Requiem von _Scatach_ (Teil Drei der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 13: Precious freedom or the greatest weakness? ------------------------------------------------------ Der Plan war simpel gewesen. Dämlich simpel. Von A nach B.    Kinderleicht wie backe backe Kuchen.    Ja klar; Kuchen, der von geisteskranken Kindern im Ofen in die Luft gejagt wurde.    Shikamaru schnitt eine Grimasse und bog in eine weitere, von Laternen beleuchtete Gasse ab, um die Hauptstraße zu vermeiden. Schweiß bedeckte seine Haut und die Muskeln in seinen Schenkeln brannten, als würde er schon seit Stunden durch Wasser waten und gegen eine Strömung ankämpfen.    Naja, das war auch keine Übertreibung.    Denn Neji bekämpfte jeden einzelnen Schritt ihres Weges.    Sturer Bastard.   Keuchend warf Shikamaru einen funkelnden Blick über die Schulter. „Das wäre viel leichter, wenn du endlich aufhören würdest, die Fersen in den Boden zu graben und dich stattdessen entspannen würdest.“   Nejis Nasenflügel bebten und er warf mit loser Mähne über den Schultern seinen Kopf wie ein gefesselter Hengst hin und her. „Wie kannst du es wagen, mich durch die Gegend zu zerren wie irgendein tollwütiges Tier“, knurrte er.   „Deine Worte, nicht meine.“   Aber um die Wahrheit zu sagen war es nicht die schlechteste Beschreibung, wenn man Nejis wilden Stimmungsumschwung und den schlagartigen Anstieg an Energie bedachte. Eigentlich hätten die Narkotika dafür sorgen sollen, dass Neji auf seinem Hintern blieb. Vorher war er noch schläfrig und desorientiert gewesen, aber in der Sekunde, in der Shikamaru ihn mit dem Schattenbesitz belegt hatte, war es gewesen, als hätte man ihm eine Adrenalinspritze verpasst. Was war es noch gewesen, was Ino gesagt hatte? Etwas über Stresshormone, die durch die Decke gingen?   Was auch immer…ugh…das nervt vielleicht…   Seufzend schleppte Shikamaru sie mehr oder weniger bis zum Ende der Gasse und hielt dann an, um wieder zu Atem zu kommen, als er sich gegen die Rückwand eines Dango Restaurants lehnte. Jedes einzelne Keuchen wurde dadurch von dem süßen Geruch nach Stärke und Sirup gefüllt.    Und unter all dem lag der vorherrschende Gestank nach chemischer Seife.   Ich schwitze Bleichmittel…das kann echt nicht gut sein…   Wie viele gottverdammte Duschen würde er heute Nacht eigentlich noch nehmen müssen?   Shikamaru spähte himmelwärts und kalkulierte rasch, wie viel Mondlicht ihm zwischen dem Driften der Wolken noch bleiben würde. Während der Himmel größtenteils klar war, hing bereits der erste Nebel in niedrigen Spitzenrüschen über der entfernten Baumgrenze, die die Residenzen der Akimichis von denen der Nara trennte. Der Weg durch diese Bäume würde letztendlich zum Nara Wald führen.    Auf keinen Fall.    Neji zu sich nach Hause zu bringen war keine Option.    Es ist viel eher das schlimmste Szenario überhaupt.    Seine Mutter würde eine Schwindsucht erleiden, sollte sie heraus finden, was ihr Sohn heute Nacht getan hatte. Und er würde es Neji in diesem Zustand durchaus zutrauen, die volle Gänze dieses Glanz-und-Gloria-Versagens mit einem Lächeln auf dem Gesicht und einem Lied im Herzen herauszuposaunen.    Das passiert auf keinen Fall.    Ein Gasthaus war die sicherste Wette. Irgendwas Billiges und Unauffälliges. Er reckte den Hals und spähte eine Seitenstraße hinunter, die von hängenden Laternen und den bunten Streifen von Läden gesäumt war, deren Noren Vorhänge in der Brise flatterten. Er wusste von einem Platz hier in der Nähe; hatte bereits Temari während der Chūnin Prüfungen dort untergebracht.   Das wird reichen.    Mit Punkt B fest auf seiner mentalen Karte markiert, drehte er den Kopf, um seinen Schützling zu mustern. Stocksteif im Laternenlicht stehend und jede straff gezogene Kontur von Schatten vertieft, dampfte Neji geradezu. Chakra und Anspannung wurden in einem fast schon greifbaren Summen von ihm ausgestrahlt. Er trug geliehene Kleider – dank Ino, die Shikamarus Kleiderschrank durchwühlt hatte – die sich etwas eng an seine breitere Statur schmiegten. Ein Paar alte schwarze Hosen und ein anthrazitfarbenes Oberteil mit Rundhalsausschnitt. Schweiß hatte den Kragen durchnässt und breitete sich in einem V hinunter über den Grat seiner Brust aus.    Zumindest bin ich hier nicht der Einzige, der leidet…   Schnaufend schüttelte Shikamaru den Kopf und versuchte, sich darüber klar zu werden, wie zur Hölle diese Nacht so horrende hatte schieflaufen können. „Und alles was ich wollte, war, einen Spaziergang zu machen.“   Nejis Miene verdüsterte sich und seine blassen Augen verfärbten sich mit einem Hauch von Verwirrung.    Klar, immer noch nicht auf der Höhe.   Aber luzide genug, um zu realisieren, dass er festgehalten und gegen seinen Willen gezwungen wurde, sich in eine Richtung zu bewegen, in die er nicht gehen wollte. „Ich werde nicht zulassen, dass du das machst“, knurrte der Hyūga und zog die Nase kraus wie die Schnauze eines tollwütigen Wolfes.    Shikamaru runzelte über das kalte Misstrauen in diesen Worten die Stirn und war überrascht, wie sehr es ihm einen schmerzhaften Stich versetzte. Irritiert schob er seine Schulter von der Wand weg. „Neji, was zur Hölle soll das? Du hast zugelassen, dass ich dich in ein verficktes Blutbad mit reinziehe und jetzt führst du dich so auf, nur weil-“   „Ich werde nicht in euren Wald gehen.“   Das ließ Shikamaru schlagartig verstummen. Mit noch immer offenem Mund zogen sich seine Brauen scharf zusammen. „Hah?“   Neji ruckte mit dem Kinn. „Dein Zuhause. Es ist mir nicht gestattet.“   Machte er Witze? Doch das sture Funkeln in seinen Augen deutete nicht darauf hin. Shikamaru blinzelte ihn an. „Uh. Da gehen wir nicht hin. Und selbst wenn wir das tun würden…“ Mit den Händen deutete er demonstrativ von Kopf bis Fuß auf seinen Körper. „Ich bin deine wandelnde Reisegenehmigung.“   „Dein Vater hat es untersagt.“   Ruckartig zog Shikamaru den Kopf zurück und blinzelte. „Mein Vater?“   „Er weiß es.“   „Weiß was?“   „Was ich dir angetan habe.“   Schock; ein flüchtiger Moment des Versagens seines Hirns, als sein Verstand einfror – und das war alles, was nötig war. Sein Jutsu taumelte.    „KAITEN!“   Shikamaru zuckte zusammen, als sich eine Woge blauweißen Chakras in ihn rammte, ihn von den Füßen riss und mit einem markerschütternden Knacken gegen die nächste Gassenwand donnerte.    Er fühlte den Aufprall seines Schädels; ein Ausbruch von Schmerz und ein erschütternder Schock.    Seine Sicht setzte aus.    Finsternis.    Panik flutete durch ihn, gefolgt von dem Rausch etwas weitaus Stärkerem. Schweiß brach auf seiner Haut aus. Chakra flammte in einem vibrierenden Puls auf und füllte seinen Kopf wie zwei Herzschläge, jagte fließend schnell durch seine Meridiane und gerann aufgewühlt zu einem heißen Wirbel in seiner Magengrube; schlagartig, giftig, kraftvoll, ein schwindelerregender Druck, der ihn ausfüllte, seine Knochen beben ließ und durch seine Muskeln vibrierte wie das sich aufbauende Zittern eines Orgasmus.    ‚Zeig mir deine Natur.‘   Bewusstes Denken brach in sich zusammen.    Shikamarus Augen rollten sich in seinen Schädel und ein Ruck ging durch seinen Körper, als der Druck zerbarst.    Chakra explodierte aus dem Nexus seines Schattens – ein ganzes Nest schwarzer Ranken. Um sich schlagend rissen sie sich wie die Riemen einer Peitsche über Nejis Brust, ließen Haut platzen, vergossen Blut und katapultierten den Jōnin weit in die Luft. Er krachte in eine Rikscha voller Reismehlsäcke und sandte eine weiße Pilzwolke gen Himmel.    Schnappend wie Vipern fügten sich die Schattenranken zusammen und dehnten sich zu einer monströsen Schattenhand aus. Die schwarzen Finger schliffen sich zu der Schärfe von Stecknadeln; bereit dazu, aufzuschlitzen, zu erstechen, abzuschlachten.    ‚Wir sind alle Tiere, Shika.‘   ‚HEY! Konzentrier dich! Komm hierher zurück. Sieh mich an! Shikamaru!‘   Asuma?   Shikamarus Augen flogen auf.    