Requiem von _Scatach_ (Teil Drei der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 4: Who can ever guarantee anything? ------------------------------------------- Von Anfang an hatte Neji vermutet, dass Kiba ihn wahrscheinlich testete. Drei Besorgungsstopps und ein paar verwinkelte Gassen später war er sich dessen absolut sicher.    „Ich weiß, dass du mich fragen willst“, rief Kiba über die Schulter, während er mit dem trägen Trotten seines riesigen weißen Köters voran ritt und sich nicht einmal die Mühe machte, über die Schulter zu sehen. „Mach nur.“   „Dich fragen…?“, echote Neji flach. Bis jetzt hatte es geradezu übermäßiger Zurückhaltung bedurft, nicht zu reagieren. Doch Neji wusste, dass diese streitlustige und herausfordernde Ader Kibas Art war, um herauszufinden, wo zur Hölle sie beide jetzt eigentlich standen, da sie nicht länger versuchten, sich gegenseitig fertig zu machen.    Und trotzdem muss er es probieren…   Ja, denn Kiba war noch immer ein sturer Hund, der einen zersplitterten Knochen hatte und nicht willens war, ihn trotz allen Unbehagens aufzugeben. Immer noch loyal seiner Feindseligkeit gegenüber, seinem Ego…seinen Freunden.   ‚Wenn du dich im persönlichen Bereich meiner Kumpel aufhältst, Hyūga, dann ist es nur höflich, dass ich auf Nummer sicher gehe, dass du ihre Hände schüttelst, statt deine Sanfte Faust an ihren Köpfen auszuprobieren, kapiert?‘   Es war dieser letzte Punkt, auf den sich Neji konzentrierte, um sich davon abzuhalten, seine Faust in den Hinterkopf des Inuzuka zu rammen. Kiba benahm sich nicht nur aufgrund von Stolz so. Ebenso sehr achtete er seine Prinzipien.    Bleib einfach auf Kurs, argumentierte Nejis Verstand. Er wird sich zurückziehen.   Irgendwann. Genauso schnell wie er sicher gestellt hatte, dass Neji sein eigenes inneres Tier an die Kandare genommen hatte. Es war ebenso ursprünglich und grundlegend. Und jeder ursprüngliche Drang trieb Neji dazu, die Kontrolle über dieses neue Territorium übernehmen zu wollen, seinen Platz zu behaupten und Kiba hinunter auf niedere Level zu treten.    Direkt zurück auf das Level, auf dem wir beide begonnen haben.    Auf keinen Fall würde er das geschehen lassen. Wenn er jetzt das Gesicht verlor, dann würde er sich nie davon erholen. Und so sehr es seinen Stolz auf fuchste; er musste kühl und gefasst bleiben – ohne diese herablassende Art und ohne den Drang zu kontrollieren.    „Mach nur“, stichelte Kiba weiter. „Ich kann quasi den Rauch riechen, der aus deinen Ohren kommt.“   Neji biss die Zähne zusammen. Na das war mal richtige Folter. Götter, nur ein einziger Tag in einen Raum eingeschlossen zusammen mit diesem ungehobelten Rohling und Neji würde die mentalen Wände hochklettern, die Ibiki einreißen wollte.    „Du wirst dich danach besser fühlen“, flötete Kiba.    Neji hielt seine Zunge im Zaum – und bewahrte die Ruhe.    Zwei weitere Sekunden des Schweigens später richtete sich Kiba etwas weiter auf, ließ den Kopf nach hinten kippen und breitete die Arme aus, um ein unsichtbares Publikum anzusprechen, als wäre er ein König, der sich durch seine Untertanen bewegte. „Kiba-san!“, verkündete er und versuchte, seinem gedehnten Sprechen einen feineren Tonfall zu verschaffen. „Du mit deinen überlegenen Fährtenlesefähigkeiten und deiner unvergleichlichen Brillanz, bitte schön sage mir -!“ Er brach ab, schielte ach so langsam über die Schulter und wisperte: „Sind. Wir. Endlich. Da?“   Es brauchte jede einzelne hart erarbeitet Unze der Zurückhaltung, um diesen Bastard nicht zu erdrosseln.    Neji blinzelte gelassen. „Ich habe noch nie in meinem Leben den Ausdruck bitte schön verwendet.“   Kibas Mund bog sich nach oben, während seine Brauen nach unten sackten, als er zwischen einem finsteren Blick und einem Schmunzeln hin und her gerissen schien. Letztendlich entschied er sich für ein schiefes Grinsen. „Verdammt. Mehr hab ich nicht zu bieten.“   Oh den GÖTTERN sei Dank.   Und dann hielt Akamaru vor einem grell bunt bemalten Kissaten.   Neji seufzte innerlich und machte sich auf eine weitere Verzögerung gefasst. Er hielt hinter dem Hundeduo inne und spähte zu dem Lokal, um seinen Blick über ein paar zerbrochene Ziegel und verblasste Farbe wandern zu lassen. Ein Hauch von Pastellfarben, die einst in strahlenden Regenbogenfarben geschimmert hatten. Und dann trafen Nejis Augen auf die fette gekrakelte Schrift, die die Spitze des Kaffeehauses krönte.    „Niji…“, sagte er flach und warf dem Inuzuka einen Seitenblick zu. „Soll das irgendwie grobhumoristisch sein?“   Kiba ächzte und musterte ihn mit schlitzäugiger Abneigung. „Und du beschwerst dich über bitte schön? Mann, prügeln sie dir diesen Mist eigentlich mit deinem Stock ein? Hinata redet überhaupt nicht so.“   Mit verkrampftem Kiefer schob Neji seine Hände in die Ärmel seiner Robe und sein Nasenrücken zog sich kurz kraus, bevor er seine Gesichtszüge glättete. „Noch eine Besorgung zu erledigen, Inuzuka?“   Doch Kiba schenkte ihm keinerlei Beachtung, kraulte mit den Fingern Akamarus dichtes Nackenfell und drückte seinen Kopf spielerisch gegen den des Hundes, bis er bemerkte, dass Neji ihn anfunkelte. „Was denn?“, knurrte er und wedelte mit der Hand in Richtung des Kissaten. „Sie ist da drin.“   Neji zögerte und seine blassen Augen verengten sich argwöhnisch.    Kurz blinzelte Kiba ihn an und verbeugte sich dann spöttisch, wobei er einen Arm nach außen schwingen ließ. „Ihr seid angekommen, Eure Hoheit. Meine Arbeit ist getan.“   Was bedeutete, dass es keine Möglichkeit gab, diese regenbogenfarbige Scheußlichkeit nicht zu betreten. Nejis Schultern verkrampften sich und seine Finger gruben sich in seine Unterarme, als er das Lokal noch einmal musterte. „Ino ist da drin“, wiederholte er, da er es einfach klarstellen musste…oder vielleicht sogar verleugnen.    „Das sagt mir auf jeden Fall meine Nase.“   „Wenn sich das als irgendein kindischer Scherz entpuppt, Inuzuka.“   Kiba lachte laut auf; ein heiseres Bellen, das sofort dafür sorgte, dass sich Nejis Miene anspannte. „Mann, Shikamaru war echt ein gottverdammter Heiliger. Wie hat er dich auf dieser Mission nur aushalten können?“ Als sich Neji langsam und warnend umdrehte, hob Kiba rasch die Hände. „Hey, ich mein’s ernst. Sie ist da drin.“   Und aus irgendeinem unerfindlichen Grund, von dem es Neji nicht wagen würde, ihn ‚eine Ahnung‘ zu nennen, wusste er, dass der Hundeninja die Wahrheit sagte. Doch um seines Stolzes willen, den er an dieser regenbogenfarbenen Türschwelle opfern müsste, fragte er: „Wie hast du sie so schnell gefunden? Also natürlich ungeachtet deiner Besorgungen.“   Kiba rollte die Augen über ‚ungeachtet‘ und fixierte seinen Blick dann auf irgendeinen distanzierten Punkt weiter die Straße hinunter, als seine Hände in Akamarus Felle inne hielte. „Ich hab es dir schon gesagt. Es ist meine überlegene und  unvergleichliche Brillanz.