Im Nebel der Vergangenheit von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 10: Alte Verbindung --------------------------- Trost, ehrlicher Trost, ist ein Neffe der Liebe. Stefan Wittlin   Bäume sind merkwürdig verzerrt und wirken irgendwie überdimensioniert. Zwischen den kahlen Ästen hindurch sieht sie den Himmel. Die leuchtenden Sterne wirken wie aus einer fremden Welt. Sie sind unfassbar hell und so viele, dass ihr Glitzern und Glimmen es wirken lässt, als wäre das gesamte Firmament ein atmendes Wesen. Es ist unfassbar majestätisch und ein starker Kontrast zudem, was man hier unten zwischen den Bäumen fühlt. Der Gestank von Verbranntem liegt in der Luft und ein unfassbarer Schrecken scheint auf der Lauer zu liegen. Langsam geht Emma einige Schritte vorwärts. Irgendwo in ihrem Hinterkopf erinnert sie sich, aber sie bekommt es einfach nicht zusammen. Das hier hatte sie schon einmal geträumt. Allerdings … das letzte Mal war es anders; mehr wie eine Erinnerung? Es ist als würde ein dicker Nebel in ihrem Kopf herrschen, der verhindert, dass ihre Gedanken da ankommen wo sie hinwollen. Ein lautes Heulen durchschneidet die Szene und sie schreckt hoch. Das Grauen kriecht ihr in die Knochen und lässt sie zittern. Es Grollt und Knurrt, Schreie und Kampfgeräusche dringen zu ihr. „Lauf! Lauf weg! Der Tod! Es ist der leibhaftige Tod!“, ruft ein Mann panisch durch die Dunkelheit. Ein dumpfes Geräusch folgt, anschließend ein gurgelnder Laut. Die Studentin ist verwirrt. Die Stimme kommt ihr bekannt vor … aber es ist schon eine ganze Weile her, dass sie sie gehört hat. Gerade, als sie das Gefühl hat, dass es ihr jeden Moment einfällt, wird sie unterbrochen. Etwas Feuchtes und Warmes drückt sich plötzlich in ihren Nacken und sie schreit erschrocken. Zittrig dreht sie sich um. Eine Mischung aus Erleichterung und Wut überkommen sie sofort. „Ludwig“, knurrt sie. „Du hast mich erschreckt!“ „Verzeih mir“, fiept der Werwolf und beugt sich noch etwas weiter hinunter um der jungen Frau in die Augen zu sehen. Seine Mimik wirkt angespannt und besorgt. „Wieso bringst du mich immer an solche Orte?“, fragt Emma genervt. Erst dieser Wald, dann der Wald mit dem Regen und der Hütte, das Labor … Das Labor. Eine sanfte Wärme überkommt sie für einen Moment. Das was da zwischen ihr und ihm passiert ist verstört sie immer noch. Vor allem ihr eigenes Verhalten und Empfinden. Sie hat nicht mehr darüber nachgedacht, weil es ihr unangenehm war. Dass er in seiner verwandelten Form hier ist hilft ihr direkt die Gedanken daran wieder zu verdrängen. „Ich bin diesmal nur Gast“, erklärt Ludwig wortlos. „Es ist dein Traum, ich habe damit nichts zu tun.“ „Mein Traum?“ Nun ist sie vollends verwirrt; sie träumt einfach nur schnöde? Das wäre auf jeden Fall mal eine angenehme Abwechslung … wenn das Setting nur etwas netter wäre. Aber irgendetwas hat es mit dem hier auf sich. Der Wald, das Feuer, die Stimme von dem Mann … In der Ferne hört man eine kleinere Explosion. „Was geschieht da?“, fragt das Kindermädchen und versucht etwas zu erkennen. Da ist ein Auto, es liegt auf dem Dach und brennt. Sie erkennt eine Silhouette von einem großen Mann der daneben steht. Gänsehaut bildet sich sofort auf ihrem Rücken. Etwas ganz schreckliches geht von dieser Gestalt aus. Etwas Heimtückisches und Böses. „Das darf ich nicht sagen … du … musst es selbst heraus finden“, erklärt der Werwolf. Er reibt sachte seine Schnauze über den Oberarm der jungen Frau. „Aber nicht heute. Du hast genug gelitten.“ Der Schattenmann verschwindet hinter den Flammen. Es schaudert sie einen Augenblick. Etwas Beängstigendes geht von dem Ganzen aus, gleichzeitig hat es etwas Vertrautes. Als wüsste sie, was hier vor sich geht. Warum weiß ihr geisterhafter Begleiter eigentlich immer, was mit ihr los ist? Das letzte Mal wusste er, dass sie traurig war wegen Sebastians Abwesenheit. „Wir sind verbunden, oder?