Die Finsternis implodierte und die Schatten wurden zurück gesogen wie eine Flüssigkeit durch einen Strohhalm. Die Realität rammte sich zurück in sein Hirn, erschütterte die Grundfesten und zertrümmerte die Schwärze und alle Erinnerungen an ihre Präsenz.    Atme!   Nach Luft schnappend sackte er gegen die Wand zusammen, als er spürte, wie seine Beine beinahe unter ihm nachgaben. Doch der Rausch von Kraft vollführte einen vollen Kreis und kam zurück zu ihm; jagte seine Beine hinauf bis in sein benommenes Hirn, um ihn von dem nahen Blackout zurück zu holen.    Blackout?   Er verzog das Gesicht und griff mit einer Hand nach hinten, tastete an seinem Schädel nach Blut und wusste bereits, dass das einige dicke Beulen geben würde. Musste ein heftiger Schlag gewesen sein, um ihn so zu benebeln. Er war sich ziemlich sicher, dass er für eine Sekunde das Bewusstsein verloren hatte. Aber er fühlte sich seltsam bemächtigt…wach…gesteigert…   Die Chakrapille?   Doch ihm blieb überhaupt keine Zeit, irgendeinen Sinn daraus zu machen.    Neji war wieder auf die Füße gekommen.   Wieder?   Wann zur Hölle war er denn gefallen? War das Kaiten nach hinten losgegangen? Das war nicht allzu schwer zu glauben, wenn man bedachte, dass Neji im Moment überhaupt nicht stabil genug war, um eine Ninjutsu Attacke zu kontrollieren oder zu koordinieren. Nicht, dass es ihn in der Vergangenheit aufgehalten hätte, labil zu sein.    Sei lieber vorsichtig.   Shikamaru presste sich flach gegen die Mauer und spähte zu dem Hyūga; seine Augen wurden groß.    Du willst mich wohl verarschen…   Neji stand von Kopf bis Fuß mit weißem Pulver bepudert da; ein glühendes Gespenst im Mondlicht und er sah aus wie ein rachsüchtiger Geist, der aber nicht in der Lage war, seine lächerliche Erscheinung begreifen zu können, die weit davon entfernt war, angsteinflößend zu sein.    Ein Lachen verfing sich in Shikamarus Kehle; völlig ungebeten und nervös. „Shit.“   Blinzelnd hob Neji langsam die Hände und drehte sie hierhin und dorthin, während Reismehl in einem schneegleichen Wirbeln von ihm staubte und sich in den Falten seiner vernichtenden Miene niedersetzte. „Ich glaub’s nicht.“   Genauso wenig wie Shikamaru, was seiner Belustigung allerdings nicht die Schärfe nahm. Von all den Dingen, die er hätte vorhersehen können. Konnte diese Nacht eigentlich noch erniedrigender für sie beide werden?   „Hey, du hast mich gerade wie mit einer Fliegenklatsche in eine Wand gehämmert, Hyūga“, verteidigte der Schattenninja und stieß sich dabei mit einem Wimmern von der Backsteinmauer ab. „Zumindest bist du weich gelandet.“   Und dann sah er das Blut.    Sofort fiel das Schmunzeln von Shikamarus Gesicht und mit drei langen Schritten schloss er die Distanz.    Neji war viel zu beschäftigt damit, sich den Puder von den Armen zu klopfen, um sich überhaupt um das zerfetzte Shirt und die tiefen Schnittwunden auf seiner Brust zu kümmern. „Zuerst diese Pflanze. Und jetzt auch noch die-“   Shikamaru packte Nejis Schulter und ließ seine andere Hand über die Brust des Hyūga wandern. Er fühlte die Wärme von Blut auf seiner Handfläche und erbleichte. „Was zur Hölle ist passiert?“   Schnaubend schlug Neji seine Hand beiseite; vollkommen unbeeindruckt von dem Blut und dem getroffenen Ausdruck auf Shikamarus Gesicht. Er wuschelte sich mit den Fingern durch die Haare und schickte eine weitere Mehlwolke hinauf in die Luft. „Warum passiert das eigentlich ständig mir?“, knurrte er. „Ich versteh’s nicht.“   Genauso wenig wie ich.   Shikamaru starrte auf das Blut auf seiner Hand.    Es machte keinen Sinn…wie konnte es sein, dass Neji blutete? Erneut hob er den Blick und musterte die Platzwunden auf der Brust des Hyūga. Sie sahen aus, als wären sie durch das Knallen einer mit Widerhaken versehenen Peitsche zugefügt worden, oder durch die Klauen eines Tieres.    Unmöglich. WIE?   Er spähte zu der zerbrochenen Rikscha, musterte die gezackten Kanten des gesplitterten Holzes und ließ eine rasche forensische Analyse ablaufen. Da war kein Blut auf den Brettern und selbst wenn da etwas gewesen wäre; das erklärte nicht, wie diese Schnitte so aufeinanderfolgend sein konnten.    Das ist unmöglich. Es kann einfach nicht sein…   Aber hier war der Beweis, schimmernd auf seinen Fingern und schwarz wie Öl im Mondlicht; es befeuerte ein eiskaltes und Übelkeit erregendes Brennen in Shikamarus Innerem.    „Ich habe noch eine offene Rechnung mit meinem Feind“, verkündete Neji und seine tiefe Stimme prallte von den Wänden ab. „Gute Nacht, Nara.“   Moment. Was?   Rasch sah der Schattenninja auf und bemerkte, dass sich Neji bereits abgewandt hatte und sich in Schlangenlinien einen Weg zurück durch die Gasse bahnte, während er die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt hielt und Mehlschwaden hinter sich her zog wie ein mystisches Leichentuch.    Shikamaru schob seine Verwirrung und seine Fragen beiseite und trabte hinter dem anderen Ninja her, wobei er über umgestürzte Säcke und die zersplitterte Rikscha sprang, um zu Neji aufzuholen.    „Warte, Hyūga. Du kannst ja kaum geradeaus laufen. Du wirst jetzt sicher nicht für eine zweite Runde mit dieser dämlichen Blume zurück in diesen Wald gehen.“   Der Hyūga schnellte zu ihm herum und taumelte dabei seitwärts. „Wovon redest du? Ich gehe direkt zurück zum Hyūga Areal.“   „Du gehst nach Hause?“   „Das habe ich gerade gesagt.“   Shikamaru packte Nejis Schulter, um ihn zu stützen und senkte den Kopf, um den Blick aus diesen glasigen Augen einzufangen. „Neji, du hast gerade gesagt, dass du noch eine offene Rechnung mit deinem Feind hast.“   Weiße Augen blinzelten ihn an. „Das ist korrekt.“   Ein Bild zerbrochener Familienportraits kam in den Sinn und sorgte dafür, dass sich Shikamaru fragte, welches Hyūga Mitglied Neji wohl aus diesem Bild heraus kratzen wollte. Er wollte nicht einmal darüber nachdenken, wie Hyūga Hiashi darauf reagieren würde.    „Shit“, seufzte er kopfschüttelnd. „So kannst du nicht nach Hause gehen, Neji.“   Grunzend sah Neji zur Seite weg und schien darüber nachzudenken. „Sehe ich deiner Meinung nach denn blass aus?“   Weitäugig blinzelnd musste Shikamaru die Lippen zusammenpressen, um sich beherrschen zu können. Irgendwie schaffte er es, sein Gesicht ruhig und seine Stimme eben zu halten. „Ist dir eigentlich klar, wie schwer es gerade für mich ist, nicht darauf einzusteigen? Du stellst dich heute Nacht wirklich direkt in die Schusslinie, huh?“   „Du auch“, erwiderte Neji. „Ich muss mich übergeben.“   Gerade noch rechtzeitig wich Shikamaru zur Seite, als sich Neji nach vorn krümmte und würgte, während er eine Hand gegen die nächste Mauer stützte. Ein nasses Klatschen und ein erstickter Versuch, nach Luft zu schnappen, gefolgt von einer brutalen Kontraktion der Wirbelsäule und dem abrupten Zusammenfalten von Beinen. Neji sackte mit beiden Händen an der Wand und geneigtem Kopf in eine Hocke und sein dunkles Haar schwang wie ein Vorhang nach unten über eine Schulter und schirmte sein Gesicht ab.    Shikamaru machte einen Schritt nach vorne; blieb stehen.    Ein weiteres Schaudern bebte durch die breiten Schultern und Neji würgte erneut, als er sich vornüber beugte.   Energisch widerstand Shikamaru dem Drang, näher zu treten und beobachtete stattdessen nur schweigend, während sich sein Gesicht mitfühlend verzog; doch es lag auch eine Art schuldbewusster Erleichterung darin.    ‚…das Schlimmste, was zu erwarten ist, nachdem die Opiate abgeklungen sind, wird eine heftige Übelkeit sein.‘   Nun, zumindest bedeutete das, dass sich die Opiate auf dem Weg hinaus aus Nejis Körper befanden. Er wartete noch einen weiteren Moment, bevor er sich näherte. „Neji“, rief er leise, strich zaghaft mit den Fingern über den Hinterkopf des Hyūga und zögerte, als sich Neji bei der Berührung versteifte.    Wartend ließ er seine Hand schweben.    Ein paar angespannte Herzschläge verstrichen, als beide Ninjas ein weiteres Rucken und Würgen erwarteten.    