Requiem von _Scatach_ (Teil Drei der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 11: Cat and dog and crappy coffee ----------------------------------------- Raschelndes Plastik weckte Shikamaru ruckartig und sein Kopf rutschte von einer Schulter. Er schnappte nach Luft und hob eine Hand, um sich einen Knoten aus dem Nacken zu kneten.    „Wow. Na, sieh mal einer an, wer wach ist.“   Shikamaru verzog das Gesicht, war aber viel zu müde, um peinlich berührt zu sein. Es dauerte auch einen Moment, bis sein Hirn aus dem Theta-Zustand hochfuhr und all die Schmerzen und Verspannungen dokumentierte, die eine dämlich simple Geschichte eines beschissenen Schläfchens in einer Position spinaler Folter erzählten. Und dann war da noch dieses Gefühl des Wundseins, das jeden Quadratzentimeter seiner Haut abzudecken schien; als wäre er lebendig gekocht worden.    „Au…“, ächzte er.    „Hey, ich hab alles versucht“, sagte Chōji und stupste seine Schulter gegen Shikamarus Kopf, von dem feuchte Strähnen in alle möglichen und unmöglichen Richtungen abstanden. „Ich sollte dir und Ino echt was für eure ‚Kissenprivilegien‘ an meiner Schulter berechnen. Übrigens bin ich jetzt auch noch total durchnässt.“   Grunzend rollte Shikamaru seinen Kopf wieder gegen die breite Schulter und hielt die Augen fest gegen das beleidigend grelle Leuchten der Deckenlampen geschlossen. „Mhn…nicht leid…“, nuschelte er und dann direkt danach und deutlich klarer: „Neji?“   „Noch nichts Neues“, erwiderte Chōji, bedacht darauf, den Schattenninja nicht zu schubsen. „Wie fühlst du dich?“   Leicht schniefend zog Shikamaru die Nase gegen das chemische Brennen in seinen Nasenlöchern kraus. „Als hätte man mir gerade alle fünf Lagen meiner Epidermis vom Leib gerissen.“   Das war nichtmal allzu übertrieben.   Nachdem sein Chakra endgültig aufgegeben hatte und er zusammen mit Neji halb durch die Türen der Notaufnahme kollabiert war – sehr zu Nejis explosiver und unaufhaltsamer Hysterie – war er von einer ganzen Horde Krankenschwestern aufgehoben und in einen Untersuchungsraum abgeführt worden.    Eher in eine Folterkammer.   Nachdem er seine Begegnung mit den durch Chakra verstärkten Hybriden erklärt hatte, hatte der Arzt einen gewaltigen Satz von ihm fort gemacht, als würde er etwas Toxisches oder Ansteckendes ausstrahlen. Und der ganze Rest war so schnell passiert, dass er überhaupt keine Zeit gehabt hatte, um die direkt darauf folgende Behandlung verarbeiten, geschweige denn dagegen protestieren zu können.    Definitiv Folterkammer.   In einem sterilen Raum unter Quarantäne gestellt hatte man ihn ohne viel Federlesen und ohne sein Einverständnis komplett ausgezogen, in eine würfelartige Dusche geschubst und ihn bei einer Temperatur, die sich angefühlt hatte wie saurer Regen, bis zu einer leuchtenden Hummerschattierung gedämpft. Mit brennender Haut war er mit irgendeinem nicht alkalischen und nicht carcinogenen chemischen Desinfektionsmittel geschrubbt worden, bevor er von Kopf bis Fuß abgespritzt worden war.    Noch viel fuchsienpinker als Neji war er wieder heraus gekommen.    Von lauter gackernden und um ihn herumwuselnden Krankenschwestern war er mit Aloe eingerieben worden, bevor man ihn in einen kratzigen Yukata gehüllt und den Händen irgendeines Aburame Arztes übergeben hatte, der eine ganze Kolonie blutsaugender Flöhe des Dinovogels unter seiner Haut hervor gelockt hatte.    Nett.   Und eine halbe Stunde, nachdem dieses Zeckenentfernungstrauma begonnen hatte, waren Chōji und Ino in den Raum geplatzt, um frische Klamotten und tief besorgte Gesichtsausdrücke herein zu schleppen. Doch ihr Mitgefühl hatte ihn nicht vor einer weiteren ätzenden Dusche gerettet. Nach einer gründlichen Haarwäsche und einem letzten Abspritzen war er von der Front der Ansteckenden befreit, aus der Quarantäne entlassen und nach Hause geschickt worden.    Die letzte Aufforderung hatte er jedoch höflich abgelehnt, indem er sich schlicht und einfach strikt geweigert hatte, überhaupt zuzuhören.    Zurückgelassen auf der Schwesternstation war er für die meiste Zeit ignoriert worden und er hatte glänzend darin versagt, irgendeine Information über Neji von einer Frau zu erhalten, die darauf bestanden hatte, in irgendeinem seltsamen hospitalen Fachjargon zu kommunizieren, den nur Ino zu kapieren schien.    Erschöpft, wund und durch und durch angepisst hatte Shikamaru begonnen, immer lauter zu werden, was ihm eine Strafauszeit im Wartezimmer eingebracht hatte. Chōji und Ino hatten sogar die Tür bewacht, um sicher zu gehen, dass er ihnen nicht entwischte. Er hatte es versucht - und versagt.    Also wann bin ich…?   Er konnte sich nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein. Doch peinlicherweise erinnerte er sich sehr wohl daran, dass er auch noch einen erhitzten Streit mit Ino über den Besitzanspruch auf ihren Haargummi verloren hatte – denn seiner war zusammen mit all seiner Kleidung eingeäschert worden. Wenn man aber den Zorn beiseite ließ, dann entsann er sich, sich schwindlig, krank und ein wenig atemlos gefühlt zu haben. Erinnerte sich auch daran, unruhig auf und ab getigert zu sein, geschimpft und enge frustrierte Kreise gedreht zu haben, bevor…bevor…?   Stirnrunzelnd rieb er sich über die Augen und suchte energisch sein Hirn ab.   Jo, der Rest war blank – was nur bedeuten konnte…   „Habe ich das Bewusstsein verloren?“, krächzte er.    Chōji schnaubte. „Worauf du dich verlassen kannst.“   „Bin ich auf dem Boden aufgeschlagen?“   „Nah, du hast irgendwie diesen kreisenden kleinen Ohnmachtsanfall direkt in meine Arme abgezogen. Es war sehr romantisch.“   Shikamaru presste seine Lider noch fester aufeinander. „Ich hasse dich.“   Chōji lachte. „Ich hab dich sogar im Brautstil getragen.“   „Ugh. Wie lange war ich weg?“   „Mein eingeschlafener Arm sagt mir, dass es circa vierzig Minuten oder so waren.