das?

 

Und wenn er wirklich wusste, was Neji getan hatte, es aber nie verraten hatte…was zur Hölle wusste er dann sonst noch?

 

Shikamaru schluckte heftig und sein Gesicht wurde doppelt so blass wie diese leblose Statue. Grauen sank tief in seine Magengrube und sandte eiskalte Wellen der Angst aus – Angst, die sich in einem ungesehenen Schaudern bis in die entferntesten Winkel des Zimmers ausbreitete und die dunkelsten Schatten wach rüttelte.

 
 

~❃~
 

 

Finsternis; vollkommen und verschlingend und überall…

 

Er hing; eine Fliege gefangen in einem Spinnennetz, sein Körper gefesselt, aber nicht mit Ketten, nicht mit Leder, nicht mit den gepolsterten Manschetten, mit denen sie ihn im Krankenhaus an das Bett geschnallt hatten. Nein. Diese Handschellen waren schwarz – ohne Textur, aber nicht ohne Substanz. Seltsame dunkle Ranken, die sich um seine Handgelenke wickelten, seine Taille, seine Schenkel und Knöchel. 

 

Wo bin ich?

 

„Mach dich wieder mit der Kontrolle vertraut, die ich dir überlasse.“

 

Neji kannte diese Worte, aber nicht die Stimme. Es war nicht Ibikis tiefer Bariton. 

 

Also wer dann?

 

„Weißt du es nicht?“

 

Finger fuhren durch sein Haar und hoben seinen Kopf aus dem schläfrigen Nicken. Seine Wimpern öffneten sich flatternd, aber alles, was vor seinen Augen verschwamm, waren Schatten und Silhouetten.

 

Wo bin ich?

 

„Wo willst du denn sein?“, schnurrte die körperlose Stimme; leise, männlich, aber die Klangfarben waren so flüchtig und wisperdünn wie Rauch – unmöglich, einen Akzent, eine Kadenz, ein Timbre, irgendetwas daraus entschlüsseln zu können.

 

Lippen strichen über seinen Wangenknochen, dann Zähne. 

 

Neji zuckte zurück und fühlte, wie sich etwas um seinen Hals festzog. Eine Hand schoss nach oben, um seinen Kiefer zu packen und riss sein Gesicht zurück. 

 

„Halte auch die andere Wange hin, Neji“, fauchte die Stimme. „Ich brenne darauf, dir deinen unverschämten Kopf wieder zurecht zu rücken.“

 

Hyūga Hitaros Worte. Aber nicht seine Stimme. 

 

Verwirrt versuchte Neji, sich zu bewegen, fühlte aber nur, wie sich die Fesseln straffer zogen und seine Blutzirkulation abschnitten, bis er den Druck hunderter winziger Nadelstiche spürte, der sich in seinen Händen und Beinen aufbaute.

 

Unmöglich. Warum kann ich nicht…?

 

„Klotz am Bein, Neji.“

 

Asuma…?

 

Die Hände glitten von seiner Haut. Eine von vollkommenem Schwarz verschleierte Gestalt umkreiste ihn und schien wie ein Geist durch die hängenden Fesseln zu gleiten; befreit und ungehemmt von der Finsternis. Aber da war nichts Solides, nichts Gewisses. 

 

„Denn du hast nichts mehr. Nichts mehr übrig. Nichts zu übergeben. Nichts und niemanden aufzugeben.“

 

Kakashi.

 

Noch einmal versuchte Neji, sich zu bewegen, wimmerte angesichts des heftigen Schmerzes und war nicht in der Lage, auch nur das kleinste Bisschen Freiraum zu erlangen. 

 

Bin ich immer noch in Ibikis Genjutsu? Habe ich diesen Verhörraum jemals verlassen? Warum bin ich immer noch hier?

 

„Du hast meinen Sohn angegriffen.“

 

Geschockt verließ sämtliche Luft Nejis Lungen, doch bevor sein Hirn in absolute Panik verfallen konnte, brachte der Klang dieser Stimme seinen Verstand zu einem schlitternden Halt. Schon wieder. Es waren Shikakus Worte, aber nicht seine Stimme. 

 

„Oder warst du es, der ihn angegriffen hat?“, ertönte die Stimme erneut. „Ich bin neugierig.“

 

Wovon zur Hölle redest du?

 

„Körper sprechen auch.“ Ein zitternder Atem gegen Nejis Schulterblatt, eine Hand die seine Wirbelsäule hinauf geisterte, wand sich um sein Haar und schob es beiseite. „Deine Worte. Nicht meine.“

 

Wer bist d-!“ Nejis Knurren brach mit einem Keuchen ab, als sich Lippen um den empfindlichen Wirbel an der Wurzel seines Nackens legten und sich Zähne in die Haut gruben. 

 

Lust sengte sich durch ihn, beschränkte sich nicht einfach nur auf seinen blinden Fleck, sondern breitete sich strahlenförmig aus. 

 

Mit aller Kraft wehrte er sich gegen die Fesseln, fühlte das leise heisere Lachen, das über seine Halsbeuge fächerte und dem das nasse Streicheln einer Zunge folgte. „Du bist schwach, wenn du mit mir zusammen bist. Das warst du schon immer. Das wirst du immer sein.“

 

Nejis Augen zuckten verwirrt und sein Atem wurde abgehackt, als Erregung den Zorn überlagerte, der Vernunft überlagerte. Kopfschüttelnd versuchte er, sich zu konzentrieren und bemerkte, wie sich die schwarzen Bindungen um ihn herum lockerten und in einem Flattern seine Arme und Beine hinunter streichelten. Liebkosend, lockend…

 

Kontrollierend…

 

Kontrolle. 

 

Mit brüllendem Verstand wölbten und verknoteten sich Nejis Muskeln in einem aussichtslosen Kampf, der ihm nichts brachte – außer, dass die Lähmung, die er spürte nicht länger den Ranken geschuldet war, die sich um seinen nackten Körper schlängelten und seine Haut in Brand steckten, seine Sinne in Reben dunkler Begierde verhedderten, bevor sie ihn nach unten zerrten und flach hinlegten. 

 

Nein…das ist nicht real…das ist nur in meinem Verstand…

 

Und dann spürte er, wie sich diese Ranken um die granitenen Muskeln seiner Schenkel wanden, seine Beine auseinander zogen wie zwei feste Marmortore; sein Widerstand brachte in seiner Anstrengung Knochen zum Knacken und Gefäße zum Platzen, vergoss Blut und verursachte Quetschungen. Er konnte spüren, dass diese Präsenz in der Nähe schwebte, fühlte das Brennen von Augen, die über seine Haut wanderten. 

 

Wer auch immer du bist, ich werde dich verfickt nochmal zerreißen…

 

„Was für eine traurige Wortwahl“, schnurrte die Finsternis. „Vor allem jetzt, da ich dich unter mir habe.“

 

Nejis Augen flogen weit auf; seine eigenen Worte. Worte, die er geknurrt hatte; und zwar zu…

 

Oh Gott nein…

 

Und dann schmolz die Finsternis vor seinen Augen zurück, floss wie Öl über die harten sehnigen Grate eines scharfkantigen Körpers, glitt in einem langsamen Bluten über olivfarbene Haut, strich aalglatt zurück über Torso, Hüften und Schenkel, als die Gestalt auf ihn herab sank und sich wie aus schwarzen Wassern löste. 

 

Nejis Blut verwandelte sich zu Eis. „Shikamaru…“

 

Obsidianaugen sahen zu ihm herab, reflektierten nichts außer Nejis eigenes Gesicht. Die Lippen des Schattenninjas kräuselten sich in einem langsamen, scheußlichen Feixen. „Meine Narben aufreißen, huh? Ich glaube nicht, dass du mich jemals brennen lassen wolltest, Hyūga…du wolltest mich nur bluten lassen.“

 

Fassungslos konnte Neji einfach nur starren; hypnotisiert von dem Horror dieser Worte, von dem Horror dieser Stimme, als sie ihre vertrauten rauchigen Nuancen annahm und ihr trockenes, locker gedehntes Sprechen. Sie rauschte über seine Haut wie Asche und Rauch.

 

Das ist nicht real…

 

„Träume fühlen sich nicht so an, oder?“

 

Nejis Herz pochte. Noch mehr seiner eigenen Worte, die zurück zu ihm geworfen wurden; sie flossen eiskalt von diesen grinsenden Lippen, durchgekaut und ausgespien – vollkommen aus dem Kontext gerissen, vollkommen außer Kontrolle, vollkommen anders als…

 

Du bist nicht Shikamaru…

 

Eine dunkle Braue zuckte nach oben, die Geste so vertraut und dennoch so erschreckend fehl am Platz. „Ach nein? Ich mache genau dasselbe, was er mit dir gemacht hat“, triezte der Schattenninja, beugte sich nach unten und brachte ihre Hüften mit einer langsamen Reibung zueinander. „Ich nehme mir, was er dir genommen hat.“

 

Nejis Atem rasselte bei der Berührung und seine Finger ballten sich zu Fäusten. „Er hat genommen, was ich ihm gegeben habe. Weil ich mich dazu entschieden habe, es ihm zu geben.“

 

„Oh, na klar“, raunte Shikamaru, lehnte sich herab und ein anzügliches Lächeln verzog seine Lippen. „Du hast es ganz wunderbar gegeben. Aber das ist nicht alles, was du mir geben wolltest, nicht wahr?“ Mit den Fingern fuhr er die Innenseite von Nejis Schenkel hinauf, krümmte einen Daumen und strich mit der leicht schwieligen Kuppe über die Unterseite der geschwollenen Länge des Hyūga, bis seine Berührung den feuchten Schlitz erreichte. „Du wolltest ebenso gut geben, wie du erhalten hast, nicht wahr?“

 

„Nicht so“, zischte Neji zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und stemmte sich mit aller Kraft gegen die Schatten, als sie sich fester zurrten, sich wie schwarze Boas bewegten und sein Blut zum fauchen und spucken brachten. „Niemals so.“

 

„Ach nein?“ Shikamaru hob eine Hand und saugte die salzige Flüssigkeit von seinem Daumen. „Ich kann schmecken, wie sehr du mich willst.“

 

„Nicht so.“

 

„Wie willst du mich dann, Neji? So?“

 

Die Schatten erschlafften, glitten davon, veränderten ihren Fluss und wechselten ihr Ziel, schlangen sich über Shikamarus Arme und um seinen Körper, rissen ihn von Neji herunter und auf seine Knie, wickelten sich um seine Kehle, Handgelenke, Schenkel und banden ihn so fest, dass sie sich in sein Fleisch schnitten, Haut zersägten, Blut vergossen und Atem zertrümmerten…

 

Hör auf! Shikamaru!“ Neji schrie die Worte heraus, aber sie hatten keine Stimme. Er versuchte, sich zu bewegen, musste aber feststellen, dass er es nicht konnte, obwohl er wieder frei war. Nein. Es war nur eine Illusion der Freiheit. Er war paralysiert, machtlos, unfähig zu…

 

Beschützen…

 

Beschützen?“ Shikamaru spie das Wort aus und seine Stimme zog sich zu einem erstickten Rasseln zusammen, als sich die Schatten noch fester um seinen Hals straff zogen. „So wie damals, als du ein Kind warst und nichts mehr wolltest, als etwas zu beschützen, von dem du niemals hoffen konntest, es zu retten.“

 

Diese Worte – Hitaros Worte – peitschten sich über Nejis Herz wie die Schattenranke, die sich knallend über Shikamarus Gesicht schlug und die straffe Haut über dem Wangenknochen aufplatzen ließ. 

 

Blut spritzte auf Nejis Bauch. 

 

HÖR AUF!

 

Die Finsternis schwoll an, wurde stärker und lebendig mit einem plötzlichen Empfindungsvermögen; es nährte sich von seiner Angst, seiner Panik, seinem Schmerz. „Triff deine Wahl“, donnerte die Finsternis und sprach dabei in so vielen verschiedenen Zungen, dass sie zu einem verzerrten Stimmengewirr verkam. „Was wirst du wählen? Deine kostbare Freiheit oder aber deine größte Schwäche? Das Nichts, das du anstrebst oder aber das Bedürfnis und die Begierde, die du nicht aufgeben kannst?“

 

GENUG!

 

„Entscheide dich JETZT.“

 

Zwei schwarze Schattenhände schoben sich um Shikamarus Hüften, glitten nach unten, um die Haut des Nara mit den höhnischen Berührungen eines Liebhabers zu liebkosen, obwohl sich das schwarze Seil um seinen Hals immer weiter zuzog, seinen Atem erstickte und gnadenlos das Leben aus diesen dunklen, weit entfernten Augen sog…

 

Neji brüllte verzweifelt in die Schwärze.

 

LASS MICH LOS! LASS MICH-

 

„Ihn retten?“, keuchte der Schattenninja und seine Worte und Stimme wurden von dem Klang von Nejis eigenerStimme, seiner eigenen Worte verdunkelt, die aus den blauen und leblosen Lippen des Schattenninjas flossen. „Du kannst niemanden retten, der sich nicht helfen lassen will.“

 

SHIKAMARU!

 

„Du Narr“, lachte die Finsternis. „Ist das deine Wahl?“

 
 

~❃~
 

 

Lauter als ein psychischer Schrei hämmerte sich der von Neji durch alle fünf Schlafebenen und riss Shikamaru zu fuchtelndem Bewusstsein. Schlagartig erwachte er und Arme und Beine hoben sich von dem Bett, als sich der Schattenninja instinktiv zur Seite rollte und krachend auf dem Boden landete. 

 

Arrgh…

 

Schmerz schoss durch seinen Arm und dämpfte die Alarmglocken, die in seinem Kopf schrillten. „Gott verdammt…“, knurrte er und schüttelte sich die Watte aus seinem Hirn, bis ihm auffiel, was ihn eigentlich geweckt hatte. 

 

Neji.

 

Fluchend stemmte er sich auf die Knie und streckte seinen Kopf wie ein Erdmännchen nach oben, um den Raum zu scannen, bis sein Blick auf Nejis Hinterkopf fiel. Der Hyūga saß stocksteif auf der Kante des gegenüberliegenden Bettes, hatte den Kopf in beiden Händen vergraben und atmete schwer; er war ganz eindeutig von irgendetwas erschüttert. 

 

Schlagartig besorgt und alarmiert schoss Shikamaru geradezu auf seine Füße und umrundete mit langen Schritten das Bett. „Neji?“

 

Aufgeschreckt taumelte Neji auf die Beine; eine betrunken und desorientiert wirkende Bewegung, während er warnend einen Arm nach außen schnellen ließ. „Nicht.“

 

Mit erhobenen Handflächen und weiten Augen hielt Shikamaru inne. „Okay“, murmelte er. „Alles gut.“

 

Nicht okay. Gar nicht gut. 

 

Der Hyūga stolperte einen Schritt nach hinten und seine geweiteten Augen schnellten umher, suchten die Ecken des Raumes ab. Shikamaru beobachtete ihn wachsam, die Hände noch immer erhoben und den Körper leicht nach hinten geneigt. War Neji immer noch im Delirium? Wie lange war er weg gewesen? Oder eher, wie lange waren sie beide weg gewesen? Shikamaru warf einen raschen Blick zum Fenster und sah, dass der Mond noch immer hoch stand, aber der Himmel schien etwas blasser zu sein. Es konnte nicht mehr als maximal eine halbe Stunde her sein, seit sein Kopf auf dem Kissen aufgeschlagen war. 

 

Er hatte gewartet, bis Neji auf dem anderen Bett zusammengebrochen war, bevor er zugelassen hatte, dass der Schlaf auch ihn übermannte. Er war schnell gekommen, hatte sich über sein Hirn gestohlen und alle mentalen Zahnräder gestoppt, um sie davon abzuhalten, über das, was Neji über seinen Vater gesagt hatte, durchzudrehen. 

 

Kümmer dich später darum.

 

Seine Aufmerksamkeit kehrte zu Neji zurück. Der Hyūga stand wie angewurzelt da und stierte in die entfernteste Ecke des Raumes; oberkörperfrei und schlafzerzaust und seine übliche Miene stählerner Kontrolle war von etwas weit Wilderem und Unsichererem ausgelöscht. Die Schnitte auf seiner Brust waren gereinigt und verbunden worden und ein paar einzelne Blutflecken besprenkelten die Mullbinden. 

 

Kein Grund für noch mehr Schaden heute Nacht…

 

Angestrengt schätzte Shikamaru die Unvorhersehbarkeit der Situation ein und versuchte es dann noch einmal. „Neji.“

 

Beim Ruf seines Namens brach Neji aus seiner Trance und wirbelte herum. 

 

Ihre Blicke streiften sich; verbanden sich nicht wirklich. Neji war noch immer nicht hier, nicht vollständig; seine Augen zogen sich auf Shikamaru gerichtet zusammen, als wollten sie etwas entschlüsseln. „Shikamaru?“

 

Die Frage ließ Shikamarus Kopf nach hinten rucken, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. Er setzte ein amüsiertes Schmunzeln auf, um seine wachsende Sorge irgendwie in Schach halten zu können und breitete die Hände etwas weiter aus. „Gut beobachtet, Hyūga.“

 

Für eine lange qualvolle Sekunde stierte Neji ihn einfach nur an ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Sein Körper nahm die unheimliche Regungslosigkeit eines bedrohten Tieres an – oder eines, das jeden Moment angriff. 

 

Shikamarus Eingeweide verkrampften sich und er kämpfte den Drang nieder, sich zurück zu ziehen. „Neji?“

 

Kein Ausfallschritt, kein Sprung, kein brutaler Satz. 

 

Die Spannung verschwand aus der Haltung des Hyūga und schwer ließ sich Neji auf den Rand des Bettes sinken. Er stellte die Ellbogen auf den Knien ab und fuhr sich zitternd mit den Fingern durch sein Haar. „Kami…“, wisperte er. 

 

Shikamarus Atem geriet heftig ins Stocken. 

 

Zur Hölle damit.

 

Er ließ jede Vorsicht fahren und näherte sich mit einem halben Schritt nach dem anderen. Neji machte keinerlei Anstalten, ihn aufzuhalten, gab überhaupt nichts von sich, um zu signalisieren, dass er sich bedroht fühlte oder aggressiv war. 

 

Erleichtert schloss Shikamaru die verbliebene Distanz und ging vor dem Jōnin in die Hocke, während tiefe Sorge seine Stirn in Falten legte. „Rede mit mir, Neji.“

 

Beinahe sofort hoben sich weiche lunare Augen und glitten mit solch verwirrter Verzweiflung über Shikamarus Gesicht, dass sich der Schattenninja vollkommen verloren fühlte und nicht wusste, wie er diesem Ausdruck begegnen sollte. Aufmerksam musterte er Nejis Gesicht, sah die Fragen und die Unsicherheit, die dort brannten, verstand aber nicht, wonach gefragt wurde. 

 

„Was?“, hauchte Shikamaru. „Was ist es? Was ist lo-“ Seine Worte erstarben schlagartig in seiner Kehle, als Nejis Finger über seinen Wangenknochen strichen. Die blassen Glieder zuckten, als hätten sie Eis berührt, wo sie eigentlich Feuer erwartet hatten. 

 

„Grausam…“, murmelte Neji und sein Gesicht verdrehte sich mit einer unnennbaren Emotion. „Sie können meinen Verstand ruinieren. Ihn dazu bringen, meine Vergangenheit auszugraben. Meinen Vater gegen mich verwenden. Mich erniedrigen. Mir meine Kontrolle nehmen. Aber mich so zu quälen, ausgerechnet mit…?“ Er schüttelte den Kopf und das leise Rascheln seiner Strähnen sandte taumelnde Schatten über sein Gesicht. „Gott, warum?

 

Wie ein einziges Wort so viele alte Wunden aufreißen und so viele neue schlagen konnte. 

 

Warum?

 

Shikamaru verkrampfte den Kiefer und schluckte hart gegen den lähmenden Schmerz in seiner Kehle an und konzentrierte sich auf Interpretieren, nicht Intuition; Denken, nicht Fühlen.

 

Traum, Albtraum, verrückte Gedanken. 

 

Er hätte davon ausgehen müssen, dass die Opiate Nejis Träume in ein psychedelisches Chaos verwandeln und ihn weit genug verstören würden, um ihn glauben zu lassen, er würde den Verstand verlieren. 

 

„Es ist okay“, beruhigte Shikamaru und legte seine Finger locker um Nejis Handgelenk, um das Hämmern des Pulses spüren zu können. „Du verlierst nicht deinen Verstand. Du verlierst nicht die Kontrolle. Das sind nur die Opiate, die ihr Ding abziehen. Das macht dich einfach etwas verwirrt. Es wird vorbei gehen, ich verspreche es. Es ist nichts.“

 

Nichts…ich sollte eigentlich nichts mehr übrig haben…“ Neji drehte sein Handgelenk aus Shikamarus losem Griff und streichelte liebevoll die Seite von Shikamarus Gesicht; so sanft, als würde er einen Geist berühren. Als befürchtete er, seine Hand würde vielleicht direkt durch die Illusion dringen und sie zersplittern lassen. „Nichts zu übergeben. Nichts und niemanden aufzugeben…aber wenn sie wüssten, dass ich…Nein, das ertrage ich nicht…“ seine Stimme wurde schwerer und bebte. „Ich kann nicht.“

 

Wortlos schüttelte Shikamaru den Kopf, da er nichts verstand außer den wachsenden kummervollen Schmerz in seiner Brust. Er versuchte darüber nachzudenken, was er sagen, was er tun sollte, um dieses zerborstene Gefühl zu richten, das sich festzusetzen begann und die Grenzen aufbrach, das Atmen erschwerte und es noch viel mehr als das erschwerte, sich von Nejis Berührung zurück zu ziehen. 

 

Stop. Mach das nicht. Nicht jetzt. Nicht schon wieder. Reiß dich zusammen.

 

Instinktiv streckte er eine Hand nach Neji aus, um diese Rettungsleine zu finden, indem er den Nacken des Hyūga packte und hart zudrückte, wobei er sich nicht sicher war, wen von ihnen er eigentlich damit zu erden versuchte. „Neji, was auch immer es ist, was auch immer gerade abgeht, es ist nur die Angst die gerade zu dir spricht. Du wirst das überwinden. Das tust du immer.“

 

„Weil ich es immer musste.“

 

„Nein, weil du dich immer dazu entschieden hast.“

 

Entscheiden…Wahl“, spie Neji bebend aus. „Was bedeutet schon eine Wahl, wenn ich nicht in der Lage bin, zu retten, was für mich…zu beschützen, was für mich…meine Freiheit ist…“ Bei den letzten Worten geriet er ins Taumeln und wurde stocksteif mit Zögern; ein Ausdruck wilder Bestürzung jagte über sein Gesicht und ließ seine Stimme brechen. „Kami…es muss doch meine Freiheit sein…“ Aufgeschreckt blitzten diese Mondsteinaugen auf und richteten sich starr auf Shikamarus Gesicht, bevor sie davon zuckten, als hätten sie sich daran verbrannt. „Es muss so sein.“ Panik und Begreifen dämmerten, erhoben sich hinter dem Nebel in seinem Blick wie das kämpfende Licht einer ersterbenden Sonne. „Es muss so sein…“, wisperte er wie ein Mantra, musste sich dabei abmühen und sein Atem wurde schwerer. „Es muss so sein.“

 

Shikamaru schluckte den Atem, der sich in seiner Kehle verfangen hatte und konnte nur hilflos zusehen. Scheiße; was zur Hölle hatte Neji geträumt, dass er derart aufgewühlt und erschüttert war? Diese ‚sie‘, die Neji erwähnt hatte, konnten sich auf jeden beziehen, obwohl der Schattenninja nur zwei Parteien in Betracht zog. Die Hyūga Ältesten oder – 

 

ANBU.

 

Shikamaru versteifte sich ruckartig und fühlte, wie ein Frösteln durch ihn kroch, dem rasch eine heiße Flut aus Zorn folgte, als sich seine Augen verdunkelten, sein Kiefer verhärtete und die Worte zurückhielt, die seine Kehle überschwemmten. 

 

Du wahnsinniger Bastard. Hast du es wirklich getan? Hast du ihr Angebot angenommen? Hast du dein Leben weggegeben?

 

Er ballte eine Hand zur Faust und verspürte den bösartigen Drang, sie auch zu schwingen. 

 

Doch dann fixierte sich sein Blick wieder auf den Zwiespalt, der durch Nejis Augen huschte. 

 

Seine Finger lockerten sich wieder und der Zorn löste seinen wilden Knoten. Und in diesem Moment wollte er nichts mehr – trotz des Zorns und trotz des Schmerzes – als in den Verstand des Hyūga zu greifen und all diese Dämonen dort heraus zu reißen. Wollte dafür sorgen, dass es aufhörte. Wollte dafür sorgen, dass es alles verschwand. Aber alles, was er tun konnte, war, mit den Fingern durch Nejis Haar zu streichen und diesen sturen Kopf zu packen, um ihre Stirnen aneinander zu legen. 

 

„Sssh. Neji.“ Er hielt inne und zwang sich dazu, die Worte an seinen Zähnen vorbei zu pressen. „Du wirst tun, was auch immer notwendig ist. Und du wirst Erfolg haben. Alles in riesigen Sätzen und Sprüngen und furchtlos Hyūga verrückt, weil-“

 

„Ich habe keine Angst davor zu sterben, Shikamaru.“

 

Und da waren sie…diese traurigen Worte, die Shikamaru mit Kälte überschütteten. Sie spülten all die vergeblichen Funken des Zorns aus Shikamarus Blut und ließen ihn wieder einmal eiskalt zurück. 

 

‚Ich habe keine Angst davor zu sterben, Shikamaru.‘

 

Eine ausweidende Wahrheit, die Shikamaru am eigenen Leib miterlebt hatte. Und immer seit dem ersten Mal, seit er es gefühlt hatte, saßen diese Furcht und der Kummer, die diese Wahrheit hervorrief, wie ein Krebsgeschwür in den Tiefen seines Herzens. Es nahm niemals ab, völlig ungeachtet der Distanz und der Zeit, die er zwischen sich und Neji zu schieben versuchte…es war immer da und fraß ihn jedes Mal auf, sobald sich seine Gedanken Neji zuwandten; und dem Pfad, den der Hyūga gewählt hatte. 

 

ANBU…der Käfig, den du wählen musstest…nicht wahr? Deine Freiheit…dein Sarg…

 

„Ich habe keine Angst“, sagte Neji noch einmal. „Nicht vor dem Tod…“

 

Dunkle Augen schlossen sich krampfhaft. „Ja“, wisperte Shikamaru. „Und das über dich zu wissen, jagt mir noch immer eine Todesangst ein, Neji.“

 

„Wenn das wahr ist…“

 

„Es ist wahr“, knurrte Shikamaru und kämpfte heftig darum, seine Stimme eben zu halten. Aber das verräterische Brennen in seinem Rachen kroch immer höher und stach sich in die Rückseiten seiner Augen. Er mahlte mit den Kiefern, versuchte sich an einem Lächeln und sein tiefer sorgenvoller Kummer zeichnete sich weich darin ab. „Schätze, das ist ein abartiger Punkt für dich, Hyūga…“, raunte er. „Du zerreißt mich noch immer.“

 

Nejis Augen drifteten nach oben. Für ein paar atemlose Sekunden musterte er den Schattenninja und strich mit seinen Fingern über Shikamarus Lippen, um der kummervollen Kurve seines Lächelns zu folgen. „Dann sind wir gleichauf, Shikamaru. Denn für dich zu empfinden, wie ich es tue, zerbricht mich noch immer.“

 

Shikamaru erstarrte mit einem scharf eingesogenen Atem. 

 

Er hätte sich in dem Moment zurückziehen sollen, als er diese Worte hörte. Hätte sie wieder in die Richtung des Humors lenken sollen, zurück auf stabileren Boden, zurück zu einem sichereren Ort als den, in den sie beide von diesen verbotenen Geständnissen hinein gezerrt wurden. Er hätte aufhören, sich zurückziehen und zur Hölle davon rennen sollen. 

 

Doch er tat nichts von diesen Dingen. 

 

Denn in der Sekunde, als er versuchte, sich fort zu ziehen, drängte sich die Sehnsucht noch stärker durch ihn, steuerte seinen Körper wie an unsichtbaren Fäden, zog ihn vorwärts, als seine Hände zu beiden Seiten von Nejis Hüften über die Matratze glitten, während sich sein Körper erhob und sein Kopf senkte. 

 

Opalaugen beobachteten ihn durch einen Schleier aus Wimpern; ein flüchtiges Flackern von Luzidität schnitt sich wie ein Blitz durch den benommenen Dunst. „Du zerbrichst mi-“

 

Shikamaru legte ihre Münder aufeinander und spürte, wie Nejis Atem gegen seine Lippen brach. Der Klang davon stahl ihm sämtliche Luft aus den Lungen, drückte sein Herz und er keuchte, während er ihre offenen Münder in einer langsamen Liebkosung übereinander strich und seine Zunge nach außen geisterte, um das Brennen zu nähren; eine Berührung flüssigen Feuers auf ihren Lippen. 

 

„Atme mich“, seufzte er in den Kuss, hörte, wie das Kommando in einem gehauchten Stöhnen zu ihm zurückhallte, als sich ihre Zungen berührten, miteinander verschlungen und zusammenstießen. 

 

Denn ich brauche es noch immer, dass du das tust…weil mich das noch immer umbringt…und Gott…ich sehne mich noch immer so sehr danach…

 

Wimpern schlossen sich und ein Ausdruck der Ekstase huschte über Shikamarus Gesicht, als er den Kopf neigte und mit den Fingern durch Nejis Haar fuhr, bevor er leicht daran zog, um diesen geschwollenen Mund direkt unter seinen eigenen zu führen, während seine Zunge tief eintauchte und sich langsam zurück zog. 