Ein eisiger Wind wehte durch die engen Straßen, brachte Laternen an ihren Haken zum Schwingen, wühlte Nejis Strähnen auf und jagte ein Prickeln über Shikamarus Haut. Bedächtig zählte der Nara dreißig Sekunden, bis sich Neji endlich entspannte und nach vorn sackte.    Er ließ seine Stirn mit einem dumpfen Klacken gegen die Steinmauer sinken und sein tiefes Ächzen rollte über die Wand. „Diese Nacht…ist so lang…“   Leicht schmunzelnd fuhr Shikamaru mit den Fingern durch die pudrigen Mokkasträhnen und ging auf den Fußballen in die Hocke; jederzeit bereit, zurück zu springen, sollte es nötig sein. „Dann lass es einfach gut sein für heute, okay? Du hast meinen Hintern gerade in eine Wand getreten und mit der Rikscha eine ganz schöne Nummer abgezogen. Du gewinnst. Ich verliere. Also, wirst du mich dich jetzt irgendwo hin bringen lassen, wo du zur Ruhe kommen kannst und ich ohnmächtig werden kann?“   Scharf hob sich Nejis Kopf von der Wand. „Ruhe…?“   „Jo. Ruhe.“ Shikamaru schwankte leicht und rieb mit der Hand über Nejis Rücken. „Klingt gut, oder?“   „Jedes Mal…“, wisperte Neji kopfschüttelnd und sein Hitai-ate kratzte dabei über die Backsteine vor und zurück. „Götter…ich kann nicht.“   „Du kannst nicht?“   „Ich kann nicht…nicht schon wieder…nicht jetzt…nicht, wenn ich so kurz davor bin…“   Stirnrunzelnd über diese rauen Worte und ohne wirklich ihrer Bedeutung folgen zu können, drückte Shikamaru Nejis Nacken mit sanften Fingern. „Doch du kannst. Und jetzt ein genauso guter Zeitpunkt wie sonst auch. Du bist durch. Du musst schlafen und ich auch. Vertrau mir, ja? Ich weiß ein bisschen was darüber, Nickerchen zu machen.“ Während er sich aufrichtete, faltete er seine Finger zu dem gewünschten Zeichen und verband ihre Schatten. „Und jetzt entspann dich. Ich helfe dir nur, okay? Kein Ziehen, kein Schubsen und kein gegen die Wand hämmern, ja?“   Neji sagte nichts. Aber er widersetzte sich auch nicht.    Tatsächlich hatte der Hyūga sämtliche Kontrolle abgegeben, als Shikamaru sie gemeinsam durch die Tür des neuen Ryokans lief, das als Punkt B auf seiner mentalen Karte markiert war. Und so konnte sich Shikamaru mit dem perplexen Portier herum schlagen, der sie ins Reservierungsbuch eintrug und sie einen dämmrig beleuchteten Gang entlang zu einem Zweibettzimmer im ersten Stock führte.    Kaum war die Tür klickend ins Schloss gefallen, da löste Shikamaru auch schon sein Jutsu.    Neji schwankte nach vorn.    Rasch fing Shikamaru den Jōnin mit dem Rücken ab und schob sich einen Arm des Hyūga über die Schultern, um Neji zum Badezimmer zu führen. „Wenn du auf mich kotzt, dann lass ich dich auf den Boden fallen und trete dir in deinen diamantharten Schädel.“   Neji schnaubte irgendetwas Unverständliches.    Schmunzelnd schob Shikamaru sie seitwärts durch den Türrahmen, betätigte den Lichtschalter und ließ Neji gegen den Unterschrank der Spüle sinken. „Wir säubern lieber mal diese Schnitte. Wie ist das denn überhaupt passiert?“   Weiße Augen schnellten zusammen mit Nejis Handfläche nach oben.    Aus dieser unmittelbaren Nähe sorgte der Schlag gegen die Brust dafür, das Shikamaru direkt aus dem Badezimmer katapultiert wurde und auf seinem Rücken landete. Atemlos rollte er sich auf die Ellbogen und stierte zu der Silhouette empor, die in der Tür stand. „Wofür zur Hölle war das denn?“   Doch Neji grinste nur und schlug die Tür zu.    Geräuschvoll wurde die Dusche angestellt.    Und Shikamaru ließ sich grummelnd zurück auf den Boden sinken, während er im dämmrigen Licht des Zimmers die Einrichtung musterte. Moderne und Tradition verbanden sich in einer seltsamen, aber durchaus akzeptablen Harmonie. Blasse Gipswände statt Shōji Leinwänden und ein kleiner Fernseher im Tokonoma statt der traditionellen Schriftrollenzeichnung oder eines Ikebana-Arrangements. Auf einer Seite des Raumes war anstelle von Fusama Paneelen eine Reihe Glasscheiben angebracht, die einen ruhigen und blättrigen Blick auf einen privaten Ahorn Garten freigaben. Ein bemooster Sockel stand nahe bei der Veranda und trug eine Statue von Kwan Yin; ihre Hände waren aneinander gelegt und die Lippen zu diesem rätselhaften Lächeln erhoben. Ähnlich, aber nicht ganz wie das Bildnis zuhause.    ‚Dein Zuhause. Es ist mir nicht gestattet.‘   Scharf sog Shikamaru die Luft ein und setzte sich auf; die plötzliche Enge in seiner Brust gehörte auf keinen Fall zu dem Schlag, den er gerade hatte einstecken müssen. Er spürte deutlich, wie der Krampf immer tiefer ging – direkt bis in sein Innerstes; eine kalte Faust, die seine Eingeweide verdrehte, als er über das nachdachte, was Neji vorhin gesagt hatte.    ‚Mein Vater?‘   ‚Er weiß es.‘   ‚Weiß was?‘   ‚Was ich dir angetan habe.‘   Wie? Das konnte einfach nicht stimmen. Sein alter Herr hätte irgendetwas gesagt. Irgendetwas getan.    Hat er das?   Und wenn er wirklich wusste, was Neji getan hatte, es aber nie verraten hatte…was zur Hölle wusste er dann sonst noch?   Shikamaru schluckte heftig und sein Gesicht wurde doppelt so blass wie diese leblose Statue. Grauen sank tief in seine Magengrube und sandte eiskalte Wellen der Angst aus – Angst, die sich in einem ungesehenen Schaudern bis in die entferntesten Winkel des Zimmers ausbreitete und die dunkelsten Schatten wach rüttelte.   ~❃~   Finsternis; vollkommen und verschlingend und überall…   Er hing; eine Fliege gefangen in einem Spinnennetz, sein Körper gefesselt, aber nicht mit Ketten, nicht mit Leder, nicht mit den gepolsterten Manschetten, mit denen sie ihn im Krankenhaus an das Bett geschnallt hatten. Nein. Diese Handschellen waren schwarz – ohne Textur, aber nicht ohne Substanz. Seltsame dunkle Ranken, die sich um seine Handgelenke wickelten, seine Taille, seine Schenkel und Knöchel.    Wo bin ich?   „Mach dich wieder mit der Kontrolle vertraut, die ich dir überlasse.“   Neji kannte diese Worte, aber nicht die Stimme. Es war nicht Ibikis tiefer Bariton.    Also wer dann?   „Weißt du es nicht?“   Finger fuhren durch sein Haar und hoben seinen Kopf aus dem schläfrigen Nicken. Seine Wimpern öffneten sich flatternd, aber alles, was vor seinen Augen verschwamm, waren Schatten und Silhouetten.   Wo bin ich?   „Wo willst du denn sein?“, schnurrte die körperlose Stimme; leise, männlich, aber die Klangfarben waren so flüchtig und wisperdünn wie Rauch – unmöglich, einen Akzent, eine Kadenz, ein Timbre, irgendetwas daraus entschlüsseln zu können.   Lippen strichen über seinen Wangenknochen, dann Zähne.    Neji zuckte zurück und fühlte, wie sich etwas um seinen Hals festzog. Eine Hand schoss nach oben, um seinen Kiefer zu packen und riss sein Gesicht zurück.    „Halte auch die andere Wange hin, Neji“, fauchte die Stimme. „Ich brenne darauf, dir deinen unverschämten Kopf wieder zurecht zu rücken.“   Hyūga Hitaros Worte. Aber nicht seine Stimme.    Verwirrt versuchte Neji, sich zu bewegen, fühlte aber nur, wie sich die Fesseln straffer zogen und seine Blutzirkulation abschnitten, bis er den Druck hunderter winziger Nadelstiche spürte, der sich in seinen Händen und Beinen aufbaute.   Unmöglich. Warum kann ich nicht…?   „Klotz am Bein, Neji.“   Asuma…?   Die Hände glitten von seiner Haut. Eine von vollkommenem Schwarz verschleierte Gestalt umkreiste ihn und schien wie ein Geist durch die hängenden Fesseln zu gleiten; befreit und ungehemmt von der Finsternis. Aber da war nichts Solides, nichts Gewisses.    „Denn du hast nichts mehr. Nichts mehr übrig. Nichts zu übergeben. Nichts und niemanden aufzugeben.“   Kakashi.   Noch einmal versuchte Neji, sich zu bewegen, wimmerte angesichts des heftigen Schmerzes und war nicht in der Lage, auch nur das kleinste Bisschen Freiraum zu erlangen.    Bin ich immer noch in Ibikis Genjutsu? Habe ich diesen Verhörraum jemals verlassen? Warum bin ich immer noch hier?   „Du hast meinen Sohn angegriffen.“   Geschockt verließ sämtliche Luft Nejis Lungen, doch bevor sein Hirn in absolute Panik verfallen konnte, brachte der Klang dieser Stimme seinen Verstand zu einem schlitternden Halt. Schon wieder. Es waren Shikakus Worte, aber nicht seine Stimme.    „Oder warst du es, der ihn angegriffen hat?“, ertönte die Stimme erneut. „Ich bin neugierig.“   Wovon zur Hölle redest du?   „Körper sprechen auch.“ Ein zitternder Atem gegen Nejis Schulterblatt, eine Hand die seine Wirbelsäule hinauf geisterte, wand sich um sein Haar und schob es beiseite. „Deine Worte. Nicht meine.“   „Wer bist d-!“ Nejis Knurren brach mit einem Keuchen ab, als sich Lippen um den empfindlichen Wirbel an der Wurzel seines Nackens legten und sich Zähne in die Haut gruben.    Lust sengte sich durch ihn, beschränkte sich nicht einfach nur auf seinen blinden Fleck, sondern breitete sich strahlenförmig aus.    Mit aller Kraft wehrte er sich gegen die Fesseln, fühlte das leise heisere Lachen, das über seine Halsbeuge fächerte und dem das nasse Streicheln einer Zunge folgte. „Du bist schwach, wenn du mit mir zusammen bist. Das warst du schon immer. Das wirst du immer sein.“   Nejis Augen zuckten verwirrt und sein Atem wurde abgehackt, als Erregung den Zorn überlagerte, der Vernunft überlagerte. Kopfschüttelnd versuchte er, sich zu konzentrieren und bemerkte, wie sich die schwarzen Bindungen um ihn herum lockerten und in einem Flattern seine Arme und Beine hinunter streichelten. Liebkosend, lockend…   Kontrollierend…   Kontrolle.    Mit brüllendem Verstand wölbten und verknoteten sich Nejis Muskeln in einem aussichtslosen Kampf, der ihm nichts brachte – außer, dass die Lähmung, die er spürte nicht länger den Ranken geschuldet war, die sich um seinen nackten Körper schlängelten und seine Haut in Brand steckten, seine Sinne in Reben dunkler Begierde verhedderten, bevor sie ihn nach unten zerrten und flach hinlegten.    Nein…das ist nicht real…das ist nur in meinem Verstand…   Und dann spürte er, wie sich diese Ranken um die granitenen Muskeln seiner Schenkel wanden, seine Beine auseinander zogen wie zwei feste Marmortore; sein Widerstand brachte in seiner Anstrengung Knochen zum Knacken und Gefäße zum Platzen, vergoss Blut und verursachte Quetschungen. Er konnte spüren, dass diese Präsenz in der Nähe schwebte, fühlte das Brennen von Augen, die über seine Haut wanderten.    Wer auch immer du bist, ich werde dich verfickt nochmal zerreißen…   „Was für eine traurige Wortwahl“, schnurrte die Finsternis. „Vor allem jetzt, da ich dich unter mir habe.“   Nejis Augen flogen weit auf; seine eigenen Worte. Worte, die er geknurrt hatte; und zwar zu…   Oh Gott nein…   Und dann schmolz die Finsternis vor seinen Augen zurück, floss wie Öl über die harten sehnigen Grate eines scharfkantigen Körpers, glitt in einem langsamen Bluten über olivfarbene Haut, strich aalglatt zurück über Torso, Hüften und Schenkel, als die Gestalt auf ihn herab sank und sich wie aus schwarzen Wassern löste.    Nejis Blut verwandelte sich zu Eis. „Shikamaru…“   Obsidianaugen sahen zu ihm herab, reflektierten nichts außer Nejis eigenes Gesicht. Die Lippen des Schattenninjas kräuselten sich in einem langsamen, scheußlichen Feixen. „Meine Narben aufreißen, huh? Ich glaube nicht, dass du mich jemals brennen lassen wolltest, Hyūga…du wolltest mich nur bluten lassen.“   Fassungslos konnte Neji einfach nur starren; hypnotisiert von dem Horror dieser Worte, von dem Horror dieser Stimme, als sie ihre vertrauten rauchigen Nuancen annahm und ihr trockenes, locker gedehntes Sprechen. Sie rauschte über seine Haut wie Asche und Rauch.   Das ist nicht real…   „Träume fühlen sich nicht so an, oder?“   Nejis Herz pochte. Noch mehr seiner eigenen Worte, die zurück zu ihm geworfen wurden; sie flossen eiskalt von diesen grinsenden Lippen, durchgekaut und ausgespien – vollkommen aus dem Kontext gerissen, vollkommen außer Kontrolle, vollkommen anders als…   Du bist nicht Shikamaru…   Eine dunkle Braue zuckte nach oben, die Geste so vertraut und dennoch so erschreckend fehl am Platz. „Ach nein? Ich mache genau dasselbe, was er mit dir gemacht hat“, triezte der Schattenninja, beugte sich nach unten und brachte ihre Hüften mit einer langsamen Reibung zueinander. „Ich nehme mir, was er dir genommen hat.“   Nejis Atem rasselte bei der Berührung und seine Finger ballten sich zu Fäusten. „Er hat genommen, was ich ihm gegeben habe. Weil ich mich dazu entschieden habe, es ihm zu geben.“   „Oh, na klar“, raunte Shikamaru, lehnte sich herab und ein anzügliches Lächeln verzog seine Lippen. „Du hast es ganz wunderbar gegeben. Aber das ist nicht alles, was du mir geben wolltest, nicht wahr?“ Mit den Fingern fuhr er die Innenseite von Nejis Schenkel hinauf, krümmte einen Daumen und strich mit der leicht schwieligen Kuppe über die Unterseite der geschwollenen Länge des Hyūga, bis seine Berührung den feuchten Schlitz erreichte. „Du wolltest ebenso gut geben, wie du erhalten hast, nicht wahr?“   „Nicht so“, zischte Neji zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und stemmte sich mit aller Kraft gegen die Schatten, als sie sich fester zurrten, sich wie schwarze Boas bewegten und sein Blut zum fauchen und spucken brachten. „Niemals so.“   „Ach nein?“ Shikamaru hob eine Hand und saugte die salzige Flüssigkeit von seinem Daumen. „Ich kann schmecken, wie sehr du mich willst.“   „Nicht so.“   „Wie willst du mich dann, Neji? So?“   Die Schatten erschlafften, glitten davon, veränderten ihren Fluss und wechselten ihr Ziel, schlangen sich über Shikamarus Arme und um seinen Körper, rissen ihn von Neji herunter und auf seine Knie, wickelten sich um seine Kehle, Handgelenke, Schenkel und banden ihn so fest, dass sie sich in sein Fleisch schnitten, Haut zersägten, Blut vergossen und Atem zertrümmerten…   „Hör auf! Shikamaru!“ Neji schrie die Worte heraus, aber sie hatten keine Stimme. Er versuchte, sich zu bewegen, musste aber feststellen, dass er es nicht konnte, obwohl er wieder frei war. Nein. Es war nur eine Illusion der Freiheit. Er war paralysiert, machtlos, unfähig zu…   Beschützen…   „Beschützen?“ Shikamaru spie das Wort aus und seine Stimme zog sich zu einem erstickten Rasseln zusammen, als sich die Schatten noch fester um seinen Hals straff zogen. „So wie damals, als du ein Kind warst und nichts mehr wolltest, als etwas zu beschützen, von dem du niemals hoffen konntest, es zu retten.“   Diese Worte – Hitaros Worte – peitschten sich über Nejis Herz wie die Schattenranke, die sich knallend über Shikamarus Gesicht schlug und die straffe Haut über dem Wangenknochen aufplatzen ließ.    Blut spritzte auf Nejis Bauch.    HÖR AUF!   Die Finsternis schwoll an, wurde stärker und lebendig mit einem plötzlichen Empfindungsvermögen; es nährte sich von seiner Angst, seiner Panik, seinem Schmerz. „Triff deine Wahl“, donnerte die Finsternis und sprach dabei in so vielen verschiedenen Zungen, dass sie zu einem verzerrten Stimmengewirr verkam. „Was wirst du wählen? Deine kostbare Freiheit oder aber deine größte Schwäche? Das Nichts, das du anstrebst oder aber das Bedürfnis und die Begierde, die du nicht aufgeben kannst?“   GENUG!   „Entscheide dich JETZT.“   Zwei schwarze Schattenhände schoben sich um Shikamarus Hüften, glitten nach unten, um die Haut des Nara mit den höhnischen Berührungen eines Liebhabers zu liebkosen, obwohl sich das schwarze Seil um seinen Hals immer weiter zuzog, seinen Atem erstickte und gnadenlos das Leben aus diesen dunklen, weit entfernten Augen sog…   Neji brüllte verzweifelt in die Schwärze.   LASS MICH LOS! LASS MICH-   „Ihn retten?“, keuchte der Schattenninja und seine Worte und Stimme wurden von dem Klang von Nejis eigenerStimme, seiner eigenen Worte verdunkelt, die aus den blauen und leblosen Lippen des Schattenninjas flossen. „Du kannst niemanden retten, der sich nicht helfen lassen will.“   SHIKAMARU!   „Du Narr“, lachte die Finsternis. „Ist das deine Wahl?“   ~❃~   Lauter als ein psychischer Schrei hämmerte sich der von Neji durch alle fünf Schlafebenen und riss Shikamaru zu fuchtelndem Bewusstsein. Schlagartig erwachte er und Arme und Beine hoben sich von dem Bett, als sich der Schattenninja instinktiv zur Seite rollte und krachend auf dem Boden landete.    