“   Neji öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber sofort wieder, als er bemerkte, dass die Farbe der Tattoos auf Kibas Gesicht an Tiefe zugenommen hatte. Der Hyūga blinzelte für einen Moment perplex, bis er bemerkte, dass der Hundeninja…   Errötet?   Unmöglich. Das würde auf Verlegenheit hindeuten, wozu Kiba überhaupt nicht fähig war – vor allem dann nicht, wenn es um seine Talente ging.    Was bedeutet…   Nejis Brauen wanderten nach oben, bevor er seine Reaktion kontrollieren konnte.    Und Kiba bemerkte diesen Ausdruck sofort aus dem Augenwinkel; seine Miene wurde düster. „Warum zur Hölle glotzt du mich so an?“   Ah, diese offene Einladung war einfach zu verlockend. Neji gab sich alle Mühe, seine Kiefer verschlossen zu halten, aber die Worte drängten sich nach oben und an seinen Lippen vorbei. „Du…hast einen ziemlichen soliden Griff an Inos Geruch.“   Kiba schnaubte, doch seine Knie spannten sich um Akamaru herum an. „Ich habe einen soliden Griff am Geruch von jedem.“ Er lehnte sich etwas auf seinem Hundekissen zurück und machte Anstalten, die Arme zu verschränken, nur um es dann doch zu lassen und stattdessen die Hände auf den Schenkeln abzulegen, um dort fahrig auf und ab zu reiben. „Was denn, gehst du jetzt rein oder nicht?“   Interessant.   Neji machte sich eine rasche mentale Notiz über diese Reaktion und neigte leicht den Kopf, was in etwa so viel Dank war, wie er geben würde, bevor er sich umwandte, um sich dem Unvermeidlichen zu stellen.    Er betrat das Kissaten.   Es kam ihm vor wie etwas aus einem Kindermärchen, das direkt der aquarellhaften Qualität eines Bilderbuches entnommen worden war; Fusama Paneele waren angemalt, um die Illusion eines endlosen Himmels zu erschaffen und ließen das Niji erscheinen, als wäre es ein schwebendes Café in den Wolken. Ohne es überhaupt zu realisieren fragte sich Neji, ob Shikamaru wohl von diesem Ort wusste…und ob er jemals auch nur einen Fuß hier hinein gesetzt hatte.    Eher unwahrscheinlich.   Der Nara würde nur einen einzigen Blick auf die psychedelische Außenfassade werfen und schlagartig auf dem Absatz kehrt machen. Obwohl; das starke Aroma von Kaffee wäre vielleicht genug, um ihn innehalten zu lassen. Es ließ Neji auf jeden Fall die Nase rümpfen.    Er sah sich um. In Anbetracht der Uhrzeit befand sich nur eine Handvoll Gäste in dem Lokal und ein paar von ihnen warfen ihm neugierige Blicke zu, als er sich gemessenen Schrittes auf einen niedrigen Tisch am anderen Ende zubewegte und den Blick auf die blonde Gestalt fixiert hielt, die sich in einem plüschigen Ledersessel eingekringelt und ihre Hände um einen dampfenden Becher gekrümmt hatte.    Während er die Distanz schloss, versuchte Neji, Inos Stimmung einzuschätzen. Abgesehen von der generellen Aura tiefer Grübelei war es schwer, irgendetwas mehr ablesen zu können, da ihre langen Strähnen die Hälfte ihres Gesichtes abschirmten. Soweit er es beurteilen konnte, hatte sie ihren Blick auf ihr Getränk gerichtet; das Kinn nach unten geneigt und die Ellbogen nah an sich gezogen.    Sie versucht, sich klein zu machen…   Ein Verhalten, das äußerst ungewöhnlich war – zumindest beurteilte er das so anhand des wenigen, das er wirklich über sie wusste. Neben dem Tisch blieb er stehen und wartete darauf, dass sie ihn bemerkte; leise sprach er ihren Namen, als das nicht passierte.    Ino zuckte zusammen und der Kaffee schwappte heftig, als sich ihre Finger um die Tasse verkrampften. Flüchtig ließ sie ihren Blick nach oben zucken und zeigte dabei ein wässriges aquablaues Auge. „Neji…“, krächzte sie.    Nejis Absatz rutschte ein wenig nach hinten. „Bitte vergib mir die Störung“, sagte er leise, da er einen schlecht getimten Moment sehr wohl erkannte, wenn er ihn sah.    Mit leerem Blick starrte Ino ihn für ein paar Herzschläge an und stieß dann ein nervöses kleines Lachen aus, bevor er sich zurückziehen konnte. „Oh! Nein. Nein, ist schon gut.“ Fest zog sie die Beine unter sich und rutschte auf ihrem Platz herum, um sich etwas fort zu lehnen. „Was gibt’s?“   Nejis Brauen ruckten leicht. Bedacht wog er ab, ob es klug war, seine Sache weiterzuverfolgen. Er hätte sich höflich entschuldigen und gehen können, aber das würde Ino nur in Verlegenheit und ihn wieder dorthin bringen, wo er angefangen hatten – draußen bei Kiba.    Das ist keine Option.   Am besten machte er mit Vorsicht weiter. Er ließ sich auf dem Stuhl neben ihr nieder, sodass er es vermeiden konnte, sie direkt anzusehen, was Ino wiederum eine Art subtiler Privatsphäre gab, um sich sammeln zu können. Sie rollte sich noch fester in ihrem Sessel zusammen und zog ihren Becher so nah an sich heran, dass der Dampf über ihren Hals geisterte und einen leichten Glanz auf ihre Haut warf.   Um einer unangenehmen Stille zu entgehen kam Neji direkt auf den Punkt. „Ich bin in meinem Training auf ein Problem gestoßen“, begann er. „Ich hatte gehofft, du könntest mich dabei vielleicht unterstützen.“   Ino lehnte ihre Lippen gegen die Tasse, nippte daran und verzog das Gesicht, bevor sie sich vorbeugte, um Sahne hinein zu kippen. „Wow. Hyūga Neji kommt zu mir für Hilfe?“, neckte sie, aber es klang erzwungen. „Sollte ich mich geschmeichelt fühlen oder ausflippen?“   Aufmerksam beobachtete Neji ihre Bewegungen und bemerkte, wie sich ihre Finger mit der simplen Aufgabe schwer taten, einfach nur das Zuckerbeutelchen aufzureißen. „Aufgrund deiner Erfahrung und deinem Talent für Kontrolle über den Geist, kann ich mir niemanden vorstellen, der besser dazu geeignet wäre, mir zu helfen.“   Ino nahm einen weiteren kleinen Schluck ihres Kaffees und summte. „Das ist komisch. Ich hätte schwören können, dass du bereits ziemlich gut in diesem ganzen ‚ruhiger Geist‘ Zeug bist.“   „Ein ruhiger Geist hat einem Genjutsu aber nichts entgegenzusetzen.“   „Genjutsu, huh?“ Erneut rollte sich Ino zu einem Ball zusammen. „Bin mir nicht sicher, ob das wirklich mein Fachgebiet ist.“   „Ganz im Gegenteil; meinem Verständnis nach helfen die Yamanaka-Lehren dabei, einen Widerstand gegen Genjutsu zu errichten.“   „Nun, ja. Aber es ist nicht wirklich eine Defensive. Eher eine Ab- oder Umlenkung.“   „Manchmal ist eine Ablenkung alles, was man braucht.“ Er sah zur Seite weg. „Auf jeden Fall wäre ich für jede Hilfe dankbar, die du mir geben kannst. Ich habe niemanden sonst, an den ich mich in Bezug auf diese Sache wenden könnte.“   Ino dachte über die Bitte nach und stierte in ihren Kaffee. „Ja, ich schätze mal, ein ernster Geisteszustand ist nichts, wobei dir Gai-sensei wirklich helfen könnte, huh?“ Ein fragiles Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, aber der dünn verschleierte Schmerz in ihrer Stimme warf einen dunklen Schatten über ihren Humor. „Ich habe immer gedacht, unser Sensei würde uns alles beibringen, was wir wissen müssen und jeden Schritt des Weges an unserer Seite sein, um sicher zu gehen, dass wir es nicht vermasseln.“ Ihre Nägel kratzten über die Keramik. „Dämlich, huh? Sie zu Übermenschen zu machen.