“   Shikamaru verzog das Gesicht. „Warum bin ich…“   „Dein Chakra war abartig niedrig. Genau wie dein Blutdruck.“ Chōji schwieg für einen Moment und sah hinunter auf den Scheitel des Schattenninja. „Hat mir ziemlich Angst eingejagt.“   „Ich dachte, ich wäre romantisch gewesen.“   „Shikamaru…“   „Jaja, ich hab’s verstanden. Ich weiß. Schlechte Entscheidung. Dämlich.“   „Jo. So richtig dämlich. Und überhaupt nicht wie du. Warum hast du das gemacht?“   Lügen oder nicht lügen, das war hier die Frage. Seufzend drehte sich Shikamaru auf den billigen Plastikbanksitzen, die die Wände säumten. Er hielt die Augen geschlossen und rieb sich über seine trockenen Lider, während er die Nase kraus zog, bis der dumpfe Schmerz in seinem Kopf zumindest ein bisschen besser wurde. „Weil ich für einen Moment dachte, dass ich es nicht tun könnte.“   „Huh?“   „Erinnerst du dich daran, was du zu mir gesagt hast? Im Pavillon heute Nachmittag?“   Unbehaglich rutschte Chōji auf seinem Platz hin und her. „Wir haben beide ein paar Dinge gesagt…“   Überrascht darüber, dass sein Freund offenbar ein bevorstehendes ‚Wie du mir, so ich dir‘ erwartete, stupste Shikamaru seinen Kopf zurück gegen eine angespannte Schulter, um Chōji zu beruhigen ohne sich zu ihm umdrehen zu müssen. „Ja, aber das Zeug, das du gesagt hast, war gerechtfertigt.“   Chōji bestritt das nicht, was der Schattenninja respektierte und zu schätzen wusste.    Und als er spürte, wie sich Chōji entspannte, fuhr Shikamaru fort; oder zumindest versuchte er es. „Nach Asumas…“ Seine Kehle zog sich um den Namen zusammen. „Nach unserer letzten Mission-“   „Shikamaru, du musst nicht-“   „Doch. Ich habe dafür gesorgt, dass mein Kopf klar war. Aber es ist, als ob…“ Shikamaru stieß einen zitternden Atem aus und grub seinen Daumen gegen den Grat seiner Augenbraue, fand den Druckpunkt und presste hart. „Es erscheint etwas…immer wieder wie ein Aufblitzen…“   „Aufblitzen? Was meinst du?“   Selbst mit den Wimpern fest aufeinander gedrückt flackerte Asumas Gesicht hinter Shikamarus Augen auf wie bei einer fehlerhaften Filmrolle; Bilder, die aus der Vergangenheit projiziert wurden – eine Serie aus Vignetten. Schnappschüsse von Team 10, die an den Rändern verschwammen; immer noch zu roh, um sie in den Fokus bringen zu können. Aber eine Sache rahmte sich unumstößlich fest in seinen Verstand. Sein Versprechen, seine Freunde zu beschützen, sie zu bewahren…sodass sie nicht zu verblassten Erinnerungen verkamen…Rückblicke und Bruchstücke…   Ich kann sonst niemanden mehr verlieren, Chōji…und wenn ich meinen Kopf verliere…   „Ich muss einfach wissen, dass ich euch nicht hängen lassen werde“, war das, was er stattdessen sagte. „Ich habe eine Situation mit hohem Stresslevel gebraucht. Musste wissen, dass ich unter Druck immer noch denken und agieren kann.“   „Es hätte sicherere Wege gegeben, das zu prüfen, weißt du?“   „Im Nachhinein, ja. Habe ich schon erwähnt, dass ich mir dämlich vorkomme?“   „Jo.“ Chōji änderte seine Position und stupste sanft seine Schulter an. „Shikamaru, du hast uns niemals hängen lassen. Du lässt uns nur nicht immer ein. Und das ist…ich versteh es ja…aber es ist nicht…uh, Ino könnte das jetzt hundert pro besser erklären als ich.“   Schmunzelnd begann Shikamaru, auf seiner Stirn herum zu drücken. „Ich bin fällig für eine Gardinenpredigt, huh?“   „Nah, ich glaube, du hast es schon wieder gut gemacht. Aber du bist auf jeden Fall fällig für eine dicke fette Chakrapille und ein Glas Salzwasser.“   „Ja klar…auf keinen Fall.“   „Hey, sind nur die Anweisungen des Arztes. Ino hat die Pille auch selber gemacht, weil die letzte Charge wohl nur aus verrückten Tabletten besteht.“   „Jo. Kiba hat eine davon Akamaru gegeben…“   „Genau. Also wirst du jetzt Inos nehmen, oder sie wird mir den Kopf abreißen. Sie hat mir eingebläut, auf jeden Fall sicher zu gehen, dass du sie isst, damit sich dein Blutdruck und dein Chakralevel wieder erhöhen. Sie meinte auch, es schmeckt besser als das Zeug von Sakura.“   Das war auf keinen Fall beruhigend oder verlockend. Aber auf der anderen Seite war das der Gedanke, auf den Hintern zu plumpsen oder in irgendjemandes Arme zu fallen auch nicht.    „He, du denkst schon wieder über deinen Ohnmachtsanfall nach, stimmt’s?“   Shikamaru verzog das Gesicht. „Du hast da was von einer Pille gesagt?“   „Und Salzwasser.“   „Das krieg ich hin.“   „Ha. Dann setz dich mal hin. Ich fang dich auf, wenn du wieder ohnmächtig wirst, aber ich geb dir sicher nicht den Kuss des Lebens, solltest du ersticken.“   Leise lachend versuchte sich Shikamaru aufzusetzen, sackte aber bei einem plötzlichen Schwindelanfall zusammen. Rasch packte er die Rückseite der Bank und blinzelte rapide. „Okay…das ist interessant…“   „Hey, mach langsam. Du bist immer noch ziemlich benommen.“   „Habe ich zufällig Blut gespendet, während ich weg war?“   „Ich glaube eher, dass du eine ganze Armee aus Vampirflöhen gefüttert hast. Diese Dinger waren mal richtig gruselig.“   „Danke, dass du mich daran erinnerst.“ Wie gut, dass im Moment die einzige Irritation unter seiner Haut das rote Brennen von Peinlichkeit war; der Gedanke daran, dass er dumm genug gewesen war, sich kopfüber in die absolute Gefahrenzone zu stürzen, nur um zu versuchen zu beweisen, dass er stabil war.    Clever. Wirklich clever.   Er stieß einen genervten Atem aus und schob sich die feuchten Strähnen aus dem Gesicht, bevor er mit einer Hand durch sein loses Haar fuhr und mit stumpfen Nägeln über seine Kopfhaut kratzte.    Seine Finger verfingen sich in einem Knoten.    Nein. Kein Knoten.   Shikamarus Lider zuckten irritiert.    Zur Hölle?   Stirnrunzelnd befingerte er das Band straff zusammengefassten Haares, folgte ihm zurück durch die dunklen Strähnen und fand ein weiteres, dann noch zwei…drei…vier…mehr…   Mit weiten Augen und vernichtender Miene beugte er sich auf seinem Platz nach vorn. „Chōji…“   Der Akimichi drehte den Kopf und würgte ein ersticktes Geräusch hervor, das verdächtig nach einem innegehaltenen Lachen klang. „Oh, Junge.