Arrgh…   Schmerz schoss durch seinen Arm und dämpfte die Alarmglocken, die in seinem Kopf schrillten. „Gott verdammt…“, knurrte er und schüttelte sich die Watte aus seinem Hirn, bis ihm auffiel, was ihn eigentlich geweckt hatte.    Neji.   Fluchend stemmte er sich auf die Knie und streckte seinen Kopf wie ein Erdmännchen nach oben, um den Raum zu scannen, bis sein Blick auf Nejis Hinterkopf fiel. Der Hyūga saß stocksteif auf der Kante des gegenüberliegenden Bettes, hatte den Kopf in beiden Händen vergraben und atmete schwer; er war ganz eindeutig von irgendetwas erschüttert.    Schlagartig besorgt und alarmiert schoss Shikamaru geradezu auf seine Füße und umrundete mit langen Schritten das Bett. „Neji?“   Aufgeschreckt taumelte Neji auf die Beine; eine betrunken und desorientiert wirkende Bewegung, während er warnend einen Arm nach außen schnellen ließ. „Nicht.“   Mit erhobenen Handflächen und weiten Augen hielt Shikamaru inne. „Okay“, murmelte er. „Alles gut.“   Nicht okay. Gar nicht gut.    Der Hyūga stolperte einen Schritt nach hinten und seine geweiteten Augen schnellten umher, suchten die Ecken des Raumes ab. Shikamaru beobachtete ihn wachsam, die Hände noch immer erhoben und den Körper leicht nach hinten geneigt. War Neji immer noch im Delirium? Wie lange war er weg gewesen? Oder eher, wie lange waren sie beide weg gewesen? Shikamaru warf einen raschen Blick zum Fenster und sah, dass der Mond noch immer hoch stand, aber der Himmel schien etwas blasser zu sein. Es konnte nicht mehr als maximal eine halbe Stunde her sein, seit sein Kopf auf dem Kissen aufgeschlagen war.    Er hatte gewartet, bis Neji auf dem anderen Bett zusammengebrochen war, bevor er zugelassen hatte, dass der Schlaf auch ihn übermannte. Er war schnell gekommen, hatte sich über sein Hirn gestohlen und alle mentalen Zahnräder gestoppt, um sie davon abzuhalten, über das, was Neji über seinen Vater gesagt hatte, durchzudrehen.    Kümmer dich später darum.   Seine Aufmerksamkeit kehrte zu Neji zurück. Der Hyūga stand wie angewurzelt da und stierte in die entfernteste Ecke des Raumes; oberkörperfrei und schlafzerzaust und seine übliche Miene stählerner Kontrolle war von etwas weit Wilderem und Unsichererem ausgelöscht. Die Schnitte auf seiner Brust waren gereinigt und verbunden worden und ein paar einzelne Blutflecken besprenkelten die Mullbinden.    Kein Grund für noch mehr Schaden heute Nacht…   Angestrengt schätzte Shikamaru die Unvorhersehbarkeit der Situation ein und versuchte es dann noch einmal. „Neji.“   Beim Ruf seines Namens brach Neji aus seiner Trance und wirbelte herum.    Ihre Blicke streiften sich; verbanden sich nicht wirklich. Neji war noch immer nicht hier, nicht vollständig; seine Augen zogen sich auf Shikamaru gerichtet zusammen, als wollten sie etwas entschlüsseln. „Shikamaru?“   Die Frage ließ Shikamarus Kopf nach hinten rucken, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. Er setzte ein amüsiertes Schmunzeln auf, um seine wachsende Sorge irgendwie in Schach halten zu können und breitete die Hände etwas weiter aus. „Gut beobachtet, Hyūga.“   Für eine lange qualvolle Sekunde stierte Neji ihn einfach nur an ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Sein Körper nahm die unheimliche Regungslosigkeit eines bedrohten Tieres an – oder eines, das jeden Moment angriff.    Shikamarus Eingeweide verkrampften sich und er kämpfte den Drang nieder, sich zurück zu ziehen. „Neji?“   Kein Ausfallschritt, kein Sprung, kein brutaler Satz.    Die Spannung verschwand aus der Haltung des Hyūga und schwer ließ sich Neji auf den Rand des Bettes sinken. Er stellte die Ellbogen auf den Knien ab und fuhr sich zitternd mit den Fingern durch sein Haar. „Kami…“, wisperte er.    Shikamarus Atem geriet heftig ins Stocken.    Zur Hölle damit.   Er ließ jede Vorsicht fahren und näherte sich mit einem halben Schritt nach dem anderen. Neji machte keinerlei Anstalten, ihn aufzuhalten, gab überhaupt nichts von sich, um zu signalisieren, dass er sich bedroht fühlte oder aggressiv war.    Erleichtert schloss Shikamaru die verbliebene Distanz und ging vor dem Jōnin in die Hocke, während tiefe Sorge seine Stirn in Falten legte. „Rede mit mir, Neji.“   Beinahe sofort hoben sich weiche lunare Augen und glitten mit solch verwirrter Verzweiflung über Shikamarus Gesicht, dass sich der Schattenninja vollkommen verloren fühlte und nicht wusste, wie er diesem Ausdruck begegnen sollte. Aufmerksam musterte er Nejis Gesicht, sah die Fragen und die Unsicherheit, die dort brannten, verstand aber nicht, wonach gefragt wurde.    „Was?“, hauchte Shikamaru. „Was ist es? Was ist lo-“ Seine Worte erstarben schlagartig in seiner Kehle, als Nejis Finger über seinen Wangenknochen strichen. Die blassen Glieder zuckten, als hätten sie Eis berührt, wo sie eigentlich Feuer erwartet hatten.    „Grausam…“, murmelte Neji und sein Gesicht verdrehte sich mit einer unnennbaren Emotion. „Sie können meinen Verstand ruinieren. Ihn dazu bringen, meine Vergangenheit auszugraben. Meinen Vater gegen mich verwenden. Mich erniedrigen. Mir meine Kontrolle nehmen. Aber mich so zu quälen, ausgerechnet mit…?“ Er schüttelte den Kopf und das leise Rascheln seiner Strähnen sandte taumelnde Schatten über sein Gesicht. „Gott, warum?“   Wie ein einziges Wort so viele alte Wunden aufreißen und so viele neue schlagen konnte.    Warum?   Shikamaru verkrampfte den Kiefer und schluckte hart gegen den lähmenden Schmerz in seiner Kehle an und konzentrierte sich auf Interpretieren, nicht Intuition; Denken, nicht Fühlen.   Traum, Albtraum, verrückte Gedanken.    Er hätte davon ausgehen müssen, dass die Opiate Nejis Träume in ein psychedelisches Chaos verwandeln und ihn weit genug verstören würden, um ihn glauben zu lassen, er würde den Verstand verlieren.    „Es ist okay“, beruhigte Shikamaru und legte seine Finger locker um Nejis Handgelenk, um das Hämmern des Pulses spüren zu können. „Du verlierst nicht deinen Verstand. Du verlierst nicht die Kontrolle. Das sind nur die Opiate, die ihr Ding abziehen. Das macht dich einfach etwas verwirrt. Es wird vorbei gehen, ich verspreche es. Es ist nichts.“   „Nichts…ich sollte eigentlich nichts mehr übrig haben…“ Neji drehte sein Handgelenk aus Shikamarus losem Griff und streichelte liebevoll die Seite von Shikamarus Gesicht; so sanft, als würde er einen Geist berühren. Als befürchtete er, seine Hand würde vielleicht direkt durch die Illusion dringen und sie zersplittern lassen. „Nichts zu übergeben. Nichts und niemanden aufzugeben…aber wenn sie wüssten, dass ich…Nein, das ertrage ich nicht…“ seine Stimme wurde schwerer und bebte. „Ich kann nicht.“   Wortlos schüttelte Shikamaru den Kopf, da er nichts verstand außer den wachsenden kummervollen Schmerz in seiner Brust. Er versuchte darüber nachzudenken, was er sagen, was er tun sollte, um dieses zerborstene Gefühl zu richten, das sich festzusetzen begann und die Grenzen aufbrach, das Atmen erschwerte und es noch viel mehr als das erschwerte, sich von Nejis Berührung zurück zu ziehen.    Stop. Mach das nicht. Nicht jetzt. Nicht schon wieder. Reiß dich zusammen.   Instinktiv streckte er eine Hand nach Neji aus, um diese Rettungsleine zu finden, indem er den Nacken des Hyūga packte und hart zudrückte, wobei er sich nicht sicher war, wen von ihnen er eigentlich damit zu erden versuchte. „Neji, was auch immer es ist, was auch immer gerade abgeht, es ist nur die Angst die gerade zu dir spricht. Du wirst das überwinden. Das tust du immer.“   „Weil ich es immer musste.“   „Nein, weil du dich immer dazu entschieden hast.