 

Mehr…

 

Getrieben zerrte Shikamaru sie auf das Bett, legte seine Hände zu beiden Seiten von Nejis Kopf auf die Matratze und erschauerte kraftvoll, als Muskeln mit dem Weh eines alten Fiebers spielten; ein tiefes Gefühl der Sehnsucht, das brannte – immer. Direkt unter der Oberfläche seiner Haut. Direkt unter der Oberfläche von jedem Lächeln, jedem Blick, jedem flüchtigen Augenblick…

 

Bedürfnis…Begierde…

 

Er wurde damit lebendig. Hart und heiß damit. Brauchte mehr als er nehmen konnte, brauchte mehr, als er geben konnte. 

 

Geben…

 

Etwas, das er zu geben hatte…und Kami wusste, er konnte es nicht…das letzte Mal, als er es gewollt hatte…

 

‚Willst du, dass ich tiefer gehe? Willst du mich in dir spüren?‘

 

Furcht flatterte seine Kehle hinauf und rasselte leise in seinem Atem. 

 

Neji knurrte angesichts des Klanges, fing Shikamarus Lippen mit seinen Zähnen ein und übernahm die Kontrolle über den Kuss, als er mit beiden Händen das Gesicht des Schattenninjas umfasste und den Nara weiter nach unten zog, während seine Zunge nach oben stieß; ein dominantes Gleiten des feuchten Muskels, der tief und langsam streichelte, heiß und nass und einen weit erotischeren Akt imitierte. Es ließ Shikamaru angeschwollen, atemlos und mit einem glühenden Aufstieg zum Orgasmus zurück – und das nur von einem Kuss.

 

Fuck…

 

Keuchend riss er seinen Mund fort. Er rang nach Atem und war sprachlos über die Intensität seiner Körperreaktion. Als Nejis Zähne zärtlich über seinen Hals kratzten, beugte er den Kopf und unterbrach den Kontakt. „Du…denkst…nicht klar…“

 

Scheiße, ICH denke nicht klar…

 

Während er sich gegen das Kopfbrett aufsetzte, erholte sich Neji weit schneller als der Nara; sein Atem wurde tiefer und beständiger. „Kümmert mich nicht.“

 

„Ssh“, beruhigte Shikamaru gegen seinen Mund und lehnte seine Stirn gegen Nejis. 

 

So verfickt dämlich; wieder zu beginnen, wovon er doch wusste, dass er es nicht aufhalten konnte. Es war die eine Sache, zu wollen, zu brauchen, zu träumen, zu ersehnen…und eine ganz andere, auch danach zu handeln. Es zu nehmen. Es zu geben.

 

Nein.

 

Ein plötzliches Frösteln nahm seiner Erregung die Schärfe; eine Dosis kalter Vernunft in aufgeheiztes Blut und ein lahmgelegtes Hirn. Er hauchte einen liebevollen und nachhallenden Kuss zwischen Nejis Brauen. „Es wird dich kümmern…du wirst ausnüchtern und dann wird es dich verfickt sehr kümmern…du wirst angepisst sein…und ich werde…“

 

In dämlichen, sinnlosen Teilen und Bruchstücken verstreut sein…

 

Und er war gerade erst damit fertig geworden, sich nach Asuma wieder halbwegs zusammenzusetzen…und trotzdem…die Risse waren immer noch so…

 

Ich kann nicht…

 

Krampfhaft schloss er die Augen

 

Bevor er sich zurückziehen konnte, fing Neji Shikamarus Kinn mit den Fingern ein und drängte diese Augen mit einem Kuss über geschlossene Lider dazu, sich zu öffnen. Aufmerksam musterte er die kafffeebraunen Seen und der leichteste Hauch eines Stirnrunzelns grub sich zwischen seine Brauen. „Rede mit mir, Shikamaru…“

 

Das sanfte Murmeln bewegte sich wie eine Welle durch Shikamaru, wühlte Geister auf und rollte über Gräber, wusch Worte an Land, die mit einer Trauer drohten, von der er nicht genug Zeit oder genug Tränen hatte, um sie durchleiden zu können. Es war zu viel, als dass er es ertragen könnte, zu viel Ärger, damit umzugehen…

 

‚Ich kann mich aus dem Ärger herausholen, in den ich mich gebracht habe. Ich habe keine Angst vor Ärger.‘

 

‚Ich habe keine Angst davor zu sterben, Shikamaru.‘

 

‚Zumindest weiß ich, dass du nicht so dumm bist, dem Feind in die Hände zu spielen und zu sterben. Als dein Vater, bin ich dankbar dafür…ich bin stolz, dein Vater zu sein…aber-‘

 

‚Ich werde mich doch nicht opfern, keine Sorge mein Freund. Ich habe doch dich, gemeinsam sind wir beide stark.‘

 

‚-Asuma ist tot…‘

 

Stop…

 

‚Lass es doch mal raus, Junge.‘

 

Die Stimme seines Vaters stach sich wie ein Speer mit Widerhaken in sein Herz. 

 

Ich weiß nicht wie…du hast es mir nie gezeigt…wie..wie man…

 

Emotionen stiegen in ihm auf und krochen in seine Brust, seine Kehle, seine Augen. „Ich…“

 

„Shikamaru?“

 

Er drehte seine Lippen gegen Nejis Handfläche und seine Stimme kratzte roh hervor. „Ich weiß, ich habe später gesagt…aber später ist immer noch zu bald…“

 

Neji umfasste seinen Kiefer und strich mit einem Daumen unter ein dunkles Auge. „Sieh mich an.“

 

Schwer schluckend hob Shikamaru den Blick und Kummer zog an seinen Augenwinkeln. „Ich kann dort nicht hingehen, Neji. Es braucht alles, was ich habe, um meinen Scheiß irgendwie zusammenzuhalten; genau hier und jetzt mit dir…wenn ich an Asuma denke…“ Er hielt inne und die Muskeln in seinem Kiefer zuckten heftig, als dunkle Wimpern gegen das Brennen nach unten fielen. „Ich kann es mir nicht leisten, das zu tun. Nicht mit dieser Mission. Nicht, wenn ich einen klaren Kopf behalten muss.“

 

„Hier geht es nicht nur um Asuma“, sagte Neji weich, während sich sein Daumen über Shikamarus Lippen legte, um den unmittelbaren Protest zum Schweigen zu bringen. „Nicht.“ Seine Augen flackerten erneut; ein kurzes Aufflammen von Klarheit hinter dem Dunst. „Lüg mich nicht an.“

 

Lügen? Scheiße, das hätte so einfach sein sollen; unmittelbar. Doch die Lügen waren Asche in Shikamarus Kehle. Leblos und nutzlos für ihn, denn…

 

Wie kann ich dich belügen, wenn ich nicht einmal weiß, was in meinem Kopf real ist? Ich weiß es nicht…fuck, ich weiß es nicht…

 

Und Asuma war nicht hier, um ihm dabei zu helfen, aus allem einen Sinn zu machen.

 

‚Du wirst es dort hindurch schaffen. Und ich werde direkt an deiner Seite sein.‘

 

Nur war er das nicht. Würde es nie wieder sein. 

 

Shikamaru schloss die Augen, fühlte Nejis Daumen an seinen Schläfen, wie sie kreisten, kreisten…

 

Wir sind beschissene Lügner, Sensei. Wir beide, du und ich. Aber es tut mir nicht leid…denn wir haben uns trotzdem gegenseitig gehört…nicht wahr?

 

Scheiße. Wenn Asuma ihn jetzt hören könnte. 

 

Scham. Es sickerte bitter und verbrühend durch die Risse. Und Shikamaru versuchte nicht einmal, es durch Logik zu betäuben. Denn wie Asuma ihm immer gesagt hatte, ging es hierbei nicht um seinen Kopf. Tatsächlich wäre es viel sicherer, vernünftiger, klüger, wenn es überhaupt nicht um ihn gehen würde; nicht um seinen Kopf, nicht um seine Wunden und ganz sicher nicht um den Ort, wo er diesen Schmerz und diese Verwirrung mit sich trug.

 

Scheiße. Ich kann meine Zukunft nicht von meiner Vergangenheit bestimmen lassen. Ich werde die Kinder dieses Dorfes mit meinem Leben beschützen. Ich werden den Willen ehren, den du mir hinterlassen hast. 

 

Hier. Genau hier. Dort musste er sein. 

 

Denn es wird immer zu bald sein, um sich zurück an diesen Ort zu begeben…

 

Zurück zu dieser frakturierten Vergangenheit, die er scheinbar nicht erschüttern konnte. 

 

‚Egal, wie lange es dauern wird. Ich werde nirgendwohin gehen. Ich werde dich nicht fallen lassen. Ich werde dich damit nicht allein lassen!‘

 

Aber das hast du.

 

Nejis Stimme zog ihn zurück. „Wo bist du, Nara?“

 

Shikamarus Wimpern hoben sich langsam und unvergossene Tränen schimmerten an seinen Augenwinkeln. Er legte eine Hand an Nejis Hinterkopf und blickte tief in diese blassen Seen. „Ich bin genau hier. Wo ich immer sein musste…denn wenn ich mich selbst dorthin gehen lasse, wohin du mich bittest, dann weiß ich nicht, ob ich jemals wieder zurück kommen werde.“

 

Neji blinzelte langsam und seine wolkengleichen Augen drifteten über Shikamarus Gesicht. Zärtlich strich er ihre Nasen aneinander und seine Stimme war ein leises beruhigendes Raunen. „Du wirst immer zurück kommen.“

 

Furcht zog Shikamarus Kehle zusammen. Er schluckte rau uns seine Lippen verdrehten sich zu einem reuevollen Lächeln. „Achja? Und was macht dich da so sicher?“

 

„Weil ich dich immer finden werde. So wie du mich gefunden hast.“

 

Eine Sturzwelle krachte und rollte und brach über Shikamarus Herz; zusammen mit der Antwort auf eine niemals sterbenden Frage, die ihn seit Monaten heimsuchte. 

 

Habe ich dich jemals gefunden?

 

Krampfhaft schloss er die Augen und zog sich fort, um sich mit dem Kopf in den Händen neben das Bett sinken zu lassen. „Du weißt nicht, was du sagst, Neji…“

 

Würde er sich morgen überhaupt daran erinnern können? Es wäre vielleicht eine kleine Gnade, dass in ein paar Stunden diese Begegnung möglicherweise nichts weiter sein würde als ein vager und verschwommener Fleck im Verstand des Hyūga…ein Driften von Nebel, der mit der Morgendämmerung verdampfen würde. 

 

Entschwindend im Äther; genau wie du…

 

Und vielleicht war auch das eine kleine Gnade – denn es war die eine Sache, vor Dingen wegzurennen, von denen er es nicht ertragen konnte, sich ihnen zu stellen; aber von etwas davon zu laufen, von dem er es nicht ertragen konnte, es zu verlassen? Neji war dabei schon immer der stärkere von ihnen beiden gewesen. War immer derjenige gewesen, der davon gelaufen war, weil Shikamaru es nicht tun würde, nicht tun konnte…zumindest nicht danach. Nicht, wenn er es einmal begonnen hatte. 

 

Gut gemacht, Genie…

 

Außerdem war da diese Mission, die auf sie beide wartete. Prioritäten, die von Pflicht diktiert wurden und von Notwendigkeit; genau wie Neji es gesagt hatte. 

 

‚…diese Mission ist eine Gelegenheit zu beweisen, dass persönliche Gefühle und vergangene Übertretungen keinen Einfluss darauf haben, wer wir jetzt sind und was wir tun müssen.‘

 

Er hat nicht unrecht.

 

Nein. Neji hatte nicht unrecht. Nicht, wenn es um die Mission ging. Nicht, wenn es um Notwendigkeit ging. Aber das hier war keine Mission, es war ein Augenblick. Es war keine Notwendigkeit, es war Bedürfnis. Und es fühlte sich so verdammt richtig an; wie es jedes einzelne Mal gewesen war, wenn Zeit und Umstände nicht gegen sie gearbeitet hatten. 

 

Kühle Finger strichen über seinen Nacken. „Komm her…“

 

Vollkommen machtlos gegen diese Stimme, drehte sich Shikamaru um. Er kniete an der Seite des Bettes und ließ seine Stirn gegen Nejis Bauch sinken, während er zuließ, dass ihn die Anspannung seines Körpers in einem einzigen langen Atem verließ. 

 

Nejis sanfte Berührung legte sich an seinen Nacken und drückte leicht. 

 

Für eine Weile herrschte Stille und die Hitze des vorherigen Augenblicks zog sich wie Lava in bebende Kerne zurück; wartend auf die nächste Berührung, den nächsten Geschmack, das nächste Mal, um alle Widerstände aufzubrechen und das Bedürfnis und die Begierde sengend zum Vorschein kommen zu lassen…stärker als zuvor.

 

Jedes Mal stärker als zuvor.

 

Scheiße, diesmal hatte er sich beinahe nur wegen eines Kusses verloren.

 

„Verdammt…“, wisperte Shikamaru gegen Nejis Haut und ein kummervolles Lächeln bog seine Lippen. „Da sind wir wieder, Hyūga…“

 

„Ich weiß…“, bestätigte Neji, während seine Finger tief kneteten. Und dann fügte er weicher hinzu. „Jedes Mal…“

 

In der Stille, die folgte, drehte Shikamaru seinen Kopf gegen Nejis Bauch und überkreuzte seine Arme auf der Kante des Bettes. Seine Augen schlossen sich und seine Atmung wurde langsamer und synchronisierte sich vollkommen automatisch mit dem Heben und Fallen von Nejis Brust; fast wie durch eine innere, unterbewusste Absicht. Und er ließ sich von diesem Rhythmus treiben, fühlte die Schwere, die sich niederließ. 

 

„Lass mich nicht so einschlafen.“

 

„Werde ich nicht.“

 

„Lügner.“

 

Ein tiefes, volltönendes und leises Lachen, gefolgt von dem weichen Klopfen von Nejis Daumen…ein sanfter Herzschlag in Shikamarus Geist…beständig…langsam…nachgebend…

 

Scheiße, er schlief definitiv ein. 

 

Seufzend sog er einen reinigenden Atemzug ein und sah durch seine Wimpern zu den abgeschirmten Augen auf, die ihn musterten. „Ich sollte gehen“, murmelte er. 

 

Neji blinzelte schwer und langsam, während sich ein schläfriges Lächeln auf seine Lippen schlich. „Du gehst bereits…“

 

Shikamaru verengte in spielerischer Drohung seine Augen. „Jo…direkt zur Orthopädieabteilung.“ Er bog den Rücken gegen die einsetzende Steifheit durch. Er wollte sich nicht hier weg bewegen. Musste es aber wirklich tun. 

 

„Komm her“, sagte Neji nochmal.

 

Shikamarus Augen wurden angesichts dieser Einladung weich, aber die Verspieltheit schwand aus seinen Augen und wurde von einem Bedauern ersetzt. Er schüttelte den Kopf und schluckte. „Ich bin nicht so stark, Neji.“

 

Der Hyūga neigte den Kopf und seine Miene schien von Verwirrung und tief begrabenem Begreifen zerrissen zu sein. Verstehen flackerte in seinen Augen; eine Flamme gefangen in benebeltem Kristall. Und Shikamaru stellte sich Neji wie einen Gefangenen hinter einer Glaswand vor, der dem Schattenninja von der anderen Seite aus von den Lippen las, Teile zu fassen bekam und versuchte, ihren Dialog zu übersetzen, als würde er ihn rückwärts lesen; ein unordentliches Gekritzel, das überhaupt keinen Sinn ergab ohne den Spiegel eines klaren Verstandes, um die Wörter umzukehren und in richtiger Ordnung zu reflektieren. 

 

Ordnung. Kontrolle.

 

In einigen Stunden – vielleicht auch weniger – würde dieses Glas zerbrechen und Neji wäre wieder zurück in vollkommener Kontrolle und würde mit Zurückhaltung um sich schlagen wie mit einer Keule. Und Scham würde zu spät kommen, um noch einen Unterschied zu machen. Die Züge waren gemacht worden, Worte ausgesprochen und ihre Teile neu angeordnet…bereit für das nächste Mal. 

 

‚…ich werde dich immer finden.‘

 

Ein Anspruch so riskant und aufopfernd wie Silber anzustreben. Und es gab einfach keine Möglichkeit, dass Shikamaru jemals zulassen würde, dass Neji diesen Zug machte. Denn es gab nur eine einzige Möglichkeit, wie das enden würde – in unwiederbringlichen Bruchstücken.

 

Und das werde ich nicht überleben.

 

Nicht, weil er es nicht konnte…sondern weil er es dann nicht würde überleben wollen. Und diese Erkenntnis verängstigte ihn ebenso sehr wie die Vergangenheit, von der er so hart versuchte, sich nicht daran zu erinnern. 

 

Begib dich nicht dorthin. Sei hier.

 

Hier. Aber hier mit Neji war nicht das, wo er sein sollte. Er musste gehen. Musste sich zusammenreißen und davon laufen. Neji hatte es getan. Jetzt war er an der Reihe. Er konnte das tun. 

 

Ja. Ich kann. Aber ich will nicht.

 

Ein müdes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Weißt du. Es tut mir nicht leid, dass dir das passiert ist“, sagte Shikamaru und seine Stimme war rau mit all der Ehrlichkeit, die darin lag. 

 

„Natürlich tut es das nicht“, sagte Neji flach und mit schläfrigen Augen. „Du sahst ja auch deutlich besser nach dieser ganzen Aktion aus als ich.“

 

Humor. Ein Ausweg. 

 

Nimm ihn.

 

Shikamaru brachte ein leises Lachen zustande. Mit einem mühevollen Strecken zwang er sich dazu, sich von dem Bett fort aufzurichten und spürte, wie Nejis Hand davon rutschte. Ein scharfer Stich zog sich dabei hart hinter seinen Rippen durch Brust und Herz. „Jo, naja also, das Gesicht zu wahren ist schließlich alles.“

 

Nejis Hand legte sich auf seinen Bauch. „Sei vorsichtig. Du klingst wie ein Hyūga.“

 

„Achja? Und du klingst ein bisschen verrückt.“ Was bedeutete, dass er gehen musste. Jetzt. Schnell. „Schätze, das bedeutet, dass du mal einen auf Nara machen und ein Schläfchen machen solltest.“

 

„Und wieder einmal sind unsere Rollen vertauscht.“

 

Nur eine weitere Ironie in der Geschichte ihrer sich überschneidenden Leben. Shikamarus Augenwinkel zogen sich warm zusammen. „Jo, was ist damit?“

 

Ein weiches, träges Schmunzeln, bevor Nejis Augen über Shikamarus Schulter strichen. „Muss am Vollmond liegen“, murmelte er und echote die vorherigen Worte des Schattenninjas zu ihm zurück. 

 

Shikamaru wandte sich den Glasscheiben zu und sein scharf umrissenes Profil fiel hinein in gesprenkelte Schatten und zerbrochenes Licht als er an den Baumkronen herbstverfärbter Blätter vorbei blickte. Der Mond hing inzwischen tiefer und sein pudrig gelblicher Hof schwand langsam gegen den heller werdenden Himmel, während das Driften der Wolken die weichen Pastelltöne der Morgendämmerung annahm. 

 

„Ja“, murmelte er nach einer langen Weile. „Muss es wohl.“

 

Schweigen folgte. 

 

Shikamaru wandte sich um und sein Herz zog sich in seiner Brust zusammen.

 

Nejis Augen waren geschlossen und seine dunklen Wimpern hingen tief. Die Lippen leicht geöffnet tauchte ein rarer Ausdruck des Friedens seine patriarchischen Züge in eine weichere, glattere Maske der Ruhe. Shikamaru legte den Kopf leicht zur Seite und prägte sich die Art und Weise ein, wie der Jōnin in diesem Augenblick aussah, gravierte ihn in seinen Verstand; zusammen mit all den anderen mentalen Schnappschüssen, die in seinem Kopf bewahrt wurden…und in seinem Herzen…

 

Mach das nicht. Du bist viel zu klug für diese Art von dämlich. 

 

Es war nicht das erste Mal, dass er diese Zeile rezitierte. Und es würde nicht das letzte Mal sein, dass er versuchte, das auch wirklich zu glauben. Leicht lächelnd beobachtete Shikamaru, wie Neji atmete, fühlte, wie seine Brust ganz von selbst in denselben Rhythmus fiel, dasselbe Muster…

 

Diesmal nicht…

 

Leise trat er hinüber zu dem Bett und strich liebevoll mit einem Knöchel über den Mund des Hyūga, während er ihn schief anlächelte. „Bis zum nächsten Mal, Neji?“

 

Und als er davon lief, sah er nie, wie sich diese Opalaugen öffneten; hörte nie die leise Antwort, als die Tür ins Schloss fiel.

 

„Jedes Mal, Shikamaru.“

 

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Oja, es gäbe SO viel zu diesem Kapitel zu sagen finde ich o.O so viele Fragen, so viele Hinweise, so viele Rätsel ;) 

Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat und ja würde mich SEHR über ein paar Gedanken von euch zu diesem Kapitel freuen!! *-* 

Ich muss sagen, dass ich diese Kapitel mit so intimen Momenten zwischen Shikamaru und Neji einfach liebe, auch wenn sie schmerzhaft und voller Kummer und Sehnsucht sind. Wie geht es euch dabei? :D 
 

Vielen Dank auf jeden Fall wieder an alle meine treuen Reviewer/innen und Leser/innen! <3 *-*

A comrade - a friend - left behind

Zahnräder innerhalb von Zahnrädern. Wände innerhalb von Wänden. Er stand bewegungslos und gestählt da; im Zentrum eines Ödlandes. Hier existierte nichts. Nichts zu gewinnen, nichts zu verlieren. Kein Gesicht, keine Seele, kein Name. 

 

Die Stimme des Souveräns war an seinem Ohr: „Kaika? Das ist nicht dein richtiger Name, nicht wahr? Dein richtiger Name steht auf der Liste der Proktoren…aber die Frage ist doch, welcher der Konoha Köter du bist?“

 

Stille.

 

Der Souverän schnalzte mit der Zunge. „Glaub bloß nicht, dass du mich täuschen kannst. Hier drin geht es nicht um Strategie. Das kommt erst später, zusammen mit dem Spielbrett. Es ist, wie ich es dem Jungen gesagt habe. Als erstes brauchen wir die Bestie. Als erstes brauchen wir das Tier. Verstehst du?“

 

Kaika hielt seinen Blick nach innen gerichtet, konzentrierte sich auf die Zahnräder, die Wände, das Ödland des Fühlens…fühlte nichts, sagte nichts, verriet nichts. 

 

Nichts. Nichts. Nichts. 

 

Der Souverän strich mit einer Hand über Kaikas nackten Bauch, umkreiste den Nabel mit einem krallenbewährten Finger, bis Blut hervor trat und zu tropfen begann. „Nein. Du verstehst es nicht. Alles, was ihr Köter wisst, ist, was man euch sagt. Mein kleiner Schattenninja hingegen, er weiß etwas, das du nicht weißt. Er weiß, dass dir die Optionen ausgegangen sind. Dir ist das Glück ausgegangen. Dir ist der Bezug verloren gegangen.“

 

„Und dir ist dein verfickter Verstand verloren gegangen.“

 

„Ha! Es wirkt mit Sicherheit so, nicht wahr? Für einundzwanzig Jahre eingesperrt zu sein reicht aus, um selbst den vernünftigsten Mann verrückt werden zu lassen. Aber ich fühle mich gerade überhaupt nicht verrückt. Was ist mit dir? Lass uns doch mal Therapeuten spielen. Wie fühlst du dich hierbei?“

 

Nichts. Nichts. Nichts. 

 

Ein gerinnendes Knurren von irgendwo hinter ihm und tief in einer Kehle; wie von einer Krankheit erstickt und nicht wirklich menschlich, nicht wirklich animalisch. Nicht wie irgendetwas, auf das Kaika jemals in seinem Leben vorbereitet gewesen war. 

 

Es spielte keine Rolle. 

 

Nichts spielte eine Rolle außer sein Schweigen. 

 

Er ließ sein ‚Fühlen‘ mit diesen Zahnrädern fort rollen und es von den Wänden abprallen. Zahnräder innerhalb von Zahnrädern, Wände innerhalb von Wänden – er konzentrierte sich einzig und allein auf seine Atmung, auf das Ödland in seinem Verstand.

 

Der Souverän lachte. „Ah, darauf konditioniert, deine Angst nicht zu zeigen? Also haben wir noch einen weiteren ANBU Agenten in diesem Durcheinander. Wie interessant. Danzō liebt es einfach, euch kleine KERN-Schlampen in meinen Käfig zu schicken, um in meiner Scheiße herum zu schnüffeln.“

 

Das zog Kaikas Blick etwas weiter nach oben. Seine Augen verengten sich. 

 

Der Souverän feixte. „Ja, das ist richtig, Schoßhündchen. Ich habe das deutliche Gefühl, dass Konoha das Versprechen an Kusagakure wieder einmal gebrochen hat. Scheiße, was rede ich. Das Versprechen an mich.“

 

Du warst es, der dieses Versprechen in der Sekunde gebrochen hat, als du dir diesen Jungen genommen hast, du kranker Hurensohn.“

 

„Ah, aber weißt du, ich habe eine lange bestehende Partnerschaft mit Sarutobi Hiruzen – schweigsam wie er heutzutage ist – und ich habe da noch eine schwerwiegende offene Rechnung mit den Nara.“ Ein klauenbewährter Finger winkte warnend. „Ich weiß es überhaupt nicht zu schätzen, von verwandten Geistern vergessen zu werden. Und die Nara und ich…“ Die Worte des Souveräns wurden mit einem Seufzen davon getragen; geradezu melancholisch, wenn man von der Gefahr absah, die in diesen schwarzen Augen brannte. „Ah, der Hokage ist ein grausamer, grausamer Bastard, dass er einen weiteren Schattenninja zu mir geschickt hat. Man hätte meinen sollen, er hätte seine Lektion das erste Mal gelernt.“

 

Ganz offensichtlich wusste der Souverän nichts von dem Tod des Sandaime. Das war eine Gelegenheit. 

 

Kaika runzelte die Stirn, schluckte Blut und krächzte: „Das erste Mal?“

 

„Vater und Sohn. Es ist fast schon poetisch. Ich hasse Poesie; aber ich liebe Ironie.“

 

Vater und Sohn? Nara Shikaku. Kaikas Verstand geriet bei der Schlussfolgerung daraus ins Taumeln. 

 

Der Souverän wedelte mit einer Hand. „Tz. Du bist zu jung, um davon wissen zu können. Spielt keine Rolle. Du wirst nicht interferieren. Aber du wirst mir deinen Namen sagen und du wirst mir sagen, wo du meinen kleinen Strategen versteckt hast.“

 

„Fick dich!“

 

„Ah, aber mir fällt da jemand ein, den ich gerade viel lieber ficken würde. Und ich habe da dieses köstliche Gefühl, dass du ihn vielleicht kennst.“ Der Souverän drehte sich um und ging neben einem Stahlkäfig in die Hocke, hob eine Kette auf, die zwischen die Stäbe führte und zerrte erbarmungslos eine blutige Gestalt aus der Dunkelheit; ein aufgegebener Seraph, herausgerissen aus der Hölle und hineingestoßen ins Licht. 

 

„Wach schon auf, Haustier.“ Die Hand des Souveräns krallte sich in langes aschblondes Haar und zog heftig daran, um ein Gesicht nach oben zu reißen, das von Blut und sturem Trotz gezeichnet war. Dunkle Wimpern hoben sich flatternd und violette Augen glühten. 

 

Gott, diese Augen…

 

Kaikas Herz zog sich zusammen. Ein schmerzhafter Stich der Angst, als die Zahnräder wirbelnd verschwanden und die Wände kollabierten; das Ödland bebte…

 

Und all das hart eingedrillte Training entfloh seinem Verstand. 

 

Raserei krachte durch ihn.

 

Wie ein Wahnsinniger warf er sich gegen seine Fesseln. „Du elender HURENsohn!“

 

„Oh ho!“, lachte der Souverän hoch erfreut. „Was ist denn das? Solch plötzliche Emotionalität und das von einem ANBU Agenten! Und alles nur wegen dieses traurigen Stücks Scheiße…“ Die Hand krallte sich fester, riss den blonden Kopf noch weiter nach hinten und legte eine Kehle bloß, die von der Metallmanschette und den Ketten wundgescheuert war. „Ich nenne ihn Koinu. Er befindet sich immer noch in der Phase der Welpenausbildung für die Shinjū Tests, weißt du. Ich liebe es einfach, wie der zusätzliche Begriff ‚Haustier Projekt‘ dem Ganzen einen völlig neuen Klang verleiht.“

 

„Bastard…“, fauchte Kaika, den Körper vor Zorn straff gezogen und heftig zitternd. 

 

„Ah, jetzt“, schnurrte der Souverän. „Da ist es. Sag mir. Was ist es, was du fühlst? Es ist animalisch, nicht wahr? Benenne es. Oder noch besser, gib mir deinen richtigen Namen.“

 

Knurrend hielt Kaika seine Zunge im Zaum und rollte sie hart hinter seinen Zähnen ein. 

 

Der Souverän seufzte und sah hinunter auf Koinu. „Ah, Köter. Zeit zu reden.“

 

Schweigen. 