“, hakt Emma nach. Natürlich sind sie verbunden, aber wie stark diese Verbindung ist, ist ihr nicht wirklich klar. Gedankenverloren hebt sie die Hand und streicht über den wuchtigen Kopf. Das Fell ist weich und rau gleichzeitig, völlig anders wie das von Professor Jones in seiner Wolfsform. Ludwig brummt und schließt genießend die Augen. „Ja, ich fühle dich, deine Emotionen, deine Gedanken“, erklärt er und schmiegt sich in ihrer Hand. Warum existiert diese Verbindung und warum ist sie so stark? Das kann doch kein Zufall sein und nicht daran liegen, dass sie die Wiedergeburt von Nicolaes Verlobter ist. Sie dreht sich zu dem Werwolf hin und betrachtet ihn. Seine goldenen Augen haben etwas Flehendes an sich, als wolle er sie bitten, das Thema ruhen zu lassen, doch sie kann nicht. „Warum?“ „Nicht heute“, antwortet Ludwig schlicht. Er drückt seine Stirn gegen Emmas Brustkorb, als ob er ihrem Blick entgehen wollte. Es hat etwas mit dem hier zu tun, so viel scheint dem Kindermädchen nun klar. Was auch immer damals(?) passiert ist, hat mit ihr und dem Werwolf zu tun. Aber offenbar ist es nicht schönes … Ihr kommt der Schattenmann wieder in den Sinn. Wer war das? Ein unausgesprochener Schrecken kriecht ihr in die Seele und ein hässlicher Kloß bildet sich in ihrem Hals. Ihr Freund hat recht, sie hatte genug Elend für einen Tag. Die Sache mit Nicolae steckt ihr mehr in den Knochen wie sie zugeben möchte. Sie hat ihm noch mehr Schmerz zugefügt wie er ohne hin schon empfunden hat wegen den Geschehnissen vom letzten Jahr. Natürlich kann sie nichts dafür, aber es tut ihr dennoch leid. Das Familienoberhaupt liegt ihr ja am Herzen und ihn so leiden zu sehen … Nein, sie sollte sich jetzt wirklich erst einmal um sich selbst kümmern. „Es ist also mein Traum …“, sinniert sie vor sich hin. Sie schließt die Augen und stellt sich etwas Anderes vor, einen anderen Ort, etwas Schönes … Es wird hell und warm. Die Sonne scheint mit aller Kraft und leises Summen ertönt. Der Geruch von Blumen und Heimat schwebt umher. Emma öffnet die Augen und muss sofort Lächeln. Sie sitzt mitten auf einer Wiese. Um sie herum sind sanfte Hügel die sich in die Ferne erstrecken. Kleinere Baumansammlungen und Felder sind zu sehen. Ihr Herz fühlt sich leichter an und ihre Stimmung bessert sich. Eine sanfte Brise weht ihr über das Gesicht und durch ihre Haare. Zwei starke, haarige Arme umschließen sie und drücken sie gegen einen kräftigen Brustkorb. Erst jetzt bemerkt sie, dass sie quasi auf Ludwigs Schoß sitzt. Er hüllt sie ein, legt seinen Kopf förmlich über ihren und brummt beruhigend. Ähnlich wie bei dem vorhergehenden Traum kommt ihr auch das hier bekannt, und auch vertraut vor. Ohne darüber nachzudenken schmiegt sie sich an die Halsbeuge des Werwolfs und versinkt in seinen Armen. Der Geruch der Blumen mischt sich mit dem Duft nach Moos und Holz von ihm. Sie fühlt sich gut; geborgen und sicher. Ihr Blick wandert über die Landschaft während sie dem mächtigen Herzschlag ihres Freundes lauscht … Freund? Sind sie und Ludwig Freunde? Schon irgendwie, aber der Gedanke gerade fühlte sich … älter und irgendwie kindlich an. Als wäre das nichts Neues, sondern schon lange so … Die Schnauze des Werwolfs reibt über ihr Schulterblatt und er drückt sie etwas fester an sich. Sie spürt wie sie regelrecht dahin schmilzt. Es ist warm, weich, geborgen und sicher. Eine wohlwollende Welle aus Liebe und Nähe überschwemmt sie und erstickt alles andere. Ihre Schuldgefühle, ihre Sorgen … alles wird ertränkt in diesem intensiven Wohlbefinden. Die Studentin hinterfragt es nicht, genießt einfach nur. Trotzdem meldet sich etwas; ein sachter Widerstand, der sie mahnt vorsichtig zu sein. Sie weiß um die Gefühle die er für sie hegt … sie sollte nicht zu … zutraulich sein … Sie kann gar nicht sagen wie lange sie schon hier sitzt. Aber es eigentlich auch egal. Das hier ist ein Traum und da dürfte Zeit keine Rolle spielen. Aber etwas Anderes spielt eine Rolle. „Wie lang bist du eigentlich schon bei mir?