“   „Entscheiden…Wahl“, spie Neji bebend aus. „Was bedeutet schon eine Wahl, wenn ich nicht in der Lage bin, zu retten, was für mich…zu beschützen, was für mich…meine Freiheit ist…“ Bei den letzten Worten geriet er ins Taumeln und wurde stocksteif mit Zögern; ein Ausdruck wilder Bestürzung jagte über sein Gesicht und ließ seine Stimme brechen. „Kami…es muss doch meine Freiheit sein…“ Aufgeschreckt blitzten diese Mondsteinaugen auf und richteten sich starr auf Shikamarus Gesicht, bevor sie davon zuckten, als hätten sie sich daran verbrannt. „Es muss so sein.“ Panik und Begreifen dämmerten, erhoben sich hinter dem Nebel in seinem Blick wie das kämpfende Licht einer ersterbenden Sonne. „Es muss so sein…“, wisperte er wie ein Mantra, musste sich dabei abmühen und sein Atem wurde schwerer. „Es muss so sein.“   Shikamaru schluckte den Atem, der sich in seiner Kehle verfangen hatte und konnte nur hilflos zusehen. Scheiße; was zur Hölle hatte Neji geträumt, dass er derart aufgewühlt und erschüttert war? Diese ‚sie‘, die Neji erwähnt hatte, konnten sich auf jeden beziehen, obwohl der Schattenninja nur zwei Parteien in Betracht zog. Die Hyūga Ältesten oder –    ANBU.   Shikamaru versteifte sich ruckartig und fühlte, wie ein Frösteln durch ihn kroch, dem rasch eine heiße Flut aus Zorn folgte, als sich seine Augen verdunkelten, sein Kiefer verhärtete und die Worte zurückhielt, die seine Kehle überschwemmten.    Du wahnsinniger Bastard. Hast du es wirklich getan? Hast du ihr Angebot angenommen? Hast du dein Leben weggegeben?   Er ballte eine Hand zur Faust und verspürte den bösartigen Drang, sie auch zu schwingen.    Doch dann fixierte sich sein Blick wieder auf den Zwiespalt, der durch Nejis Augen huschte.    Seine Finger lockerten sich wieder und der Zorn löste seinen wilden Knoten. Und in diesem Moment wollte er nichts mehr – trotz des Zorns und trotz des Schmerzes – als in den Verstand des Hyūga zu greifen und all diese Dämonen dort heraus zu reißen. Wollte dafür sorgen, dass es aufhörte. Wollte dafür sorgen, dass es alles verschwand. Aber alles, was er tun konnte, war, mit den Fingern durch Nejis Haar zu streichen und diesen sturen Kopf zu packen, um ihre Stirnen aneinander zu legen.    „Sssh. Neji.“ Er hielt inne und zwang sich dazu, die Worte an seinen Zähnen vorbei zu pressen. „Du wirst tun, was auch immer notwendig ist. Und du wirst Erfolg haben. Alles in riesigen Sätzen und Sprüngen und furchtlos Hyūga verrückt, weil-“   „Ich habe keine Angst davor zu sterben, Shikamaru.“   Und da waren sie…diese traurigen Worte, die Shikamaru mit Kälte überschütteten. Sie spülten all die vergeblichen Funken des Zorns aus Shikamarus Blut und ließen ihn wieder einmal eiskalt zurück.    ‚Ich habe keine Angst davor zu sterben, Shikamaru.‘   Eine ausweidende Wahrheit, die Shikamaru am eigenen Leib miterlebt hatte. Und immer seit dem ersten Mal, seit er es gefühlt hatte, saßen diese Furcht und der Kummer, die diese Wahrheit hervorrief, wie ein Krebsgeschwür in den Tiefen seines Herzens. Es nahm niemals ab, völlig ungeachtet der Distanz und der Zeit, die er zwischen sich und Neji zu schieben versuchte…es war immer da und fraß ihn jedes Mal auf, sobald sich seine Gedanken Neji zuwandten; und dem Pfad, den der Hyūga gewählt hatte.    ANBU…der Käfig, den du wählen musstest…nicht wahr? Deine Freiheit…dein Sarg…   „Ich habe keine Angst“, sagte Neji noch einmal. „Nicht vor dem Tod…“   Dunkle Augen schlossen sich krampfhaft. „Ja“, wisperte Shikamaru. „Und das über dich zu wissen, jagt mir noch immer eine Todesangst ein, Neji.“   „Wenn das wahr ist…“   „Es ist wahr“, knurrte Shikamaru und kämpfte heftig darum, seine Stimme eben zu halten. Aber das verräterische Brennen in seinem Rachen kroch immer höher und stach sich in die Rückseiten seiner Augen. Er mahlte mit den Kiefern, versuchte sich an einem Lächeln und sein tiefer sorgenvoller Kummer zeichnete sich weich darin ab. „Schätze, das ist ein abartiger Punkt für dich, Hyūga…“, raunte er. „Du zerreißt mich noch immer.“   Nejis Augen drifteten nach oben. Für ein paar atemlose Sekunden musterte er den Schattenninja und strich mit seinen Fingern über Shikamarus Lippen, um der kummervollen Kurve seines Lächelns zu folgen. „Dann sind wir gleichauf, Shikamaru. Denn für dich zu empfinden, wie ich es tue, zerbricht mich noch immer.“   Shikamaru erstarrte mit einem scharf eingesogenen Atem.    Er hätte sich in dem Moment zurückziehen sollen, als er diese Worte hörte. Hätte sie wieder in die Richtung des Humors lenken sollen, zurück auf stabileren Boden, zurück zu einem sichereren Ort als den, in den sie beide von diesen verbotenen Geständnissen hinein gezerrt wurden. Er hätte aufhören, sich zurückziehen und zur Hölle davon rennen sollen.    Doch er tat nichts von diesen Dingen.    Denn in der Sekunde, als er versuchte, sich fort zu ziehen, drängte sich die Sehnsucht noch stärker durch ihn, steuerte seinen Körper wie an unsichtbaren Fäden, zog ihn vorwärts, als seine Hände zu beiden Seiten von Nejis Hüften über die Matratze glitten, während sich sein Körper erhob und sein Kopf senkte.    Opalaugen beobachteten ihn durch einen Schleier aus Wimpern; ein flüchtiges Flackern von Luzidität schnitt sich wie ein Blitz durch den benommenen Dunst. „Du zerbrichst mi-“   Shikamaru legte ihre Münder aufeinander und spürte, wie Nejis Atem gegen seine Lippen brach. Der Klang davon stahl ihm sämtliche Luft aus den Lungen, drückte sein Herz und er keuchte, während er ihre offenen Münder in einer langsamen Liebkosung übereinander strich und seine Zunge nach außen geisterte, um das Brennen zu nähren; eine Berührung flüssigen Feuers auf ihren Lippen.    „Atme mich“, seufzte er in den Kuss, hörte, wie das Kommando in einem gehauchten Stöhnen zu ihm zurückhallte, als sich ihre Zungen berührten, miteinander verschlungen und zusammenstießen.    Denn ich brauche es noch immer, dass du das tust…weil mich das noch immer umbringt…und Gott…ich sehne mich noch immer so sehr danach…   Wimpern schlossen sich und ein Ausdruck der Ekstase huschte über Shikamarus Gesicht, als er den Kopf neigte und mit den Fingern durch Nejis Haar fuhr, bevor er leicht daran zog, um diesen geschwollenen Mund direkt unter seinen eigenen zu führen, während seine Zunge tief eintauchte und sich langsam zurück zog.    Mehr…   Getrieben zerrte Shikamaru sie auf das Bett, legte seine Hände zu beiden Seiten von Nejis Kopf auf die Matratze und erschauerte kraftvoll, als Muskeln mit dem Weh eines alten Fiebers spielten; ein tiefes Gefühl der Sehnsucht, das brannte – immer. Direkt unter der Oberfläche seiner Haut. Direkt unter der Oberfläche von jedem Lächeln, jedem Blick, jedem flüchtigen Augenblick…   Bedürfnis…Begierde…   Er wurde damit lebendig. Hart und heiß damit. Brauchte mehr als er nehmen konnte, brauchte mehr, als er geben konnte.    Geben…   Etwas, das er zu geben hatte…und Kami wusste, er konnte es nicht…das letzte Mal, als er es gewollt hatte…   ‚Willst du, dass ich tiefer gehe? Willst du mich in dir spüren?‘   Furcht flatterte seine Kehle hinauf und rasselte leise in seinem Atem.    Neji knurrte angesichts des Klanges, fing Shikamarus Lippen mit seinen Zähnen ein und übernahm die Kontrolle über den Kuss, als er mit beiden Händen das Gesicht des Schattenninjas umfasste und den Nara weiter nach unten zog, während seine Zunge nach oben stieß; ein dominantes Gleiten des feuchten Muskels, der tief und langsam streichelte, heiß und nass und einen weit erotischeren Akt imitierte. Es ließ Shikamaru angeschwollen, atemlos und mit einem glühenden Aufstieg zum Orgasmus zurück – und das nur von einem Kuss.   Fuck…   Keuchend riss er seinen Mund fort. Er rang nach Atem und war sprachlos über die Intensität seiner Körperreaktion. Als Nejis Zähne zärtlich über seinen Hals kratzten, beugte er den Kopf und unterbrach den Kontakt. „Du…denkst…nicht klar…“   Scheiße, ICH denke nicht klar…   Während er sich gegen das Kopfbrett aufsetzte, erholte sich Neji weit schneller als der Nara; sein Atem wurde tiefer und beständiger. „Kümmert mich nicht.“   „Ssh“, beruhigte Shikamaru gegen seinen Mund und lehnte seine Stirn gegen Nejis.    