 

„Na komm schon, Haustier. Sag mir den Namen dieses interferierenden Bastards. Ich kenne doch bereits den Jungen. Jetzt würde ich gerne noch sein Herrchen kennen lernen.“ Ein brutales Rucken an Haar und Kette. „REDE!“

 

Violette Augen flackerten, der geprellte Kiefer wie Eisen, während sich blasse Lippen bewegten. „Ich kenne ihn nicht.“

 

Eine vollkommen nutzlose Lüge. Sie hätten sich überall gekannt…zu jeder Zeit…in jedem Leben…

 

Eine dünne, gezackte Klinge, rostig von altem Blut, legte sich an Koinus rechten Mundwinkel und die Spitze grub sich hinein. „Einundzwanzig Jahre in dieser Scheißegrube eingesperrt zu sein hat mir einige Tugenden verliehen. Doch Geduld gehört zu meinem Bedauern nicht dazu. Also, ANBU Agent Kaika mit den Eiern aus Stahl; du gibst mir jetzt besser deinen wirklichen Namen, oder ich werde dieser Bitch hier jede Fähigkeit nehmen, jemals wieder einen Namen oder ein Geräusch hervor zu bringen.“

 

Kaika biss sich auf die Zunge, schmeckte Blut…

 

Der Souverän legte den Kopf schief, drehte die Klinge, ließ Haut aufplatzen und sandte einen dünnen Strom aus Rot tropfend über Koinus Kinn und die mit der Halsschelle versehene Kehle hinunter. „Sag mir deinen Namen, Ninja.“

 

Er lag bereits in Kaikas Rachen…Konsonanten und Vokale…bitter und verratend…

 

Violette Augen flammten warnend auf und befahlen ihm eindringlich, den Mund zu halten. 

 

Kaika biss hart die Zähne aufeinander und sein gequälter Blick war starr auf diese wilden lila-blauen Augen fixiert…seine Miene verdrehte sich, der Luftweg wurde abgeschnitten und sein Atem war nichts weiter als ein Ball aus Feuer in seiner Kehle…

 

Er wollte schreien…sprach mit seinen Augen… ‚Bring mich nicht dazu, das zu tun…‘

 

Violette Seen, hart und kalt wie Amethyst wurden kaum wahrnehmbar weich, bevor sie sich schlossen und sich blutige Lippen zu einem reuevollen Lächeln hoben. „Ich kenne ihn ni-“

 

Blut flog von der Schneide, als sie sich direkt durch Fleisch und Gesicht schnitt; und durch Kaikas zersplitterndes Herz. 

 

Verzweifelt schrie er seinen Namen heraus: „GENMA!“

 

 

Als wäre er erstochen worden erwachte Kakashi ruckartig durch den erstickten Schrei. 

 

Eine gerade eben noch dösende Katze stürzte aus dem Nest behelfsmäßiger Laken, kauerte sich in die hinterste Ecke des Tatami Raumes und fauchte mit peitschendem Schwanz und angelegten Ohren, das graue Fell elektrisiert mit Furcht. 

 

Furcht. 

 

Kakashis Sinne erwachten dadurch zum Leben; schwer und sauer in der Luft, salzig auf seiner Zunge, kalt und feucht in den Laken und zitternd in dem Körper, der neben ihm ausgestreckt lag.

 

Genma.

 

Kakashis Verstand wurde scharf wie eine Klinge und er vollkommen regungslos. Er war nur zu gut mit Albträumen vertraut und deswegen machte er auch keinerlei Anstalten, den anderen Mann zu berühren. Er hatte diese Nacht bereits genug Blut verloren. 

 

Nacht? Nein…

 

Ein schwaches pudriges Licht fiel schräg durch das Gerüst vor dem Fenster nach drinnen und durchzog den dunklen Raum mit den kalkigen Strahlen der Morgendämmerung. Seine Augen weiteten sich. Gott, er war über Nacht geblieben. Wie hatte er das passieren lassen können? 

 

Genma erschauerte neben ihm. „Stop…“

 

Kakashi wandte den Kopf und drehte sich langsam und so leise wie möglich, während er seine Arme aus den zerfetzten Noren Laken befreite, die Genma von der Gardinenstange gerissen hatte. 

 

Sanft sprach er in die schwere und bebende Luft. „Genma.“

 

Auf dem Rücken ausgestreckt flatterten Genmas Wimpern und sein Kopf schlug hin und her. Seine Wirbelsäule war scharf durchgedrückt und seine Muskeln straff gezogen, als er sich mit jedem qualvollen Atemzug wand. Unter allen anderen Umständen hätte Kakashi vielleicht das Gefühl gehabt, hier Zeuge eines intensiven und erotischen Traums zu werden, aber da war nichts Sinnliches an der Art und Weise, wie sich Genmas Finger in die Strohmatten krallten und sich seine Handgelenke drehten, als wären sie in phantomhaften Ketten gefangen, während sich seine Lippen ohne Worte bewegten, bis er ein zerfetztes „Bitte…“ keuchte.

 

Kakashis Augen weiteten sich angesichts dieses erstickten Flehens; vor allem wegen der Tatsache, dass er Genma noch nie um irgendetwas hatte flehen hören – weder unter Schmerzen, noch unter Lust. Nicht einmal auf dem Höhepunkt der Passion, die Genma in beiden Extremen zu finden schien. Zu hören, wie solch ein machtloses Wort bebend von den Lippen des Shiranui fiel…gesprochen wie ein zerfetztes Gebet, das all seine Defensiven betrog und ihn verletzlich zurückließ und roh und…

 

Menschlich…

 

Eine lange vergessene und selten gesehene Sanftheit überzog Kakashis Augen. Er drehte sich ein wenig mehr. „Genma.“

 

Bitte…“, krächzte der Shiranui noch einmal, verkrampfte den Kiefer und zog die Lippen zurück, als er Flüche zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen ausstieß. „Shit…steh auf…steh auf…

 

Auf dem Ellbogen lehnte sich Kakashi näher. „Genma.“ Lauter diesmal. „Du träumst.“

 

Um sich schlagend und mit in den Nacken geworfenen Kopf gingen Genmas Worte in keuchendem Atem verloren. 

 

„Genma“, noch lauter. „Genma, du -!“

 

Ein stranguliertes Brülllen und Genmas Augen flogen auf; das Weiß war zu allen Seiten sichtbar und die bronzenen Iriden wirbelten mit Hass, mit Horror, mit –

 

Weh…

 

Kakashi erstarrte in eiskalter Fassungslosigkeit. 

 

Gepackt von dem nächtlichen Terror schoss Genma mit solch explosiver Geschwindigkeit vom Boden nach oben, dass der Kopierninja überhaupt keine Chance zum Ausweichen hatte, nur zum Blocken. Die Finger des Shiranui schlossen sich wie die Eisenzähne einer Bärenfalle um seinen Unterarm. Es war eine Bewegung, die dazu gedacht war, die Luftröhre eines Gegners zu zertrümmern und heraus zu reißen. 

 

Kein Versuch, den Feind kampfunfähig zu machen – nur direkte Tötungsabsicht. 

 

Aber es ließ Genma offen. 

 

Rasch wie ein Herzschlag ließ Kakashi seinen rechten Ellbogen in die Beuge von Genmas ausgestrecktem Arm krachen, bevor er ihn aufwärts in die Unterseite des Kiefers des Shiranuis schnappen ließ. Der Kopf des Tokujō wurde nach hinten gerissen und ließ sowohl Angriff, als auch Traum zersplittern. 

 

„Genma!“

 

Ruckartig kam Genma zu Bewusstsein; desorientiert und geschockt. 

 

Und Kakashi nutzte das sofort aus. 

 

Er rammte einen rückwärtigen Handkantenschlag in die Seite von Genmas Nacken und folgte der Attacke mit seinem Körper nach unten, um den anderen Ninja auf dem Tatami Boden festzupinnen, indem er einen Unterarm gegen den Hals des Shiranui drückte. 

 

Rasch brachte er seine Lippen an das Ohr des Tokujō und murmelte scharf: „Shiranui, du bist in Sicherheit.“

 

Genma wurde schlagartig regungslos, bevor ihn sein Atem wie in einem Rausch verließ und Adrenalin in sein Zittern brach, um seine Haut mit kalten Schweiß zu überziehen. 

 

Da er deutlich spürte, wie die Anspannung ausblutete, stemmte sich Kakashi von seinem Arm auf die Handflächen und hoch genug, um über Genma zu schweben. Warmes, körniges Licht strich über sein unmaskiertes Gesicht und tauchte seine Konturen in Schatten, abgesehen von dem Durcheinander wilder silberner Strähnen, die in der anbrechenden Dämmerung golden umrandet waren. 

 

„Du bist in Sicherheit“, wiederholte Kakashi viel sanfter. 

 

Bronzefarbene Seen flammten auf und brannten mit solch verblüffendem Glanz und nackter Emotion, dass es Kakashi sofort in ein getroffenes Starren schubste. Und er brauchte noch einen Moment länger, um den nassen Schein in den Augen des Shiranui zu bemerken.

 

Silberne Brauen zogen sich weich zusammen. „Genma.“

 

Ganz falscher Zug. 

 

In einem Flackern erstarb das Licht in diesen Augen. 

 

Knurrend rollte sich Genma unter der Musterung dieses ungleichen Blickes heraus und wandte seinen Rücken wie einen Schild Kakashi zu; wie eine Wand, eine undurchdringliche Defensive. Während er sich auf einen Ellbogen stützte und sich seine Rippen abgehackt hoben, schob sich der Tokujō bebende Finger durch sein Haar.

 

„Was verfickt nochmal machst du immer noch hier?“, grollte er. 

 

Exzellente Frage.

 

Mit keiner Antwort; und folglich ging die Frage zum einen Ohr rein und direkt zum anderen wieder raus. 

 

Kakashi lehnte sich fort, hielt den Blick aber weiter auf Genmas Rücken gerichtet; eine Leinwand, die mit Narben überkreuzt und mit Hämatomen befleckt war. Seine Haut schimmerte vor Schweiß, der perlenförmig in winzigen Opalen über die kantigen Täler von Schulter und Wirbelsäule hinab rollten. 

 

„Genma…“

 

Muskeln kontrahierten, Atem wurde angespannt, ein Kampf der im Inneren ausgefochten wurde, als sich Genma steif aufgerichtet hielt gegen…

 

Gegen was?

 

‚Bitte…‘

 

Das zerbrochene Wort rasselte in Kakashis Hirn und drohte, zusammen mit all den anderen losen Murmeln, die in seinem Schädel herum rollten, Amok zu laufen. Ah, aber mit Sicherheit hatte auch etwas Wahnsinn im Mond der vergangenen Nacht gelegen. 

 

Nicht nur Wahnsinn…

 

Verspätet zuckte Kakashis Aufmerksamkeit von Genmas Körper zurück zu seinem eigenen. Und im Nu löste sich sein Verstand von der unmittelbaren Gefahr und richtete sich auf die dämmernde Erkenntnis, dass er…

 

Ich wurde verarztet…?

 

Naja, zumindest provisorisch. Streifen verlotterter Mullbinden waren über seinen schlimmsten Wunden angebracht. Das medizinische Klebeband war bereits alt und löste sich, aber es reichte, um die Kompressen an Ort und Stelle zu halten. Stirnrunzelnd fuhr Kakashi mit seinen Fingern über die verfärbte Haut seines Bauches und realisierte bei näherer Inspektion, dass das, was er für eine Infektion oder ein Hämatom gehalten hatte, tatsächlich die gelben Flecken von Jod waren. 

 

Und er hat mich nicht einmal geweckt, während er das gemacht hat…

 

Das hätte aber auch nicht überraschend sein sollen. Genma hatte ihn auch in der Vergangenheit nie geweckt. 

 

Das hier ist nicht die Vergangenheit.

 

Nein. Das hier war die Gegenwart; direkt zur Hölle gejagt. Zeit kroch in Zeitlupe durch Kakashi und jede einzelne Sekunde vergrößerte den Horror seines entsetzlichen Fehlers. Wann hatte Genma überhaupt die Zeit gehabt, sich um ihn zu kümmern? Oder die Koordination? Der Shiranui war komplett zugedröhnt gewesen und in den Boden gevögelt worden; am Ende war er kaum noch bei Bewusstsein gewesen. 

 

Schulbewusstsein legte sich über Kakashis Bewusstsein und er verzog das Gesicht. 

 

Gott…was habe ich getan?

 

Was hatte er nicht getan? Was hatte er nicht aufgehalten?

 

Genma setzte sich auf. 

 

Die plötzliche Bewegung verschreckte die vergessene Katze zu einem zitternden Ball präventiven Fauchens. Genma drehte den Kopf und ein Hauch von Sonnenlicht verfing sich wie ein glühender Halbmond am Rand seiner Iris und befeuerte sie wie ein Funke. Er bleckte die Zähne und fauchte zurück. 

 

Sofort verstummte der graue Kater und zog seine Augen zu zwei limonenfarbenen Schlitzen zusammen. 

 

Kakashi beobachtete dieses animalische Wechselspiel schweigend, vorsichtig…neugierig.

 

Und Genma drehte seinen Kopf ein Stückchen weiter, um Kakashi aus dem Augenwinkel für eine lange morbide Minute zu mustern, als versuchte er, den Verstand des anderen Mannes zu entschlüsseln – oder seine Motive. Er hatte noch immer nicht Genmas Frage beantwortet. Hatte sie einfach rhetorisch zwischen ihnen hängen lassen…zusammen mit all den ausgegrabenen Spannungen. 

 

Ein schwaches Feixen kräuselte einen von Genmas Mundwinkeln. „Immer noch hier? Hast du die Regeln von ‚Essen, Kämpfen, Ficken‘ vergessen?“

 

Ausgespien wie ein in Gift getränktes Senbon. 

 

Bedächtig hielt Kakashi sein Gesicht mit geschlossenem Sharinganauge im Schatten. Er schüttelte den Kopf. „Ich spiele nicht mehr nach diesen Regeln.“

 

Genma lachte ohne irgendeine Belustigung auf und der kalte Klang bekam durch den leichtesten Hauch eines Zitterns in seinem Atem Risse. „Jo, weil du ja inzwischen geläutert bist.“ Er kam auf die Füße; nackt und unverfroren und starrte unter schläfrigen Lidern auf den Kopierninja. „Bist letzte Nacht aber von diesem Wagon gestürzt, nicht wahr?“

 

Die Härchen an Kakashis Nacken stellten sich auf, doch er blieb stumm. 

 

Alarmierend langsam neigte Genma den Kopf. „Ein ziemlicher Rückfall“, spottete er und ließ seine Augen über das Gewebe wandern, das um Kakashis Hüften geschlungen war, bevor sein Blick in einem erhitzten, unzüchtigen Kriechen höher über die langen schlanken Konturen des ziselierten Körpers glitt, während er mit der Zunge schnalzte. „Schätze, das macht dich zu einem der ehemals Geläuterten.“

 

Scham kratzte unter Kakashis Haut wie ein brennendes Skalpell, doch sein graues Auge verschärfte sich zu der Ähnlichkeit eines Feuersteins. „Sagt der Suchtexperte.“

 

Der Widerhaken traf mitten ins Schwarze. Genmas Augen schnellten nach oben und die lüsterne Flamme erlosch schlagartig. Mit dem Kiefer mahlte er mit nervösen Zähnen von Seite zu Seite – da war kein Senbon, das er nutzen konnte, keine grausamen Worte, die er ausspeien konnte…nur die bittere Wahrheit zwischen ihnen; nackt und roh wie ihre Körper. 

 

Grunzend wandte sich der Shiranui ab und verließ den Raum durch ein zerschmettertes Fusama Paneel. 

 

Die Katze sprang hinter ihm her. 

 

Stille folgte; nur unterbrochen von dem Klacken von Keramik und dem klagenden Miauen eines verärgerten Stubentigers. Wasser lief, das Kratzen von Glas…

 

Irgendwo in dem Gebäude begann ein Baby zu brüllen. 

 

Lauschend setzte sich Kakashi langsam auf und zog seine Augen gegen die Lichtstrahlen zusammen, die schräg durch die Glastüren fielen. Heftig blinzelnd stierte er auf die ruinierte Wand aus Fusama Paneelen. Das gezackte Loch klaffte weit und ominös wie das Maul zu einer Raubtierhöhle. Ein passender Vergleich, wenn man bedachte, dass sie in wilder Raserei durch diese Paneele gekracht waren; sich gegenseitig zu Boden stoßend, um es wie Bestien miteinander zu treiben, bevor sie nach Tod und Sex und animalischer Tragödie riechend auf dem blutgetränkten Boden quasi das Bewusstsein verloren hatten. 

 

Kakashi seufzte und sein graues Auge schloss sich in einer Art Agonie. 

 

Es gab kein Leugnen, dass er mit dem Biest in seinem Blut hierher gekommen war. Er hatte versucht, einem Amoklauf zu entgehen, indem er lustvolle Entrückung gesucht hatte, hatte nach einem Licht gesucht, das in einem einsamen Fenster schien, nach einer alten Flamme in toten Augen, nach…

 

Einem Mann, den ich einst gekannt habe…

 

Einst gekannt hatte, einst benutzt hatte, benutzt, um sich gegenseitig Schaden zuzufügen; und immer während Nächten wie dieser letzten Nacht…wenn er nichts mehr war als ein Wolf in den Kleidern eines Menschen, verloren und heulend unter einem kalten blauen Mond.  

 

Muss irgendeine Art von Tier sein…hierher zu kommen…zu nehmen, was ich will…und genau zu wissen, wie ich es bekomme…

 

 

Und dann rollte er sich in dem Gemetzel zusammen und hatte nicht einmal den Anstand, die Knochen der Vergangenheit zu begraben, die er zwischen ihnen zerstückelt hatte. Er war ebenso rücksichtslos mit Genma umgegangen, wie er es während seiner vorherigen Raserei im Wald gewesen war. 

 

Sex und Tod…ich vermische diese Monster nicht mehr…

 

Und dennoch war er hier, Jahre später und vom Kurs abgekommen; fiel in die Gosse einer alten Sünde – und zerrte Genma mit sich. Und was für ein alarmierend kurzer Fall es gewesen war, wenn man all die Jahre bedachte, die er zwischen sie geschoben hatte. 

 

„Dieses Gesicht hätte ich beinahe vergessen.“

 

Kakashis Kopf ruckte nach oben. Er fand Genma gegen den zerbrochenen Rahmen gelehnt vor und eine schwarze Hose hing tief an seinen verfärbten Hüften. Zwischen aufgeplatzten Knöcheln hielt er eine Shōchū Flasche und er hatte sich eine Stahlnadel zwischen seine Lippen geschoben, während seine Augen ebenso unlesbar blieben wie seine Miene. 

 

Für einen langen, durchdringenden Moment musterte er Kakashi. „Du bist immer noch ein verdammt gutaussehender Bastard, das muss ich dir lassen.“

 

Ein uraltes Gefühl der Zurückhaltung überkam Kakashi wie ein Hautausschlag, dem rasch eine weitere heiße Welle der Scham folgte. Gott, er hatte heute Nacht wirklich keine halben Sachen gemacht, oder? 

 

Hn. Wer A sagt, muss auch B sagen…

 

Klar und dieses B bestand aus Fleisch, Fühlen, Torheit...

 

Vor dem Licht zurückzuckend verhüllte er sein Gesicht wieder mit Schatten und strich sich mit den Fingern über die angespannte Linie seines Kiefers, während er nach seiner Maske suchte. Er entdeckte sie zerknittert zusammen mit seinem ärmellosen Rollkragenoberteil und den Standardhosen an der Türschwelle. 

 

Na klar. 

 

Zerfetzt, blutig und außer Reichweite – zu diesem Zeitpunkt nicht unähnlich seines gesunden Menschenverstandes. 

 

„Wenn du so nett wärst“, summte der Kopierninja mit seiner wohlklingenden Stimme, die etwas rostig um die Ränder herum, aber überzeugend genug war – zumindest hoffte er das. 

 

Genma grübelte über die Bitte nach und sein Senbon tickte dabei vor und zurück. Nach einer übertriebenen Pause – während der sich Kakashi noch bloßgelegter und roher fühlte als eine stinkende Wunde – ging der Tokujō endlich in die Hocke und hakte einen Finger in die Maske. Als er sich aufrichtete, stützte er das Ende der Flasche gegen einen scharfen Beckenknochen und drehte den Shōchū, um das Etikett zu zeigen. 

 

Kakashi erkannte die Marke und schüttelte den Kopf. 

 

Schmunzelnd schlich sich eine sardonische Kante in Genmas Worte. „Du kämpfst und du fickst, aber du lehnst mein Essen ab?“

 

„Das geht wirklich nicht als Essen durch.“

 

„Ist eins meiner Grundnahrungsmittel“, verteidigte sich der Tokujō und warf Kakashi die Maske zu. „Sogar Asuma hat das zu schätzen gewusst.“

 

Kakashi fing seine Maske mit zuckenden Brauen in einer Hand auf. Dieses Ornament der Trauer – zart wie fein geblasenes Glas – rückte etwas zu nah an die Kante des hohen Regals, auf dem er es abgestellt hatte. 

 

„Das hat er“, raunte Kakashi und zog sich die Maske über. 

 

Aber Asuma hatte auch noch nie jemanden aufgrund ihrer schlechten Angewohnheiten beurteilt – das hätte ihn nur zu einem Heuchler gemacht. Und trotz all der selbstverstandenen Schwächen des Sarutobi; er hatte nie nach Doppelstandards gelebt. Er hatte sein Leben nach einer Reihe seltsamer und oft widersprüchlicher Kodizes gelebt, auch wenn es weitaus ehrenhaftere waren als die, die Kakashi und Genma über ihr Gewissen gekritzelt hatten. Unauslöschlich wie ANBU Tinte; eine Narbe auf der Seele. 

 

‚Weißt du, was dein Problem ist, Shiranui? Du und Kakashi…ihr Typen glaubt nicht an zweite Chancen…‘

 

Kakashi presste die Lider aufeinander und rieb sich über die Falte zwischen seinen Brauen. „Genma, was letzte Nacht passi-“

 

„Sh.“

 

Er hob bei dieser abrupten Zurückweisung den Kopf und sah zu, wie sich Genma auf ihn zubewegte. Nicht mit der üblichen katzengleichen Anmut; der Fluss von Genmas Schritten war viel zu abgehackt und willkürlich für irgendeine Art von Heimlichkeit – was auf einen wunden Körper und einen immer noch nicht ganz nüchternen Verstand schließen ließ. 

 

„Keine Worte“, murmelte der Shiranui, ließ sich neben Kakashi fallen und hob in einer Benediktion die Flasche. „Eine Libation.“

 

Kakashi schmunzelte schwach, auch wenn die Maske es verbarg. „Eine Libation“, echote er. 

 

Achselzuckend drehte Genma mit einem raschen Rucken des Handgelenkes den Deckel von der Flasche. „Ist das Beste, was ich machen kann, bevor ich dich rausschmeiße. Du blutest verfickt nochmal meinen ganzen Teppich voll.“

 

Schwer vorstellbar, wie das in irgendeiner Weise einen Mann stören sollte, der an einem Ort lebte, der von allen möglichen giftiger Flecken und Verfärbungen befallen war, nach Schimmel und Gipsstaub roch und von Spinnweben und Rissen durchzogen war. 

 

„Und ich habe mich schon gefragt, was dich dazu veranlasst hat, Doktor zu spielen“, erwiderte Kakashi, schnappte sich die Flasche aus Genmas Griff und war überrascht, als die langen Finger nicht einmal wirklich mit Widerstand zuckten. „Obwohl; Jod in offene Wunden? Das ist schon ein bisschen primitiv.“

 

„Passt zur Stimmung.“

 

Etwas gedämpft neigte Kakashi den Kopf und räumte diesen Punkt ein – fühlte, wie er sich wie ein mit Widerhaken versehener Pfeil zwischen seine Rippen grub. „Touché.“

 

Ein leises Miauen erklang von der Tür her. 

 

Beide Ninja sahen hinüber und beobachteten den grauen Kater dabei, wie er mit krummem Schwanz an Kakashis Kleidern schnupperte und an dem zerknitterten Haufen scharrte. Das verhieß nichts Gutes. 

 

Genma fauchte und ließ das Senbon auf und ab zucken. 

 

Fasziniert von dem Winken aus Licht sah die Katze auf. 

 

Aufmerksam beobachtete Kakashi die Interaktion. „Ich wusste gar nicht, dass du ein Haustier hast.“

 

Das Senbon erstarrte, als sich Genma bei dem Wort ‚Haustier‘ versteifte. Doch genauso schnell, wie sie gekommen war, blutete die Anspannung aus ihm und er lehnte sich auf den Ellbogen zurück, während er die Katze durch seine Wimpern beobachtete. „Und ich wusste nicht, dass du immer noch den Mond anheulst.“ Er gestikulierte zu Kakashis geflickten Wunden. „Sieht aus, als hättest du mehr als nur deine eigenen Dämonen herauf beschworen.“

 

Summend stierte Kakashi auf den Hals der Flasche und schwenkte den Inhalt mit einem trägen Drehen seines Handgelenkes herum. „Der viel interessantere Part wird sein, diese Dämonen zur Ruhe zu betten…“ Er hielt inne; ihm gefiel die Zweideutigkeit seiner Worte und die weitaus persönlicheren Dinge überhaupt nicht, auf die sie anspielen konnten. Kopfschüttelnd suchte er nach einem Weg, es deutlicher zu machen. „Die Chūnin Prüfungen sind bereits gefährlich genug, auch ohne eine monströse Dosis ‚zu viel des Guten‘.“

 

Genma runzelte leicht die Stirn und hielt die Augen auf die Katze gerichtet. „Sollte ich wissen, wovon du redest?“

 

Überrascht spähte Kakashi zu ihm. „Die Chimären-Hybriden.“ Und als das nichts weiter auslöste als ein blankes Starren, bedachte Kakashi den Tokujō mit einem skeptischen Blick. „Na, du müsstest aber mit Sicherheit darüber Bescheid wissen. Du bist doch eine der Aufsichtspersonen. Außer, die Goei Shotai haben im Moment Vorrang.“

 

„Chimären-Hybriden“, lenkte Genma um und sein ausdrucksloser Ton nahm den leichten Biss von Ungeduld an…oder war da noch etwas anderes in seiner Stimme?

 

Für einen flüchtigen Moment betrachtete Kakashi den anderen Ninja. „Der neue Kampfbestand aus Kusagakure“, erklärte er. „Sie sind diese Woche angekommen. Obwohl es so scheint, als hätten sie die üblichen überlebensgroßen Monster gegen diese Chakra-verstärkten Kreuzungen eingetauscht.“

 

Und sie waren auch nicht von dem üblichen Lieferanten gekommen; da war kein offizielles Siegel des Daimyōs von Kusagakure gewesen. Egal wie sehr sich Kusagakure über die Jahre – bereits seit der Kriegszeit – isoliert hatte; es ehrte noch immer einen lange bestehenden Vertrag und eine Zusammenarbeit mit Konoha in Bezug auf die Forschung zur Chakra-Verstärkung und entsprechenden Experimenten. Sie lieferten außerdem essentielle Zutaten für die Nahrungspillen der Akimichi und die medizinische Forschungseinrichtung der Nara. Aber ihr wertvollstes Gut waren zweifelsohne die gigantischen Bestien wie die, von denen es im Wald des Todes zurzeit nur so wimmelte. 

 

Stirnrunzelnd kehrten Kakashis Gedanken zu diesem seltsamen Schweigen zurück, das die Luft ergriffen hatte. Genma erschien neben ihm sehr sehr still zu sein, während er kommentarlos absorbierte, was gerade gesprochen worden war. Seine Augen waren abgeschirmt und der leichteste Hauch einer Linie zog sich zwischen seine Brauen. 

 

Kakashi legte den Kopf auf die Seite und formte seine nächsten Worte mit Bedacht. „Ungewöhnlich, dass du nicht eingeweiht bist.“

 

Keine Erwiderung. Zumindest keine unmittelbare. Das Senbon zuckte von Seite zu Seite. „Kusagakure ist es nicht gestattet, sich an artübergreifenden Experimenten zu beteiligen“, sagte Genma letztendlich und klang dabei, als würde er eher laut nachdenken. „Nicht auf diesem Level.“

 

„Naja, das ist zumindest das, was in den Regelbüchern steht“, stimmte Kakashi zu. 

 

Und Kami wusste, wie viele Regeln Konoha aufgestellt hatte. Der Sandaime war unerbittlich gewesen. Deswegen wurde diese Entwicklung - trotz des hässlichen Ursprungs dieser von Orochimaru angestifteten Tierversuchspraktiken – über die Jahre hinweg überwacht, um sicher zu gehen, dass diese Experimente keinerlei ethische Vereinbarungen zwischen den Dörfern verletzten. 

 

Ja. Es gibt immer Regeln. 

 

„Aber nicht jeder spielt nach den Regeln“, hob Kakashi hervor. „Die Frage ist, ob Kusagakures Daimyō und das Konzil irgendetwas damit zu tun haben oder nicht. Denn wenn ja, dann verwandelt das einen simplen Regelverstoß in ein ganz anderes Faulspiel.“

 

„Es ist nicht so simpel. Wie steht die Godaime zu dieser Sache?“

 

Kakashi hörte auf, den Shōchū zu schwenken. Wie konnte es sein, dass Genma nichts davon wusste? Doch er antwortete, um keine Aufmerksamkeit auf seinen Argwohn zu lenken. „Sie setzt auf Zurückhaltung und Vorsicht. Wie es der Zufall will hat Kusagakure eine Einladung an unsere Shinobi geschickt, ihr Dorf unter dem Vorwand einer Mission zu untersuchen.“

 

Genma sah ihn misstrauisch an. „Vorwand?“

 

„Naja, ich vermute den schlimmsten Fall, also wie auc-“

 

„Vermute niemals.“

 

Kakashi hob eine Braue angesichts dieser barschen Unterbrechung, fuhr aber unbeirrt fort. „Wie auch immer, es könnte sich auch einfach nur um eine legitime Mission handeln. Sie bieten eine beträchtliche Belohnung, um das Problem zu lösen.“

 

„Legitime Mission basierend auf was?“

 

Kakashi musste einfach schmunzeln. Genma entging überhaupt nichts, was darauf schließen ließ, dass sein Hirn wieder in Gang kam. „Die Behauptung des Daimyōs ist, dass diese illegalen Experimente und der Handel das Werk einer Untergrundgruppierung sind.“

 

„Untergrundgruppierung…“

 

„So hat er es ausgedrückt. Er bestreitet seine Beteiligung, aber wir müssen das mit Sicherheit wissen.“

 

Denn das Letzte, was wir brauchen, ist ein weiterer Krieg…

 

Besonders mit Kusagakure. 