“   Oh nein.   Sehr langsam – ganz so, als wollte er die Unvermeidbarkeit des Moments bestreiten – hob Shikamaru seine andere Hand und strich mit den Fingern durch dunkle gezackte Strähnen, wobei er einen nach dem anderen vorfand; Schnur um Schnur von…   Oh verfickte SCHEIßE, nein…   Ein Schluckauf aus Lachen, das von einer Chipspackung gedämpft wurde.    Shikamaru wandte den Kopf und warf die volle Wucht seines mörderischen Funkelns wie eine Klinge über die Schulter, um Chōji mit dem rasiermesserscharfen Blick zu erstechen. „Wo ist sie?“, knurrte er verstörend leise; alarmierend tief.    Chōji jedoch zuckte nur mit funkelnden Augen die Schulter. „Ich finde, es steht dir.“   „Du hast sie das machen lassen. Ich war komplett weggetreten und du hast sie-“   „Naja, also technisch gesehen habe ich sie nicht-“   „Du hast sie meine gottverdammten Haare flechten lassen.“   Mit hängendem Kopf vergrub Chōji sein Gesicht in der Chipspackung. „Ja. Ja, das habe ich.“   Shikamarus Miene wurde noch finsterer und er spürte, wie ein Tic in seinem Augenlid begann, als er zusah, wie sich die Chipspackung aufblähte und zusammenzog, als Chōji krampfhaft versuchte, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und vor unterdrücktem Lachen bebte.    Shikamaru schüttelte den Kopf und ließ dabei kleine Zöpfe schwingen. Zornfunkelnd stach er mit einem Finger auf sein geflochtenes Haar. „Davon gibt es kein Zurück, Chōji.“   „Awww, na komm schon. Ich hab dich doch auch gefangen, als du ohnmächtig geworden bist.“   „Zu blöd. Du hättest mich fallen lassen sollen.“   „Auf keinen Fall!“   „Hättest mich meinen Kopf einschlagen lassen sollen, sodass ich mich nicht daran erinnert hätte, wer zur Hölle ich bin, als ich aufgewacht bin.“   Chōji explodierte zu ungezügeltem Lachen und katapultierte dabei die Chipspackung durch den halben Raum.    Und Shikamaru fixierte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Ich wette, dass mein Kopf in deinem Schoß lag, als sie das gemacht hat.“   Chōji lachte schallend und musste die Lehne seines Sitzes packen, um aufrecht bleiben zu können. Die Spiralen auf seinen geröteten Wangen leuchteten grell auf. „Es stimmt…es stimmt…“, prustete er.    „Mann, du bist echt krank.“   „Tut mir leid, Shikamaru.“   „Jo, ich sehe, dass du total fertig deswegen bist.“ Shikamaru wandte sich ab und lümmelte sich wieder gegen Chōjis Schulter, bevor er begann, mit den Fingern an diesen dämlichen Zöpfen zu zupfen und in scharfen ruckartigen Bewegungen das Geflecht zu lösen. „Ich hoffe, das war es wert.“   „Sie kauft mir für eine Woche Barbecue.“   „Dachte ich mir.“   „Ja, ich weiß. Sie ist genauso schlimm wie Asuma w-“ Chōji stolperte über das Wort und beendete seinen Satz dann leise: „..war.“   War. Zu sein pflegte. Niemals wieder sein würde.    „Ja“, wisperte Shikamaru. Er sog einen zerfetzten Atem ein und ließ sein Kinn nach unten kippen, bevor er sich daran machte, den nächsten Zopf zu lösen, während seine Augen nach oben rollten und sich beinahe überkreuzten, als versuchten sie, durch seine Schädeldecke sehen zu können.    Lästiges Mädchen.   Er spürte, wie sich Chōji leicht bewegte und hörte das Rascheln einer weiteren Packung. „Uh, Shikamaru? Deine Haare werden dieses komische Meerjungfrauen-Ding machen, wenn du das jetzt aufmachst – so wie bei Ino.“   Shikamarus Finger erstarrten, als er sich diesen Horror vorstellte, doch er nahm seine Bemühungen rasch wieder auf, während er seine Beine auf den angrenzenden Sitz legte. „Dann steck ich meinen Kopf eben in ein Waschbecken. Oder vielleicht kannst du ihn auch in eine Toilette drücken, während Ino die Spülung betätigt.“   Erniedrigt zuckte Chōji zusammen. „Es tut mir leid, Shikamaru.“ Sein schuldbewusstes Schweigen hielt jedoch gerade einmal zehn Sekunden an, bevor Lachen schon wieder deutlich in seiner Stimme zu hören war. „Willste, dass ich dir dabei helfe?“   „‘Hilf mir‘ am Arsch“, knurrte Shikamaru, doch ein widerwilliges Schmunzeln zupfte an seinem Mund. „Wo ist Ino eigentlich?“   „Sie haben sie vor etwa einer halben Stunde gerufen. Sie hilft mit Neji.“   Shikamarus Finger hielten sofort inne – zusammen mit seiner Atmung. Wie zur Hölle konnte es sein, dass es immer noch nichts neues gab?   „Sie hat nichts gesagt?“   „Sie meinte, sie würde sofort kommen, wenn irgendwas im Argen ist. Schätze mal, dass wir es schon rausfinden werden, sobald sie zurück ist.“   Shikamaru musste sich mächtig zusammenzureißen, um nicht zu fragen, wann verfickt nochmal das sein würde. Rasch nach irgendeiner Ablenkung suchend griff er nach einem weiteren Zopf, der geradezu sadistisch feste geflochten war und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als würde er Fäden aus einer Wunde ziehen. „Ugh. Ich glaub’s nicht, dass sie genug Zeit hatte, Nahrungspillen herzustellen und mich zu verstümmeln.“   „Mann, du hättest sie sehen sollen, Shikamaru. Sie hat alles total übernommen. Hat sogar den Arzt ausgestochen und angefangen, über Opiate und Botanik und so Zeug zu reden.“ Chōji hielt inne und atmete leise aus. „Asuma-sensei wäre stolz gewesen.“   Kummervoller Schmerz grub sich erneut zwischen Shikamarus Brauen – scharf wie immer, aber gemildert durch den leichtesten Hauch eines Lächelns. „Ja. Das wäre er.“   Eine entspannte Stille legte sich zwischen sie, aber er hätte nicht sagen können, wie lange sie andauerte, bis sein Kopf nach vorn nickte; schwer von dem Gewicht jeder verstreichenden Sekunde, während er an den letzten verhedderten Zöpfen arbeitete…seine Finger nestelten…Arme schmerzten und fielen schließlich nach unten…eine Art der Schwerelosigkeit…wie zu sinken…beruhigend…der sanfte Druck einer Hand, die auf seinem Kopf ruhte…   Asuma…?   