So verfickt dämlich; wieder zu beginnen, wovon er doch wusste, dass er es nicht aufhalten konnte. Es war die eine Sache, zu wollen, zu brauchen, zu träumen, zu ersehnen…und eine ganz andere, auch danach zu handeln. Es zu nehmen. Es zu geben.   Nein.   Ein plötzliches Frösteln nahm seiner Erregung die Schärfe; eine Dosis kalter Vernunft in aufgeheiztes Blut und ein lahmgelegtes Hirn. Er hauchte einen liebevollen und nachhallenden Kuss zwischen Nejis Brauen. „Es wird dich kümmern…du wirst ausnüchtern und dann wird es dich verfickt sehr kümmern…du wirst angepisst sein…und ich werde…“   In dämlichen, sinnlosen Teilen und Bruchstücken verstreut sein…   Und er war gerade erst damit fertig geworden, sich nach Asuma wieder halbwegs zusammenzusetzen…und trotzdem…die Risse waren immer noch so…   Ich kann nicht…   Krampfhaft schloss er die Augen   Bevor er sich zurückziehen konnte, fing Neji Shikamarus Kinn mit den Fingern ein und drängte diese Augen mit einem Kuss über geschlossene Lider dazu, sich zu öffnen. Aufmerksam musterte er die kafffeebraunen Seen und der leichteste Hauch eines Stirnrunzelns grub sich zwischen seine Brauen. „Rede mit mir, Shikamaru…“   Das sanfte Murmeln bewegte sich wie eine Welle durch Shikamaru, wühlte Geister auf und rollte über Gräber, wusch Worte an Land, die mit einer Trauer drohten, von der er nicht genug Zeit oder genug Tränen hatte, um sie durchleiden zu können. Es war zu viel, als dass er es ertragen könnte, zu viel Ärger, damit umzugehen…   ‚Ich kann mich aus dem Ärger herausholen, in den ich mich gebracht habe. Ich habe keine Angst vor Ärger.‘   ‚Ich habe keine Angst davor zu sterben, Shikamaru.‘   ‚Zumindest weiß ich, dass du nicht so dumm bist, dem Feind in die Hände zu spielen und zu sterben. Als dein Vater, bin ich dankbar dafür…ich bin stolz, dein Vater zu sein…aber-‘   ‚Ich werde mich doch nicht opfern, keine Sorge mein Freund. Ich habe doch dich, gemeinsam sind wir beide stark.‘   ‚-Asuma ist tot…‘   Stop…   ‚Lass es doch mal raus, Junge.‘   Die Stimme seines Vaters stach sich wie ein Speer mit Widerhaken in sein Herz.    Ich weiß nicht wie…du hast es mir nie gezeigt…wie..wie man…   Emotionen stiegen in ihm auf und krochen in seine Brust, seine Kehle, seine Augen. „Ich…“   „Shikamaru?“   Er drehte seine Lippen gegen Nejis Handfläche und seine Stimme kratzte roh hervor. „Ich weiß, ich habe später gesagt…aber später ist immer noch zu bald…“   Neji umfasste seinen Kiefer und strich mit einem Daumen unter ein dunkles Auge. „Sieh mich an.“   Schwer schluckend hob Shikamaru den Blick und Kummer zog an seinen Augenwinkeln. „Ich kann dort nicht hingehen, Neji. Es braucht alles, was ich habe, um meinen Scheiß irgendwie zusammenzuhalten; genau hier und jetzt mit dir…wenn ich an Asuma denke…“ Er hielt inne und die Muskeln in seinem Kiefer zuckten heftig, als dunkle Wimpern gegen das Brennen nach unten fielen. „Ich kann es mir nicht leisten, das zu tun. Nicht mit dieser Mission. Nicht, wenn ich einen klaren Kopf behalten muss.“   „Hier geht es nicht nur um Asuma“, sagte Neji weich, während sich sein Daumen über Shikamarus Lippen legte, um den unmittelbaren Protest zum Schweigen zu bringen. „Nicht.“ Seine Augen flackerten erneut; ein kurzes Aufflammen von Klarheit hinter dem Dunst. „Lüg mich nicht an.“   Lügen? Scheiße, das hätte so einfach sein sollen; unmittelbar. Doch die Lügen waren Asche in Shikamarus Kehle. Leblos und nutzlos für ihn, denn…   Wie kann ich dich belügen, wenn ich nicht einmal weiß, was in meinem Kopf real ist? Ich weiß es nicht…fuck, ich weiß es nicht…   Und Asuma war nicht hier, um ihm dabei zu helfen, aus allem einen Sinn zu machen.   ‚Du wirst es dort hindurch schaffen. Und ich werde direkt an deiner Seite sein.‘   Nur war er das nicht. Würde es nie wieder sein.    Shikamaru schloss die Augen, fühlte Nejis Daumen an seinen Schläfen, wie sie kreisten, kreisten…   Wir sind beschissene Lügner, Sensei. Wir beide, du und ich. Aber es tut mir nicht leid…denn wir haben uns trotzdem gegenseitig gehört…nicht wahr?   Scheiße. Wenn Asuma ihn jetzt hören könnte.    Scham. Es sickerte bitter und verbrühend durch die Risse. Und Shikamaru versuchte nicht einmal, es durch Logik zu betäuben. Denn wie Asuma ihm immer gesagt hatte, ging es hierbei nicht um seinen Kopf. Tatsächlich wäre es viel sicherer, vernünftiger, klüger, wenn es überhaupt nicht um ihn gehen würde; nicht um seinen Kopf, nicht um seine Wunden und ganz sicher nicht um den Ort, wo er diesen Schmerz und diese Verwirrung mit sich trug.   Scheiße. Ich kann meine Zukunft nicht von meiner Vergangenheit bestimmen lassen. Ich werde die Kinder dieses Dorfes mit meinem Leben beschützen. Ich werden den Willen ehren, den du mir hinterlassen hast.    Hier. Genau hier. Dort musste er sein.    Denn es wird immer zu bald sein, um sich zurück an diesen Ort zu begeben…   Zurück zu dieser frakturierten Vergangenheit, die er scheinbar nicht erschüttern konnte.    ‚Egal, wie lange es dauern wird. Ich werde nirgendwohin gehen. Ich werde dich nicht fallen lassen. Ich werde dich damit nicht allein lassen!‘   Aber das hast du.   Nejis Stimme zog ihn zurück. „Wo bist du, Nara?“   Shikamarus Wimpern hoben sich langsam und unvergossene Tränen schimmerten an seinen Augenwinkeln. Er legte eine Hand an Nejis Hinterkopf und blickte tief in diese blassen Seen. „Ich bin genau hier. Wo ich immer sein musste…denn wenn ich mich selbst dorthin gehen lasse, wohin du mich bittest, dann weiß ich nicht, ob ich jemals wieder zurück kommen werde.“   Neji blinzelte langsam und seine wolkengleichen Augen drifteten über Shikamarus Gesicht. Zärtlich strich er ihre Nasen aneinander und seine Stimme war ein leises beruhigendes Raunen. „Du wirst immer zurück kommen.“   Furcht zog Shikamarus Kehle zusammen. Er schluckte rau uns seine Lippen verdrehten sich zu einem reuevollen Lächeln. „Achja? Und was macht dich da so sicher?“   „Weil ich dich immer finden werde. So wie du mich gefunden hast.“   Eine Sturzwelle krachte und rollte und brach über Shikamarus Herz; zusammen mit der Antwort auf eine niemals sterbenden Frage, die ihn seit Monaten heimsuchte.    Habe ich dich jemals gefunden?   Krampfhaft schloss er die Augen und zog sich fort, um sich mit dem Kopf in den Händen neben das Bett sinken zu lassen. „Du weißt nicht, was du sagst, Neji…“   Würde er sich morgen überhaupt daran erinnern können? Es wäre vielleicht eine kleine Gnade, dass in ein paar Stunden diese Begegnung möglicherweise nichts weiter sein würde als ein vager und verschwommener Fleck im Verstand des Hyūga…ein Driften von Nebel, der mit der Morgendämmerung verdampfen würde.    Entschwindend im Äther; genau wie du…   Und vielleicht war auch das eine kleine Gnade – denn es war die eine Sache, vor Dingen wegzurennen, von denen er es nicht ertragen konnte, sich ihnen zu stellen; aber von etwas davon zu laufen, von dem er es nicht ertragen konnte, es zu verlassen? Neji war dabei schon immer der stärkere von ihnen beiden gewesen. War immer derjenige gewesen, der davon gelaufen war, weil Shikamaru es nicht tun würde, nicht tun konnte…zumindest nicht danach. Nicht, wenn er es einmal begonnen hatte.    Gut gemacht, Genie…   Außerdem war da diese Mission, die auf sie beide wartete. Prioritäten, die von Pflicht diktiert wurden und von Notwendigkeit; genau wie Neji es gesagt hatte.    ‚…diese Mission ist eine Gelegenheit zu beweisen, dass persönliche Gefühle und vergangene Übertretungen keinen Einfluss darauf haben, wer wir jetzt sind und was wir tun müssen.‘   Er hat nicht unrecht.   Nein. Neji hatte nicht unrecht. Nicht, wenn es um die Mission ging. Nicht, wenn es um Notwendigkeit ging. Aber das hier war keine Mission, es war ein Augenblick. Es war keine Notwendigkeit, es war Bedürfnis. Und es fühlte sich so verdammt richtig an; wie es jedes einzelne Mal gewesen war, wenn Zeit und Umstände nicht gegen sie gearbeitet hatten.    