 

Erinnerungen drängten sich an die Oberfläche von Kakashis Verstand; verrottet und aufgebläht…wie die Schrecken, die unter der Kannabi Brücke begraben lagen. Sein Sharingan zuckte warnend. 

 

Denk jetzt nicht daran... 

 

Außerdem gab es Dringlicheres zu bedenken – wie zum Beispiel den Ausdruck auf Genmas Gesicht. Jeder Farbe beraubt und mit eingefrorener Miene sah der Shiranui ebenso blass und ausgezehrt aus wie eine gebleichte Statue, während seine glasigen Augen auf einen Punkt weit jenseits der ruinierten Wände stierten. 

 

Stirnrunzelnd setzte Kakashi die Flasche ab. „Ist alles in Ordnung?“

 

Und Genma erholte sich so schnell, dass sich Kakashi ernsthaft fragen musste, ob er sich den getroffenen Gesichtsausdruck nicht eingebildet hatte. Der Shiranui setzte sich auf und schob das Senbon an eine Seite seines Mundes, während er die Flasche aus den Fingern des Kopierninjas schnappte. Mit nach vorn fixierten Augen nahm er einen raschen Schluck. 

 

„Du weißt eine Menge darüber“, murmelte er. 

 

„Ursprünglich war ich beauftragt, diese Mission anzuführen.“

 

„Wer führt sie jetzt?“

 

„Hyūga Neji. Ich glaube, dass auch Team 10 der Mission zugeteilt wurde.“

 

Genmas Bauch verkrampfte sich; ein plötzliches Rucken von Muskeln, das Kakashis Aufmerksamkeit auf sich zog. 

 

„Team 10?“, raunte der Tokujō. „Bist du dir sicher?“

 

„Jo.“ Kakashi machte eine Pause und entschied sich dazu, dass es an der Zeit war, Antworten gegen ein oder zwei Erklärungen einzutauschen. Die Lider argwöhnisch zusammengezogenen sah er zu dem Shiranui. „Wie kann es sein, dass du nichts davon weißt? Du hättest informiert werden müssen.“

 

Mit zu Schlitzen verengten Augen und nach unten hängendem Senbon stierte Genma für einen weiteren Moment geradeaus. Dann zuckte er mit den Achseln und nahm einen weiteren Schluck des Shōchū. „Wenn ich es nicht weiß, dann muss ich es auch nicht wissen.“

 

Kakashi runzelte heftig die Stirn und sah zu, wie sich die Sehnen in Genmas Hals straff zogen und lösten, als er schluckte und all die Worte hinunter spülte, die er ohnehin nicht sagen würde. Es erinnerte Kakashi an all die Worte, die er vorhin hatte schlucken müssen. Er hatte zugestimmt, seine Befragung zu beenden und all die Verschwörungstheorien aufzugeben, die wie ein toxisches Sargtuch um Genma zu hingen schienen. 

 

Und es fordert seinen Tribut…

 

Es zeigte sich in der Art und Weise, wie der Shiranui sein Doppelleben lebte – begrenzt, gefährlich, ständig am Rand der einen oder anderen Droge. Es hielt ihn nicht davon ab zu funktionieren, was Kakashi unweigerlich dazu brachte, sich zu fragen, von was für einem Fühlen es ihn abhielt. 

 

Er blinzelte Genma an, als würde er durch Rauch blicken. „Hilft es?“

 

Die Frage hätte sich auf jedes mögliche Gift beziehen können; die Lügen, die Drogen, den Alkohol, den herunter gekommenen Zustand seines Lebens. Seufzend legte Genma seine Arme auf seinen aufgestellten Knien ab und ließ seinen Kopf nach hinten kippen, um durch halb geschlossene Lider hinauf auf das kreuzförmige Gitter aus pudrigem Licht zu stieren, das durch die Fenster schimmerte. Es fiel auf ihn wie das Muster eines Netzes – oder eines Käfigs. 

 

„Spielt keine Rolle“, murmelte er und dieses weit entfernte Licht flackerte hinter seinen Augen. „Bin immer noch hier.“

 

Für einen langen Augenblick musterte Kakashi ihn und Kummer stahl sich über sein Gesicht und in seine Stimme. „Ja“, wisperte er heiser. „Du bist nie gegangen.“

 

Genma knirschte mit den Zähnen über sein Senbon und seine Knöchel verkrampften sich um den schlanken Hals der Flasche. „Spielt keine Rolle“, sagte er noch einmal. „Was eine Rolle spielt, ist, dass ich aufstehe und weiter mache.“ Er schniefte kurz und nahm einen langen Schluck des Shōchū, bevor er sich mit dem Handrücken über den Mund wischte. Seine Stimme war spröde wie Rost. „Und jetzt musst du verschwinden.“

 

Selbst wenn Kakashi Worte gefunden hätte, um darauf zu antworten, Genma wartete nicht darauf, sie zu hören. Der Shiranui stemmte sich kalt und abwesend auf die Füße. Und Kakashi konnte sehen, wie sich all die Defensiven des Mannes wieder an ihren Platz begaben und ihn gegen all die harschen Komplikationen und unanfechtbaren Brutalitäten des menschlichen Daseins schützten. 

 

Was für ein Urteilsspruch…

 

Besonders, wenn er derjenige war, der hierher gekommen war, um seine eigene Menschlichkeit nieder zu heulen…

 

Und nun war die Stunde des Wahns vorbei – und ließ was zurück? Noch mehr Schaden? Eine neue Richtung? Einen Sinn von Verständnis von diesem Mann, von dem er dachte, ihn einst gekannt zu haben?

 

Ein Mann, den ich zurück gelassen habe…

 

Ein Kamerad, der zwischen den Gräben lag und langsam verblutete…

 

‚…die, die ihre Kameraden im Stich lassen, sind schlimmer als Abschaum! Und wenn ich sowieso als Abschaum angesehen werde, dann kann ich auch genauso gut die Regeln brechen!‘

 

Das Gewicht dieser Worte saß schwer in Kakashis Herz und häufte sich mit jedem weiteren Tod noch mehr an…es erinnerte ihn an eine Schuld, die im Voraus beglichen und nicht zurück gezahlt werden musste. Was nützte es schon, die Toten zu ehren und darüber die Lebenden zu vergessen? Und als er dabei zusah, wie Genma davon driftete, spürte Kakashi, wie das Gefühl einer verlorenen Perspektive zu ihm zurück schwebte. 

 

Ja, Zeit, aufzustehen und weiter zu machen…

 

Was bedeutete, ein letztes Mal zurück zu kehren; für den lange verlorenen Freund, den er zurück gelassen hatte.

 
 

~❃~
 

 

Dahinter. Darüber. Darunter. Überall. Er konnte ihre Chakrasignaturen wahrnehmen; schwach wie ein Schattenspiel hinter den Mauern. Sie versuchten nicht einmal, ihre Präsenz vor ihm zu maskieren. Und das, wenn schon nichts anderes, sprach Bände über die Arroganz von Danzō Shimura. 

 

Inoichis Lippen verzogen sich angewidert. 

 

‚Die Geister versammeln sich. Du verstehst.‘

 

Geister. Was für ein passender Euphemismus für all diese unbekannten involvierten Agenten. Inoichi hatte genug geopfert, um das Gefühl zu haben, er hätte Brocken seiner verdammten Seele dabei verloren; Geist? Sicher. Dieses Wort passte wie ein gut eingetragener Handschuh. Was für eine Schande, dass es nicht das Blut von seinen Händen hatte fernhalten können.

 

Und den Händen von wem sonst noch?

 

Wer waren die anderen ‚Geister‘, denen der Dritte diese Sache anvertraut hatte? Wen sonst hatte Danzō dazu manipuliert, die Wünsche des Sandaime zu erfüllen, während er gleichzeitig seine eigenen Pläne voran getrieben hatte? Bei wie vielen anderen hatte das Konzil zugestimmt, sie in den Kreis einzuweihen? 

 

Einundzwanzig Jahre des Schweigens…und jetzt…?

 

Und jetzt hatten die jüngsten Aktivitäten von Kusagakure die Vergangenheit an die Oberfläche getreten wie ein Hornissennest. Diese verdammten Chimären-Hybriden. Inoichi hielt inne, wandte sich um und begann, in die andere Richtung zu laufen, um sich davon abzuhalten, zu viel zu analysieren und zu vermuten. Er hatte keine Fakten, keine Zahlen, keinen verfickten Schimmer; nur einen kalten harten Stein, der in seinen Eingeweiden hockte; schwer wie der flache rechteckige Tisch, den er seit den letzten dreißig Minuten umkreiste. Man ließ ihn jetzt schon seit fast zwei Stunden ohne ein Wort oder Wasser in dem kahlen Vorraum warten. 

 

Wie ein Krimineller, dem der Hintern heiß gemacht werden soll. 

 

Es lag eine gewisse Ironie darin, wenn man bedachte, dass er Shikaku und Chōza unter dem Vorwand zurück gelassen hatte, dass er von der Folter und Verhörabteilung gerufen worden war. 

 

Keine komplette Lüge und keine vollständige Wahrheit. 

 

Wahrheit…

 

Das Wort echote von den Wänden seines Verstandes; zusammen mit dem Geräusch von Schritten, die den kalten Betonflur entlang hallten. Wahrheit begraben in Täuschung, die süße Blume innerhalb der bitteren Saat. 

 

‚Die Blume von morgen ist die Saat von heute.‘

 

Ja, er wusste alles darüber, das zu ernten, was man säte. Er nahm die Gespenster dieser Reue ebenso sehr wahr wie er die KERN Agenten wahrnahm, die ihn von allen Seiten beschatteten wie Ratten, die durch die Lüftungsschächte und Kanalisation krochen. 

 

Kami, was für eine Art zu leben. 

 

Was für eine Art zu sterben…

 

Dieser Gedanke versäuerte ihm die Stimmung und ließ seine Erinnerungen gerinnen, bis sie sich zu Knoten in seinem Blut verdichteten, Venen und Arterien blockierten und sein Herz mit Spasmen ungelöster Reue quälten…und mit unanfechtbarer Schuld…

 

 

„KERN? KERN?!“ Schlagartig kam er auf die Füße und katapultierte seinen Stuhl dadurch krachend nach hinten, während er den jungen Mann mit einem anklagenden Blick aufspießte. „Hast du deinen gottverdammten Verstand verloren?!“

 

Violette Augen senkten sich gerade so zur Seite. „Ich antworte, wie ich muss, Inoichi-san.“

 

„Du wirst genau das antworten, was ich dich frage.“

 

„Ich antworte, wie ich muss.“

 

„Wenn das das einzige ist, was aus deinem Mund kommt, dann werde ich die Antworten direkt aus deinem Verstand reißen.“

 

Ein schwaches Lächeln. Traurig. Reuevoll. „Ich glaube nicht, Ojisan. Dafür hast du mich viel zu gut unterrichtet.“

 

„Mein Gott, Junge. Was zur Hölle hast du getan?!“

 

„Was ich tun musste.“

 

„Nach allem, was ich dir beigebracht habe? Nach allem, was dir von dem Dritten gesagt worden ist? Nach ALLEM, was du von mir gelernt hast?“ Er musste aufhören, musste Luft gegen dieses krampfhaft verdrehte Gefühl einsaugen. „Mein Gott, nach all dem…liegt deine Loyalität bei DANZŌ?“

 

Nicht einmal ein Zucken in diesem ernsten Kiefer. Die kühnen Winkel des Gesichtes waren so hart und stolz wie Inoichis eigene Züge; die starken hageren Yamanaka-Gene. Fort war die Weichheit der Jugend, nicht länger ein Junge, nicht länger ein Kind…nicht länger der junge Mann, den er unter seine wegweisende Fittiche genommen hatte…

 

Inoichi schüttelte den Kopf. „Warum…?“

 

„Ich habe das nicht getan, um dich zu hintergehen.“

 

„Und doch hast du das. Kami…das hast du…“

 

„Das war nicht meine Intention.“

 

„Intention?“ Inoichi stieß ein bellendes Lachen aus. „Gib diesem Wort einen Abschiedskuss, Söhnchen. Du hast gerade alle deine Intentionen aufgegeben! Dein Leben aufgegeben! Deine Familie! Deine schiere Identität! Du hast dich selbst zu einem Instrument eines skrupellosen Extremisten gemacht!“

 

„Das ist nicht, was ich-“

 

Inoichis Handfläche donnerte wie ein Richterhammer nach unten. „Ich verbiete dir, das zu tun.“

 

„Mir verbieten?“ Jetzt zuckten diese violetten Augen nach oben. „Du bist vieles für mich. Aber du bist nicht mein Vater.“

 

„Nein.“ Inoichi klopfte feste mit einer Faust auf sein Herz. „Aber ich bin dein Blut. Und ich war dein Sensei. Und ich könnte dich auch nicht mehr lieben, wenn du mein eigener Sohn wärst. Aber wenn du das tust, dann zerbrichst du diese Bande. Verstehst du das?“ Er machte eine Pause, die lange genug für eine Antwort war, aber als keine kam, fügte er mit kühler Endgültigkeit hinzu: „Wenn du das tust, dann bist du für mich gestorben.“

 

Zögern; ein Hauch eines schwindenden Lichtes in diesen verschlossenen Augen. „Dann habe ich als toter Mann meiner Familie nichts weiter zu hinterlassen als dieses eine Geschenk.“ Er griff in die Tasche, die schräg über seiner Brust hing und zog eine Rolle hervor, die er auf den Tisch legte. „Ich habe es für Ino gemacht. Bitte gib es ihr. Das ist alles, worum ich bitte.“

 

Inoichi stierte das Papier an, als wäre es Gift. „Was? Du erwartest von mir, dass ich das an meine Wand hänge wie eine Art Hommage an deine Erinnerung? Nein. Du bekommst keinen Platz in unseren Erinnerungen. Nicht, wenn du diesen Weg wählst.“

 

„Es ist meine Pflicht.“

 

„Bullshit! Das bist du, wie du dein Leben weggibst und zwar in die Hände eines radikalisierten Kreuzzüglers. Als du dich für ANBU entschieden hast, habe ich dich unterstützt. Ich wollte dich vor diesem Pfad bewahren, aber ich habe dich nie davon abgehalten, ihm zu folgen. Gott, ich war sogar stolz darauf, dass du deinen Überzeugungen treu geblieben bist. ANBU konnte ich ertragen. ANBU konnte ich verstehen. Aber KERN?“

 

„Das stimmt. Du verstehst es nicht. Und wenn ich dich dazu bringen könnte, zu verst-“

 

„Ich will es nicht hören. Ich will kein Teil von Danzōs Intrigen sein. Nicht jetzt. Niemals. Ich werde nicht nochmal diese Art von Blut an meinen Händen haben. Du wählst Danzō oder du wählst uns. Es gibt keinen Mittelweg.“

 

„Ich kann hierbei keinen Rückzieher machen.“

 

„Warum?!“

 

Die kleinste Bewegung der Kehle, ein Zucken von Sehnen, bevor sich die Lippen anspannten und die einst so melodiöse Stimme kalt und stahldurchzogen erscholl. „Weil wir uns nicht alle aus dem Staub machen können.“

 

„Oh, du hast dich nur zu gut aus dem Staub gemacht. Du hast deine Bande zu diesem Clan zerschnitten und dich mit einem gottverdammten Kult aus dem Staub gemacht.“

 

„Das ist mein Weg.“

 

„Dann bist du für mich gestorben.“

 

Nichts. Keine Miene, keine Erwiderung. Gemessen an der Reaktion, die er zeigte, war er vielleicht bereits gestorben. „Dann sag Ino, dass ich gestorben bin, als ich meine Pflicht getan habe, Ojisan…“

 

„Verdammt seist du, Junge, wage es nicht, mich so zu nennen! Und wage es nicht, den Namen meiner Tochter auszusprechen. Ab jetzt bist du für sie genauso gestorben wie für mich.“ Er schüttelte den Kopf und seine seegrünen Augen brannten vor Zorn. „Du willst alles auslöschen, was du bist und das für einen militanten Bastard; dann tu es. Aber dein verschwendetes Leben wird nirgendwo in der Nähe meiner Familie begraben werden. Nicht in ihren Herzen und auch nicht in ihren Köpfen.“

 

Ein plötzlicher Ausbruch von Emotionen, ein Riss in der überfrosteten Miene…und der Junge, den Inoichi einst gekannt hatte, brach sich Bahn, als sein Gesicht zuckte, als wollte er den Strom an Gefühlen aufhalten, die nach außen sickerten und sich in violetten Augen sammelten. „Das würdest du tun…?“, krächzte er. „Mich aus ihren Erinnerungen löschen?“

 

Und Inoichi verhärtete sein Herz, verschloss seinen Geist. „Innerhalb eines Herzschlages.“

 

„Eines Herzschlages? Hast du so lange gebraucht, dich für das Auslöschen zu entscheiden, als du Shikak-“

 

„Halt den Mund!“, explodierte Inoichi, stürzte um den Tisch und jeder Muskel zog sich mit gezügelter Brutalität straff, als seine Augen loderten und seine Nasenflügel bebten. „Kami helfe mir, ich bring dich um.“

 

„Siehst du es?“ Ein Lachen, das keinen Humor in sich hielt, erstickt und kehlig. „Liebe oder zerbrochene Bande. Loyalität oder Verrat. Richtig oder falsch. Gut oder böse. So festgelegt für dich. So schwarz und weiß. Ich habe dich immer für deine Werte geliebt, aber Gott, wie ich dich gerade für deinen kurzsichtigen Blick auf die Welt hasse!“

 

„Mich hassen? Mit Sicherheit musst du mich über alle Maßen hassen, um das zu tun. Hierher zu kommen und mir alles ins Gesicht zu schleudern, was ich dir jemals beigebracht habe!“

 

„Es ist NICHT schwarz und weiß! Es ist nicht so simpel!“

 

„Oh du hast es so simpel gemacht. Du hast dir zusammen mit Danzō dein Grab geschaufelt und jetzt kannst du darin verrotten. VERSCHWINDE! Und komm ja nicht wieder zurück!“

 

Er war niemals wieder zurück gekommen…

 

Inoichi blieb stehen; einen Schritt zurück gestoßen von der Wucht seiner Erinnerungen und der Reue, die sie begleitete. Er stützte eine Hand gegen den Tisch, als würde er gegen einen Schwindel ankämpfen. Über ihm surrte die Lüftung und das Gesindel huschte davon; ihre maskierten Signaturen pulsierten in seinen Verstand hinein und wieder hinaus, bevor sie verschwanden. 

 

Überrascht hob sich sein Kopf. 

 

Sieht aus, als würden die Ratten das Schiff verlassen…

 

Kaum hatte er diesen Gedanken beendet, da glitt die dicke Tür auf und vier KERN Agenten schwappten herein. Ohne ein einziges Wort bewegten sie sich durch den Raum, um sich in allen vier Ecken wie Wachposten zu positionieren. 

 

Inoichis Augen verengten sich. 

 

Was zur Hölle?

 

Eine weitere Chakrasignatur flackerte in seinem Verstand auf. 

 

Gerade drehte er den Kopf, als ein spindeldürrer Mann durch die offene Tür geschlurft kam; die Arme hatte er um einen farbcodierten Stapel flatternder Papiere und einige Ordner geschlungen. 

 

„Inoichi-san“, sagte der Mann, während er sich setzte. 

 

Rasch musterte er den Mann von Kopf bis Fuß, nahm das schilfartige weiße Haarbüschel, die breite, glänzende Stirn und die dunklen Perlaugen in sich auf, die weit voneinander entfernt in einem flachen insektengleichen Gesicht saßen. Eine randlose Brille vergrößerte den hektisch zuckenden Blick, als er zwischen den KERN Agenten und Inoichi hin und her huschte, aufzeichnete und bewertete. 

 

Shikakus Seelenklempner…

 

Inoichi erkannte ihn nicht zuletzt an den Mantis-gleichen Zügen. Shikaku sprach nie darüber. Und Inoichi fragte nie. Er kannte nur einen einzigen Fakt. Einen Namen. 

 

Dr. Mushi.

 

Endlich ein Mann, von dem er nicht überrascht war, ihn zu sehen. 

 

Aber die Vorhersehbarkeit der Anwesenheit des Arztes trug überhaupt nichts dazu bei, Inoichis wachsendem Unbehagen den Biss zu nehmen. Er sah zu, wie der Psychiater mit einem scharfen kalkulierten Schnappen seines Zeigefingers durch die Papiere blätterte und all die Fußnoten, Fakten und Zahlen durchging, die Inoichi nicht hatte. 

 

Hierbei kann es nicht um Shikaku gehen…er ist seit einundzwanzig Jahren stabil…

 

Einundzwanzig Jahre. Sie waren wie Sand durch ein sehr kleines Stundenglas gelaufen. Ein Tag nach dem anderen; so hatte er versucht, sein Leben zu leben. Denn es gab keine Garantien und nichts war selbstverständlich. 

 

Und trotzdem…wusste ich irgendwie immer, dass dieser Tag kommen würde…

 

Es hatte ihn seit Jahren heimgesucht wie ein Schatten auf seiner Seele. Stirnrunzelnd verlagerte Inoichi sein Gewicht zwischen beiden Füßen, als könnte er so das schwere Gefühl abschütteln, das sich festsetzte. 

 

„Geht es dir gut, Inoichi-san?“, fragte Dr. Mushi über den Tisch hinweg und sah dabei über die Ränder seiner Linsen. „Ich kann mir vorstellen, dass das hier sehr schwer für dich sein muss.“

 

Inoichi machte sich kaum die Mühe, sein Schnauben zu unterdrücken. Was für eine Aussage. Was für eine Art und Weise, das Messer zu drehen. Er bedachte den Doktor mit einem schmallippigen Lächeln und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Türöffnung, als der Klang eines Stockes auf Beton durch den Gang hallte; ein stetes klack-klack-klack. Es ertönte wie das nervtötende Tropfen von Wasser. Ein Niesel vor dem Platzregen. 

 

Inoichi sog scharf die Luft ein und sah zu, wie die Silhouette eine Form annahm. 

 

Danzō erschien im dunklen Maul der Tür und sein Blick driftete durch den Raum wie ein kalter Wind. Er führte mit seinem Stock und seine Schritte waren steif. Flankiert wurde er von seinen unerschütterlichen Begleitern; Fū und sein KERN Partner, ein Mann, der in die schwere Kleidung eines Aburame Shinobi gehüllt war. 

 

Inoichi schenkte den beiden keinerlei Beachtung, sondern hielt seinen Blick auf Danzō gerichtet. 

 

Der Shimura lehnte sich schwer auf seinen Stock und seine Schritte waren so gestelzt und sein Näherkommen so langsam, dass man meinen könnte, er hätte starke Schmerzen. Doch nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Und Inoichi hatte keinerlei Absicht, auf diesen gebrechlichen Trick herein zu fallen. Er folgte dem langsamen Orbit, den Danzō um den Tisch herum beschrieb und beobachtete, wie sich der Shimura wie ein Raubvogel um den Beuteplatz bewegte. Letztendlich ließ er sich auf dem Stuhl direkt gegenüber der Tür nieder. 

 

Nach einer langen Pause ergriff Danzō das Wort: „Setz dich hin, Inoichi.“

 

Inoichi erwiderte nichts, stand einfach nur da und betrachtete ihn ruhig. 

 

Danzō hob sein vernarbtes Kinn. Und das signalisierte das langsame Gleiten der Tür; es schloss die Außenwelt ab und ließ nur den kalten Hohlraum des Zimmers zurück, sowie das kränkliche ockerfarbene Leuchten der schwächlichen Deckenlampen.

 

Was? Das war’s?

 

Mit tief gerunzelter Stirn scannte Inoichi den Tisch. 

 

„Was ist?“, fragte Dr. Mushi und fing sich dadurch einen scharfen Blick von dem Yamanaka ein. „Hast du sonst noch jemanden erwartet?“

 

Da er dachte, dass eine beiläufige Erwiderung die beste Art zu spielen wäre, setzte Inoichi ein weiteres dünnes Lächeln auf und ließ seine Stimmt mit einem trockenen Tonfall hervor rollen. „Ist nicht gerade die Aufmachung, die ich mir vorgestellt habe.“

 

Danzōs nach unten gezogener Mund verdrehte sich zu etwas, das vielleicht ein Schmunzeln sein sollte. „Nur Narren setzen alles was sie haben auf eine Karte, Inoichi-san.“

 

Innerlich überrascht behielt Inoichi eine neutrale Miene bei. Er hatte nicht vorgehabt, mit seinem Spiel der Unverschämtheit an irgendwelche Informationen zu kommen. Das nannte man wohl Glück. Denn jetzt wusste er mit Sicherheit, dass es da zumindest noch eine weitere Person – wenn nicht sogar mehrere – gab, die in dieses Treffen hätten eingeweiht werden sollen. 

 

Während er in das eine sichtbare Auge des Shimura stierte, tat Inoichi mit einem Neigen des Kopfes so, als würde er diesem Punkt nachgeben. „Ich nehme an, wir sind hier, um über Nara Shikaku zu sprechen.“

 

„Setz dich hin“, wiederholte Danzō. 

 

Sofort versteifte sich Inoichis Wirbelsäule. Er machte keinerlei Anstalten, sich zu fügen. 

 

Mushis glänzende Augen musterten ihn; ein Funkeln von Ränkespiel hinter den runden Linsen, als würde er versuchen herauszufinden, was für ein tief verwurzeltes psychologisches Problem diese Rebellion verursachte. 

 

Gott, ich hasse Seelenklempner…

 

Noch einmal ergriff Danzō das Wort und seine Stimme war dabei eine schonungslose verbale Faust. „Setz dich hin, Inoichi.“

 

Inoichi hätte sich vielleicht noch an einem weiteren Moment des Trotzes versucht, aber die kalte Furcht in seinem Inneren überwog alles; selbst seine Entschlossenheit, stehen zu bleiben. Langsam zog er sich einen Stuhl heran und ließ sich schwer darauf nieder. 

 

Es entstand eine kurze, beinahe schon neugierige Stille am anderen Ende des Tisches, als sich Danzōs kalt kalkulierendes Auge wie ein Pfeil auf Inoichi richtete. „Solch ungerechtfertigtes Misstrauen, Inoichi.“

 

„Von wem ausgehend?“, forderte Inoichi heraus und ging sofort in die Defensive. „Du zitierst mich hierher und lässt mich für zwei Stunden warten, obwohl du genau weißt, dass der Grund, aus dem du mich gerufen hast, die Diskussion einer Angelegenheit ist, die gar nicht anders kann, als mich zu beunruhigen.“

 

„Beunruhigen?“, echote Danzō mit all der Unschuld eines durchtriebenen Kindes. „Wieso das? Gibt es dafür einen Grund?“

 

Inoichis Augen zogen sich bei dem ködernden Tonfall zu Schlitzen zusammen. „Shikaku ist jetzt schon seit einundzwanzig Jahren stabil.“

 

„So ist es“, schaltete sich nun Dr. Mushi ein und plusterte sich dabei auf wie ein Professor, der begierig darauf war, seine Erkenntnisse mit einem Wissenschaftskomitee zu teilen. „Tatsächlich hat sich seine Biochemie nach der Geburt seines Sohnes vollkommen stabilisiert. Seitdem hat er bemerkenswerte Fortschritte gemacht.“ Und wie um seine Aussagen empirisch zu unterstützen, blätterte Mushi mit dem Daumen durch ein paar Notizblätter, bevor er ein Papier hervor zog. „Ich wurde gerade eben erst über seine Begegnung mit den Kusagakure Chimären unterrichtet und ich muss sagen, dass es äußerst vielversprechend ist zu sehen, dass alle psychologischen Trigger weiterhin ruhen. Keine Symptome der Vermeidung oder Übererregbarkeit. Wirklich sehr vielversprechend.“

 

„Ich denke, du hast deinen Punkt deutlich gemacht, Doktor“, sagte Danzō. 

 

Inoichi bemerkte die Öffnung und grätschte rasch hinein. „Was den Sinn, mich hierher zu bestellen, in Frage stellt. Shikaku ist nicht abgerutscht. Nicht ein einziges Mal. Ich würde nicht zulassen, dass das passiert.“ Er spießte Danzō geradezu mit einem erhitzten Blick auf. „Du hast vor dem Sandaime geschworen, dass du KERN von ihm fernhalten würdest. Alles, was die Oberflächenaktivitäten von Kusagakure betrifft, wurde in meinen Händen gelassen.“

 

Danzō besaß ernsthaft die Frechheit, belustigt auszusehen. „Territorial wie immer, Yamanaka. Aber wie es uns die Vergangenheit lehrt, können wir die Menschen oder die Pläne, die wir schützen wollen, nicht immer kontrollieren.“

 

Elender Hundesohn. 

 

Inoichi krallte seine Finger in den Arm seines Stuhls, um sich davon abzuhalten aus seinem Platz zu schnellen. Er konnte fühlen, wie die kalten Insektenaugen von Dr. Mushi mit der morbiden Faszination eines Wissenschaftlers, der ein menschliches Experiment begutachtete, über ihn huschten.