“   Keiner von ihnen sprach in die Stille, die folgte. Da war nur das Klacken von Keramik, das gelegentliche Kratzen eines Löffels auf einem Teller, raschelndes Papier, ein leises Räuspern, das sanfte Summen gedämpfter Unterhaltungen und von irgendwoher das entzückte Glucksen eines Kindes.    Ino versteifte sich in ihrem Sessel.    Und Nejis Augen wurden weich, als er sie musterte; eine schwache Falte grub sich zwischen seine Brauen. Es gab einfach keine Worte, um überhaupt anzufangen auszudrücken…ja…was auszudrücken? Mitgefühl? Verständnis?   Nutzlos…   Ebenso nutzlos, wie er sich im Moment fühlte, so vollkommen schlecht ausgerüstet, um mit dieser Situation umgehen zu können. Er wurde wieder einmal daran erinnert, warum er penibel darauf geachtet hatte, seit dem Begräbnis Abstand zu Team 10 und jedem zu halten, der sich in ihrem Umfeld aufhielt. Götter, er war so erpicht darauf gewesen, diese Situation zu vermeiden, dass er sich keine drei Stunden, nachdem er zugesehen hatte, wie Kurenai diese Blumen auf Asumas Grab gelegt hatte, schon wieder auf einer Mission befunden hatte. Er hatte geglaubt, das sofortiges Handeln der richtige Weg war.    Der richtige Weg? Oder der des geringsten Widerstandes?   Schuldgefühle sägten sich durch ihn; ebenso hässlich und roh und wie das Gefühl der Erleichterung, das er verspürt hatte, als Shikamaru nicht bei Asumas Gedenkstätte aufgetaucht war. Damals hatte es ihn zutiefst schockiert; die Wucht dieser Empfindung…und jetzt, als er seinen Blick über Ino wandern ließ, wurde ihm erst so richtig bewusst, warum es ihn so hart getroffen hatte.    Denn wenn ich ihn so gesehen hätte…   Der Gedanke war so unerträglich, dass er es nicht aushielt, ihm weiter nachzugehen. Zitternd schloss er die Lider und versuchte energisch, das Bild davon abzuhalten, sich in seinem Verstand festzusetzen. Es bebte vor seinem inneren Auge; Schatten und Blut auf Wasser. Tiefes, tiefes Wasser. Leise atmete er ein, um nicht unterzugehen. Er vertraute nicht darauf, dass er fähig sein würde, sich über Wasser zu halten, sich an den Plan zu halten…sich fern zu halten.    Ich schulde dir soviel…   Und so viel mehr.   Er hörte, wie Ino versuchte, ihre Traurigkeit zu ersticken; ein nasses Rasseln in ihrer Kehle. Bei dem Klang glitten seine Lider auf und plötzlich kamen auch die Worte. „Ich habe einmal einen ganzen Tag damit verbracht, Asuma-senpai durch das Dorf zu jagen.“   Inos Atem geriet heftig ins Stocken. Ohne zu atmen senkte sie die Tasse in ihren Schoß.    Neji lehnte sich bei der Erinnerung leicht zurück und stützte seine Ellbogen gegen das abgenutzte Leder, bevor er seine Fingerspitzen in einer nach unten zeigenden Raute aneinander legte und seine Daumen gegeneinander tippte. „Es war während dieses Nahkampf-Turniers, das Tsunade abgehalten hat. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst-“   „Ich erinnere mich“, wisperte Ino.   „Jōnin gegen Genin“, fuhr Neji fort, während er den Kopf auf die Seite legte und sich seine blassen Augen bewölkten, als er die Vergangenheit in den Fokus brachte. Der Wettkampf hatte verlangt, dass Teilnehmer mit dem Ziel gegeneinander antraten, rote und blaue Kristalle zu sammeln, wobei die roten einen höheren Punktwert hatten. Natürlich hatten die Jōnin die roten Kristalle erhalten. „Als ich Asuma konfrontiert habe, hat er mir sofort das Versteck seines Kristalls verraten, weil er keine Lust darauf hatte, mit mir zu kämpfen.“   Ein leises, bebendes Lachen und Ino schüttelte den Kopf. „Das sieht Asuma so ähnlich…“   Und auch noch jemand anderem…   Neji presste seine Daumen aneinander, war aber nicht in der Lage, ein Lächeln zurückzuhalten. „Nun, unglücklicherweise für Asuma, war ich viel mehr daran interessiert, mein Können gegen einen Jōnin zu testen, statt den Wettbewerb zu gewinnen.“   „Oh Gott.“   „Ich bin mir sicher, dass er sich dasselbe gedacht hat.“   Ino setzte ihre Tasse auf dem Tisch ab und wandte sich ihm zu, bevor sie die Fingerspitzen in ihre Armlehnen krallte. Es lag etwas ausgesprochen Kindliches darin. „Und? Hast du es geschafft, ihn dazu zu bringen, gegen dich zu kämpfen?“   „Nicht ein einziges Mal.“   „Aber du hast weiter gemacht, huh?“   „Natürlich.“   Ino presste die Lippen aufeinander, doch ihre Belustigung blubberte geradezu in der Luft um sie herum und löste die Schwere, die sich vorhin niedergelassen hatte. „Den ganzen Tag, huh?“   Nachdenklich starrte Neji mit großen Augen auf den Tisch und verzog leicht das Gesicht. „Ich war ein sehr stures Kind.“   Ino lachte auf; ein weicher reiner Klang, der nicht rau war oder bebte.    Und so unbehaglich diese Erinnerung auch war; Neji fand ein Lächeln für sie, als er aufsah. „Ich bin mir sicher, dass er dich und deine Teamkameraden von da an als wahren Segen erachtet hat.“   „Pfft!“ Ino wischte den Kommentar beiseite, doch ihre Wangen erwärmten sich. „Davon weiß ich nichts. Er hat mich ein Großmaul, Shikamaru einen Drückeberger und Chōji einen Vielfraß genannt.“ Sie stellte einen Ellbogen auf der Armlehne ab und nestelte an dem silbernen Stecker in ihrem Ohr. „Ziemlich zutreffende Bewertung, schätze ich.“   „Er kannte euch gut.“   „Ja…“ Sie drehte den Kopf weg und ein nostalgisches schwaches Lächeln zupfte an ihren Lippen. Die Traurigkeit in ihrer Stimme war ebenso rein wie es ihr Lachen gewesen war. „Er kannte uns besser als irgendjemand sonst.“   Testament eines Bandes, das so viel Kraft enthielt…und so viel Schmerz zurückgelassen hatte. Das Konzept, eine solche Verbindung mit einem Sensei zu haben, war Neji ebenso fremd wie der plötzliche Drang, danach zu greifen und es zu verstehen. Bedächtig verschränkte er die Finger und drückte zu, bis die Knöchel weiß hervor traten. „Ich bedaure, dass ich nie die Gelegenheit hatte, als Jōnin gegen ihn zu kämpfen.“   „Männer sind so einfach gestrickt. Du hättest dich darüber gefreut, huh?“   „Ich hätte mich geehrt gefühlt“, korrigierte er.    Ino strich sich über den Hals und schluckte schwer. „Ja…“ Sie streckte eine Hand nach ihrer Tasse aus und zog sie an ihre Brust, bevor sie sich erneut wiegend zu einem Ball zusammenrollte. „Wann willst du mit dem Training anfangen?“, fragte sie.    Für einen Moment musterte er sie und wartete darauf, dass sie aufhörte, vor und zurück zu wippen. „Wann immer du bereit dazu bist“, antwortete er sanft.    „Dann lass mich das nur noch austrinken.“   „Selbstverständlich.“ Neji löste die Verschränkung seiner Finger und wollte sich erheben.    „Du musst nicht gehen“, sagte sie ziemlich plötzlich, schilfig und wispernd wie Binsen im Wind.   Und so ließ er sich wieder nach unten sinken und legte die Hände locker auf seinen Schenkeln ab. Schweigend saß er dort mit ihr, bis sie ihren Kaffee beendet hatte und zur Kasse hinüber ging, um einen weiteren, viel schwereren und dunkleren zum Mitnehmen zu bestellen und eine Tüte Kartoffelchips einzupacken.    „Könnte wetten, dass ich dafür nichtmal ein Danke bekommen werde“, murmelte sie zu sich selbst und ließ ihre Nägel auf die Theke klacken, während sie so tat, als würde sie die Karte studieren.   Neji stellte sich neben sie und sah zu, wie die Kellnerin die Bestellung in einen wolkenförmigen Karton verpackte. Seine Aufmerksamkeit war zwischen Styroporbechern, raschelnden Tüten und dem aquablauen Auge aufgeteilt, das hinter flachsfarbenen Strähnen zu ihm aufsah.    „Neji?“   Er drehte leicht den Kopf, um zu ihr hinüber zu spähen und zuzusehen, wie eine lange Locke blonden Haares in dem Atemzug zitterte, den Ino nahm, um eine Art Mut aufzubringen, bevor sie ihm teilweise das Gesicht zuwandte – gerade genug, um sehen zu können, wie eine Träne hinunter in den Bogen ihres Lächelns rann. „Danke.“   ~❃~   Ein blauweißes Leuchten erhellte die Grenzen des Trainingsareals Drei, ließ Bäume und Blattwerk erglühen und warf scharfe Schatten über seinen Weg.    Shikamaru blieb stehen.    Das stroboskopartige Flackern erstarb schneller als ein Blitz und unter seinen Füßen bebte ein tiefes Grollen durch die Erde und ließ Kieselsteine rollen. Er sah auf und seine abgeschirmten Augen fixierten sich auf das Gelände jenseits der Bäume.    Zur Hölle?   Langsam wandte er sich um und näherte sich dem Feld, wobei er angesichts der Schwere der Luft die Stirn runzelte; es war eine trübe Feuchtigkeit, die durch das heiße Brennen von Chakra verstärkt wurde. Wie ein Laken legte es sich über ihn und er zog die Schultern in einem vergeblichen Bemühen hoch, es abzuschütteln.    Ein heiserer Schrei ließ ihn innehalten.    „Komm schon! Willst du etwa so einfach aufgeben?!“   „Es ist nicht einfach! Und ich habe keinen Bock mir auf diesen blöden Ball!“   Es war die jüngere, zornigere Stimme, die Shikamarus Aufmerksamkeit über das aschfarbene Gras zog. Dorthin, wo der Trainingsplatz eher wie ein Minenfeld aussah, weil so viele Schlaglöcher in den Boden gejagt worden waren. Der größere der beiden stand wie eine einsame Flamme an diesem grauen Morgen da; ein leuchtender Spritzer aus Orange und Gelb. Er gestikulierte wild zu der kleineren Gestalt, die auch auf diese Entfernung durch einen langen blauen Schal identifiziert werden konnte, der wie eine Luftschlange auf der kalten Brise flatterte und scharf wie eine Peitsche schlug.   „Ich schaffe es nicht. Gib mir irgendwas anderes, das ich in die Luft jagen kann.“   „Das Gleiche hast du auch über den Wasserballon gesagt, bevor du es geschafft hast, ihn zerplatzen zu lassen.“   „Das ist nicht das Gleiche!“   Shikamaru hielt sich in den Schatten der Baumgrenze und schob sich weiter herum, um nahe genug heran zu kommen, um einen besseren Blick auf ihre Gesichter haben zu können und die Unterhaltung zu hören, die zwischen ihnen hin und her jagte.    Naruto stemmte die Hände in die Hüfte und wippte auf den Fersen vor und zurück. „Du wirst nicht stärker werden, wenn du immer nur jammerst.“   Konohamaru pfefferte den Gummiball so hart auf den Boden, dass er abprallte und ihn direkt ins Gesicht traf. „VERDAMMT!“   Lachend hob der Jinchūriki den Ball auf und ließ ihn in seiner Handfläche hüpfen. „Hey, ich musste da auch durch, weißt du. Es ist hart, aber du musst dein Chakra mehr verdichten.“   „Das weiß ich!“, fauchte Konohamaru hinter seinen Fingern hervor, als er mit den Händen seine blutende Nase umfasste. „Und es dauert ewig!“   „Naja, wenn du immer nur weiter jammerst!“   „Sei still!“   Naruto ließ den Ball von dem Kopf des Jungen abprallen, fing ihn mit beiden Händen auf und beugte sich wie ein Hund in einer Spielaufforderung nach vorn. „Komm schon, lass es uns nochmal versuchen!“   Konohamaru vibrierte für einige Sekunden auf der Stelle, bevor er sich umdrehte und über den Hindernisparkour der Krater davon stapfte.    Narutos Gesicht fiel nach unten; zusammen mit dem Ball. „He!“ Rasch holte er mit ein paar Sätzen zu Konohamaru auf und krallte seine Finger in den Schal des jungen Sarutobi. „Sei nicht so ein Baby.“   Konohamaru wirbelte so schnell herum, dass Naruto keine Zeit mehr hatte, den Schal loszulassen. Er wäre mit dem Gesicht voran direkt in den Dreck gefallen, wenn sich Konohamaru nicht mit einem erstickten Schrei auf ihn gestürzt und an der Hüfte gepackt hätte. Sie landeten hart auf dem Boden, wobei der Jinchūriki den Löwenanteil des Aufpralls abfederte und zwischen aufgewühlter Erde und dem Regen zorniger Fäuste eingeklemmt wurde.    Ein besonders brutaler Hieb traf Naruto quer über den Kiefer. „Nenn mich NICHT so!“   Shikamarus Kopf zuckte zurück; getroffen von der Hysterie in diesem Schrei – ebenso hart wie der Hieb, der Naruto kurzzeitig sprachlos gemacht hatte, bevor der Uzumaki die Unterarme hob, um sein Gesicht zu schützen. „He! Hör auf!“   „Zur Hölle mit dir!“, brüllte Konohamaru und die Worte erstickten in seiner Kehle. „Nenn mich NIE wieder so!“   „Würdest du einfac-“ Narutos Zähne prallten krachend aufeinander, als ein solider Schlag seinen Kopf nach hinten riss.    „Ich bin NICHT irgendein dummes Kind!“, spie Konohamaru mit wilden unfokussierten Augen aus. „Ich weiß wie es abläuft! Ich bin nicht zu jung, um es zu kapieren! Ich bin NICHT zu jung, um es zu verstehen!“   Welchen Zug auch immer Shikamaru in Betracht gezogen hatte, endete in einem einzigen Schritt. Er presste seine flache Hand gegen den nächsten Baum; die Füße wie angewurzelt, der Atem fort und mit einer ausweidenden Emotion, die sich hinter seinen Rippen nach oben drängte.    Stop…   „Stop“, keuchte Naruto, aber inzwischen wehrte er sich kaum noch und brachte gerade genug Widerstand auf, um keine Zähne zu verlieren. „Konohamaru…“   „Schau mich JETZT an, verdammt nochmal!“, brüllte Konohamaru weiter und schimpfte gegen Naruto, als wäre der Uzumaki die Verkörperung all der Vergeblichkeit, die in seine Stimme floss, in seine Worte, in seine Augen und seine Wangen hinunter. „Ich bin kein BALG mehr! Jetzt nicht!“   „Kon-“   „Jetzt nicht! Jetzt nicht! Immer ‚jetzt nicht‘, aber jetzt ist es zu spät, OJISAN!“   Shikamarus Magen rauschte ihm in die Kniekehlen.    Blitzschnell hoben sich Narutos Arme und schlangen sich so fest um Konohamaru, dass sich der Junge geschockt versteifte. „Es tut mir leid“, wisperte Naruto in einem heiseren Raunen. „Es tut mir leid.“   Schluchzend wand sich Konohamaru und kämpfte. Seine Fäuste schlugen kleine Krater in die Erde; befeuert von Emotionen, die viel machtvoller waren als das Rasengan. „WARUM?“   Naruto setzte sich auf, brachte sie in einen unbeholfenen Kniestand und ließ die Hiebe über sich ergehen, die Konohamaru auf seinen Rücken niederregnen ließ. Die Umarmung des Uzumaki war ebenso wild wie die Emotion, die seine Gesichtszüge verzerrte und seine Stimme rau machte. „Ich weiß nicht, warum…“, sagte er heiser. „Niemand weiß es…“   Weil es auch niemand wissen kann…, dachte Shikamaru und lehnte sich stützend gegen den Baum. Niemand wird es jemals können…   Und wer würde es auch wirklich wollen? Niemand konnte rechtfertigen, was geschehen war. Nichts konnte es wieder gut machen. Er sah zu, wie Konohamaru aufhörte, um sich zu schlagen, in die Umarmung zusammensackte und den Kampf verlor, etwas einem Geist zu beweisen, der nicht zugehört hatte. Nicht damals und auch jetzt nicht.    ‚Jetzt nicht.‘   Wie viele Male hatte er gehört, wie Asuma diese Worte geschnappt oder geseufzt hatte?   So viele Male.   Aber sie waren niemals an Shikamaru gerichtet gewesen.    ‚Ich höre dich.‘   Bestürzung und Schuldgefühle trafen den Schattenninja mit der Wucht eines Rammbocks. Er konnte es nicht festlegen, konnte nicht daran vorbei auf welche Antworten auch immer sehen, die auf der anderen Seite davon lagen. Langsam neigte er seine Stirn gegen die raue Rinde und schloss krampfhaft die Augen gegen den Klang von Konohamarus Schluchzern.    Asuma, du konntest so ein Mistkerl und sturer Bock sein…   Und solch ein unbeabsichtigter Held…solch ein Gewirr von Widersprüchen; so legere und abweisend, wenn es um seine Familie und seinen Clan ging…aber so engagiert und entschlossen, wenn es um sein Team ging…um Kurenai…   Um das Kind, das du niemals kennenlernen willst…   Die Mauer in Shikamarus Verstand wuchs höher, türmte sich über ihm auf, blockierte jedes Licht, ließ nur Finsternis, nur Schatten zurück…Gott, er wollte wegrennen…   ‚Denk nicht mal dran. Du weißt, dass ich dir nachjagen werde.‘   Kummer…so stark, dass diese Mauer ihn kaum halten konnte; sie bebte, zitterte, drohte zu kollabieren. Er musste wegrennen…   Ich kann nicht, Sensei…   Shikamaru schob sich von dem Baum fort…   ‚Renn nicht weg.‘   …drehte einen blinden Kreis…   ‚Ich werde nirgendwohin gehen.‘   …begann zu laufen…   ‚Ich werde dich nicht fallen lassen.‘   …seine Schritte weit und schwer…   ‚Ich werde dich damit nicht allein lassen!‘   …irgendetwas, um sich davon abzuhalten, wegzurennen…vor dem Schmerz wegzurennen…vor der Vergangenheit wegzurennen…schneller zu rennen, weiter und so weit weg…   ‚Ich werde direkt an deiner Seite sein.‘   …mit nur seinem Schatten, um ihm nachzujagen.   ~❃~   Die Jagd hatte ihn nach unten geführt – tief nach unten – direkt bis in die Bäuche des Untergeschosses des Gebäudes, wo das Dröhnen von Generatoren, das Summen von Kesseln und das Gurgeln von Rohren von dem schrillen Tropfen eines Lecks unterbrochen wurde. Wasser traf in einem beständigen Tippen auf den schimmernden Beton und sandte dabei kleine Funken in die Dunkelheit.    Ein besonders dicker Tropfen stürzte herab, traf auf Kakashis Wimpern und rann wie eine Träne von seinem Sharingan Auge nach unten.    Gott, das würde wehtun.    Krampfhaft sog er die Luft ein und riss sich das Senbon aus dem femoralen Nerv seines rechten Schenkels. Angesichts der heftigen Qual warf er den Kopf in den Nacken und stierte hinauf auf den dampfenden Unterbauch der Rohre, während sich seine Augen wegen des glühenden Schmerzes verdrehten.    Die Luft zischte wie der Dunst eines Lüftungsschachtes aus seiner Nase.    Lüftungsschächte…   Er dachte an Pakkun und war unangemessen amüsiert darüber.   Ah, aber das ist einfach viel zu vertraut.   Dumm nur, dass dieses quälende Gefühl eines Déjà Vus keinerlei Einblick in das bot, was zur Hölle sich in den nächsten paar Minuten entfesseln würde, wenn er nicht vor Genma einen Zug machen würde.    Einen Zug machen?, höhnte sein Verstand. Und wie genau hast du vor, das anzustellen, wenn ein Arm und ein Bein von dir unbrauchbar sind?   Wie eine Lockente, so viel war sicher. Er hockte in den tiefen, feuchten Schatten der Wärmespeicher und spürte, wie ihm der Schweiß von den Schläfen perlte. Verdammt, er hatte das neuralgische Trauma wirklich vergessen, das Genmas tödliche kleine Zahnstocher auslösen konnten; sein rechter Schenkel war nichts weiter als bebende Pein. Und er wusste aus kalter harter Erfahrung, dass der Schmerz noch viel schlimmer werden würde, bevor er jedes Gefühl verlieren würde.    Gefühl ist nicht das Einzige, was du verloren hast…   Denn ganz klar hatte er seinen Verstand irgendwo in den schäbigen Seitengassen eines besseren Wissens verloren. Was zur Hölle hatte er sich dabei gedacht, sich so larifari in diese Sache zu stürzen? Sein Chakra hatte sich kaum erholt und er war kaum wieder davon geheilt, dass ihm beinahe das Herz aus der Brust gerissen worden war. Er befand sich überhaupt nicht in der Lage, einfach so über Gräber zu strawanzeln, um zu versuchen, Geister zu jagen und Skelette auszugraben.    „Du bist nicht in Höchstform, Kakashi.“ Die Stimme schwebte von weiter oben zu ihm herunter und hallte die Querbalken des Gerüstes entlang, die die oberen Tanks trugen. „Neuralgie ist nur das Vorspiel. Gib auf, bevor ich wirklich ernst mache.“   Kakashi warf einen schiefen Blick nach oben; er machte sich nicht einmal die Mühe, seine Position zu verbergen, jetzt, da er ohnehin entdeckt worden war. „Und du beschuldigst mich, schmutzig zu kämpfen?“   „Hast du es noch nicht gehört?“ Direkt vor ihm ließ sich Genma geschmeidig wie eine Katze nach unten fallen. „Anschuldigungen sind gerade der letzte Schrei.“ Langsam richtete er sich auf und das Chakra, das er in seine Füße geschickt hatte, erstarb in einem blitzartigen Knistern auf dem nassen Boden.    Kakashi ging für einen Moment tief in sich und prüfte seine eigenen Reserven, während er gleichzeitig nach einem Weg suchte, den Shiranui hinzuhalten. „Für jemanden, der unter Anschuldigung steht, verteidigst du dich ja nicht besonders.“   Genma konterte mit einem ausdruckslosen Blick, der vielsagend auf Kakashis Wunden gerichtet war. „Es gibt keine Worte, sondern nur Taten. Und ich muss diese Taten vor niemandem verteidigen oder rechtfertigen außer vor der Hokage.“   Während er sich auf seiner Hand zurücklehnte, faltete Kakashi sein verletztes Bein unter sich und neigte sich schwer zur Seite, um seinen Kopf kippen zulassen, sodass er einen flüchtigen Blick verbergen konnte, den er sich von unter seinen Wimpern heraus stahl. Rascher als ein Blinzeln ließ er seine Augen über Genma wandern und sein Sharingan machte dabei eine langsame und akkurate Bestandsaufnahme der Verletzungen des anderen Ninjas.    Auch wenn er es bemerkenswert gut versteckte, verriet Genmas Körper seinen Schmerz. Kakashi entdeckte es in dem kaum wahrnehmbaren Zischen, das jeden eingesogenen Atemzug begleitete und an der Bewegungslosigkeit des Senbons zwischen den zusammengebissenen Zähnen, wenn er ausatmete. Auf seinen Lippen war immer noch Blut, das frisch schimmerte.    Vorhin hatte Kakashi einen einzigen Treffer gelandet – aber ein Treffer war alles, was er gebraucht hatte.   Er muss zu einem Sanitäter…   So wie es jetzt war, mussten sie das beide. Auf seinem Arm zerrte er sich etwas weiter nach oben, lehnte eine Schulter gegen den kalten Putz und verschleierte die nächste Bewegung seiner Hand, indem er sich ein wenig darüber krümmte.    „Tut weh wie ein elender Hurensohn, stimmt’s?