Einige Zeit später kam Shikamaru wieder zu Bewusstsein…driftete träge direkt unter der Oberfläche des Schlafes. Vage hörte er das Rascheln von noch mehr Plastik, das gedämpfte Knuspern von Kartoffelchips und das Knirschen von Zähnen…   Chōji…   Ein Summen von Wolframlichter über seinem Kopf und das grelle Strahlen, das gegen seine Lider schlug…   Krankenhaus…   Noch mehr Lärm drang herein und hinaus…Stimmen kamen vorbei, schwebten davon…bis – etwas weiter entfernt – das Klacken von Absätzen immer näher kam…   Von dem lauten Klopfen aufgeschreckt flatterten Shikamarus Wimpern.    Die scharfen Schritte kamen noch näher, bevor sie in eine andere Richtung abbogen. Das mechanische Ächzen einer Kaffeemaschine erscholl, dem das Spucken von Wasser und das Kratzen eines Rührstäbchens in einem Pappbecher folgten.   Ein plötzlicher Geruch; der starke Duft von Kaffee.    Schnuppernd öffnete Shikamaru die Augen – und zog sie sofort zu Schlitzen zusammen.    Azurblaue Seen funkelten über ihm und blonde Strähnen wippten. „Ah, ich liebe dieses sexy ‚gerade aufgestanden‘ Aussehen, Shikamaru.“ Ein leises Giggeln. „Es steht dir wirklich sehr gut.“   Viel zu groggy für eine scharfzüngige Erwiderung, begnügte sich Shikamaru mit einem leisen Grummeln. Gekonnt mied er Inos ‚Katze-hat-den-Sahnetopf‘-Grinsen und drehte Kopf und Schultern, weil er ihr den Rücken zuwenden wollte.    Chōji stupste ihn an, bevor er wieder einnicken konnte. „Shikamaru.“   „Steh schon auf, Faulpelz. Ich habe dir sogar Kaffee statt Salzwasser geholt, also sei mal etwas dankbar.“   Keine Erwiderung.    Ino schnaubte und beugte sich vor, um einen kühlen Luftzug in sein Gesicht zu pusten.    Shikamaru rümpfte die Nase und stieß ein schwer leidendes Seufzen aus. „Wieso?“   „Ich bringe dir die Geschenke, mit denen dich Chōji eigentlich hätte zwangsernähren sollen.“   „Ich wollte ihn nicht wecken. Da hätte ich mich schlecht gefühlt“, verteidigte sich Chōji.    Schnaubend setzte sich Shikamaru ein wenig auf. „Ich wette, dass du dir das auch beim ersten Mal eingeredet hast.“ Er warf Ino ein halbherzig zorniges Funkeln zu. „Als ich diese Dauerwelle verpasst bekommen habe.“   Ino grinste. „Ich habe Jahre darauf gewartet, das machen zu können.“ Sie reichte ihm einen der beiden dampfenden Becher und drückte ihm eine riesige braune Chakrapille von der Größe eines Reisballs in die Hand, bevor sie einen Haargummi von ihrem Handgelenk zog. „Hier, jetzt kannst du aufhören zu jammern.“   Shikamaru nahm die angebotenen ‚Geschenke‘ mit einem Grunzen entgegen und sammelte sein Haar zu dem üblichen spitzen Pferdeschwanz zusammen, der straff genug war, um diese dämlichen Wellen aus seinen Strähnen zu ziehen. Und während er auf der Chakrapille herum kaute, ignorierte er Inos albernes Feixen. Rasch nahm er zwei Schlucke des Kaffees, zog eine säuerliche Miene und blinzelte zu ihr auf, als hätte sie ihm Gift eingeschenkt.    Ino schmunzelte. „Ich weiß, okay? Die heiße Schokolade ist noch schlimmer. Neji schien sie allerdings zu mögen…wobei…er hat auch versucht, einen Becher Blumenshampoo und eine Flasche Desinfektionsmittel zu trinken.“   Weitäugig blinzelnd drehte sich Shikamaru abrupt auf seinem Platz und ließ dabei die Beine nach unten schwingen. „Was?“   Ino nickte ernst, aber ihr Blick war spielerisch. „Jo. Er war scheinbar auf irgendeiner Mission, sich sämtliche Farben des Regenbogens einzuverleiben.“ Sie drehte einen Finger in der Nähe ihrer Schläfe um die eigene Achse und machte ein pfeifendes Kuckucksgeräusch. „Außerdem hat er alle Topfpflanzen im Aufwachraum abgeschlachtet. Du kannst gleich zu ihm.“   Aufwachraum?   Angst stach sich in ihn. Krampfhaft umklammerte er den Kaffee zwischen seinen Knien und versuchte, so ruhig wie möglich Atem zu holen. „Ist er okay?“   Chōji schnaubte. „Junge, er hat versucht, Bleichmittel zu trinken. Regenbogen Bleiche. Das ist nicht okay.“   Ino schürzte die Lippen und wackelte mit dem Kopf. „Naja, sagen wir einfach, er ist immer noch ein bisschen…“ Sie fuchtelte vage mit den Händen herum.    Shikamaru bedachte sie mit einem trockenen Blick, während seine Brauen nach oben wanderten. „High?“, schlug er vor.    „Ha! Hyūga ist total drauf!“, plärrte eine Stimme aus dem Wartebereich. Gleich darauf folgte das dumpfe Schlagen einer Faust gegen einen unkooperativen Automaten. Ein Klappern von Münzen erscholl und die Maschine spuckte die Ware plus ein paar Extras aus. „Lässig.“   Shikamaru reckte den Hals und spähte an Ino vorbei.    Am anderen Ende des Raumes hockte Kiba und sein struppiger Kopf klebte geradezu am Schlitz des Spenders, als er aufwärts in die gläsernen Eingeweide der Maschine linste und gleichzeitig die breite Metallflanke in einer unbeholfenen Umarmung tätschelte. „Da haste mich echt hingehalten, Freundchen.“   Chōji kicherte. „Netter Trick.“   Schnaubend drehte sich Ino an der Hüfte und verschränkte die Arme in einer seltsam defensiven Geste vor der Brust. „Was machst du hier, Kiba? Abgesehen vom Klauen natürlich.“   „Er hat sich die Schulter ausgekugelt“, sagte Shikamaru und biss ein weiteres Mal in die Chakrapille, während er Ino fragend und stirnrunzelnd musterte. Was hatte sie für ein Problem mit Kiba?   Der Hundeninja ließ seine ‚gestohlene‘ Ware in der Schlinge verschwinden, die seinen Arm gegen seine Brust hielt. Seine Lederjacke hing offen über den Schultern, als er herüber schlenderte und offenbarte einen zusätzlichen Schultergurt, der straff um seinen Torso gezurrt war.   Shikamarus Brauen hoben sich. „War es so übel?“   Kopfschüttelnd rollte Kiba mit der Schulter. „Nah, ich hab ein bisschen eine Szene gemacht. Wollte die Schlinge haben, um mein ganzes Zeug dadrin zu verstecken, aber die haben dann auch noch auf den dämlichen Gurt bestanden.“ Er ruckte mit dem Kinn zu den Bindungen. „Sobald ich hier raus bin, ist das Ding weg.“   „Na das ist mal eine richtig dumme Idee“, erwiderte Ino und sah ihn finster an.    