 

„Du machst dir Sorgen um deinen Freund“, stellte der Doktor fest. 

 

Inoichi funkelte ihn zornig an. „Du hast einen wirklich großartigen Sinn für das Offensichtliche, Doktor.“

 

„Dann schieb deine Besorgnis beiseite“, sagte Danzō. „Wir sind nicht hier, um über Nara Shikaku zu diskutieren.“

 

Argwöhnisch wurden Inoichis Augen schärfer, als sie zu Fū zuckten. „Und der Zweck deiner kleinen Fehlleitung auf der Lichtung?“

 

Danzō schmunzelte. „Der Zweck war, deine Aufmerksamkeit zu bekommen, Yamanaka.“

 

Der Schlag und bittere Beigeschmack von Manipulation trafen Inoichi mitten ins Innerste und drohte, die kühle Schale aus Logik aufzuknacken, die er stets über sein vulkanisches Temperament gelegt hielt. Danzō hatte ganz genau gewusst, wie er ihn spielen musste. Es gab nur eine einzige Sache, die jemals erfolgreich gegen ihn eingesetzt worden war. Seine Familie. Und er betrachtete den Nara und den Akimichi als einen komplexen Teil dieses Kreises. 

 

„Shikakus Stabilität interessiert mich nicht“, stellte Danzō klar; ein Echo der Worte, die er vor Jahren gesprochen hatte. „Das hat sie noch nie in Bezug auf diese Angelegenheit. Mein einziges Interesse an Kusagakure besteht darin, in ihrer Untergrundpolitik Fuß zu fassen.“

 

„Ganz genau“, argumentierte Inoichi. „Ihre Untergrundpolitik, nicht das, was über der Oberfläche vor sich geht.“ Doch noch während er es sagte, spürte er die Risse in seiner Überzeugung. Energisch hielt er seinen Zweifel von seinem Gesicht fern und hielt ihn tief in seiner Brust verschlossen. Es würde sicher nicht angehen, dass er Danzō glauben ließ, er wäre in irgendeiner Art willens, bei diesem Treffen mitzumachen. 

 

„Was unterhalb lauert, bleibt nicht immer unter der Oberfläche begraben“, erwiderte Danzō. Mit einer Hand winkte er dem Doktor zu. „Sag es ihm.“

 

Angesichts dieses erniedrigenden Ruckens von Danzōs Handgelenk runzelte Dr. Mushi die Stirn, fügte sich aber nichtsdestotrotz und sammelte seine Notizen zusammen. „Vor einem Monat wurde ich gerufen, um einen Shinobi zu untersuchen, der dabei erwischt wurde, wie er sich durch das Untergrundsystem, das nur ANBU bekannt ist, in das Dorf geschlichen hat. Wir haben einen Spion vermutet.“

 

Inoichi richtete seinen Blick direkt auf den Arzt. „Warum wurde er nicht für eine Befragung zu Ibiki gebracht?“

 

Mushi schüttelte den Kopf. „Das war nicht nötig. Wie sich herausstellte, war es einer von unseren Leuten.“

 

„Einer von meinen“, korrigierte Danzō. 

 

Inoichis Kiefer verkrampfte sich bei dieser Behauptung. „KERN.“

 

Mushi nickte. „Ein verdeckter Agent in ziemlich ernstem, geradezu katastrophalem Zustand.“ Er zog einige Notizen zurate und blätterte durch medizinische Berichte. „Misshandelt, ausgelaugt, unterernährt, an einer einsetzenden Sepsis und einem unregelmäßigen Chakra Rhythmus leidend. Was mich allerdings verblüfft hat, war, wie klar er zu sein schien, zumindest anfangs. Er bat immer wieder um medizinische Hilfe, bevor man ihm gestatten sollte, dem Hokage zu berichten.“

 

Inoichis Brauen hoben sich zusammen mit ein paar roten Flaggen. Warum sollte ein KERN Agent nach dem Hokagefragen? Sie unterstanden einzig und allein Danzō. Ebenso war es unerhört für einen Agenten, medizinische Hilfe zu verlangen, wenn er luzide genug war, um Bericht erstatten zu können. Alle ANBU Agenten – egal ob KERN oder nicht – mussten ihren Vorgesetzten umgehend Bericht erstatten; völlig ungeachtet des Zustandes, in dem sie sich befanden. Sie konnten ihre Lungen aushusten oder ihre Eingeweide auf dem Boden verteilen, während sie ihre gesammelten Informationen weitergaben; die kalte Tatsache blieb, dass die Informationen immer mehr Wert und wichtiger waren als das Leben des Agenten. 

 

Mushi schmunzelte grimmig über Inoichis perplexes Stirnrunzeln. „Ich weiß. Äußerst ungewöhnlich. Aber er war absolut unnachgiebig. Natürlich hat mich dieser Bruch mit dem Protokoll von KERN alarmiert.“ Ein Hauch von Bedauern zog die Haut zwischen den ausgedünnten Brauen des Arztes zusammen. „So grausam die Taktik auch war; ich habe ihm gesagt, ich würde ihm erst medizinische Hilfe holen, wenn er mir ein paar Antworten gibt.“

 

Schnaubend ruckte Inoichis Braue schräg nach oben. „Offensichtlich hattest du den Folter und Verhör Part gut im Griff.“ Er ignorierte den verletzten Blick des Doktors. „Und? Hat er geredet?“

 

Seufzend tippte Dr. Mushi mit einem Finger auf den Bügel seiner Brille. Die Linsen blitzten weiß auf und verdeckten seine gesenkten Augen. „Nein; während seines Verhörs erlitt er einen septischen Schock und wurde zwei Wochen lang auf der privaten Intensivstation von ANBU untergebracht, bevor ich gerufen wurde, um ihn erneut zu untersuchen.“ Er durchwühlte seine Notizen und umfasste einer seiner Linsen mit den Fingern wie ein Monokel. „Wie auch immer; kaum war er medizinisch stabil, da weigerte er sich zu kooperieren. Ich konnte nichts aus ihm heraus bekommen. Er bestand immer nur darauf, den Sandaime zu sehen-“

 

„Den Sandaime?“, echote Inoichi ungläubig. 

 

Mushi nickte ernst. „Ihm war nicht klar, dass Hiruzen-sama vor mehr als zwei Jahren verstorben war. Und lass mich dir versichern, dass das kein Fall von Amnesie war. Er war geschockt, ich wage sogar zu sagen, er war traurig und bestürzt. Ungewöhnlich emotional für einen KERN Agenten.“

 

Seltsam.

 

Und frustrierend. Aber er konnte nicht darüber nachfragen, wenn Danzō auf der anderen Seite des verdammten Tisches hockte. Seufzend rieb sich Inoichi über den Kiefer und stieß einen Atem zwischen den Fingern aus. „Er muss wirklich sehr tief undercover gewesen sein, wenn er nicht wusste, dass der Hokage tot ist.“

 

„Ja. Der Agent wurde seit über zehn Jahren als ansässiger Spion in Kusagakure eingesetzt“, erklärte Mushi und spähte kurz nach Bestätigung suchend zu Danzō. „Seine Mission bestand darin, deren Untergrund Operationen im Auge zu behalten, ja?“

 

Schon wieder wanderte eine von Inoichis Brauen nach oben. „Untergrund Operationen?“

 

„Untergrund Projekt“, korrigierte Danzō und seine nächsten Worte erschollen wie eine Totenglocke. „Projekt Shinjū. Ich bin mir sicher, du erinnerst dich.“

 

In der Stille, die diesen Worten folgte, verschwand sämtliche Farbe schneller aus Inoichis Gesicht als die Luft aus seinen Lungen. 

 

Erinnern?

 

Kami, er hatte einundzwanzig Jahre damit verbracht, sich zu erinnern. Er musste seine Hände gegen die Tischkante stemmen, um sich gegen den Ansturm an Erinnerungen zu wappnen. 

 

‚Oh Gott nein. Shikaku…was…was hast du getan?‘

 

‚Das ist meine Natur.‘

 

Inoichi drehte den Kopf zur Seite, als hätte man ihn geschlagen und presste die Lider aufeinander, bevor er seinen Blick auf Höhe mit Danzōs brachte. Seine Stimme war ein gefährliches Grollen. „Projekt Shinjū ist vor einundzwanzig Jahren beendet worden.“

 

„Nicht wirklich, Yamanaka.“

 

Mit äschernem Gesicht und am Rande eines üblen Brechreizes verkrampfte sich Inoichis Griff um den Tisch. „Wovon zur Hölle redest du? Das war die Mission von KERN.“

 

Vollkommen unempfindlich gegen das anklagende Starren neigte Danzō den Kopf und sein einzelnes Auge war dabei dunkel und tot wie Stein. „Nein, Inoichi. Projekt Shinjū zu beenden war eure Mission. Deine, Chōzas und Shikakus. Und was für ein Chaos ihr daraus gemacht habt. Du solltest dankbar dafür sein, dass Hiruzen das meinen Händen übergeben hat, um zumindest noch irgendetwas aus dieser Katastrophe zu bergen.“

 

Und mit diesen Worten hätte Danzō auch nicht härter oder schmutziger zuschlagen können, wenn er eine rostige Klinge direkt durch Inoichis Brustbein gerammt hätte.

 

Bergen?“, raunte Inoichi fassungslos. „Was zur Hölle hätte aus dieser Einrichtung geborgen werden können, außer die Opfer der Experimente, die dort stattgefunden haben? Und selbst wenn; am Ende ihrer Qualen waren sie ja nicht einmal mehr wirklich menschlich. Was sollte man wollen mit…“ Er brach ab und seine Augen wurden groß. 

 

Danzō sagte nichts. 

 

Entsetzt schüttelte der Yamanaka in schierer Fassungslosigkeit den Kopf. „Götter, du bist nicht besser als Orochimaru.“

 

„Inoichi“, warnte Mushi.

 

„Ist schon in Ordnung, Doktor“, erwiderte Danzō. „Ich bin es gewohnt, dafür vor Gericht gestellt zu werden, diffizile Anweisungen zu geben, die nur meine Leute ausführen können. Selbst dann, wenn diese diffizilen Anweisungen dem Wohle des Dorfes dienen.“

 

„Dem Wohle des Dorfes?“, knurrte Inoichi und seine Stimme hob sich zusammen mit dem Feuer in seinem Bauch, das sich über den eiskalten Schock stahl. „Für das Wohl des Dorfes war es deine Pflicht, diese Einrichtung zu schließen. Würde dir dieses Dorf auch nur ein winziges Bisschen bedeuten, dann hättet ihr jeden Quadratzentimeter dieser Einrichtung abgeriegelt, verbrannt und begraben.“

 

„Du glaubst, dass Hiruzen es begraben haben wollte.“

 

Inoichis Atmung erstarb. Er zog den Kopf zurück; sein Verstand völlig paralysiert von dieser ungeheuerlichen Behauptung. „Was?“ Er erstickte fast an dem Wort und hustete es kopfschüttelnd auf einem rauen Lachen heraus. „Ich glaube dir nicht.“

 

„Nein. Das würde deine moralische Überlegenheit kompromittieren. Und wie hoch und mächtig die über der Oberfläche doch sind und diejenigen verdammen, die darunter arbeiten.“ Auch Danzō schüttelte den Kopf. „Kein Wunder, dass das größte Versagen von Hiruzens kostbaren Ino-Shika-Cho aus den Aufzeichnungen gestrichen wurde. Gott bewahre, dass ihr als irgendetwas anderes als als Helden gefeiert werdet.“

 

Säure in alte Wunden und Inoichis Augen glühten wie oxidiertes Kupfer. „Sagst du mir gerade, dass Pojekt Shinjū niemals lahm gelegt wurde?“ Und bei Danzōs Schweigen spürte Inoichi das Frösteln einer Skeletthand, die seine Wirbelsäule hinunter strich. „Götter…kommen diese Chimären von dort? Ist das die Untergrund Aktivität, die ihr all die Jahre überwacht habt?“

 

Danzōs Auge blieb dunkel und unergründlich; da war nicht einmal der Hauch einer Emotion oder ein Funke von Intention. „Die einzigartige Position von KERN erfordert es, dass er mit allen Ebenen der Unterwelt in Verbindung steht, Inoichi. Nur gleichgesinnte Individuen mit der Stärke, das zu tun, was für das Wohle dieses Dorfes notwendigist, könnten die Art von Opfer verstehen, die es braucht, um diese tieferen Ebenen zu infiltrieren. Dich und dein Team geschickt zu haben war ein Fehler. Einer, den Hiruzen bereinigt hat, indem er diese Angelegenheit in meine Hände gelegt hat.“
 

„Was? Sodass du Agenten dorthin schicken konntest, um Zuschauer bei menschlichen Experimenten zu sein wie bei einem kranken Sport?“, spie Inoichi aus und ein brutaler Druck begann sich in seiner Brust zu bilden, als seine Lungen wie Blasebälge arbeiteten und seinen Zorn noch weiter anfachten, obwohl er darum kämpfte, ihn einzudämmen. „Der Sandaime hätte das niemals gebilligt! Er hätte niemals ein Projekt unterstützt, das von einem Psychopathen entwickelt wurde; ein Projekt, das Nara Shikaku beinahe sein Leben gek-“

 

„Inoichi-san, bitte“, unterbrach Dr. Mushi ihn sanft und faltete seine Finger über den Akten. „Diese Situation ist viel zu persönlich für dich, als dass du die komplizierte Politik begreifen könntest, die darin involviert ist. Projekt Shinjū mag ja das geistige Kind eines Psychopathen gewesen sein, aber die innovativen Fortschritte, die Shuken in der Chakra Entwicklung gemacht hat – sowohl auf physiologischem, als auch psychologischem Gebiet – haben es uns ermöglicht, unsere eigenen Forschungen zu erweitern und zu entwickeln, bis-“

 

Forschung?“, fauchte Inoichi und seine Stimme zischte dabei wie Dampf zwischen seinen Zähnen hervor. „Ist es das, was Nara Shikaku für euch ist? Verfickte Forschung?“

 

Die im Raum stationierten KERN Shinobi regten sich langsam angesichts der sich aufbauenden Spannung und ihre Finger zuckten; bereit dazu, jederzeit nach ihren Klingen zu greifen. Danzō drehte nur marginal den Kopf und sein nonverbaler Befehl ließ sie sofort wieder erstarren. 

 

Inoichi ignorierte sie; seine Rage war einzig und allein auf den weißhaarigen Therapeuten gerichtet. „Du solltest sein Arzt sein!“, knurrte der Yamanaka und umklammerte die Kante des Tisches, während er den Körper nach vorn neigte wie bei einer Balliste, die kurz vor dem Abschuss stand. „Kami, hast du in den letzten einundzwanzig Jahren überhaupt irgendetwas für Shikaku getan, oder hast du nur eine verfickte Fallstudie um sein Trauma herum aufgebaut?!

 

Dr. Mushi schreckte in seinem Stuhl zusammen und zog sich zurück, als wäre er physisch angegriffen worden. „Auch wenn ich verstehen kann, dass du einen solchen Irrglauben hegst, Yamanaka-san, lass mich dir versichern, dass ich niemals die geistige Gesundheit meines Klienten kompromittieren oder ausnutzen würde, um-“

 

Inoichi ließ seine Hand nach unten donnern und schnitt sie in einem brutalen Schwung über den Tisch, bevor er sich halb aus dem Stuhl und über den Zwischenraum lehnte. „Erspar mir deine scheinheiligen Zusicherungen, du widerliches kleines Stück Scheiße! Hast du überhaupt irgendeine Ahnung, was Shikaku durch die Hände dieses Monsters angetan worden ist? Hast du irgendeine Ahnung, was Shuken getan hat? Hast du irgendeinen gottverfickten SCHIMMER von dem, was vor sich gegangen ist, in diesen-“

 

Opfer“, unterbrach Danzō ihn und seine Stimme dröhnte über Inoichis. „Das ist, was vor sich gegangen ist. Das ist es, was bei Shinobis, die aus den Schatten heraus arbeiten, jeden Tag und jede Nacht vor sich geht. Nur wird es für manche von uns keine Wiederkehr aus dieser Finsternis geben. Keine unterdrückten Erinnerungen. Keine Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Kein Hokage, der seine schützende Hand über uns hält und keine manipulierten Berichte.“

 

Fassungslos sackte Inoichi zurück in seinen Stuhl; bestürzt, entsetzt. „Wie kannst du es wagen, das, was Shikaku zugestoßen ist, dafür zu nutzen, deine Taten zu rechtfertigen“, knurrte er und der Beschützerinstinkt für seinen Freund stieg in ihm auf wie ein rachsüchtiger Geist, der aus den dunkelsten und heimgesuchtesten Winkeln seines Herzens auftauchte. „Nein. KERN braucht keine manipulierten Berichte, weil sie nicht für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Sie müssen sich gegenüber niemandem verantworten, oder irgendetwas anderes beschützen als dich.“

 

Danzōs Auge zog sich finster zusammen. „Alles, was ich tue, mache ich für das Dorf“, sagte er leise. „Erinnere mich nochmal daran, was damals deine Motive waren? Unser Dorf vor einem Monster wie Shuken zu schützen? Oder Nara Shikaku davor zu bewahren, ein solches zu werden?“

 

Explosionsartig schnellte Inoichi auf die Füße. „Du dreckiger BASTARD!“

 

Von allen sechs KERN Agenten bewegte sich nur einer. 

 

Fūs Angriff war ein Schemen und sein Tantō ein weißer Streifen. 

 

„STOP!“, bellte Danzō. 

 

Der Schlag traf nie sein Ziel. 

 

Inoichi riss den Kopf zurück. Die Klinge zitterte eine Haaresbreite von seinem Gesicht entfernt. Zornfunkelnd stierte er in bernsteinfarbene Augen und seine Stimme war ein bebendes Grollen. „Du nimmst lieber diese Klinge aus meinem Gesicht, Junge, bevor ich dir Kopfschmerzen verpasse, die dich wünschen lassen werden, du hättest nicht einmal daran gedacht, sie zu ziehen.“

 

Fūs Griff um das Heft der Waffe verkrampfte sich, bis Danzō eine Hand hob und seine Finger in einer zurückrufenden Geste drehte. Fū löste sich und trat zurück hinter den Stuhl seines Meister; gefügig wie ein gut trainierter Kampfhund.

 

Stille legte sich mit einer Regungslosigkeit, die im Licht der plötzlichen Gewalt sowohl kalt und ernüchternd war, über die Luft. Der Zorn sprudelte mit vulkanischer Hitze in Inoichi; ein rauchender Krater in seiner Seele, der seinen Verstand und sein Urteilsvermögen bewölkte…

 

‚Behalte einen kühlen Kopf und einen agilen Verstand, alter Freund.‘

 

Shikakus Worte drifteten durch ihn, wischten den Rauch beiseite und ließen Asche und Schlacke zurück. Inoichis Augen schwelten mit einem inneren Konflikt und unterdrückte Rage grub sich in sein Gesicht. 

 

Und Danzō erwiderte den Blick mit einer unlesbaren Miene, bis sich seine Mundwinkel mit den Ansätzen höhnischen Spotts vertieften. „Tz. Was für Emotionalität. Du enttäuschst mich, Yamanka.“

 

Dr. Mushi, der während ihres Austausches ein stummer Beobachter gewesen war, griff nun seinerseits ein. „Inoichi-san, während deine Befürchtungen und dein Schmerz im Zusammenhang mit dem Shinjū Projekt und der Involvierung von KERN darin verständlich sind, ist doch nicht alles so schwarz und weiß, wie du es gerne hättest.“

 

‚So schwarz und weiß. Ich habe dich immer für deine Werte geliebt, aber Gott, wie ich dich gerade für deinen kurzsichtigen Blick auf die Welt hasse!‘

 

Zerrissen von der tiefen Narbe, die diese Worte auf seinem Herzen hinterlassen hatten, presste Inoichi die Lider aufeinander und fühlte, wie sein Puls heftig in seiner Kehle hämmerte. Gott, einundzwanzig Jahre auf dem langen und kurvenreichen Weg zur Genesung und die Furcht, der Schmerz, die Sorge waren immer noch so roh wie immer. 

 

Es muss so sein…sodass wir uns erinnern können.

 

Erinnern. Erinnern, was geschehen war, sodass Shikaku vergessen konnte. 

 

‚Und wenn er mich bittet, ihn zu erinnern?‘

 

‚Das darfst du nicht.‘

 

‚Aber ich…‘

 

‚Yoshino. Wir müssen uns für ihn erinnern, sodass er vergessen kann.‘

 

Ja. Sie mussten sich erinnern. Immer. Denn es durfte niemals zugelassen werden, dass das, was Nara Shikaku zugestoßen war, jemals wieder irgendjemandem anderem widerfuhr. 

 

Niemals wieder.

 

Mit aller Kraft verbannte Inoichi diese Gespenster zurück in die Tiefen seines Herzens und zwang sich dazu, sich zusammen zu reißen. Nach einem langen Atemzug setzte er sich wieder und ließ die Lava, die durch seine Venen strömte, zu einer dünnen Magmakruste erkalten. 

 

Als er seine Augen wieder öffnete, waren sie ruhig und klar. „Sag mir einfach, warum zur Hölle ich hier bin und was verfickt nochmal du von mir willst.“

 

„Informationen“, erhellte Danzō ihn kühl. „Informationen über Kusagakure, die mir gehören und mir dennoch verweigert wurden. Informationen, bei denen du mir helfen wirst, sie zu beschaffen.“

 

Inoichi hob die Brauen und ein halb gedämpftes Schnauben verfing sich in seiner Kehle. „Wie bitte?“

 

Danzō ruckte mit seinem Kinn zu Dr. Mushi. „Erklär es ihm.“

 

Mushi seufzte. „Wie ich bereits vorhin erwähnt habe, Inoichi-san, hat sich dieser KERN Agent geweigert zu kooperieren, oder von seinen Erkenntnissen zu berichten, weswegen wir gezwungen waren…“ Hier machte Dr. Mushi eine Pause und senkte den Kopf, da er offensichtlich nicht mehr in der Lage war, weiter zu sprechen. 

 

Eine knappe Geste von Danzō genügte und Fū trat nach vorn, um den abgebrochenen Satz des Arztes mit einer Stimme aufzunehmen, die ebenso neutral und unbekümmert war wie seine Miene. „Ich habe seinen Verstand invadiert, um die Informationen zu extrahieren.“

 

Inoichi versteifte sich auf seinem Stuhl und spürte die Bitterkeit von Reue wie ein Magengeschwür in sich. Er war es gewesen, der Fū diese Ninjutsu Technik beigebracht hatte.

 

Hn. Mit den Konsequenzen muss ich wohl leben.

 

Er gestattete der Vergangenheit ihre bittere Schuld und zwang sich dazu, zu fragen: „Und war es erfolgreich?“

 

Danzō stieß ein seltsames Geräusch aus dem Rachen aus. „Wohl kaum.“

 

Inoichi blinzelte; er war sich nicht sicher, ob er von Fūs Scheitern überrascht sein sollte, oder aber beeindruckt von der Stärke dieses mysteriösen Agenten. „Er hat sich widersetzt?“

 

„Er wurde vollkommen nutzlos für mich.“

 

Mushis Miene verdüsterte sich über diese grausame und ungehobelte Einschätzung. „Er hat einen psychotischen Schub erlebt.“

 

Shit. Was hat sich in seinem Verstand abgespielt, das so etwas verursachen würde?

 

Es erfreute Inoichi beinahe schon, daran zu denken, dass Danzō wegen derselben verdammten Frage schlaflose Nächte durchleiden musste. Langsam lehnte er sich ein Stück nach hinten und verdaute diese Information stirnrunzelnd. „Ich nehme an, dass dieser Schub vorbei ist?“

 

Mushi schüttelte den Kopf. „Normalerweise wäre das der Fall, ja. Psychotische Schübe dauern in der Regel einen Tag Minimum bis zu maximal einem Monat. Doch unglücklicherweise geriet der Zustand des Agenten in einen Kontrollverlust. Innerhalb einer Woche war er katatonisch und vor drei Tagen verschlechterte er sich bis zu einem Zustand, der nur als vegetativ bezeichnet werden kann.“

 

Inoichis Brauen schossen nach oben, bevor sie sich in einem perplexen Stirnrunzeln zusammenzogen, während seine Gedanken um diese regelwidrigen Informationen kreisten. Von Katatonie direkt in ein Wachkoma abrutschen? Das war ein höllischer medizinischer Satz – und ein unmöglicher noch dazu. 

 

Ratlos schüttelte Inoichi den Kopf. „Hat er eine Kopfverletzung erlitten, als er misshandelt wurde? Du sagtest er litt an einer Septikämie? Vielleicht hat die Blutvergiftung eine Art Entzündung im Gehirn ausgelöst?“

 

Doch Mushi reagierte auf beide Vermutungen negativ. „Nein. Das ist es ja, was es so bizarr macht. Es gab keinerlei Anzeichen eines Schadens am Kortex und keine Hinweise auf eine Hirnkrankheit. Keine Toxine, keine Tumore, kein Trauma, nichts. Nicht einmal ein Hauch einer neurologischen Störung. Überhaupt keine medizinische Erklärung für diese plötzliche Bewusstseinsstörung. Wir haben uns entschlossen, seine Verfassung als Zustand einer ‚Stase‘ zu bezeichnen.“

 

Danzō sah gelangweilt aus. „Komm zum Punkt, Doktor.“

 

Stirnrunzelnd überflog Mushi einen Block voll mit unverständlichem Gekritzel und paraphrasierte die Informationen rasch in einem einzigen Satz. „Ich bin der festen Annahme, dass seine Stase vollständig selbstverursacht ist.“

 

„WAS?“ Inoichi setzte sich auf und brachte seine zusammengefalteten Hände auf den Tisch. „Selbstverursacht? Aber das könnte nur bedeuten…“ Abrupt brach er ab und ein absackendes Gefühl ergriff von ihm Besitz. 

 

Oh Gott nein…

 

„Ja“, sagte Fū. „Er hat das geheime Kinjutsu des Yamanaka Clans genutzt, um seinen Verstand vollständig herunter zu fahren. Das Kinjutsu, das du entwickelt hast, Inoichi-san.“

 

Überhaupt nicht stolz auf diese Offenbarung oder dankbar für den faszinierten und bewundernden Blick, mit dem der Arzt ihn bedachte, ließ sich Inoichi in seinem Stuhl nach hinten sacken, rieb seine Handflächen aneinander und war entsetzt darüber, als er feststellen musste, dass sie schwitzten. Er fühlte sich eiskalt. Taub. Krank und speiübel bis ins Mark. 

 

Nein. Nein. Das kann nicht sein…

 

„Jetzt verstehst du, was du mir schuldest“, sagte Danzō mit einer Stimme, die so leise war, dass sie ein Frösteln auslöste. „Dieser Agent hatte essentielle Informationen im Wert von zehn Jahren über das Shinjū Projekt in seinem Verstand begraben. Informationen, die mir gehören.“

 

Gelähmt vor Schock stierte Inoichi nur blicklos auf die Mitte des Tisches. Er schien nichts wahrzunehmen außer diese Furcht, die ihre Ranken um sein Herz schlang. 

 

Spion…Agent…

 

Nicht ein einziges Mal hatte Danzō einen Namen erwähnt. 

 

Gott, nein…es kann nicht sein…

 

Er spürte sein Herz in seiner Kehle…oder war das der Name, den er seit über zehn Jahren nicht mehr ausgesprochen hatte…verbannt in die hintersten Winkel seines Geistes, denn…

 

‚Du bist für mich gestorben.‘

 

Inoichi schluckte schwer und erkannte kaum den Klang seiner Stimme wieder, als sie in die Stille krächzte. „Der Agent…wer ist er?“

 

„Wer er ist, ist nicht von Belang. Was von Belang ist, ist, dass er dachte, er könnte mich hintergehen, indem er in die Dunkelheit entschlüpft.“ Danzō lehnte sich leicht nach vorn und sein dunkles Auge war dabei eine brennende Glut in seinem Schädel. „Was von Belang ist, Inoichi, ist, dass du ihn aus dieser Finsternis wecken und all die Geheimnisse offen legen wirst, von denen du ihm beigebracht hast, wie er sie verstecken kann.“

 

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Glossar:

Shinjū: Kann im Japanischen je nach genutztem Kanji zwei Bedeutungen haben; zum einen 'Göttliche Bestie' oder eine Art gemeinsamen Suizid (in der Regel begangen von zwei Liebenden, die nicht zusammen sein können) - beide Bedeutungen werden in 'Under these Scars' relevant sein.

Kaika: Eine Art Feuer mysteriösen oder verdächtigen Ursprungs - ähnliche Bedeutung wie 'Shiranui'

Shuken: Bedeutet soviel wie 'Souverän' (Extra Kekse für jeden, der diese Verbindung hergestellt hat ;) ), Herrschaft oder Überlegenheit

Kinjutsu: Verbotenes Jutsu

Septikämie: Blutvergiftung

Psychotischer Schub: Eine Art Veränderung der Realitätswahrnehmung. In der Regel nimmt der Betroffene nur noch eine Parallel- oder Scheinwelt wahr, die nicht wirklich existiert
 

Uff...ich könnte einen ganzen ROMAN nur zu diesem einen Kapitel schreiben...

Es ist ein Kapitel, in dem zum ersten Mal wirklich VIELE und äußerst wichtige Informationen mit dem Leser geteilt werden. Auch die ein oder andere Frage wird hier bereits beantwortet und ihr bekommt sogar einen äußerst wichtigen Namen. Außerdem wird der Zusammenhang zwischen dem, was Shikaku, und dem, was Shikamaru zugestoßen ist, viel viel deutlicher, oder nicht? 