“, sagte Genma, auch wenn er nicht so klang, als wäre er stolz auf diese Tatsache. Im Grunde enthielt seine Stimme nicht den geringsten Tonfall.   Kakashi warf ihm unter schlaffen Silbersträhnen einen düsteren Blick zu. „Immer wieder nett, daran erinnert zu werden.“   Achselzuckend nahm Genma das Senbon von seinen Lippen und spuckte Blut vor die Füße des Kopierninjas; ganz so, als würde er ‚wir sind quitt‘ sagen. Dann verschwand er aus Kakashis Sichtfeld – ein dumpfer Schlag und ein Rascheln und das nasse Schlurfen von Sandalen – und erschien Sekunden später mit einer schwarzen Tasche in der Hand. Er warf sie sich über die Schulter und hielt dem Hatake den Rücken zugewandt, als er begann, davon zu laufen.    „Wir sind hier fertig.“ Und dann veränderte sich seine Stimme; wurde irgendwie weicher, als er die Worte über seine Schulter schweben ließ. „Bleib unten.“   Kakashi summte gefährlich leise. „Du zuerst.“   Mitten im Schritt hielt Genma inne, hörte das Knistern und fing an, sich umzudrehen.    Zu spät.    Einen knallenden Peitschenschlag später wurde er von den Füßen gerissen. Mit einem heftigen Knacken traf er auf dem Boden auf und hatte nicht einmal Zeit, zu registrieren, wie sich die Kettenhundeleine um seinen Knöchel wickelte, bevor 60.000 Volt durch den Stahl direkt in sein Nervensystem gejagt kamen.    „RAITON!“   Ein wildes um sich Schlagen; wie ein Fisch, der an einem Haken zappelte und von einer blauweißen Flut überwältigt wurde. Kakashi hielt sich fest, fühlte, wie die Kette, die er sich um die Hand gewickelt hatte, ruckte und bebte, bis der Körper am anderen Ende zu einem lähmenden Schaudern erschlaffte. Dampf zischte vom nassen Boden aufwärts und hing wie ein Leichentuch über Genmas Gestalt. Die Luft war schwer von dem scharfen Geruch von Ozon.    Kakashi ließ die Kette fallen, kam taumelnd auf die Beine und humpelte hinüber.    Genmas Augen – eingefroren in einem offenen Starren – flatterten bei den sich nähernden Schritten und drehten sich aufwärts Kakashi zu. Seine Lippen teilten sich und eingesogene Luft rasselte in seiner Kehle.    Langsam ließ sich Kakashi neben ihm auf die Knie nieder und umklammerte dabei seinen linken Arm.   „Naja“, krächzte Genma, während sich sein Mund zu einer Kurve verzog, die mehr ein Grinsen als ein Lächeln war. „Du hast es schon immer…bevorzugt…oben zu sein…“   „Du hast Glück, dass ich die Stromstärke gedrosselt habe.“ Kakashi schob seine Finger zu Genmas bebendem Handgelenk, ignorierte den statischen Schock und überprüfte den immer noch starken Puls, bevor er den Arm wie ein Totgewicht fallen ließ. „Wie lange wird es dauern, bevor du medizinische Hilfe brauchst, was denkst du?“   Genma holte Luft, als wollte er antworten – und spuckte dann heiß und rot gegen Kakashis Wange. „Find es raus.“   Der Kopierninja machte keine Anstalten, das Blut fort zu wischen. Durch seine Wimpern musterte er aufmerksam Genmas Gesicht. „Ist es das, was du von Asuma wolltest? Es rauszufinden?“ Er lehnte sich zurück und zog das Senbon hervor, das er im Keller der Archive gefunden hatte. „Ihn mit Hinweisen zu verspotten, wenn du einfach nur hättest gehen können? Ich hätte nicht gedacht, dass du derart grausam bist.“ Plötzlich hielt er inne und der Zorn blutete aus seiner Stimme. „Oder derart zerrissen.“   „Du hast…einige Dinge…nicht durchdacht…“, keuchte Genma, als er darum kämpfte, sein benommenes Hirn zum Funktionieren zu zwingen. „Genauso wenig wie er.“   „Aber das hat dich nicht davon abgehalten, ihm einen Schubs in die richtige Richtung zu geben, nicht wahr?“   Genmas glasige Augen glitten blinzelnd über das Senbon. „Hn. Schätze, der Schuss ging etwas zu weit.“   Doch Kakashi schüttelte angesichts dieser schwächlichen Evasion nur den Kopf. „Asuma war nicht der Einzige, der sich in diesem Raum zurück gehalten hat, stimmt’s? Ich könnte deine Handlungen ja verstehen, wenn du einfach nur Spuren verwischt hättest, aber warum Brotkrumen zurücklassen, wenn du gehst?“ Er ließ das Senbon über seine Knöchel tanzen; eine dünne Nadel der Wahrheit in einem Heuhaufen aus Lügen. „Für wen hast du es getan? Für ihn? Für Shikamaru? Für dein eigenes Gewissen?“   Genmas Finger zuckten, aber das konnte auch einfach nur an dem Strom liegen, der immer noch seine Nervenenden entlang summte. Der Blick, mit dem er Kakashi bedachte, war flüchtig, aber suchend. „Er fehlt dir, nicht wahr?“   Instinkt warnte ihn, bevor es der Schmerz konnte. Reflexartig vermied er die Klinge dieser Worte, indem er sie direkt zurück zu Genma drehte. „Und dir? Kümmert es dich überhaupt, dass Asuma in dem Glauben zu Grabe gegangen ist, du hättest ihn verraten?“ Das Schweigen des Shiranui schrie geradezu. Kakashis Augen wurden weich. „Genma…“   „Du bist erbärmlich“, spie Genma mit angestrengtem und vor dickem Blut rasselndem Atem aus. „Dich auf Asumas Reue zu berufen…nur weil du es nicht ertragen kannst, dich deiner eigenen zu stellen…“   Kein Senbon der Welt hätte einen tiefer begrabenen Nerv treffen können als das. Kakashis Kopf zuckte zurück und seine Augen wurden kalt und distanziert, während sich seine Miene verschloss.    Und Genma erkannte diesen Ausdruck innerhalb eines langsamen Blinzelns. „Nun, da ist der Mann…an den ich mich erinnere.“ Fort war das Gift; die Worte wurden mit demselben flachen Tonfall ausgesprochen, hielten keine Befriedigung, kein Vergnügen, keinen Stolz in sich…nichts…und alles, was sie vielleicht beinhaltet hätten, verlor sich unter Schichten…   Unter dem Darunterliegenden…   Erkenntnis dämmerte und wie ein Driften von Wolken klärten sich Kakashis Augen. „Ich wünschte, ich könnte dasselbe von dir sagen.“   Genmas Mund spannte sich an; als würde er darum kämpfen, welche Antwort auch immer in sich zu halten, die er vielleicht darauf gegeben hätte. Kakashi wollte sie hören…verstand in einem einzigen entsetzlichen und grellen Aufflammen, wie er vor Jahren einen weitaus dunkleren Pfad hätte beschreiten und das Raiton dafür nutzen können, widerwilligen Sprechern wie einer Glühbirne einzuheizen, bis ihr Widerstand wie eine durchgebrannte Sicherung hoch ging.    Kopfschüttelnd musterte Kakashi Genmas Augen. „Wie kann es sein, dass dich die Goei Shōtai auf so viel schlimmere Arten verändert hat als ANBU?“   Da.   Dieses Aufflackern, das er vorhin schon gesehen hatte; tief vergraben in Genmas Augen. Rasch schirmte der Shiranui seinen Blick ab und seine Stimme war so leise, dass Kakashi die Ohren spitzen musste. „Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen…“   So wie du es getan hast. Kakashi hörte diese unausgesprochenen Worte, die ihre Eingeweide hinter dem Ende von Genmas Satz hinterher zogen…blutig und roh…   „Aber jetzt solltest du es tun“, riet Genma ihm, als könnte er seine Gedanken lesen. „Und mach was draus…bevor ich mein Gefühl wieder bekomme…und du deines vollkommen verlierst…“   Ein weiser Rat. Kakashi konnte bereits spüren, wie sich der Schmerz in seinem Arm und Bein veränderte. Es wurde zu einem qualvollen Brennen, das langsam in ein taubes Erstarren überging. Und obwohl das Raiton seinen Nerven eine interessante Starthilfe gegeben hatte, musste er so schnell wie möglich einen Medic-Nin aufsuchen, bevor es zu einem ernsthaften Fall von Neuropathie kommen konnte und die Paralyse dauerhaft sein würde. Und es gab nur eine Frau, der er vertrauen konnte, ihn zusammenzuflicken, ohne dabei irgendwelche Fragen zu stellen.    