Kiba zwinkerte ihr zu. „Kein Grund zur Sorge, sie haben mir entzündungshemmende Tabletten verschrieben und eine dringende Überweisung zur Physio.“   Ino hob eine feine Braue und setzte ein krampfiges, zuckersüßes Lächeln auf. „Zu blöd das keins von beidem die Schwellung in deinem Kopf lindern kann.“   Shikamaru hielt mitten im Kauen inne und runzelte heftig die Stirn über diese völlig ungerechtfertigte Kante in ihrer Aussage. „Ino.“   Kiba stieß einen schrillen Pfiff aus und zog ruckartig das Kinn zurück, als hätte er einen Schlag verpasst bekommen. „Wow, es wird wohl keine süßen Worte geben, die mir etwas Mitgefühl von dir einbringen, huh?“   Ino schenkte ihm ein weiteres dünnes und unschönes Lächeln. „Für süße Worte braucht es Charme, Inuzuka.“   „Na klar“, sagte Kiba gedehnt und riss dabei eine Packung Trockenfleisch mit den Zähnen auf. „Die süße kleine Praktikantin konnte gar nicht genug für mich tun. Sie hat darauf bestanden, mich über Nacht hier zu behalten, aber ich habe ihr gesagt, ich müsste wegen eines Hundes weg.“   Ino rollte mit den Augen. „Soll das irgendwie witzig sein?“   Kibas finstere Miene wurde von dem Funkeln in seinen Augen ruiniert. „Schätze mal, dass du mir dann keinen Knochen zuwerfen wirst.“   Shikamarus Lippen kräuselten sich und er unterbrach diese grauenhaften Wortspiele, bevor Ino noch weiter machen konnte. „Hey, wie geht es Akamaru denn?“   Die Miene des Hundeninjas zuckte. „Hana führt ein paar Tests durch. Sie hat mich rausgeworfen und gesagt, ich soll später wiederkommen. Sie haben diese Pillen zurückgerufen, weißt du?“   „Wenig überraschend“, erwiderte Shikamaru. „Würde auch nicht wissen wollen, was dieses Zeug bei Menschen anrichten würde.“   „Ganz genau. Gerüchten zufolge war diese Charge aber beabsichtigt. Sowohl die Pillen, als auch diese Bestien.“   Shikamarus Brauen schossen nach oben. Das erklärte natürlich die Dringlichkeit der anstehenden Mission. Rasch schluckte er den Rest der Chakrapille und spülte sie mit einem Schluck widerlichem Kaffee hinunter, wobei er das Gesicht verzog. „Was machen sie mit dem Rest der Chimären?“   „Wie ich höre hat man eine ganze Gruppe Jōnin ausgeschickt, um sie vom Boden aufzuwischen“, seufzte Kiba und sah dabei etwas verstimmt aus. „Mann, ich hätte mich richtig gern an diesen Dingern ausgetobt. Naja, wie auch immer, dachte mir dann, dass wenn ich schon Zeit totzuschlagen habe, dass ich auch was Sinnvolles machen kann.“   Der Schattenninja schmunzelte. „Wie zum Beispiel Automaten zu vergewaltigen und Trockenfleisch zu schmuggeln.“   Achselzuckend steckte Kiba eine Hand in seine Jackentasche und zog einen Blister Schmerztabletten heraus. „Du nennst es schmuggeln, ich nenn es gesunde Plünderung.“ Er hielt inne und setzte ein schelmisches Grinsen auf. „Und hey, ich weiß über deine Schmugglerware Bescheid, Nara. Soll ich vielleicht noch etwas mehr flirten? Ich könnte ein paar Zigaretten einstreichen. Scheiße, ich könnte wahrscheinlich auch ein paar schwere Betäubungsmittel für Neji stibitzen; dieser verkappte Junkie.“   Kopfschüttelnd schnaubte Shikamaru in seinen Kaffee. „Heb dir den Missbrauch dafür auf, wenn er wieder klar ist, Inuzuka.“   „Jo, ist gar nicht mehr so einfach, sich über diesen stählernen Bastard lustig zu machen. Ich muss auf jeden Fall meine Munition aufsparen. Muss ihn dann bombardieren, wenn er wieder auf seinem hohen Ross hockt und total ahnungslos ist.“ Mit dem Daumen drückte Kiba zwei der großen Tabletten heraus und schnippte sie sich in den Rachen.    „Oh mein Gott!“, kreischte Ino und schlug ihm mit dem Handrücken auf den Arm, wobei sie ihn mit Kakao bekleckerte. „Du sollst dir eine gute Grundlage schaffen, bevor du das nimmst und außerdem musst du sie mit Wasser einnehmen, du Volltrottel!“   Achselzuckend schnappte Kiba ihr den Becher aus der Hand. Und Ino ließ ihn los, kaum dass sich ihre Finger berührten und quiekte, als hätte sie sich an ihm verbrannt.    Shikamaru schnitt eine Grimasse. „Kiba, ich würde nicht-“   Doch der Hundeninja schluckte das Gebräu in zwei langen Schlucken – erstarrte abrupt – und prustete die Hälfte davon aus seiner Nase, bevor er Luft gegen das Brennen einsog und keuchend seine Zunge heraus hängen ließ. „Argh! Was zur Hölle ist das?“   Ino bedachte ihn mit einem säuerlichen Schmunzeln. „Geschieht dir ganz recht. Dafür wirst du sowas von bezahlen.“   „Einen Scheiß werde ich dafür bezahlen“, knurrte Kiba und strich mit ihrer Zunge in seinem verbrühten Mund umher, bis sich ein verspätetes Glühen in seine Augen schlich. „Ah, bezahlen. Das erinnert mich doch an was.“ Er drehte den leeren Becher in seiner Hand und wedelte damit in ihre Richtung. „Du und ich müssen uns mal über ein paar eurer ‚geprüften und getesteten‘ Produkte unterhalten. Und das schließt auch diese rotznäsige Bitch ein, die bei dir hinterm Tresen arbeitet.“   Vollkommen perplex warf Shikamaru Chōji einen fragenden Blick zu. Doch der Akimichi zuckte nur mit den Achseln und hielt die Augen auf die Szene gerichtet, die sich gerade vor ihnen abzuspielen begann. Langsam lehnte er sich zurück und schaufelte sich Chips in den Mund wie Popcorn im Kino.    „Bitch?“, keuchte Ino fassungslos. „Warum? Weil sie nicht auf deinen Schürzenjäger-Bullshit reingefallen ist?“   Kiba legte den Kopf wie ein verwirrtes Tier schief. „Wie bitte?“   „Du hast nicht bekommen was du wolltest-“   „Verdammt richtig, ich habe-“   „-und deswegen hast du dich wie ein Arschloch aufgeführt.“ Ino reckte ihr Kinn in einem trotzigen Winkel nach oben. „Dann wird es dich ja freuen zu erfahren, dass sie sofort gekündigt und sich auf dem ganzen Weg nach Hause die Augen ausgeheult hat.“   „Aw, armes kleines Schweinchen.“ Kiba ließ den Kopf nach hinten kippen und sah aus, als würde er sich bestätigt fühlen. „Erspart mir das Husten und Prusten, um ihr Haus zusammen zu pusten.