Ich weiß, das Kapitel ist sehr lang, aber ich konnte es einfach nicht unterteilen, da der Zusammenhang zwischen beiden Szenen einfach viel zu groß und wichtig ist. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, hier jetzt nicht anzufangen, über diesen mysteriösen ANBU Agenten zu sprechen, der aufgetaucht ist und seinen Verstand in einen Shutdown herunter gefahren hat. Oder über das, was Shikaku zugestoßen ist und in was für einer Verbindung Inoichi dazu steht. Oder wie Genma in die Angelegenheit mit Shikamaru verwickelt ist...Gott es gibt so viel zu diskutieren und ich hoffe so sehr, dass ihr vielleicht die ein oder andere Frage oder den ein oder anderen Gedanken zu diesem Kapitel habt, denn Gott, mich juckt es so danach, über dieses Kapitel zu diskutieren und vielleicht kann ich das ja mit der/dem ein oder anderen von euch auch tun ;) Würde mich bei diesem Kapitel auf jeden Fall noch mehr als bei allen anderen freuen, zu erfahren, was ihre davon haltet! *-* Also bitte lasst mir ein paar Worte da! :) 
 

Ahja und das war auch schon das letzte Kapitel von 'Requiem' ;) es folgt noch ein Epilog und dann wird es nächste Woche mit 'Under these Scars' losgehen. Ich bin schon so aufgeregt *-*
 

Vielen Dank auf jeden Fall wieder an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! <3

Epilog - The Requiem of dead truths and living lies

Verficktes Versteckspiel…

 

Nur war es diesmal nicht der Hokageturm, in dem sich die Ratsmitglieder versteckten. Nein, diesmal hatten sie sich hinter den hohen Mauern der Anlage eines luxuriösen Ryokans – Hotaru – verschanzt. Ein Etablissement, das den Löwenanteil der Einkünfte unter den Gasthäusern einbrachte, die nahe an den heißen Quellen lagen. 

 

Genma war ohne irgendeinen Plan hierher gekommen – er war nicht in der Lage, sich einen auszudenken. 

 

Aber er war mit einem Ziel gekommen – er war nicht in der Lage, es benennen. 

 

Er hatte vorgehabt, die Burg einfach zu stürmen und sich dazu entschlossen – in einem blendenden Moment, an den er sich nicht mehr wirklich erinnern konnte – dass es eine exzellente Idee wäre, das Ryokan über die Wassergärten zu infiltrieren. Offenbar hatte er sich mit tödlichem Selbstbewusstsein bewegt und sich katastrophal verschätzt, was drei Flaschen Shōchū und drei kleine pinke Pillen mit seiner Chakrakontrolle und seinem generellen Zustand räumlicher Wahrnehmung anstellen würden.

 

Einen massiven Satz und einen Lilienteich später…?

 

Hatte er sich hüfthoch in Wasser und knietief in der Scheiße befunden. 

 

Eine erschreckte Gärtnerin hatte die Sicherheitskräfte alarmiert. Und diese Sicherheitskräfte hatten die Form eines ochsengesichtigen Ungetüms mit einem Namensschild, auf dem Oushi stand, angenommen – und die einer Faust, die nach Arbeit schrie. Daraufhin hatten sie das gehabt, was Asuma eine ‚nonverbale Unterhaltung‘ genannt hätte. Nur dass Oushi dabei das komplette Reden übernommen hatte, denn in der Sekunde, als Genma an Asuma gedacht hatte, hatte er nichts mehr zu sagen. 

 

Nichts…

 

Jeder Kampfgeist hatte ihn schlagartig verlassen. 

 

Er hatte nicht einmal versucht, sich zu wehren. Hatte die Prügel über sich ergehen lassen, ohne einen einzigen Schlag zu blocken; hatte die Fäuste und Tritte in einer Art kranker Erlösung auf sich herab regnen lassen, bis sich der Ochsenmann irgendwann völlig verdattert zurück gezogen hatte. 

 

Das war vor zwei Stunden gewesen. 

 

Jetzt – grün und blau geschlagen und mit einem Eispacken gegen den Kiefer gedrückt – saß Genma mit einem Fuß gegen eine Metallbank hochgezogen da und stierte auf die Betonwände seiner Zelle. Das Senbon tickte wie ein Metronom zwischen jedem seiner verletzten Mundwinkel. Es war ein schwächlicher Versuch, sein Adrenalin zu kanalisieren, das noch immer durch seine Venen zitterte und die straff gezogenen Muskeln seiner Schenkel zucken ließ. Mit zitterndem Bauch, bebenden Armen und ruckenden Fingern.

 

War das Adrenalin – oder war es Entzug?

 

Fuck.

 

Er hätte es ja als Zorn abgetan, aber das würde hindeuten auf…

 

Fühlen…

 

Knurrend ließ er den Kopf nach hinten kippen und starrte auf das schmale vergitterte Fenster im oberen Bereich der angrenzenden Wand. Ein Streifen tiefblauen Himmels zerschnitt die Dunkelheit der Zelle und Genma musste gegen das Funkeln des Sonnenlichts anblinzeln, das durch die Stäbe fiel. 

 

Die großartige Gleichgültigkeit der Natur; Aufstehen und weiter machen…

 

Während ich mit jeder Minute älter werde…

 

Scheiße, vielleicht war er schon länger als eine Stunde hier drin – oder waren es zwei Stunden gewesen? Er hatte jedes Zeitgefühl verloren und vermutlich auch eine große Portion seines Verstandes, wenn man bedachte, wo er war, und wo er eigentlich hätte sein sollen.

 

Brotkrumen aufsammeln…

 

Doch hier saß er jetzt aufgrund irgendeines verrückten Plans, von dem er sich nicht einmal wirklich erinnern konnte, wie er ihn entworfen hatte, hier fest und pflegte eine aufgeplatzte Lippe, einen kaputten Kiefer und eine böse drei Zentimeter lange Platzwunde direkt über einem beeindruckenden Veilchen. Verletzt, verprügelt und blutig. Aber keiner dieser Schmerzen verbrannte ihn so schlimm oder pisste ihn so sehr an wie das bloße Sitzen auf seinem Hintern. Dank eines Hatake Kakashi. 

 

Bastard.

 

Gott, Genma war nicht mehr so gevögelt worden seit – was? Fünf Jahren?

 

Zehn.

 

Ein ernüchternder Gedanke; und ebenso unangenehm wie der dumpfe Schmerz. Er hatte es zu einer Regel gemacht, derjenige zu sein, der das Nehmen übernahm, das Nutzen; ob es nun eine Substanz war oder eine Person, eine Droge oder Alkohol. Und er hatte jede Intention, die Scheiße aus Kakashi für das rauszuprügeln, was er hatte geschehen lassen. Zum Glück für sie beide war der andere Ninja bereits fort gewesen, als Genma mit der Hölle in seinen Händen und Mord in seinen Augen in das Zimmer zurück gekehrt war. 

 

Aus dem Staub gemacht…

 

Sinnvoller Zug. Kluger Zug. Ein vernünftiger und selbsterhaltender Zug. Nicht ansatzweise so wie die Züge, die sie letzte Nacht gemacht hatten; obwohl Genma immer noch die Entschuldigung hatte, dass er sich weit nördlich von zugedröhnt und ebenso weit südlich von nüchtern befunden hatte. 

 

Was zur Hölle ist deine Tragödie, Hatake? Ich habe mich vor all den Jahren nicht zurückgelehnt und dir dabei zugesehen, wie du aus den Schützengräben kriechst, nur um dich jetzt dabei zu beobachten, wie du zurück kriechst.

 

Zorn; er kurbelte den Druck an, der in seinem Schädel pochte. 

 

Dämliches Kind. 

 

Zugegeben, er war nicht viel älter als Kakashi…aber Genma war sich ziemlich sicher, dass er bereits alt auf die Welt gekommen war. Er fühlte es. Müde. Zerschlissen. Aufgebraucht und verschwendet. Warte – war das Selbstmitleid, das gerade Fuß fasste? Er stieß ein selbstironisches Schnauben aus und schnitt den Schmerz kategorisch ab. 

 

Sei nicht so verfickt erbärmlich.

 

Die schweren Schritte von Stiefeln zerrten ihn von seiner Selbstgeißelung fort. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die kalte Stahltür und legte den Kopf schief, während er lauschte und der Puls in seinem Kopf mit jedem sich näherndem Schritt wie ein Presslufthammer donnerte. 

 

Vielleicht war Oushi für runde Zwei zurück gekommen. 

 

Genma zog die Wangen nach innen und lud seine Lungen mit Luft, das Senbon bereit zum Abschuss. 

 

Ein kurzes Rasseln von Schlüsseln. 

 

Die Tür schwang in ihren Angeln zurück. 

 

Eine riesige, in einen Mantel gehüllte Gestallt füllte den Rahmen aus und die kalte Macht seiner Aura schwappte ihm voraus, um die Luft aus der Zelle zu saugen und mehr Raum einzunehmen als der kraftvolle Körper, der folgte. 

 

Und Genma fühlte sich allerdings durchgewalkt; nicht zuletzt von Schock. 

 

Ibiki verschränkte die Arme und stützte kopfschüttelnd eine Schulter gegen den Türpfosten. „Tz. Die haben mich ernsthaft deswegen gerufen?“

 

Mit von Seite zu Seite tickendem Senbon überdeckte Genma rasch seine Überraschung und mustere den anderen Mann mit einem gelangweilten Driften seines Blickes. „Morino“, grüßte er trocken. „Lange nicht gefoltert.“

 

Ibiki schnaubte, als er in einem trägen Achselzucken mit den Schultern rollte. „Ich hoffe wirklich, dass du nicht wegen einer Inquisition hier bist.“ In einem wilden Grinsen bleckte er die Zähne. „Wenn meine Erinnerung mich nicht im Stich lässt, dann würdest du das wahrscheinlich sogar genießen.“

 

Genma blinzelte nicht einmal. „Wir beide.“

 

Ibiki lachte leise und dunkel, während er sich an die Schläfe tippte. „Ich erinnere mich.“ Er neigte den Kopf und musterte Genma. „Du bist echt ein Bild für die Götter, Shiranui.“

 

„Du solltest den anderen Kerl sehen.“

 

„Das habe ich. Hässlicher Bastard, aber er hat dein hübsches Gesicht auf jeden Fall neu arrangiert.“ Während er Genma gestikulierte, ihm zu folgen, verließ er die Zelle. „Komm.“

 

Neugierig genug, um darüber hinweg sehen zu können, dass er wie ein Hund behandelt wurde, ließ Genma den Eispacken fallen und schob sich auf die Füße. Er folgte dem Morino dicht auf den Fersen und fragte sich, ob er sich immer noch knietief in der Scheiße befand, oder ob er mit jedem Schritt noch etwas tiefer sackte. 

 

Du verdienst es.

 

Und dennoch gab er Kakashi die Schuld. Es gab keinen anderen Grund, aus dem er etwas so Aufsässiges und so durch und durch Dummes gemacht hätte. Er war nicht aufsässig. Er war nicht dumm. Also musste es an Kakashi liegen. Dieser Bastard kursierte wie eine Droge durch Genmas Venen. Sicher, er würde Kakashi mit dem Rest der Toxine ausspülen, hatte sogar vorgehabt, später mit Raidō zu trainieren und sich den Kopierninja einfach aus der Blutbahn zu schwitzen. Das Miststück daran war nur, dass wenn Genma auch nur einen feuchten Dreck auf sein eigenes Leben gegeben hätte; dann wäre er bereits jetzt ziemlich heftig am Schwitzen. 

 

Ibiki führte ihn in einen Konferenzraum. Einfach, schlicht, keine Folterinstrumente oder Einwegspiegel. Tatsächlich war es beinahe freundlich. 

 

Genma warf Ibiki einen Seitenblick zu. „Was denn? Gar keine Spielzeuge?“

 

Schmunzelnd näherte sich Ibiki dem runden Konferenztisch, ließ sich auf einen Stuhl sinken und tippte mit seinen langen, behandschuhten Fingern gegen seine vernarbten Lippen. Beständig und ohne zu blinzeln richtete er seinen Blick auf Genma. 

 

Und Shiranui bedauerte bereits den Verlust von Ochsenmann. 

 

Er würde sich jederzeit lieber von einer monströsen Faust verprügeln lassen, als von diesem Blick gemustert zu werden. 

 

Genma schob sich aus der direkten Linie von Ibikis Laseraugen und umkreiste den Tisch, um zum Fenster zu schreiten und seine Hüfte gegen den Sims einknicken zu lassen. Während er so tat, als würde er hinaus über das Dorf blicken, beobachtete er Ibiki durch die Spiegelung im Glas. 

 

Für eine Weile herrschte Schweigen. Und dann ergriff Ibiki das Wort. „Immer noch nicht davon weg?“

 

Direkt wie eine Faust. Kein Zurückhalten. Genma saugte an seinem Senbon und fuhr mit der Zunge über die schlanke Spitze, bis er Blut schmeckte. „Raidō“, vermutete er. 

 

„Es gibt Leute, die es kümmert, auch wenn du es nicht tust.“ Ibiki legte den Kopf schief, als versuchte er, den Shiranui aus einem anderen Winkel mustern zu können. „Du hast zugelassen, dass Oushi die Scheiße aus dir rausprügelt. Holst du dir dabei einen runter?“

 

Genma verkrampfte den Kiefer, bis der Schmerz aufflammte und schnaubte spottend. 

 

Könnte man meinen.

 

Ibiki beobachtete ihn für einen weiteren angespannten Moment und ihre Blicke hielten sich im Glas. „Verkack es noch ein einziges Mal so und es wird nicht dieser käferäugige Seelenklempner sein, der dich über einen Tisch hinweg anstiert.“ Er machte eine Pause und seine Stimme sackte tief ab. „Das werde ich sein.“

 

Genma wandte den Kopf angesichts dieser Drohung. 

 

Und Ibiki strahlte ihn mit einem rasiermesserscharfen Grinsen an und seine Augen reflektierten dabei nicht den geringsten Hauch von Humor. „Denk drüber nach.“

 

Doch Genma hatte keine Zeit dazu. Die Türen öffneten sich und Utatane Koharu und Mitokado Homura traten mit dem leisen Rascheln von Roben ein, das von dem Kratzen von Sandalen ausgeglichen wurde. Genma hatte das Bild widerwillig schlurfender Kinder im Kopf. Doch das wurde schlagartig von dem ernsten matriarchalischen Auge ausgelöscht, das Koharu ihm zuwandte. Sie schniefte kurz verächtlich und ruckte mit dem Kinn zum Tisch. 

 

„Setz dich hin“, befahl sie. 

 

Genma biss die Zähen aufeinander und wandte sich um, um zu gehorchen, wartete jedoch, bis die Ratsmitglieder ihre Plätze eingenommen hatten, bevor er sich direkt ihnen gegenüber neben Ibiki setzte. 

 

Er wartete darauf, dass der andere Tokukjō ging. 

 

Doch er blieb. 

 

Genma spähte zu ihm hinüber, konnte aber überhaupt nichts aus dem anderen Mann lesen. Es war schwer zu sagen, was er dachte, geschweige denn, wie viel ihm erzählt worden war. 

 

Was auch immer er weiß, es reicht aus, um hier zu sitzen…

 

Was nur bedeuten konnte, dass er einer dieser unbesungenen Geister in diesem Requiem toter Wahrheiten und lebender Lügen war. Es war nicht besonders überraschend. Für ihn sowieso nicht. Völlig ungebeten schwebte ein Bild von Asumas Gesicht in seinen Verstand, das ihn heimsuchte, ihn hasste…

 

‚Was auch immer es gewesen ist, was auch immer zwischen euch vorgefallen ist…am Ende hat es keine Rolle gespielt.‘

 

Es muss eine Rolle gespielt haben…

 

Denn wenn nicht; was zur Hölle mach ich dann hier?

 

Die Frage traf ihn wie ein Senbon zwischen die Augen. Genmas Kopf zuckte ein Stück zurück und der Schock machte sich wie ein Spreißel in seinem Schädel bemerkbar. Sein Senbon hörte auf zu ticken. Ja, was zur Hölle machte er hier? Befehle in Frage stellen. Von seiner eigenen Agenda abweichen. Sich benehmen wie – 

 

Kakashi…

 

Seine Wirbelsäule wurde stocksteif. Oh Kami helfe diesem silberhaarigen, silberzüngigen Hurensohn. Er hatte auf Genma abgefärbt wie ein verfickter Blutfleck. Er hatte bei Kakashi gelegen und bedeckt mit dem klebrigen, chaotischen und komplizierten Blut des Gewissens des anderen Mannes war er wieder aufgestanden…denn es war mit Sicherheit nicht sein Blut gewesen…seine…

 

Gefühle…

 

Rücksichtslos schlachtete er diesen Gedanken ab, bevor er Wurzeln schlagen konnte. Das war alles, was es war; ein flüchtiger Gedanke. Kein Gefühl. Fühlen war unmöglich, denn…

 

Ich fühle überhaupt nichts.

 

Und schon wieder verhöhnte ihn diese Frage; warum zur Hölle war er dann hier?
 

Ganz offensichtlich war er auch nicht der Einzige, der sich das fragte.

 

Unter dem Tisch verpasste Ibiki ihm einen Tritt; ein gar nicht so subtiler Kick gegen sein Schienbein, der Genma aufschreckte. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er komplett weggetreten gewesen war. Blinzelnd konzentrierte er sich wieder auf die Ratsmitglieder, die ihn über die kurze Distanz hinweg anfunkelten und ihre ernsten patriarchischen Züge waren gezeichnet von Missbilligung. 

 

„Nun? Du wolltest unsere Aufmerksamkeit“, sagte Koharu. „Jetzt hast du sie. So erschreckend dein Verhalten auch war, um sie zu bekommen. Das wird dir mit Sicherheit kein zweites Mal vergeben. Und jetzt. Rede.“

 

‚Ah, Köter. Zeit zu reden. REDE!‘

 

Genma versteifte sich sichtbar gegen diese Erinnerung. Doch er zwang seinen Mund dazu, sich zu bewegen und seine Stimme, einen neutralen Tonfall anzunehmen. „Die Godaime hat eine Mission nach Kusagakure genehmigt. Wie man hört wurde Nara Shikamaru dieser Mission zugeteilt.“

 

Homuras Brauen hoben sich aus ihrem ewigen Stirnrunzeln. „Woher weißt du davon?“

 

Genma erwiderte nichts, sondern wartete stur auf eine Antwort.

 

Koharu schürzte die Lippen. „Das hättest du nicht wissen sollen. Tatsächlich hast du dich um deine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, Genma. Zum Beispiel Dr. Mushi. Wir haben gehört, dass er all seine Termine heute morgen abgesagt hat. Weißt du, wieso?“

 

Scheiße.

 

Genma senkte formgerecht geläutert den Blick. Er hatte seinen Termin mit Mushi verpasst und darin versagt, an die Informationen zu kommen, die ihn dorthin geführt hätten, wohin auch immer dieses verdammte Insekt gekrabbelt war. Gott, ein Abfuck mit Asuma und der Dominoeffekt geriet ins Rollen und erinnerte ihn wieder einmal an die Schwäche davon, alles zu persönlich werden zu lassen. 

 

Sie wissen, dass du abrutschst, höhnte sein Verstand. Du reißt dich besser zusammen, bevor sie dich den Wölfen zum Fraß vorwerfen. 

 

Und das beinhaltete ja noch nicht einmal den, der direkt neben ihm saß. Ehrlich gesagt würde es Genma den Ältesten durchaus zutrauen, ihn einweisen und wegsperren zu lassen. Sie würden ihn bis unter die Hutschnur mit Drogen vollpumpen und ihn in Stumpfsinnigkeit einschließen, um ihn zum Schweigen zu bringen und lahm zu legen, bis das ganze Chaos vorbei war. 

 

Wäre nicht das erste Mal.

 

Und während Homura und Koharu bei dieser Angelegenheit nicht direkt ihre Hände im Spiel gehabt hatten, war Danzō mehr als willens gewesen, ihm eine Nadel in die Halsschlagader zu rammen. Der Gedanke daran, dass der Bastard danach ernsthaft auch noch die Nerven gehabt hatte, ihn rekrutieren zu wollen. 

 

Der Sandaime hatte ihn damals bei diesem ersten Mal gerettet. Aber Tsunade hätte keinerlei Grund, ihn rauszuhauen. Vor allem nicht, wenn sie dahinter kam, dass er sie angelogen und ihr wichtige Informationen vorenthalten hatte. Es wäre für sie nicht von Belang, dass er es auf Befehl eines einstigen Hokages getan hatte. Es würde keine Rolle spielen, dass er das Dorf in Gefahr gebracht hätte, hätte er sich gegen die Ältesten und Danzō gestellt. Es würde keine Rolle spielen, dass er um jeden Preis Shikamaru hatte beschützen wollen. Es würde nicht einmal eine Rolle spielen, dass er sich die eigene Kehle durchgeschnitten hatte, indem er sich zum Schweigen verpflichtet hatte. Es würde einfach keine Rolle spielen. Nichts davon. Kein verdammtes Bisschen, denn Genma war trotz allem Goei Shotai. Tsunade zur Rechenschaft verpflichtet, nicht der Vergangenheit und all ihren Versprechen…und dennoch; es gab kein Abwenden davon, kein ‚reinen Tisch machen‘, denn-

 

‚Der Sandaime hat uns diese Angelegenheit anvertraut. Und jetzt wurde sie auch dir anvertraut. Das ist deine Bürde. Aber es ist auch deine Pflicht. Und ein Shinobi muss tun, was auch immer notwendig ist, um seine Pflicht erfüllen.‘

 

Und dennoch; jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, sich gegen seine Pflicht zu stellen, diese Bürde loszulassen, diese Hölle zu verlassen, dann waren es nicht die finsteren Gesichter oder die ernsten Worte des Konzils, die ihn davon abhielten…es war nicht einmal die Androhung von schwerer Bestrafung, Tod oder Ehrlosigkeit…nein…

 

Es waren violette Augen und eine gebrochene Stimme…

 

‚…du weißt, wie das läuft. Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen…du musst dich an dein Versprechen an mich erinnern…und an mein Versprechen an den Sandaime…jetzt schwöre es.‘

 

Er hatte es geschworen. Und das war alles. Nicht mehr und nicht weniger. 

 

Nichts…

 

„Genma“, rief Homura und riss ihn damit zurück in die Gegenwart wie einen Hund an einer Kette. „Du wirst herausfinden, wo Dr. Mushi gewesen ist und du wirst uns sofort darüber informieren. Hast du das verstanden?“

 

„Ich verstehe.“ Automatisch. Leer.

 

Nichts.

 

„Gut“, grunzte Homura und etwas von der Anspannung fiel von seinem Gesicht. „Auch wenn wir deine Sorge um Nara Shikamaru zu schätzen wissen; wir können ihn nicht einfach so von der Mission abziehen, ohne deren Erfolg zu gefährden oder Tsunade-samas Argwohn zu erregen. In diesem Fall müssen wir zulassen, dass diese Mission wie geplant abläuft.“

 

„Unsere Entscheidung in dieser Angelegenheit ist endgültig“, bestärkte Koharu und ihr knapper Tonfall ließ keinerlei Diskussion zu. „Und um Danzōs Einmischung vermeiden zu können, werden wir unseren eigenen ANBU Agenten mitschicken, um Nara Shikamaru zu überwachen.“

 

Stirnrunzelnd hob Genma scharf den Blick. „Muss Tsunade-sama die Entsendung eines ANBU Agenten nicht genehmigen?“

 

Homura neigte seine Stirn in Ibikis Richtung. „In diesem Fall ist nur Ibikis Genehmigung nötig. Auf seine Empfehlungen haben wir einen ANBU Anwärter ausgewählt, um Nara Shikamaru für die Dauer der Mission zu überwachen.“

 

„Einen Anwärter?“ Na klasse. Ein Amateur. Genma schüttelte den Kopf. 

 

Doch Ibiki schmunzelte leicht, als hätte er diese Reaktion erwartet. „Er ist mehr als fähig, Shiranui. Tatsächlich deckt sich diese Mission geradezu perfekt mit seiner ersten praktischen Einschätzung. Wenn ich damit fertig bin, ihn über sein Ziel bezüglich Nara Shikamaru zu informieren, wird er mit Sicherheit jede Instruktion bis zum letzten blutigen Buchstaben ausführen.“

 

„Warum?“

 

„Weil ich ihn durchfallen lasse, sollte er es nicht tun.“

 

Genma feixte über diese unverblümte Antwort. „Du würdest ihm einen Gefallen tun.“

 

„Genma“, knurrte Homura, während sich graue Brauen zu diesem strafenden V zusammenzogen. 

 

Doch Ibiki kicherte nur dunkel; ein tiefes Rumpeln in seiner Kehle. „Nicht bei diesem. Er will es sehr. Wenn er das hier vermasselt, dann steht mehr als nur die Mission auf dem Spiel. Er wird die Gelegenheit verwirken, jemals eine Stellung bei den Black Ops zu bekommen.“ Hier machte er eine Pause und spähte zu dem Shiranui. „Wie du weißt, verteilt ANBU keine zweiten Chancen.“

 

„Genauso wenig wie wir“, erinnerte Koharu mit ihrem scharfen Blick auf Genma gerichtet. Nach einer Überlegung fuhr sie fort. „Nun. Tsunade-sama wird nichts davon ahnen, da dieser ANBU Anwärter ohnehin an der Mission teilnimmt.“

 

Homura nickte. „Niemand wird von der verdeckten Agenda des Anwärters wissen. Sobald das Team Kusagakure erreicht hat, wird er den geheimen Befehl erhalten, Shikamaru sofort von der Mission abzuziehen, sollte es zu irgendwelchen Komplikationen kommen.“

 

„Komplikationen…“, sagte Genma leise und sah zwischen den beiden Ratsmitgliedern hin und her. „Und was ist, wenn dieser Anwärter sie nicht händeln kann, diese…“ Er machte eine angemessene Pause, um die Verachtung in seiner Stimme zu unterstreichen. „Komplikationen.

 

„In diesem Fall werden wir die Hilfe von KERN benötigen, um Shikamaru festzusetzen“, erklärte Homura und runzelte über die Wahrscheinlichkeit dieses Ausganges die Stirn. „Natürlich wird das nur ein Notfallplan sein. Einer, von dem ich stark bezweifle, dass wir uns darauf zurückfallen lassen müssen, soweit es Shikamaru betrifft.“

 

„Anders als das letzte Mal“, fügte Koharu hinzu und ihre Augen glitten dabei in einer unausgesprochenen Anschuldigung über Genma. Sie schrillte geradezu laut in der Stille, die folgte. 

 

Stirnrunzelnd schürzte Ibiki die Lippen zwischen seinen zusammengelegten Fingern, während sich seine dunklen Augen zur Seite schoben, um die Reaktion des Shiranui einschätzen zu können. 

 

Nichts. 

 

Vollkommen ausdruckslos stierte Genma die Ältesten an. Ausgeweidet von diesen Worten erwiderte er überhaupt nichts auf das Schamgefühl, das sich wie ein Tantō durch seine Eingeweide schnitt. Es war wie ein metaphorisches Hara-kiri, das sich in Körper, Seele und Verstand abspielte. Aber nicht im Herzen. Das hatten man ihm bereits vor zwei Jahren aus der Brust gerissen. 

 

Koharu schien äußerst zufrieden zu sein. „Das ist viel besser“, sagte sie. 

 

„Wir werden es hier jetzt gut sein lassen“, schloss Homura und lehnte sich zurück, bevor er die Augen schloss, als könnte er sich endlich ausruhen. „Alles, was noch nötig ist, ist, dass unser Anwärter über alles informiert wird. Ibiki hat ihm bereits einen Decknamen zugewiesen.“

 

Wie aufs Stichwort, zog Ibiki eine schmale Mappe aus seinem Mantel, knallte sie auf den Tisch und drehte sie, um den Namen des Agenten zu offenbaren: SHIRATAKA.

 

Weißer Falke. 

 

Mit sich hebender Braue spähte Genma argwöhnisch auf den Namen. 

 

Ibiki lehnte sich zurück. Fort war das scharfe skrupellose Lächeln; es wurde stattdessen von einer grimmigen Miene blanker Endgültigkeit ersetzt. „Hyūga Neji.“

 
 

~❃~
 

 

Er zeichnete seine Narben nach…

 

Erst die obere, dann die untere; ließ schwielige Fingerkuppen über zerklüftetes Narbengewebe wandern und folgte dem Pfad, den Yoshinos Lippen beschrieben hatten.

 

‚Erinnere mich…‘

 

Shikaku stierte in seine Tasse und schwenkte den Kaffee herum, bis er in einem Strudel wirbelte, der ebenso dunkel war wie die Schatten auf seinem Geist. Er konnte spüren, wie sich das Chakra drehte; die Masse so dicht, so undurchsichtig, so konzentriert, dass kein Licht, kein Empfinden, keine Erinnerung sie durchdringen konnte. Kein Gefühl von Tiefe oder Dimension in dieser Finsternis. Sie blieb so unergründlich wie die unsichtbare Materie des Universums…wirkte ihre ungesehenen Gesetze; eine immer präsente Gravitation, die an seiner Seele zog. 

 

‚Erinnere mich…‘

 

Sie hatte es nicht getan. Sie hatte ihm geholfen, zu vergessen; hatte ihn von allen Wegen zurück geführt, die ihn zur Erinnerung leiteten, fort von den Sackgassen und den Pfaden ohne Wiederkehr…

 

Ein Flattern von Flügeln vor dem Fenster. Das schrille Kee von Shikamarus ansässigem Stalker. 

 

Und dann noch etwas anderes. 