Kühle Finger strichen über seinen Nacken. „Komm her…“   Vollkommen machtlos gegen diese Stimme, drehte sich Shikamaru um. Er kniete an der Seite des Bettes und ließ seine Stirn gegen Nejis Bauch sinken, während er zuließ, dass ihn die Anspannung seines Körpers in einem einzigen langen Atem verließ.    Nejis sanfte Berührung legte sich an seinen Nacken und drückte leicht.    Für eine Weile herrschte Stille und die Hitze des vorherigen Augenblicks zog sich wie Lava in bebende Kerne zurück; wartend auf die nächste Berührung, den nächsten Geschmack, das nächste Mal, um alle Widerstände aufzubrechen und das Bedürfnis und die Begierde sengend zum Vorschein kommen zu lassen…stärker als zuvor.   Jedes Mal stärker als zuvor.   Scheiße, diesmal hatte er sich beinahe nur wegen eines Kusses verloren.   „Verdammt…“, wisperte Shikamaru gegen Nejis Haut und ein kummervolles Lächeln bog seine Lippen. „Da sind wir wieder, Hyūga…“   „Ich weiß…“, bestätigte Neji, während seine Finger tief kneteten. Und dann fügte er weicher hinzu. „Jedes Mal…“   In der Stille, die folgte, drehte Shikamaru seinen Kopf gegen Nejis Bauch und überkreuzte seine Arme auf der Kante des Bettes. Seine Augen schlossen sich und seine Atmung wurde langsamer und synchronisierte sich vollkommen automatisch mit dem Heben und Fallen von Nejis Brust; fast wie durch eine innere, unterbewusste Absicht. Und er ließ sich von diesem Rhythmus treiben, fühlte die Schwere, die sich niederließ.    „Lass mich nicht so einschlafen.“   „Werde ich nicht.“   „Lügner.“   Ein tiefes, volltönendes und leises Lachen, gefolgt von dem weichen Klopfen von Nejis Daumen…ein sanfter Herzschlag in Shikamarus Geist…beständig…langsam…nachgebend…   Scheiße, er schlief definitiv ein.    Seufzend sog er einen reinigenden Atemzug ein und sah durch seine Wimpern zu den abgeschirmten Augen auf, die ihn musterten. „Ich sollte gehen“, murmelte er.    Neji blinzelte schwer und langsam, während sich ein schläfriges Lächeln auf seine Lippen schlich. „Du gehst bereits…“   Shikamaru verengte in spielerischer Drohung seine Augen. „Jo…direkt zur Orthopädieabteilung.“ Er bog den Rücken gegen die einsetzende Steifheit durch. Er wollte sich nicht hier weg bewegen. Musste es aber wirklich tun.    „Komm her“, sagte Neji nochmal.   Shikamarus Augen wurden angesichts dieser Einladung weich, aber die Verspieltheit schwand aus seinen Augen und wurde von einem Bedauern ersetzt. Er schüttelte den Kopf und schluckte. „Ich bin nicht so stark, Neji.“   Der Hyūga neigte den Kopf und seine Miene schien von Verwirrung und tief begrabenem Begreifen zerrissen zu sein. Verstehen flackerte in seinen Augen; eine Flamme gefangen in benebeltem Kristall. Und Shikamaru stellte sich Neji wie einen Gefangenen hinter einer Glaswand vor, der dem Schattenninja von der anderen Seite aus von den Lippen las, Teile zu fassen bekam und versuchte, ihren Dialog zu übersetzen, als würde er ihn rückwärts lesen; ein unordentliches Gekritzel, das überhaupt keinen Sinn ergab ohne den Spiegel eines klaren Verstandes, um die Wörter umzukehren und in richtiger Ordnung zu reflektieren.    Ordnung. Kontrolle.   In einigen Stunden – vielleicht auch weniger – würde dieses Glas zerbrechen und Neji wäre wieder zurück in vollkommener Kontrolle und würde mit Zurückhaltung um sich schlagen wie mit einer Keule. Und Scham würde zu spät kommen, um noch einen Unterschied zu machen. Die Züge waren gemacht worden, Worte ausgesprochen und ihre Teile neu angeordnet…bereit für das nächste Mal.    ‚…ich werde dich immer finden.‘   Ein Anspruch so riskant und aufopfernd wie Silber anzustreben. Und es gab einfach keine Möglichkeit, dass Shikamaru jemals zulassen würde, dass Neji diesen Zug machte. Denn es gab nur eine einzige Möglichkeit, wie das enden würde – in unwiederbringlichen Bruchstücken.   Und das werde ich nicht überleben.   Nicht, weil er es nicht konnte…sondern weil er es dann nicht würde überleben wollen. Und diese Erkenntnis verängstigte ihn ebenso sehr wie die Vergangenheit, von der er so hart versuchte, sich nicht daran zu erinnern.    Begib dich nicht dorthin. Sei hier.   Hier. Aber hier mit Neji war nicht das, wo er sein sollte. Er musste gehen. Musste sich zusammenreißen und davon laufen. Neji hatte es getan. Jetzt war er an der Reihe. Er konnte das tun.    Ja. Ich kann. Aber ich will nicht.   Ein müdes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Weißt du. Es tut mir nicht leid, dass dir das passiert ist“, sagte Shikamaru und seine Stimme war rau mit all der Ehrlichkeit, die darin lag.    „Natürlich tut es das nicht“, sagte Neji flach und mit schläfrigen Augen. „Du sahst ja auch deutlich besser nach dieser ganzen Aktion aus als ich.“   Humor. Ein Ausweg.    Nimm ihn.   Shikamaru brachte ein leises Lachen zustande. Mit einem mühevollen Strecken zwang er sich dazu, sich von dem Bett fort aufzurichten und spürte, wie Nejis Hand davon rutschte. Ein scharfer Stich zog sich dabei hart hinter seinen Rippen durch Brust und Herz. „Jo, naja also, das Gesicht zu wahren ist schließlich alles.“   Nejis Hand legte sich auf seinen Bauch. „Sei vorsichtig. Du klingst wie ein Hyūga.“   „Achja? Und du klingst ein bisschen verrückt.“ Was bedeutete, dass er gehen musste. Jetzt. Schnell. „Schätze, das bedeutet, dass du mal einen auf Nara machen und ein Schläfchen machen solltest.“   „Und wieder einmal sind unsere Rollen vertauscht.“   Nur eine weitere Ironie in der Geschichte ihrer sich überschneidenden Leben. Shikamarus Augenwinkel zogen sich warm zusammen. „Jo, was ist damit?“   Ein weiches, träges Schmunzeln, bevor Nejis Augen über Shikamarus Schulter strichen. „Muss am Vollmond liegen“, murmelte er und echote die vorherigen Worte des Schattenninjas zu ihm zurück.    Shikamaru wandte sich den Glasscheiben zu und sein scharf umrissenes Profil fiel hinein in gesprenkelte Schatten und zerbrochenes Licht als er an den Baumkronen herbstverfärbter Blätter vorbei blickte. Der Mond hing inzwischen tiefer und sein pudrig gelblicher Hof schwand langsam gegen den heller werdenden Himmel, während das Driften der Wolken die weichen Pastelltöne der Morgendämmerung annahm.    „Ja“, murmelte er nach einer langen Weile. „Muss es wohl.“   Schweigen folgte.    Shikamaru wandte sich um und sein Herz zog sich in seiner Brust zusammen.   Nejis Augen waren geschlossen und seine dunklen Wimpern hingen tief. Die Lippen leicht geöffnet tauchte ein rarer Ausdruck des Friedens seine patriarchischen Züge in eine weichere, glattere Maske der Ruhe. Shikamaru legte den Kopf leicht zur Seite und prägte sich die Art und Weise ein, wie der Jōnin in diesem Augenblick aussah, gravierte ihn in seinen Verstand; zusammen mit all den anderen mentalen Schnappschüssen, die in seinem Kopf bewahrt wurden…und in seinem Herzen…   Mach das nicht. Du bist viel zu klug für diese Art von dämlich.    Es war nicht das erste Mal, dass er diese Zeile rezitierte. Und es würde nicht das letzte Mal sein, dass er versuchte, das auch wirklich zu glauben. Leicht lächelnd beobachtete Shikamaru, wie Neji atmete, fühlte, wie seine Brust ganz von selbst in denselben Rhythmus fiel, dasselbe Muster…   Diesmal nicht…   Leise trat er hinüber zu dem Bett und strich liebevoll mit einem Knöchel über den Mund des Hyūga, während er ihn schief anlächelte. „Bis zum nächsten Mal, Neji?“   Und als er davon lief, sah er nie, wie sich diese Opalaugen öffneten; hörte nie die leise Antwort, als die Tür ins Schloss fiel.   „Jedes Mal, Shikamaru.“   ___________________ Oja, es gäbe SO viel zu diesem Kapitel zu sagen finde ich o.O so viele Fragen, so viele Hinweise, so viele Rätsel ;)  Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat und ja würde mich SEHR über ein paar Gedanken von euch zu diesem Kapitel freuen!! *-*  Ich muss sagen, dass ich diese Kapitel mit so intimen Momenten zwischen Shikamaru und Neji einfach liebe, auch wenn sie schmerzhaft und voller Kummer und Sehnsucht sind. Wie geht es euch dabei? :D  Vielen Dank auf jeden Fall wieder an alle meine treuen Reviewer/innen und Leser/innen! *-* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)