“   Ino würgte ein ungläubiges Lachen hervor, während sich ihre Finger wie Krallen in ihre Arme gruben. „Oh wow.Vielleicht, wenn du dich weniger wie ein Köter und mehr wie ein Gentleman benehmen würdest, hättest du ja auch bekommen, was du wolltest.“   Kiba hob eine Braue. „Wenn der Kopf derart hohl ist, dann bringt auch Charme nichts.“   „Oh?“ Ein bösartiges Grinsen spielte an Inos Mundwinkeln. „Und auf welcher Charme-Schule warst du denn bitte, Inuzuka? Dem örtlichen Hundezwinger?“   Oh Mann.   Shikamaru blies die Backen auf und rieb sich über die Stirn. „Ino.“   Doch statt der erwarteten Zurschaustellung aus Zorn, zog Kiba den Kopf zurück und bedachte Ino mit einem Ausdruck, der zur gleichen Zeit überrascht, als auch abschätzend war. „Mi-au. Das Kätzchen hat Krallen.“ Er vollführte eine spöttische Gentleman Verbeugung, die jedoch von seinem Piratengrinsen besudelt wurde. „Bitte komm doch auf dem Spielplatz vorbei, Prinzessin. Du könntest einen Meisterkurs darüber leiten, wie man an jemandes Hintern kaut. Dafür würde ich auf jeden Fall vorbei kommen.“ Langsam beugte er sich näher; angezogen von dem temperamentvollen Aufflammen in ihren Augen. „Scheiße, ich würde vorbei kommen, nur um zusehen zu können, wie du dir diese hübschen Klauen abbrichst, während du versuchst, mich durchzukauen und anschließend aus deinen Zähnen zu pulen.“   Inos Stirnrunzeln verkrampfte sich, aber sie hielt ihre Stellung. „Schmeichel dir nicht selbst, Kiba“, fauchte sie mit weiß aufblitzenden Zähnen. „Außerdem würde ich dich eher ausspucken, als durchkauen.“   Er schmunzelte sie nur an und Schalk funkelte in seinen animalischen Augen. „Jäh, dachte mir schon, dass du die Nase rümpfen würdest.“ Er drehte den Pappbecher zwischen ihnen, bevor er kurz davor inne hielt, ihre Nase damit zu berühren. „Und hey, lass uns doch ehrlich sein. Gemessen an deinem raffinierten und delikaten Gaumen glaube ich nicht, dass du etwas so Rohes wie mich überhaupt verdauen könntest.“   Inos Blick wurde arktisch.    Shikamaru und Chōji zuckten gleichzeitig zusammen und warteten auf die imminente Explosion.    Doch sie kam nie.    Mit dem Fauchen einer Wildkatze wirbelte Ino auf dem Absatz herum. „Shikamaru, kommst du jetzt, oder was?!“, keifte sie mit so lauter Stimme, dass sie von den Wänden abprallte und ihr finstere Blicke einbrachte, während ihr eine Frau auf der Schwesternstation ein knappes ‚Psst‘ zu zischte.    Kiba sah ihr nach und seine offenen Lippen verzogen sich zu einem halben Schmunzeln, während seine Zungenspitze über einen scharfen Fangzahn strich. Ein spekulatives Glimmen funkelte in seinen schmalen Iriden. „Tz. Sie ist echt anstrengend.“   Shikamaru hob eine Braue und wechselte einen Blick mit Chōji.    Doch Chōji zerbrach nur einen Kartoffelchip zwischen den Zähnen und zuckte in routiniertem Pazifismus mit den Achseln. Gute Entscheidung. Jetzt war auch wirklich nicht die Zeit, um über diesen farbenfrohen Streifen im Yamanaka-Zauberwürfel zu grübeln. Oder über Kibas plötzliches Interesse oder Involvierung zu rätseln.    Ugh. Alphamännchen-Modus erforderlich…   Dafür hatte Shikamaru im Moment einfach nicht die Energie. War es denn überhaupt seine Angelegenheit? Langsam schob er den Kaffee unter seinen Sitz und stemmte sich auf die Füße, bevor er so tat, als würde er Kiba auf den Rücken klopfen und gleichzeitig eine Diätlimo direkt unter der zuckenden Nase des Inuzuka wegstahl.    Kiba machte einen leichten Satz, als seine Aufmerksamkeit ruckartig umgelenkt wurde. Rasch drückte er sich seinen Vorrat an die Brust. „Hey!“   „Als würde man einem Kleinkind Süßigkeiten wegnehmen“, sagte der Schattenninja gedehnt und duckte sich unter dem Pappbecher hinweg, den Kiba nach seinen Schädel geworfen hatte. „Du solltest heim gehen, Chōji“, schlug er vor, als er sich in Bewegung setzte, um Ino zu folgen.    „Ich werde noch auf Ino warten.“   „Deine Entscheidung.“   „He!“, bellte Kiba hinter ihm her. „Komm ja nicht jammernd angerannt, wenn du nichts mehr zum quarzen hast, Nara!“   Schmunzelnd hob Shikamaru in einem rückwärtigen Winken die Hand und verlängerte seine Schritte, um zu Ino aufzuholen. Sie war einfach so voraus marschiert und das Klacken ihrer Absätze hallte von dem harten polierten Boden wider. Ihr Zopf peitschte vor und zurück wie der zornige Schwung eines Katzenschwanzes. Energisch stieß sie eine Schwingtür auf, wirbelte herum und wartete auf Shikamaru.    Der Nara schlenderte hindurch und entschied sich, das gesamte Kiba-Drama zu umschiffen. „Willst du mir nicht noch ein besseres Update zu Neji geben?“   Beiläufig, ruhig, entspannt. Ein riesiger Haufen Scheiße. Auch wenn Ino ihm sofort gesagt hätte, wenn wirklich etwas im Argen liegen würde, war der Gedanke an einen Neji, der Bleichmittel trank und Topfpflanzen den Garaus machte, nicht direkt eine ermutigende Prognose in Bezug auf den mentalen Zustand des Hyūga.    „Klar.“ Inos düstere Stimmung hob sich ein wenig und sie summte nachdenklich. „Wir haben ihn gereinigt, sein Respirationssystem untersucht-“   Shikamarus Schritte gerieten zusammen mit seinem Herz ins Taumeln. „Was?“ „Ganz ruhig, Shikamaru. Neji ist bei guter Gesundheit. Ich denke, das Schlimmste, was zu erwarten ist, nachdem die Opiate abgeklungen sind, wird eine heftige Übelkeit sein. Obwohl…“ Sie warf ihm einen ernsten Blick zu, der durch das Wissen ihrer medizinischen Ausbildung nur noch verstärkt wurde. „Es war gut, dass du ihn so schnell hierher gebracht hast. Wenn man ihn nicht direkt von dem Zeug gesäubert hätte, wäre es vermutlich eine ganz andere Sache gewesen.