 

Shikaku hörte auf, seinen Kaffee umzurühren und dunkle Augen hoben sich beim den Klang eines phantomhaften Geräusches weiter den Gang hinunter. Schwach und kaum erkennbar. Doch Shikakus Ohren waren gut trainiert und längst an die ganz eigene Sprache des Hauses gewöhnt; von dem Ächzen der Balken bis hin zum Wispern des Shoji, von dem Knarzen der Dielen bis zu dem Zischen der Leitungen…direkt bis hin zu dem leisesten Seufzen eines Fensters, das zugeschoben wurde. 

 

Da bist du ja.

 

Der Junge hatte den Spalt gesehen und den Zugang genutzt. 

 

Shikaku wusste es, weil er es so geplant hatte. 

 

Während er zugelassen hatte, dass Yoshino ihr Haus wie gewohnt vollständig abriegelte, hatte der ältere Nara beschlossen, seinem Sohn etwas Freiraum zu gewähren und ein Fenster offen stehen gelassen, um Shikamaru davor zu bewahren, klopfen zu müssen. Um sich selbst davor zu bewahren, die Tür aufmachen und sie beide vor einer überschäumenden Yoshino retten zu müssen. 

 

Er wartete dreißig Minuten, bevor er sich Shikamarus Zimmer näherte. 

 

Als er mit locker verschränkten Armen dastand und sich gegen den Türrahmen lehnte, schweifte sein dunkler Blick in einem flüchtigen Scannen durch den Raum, bevor seine Aufmerksamkeit zurück zu der Gestalt wanderte, die ausgestreckt auf dem Bett lag. 

 

Die Gravitation in seiner Seele zerrte hart an seinem Herzen. 

 

Shikamaru war vollständig angezogen auf das Bett gefallen – abgesehen von seinen Sandalen. Shikakus Lippen zuckten schwach und seine scharf geformten Konturen wurden etwas weicher. Geräuschlos schlüpfte er in den Raum; ein Schatten an der Wand, während er in seinen Bewegungen einen vorsichtigen Abstand hielt, als er das Kostbarste umkreiste, das sich im Zentrum seiner Welt befand…seine Welt…eine private Welt…eine, die parallel zu der Welt existierte, in der alle Shinobi gezwungen waren zu laufen, zu leben…zu sterben. 

 

Wir tun, was wir müssen…bis zum Ende.

 

Er musste das glauben. 

 

Neben Shikamarus Bett blieb er stehen und musterte das schlafende Gesicht seines Sohnes. Er suchte nach den verlorenen Spuren eines Kindes, versteckt in den scharfen Neigungen und starken Winkeln. Doch er fand nur Schatten, tief hinein gesunken in hohle Wangen und zusammengezogene Linien. Reife, Alter, Belastung. Wie lange war dieses Kind bereits fort? Wie lange hatte er die Augen vor dieser Veränderung verschlossen? Wie lange hatte er die Unvermeidbarkeit ignoriert? Den grausamen Diebstahl der Zeit?

 

‚Sag mir, dass du ihn niemals so siehst.‘

 

‚Nein. Das tue ich nicht.‘

 

‚Das tust du nicht…‘

 

‚Ich kann nicht…‘

 

Bebend schloss Shikaku die Augen und nahm einen langen Atemzug durch die Nase, den er hart in seiner Kehle hielt. Er wandte den Kopf zur Seite und als er die Lider hob, glitt sein Blick zu einem Bilderrahmen, der den niedrigen Nachttisch einnahm. 

 

Team 10. 

 

Team Asuma.

 

Shikakus Atem verließ ihn in einem Rasseln. Rasch spähte er zu Shikamaru und lauschte dem tiefen und beständigen Atmen. Der ältere Nara wartete ein paar Herzschläge, bevor er nach dem Bilderrahmen griff. Asuma war über das Geninteam gebeugt und demonstrierte mit einem schiefen Lächeln eine Engelsgeduld für die Kamera. Ein leichtes Zeigen von Zähnen, die vielleicht auf die Zigarette in seinem Mund bissen. 

 

Shikaku legte den Kopf schief und seine Stirn zog sich ein wenig zusammen, als er zwischen Traurigkeit und einem Lächeln kämpfte. 

 

‚Ich glaube, manchmal habe ich ihn beneidet. Habe mich gesorgt, dass er meinem Kind näher stand als ich. Das ist eine ganz andere Art des Bandes.‘

 

Ja das war es. Aber Inoichis Furcht, als Vater usurpiert zu werden, war Shikaku nie wirklich in den Sinn gekommen. Zugegeben, Asumas Verbundenheit mit den Kids hatte bedeutet, dass er eine Position eingenommen hatte, die vielleicht mit elterlichen Beziehungen konkurrierte. Nur war das nie passiert. Nicht ein einziges Mal. Er konnte nicht genau sagen, weshalb das so war. Gegenseitiger Respekt für Grenzen und die Bande, die sie markierten? Shikaku hatte nie daran gedacht, danach zu fragen. War froh, dass er es nie getan hatte. Hatte sich darauf verlassen, dass es funktionierte. Hatte dem Ganzen bedingungslos vertraut. Hatte Asuma bedingungslos vertraut. Denn in seinem Inneren hatte er gewusst, dass es das Richtige gewesen war. 

 

Danke…

 

Während er mit dem Daumen über das Glas strich, ließ er seinen Blick von Sensei zu Schülern gleiten, bevor sich seine Aufmerksamkeit einzig und allein auf das Bild seines Sohnes richtete – eingefroren mit zwölf Jahren; glücklich, lächelnd, vielleicht mit einem Hauch eines belästigten Ausdrucks auf dem Gesicht…direkt an der Schwelle, eine Welt zu betreten, in der das Werfen von Schatten mehr als ein Puppenspiel an den Wänden werden würde. 

 

Ein akutes Empfinden von Kummer grub sich durch Shikakus Brust; gefolgt von dem Bild eines Säuglings mit weichen schläfrigen Augen, eines acht Jahre alten Kindes, das seine Hand nicht halten wollte und eines jungen Mannes, der sich durch die Unbeständigkeiten und niemals endende Brutalität eines Shinobi Lebens kämpfte…

 

‚Verdammt! Ich habe es nicht nötig, dass du dich einmischst. Behandle mich nicht wie ein Kind!‘

 

‚Du bist ein Kind. Du bist mein Kind.‘

 

Er entsann sich an den geschockten und beinahe schon getroffenen Ausdruck auf dem Gesicht seines Sohnes, der die Bestürzung und das Weh widergespiegelt hatten, den er auch schimmernd in Yoshinos Augen gesehen hatte…

 

‚Erinnere mich daran, was du gesehen hast, als er von dieser Mission zurück gekommen ist…denn ich habe dieses Kind gesehen!‘

 

Shikakus Stirn zog sich leicht zusammen, als sich seine Finger um den Rahmen verkrampften. 

 

‚Mein Kind. Deinen SOHN, Shikaku! Da draußen kann ich ihn nicht beschützen! Da draußen zwinge ich mich dazu, mich daran zu erinnern, dass er ein Shinobi ist, aber HIER ist er mein SOHN! UNSER SOHN!‘

 

Mit einem scharfen Atemzug schnitt Shikaku diese Erinnerung ab und lehnte sich nach vorn, um das Bild wieder an seinen Platz zu stellen. Seine Hand lag schwer auf dem Rahmen und seine Berührung verweilte noch einige lange Sekunden darauf, bis seine Finger nach unten sanken – wieder inne hielten – und über dem Tisch schwebten.

 

Er sah hinunter auf seinen Sohn…

 

Ein herzzerreißendes Zögern…

 

Und dann streckte Shikaku seine Hand aus und ließ ein zärtliches Streicheln über Shikamarus sanft gerunzelte Stirn geistern. Liebevoll strich er mit dem Daumen über die Linie und versuchte, die Sorge fort zu streichen, wie er es getan hatte, als Shikamaru noch ein Kind gewesen war. 

 

Wie es scheint, ist Shogi Spielen das Beste, was ich jemals für meinen Sohn tun kann…

 

Shikamarus Nase zog sich bei der Berührung ganz leicht kraus, doch er entspannte sich bereits einen Herzschlag später wieder, als sich seine Miene glättete und zu etwas beruhigte, das fast schon friedlich war. Leise stieß Shikaku den Atem aus, den er angehalten hatte und legte seine Stirn kurz auf das Kissen nahe an Shikamarus Kopf, bevor er sich zurück zog. 

 

Als er sich zum Gehen wandte, warf er einen letzten Blick auf den Bilderrahmen und seine Lippen hoben sich in einem schwächsten Lächeln. „Höre mich, Asuma“, wisperte Shikaku und seine heiseren Töne wurden von der Wärme sanfter, die durch die Schatten in seinen Augen schimmerte. „Wache über meinen Sohn, bis ich einen Weg finde.“

 

Einen Weg, um seinem Sohn zu zeigen, sich durch die Schatten zu bewegen, ohne dass es ihn vernarbte.

 
 

~The End~

 
 

To be continued in 

'Under these Scars'

 
 

~❃~
 

Oh mein Gott,  in mir tobt gerade ein emotionaler Hurrikan...das ist jetzt bereits der dritte Teil von BtB, der abgeschlossen ist...das Nachwort hierzu wird aber recht kurz, da es ein etwas längeres Vorwort zu 'Under these Scars' geben wird. 

Deswegen werde ich jetzt zum vierten und letzten Teil der Serie hier auch nicht so wirklich viel sagen. 

Ich weiß, es sind eine MENGE Fragen offen geblieben in diesem Teil, aber keine Sorge, alle davon werden im letzten Teil der Serie beantwortet werden! Ich bin auf jeden Fall gespannt zu erfahren, was ihr hier noch von dem Epilog haltet ;) 
 

Ich möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die mir bereits so lange mit dieser Geschichte die Treue halten und mich begleiten! Es ist unglaublich zu sehen, wie Menschen mit dieser Geschichte mitfiebern und es verleiht mir enorme Motivation für den letzten Teil, auch wenn ich zugegebenermaßen etwas Angst vor Teil vier habe :D 
 

Vielen Dank natürlich ganz besonders an all diejenigen, die mir zu meinen Kapiteln ein Review da gelassen haben! Ihr glaubt gar nicht, wie viel mir das immer bedeutet hat! <3 <3

Ich hoffe, wir sehen uns dann alle wieder bei der letzten Reise von Shikamaru und Neji innerhalb der BtB-Serie! 
 

Eure Scatach



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Kommentare zu dieser Fanfic (57)
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Von:  Lady_Ocean
2023-05-13T14:32:55+00:00 13.05.2023 16:32
AAAAAH! Endlich treffen sie sich wieder! Und für Shikamaru war das jetzt extrem unerwartet. Ihm zieht es bestimmt grad den Boden unter den Füßen weg, so plötzlich Neji gegenüber zu stehen. Denn Neji geht ihm nach wie vor total unter die Haut.
Ich bin gespannt, was es mit Tsunades ominöser S-Rank-Mission und dieser Zusatz-Bedingung auf sich hat. Subventionen überbringen klingt ja jetzt erst mal nicht nach S-Rank, selbst wenn die Zerstörung dieses Tempels von Akatsuki verursacht wurde. Hidan war zu diesem Zeitpunkt ja auch bereits tot. Und dann soll auch noch das komplette Team 10 mitgehen. Mir sieht das stark danach aus, als wäre mitten in Konoha tatsächlich gerade Gefahr im Verzug und Tsunade versucht, die drei durch diese Mission aus der Schusslinie zu ziehen - möglichst lange genug, um bis zum Ende dieser Mission es irgendwie geschafft zu haben, dass wieder Sicherheit für sie herrscht. Sie wirkte ja sehr schwermütig, als sie Neji den Befehl überbracht hat, Team 10 mitzunehmen. Oder aber sie schickt die vier hier in eine weit größere Gefahr, als man es als Leser bisher ahnt und Tsunade muss sich hier quasi zu der Entscheidung durchringen, die drei (oder speziell Shikamaru) ans Messer zu liefern. So oder so, das, was noch auf alle zukommt, wird neue Gefahr und neue Bitterkeit bereithalten. :(

Inos absolutes Untalent beim Zeichnen war herrlich! XD Eine kurze Verschnaufpause - nicht nur für Shikamaru, Choji und Ino, sondern auch für uns Leser - bevor es einem gleich wieder bis ins Mark fährt. Rayne weiß schon, wie sie ihre Leser ständig unter Strom hält. :)

Und der ominöse Inhalt der Tasche ist nun auch geklärt. Es waren also Asumas bisher gesammelte Spuren und Beweise. Er schien trotz aller Verschwiegenheit der Hokage-Ninja ja sehr gut vorwärts gekommen zu sein mit seiner Suche, wenn da schon 'ne mehr oder minder volle Tasche bei rausgekommen ist. o_o Da macht es auch Sinn, dass Genma nicht wollte, dass Kakashi das Ding mitnimmt. Gut möglich, dass Kakashi früher oder später dieselben Informationen und Hinweise findet, aber wenn ich die Sache aus Genmas Sicht heraus betrachte, dann muss man den Prozess ja auch nicht unnötig beschleunigen.
Aber wirklich - wer zum Henker steht hinter all dem? Irgendwas wird es mit dem Feudallord zu tun haben. Aber bei der Komplexität dieses Sumpfes aus Lügen muss da eigentlich eine ganze Gruppe von Leuten mit ihren jeweiligen Verbindungen nach außen - unter anderem bis in die oberste Riege von Konoha - dahinter stehen. :/
Von:  Lady_Ocean
2023-05-13T13:39:40+00:00 13.05.2023 15:39
Shikamaru kämpft doch weiter. T_T Ich bin so erleichtert, dass er versucht, die Fortschritte, die er dank und mit Asuma gemacht hat, zu erhalten, und nicht jetzt schon aus lauter Überforderung den Kopf in den Sand steckt und alles schwarz sieht. Dass er erst mal Ino und Choji aufgesucht hat, als ihn die Emotionen so übermannt haben, ist eine großartige Sache. Andererseits hat sich hier aber dennoch eine kleine, aber wichtige Tür für seine Genesung geschlossen. Er hat beschlossen, dass es Choji und Ino selbst schlimm genug geht und er sie mit seinem Ballast nicht auch noch belasten kann. Damit ist er nun erst mal wieder allein mit seinen Problemen und so wird meist nichts besser. :(

Chojis Verhalten bei seinem Gespräch mit Shikamaru hat mich etwas überrascht. Bzw. das ganze Gespräch. Erst Chojis Pikiertheit, Distanziertheit. Zuerst wirft er mit Andeutungen um sich, dass Shikamaru dämlich ist, weil er Ino nicht versteht (und er hat da ja gewissermaßen auch einen Punkt. Shikamaru hat sogar Neji entschlüsselt. Wenn er sich halbwegs so viel für Ino interessieren würde, hätte er auch längst raus, warum sie so ist, wie sie ist). Er wirkt da echt sauer auf Shikamaru. Aber das scheint sich ganz plötzlich zu verflüchtigen in dem Moment, wo Shikamaru ihm sagt, dass er zuerst Ino gesucht hat, dann ihn. Und in dem Moment, wo Choji dann sanfter wird (ihm z. B. den Rat gibt, Ino zu sagen, dass er sie gesucht hat) und dann doch ehrlich versucht, ihm zu erklären, warum Ino so ist wie sie ist, tickt Shikamaru total aus. Ich vermute aber, die Message "du kämpfst nicht" ist grad ein dunkelrotes Tuch für ihn. Shikamaru kämpft seit Kurzem so sehr gegen seine inneren Geister wie noch nie in seinem Leben. Nur Choji kann das nicht wissen. Aber wer ist schon rational, wenn er an einem so wunden Punkt getroffen wird? Daher könnte wohl Shikamarus plötzliche Bissigkeit gekommen sein. Und klar, Shikamaru ist gut darin, den schlimmstmöglichen Punkt zu treffen, wenn er verbal austeilen will und wirklich auf Schaden aus ist. Chojis Sanftheit ist garantiert verdammt oft als Feigheit interpretiert worden. Dabei hat er sich in Kämpfen oft genug behauptet und gezeigt, dass er nicht feige ist. Shikamaru weiß ja eigentlich auch, dass Choji ihn einfach nicht verletzen will. Weil er weiß, dass auch Shikamaru bereits mehr als verletzt ist. Aber dass Shikamaru ihm ausgerechnet in diesem Moment Feigheit unterstellt hat, hat dennoch weh getan (und ich werde das Gefühl nicht los, dass da noch was dahinter steckt, weswegen Choji auf Shikamarus Kommentar hin so super wütend geworden ist und seine Faust sogar immer tiefer in diese Säule gerammt hat. Aber ich komm nicht drauf). Aber spätestens in diesem Moment hat Choji wahrscheinlich auch verstanden, dass Shikamaru so gehandelt hat, weil er mit seinem Selbsthass nicht klarkommt und daher versucht, den auf andere umzuleiten. Mit den Anschuldigungen von anderen umzugehen ist immer noch leichter, als vor sich selbst geradestehen zu müssen. Ich denke nicht, dass sich an seinem schlechten Gewissen irgendwas gebessert hätte, wenn Choji und Ino tatsächlich ernsthaft wütend auf ihn wären und mit Anschuldigungen kommen würden. Aber diesen Drang, dieses Gefühl irgendwie aus sich rauskriegen zu wollen, kann ich echt verstehen.

Und nun haben wir Inos Mutter mal live und in Farbe gesehen. Mich erinnert sie ja an 'ne Venus Fliegenfalle. Oder eher noch an einen Sonnentau. Sehr hübsch anzusehen, funkelnd, aber die Beutetiere, die sich von seinem funkelnden Tau angezogen fühlen, verkleben drin und sterben. Werden zersetzt, ihre Nährstoffe geraubt. Diese Frau ist genauso. Wenn man sich in ihrem Dunstkreis aufhält, saugt sie jegliche Lebensfreude aus einem raus. Kein Wunder, dass Ino sich in ihrer Gegenwart wie ein Unkrauft fühlt. T_T Und natürlich bemerkt sie selbst nicht im Geringsten, wie sehr sie Schuld daran trägt, dass das, was ihr innigster Vertrauenskreis sein sollte, total kaputt ist. Dass sie und ihr Mann bereits seit Inos Kindheit im kalten Krieg leben (ich frage mich, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass die zwei heiraten. War das arrangiert? Denn Inoichi ist ja eigentlich ein sehr guter Beobachter und wird Sayuris psychischen Knacks sicher ziemlich früh bemerkt haben - selbst wenn der damals noch nicht die Ausmaße angenommen hatte von heute). Dass Ino ihrer Mutter lediglich gehorcht, weil sie eingeschüchtert ist, aber nicht aus Liebe die Nähe zu ihr sucht. Ich frag mich, was sie wohl für eine psychologische Diagnose bekommen würde, wenn man sie zu einem modernen Psychiater schicken würde. Narzissmus vielleicht? Sie hält sich ja offenbar für die Krone der Schöpfung und alles, was unter ihrem Niveau ist, ist es nicht wert, auch nur angeschaut zu werden. Gut, dass sich Ino im Kern versucht, von ihr abzunabeln. Mit Chojis T-Shirt z. B., das sie nicht zurückgeben will. Dass sie es sich traut, in diesem Outfit vor ihrer Mutter zu erscheinen, auch wenn es ihr gleichzeitig schwerfällt, der unausweichlichen Missbilligung standzuhalten. Ich finde, daran merkt man sehr deutlich, wie verzweifelt Ino versucht, sich als eigenes Individuum gegenüber ihrer Mutter zu behaupten - was unglaublich schwer ist, weil sie ihr Leben lang der Gehirnwäsche ihrer Mutter ausgesetzt war und so was hinterlässt einfach tiefgreifende Spuren, auch wenn man rein logisch weiß, dass das krank ist, was die Alte da macht und verlangt.
Und mit Naoki ist Ino in ein unerwartetes Hornissennest getreten. Hoffentlich wird das nicht noch zu einer Gefahr für sie. Falls Genmas Warnung, die Gefahr für Shikamaru sei aufgrund von Asumas Einmischung näher gerückt, der Wahrheit entspricht. Diese äußerst seltsame Reaktion ihrer Mutter auf eine so simple Frage wie "Warum ist Naoki damals eigentlich gestorben?" kann Ino doch nur skeptisch werden lassen. Und gewisse Tendenzen, sich ihrer Mutter zu widersetzen, sieht man ja. Das könnte ausreichen, damit sich dieses Thema in ihrem Kopf verfestigt und sie dazu bringt, auf eigene Faust weiterzuschauen, ob sie woanders mehr über Naoki erfahren kann.

Und dann Shikaku und Yoshino - das totale Kontrastprogramm zu Inoichis kaputter Ehe. Die zwei schätzen und lieben sich noch immer. Ich frage mich, ob das trotz oder wegen der schlimmen Dinge ist, die sie beide durchgemacht haben mussten. Shikakus Probleme müssen wenigstens zu einem Teil mit ANBU zu tun gehabt haben, wenn man sich Yoshinos Reaktion so ansieht. Und da er jetzt der Anführer von ANBU ist, muss das damals in einer Zeit gelegen haben, als er noch nicht Teil dieser Organisation war. ("Als ANBU mich freigelassen hat".) Offenbar ist er vor vielen Jahren einmal zum Ziel von ANBU geworden. Und ich vermute, irgendwann werden wir wissen, wie das passiert ist und was ANBU ihm angetan hat.
Und Yoshino - irgendein richtig schlimmer Vorfall mit Shikakus Schatten muss einmal vorgefallen sein, wenn der Anblick, wie Shikaku Shikamaru mit seinem Jutsu bespaßt, solch einen blanken Horror bei ihr ausgelöst hat. Das ging weit über ein normales Maß von Angst hinaus. Es wirkte, als fürchtete sie in dem Moment um Shikamarus Leben. Oder vielleicht sogar um ihr aller Leben. Wie die Szene damals wohl geendet hat? Wahrscheinlich wird Shikaku sein Jutsu augenblicklich beendet haben, aber um Yoshinos aus ihrer Panik zu holen, wird es garantiert noch einiges mehr bedurft haben.

(Über einen kleinen Tippfehler bin ich noch gestolpert: "Als tu mir den Gefallen" :) )

Bis zum nächsten Kapitel! ^^
Von:  Lady_Ocean
2023-05-06T14:21:01+00:00 06.05.2023 16:21
Naoki!! Eine richtige, ausführliche Szene zu Naoki! Das hat ihn jetzt schlagartig vom Status eines halben Phantoms, einer komplett unbekannten Person mit einem Alias, zu einem realen Menschen aus Fleisch und Blut mit Körper und Seele gemacht. Und Gott, plötzlich ist er so nah. Ino kannte ihn so gut, als sie klein war. Ihre Familie musste ihn sehr gut gekannt haben. Und Kakashi sucht sich zwei Blocks weiter nach ihm wund. Ihm wahrsten Sinne des Wortes. Asuma hatte keinen Schimmer von ihm. Und das, obwohl er über gerade mal eine Ecke mit ihm verbunden war. Unglaublich, diese plötzliche Nähe.

Und auch das, was da in der Meditation zwischen Neji und Ino passiert ist, war höchst sonderbar. Als Asuma plötzlich eine Hand auf seine Schulter gelegt, einmal kräftig zugedrückt hat und ihn bat, Shikamaru nicht weglaufen zu können. Das kommt mir nicht vor wie etwas, was Asuma Ino aufbürden würde. Auch dieser feste Händedruck an der Schulter ist nicht unbedingt etwas, wovon ich erwarten würde, dass Asuma das Ino gegenüber tut. Es wirkte eher, als wäre die Grenze zwischen Dies- und Jenseits hier ein Stück weit verschwommen und ein Fetzen von Asumas Willen hätte seinen Weg zu Neji gefunden. Wenn man sich den japanischen/asiatischen Glauben bezüglich des Todes und was die Seelen so machen ansieht, könnte das auch durchaus hinkommen. Während der Zeit der Trauer sagt man, glaube ich, dass die Seele des Verstorbenen noch im Diesseits ist. In China sind es wohl zumindest die ersten sieben Tage, bis die Seele ins Jenseits wandert. Und zum O-Bon-Fest (dem Totenfest) kommen die Seelen der Verstorbenen ja jährlich auch zurück zu ihren Hinterbliebenen (oftmals reitend auf Pferden oder -Ochsen? aus Mochi, die an den Hausaltaren dargeboten werden) und werden am Ende dieser Zeit mit den leuchtenden Schiffchen auf den Flüssen zurück ins Jenseits geleitet. Also falls diese Geschichte so angelegt ist, dass solche übersinnlichen Elemente einen realen Einfluss auf die Handlung nehmen können (was nicht allzu abwegig ist, wenn man sich überlegt, was die alles mit Chakra machen ^^), wäre es eine mögliche Erklärung, dass hier Tatsächlich Asumas Geist - oder zumindest der Teil, der so unendlich besorgt um Shikamaru ist - zu Neji gesprochen hat.

Ah, und mir fällt zu dem letzten Kapitel noch ein: Die Szene mit Shikamaru. Wie er sich am Ende umdreht und davonläuft. Ich fand, das hatte auch sehr starken metaphorischen Charakter. In diesem Moment, wo er physisch den Rückzug angetreten hat, hat er schätzungsweise auch psychisch den Kampf gegen seine Vergangenheit zusammen mit dem Verlust von Asuma aufgegeben. Er schafft es nicht, mit all dem umzugehen. Aber gleichzeitig weiß er, dass er dem nicht entkommen kann - genau so wie sein Schatten ihm folgt, egal wie schnell und egal wohin er rennt. Ich fand, dieses Umdrehen und Wegrennen war ein sehr unheilvolles Omen.
Und Konohamaru ... Er hat auch unglaublich lange unglaublich viel ertragen und bricht gerade unter der ganzen Last zusammen. :( Hoffentlich kommt Naruto an ihn ran. Mit seiner Vergangenheit als Waisenkind und Außenseiter kann er sich wahrscheinlich sehr gut vorstellen, wie schrecklich allein Konohamaru sich jetzt fühlen muss. Und obendrauf dann noch der Schmerz, von seinem letzten Verwandten nie wirklich gesehen worden zu sein ...
Von:  Lady_Ocean
2023-05-03T06:05:18+00:00 03.05.2023 08:05
Ich frage mich, ob es Neji bereits bewusst ist oder ob er sich dem später vielleicht bewusst wird, aber Kiba hat ihr Gespräch und Nejis Reaktionen hier ziemlich in der Hand. XD Er wusste ganz genau, wann Neji welche Frage im Kopf brannte und auf welchen Kommentar er welche Art von Reaktion bekommen würde. Neji hingegen ist davon, wie Kibas Verhalten von dem, was er erwartet hätte, abweicht, zum Teil ziemlich überrascht worden. Das zeigt auch, dass Neji sich die Leute in seiner Umgebung (also die, die er ewig als unwürdig abgestempelt hatte) lange nicht ernsthaft angesehen hatte. Und er versteht im Grunde bereits, dass das ein charakterlicher Makel ist, an dem er arbeiten muss. Das kommt in seinen Gedanken manchmal durch. Wenn Neji will, kann er ja sehr wohl ein sehr guter Beobachter sein und die richtigen Schlüsse ziehen. Das hat er mit Shikamaru mehr als bewiesen und das beweist er jetzt mit Ino auch wieder. Auch seine Meinung über sie hat er während ihres gemeinsamen Gesprächs ziemlich revidiert, würde ich sagen. Ino ist längst nicht mehr einfach nur das laute, zickige Gör, als das sie ihm während ihrer Genin-Zeit wahrscheinlich erschienen ist. Und selbst damals hat er sie ja nie so wirklich als Menschen beobachtet, sondern immer nur als spöttischer und urteilender Außenseiter. Wenn schon damals nicht mehr hinter Ino gesteckt hätte als Oberflächlichkeiten und Vorurteile, wäre Team 10 niemals so eng zusammengewachsen. Und Ino hätte auch niemals gelernt, Shikamaru so gut zu verstehen (aber das ist nichts, was Neji wissen kann. Dieser letzte Punkt betrifft jetzt nur meine Beobachtung von außen).
Dass Ino sich so zurückzieht und nur mit sich selbst so still und leise vor sich hinleidet, ist eigentlich bezeichnend. Wenn es Shikamaru nicht so dreckig gehen würde, wäre sie jetzt sicher am liebsten mit ihrem ganzen Team zusammen und würde ihren Kummer mit Shikamaru und Choji teilen - ähnlich vielleicht, wie auch Inoichi das Gespräch mit Shikaku und Choza gesucht hat. Aber zu dem Schmerz des Verlusts kommt die große Sorge um Shikamaru obendrauf, der sich seit Asumas Tod wahrscheinlich völlig abgekapselt hat, um der Realität zu entfliehen. Und Ino ist seelisch gerade einfach nicht in der Lage, damit auch noch umzugehen. Ich schätze, das wird alles da mit reingespielt haben, dass sie nun allein im Niji sitzt und in ihre Kaffeetasse starrt. Da ist Neji mit seiner plötzlichen Bitte tatsächlich wie ein Rettungsanker. Er kennt Asuma und das Team gut genug um sich vorstellen zu können, was sie gerade durchmachen, ist aber nicht so tief involviert, dass es ihn genauso fertigmacht wie sie, Choji und Shikamaru. Sie kann mit ihm über Asuma sprechen und weiß, dass sie verstanden wird (dass Neji diese Episode mit der Prüfung rausgekramt hat, war echt ein goldenes Geschenk in dem Moment). Und außerdem besteht sein Anliegen und auch seine ganze Präsenz überhaupt nicht einzig und allein aus dem Thema "Asuma". Dass er eigentlich eine ganz andere Bitte hat, könnte Ino wahrscheinlich helfen, um ein Stück weit ihren Alltag wiederherzustellen. Neji gibt ihr hier eine konkrete Aufgabe, die sie gut bewältigen kann und die ihr gleichzeitig das Gefühl gibt, von Nutzen zu sein. Und dieses Gefühl tut so wahnsinnig gut, wenn man von Problemen überrannt wird. Löst besagte Probleme zwar nicht, kann aber helfen, den Kopf wieder über Wasser zu kriegen und das Chaos etwas zu sortieren.