Zeit zu verschwinden…aber ich werde sicher nicht mit leeren Händen gehen.   Mühsam zerrte Kakashi einen Fuß unter sich und spähte hinüber zu der Tasche, die neben Genmas zuckenden Fingern lag.    Der Shiranui folgte seinem Blick und sog abgehackt Luft durch die Nase. Sein Arm ruckte in einem vergeblichen Spasmus und seine Finger krümmten sich mit gerade genug Kraft, um eine Faust zu formen. „Kakashi“, warnte er.   Ohne zu zögern schnappte sich Kakashi die Tasche und befestigte den Riemen schräg über seiner Brust, als er sich leise wimmernd aufrichtete. Langsam begann er, auf den Ausgang zuzuhumpeln. „Ich werde Yūgao sagen, wo sie dich finden kann.“   Genmas Knurren zerschnitt die Luft wie eine Klaue. „Was bildest du dir eigentlich ein Hatake, was zur Hölle du da machst? Asumas Mantel aufzunehmen, als ob du ihn jemals tragen könntest.“   Kakashi blieb abrupt stehen.    Na endlich!   Und das wurde verdammt nochmal auch Zeit. Das war der Moment, mit dem er gerechnet hatte – ungelegen wie es bei jedem guten Plan war, der schief ging…und vielleicht sogar zu spät für ihn, um ihn voll auszunutzen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Genma ihn in einen Würgegriff packen oder ihn in ein menschliches Nadelkissen verwandeln würde. Dass er den Shiranui derart unterschätzt hatte, sagte sehr viel darüber aus, wie weit sie sich in all den Jahren auseinander bewegt hatten, die Kakashi versucht hatte, hinter sich und zwischen ihnen zu lassen.    Mit wirbelndem rotem Auge drehte er den Kopf. „Nun, da ist der Mann an den ich mich erinnere“, echote er trocken.    Genma hatte es inzwischen geschafft, gerade genug Kontrolle über seine Motorik wiederzuerlangen, um sich auf die Seite rollen zu können, doch er bebte vor Anstrengung. Schweiß tropfte von seiner Nase und er hatte die Zähne hart zusammengepresst, während er leise einen Schwall bunter Flüche ausstieß.   Kakashi drehte sich um, wobei sein Bein einzuknicken drohte. „Tut sicher weh wie eine räudige Hündin, huh?“   Mühsam versuchte Genma, sich mit durchgedrückten Ellbogen und zitternden Armen aufzustützen. „Wir werden sehen, wer am Ende hiervon die Bitch sein wird.“   Okay, diese Zurschaustellung von Gefühlen wurde also offensichtlich mehr von Feindseligkeit als Emotionen genährt, aber zumindest war es etwas, mit dem Kakashi arbeiten konnte. Die Tatsache, dass Genma überhaupt so reagierte, war entweder ein Wunder zu seinen Gunsten oder die Vorwarnung auf ein extrem ernstes Chaos, das noch kommen würde.   Was auch immer das ausgelöst hat…nutze es aus und mach schnell.    Es würde nicht lange dauern, bis der Shiranui realisierte, dass er sich selbst weit offen gelassen hatte, aber wenn Kakashi nur lange genug an seiner Wachsamkeit vorbei kam, um ein paar Antworten zu bekommen…oder zumindest um zu verstehen, warum zur Hölle Genma so versessen darauf war, sie um jeden Preis zurückzuhalten.    Am Ende von der ganzen Sache ruhst du hoffentlich in Frieden, Asuma…denn ansonsten werde ich nur in Fetzen ruhen…   Kakashis Augen fixierten sich auf Genma. „Wenn du jemanden beschützt, dann verlierst du nichts, wenn du es einfach zugibst. Wenn überhaupt, dann machst bei mir wieder etwas Boden gut, wenn es darum geht, diese ganze Sache auf sich beruhen zu lassen.“   Hustend würgte Genma ein Lachen hervor und ein klumpiger roter Tropfen hing danach von seinen offenen Lippen. Er spuckte schwer, bevor er sich mit dem Handrücken über den Mund wischte. „Und ich dachte, Asuma wäre ein beschissener Lügner.“   „Asuma hat in der Nacht, als er so betrunken war, nicht gelogen“, erinnerte Kakashi ihn und lenkte das Gespräch damit rasch um. „Ich könnte wetten, dass du in der Sekunde, in der angefangen hat, über Shikamaru zu reden, wusstest, dass er vermutlich dort weitermachen würde, wo er aufgehört hatte herauszufinden, was dem Jungen zugestoßen ist – was die Frage aufwirft, warum du ihm eine Straßensperre in den Weg schiebst und ihm dann zeigst, wie er sie umgehen kann. Es macht keinen Sinn.“   „Wir hatten den ‚kein Sinn‘ Part doch bereits abgehakt.“ Genma versuchte, seine Füße unter sich zu ziehen, scheiterte aber und ergab sich letztendlich darin, mit geballten Fäusten, steifen Unterarmen und straff gezogenen Sehnen auf dem Boden zu bleiben. „Vielleicht bin ich einfach nur ein grausamer, grausamer Bastard, der es mag, den Leuten ans Bein zu pissen.“   „Nein“, sagte Kakashi weich. „Das bist du nicht.“   Auf die Ellbogen aufgestützt ließ Genma den Kopf hängen und stieß einen rauen Atem aus – ein Klang, der bis zu diesem Punkt mehr Bedeutung enthielt als all seine Handlungen und Worte zusammengenommen.    Es war genau die Öffnung, auf die Kakashi gewartet hatte. „Wenn du Shikamaru schützt, dann ist es sicher anzunehmen, dass was auch immer ihm vor zwei Jahren zugestoßen ist, jetzt immer noch eine Bedrohung für ihn ist.“   „Hn. Und alles was es gebraucht hat, um darauf zu kommen, war, die Scheiße aus mir raus zu elektrisieren“, erwiderte Genma flacher als flach, während er sein rechtes Knie Stück für Stück nach vorn zerrte und es schaffte, es unter sich zu ziehen. Sein Körper zitterte vor Anstrengung. „Nur zu, Detektiv…“, knurrte er. „Ich werde sicher nicht deine Hand halten und dich hier durch führen.“   Kakashi runzelte die Stirn und mentale Finger krallten sich an den Faden, den Genma nicht zerschnitten oder fort geschnappt hatte – noch nicht. „Ist diese Bedrohung in der Nähe von Zuhause?“   „Sie war es nicht“, blaffte Genma, während er sein anderes Knie hochzog. „Nicht, bis sich Asuma entschlossen hat, sich das Maul fusslig zu schwafeln, weil er sich verantwortlich fühlt. Wenn er einfach mit seinem Kram umgegangen wäre wie der Rest von uns, dann würden wir jetzt nicht gegenseitig unser Blut wegen seines schlechten Gewissens vergießen.“   Blinzelnd hob Kakashi eine silberne Braue. „Sein schlechtes Gewissen? Oder deins?“   Genma funkelte zu ihm hinüber und seine Stimme wurde sehr leise. „Ich mache nicht einen auf Schuldgefühle. So viel solltest du zumindest über mich wissen, wenn schon sonst nichts.“   „Warum hast du ihm dann geholfen?“   Ah und jetzt zog sich der Faden zwischen ihnen straff.    Genma nahm einen scharfen, kurzen Atemzug durch die Nase, bevor er sich auf die Knie stemmte und bei der schmerzhaften Rückkehr von Mobilität das Gesicht verzerrte. Kniend verharrte er an Ort und Stelle, den Blick nach vorn fixiert, während sich seine Züge wieder in eine unergründliche Ordnung brachten.    „Genma“, murmelte Kakashi.    „Weil es nicht seine Schuld war“, biss der Shiranui hervor. „Aber das war auch alles, was er wissen musste. Also habe ich Asuma gegeben, was er brauchte, um ihm weiter zu helfen.“   „Und das wäre?“   „Rechtfertigung. Ein Grund zu glauben, dass etwas passiert war und dass es innerhalb seines übermäßig beschützerischen Rechts ist, loszugehen und den verdammten Jungen selbst zu fragen. Ein Grund, ihn gehen zu lassen, sodass er alle Antworten direkt aus erster Hand bekommt.“   Kakashi war davon nicht gerade überzeugt und machte sich auch keine Mühe, das zu verbergen, als er die Augen zusammenzog. „Und was macht dich so sicher, dass Shikamaru ihm die Wahrheit erzählen würde?“   Seufzend schüttelte Genma den Kopf. „Du kapierst es nicht. Ob Shikamaru ihm nun die Wahrheit gesagt hat oder nicht, spielt keine Rolle. Das Problem war Asumas Schuldgefühl. Dasselbe Schuldgefühl, das ihn dazu gedrängt hätte, das hier noch weiter zu verfolgen.“   „Also was du mir gerade sagst, ist, dass deine Brotkrumentaktik nur darauf abgezielt hat, Asumas Schuldgefühle zu lösen und dass es absolut nichts mit dem zu tun hat, was auch immer Shikamaru zugestoßen ist?“   Genma neigte leicht den Kopf. „Es war nicht Asumas Schuld. Shikamaru hätte ihm das auch direkt so gesagt, auch dann, wenn er nicht in die Details dessen geht, was passiert ist. Fall abgeschlossen. Oder erneut abgeschlossen. Es hätte dort enden sollen. Aber ganz offensichtlich war er nicht zufrieden.“   „Naja, ich bin mir sicher, dass deine Weigerung, hierin involviert zu werden – obwohl du ununterbrochen auf deine Involvierung hinweist – ganz wunderbar dabei geholfen hat“, erwiderte Kakashi in vollkommenen Sarkasmus. „Und trotz der hohen Wahrscheinlichkeit, dass Shikamaru ihm sowieso erzählt, was passiert ist, hast du dennoch darauf bestanden, diese Information zurückzuhalten.“   „Ich habe mich nicht in der Position befunden, diese Geschichte zu erzählen.“   Kakashis Augen schlossen sich leicht vor Erschöpfung und dünn verschleierter Kränkung. „Warum? War deine Version der Geschichte so sehr gekürzt?“   Genma senkte die Lider und packte seine bebenden Schenkel, als er sich der Herausforderung stellte, sich auf die Füße zu stemmen. „Grundlegende Psychologie, Kakashi. Mit Sicherheit muss ich dir nicht erklären, dass keine zwei Leute die gleiche Geschichte auf dieselbe Weise erzählen.“   „Und wie viele Versionen der Geschichte gab es, Genma?“, fragte Kakashi mit trügerischer Unschuld und leichter Stimme, auch wenn sich seine Miene mit Gewissheit verdunkelte. „Deine? Shikamarus?“ Er legte leicht den Kopf schief. „Naokis?“   Die Regungslosigkeit, die Genma überfiel, geschah so abrupt, dass sie von dem bloßen Auge übersehen worden wäre. Aber das Sharingan registrierte jeden einzelnen Muskel, der sich isolierte; ein Stillstand in Zeitlupe, der vom Scheitel bis zur Sohle jagte.    Und dann war Genma auch schon wieder zurück in einem nahtlosen Fluss, als er sich Kakashi zuwandte.    Der Kopierninja hob langsam eine silberne Braue; ein Ausdruck der geradezu ‚hab ich dich‘ brüllte.    Und Genma hatte genug Anstand, diesen Punkt einzuräumen, indem er marginal den Kopf neigte. „Shikamarus Version der Ereignisse ist alles, was irgendjemand wissen muss.“ Er hielt inne und warf Kakashi einen vielsagenden Blick zu. „Oder nicht wissen muss.“ Während er sich seitwärts drehte hielt er dem Kopierninja die Hand für die Tasche hin. „Zufrieden?“   Nicht mal annähernd…   Aber weiter als bis hier konnte er nicht gehen. Er hatte keine Grundlagen, um das noch weiter zu verfolgen. Keine Berechtigung – anders als Asuma – und Genma würde ihm auf keinen Fall einen Grund geben, hierin verwickelt zu werden.    Und warum um alles in der Welt würdest du das auch wollen? Akzeptiere es. Nimm den angebotenen Ausgang. Das hier ist das Ende des Weges.    Weiter als bis hier und er würde die Regeln nicht länger beugen; er würde sie brechen. Und trotz all seines untypischen Schulschwänzens während der letzten paar Stunden…das hier waren Grenzen, die er nicht übertreten konnte. Nicht übertreten würde.   Du hast deinen Part getan. Es ist Zeit, das hier loszulassen.    ‚Lass los, Kakashi.‘   Und trotzdem zögerte er; suchte nach einem Grund, die Tasche nicht abzugeben, die – nach allem was er wusste – die Büchse der Pandora war, die nur darauf wartete geöffnet zu werden.   Schweigend sah Genma zu, wie er mit sich rang. Er drängte ihn nicht, schubste ihn nicht, zog keine weiteren funkelnden Senbons hervor. Nicht dass sich irgendeiner von ihnen eine weitere Runde leisten könnte.    Seufzend löste Kakashi die Tasche, hielt sie aber weiterhin fest am Riemen gepackt. „Diese Bedrohung, von der du meintest, Asuma hätte sie aufgewühlt“, sagte er leise. „Wird Shikamaru davor sicher sein…jetzt, da Asuma…“ Er konnte sich nicht dazu bringen, den Satz zu beenden; fühlte sich verräterisch, es nur zu denken.    Genma nickte. „Solange du es loslässt, dann ja. Er wird sicher sein.“   „Kannst du das garantieren?“   „Wer kann schon irgendetwas garantieren, Kakashi?“   Wahrer Worte waren nie gesprochen worden…und Kakashi wusste diese bittere Wahrheit aus erster blutiger Hand bis hin zu einer lange anhaltenden Erfahrung. Ja. Er wusste es besser. Aber es besser zu wissen, hatte ihn auch früher nicht aufgehalten und es hielt ihn auch jetzt nicht davon ab, Genmas Gesicht nach irgendeiner Art der Zusicherung abzusuchen…er fand sie nicht…fand stattdessen ein seltsames Lächeln, das an den Mundwinkeln des Shiranuis zupfte…ebenso schwach und wehmütig wie dieses Irrlicht, das vorhin in seinen Augen erschienen war.    „Das letzte Mal, als du mich so angesehen hast, Kakashi, sind die Dinge zwischen uns sehr kompliziert geworden.“   Kakashi blinzelte; er hatte überhaupt nicht realisiert, dass er seinen Schutz gesenkt hatte und richtete ihn auf eine hektische, beiläufige Art wieder auf, die den Aufwand dafür beneidenswert niedrig und einfach erscheinen ließ. Doch das war er nicht. Und die Tatsache, dass er es nicht war, sagte ihm, dass er diesen tiefen dumpfen Schmerz, den er mit sich herum trug, nicht länger zurückhalten konnte.    Zeit zu gehen.   Genmas Lächeln schwand…ließ keine Spur zurück…   Doch Kakashi hatte es gesehen. Und er erinnerte sich jetzt daran…an einen Blick aus einer lange verlorenen Zeit…nur hatte er ihn damals nie verstanden. Als er diese Zeit jetzt noch einmal durchging, versuchte er sich vorzustellen, was er anders gemacht hätte, wenn er anders gewesen wäre…wenn er zurück gehen könnte…   Aber das kannst du nicht.   Langsam drehte er sich seitwärts, wandte seinen Rücken der Vergangenheit zu und hob die Tasche am Riemen nach oben; streckte den Arm aus, übergab sie und…   Lass es los…   ___________________ Diesmal kein Nachwort...nur wie immer ein dickes fettes Danke an alle lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)