“   Shikamaru seufzte durch die Nase und wollte sich diesen Ausgang ihrer Aktion nicht einmal vorstellen…er konnte viel zu viele Schatten der Vergangenheit spüren, die näher krochen; freudig darauf, sein Hirn mit allen möglichen Szenarien zu konfrontieren. Wie gut, dass Ino dagewesen war, um zu übernehmen. Die botanische Expertise des Yamanaka Clans war von unschätzbarem Wert. Die Verwendungszwecke gingen dabei auch weit über Handel von Blumen und Lebensmitteln hinaus. Ihr Beitrag kombiniert mit den Fortschritten der Nara bei pharmazeutischen Studien hielt Konoha stets auf dem neuesten Stand medizinischer Forschung und Chakrasteigerung.   Hn. Zumindest haben wir gewisse Regeln und Grenzen. Nicht so wie wer auch immer in Kusagakure mit diesen Bestien Gott spielt.    Sein Vater hatte überhaupt nichts über Chimären-Hybriden erwähnt. Aber auf der anderen Seite war der Nara Clan auch strikt gegen Tierversuche. Doch auch ganz abgesehen von den Beiträgen seines Vaters, hatte Shikamaru auch allen Sitzungen beigewohnt, bei denen über die Chūnin Prüfungen diskutiert worden war. Und obwohl er ein Aufseher war, hatte er keinerlei Erwähnung über die Einführung neuer Spezies mit zusätzlicher Chakraverstärkung gehört. Kein Wispern, keine Gerüchte, die sich durch die Reihen der Proktoren zogen. Außerdem hätte es ihm Genma als sein aufsichtsführender Jōnin gesagt.   Komisch…   Sofort schaltete Shikamarus Verstand auf die Beschreibung der aktuellen Mission um.    ‚Unser Ziel ist es, herauszufinden, ob Kusagakure in den illegalen Handel durch Chakra gestärkter Versuchsexemplare verwickelt ist.‘   Versuchsexemplare…   Das Wort rollte kalt wie ein Frösteln seine Wirbelsäule hinunter. In seinem Verstand nahm eine unheimliche Vorahnung Gestalt an; Vorhersagen über das, womit sie es vielleicht zu tun haben würden, wenn man an die Monster dachte, gegen die sie im Wald gekämpft hatten.    Viel zu früh, um irgendwelche Vermutungen anzustellen.   Aber es schadete auch nicht, über die Möglichkeiten nachzudenken. Vorbereitung und präventive Strategien waren nunmal sein Part im Spielplan. Und genau das war der Punkt. Er war noch immer im Spiel. Während des Kampfes hatte er es geschafft, den Kopf zu behalten; er hatte sogar schon begonnen, alles zu katalogisieren, was er über diese Viecher analysiert hatte, mit denen sie es zu tun gehabt hatten.    Gut. Jeder noch so kleine Vorteil ist besser, als vollkommen ahnungslos aufzubrechen. Das letzte, was ich brauche ist, überrumpelt zu werden…   Oder von irgendeiner schreckhaften Reaktion und diesem seltsamen Aufblitzen, das an den abgesperrten Grenzen seines Geistes schwebte, verraten zu werden.   Ich weiß, dass du da bist…was auch immer du bist…aber du wirst nicht näher kommen.   Wenn er seine Emotionen hatte begraben können, als er sich den Mördern seines Senseis gestellt hatte, dann könnte er sich verdammt nochmal auch lange genug zusammenreißen, um die nächste Mission abzuschließen.    Denn ich werde nicht noch jemanden verlieren…   Und am direkten Ende dieses Gedankens wurde Shikamarus Aufmerksamkeit von etwas Flatterndem an seiner peripheren Sicht eingefangen. Als er langsam den Kopf drehte, wurde ihm klar, dass es Inos Hand war, die hektisch herum fuchtelte und darauf schließen ließ, dass sie gerade leidenschaftlich über etwas schimpfte. Rasch konzentrierte er sich wieder auf sie.    „-Arzt war so ein Esel. Also habe ich ihm erklärt, dass sich diese Blume durch die chemischen Opiate in ihrem Harz verteidigen. Natürlich haben wir es hier mit Hybriden zu tun. Wusstest du, dass-“   Shikamaru räusperte sich. „Ino.“   „Oh, sorry!“ Sie wischte ihren Kommentar beiseite. „Ja. Also, wie auch immer, Neji wird schon wieder. Wie ich gesagt habe, vielleicht wird ihm später schlecht, aber das Schlimmste hat er hinter sich.“   „Das Schlimmste…?“   „Ja, den ‚Lass ihn uns schnell ans Bett binden und ausknocken, sodass er sich nicht selbst verletzt‘ Part.“   Shikamaru zuckte zusammen.    Leicht berührte Ino ihn an der Schulter. „Hey, er ist okay; wirklich. Er hat einfach nur viel energischer reagiert, als wir es von jemandem erwartet hätten, der unter dem Einfluss solch schwerer Opiate steht. Obwohl die Kurzzeitwirkungen oft so aussehen, dass die Leute vom Alarmzustand zu Schläfrigkeit wechseln. Aber in Nejis Fall sind die Stresshormone quasi durch die Decke gegangen. Wir mussten ihn irgendwie bändigen.“   Allein der Gedanke daran verdrehte Shikamarus Magen, da er nur zu gut wusste, wie sich Neji dabei fühlte, unten gehalten zu werden. „Er hat sich gewehrt?“   Ino warf ihren Kopf mit einem kurzen Lachen in den Nacken. „Oh und wie er sich gewehrt hat. Ich musste in seinen Kopf springen und ihn bewegungsunfähig machen. Bin aber schnell wieder raus.“ Sie schnitt eine Grimasse und tippte sich an die Schläfe. „Ich hasse es, das zu machen. Ein stabiler Verstand ist ja schon schlimm genug, aber ein zugedrogter? Ugh. Da drin ging ein Hurrikan ab.“   Shikamaru konnte sich das nur vorstellen. Stirnrunzelnd rollte er mit den Schultern und versuchte die Spannung abzuschüttelnd, die sich langsam festsetzte. „Muss er hier bleiben?“   „Naja, in ein paar Stunden kann er wahrscheinlich gehen; vorausgesetzt er hat jemanden, der bei ihm bleibt, bis das Opiat seinen Körper verlassen hat. Entweder das oder sie werden ihn ans Bett schnallen und über Nacht hier behalten.“   Auf keinen Fall!   Besonders nicht, wenn das bedeutete, dass er ein Krankenbett gefesselt und überwacht wurde wie irgendein Versuchsexemplar. Aber auf der anderen Seite wäre es auch nicht sicher, wenn Neji nach Hause ging. Nur Kami wusste, was zur Hölle er in diesem Zustand vielleicht zu Hyūga Hiashi sagen würde; ganz zu schweigen davon, was er zu den Ältesten sagen würde.    Seufzend rieb sich Shikamaru über den Mund. „Wie lange muss er unter Beobachtung bleiben?“   „So lange, bis er wieder in Form ist, schätze ich.“   „Wie lange wird das dauern?“   Ino verzog das Gesicht. „Schwer zu sagen, Shikamaru, jeder reagiert anders. Und noch dazu dieses ganze Pflanzen-Hybriden-Ding? Wer weiß das schon? Man sollte ihn über Nacht hier behalten. Ist sicherer für jeden. Ich meine, wer wird schon die ganze Nacht damit verbringen, auf ihn-“   „Ich.