Und dann wieder Genma und Kakashi, ey. XD Genma gibt verdammt viele Andeutungen zu ihrer vergangenen Intimität. Vermisst er es etwa? ;) Andererseits frage ich mich immer noch, wie Asuma wohl da mit drinnen hing. So sehr, wie er an Kurenai hing (was er auch lange verleugnet hat), kann ich mir nur schwer vorstellen, dass auch er mal ein Auge auf Kakashi oder Genma geworfen hatte. Außer das liegt wirklich schon weit über 10 Jahre zurück. Emotionen ändern sich ja mit der Zeit. Allerdings kommen mir Kakashis Andeutungen eher so vor, als hätte Genma damals vielleicht ein Auge auf Asuma gehabt und der hätte seine Gefühle evtl. nicht erwidert. Vielleicht war Kakashi so was wie die zweite Wahl. Und Kakashi vielleicht an Genma interessiert gewesen. Genmas Kommentar "Das letzte Mal, als du mich so angesehen hast, Kakashi, sind die Dinge zwischen uns sehr kompliziert geworden." könnte man in die Richtung interpretieren, dass Kakashi damals wohl einen ziemlich emotionalen, suchenden Blick gegenüber Genma drauf gehabt haben musste.
Dennoch, Genma würde nicht ständig die Vergangenheit wieder ins Gespräch bringen, wenn er damit abgeschlossen hätte. Mittlerweile scheint wirklich er derjenige zu sein, der immer noch eine Schwäche für Kakashi hat und die nicht unter Kontrolle bekommt. Das zeigen sowohl seine Kommentare als auch seine wiederholte Nachlässigkeit. Erst oben in Asumas Wohnung, als Kakashi angefangen hat, unter dem Sauerstoffmangel zu zucken, jetzt wieder, als er sich zum Gehen gewandt und Kakashi den Rücken zugedreht hat. Da ist etwas in ihm, das Kakashi unbedingt vertrauen will. Und auch nicht draus lernt, wenn Kakashi diesem Vertrauen wiederholt in den Rücken fällt.
Aber es geht ja nicht nur um Genma und Kakashi (und Asuma). Es geht ja auch ganz stark um Shikamaru. Ich frage mich wirklich tief besorgt, in was für Kreise Shikamaru da wohl hineingeraten ist. Und wie tief Genma da mit drin steckt! Er weiß viel zu viel. Und ich denke, Kakashi hat einen verdammt treffenden Punkt. Genma muss mit seinem Gewissen oder irgendwas hadern, wenn er ihm mit diesem kleinen Ort auf der Karte tatsächlich einen Wink in die richtige Richtung gegeben hat. Allerdings kann man nicht ausschließen, dass er das Senbon nicht vielleicht einfach irgendwohin geworfen hat, getreu seiner eigenen Behauptung, Asuma einfach irgendeine Entschuldigung zu geben, um Shikamaru selbst auf die Ereignisse damals ansprechen und seine glühendheiße Reue damit notdürftig besänftigen zu können (bzw. ihm was zu tun zu geben, wenn Shikamaru ihn an sich ranlässt). Ob der markierte Ort auf der Karte tatsächlich irgendwelche Antworten parat hält, weiß man wohl erst, wenn man sich das mal genauer ansieht. Aber WENN das eine richtige Fährte war, dann gehe ich ganz mit Kakashis Vermutung, dass Genma einen inneren Gewissenskonflikt austrägt.
Sorgen macht es mir auch, dass dieses Netz an Gefahr immer noch so nah über ihnen, besonders auch über Shikamaru, schwebt. Dass Genma meint, es sei näher gekommen, weil Asuma angefangen hat, schlafende Hunde zu wecken. Wer hängt da bloß alles mit drin? ANBU? Noch eine (oder mehrere) Attentäter-/Spionagegruppe(n)? Da muss fernab der offiziellen Wege eine ganze Menge passieren... :(
Antwort von:  Lady_Ocean
03.05.2023 15:09
Ah! Fehlerchen vergessen. Ich hatte mir extra Notizen gemacht. ^^°
"Und ich habe keinen Bock mir auf diesen blöden Ball!"
"Um das Kind, das du niemals kennenlernen willst…" ("wirst"?)
"Wahrer Worte waren nie gesprochen worden."
Von:  Lady_Ocean
2023-04-30T13:55:35+00:00 30.04.2023 15:55
*puh* So viel Mystery! Dieses Kapitel schreit förmlich nach LIES MICH SPÄTER NOCH MAL, WENN DU WEIßT, WOVON DIE HIER ALLE REDEN! XD Erst Shikaku und Hiashi (und ich war schon froh, dass sie die Uchiha dann wenigstens mal beim Namen genannt haben. So dass ich wenigstens dieses Argument logisch einordnen konnte x_x). Dann Kakashi und Genma. Gott sei Dank hatten wir Kiba noch zwischendrin. Wenigstens einer, der sein Herz auf der Zunge trägt und leicht zu verstehen ist. u_u Wobei mir Kiba hier auch leid tut. Durch seine besonderen Instinkte hat er bestimmt gemerkt, dass es Kurenais Baby grad nicht gut geht. Und so oder so merkt er wahrscheinlich besser als jeder andere, wie Kurenai grad durch die Hölle geht. Das setzt ihm total zu. Wenn dann so 'ne unbeteiligte Angestellte überhaupt nichts davon wissen will und aus seiner Hypersensibilität auch noch ein Nichtinteresse macht - kein Wunder, dass ihm 'ne Sicherung durchbrennt. Aber dass der Tag kommen wird, an dem ausgerechnet ein Hyuga ihn zur Ruhe bringen wird! Das hätten die zwei bis vor wenigen Wochen garantiert für den geschmacklosesten Witz ihrer Generation gehalten. XD Kiba hat schon recht, dass Neji grad tatsächlich mal seinen Stock rausgenommen hat. ;) Er selbst kläfft hingegen nach wie vor wie ein Hund. Der Beginn dieser Szene war on spot! Gut, dass Akamaru so 'ne ruhige Seele ist.

Shikaku und Hiashi... Dass es Hiashi war, der ihm da heimlich nachspioniert war, hat sich irgendwie schon so angefühlt, bevor er namentlich auftrat. Und natürlich kam auch Shikakus ungebetener Besuch neulich wieder zur Sprache. Hiashi wär kein Hyuga, wenn er das einfach so auf sich sitzen lassen könnte. ;) Auch wenn man merkt, dass ihm die Hände gebunden sind. Nun hat Shikaku ihn schon zum zweiten Mal so dreist auf seinem eigen Grund und Boden aufgesucht. Am liebsten würde Hiashi ihn dafür bestimmt 'nen Kopf kürzer machen. Vor allem bei dem, was da zwischen ihnen liegen muss. Nun weiß ich, auf wen sich Shikakus Kommentar in der Chara-Übersicht bezieht. Au weia... Shikaku war also maßgeblich daran beteiligt, dass Hizashi gestorben ist. Und ein Grund dafür scheint gewesen zu sein, dass er nicht gesehen hat, wie nah sich die Zwillinge gestanden haben. Hiashi hat das garantiert bis heute nicht überwunden. Diesen Groll wird er wahrscheinlich niemals loswerden. Aber eventuell verschafft es ihm zumindest eine kleine Genugtuung, dass Shikaku seinen Fehler jetzt verstanden hat und damit nun auch weiß, dass er in seiner damaligen Planung einen ganz grundlegenden Fehler drin hatte, der zu einem sinnlosen Opfer geführt hatte.
Warum Shikaku überhaupt hier ist und Hiashi über Nejis Stand mit der ANBU-Bewerbung aufklärt ... Ich wär auch neugierig, das zu wissen. Auf jeden Fall vermute ich keine fürsorglichen Gründe dahinter (genau wie Hiashi, der sich ja absolut null Blöße gibt). Grad wenn ich überlege, wie sehr Shikaku auf Rache für Nejis Tat an Shikamaru aus ist. Was auch immer er hier wollte, es wird zum Ziel haben, Neji Steine in den Weg zu legen. Evtl. will er an Hiashis väterlichen Gefühlen Rütteln. Das Bedürfnis, seinen Neffen zu beschützen, stärken. Die Entscheidung, zu ANBU zu gehen, für Neji noch schwerer machen. Ich vermute vage, dass sein Auftreten hier nicht so sehr mit dem Hyuga-Clan und dessen internen Problemen zusammenhängt. Die gibt's ewig und es gibt weiß Gott sicher bessere Zeiten, um da mitzumischen, wenn er das tatsächlich vorhaben sollte. Wahrscheinlich wird es irgendwie mit Neji zusammenhängen.

Und nun Kakashi und Genma. Mit was für Leichen aus ihrer Vergangenheit die sich beworfen haben, hab ich auch nur zur Hälfte verstanden, aber:
"Er ruckte mit der Hand zwischen ihnen hin und her; doch die Bedeutung davon ging viel weiter, sie ging weit über die Grenzen dieser Wohnung und der Geschehnisse hinaus, die innerhalb dieser Wände stattfanden."
GOTT! Diese Andeutung! Und dann schickt Genma wenig später noch so 'nen eindeutigen Kommentar hinterher: „Du kämpfst immer noch wie du fickst. Schmutzig.“ Krass. die hatten tatsächlich mal was miteinander. o_o (Und ich muss zugeben, irgendwie ging mir bei dieser Information auch die Frage durch den Kopf, ob Kakashi wohl selbst beim Sex sein Auge und seinen Mund verdeckt hält. ^^°) Und auch Genmas Verhältnis zu Asuma muss ziemlich speziell gewesen sein. In welcher Art, das mag ich noch nicht einzuschätzen. Aber allein schon, dass Kakashi vermutet, dass Genma was Besonderes gespürt haben müsste, als Kurenai die Blumen auf Asumas Grab gelegt hat. Das klang sehr danach, als hätte Kakashi von ihm etwas anderes als die Übliche Trauer um einen Kollegen oder Freund erwartet. Und Naoki ... hatte ebenfalls was mit Genma zu tun. Mit diesem Versuch hat Kakashi voll ins Schwarze getroffen. Möglicherweise will Genma diesen Naoki beschützen. Wahrscheinlich ist er auch längst nicht mehr unter den Lebenden. Aber wie auch immer er damals in die Sache verwickelt ist, es würde besagtem Naoki wohl schaden, wenn alles, was damals passiert ist, ans Licht käme. Ich bin ja echt gespannt, wer das ist ...
Aber auch Kakashi muss Genma irgendwo immer noch am Herzen liegen (auch wenn er es nicht so aussehen lassen will). Als Kakashis Herz anfing, schlapp zu machen, hat die Sorge ihn unvorsichtig werden lassen, sodass Kakashi sich befreien konnte. Zudem hat er mehrmals versucht, Kakashi dazu zu überreden, seinen Widerstand aufzugeben, um ihm nicht mehr wehtun zu müssen, als nötig. Ich frage mich, ob Kakashi wohl ähnlich reagiert hätte, wenn ihre Rollen vertauscht gewesen wären, oder ob seinerseits überhaupt keine Emotionen mehr an das gebunden sind, was sie mal hatten. Aber vielleicht weiß Kakashi das selbst nicht mal so genau. Er ist ja gut darin, sich seine Emotionen wegzureden. Dass es aber nicht so einfach ist, merkt man hier auch sehr deutlich. Wie sehr ihn der Schmerz überrannt hat, als er unerwartet getriggert wurde, hat das sehr eindeutig gezeigt. Wahrscheinlich besteht Kakashis "später aufarbeiten"-Strategie darin, immer wieder neue Vorwände dafür zu finden, dass noch nicht die rechte Zeit für dieses "später" sei, und nun sind da Berge an Schmerz, Verlust und Schuldgefühlen, die alle darauf warten, mal abgearbeitet zu werden. Oder als Lawine alles überrollen zu können.

In dem Gespräch zwischen Shikaku und Hiashi musste ich an einer Stelle übrigens ziemlich lachen: Shikaku klopfte sachte neben sich auf die Bank. „Dann setz dich.“" Total der Nara-Humor! XD Wirklich grandios, wie man selbst an der Art der Witze merkt, welcher Apfel von welchem Stamm gefallen ist. Echt klasse, die schreiberische Qualität dieser Geschichte. Das denke ich mir nach wie vor immer wieder. ^^

Und ein paar Fehlerchen hätte ich noch zum Abschluss :)

wirklichkindisch (da ist beim Kursivschreiben das Leerzeichen abhanden gekommen)

Unter dem Vorwand erwischt zu werden, ein verlorenes Tier zurück zu bringen, würde vielleicht die Strafprügel von Tsunade abmildern. (Beim Überarbeiten ist wahrscheinlich der Hauptsatz verschwunden, was?)

seinen steifen Rücken hinunter gekraxelt und über davon gehuscht ("über ihn"?)
Von:  Lady_Ocean
2023-04-25T05:48:21+00:00 25.04.2023 07:48
So viele Szenen in einem Kapitel. Hier war wirklich viel los. Shikamaru ... Ich hatte mich im Prolog gefragt, ob er vielleicht in einem ähnlichen Zustand des Entrücktseins gefangen ist wie Kurenai. Aber er hat sich in die Vergangenheit geflüchtet, um temporär dem psychischen Einschlag zu entgehen, der da auf ihn wartet. Aber unter der Oberfläche brodelt es sehr. Dass er mit sich selbst Shogi spielt, ist eigentlich nur an der Oberfläche ein Versuch, ein Stück weit der alten Normalität wiederherzustellen. Aber in diesen gewagten Spielzug, bei dem er seinen silbernen General opfern muss, schwappt auch die Vergangenheit mit rein. Zum einen vermute ich, dass er sich unbewusst fragt, ob Asumas Tod ein Teil seiner Strategie gegen Akatsuki gewesen ist. Er vergleicht es ja ein Stück weit mit dem Opfern des silbernen Generals. Gleichzeitig räumt er ja ein, dass er es nicht hat kommen sehen. Also schätzt er hier möglicherweise seine Strategie in Bezug auf Akatsuki als risikoreich und gleichzeitig unvollständig ein. Und in Form dieses Spielsteins zerbricht er sich nun den Kopf darüber, wie er so einen Ausgang hatte übersehen können. Wo eine weitere mögliche Option gesteckt hätte, die dieses Opfer vermieden hätte. Und ich denke, seine Erinnerungen reichen noch viel weiter.
‚Tu es. Mach deinen Zug, Shika. Nichts ist einfacher.‘
Dass die Stimme in seiner Erinnerung ihn hier mit "Shika" anspricht, deutet stark darauf hin, dass das ein Erinnerungsfragment aus seiner Gefangenschaft vor zwei Jahren ist. Er bekommt diese Erinnerung auch nicht mehr zu fassen, als sein Falke ihn ins Hier und Jetzt zurückholt (was für ein empathisches Tier). Dass man ihn damals zu ähnlich grausamen Entscheidungen (jemanden zu opfern oder zu töten) gezwungen hat. Vielleicht meint es dem Menschen, von dem Shikamaru Asuma bereits erzählt hat, dass er tot ist, weil Shikamaru ihn selbst getötet hat. Es könnte aber genauso gut jemand anderen meinen und besagter Peiniger, der damals diesen Satz ausgesprochen hat, saß irgendwo abseits und hat alles beobachtet. Zwei Tage waren es gewesen, die Shikamaru dort festgehalten worden war, oder?

Und Ino ... Hilfe, die kurze Szene bestätigt so einiges, was mir im vorherigen Kapitel zu ihr durch den Kopf gegangen ist. Dass die Art und Weise, wie ihr Vater Gespräche führt ("Schnellfeuerverhör"), sehr belastend sein muss, was sie bei Sorgen eher in die Arme ihrer besten Freunde treibt als in die ihrer Eltern. Durch den ziemlich kaputten Charakter ihrer Mutter wird das ja zusätzlich verstärkt. Die Mutter ist sich dessen wahrscheinlich selbst nicht bewusst, dass ihre Haltung bezüglich Inos Gewichtsverlust die Manifestierung eines Dilemmas zwischen Sorge um ihre Tochter und einem krass geschädigten Selbstwertgefühl ist. Und dieser Streit zwischen ihren beiden Eltern muss auch an der Tagesordnung stehen. Oooooh, das erinnert mich an meine eigenen Eltern. ^^° Daher verstehe ich diesen Teufelskreis, in dem Inos Eltern feststecken, mittlerweile ganz gut. Inos Mutter bräuchte eigentlich einen Ehepartner, der ihr Stabilität und sehr viel Anerkennung bietet. Und sie auch braucht. Aber wenn Inoichi ein Problem hat (und wahrscheinlich auch sonst einfach mit irgendwem reden will), dann verzieht er sich. Seine Frau (mit ihrer garstigen, giftigen, schuldzuweisenden Art) ist wohl die letzte Person, bei der er Halt suchen könnte. Sie zu ertragen, braucht auch so schon seine ganze Energie und viele Nerven. Deshalb zieht er sich zurück, wann immer er kann. Und diese Distanz tut ihr unglaublich weh, wo sie doch ohnehin schon unter Minderwertigkeitskomplexen, einem kaputten Selbstwertgefühl und fehlender Liebe und Anerkennung so sehr leidet, dass sie daran zugrunde geht. Und diese Mischung entlädt sich dann regelmäßig in hollywoodreifen Eskalationen. Und wer muss sich das alles anhören (oder eben nicht, denn sie hat ja inzwischen "gelernt", das Weite zu suchen, wenn es losgeht)? Ino.

Und nun geht Nejis ANBU-Prüfung richtig los. Zu Beginn der Szene mit ihm war ich total erschrocken und hatte mich gefragt: Was? Ist er bei dem Zusammenstoß mit Akatsuki in feindliche Hände geraten? Habe ich das total vergessen? Aber dann hat sich ja gezeigt, dass sich das hier alles "kontrolliert" innerhalb Konohas abspielt. Und es macht ja auch Sinn, dass ANBU-Anwärter gerade in ihrer psychischen Resilienz auf Herz und Nieren geprüft werden. Aber ich denke, Ibiki hat das durchaus ehrlich gemeint, als er sich dafür bedankt hat, dass er so viel "Spaß" mit Neji haben durfte. Was für ein Sadist. Wirklich, Gott sei Dank hat er nicht aufgedeckt, was da alles zwischen ihm und Shikamaru passiert ist. Es würde mich nicht wundern, wenn Shikaku sich seinen Teil denkt und vermutet, dass da ein besonderes Band zwischen Neji und Shikamaru existieren muss (wenn da nicht etwas Besonderes gewesen wäre, wäre Neji von Anfang an nicht auf so eine persönliche Blutrache aus gewesen. Und Shikamaru hätte niemals so belanglos auf diesen Angriff reagiert. Jeder andere hätte sich nach solch einem Überfall in der ein oder anderen Form rächen wollen). Und ich nehme an, die einzigen zwei Personen, die Neji eingefallen sind, wer ihm Techniken zum Schutz seines Verstandes beibringen kann, sind Shikaku und Ino. Und dass von den beiden Shikaku ausfällt, versteht sich von selbst. Schön, dass Neji auch langsam mal ein Stück weit von seinem hohen Ross runterkommt und die Möglichkeit, sich Hilfe von Ino zu holen, nicht auch von vornherein ausschließt, weil sie "unter seiner Würde" und "nicht fähig genug" ist. Im ersten Moment war ihm sein Hyuga-Stolz zwar noch im Weg, aber dann hat er es doch geschafft, seine Einstellung zu reflektieren und sein Urteil zu verschieben. Das erinnert mich an seine letzte "Aussprache" (für Nejis Verhältnisse war es das durchaus) mit Kiba. Die zwei waren sich bis dahin ja auch an die Kehle gegangen wie Hund und Katze (oder Affe, wie man im Japanischen sagen würde). Es wird langsam.

Dass Kakashi nun Asumas Spuren nachspioniert, ist vielleicht seine eigene Art der Aufarbeitung bzw. Buße. Buße für die Gelegenheiten, die er selbst immer wieder hat verstreichen lassen, nur um für sein weiteres Leben mit der Bürde zurechtkommen zu müssen, die ihm seine Passivität beschert haben. Aufarbeitung insofern, als dass auch er wahrscheinlich irgendeine Art von Zugang zu Asuma und dessen Tod braucht und er sich den Weg der emotionalen Auseinandersetzung mit dem Schmerz und Verlust erst einmal verboten (weggeredet) hat. Asumas Suche fortzusetzen, gibt ihm ein konkretes Ziel, auf das er sich erst mal konzentrieren kann. Das macht es leichter, andere Fragen und Probleme auszublenden. Auch wenn er diese Wahl wahrscheinlich nicht bewusst getroffen hat.
Antwort von:  Lady_Ocean
25.04.2023 07:49
Ah, eine sprachliche Frage habe ich noch:
"Und dennoch war er hier und es hatte überhaupt keinen Wert zu trödeln."
Ich kenne das nur als "und es hatte überhaupt keinen Sinn zu trödeln" (oder "er hatte überhaupt keine Zeit zu trödeln". Kann man das auch mit "Wert" übersetzen? Kenne ich so gar nicht.
Von:  Lady_Ocean
2023-04-25T04:31:34+00:00 25.04.2023 06:31
War klar, dass ich nicht lange warten kann mit dem Lesen. ^^° In Requiem hatte ich bisher wirklich noch nicht reingelesen und es brennt mir auf der Seele zu wissen, wie es weitergeht. Auch wenn absehbar ist, dass das hier sehr schwere Kost wird. Die schon richtig depressiv beginnt. Wie verschieden die einzelnen Akteure mit dem Verlust umgehen. Kurenai ist paralysiert. Hängt halb zwischen einem Zustand der Verleugnung, Selbstvorwürfen und gelegentlichen Blitzlichtern der Realität, die sie fertig machen. In so 'nem ähnlichen Zustand hing ich auch, als mein Bruder gestorben ist (nur nicht ganz so extrem, mit Übelkeit und so. Aber dass mein Kopf wie abgestöpselt war, dass ich irgendwie nur rumsitzen und ins Leere starren konnte. Dass mich immer wieder unverhofft Erinnerungen überrollt und mir einen Stich versetzt haben, bevor sie wieder im Nebel der Unwirklichkeit verschwunden sind. Diesen Zustand kann ich gut nachempfinden.)
Kakashi analysiert mal wieder alles durch. Und nutzt ursächliche Zuschreibungen, um die offenen Wunden erst mal behelfsmäßig mit Pflastern zu überdecken, um weiterfunktionieren zu können, so lange es nötig ist. Ich schätze, durch seine Erfahrungen mit Rin, Obito und Sasuke hat er sich diese Strategie zurechtgelegt. Wahrscheinlich auch durch weitere Erfahrungen mit ANBU. Es ist vielleicht nicht das Unvernünftigste, sich auf diese Art erst einmal von seinem Schmerz abzulenken und die "Seelensuche" auf später zu verschieben. Hauptsache, er nimmt es dann wirklich in Angriff und setzt sich ordentlich mit sich selbst auseinander. Sonst werden da später bestimmt genauso hässliche, an Tumore erinnernde Narben daraus wie bei Shikamaru.
Und Shikaku. Wenn ich mir das "Gespräch" mit Inoichi so ansehe. Weia. Shikaku hält auch irgendein richtig übles Päckchen in seinen Schatten verborgen. Wahrscheinlich seit seiner Genin- oder Chunin-Zeit. Choza und Inoichi sind jedenfalls gut darüber informiert, was da in Shikakus Innerem los ist. Und er hat eine ähnlich ungesunde Vermeidungsstrategie wie Shikamaru (na ja, von wem wird Shikamaru das wohl haben ... -.-). Selbst nach (vermutlich) Jahrzehnten hat diese Strategie des Wegredens nur dazu geführt, dass Shikaku noch immer an einem empfindlichen Nerv getroffen ist und gefährlich wird, wenn das Problem zur Sprache kommt. Und die einzige Art, wie er damit umgehen kann, ist anscheinend die Flucht nach hinten (wahrscheinlich, um in diesem Fall einen Angriff zu vermeiden).
Und Ino hat charakterlich eine ganze Menge von ihrem Vater mitbekommen, was? Dieses Bedürfnis, die Dinge zur Sprache zu bringen. Und es dabei so oft zu wiederholen (in der Hoffnung, irgendeine Form von Fortschritt zu erzielen), bis es für die Zuhörenden anstrengend wird. Beide können mit ihrem Bedürfnis um Aussprache ganz schön dickköpfig sein. Interessant war auch, dass er sogar seine Sorge zur Sprache gebracht hat, dass Ino ihrem Lehrer näher stehen könnte als ihrem eigenen Vater. Vielleicht ist es dieses Dickköpfige, dass auch ihm bei Aussprachen innewohnt, dass ein versöhnliches, lösungsorientiertes Gespräch mit seiner eigenen Tochter erschwert und dieser dadurch von klein an das Gefühl gab, mit ihrem Vater könne man nicht richtig sprechen und bei Problemen ist es besser, sich an Choji und Shikamaru zu wenden. Und indirekt an Asuma. Wie wir in dem Ryokan gemerkt haben, hat der ja eine sehr effektive Art, Probleme zu lösen: Sehen, zuschlagen, fertig.

Ich bin nun aber mehr als gespannt - und besorgt - in was für einem Zustand wir Shikamaru antreffen werden ... >.<

(Und einen kleinen Tippfehler habe ich gefunden: "Die feuchte Lucht". Du meinst "Luft", oder?)
Antwort von:  _Scatach_
26.04.2023 17:14
Huhu, da bin ich schon wieder :)

Hui, da hast du ja wirklich direkt mit Requiem weitergemacht, Hut ab! *-*
Und für dich ist es auch noch komplett neu ;)
Ja, das stimmt, dass es ab jetzt deutlich tragischer als bisher wird und das merkt man ja auch direkt hier in diesem ersten Kapitel
Das mit deinem Bruder tut mir enorm leid! Ich hoffe, du hast dich gut davon erholt! Aber ich weiß auch, wie sich so etwas anfühlt leider...
Ja, hier sieht man eben, dass jeder mit Trauer und Verlust sehr sehr unterschiedlich umgeht. Klar, die Charaktere hier haben alle ein sehr sehr unterschiedliches Verhältnis zu Asuma gehabt, aber trotzdem war es bei allen ein sehr persönliches Band. Für Kurenai ist es natürlich am heftigsten...und noch dazu kommt die Schwangerschaft. Ich weiß zwar nicht, wie es ist, schwanger zu sein, aber ich denke (und habe gehört), dass es da mit Hormonen und Stimmungen und Emotionen und so ziemlich heftig sein kann und wenn dann so ein psychischer Schlag wie ein Todesfall dazu kommt, dann kann das schon verheerende Auswirkungen haben.
Kakashi geht wie du schon richtig sagst, alles sehr analytisch an und versucht, jede Emotion irgendwie zu verbannen, da er selber auch nicht gut darin ist, mit so etwas umzugehen oder zu verarbeiten. Natürlich ist es im ersten Moment vernünftig, so zu handeln, weil man dadurch 'funktionsfähig' bleibt...aber auf Dauer muss man sich Emotionen eben schon auch stellen. Aber was bei Kakashi so alles los ist, wird auch noch Thema werden ;)

Ah, Shikaku :D er gehört auch wirklich zu meinen Lieblingen ^^ Du hast das schon absolut richtig bemerkt, dass Shikaku auch ein ziemlich Päckchen mit sich rum tragen muss. Was er für Dinge erlebt hat wird auf jeden Fall auch noch aufgedeckt, es kommt also schon noch einiges auf dich zu ;) Choza und Inoichi wissen davon, das stimmt. Und ja, er ist da seinem Sohn schon sehr ähnlich, aber das ist ja wirklich wenig verwunderlich ^^ Er hat aber auch wirklich einiges durchgemacht, aber dazu will ich jetzt nicht zu viel sagen, weil sonst würde ich ja verraten, was passiert ;)

Haha, ja nicht nur Shikamaru und Shikaku sind sich ähnlich sondern eben auch Ino und ihr Vater ^^ Sie sind beide sehr temperamentvoll und sind nicht die schweigsamen Typen wie die Nara ^^
Ino hat aber generell ein sehr schwieriges Verhältnis zu ihren Eltern, aus mehreren Gründen...aber auch das wird noch Thema :D

Ah ja, wie es Shikamaru geht ist natürlich ein spannendes Thema ;)

Haha, danke für den Hinweis, ja das soll natürlich 'Luft' heißen :D

Vielen vielen Dank auch hier wieder für deinen wunderschönen Kommentar, ich hab mich wahnsinnig gefreut!! <3
Von:  Kuro_Kami
2022-05-14T12:33:59+00:00 14.05.2022 14:33
Das Gespräch zwischen Shikamaru und Neji war sehr amüsant. Es macht sehr viel Spaß die Geschichte zu lesen.ฅ^•ﻌ•^ฅ
Von:  Kuro_Kami
2021-11-13T15:57:09+00:00 13.11.2021 16:57
Ich Finde den ganzen Krankenhaus Aufenthalt von Shikamaru und Neji total amüsant😁👍. Neji mit seiner Regenbogenbleiche 🌈 und Shikamaru mit den Vampirflöhen 🧛.♥️
Von:  Kuro_Kami
2021-11-13T12:15:33+00:00 13.11.2021 13:15
Neji der Bunter Vogel mit verletztem stolz😂. Das Bild in meinem Kopf ist einfach soo lustig 😂. Ich denke das mit den Opiaten kann noch lustig werden.♥️


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