“   Abrupt blieb Ino stehen und hob die Brauen. „Was?“   „Wäre nicht das erste Mal“, sagte Shikamaru und lief einfach weiter den Gang entlang, als wüsste er, wohin zur Hölle er ging. Aufmerksam sah er sich nach irgendwelchen Schildern um.    Rasch schloss Ino zu ihm auf, berührte ihn am Ellbogen und führte ihn nach rechts. „Aber wo willst du ihn denn hinbringen?“   Gute Frage. Abgelenkt schüttelte er den Kopf. „Zu mir, in ein Hotel, ich weiß noch nicht…ich werd mir was einfallen lassen.“   „Okay. Aber mach dich auf einiges an…naja, wie soll ich es sagen…wahlloses Zeug gefasst.“ Schnaubend biss sie ein Giggeln zurück. „Ich glaube, ich habe Neji noch nie so viel reden hören. War surreal und irgendwie süß.“   „Süß?“ Shikamarus Mund formte das Wort mit Belustigung und er trat zur Seite, als zwei Krankenschwestern und ein kleiner, wie ein Insekt aussehender Mann mit einem schilfartigen weißen Pferdeschwanz und dem Gesicht einer Mantis zielstrebig vorbei trotteten. Der Mann schien für den Bruchteil einer Sekunde zu zögern und warf Shikamaru einen flüchtigen Seitenblick zu; dann lief er weiter.    Der Nara blinzelte, dachte sich aber nichts weiter dabei.    Sie liefen einen weiteren Korridor entlang und Shikamaru sah ein Schild über der nächsten Tür hängen: AUFWACHRAUM. Während sie sich näherten, schob er die Hände in die Taschen seiner Hose und verspürte ein plötzliches Stechen von Schuldbewusstsein, weil er vorhin Inos Blumen-Tirade unterbrochen hatte; rasch suchte er nach etwas, das er sagen könnte. Und er musste auch gar nicht lange nachdenken.    Ugh. Mach einfach. Wie ein Pflaster. Schnell. Schmerzlos…   „Also“, begann er, während er ununterbrochen Pflaster, Pflaster dachte. „Was ist da los mit dir und Kiba?“   Ino blieb stehen.    Stille. Langsame und qualvolle Stille.    Pflaster am Arsch.   Und gerade als er dachte, sich in ihre persönlichen Angelegenheiten einzumischen, würde ihm einen Schädelbasisbruch einbringen, ging ein Ruck durch Ino wie bei einem aufgeschreckten Pferd und sie marschierte einfach weiter.    Verdutzt musste Shikamaru ein paar Schritte joggen, um wieder zu ihr aufzuholen. „Ino“, rief er und sein sanfter Ton ließ sie etwas langsamer werden. Er kam an ihre Seite und spähte stirnrunzelnd zu ihr. „Hat er irgendwas angestellt, das dich ärgert?“   Ino schwang ihren Kopf herum und schnaubte wie eine stolze Stute. Goldene Strähnen flatterten wieder nach unten und schirmten ihre Miene wie ein Vorhang ab, bevor sie eine verwirrende Antwort aus „Nein. Doch. Nein. Naja…nicht direkt“ murmelte.    Shikamarus Brauen hoben sich.   Seufzend nahm Ino die Limo entgegen, die er ihr reichte und öffnete die Blechöffnung mit einem Knacken und Zischen. „Du erinnerst dich an unsere gemeinsame Geburtstagsfeier im Hotaru?“   Schlagartig wünschte er sich, es wäre anders. „Ja“, sagte er aber langsam und vorsichtig.    Zögernd nahm sie einen Schluck und zog wegen des Sprudels die Nase kraus. „Naja, du weißt ja auch, dass ich betrunken war.“   „Jo, daran erinnere ich mich.“   „Und dass ich…irgendwie getanzt habe…“   Jo, direkt über meine Füße…   Und dann den Gang hinunter und direkt über…   Kiba…   Shikamaru blinzelte weitäugig. „Oh.“ OH. Richtig. Peinlich.   Ino stieß ein nervöses lachen aus, das voller Grübelei zu sein schien, während sie sich die Aluminiumdose gegen eine gerötete Wange drückte. „Weißt du was? Ist nicht wichtig. Und irgendwie auch peinlich. Vergiss es.“   Schweigend musterte er sie mit ausdruckslosem Gesicht, als er darüber nachdachte, ob er bei dieser Sache weiter bohren sollte. Bei Ino war das immer ein Glücksspiel. Manchmal wusste sie diesen Einsatz zu schätzen und manchmal war sie darüber – gelinde gesagt – brüskiert. Und gerade hatte er angefangen, das Für und Wider gegeneinander abzuwägen, als sie stehen blieb und sich ihm zuwandte.    „Aber danke, dass du gefragt hast“, sagte sie leise, als sie ihre Hüfte gegen die Schwingtür einknickte und sie damit aufschob. Doch diesmal folgte sie ihm nicht hinein.    Hinter der Schwelle hielt Shikamaru inne und sah über die Schulter.    Ino lächelte und deutete eine Reihe Tragen und Betten entlang, um auf den Trennvorhang hinzuweisen, der am Ende des dämmrig beleuchteten Raumes nahe am Fenster nach vorn gezogen war. „Bist du dir sicher, dass du ihn hier raus holen willst? Du musst das nicht machen.“   „Ich habe ihn überhaupt erst in diese Scheiße mit rein gezogen.“ Das war genug Erklärung.    Ino nickte und wandte sich um. „Ich werde dafür sorgen, dass man ihn deiner Obhut überlässt.“   „Hey, Ino?“ Shikamarus Stimme ließ sie pausieren. „Danke, dass du gekommen bist. Ich weiß das echt zu schätzen; von dieser dämlichen Dauerwelle mal abgesehen.“ Rasch hob er eine Hand, damit sie ihn nicht abweisen konnte. „Ich mein’s ernst; wir wären ohne dich ziemlich am Arsch gewesen.“   Blaue Augen weiteten sich, bevor sie hektisch zur Seite zuckten. „Oh, ja, klar.“ Mit einem weiteren Wedeln des Handgelenks wischte sie den Dank beiseite. „Ich komm euch beide dann holen, wenn der ganze Papierkram erledigt ist.“ Und dann war sie fort.    Die Tür fiel zu.      _______________ Soooo, mal zur Abwechslung ein etwas 'fröhlicheres' und lockereres Kapitel - also hoffe ich zumindest :D  Ja, der arme Shikamaru muss da ganz schön leiden, während er auf Neuigkeiten zu Neji wartet...und ja...sorry für den Cut, aber das musste irgendwie sein, keine Sorge, im nächsten Kapitel erfahren wir, wie es Neji geht, und ob er die Regenbogen Bleiche gut überstanden hat ^^ Ahja und habt ihr den Arzt erkannt, dem Shikamaru auf dem Weg zu Neji begegnet? ;) Bin gespannt, ob es jemandem aufgefallen ist.  Auf jeden Fall hoffe ich natürlich wie immer, dass euch das Kapitel gefallen hat und bedanke mich bei all meinen lieben Reviewer/innen und Leser/innen! 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