“, fragt die junge Frau leise, als befürchte sie, dass die Blase in der sie sich gerade befinden zerplatzen könnte. „Eine ganze Weile“, antwortet Ludwig vage und lässt seine feuchte Nase durch ihr Haar wandern. Er atmet tief ein und schließt die Augen. Emma muss schmunzeln. „Das ist keine richtige Antwort“, stellt sie amüsiert fest. Sie ist nicht genervt oder sauer wegen seiner Ausflüchte. Irgendwie kann sie das im Augenblick auch gar nicht. Sie ist völlig trunken von diesem angenehmen Gefühl das sie fest im Griff hat. Es hat etwas Kindliches, wenn sie so darüber nachdenkt. Sie fühlt sich ein bisschen wie ein Kind in der sicheren Obhut der Eltern oder des großen Bruders. Es ist gut, unschuldig – zumindest von ihrer Seite her. Der Werwolf brummt und reibt seine Schnauze über ihren Rücken. Fast wie eine Katze reibt er seinen Kopf an der jungen Frau. Sie ist sich bewusst, dass er ihr nicht antwortet; aber auch das ist ihr recht egal gerade. Das Wohlwollen das sie bei ihm spürt packt sie zunehmend in Watte. Ihr emotionaler Widerstand gegen diese absurde Situation schwindet zusehends. Ihr Körper entspannt sich, schmiegt sich enger an das pelzige Ungetüm – und es fühlt sich toll an. Wie ein riesiger, lebendiger Teddybär. Verträumt legt sie ihren Kopf auf seine Schulter und blinzelt in die Ferne. Es fühlt sich nach zu Hause an, irgendwie. Als wenn man nach einer langen Irrfahrt endlich da ankommt wo man sein sollte. Sie hat noch nie darüber nachgedacht warum sie so schnell vertrauen zu diesem eigentlich recht furchteinflößenden Wesen gefasst hat. Das ist doch merkwürdig, oder? Diffus kommen ihr Bruchstücke in den Sinn. Bruchstücke von einem kleinen Mädchen, das völlig verloren war und sich in eine Fantasiewelt flüchtete. Zu einem Fantasiefreund. Emma runzelt die Stirn. Sie erinnert sich, dass sie sich nach dem Tod ihrer Eltern sehr zurück gezogen hatte. So sehr, dass ihre Großmutter sie zu einem Psychologen brachte. Damals hatte sie einen unsichtbaren Freund der ihr Trost spendete und ihr Gesellschaft leistete. Ein großer, pelziger Freund, der ein bisschen gruselig wirkte, aber ein Herz aus Gold hatte. Stunden hat sie mit ihm verbracht und darüber die Wirklichkeit manchmal völlig vergessen. War … war er das? War er der imaginäre Freund damals? Unerwartet reißt sie eine Stimme in ihrem Kopf aus ihren Gedanken. „Lass los. Lass einfach los“, flüstert Ludwig. Sacht leckt er ihr über den nackten Oberarm, reibt danach seine Schnauze wieder über ihren Rücken. Die junge Frau kennt zwar den Ausdruck „betrunken vor Glück“ aber sie hat das immer für eine Floskel gehalten. Doch das was sie gerade empfindet fühlt sich genauso an. Leicht, sorgenfrei und einfach nur toll. Und es lässt sie unvorsichtig werden … Sie lässt ihn gerade viel zu sehr an sich heran, dass weiß sie. Sie ist das letzte Mal schon schwach geworden, und da war die Situation nicht ansatzweise so wohlige wie jetzt. Nun gut, in seiner aktuellen Form braucht sie sich doch eigentlich keine Sorgen zu machen. Es ist so, als würde sie mit einem zu großgeratenen Hund schmusen. Zumindest fühlt es sich für sie so an. Allerdings dürfte es für ihn womöglich anders sein. Sie spürt zunehmend Unsicherheit in ihr aufkeimen. Schnell wälzt sie Gedanken um sich abzulenken. Hatte sie ihm nicht eine Frage gestellt? Ja, hatte sie; und er schuldet ihr noch eine Antwort. „Wie lange, Ludwig?“, hakt sie fest entschlossen nach. Er brummt irgendwie genervt. Scheinbar stört er sich weniger an ihrer Frage als solche, sondern eher daran, dass sie versucht die Szene zu stören. „Du erinnerst dich wirklich nicht?“, fragt er sanft. Langsam schüttelt Emma den Kopf. „Nicht wirklich. Ich erinnere mich, dass ich einen Freund hatte. Er war nicht echt, nur in meinen Gedanken hat der Psychologe immer gesagt …“ Sie erinnert sich an die unzähligen Sitzungen, und wie sie sich dagegen gewehrt hat, dass ihr Freund nicht echt ist. Warum auch immer hatte sie damals den unbedingten Willen diesen Freund bei sich zu behalten; komme was da wolle. Doch irgendwann wurde ihr klar, dass der Mann wohl recht hat und es besser ist sich einen echten Freund zu suchen mit dem sie spielen konnte. Ein raues, amüsiertes Lachen unterbricht ihre Worte. „Das war wahr und gleichzeitig auch nicht.“ Er leckt über den Stoff ihres Oberteils, nur um anschließen seine Nase in ihren Nacken zu drücken. Warum nur stört sie das nicht? Warum lässt sie das zu? Schlimmer noch, sie reagiert darauf und verstärkt ihr kraulen und reibt ihre Wange über seine Schulter. Die Antwort ist einfach: es fühlt sich gut an. Und auch irgendwie richtig. Aber anders richtig. Ganz hinten weiß sie, dass er und sie das hier gerade nicht auf derselben Ebene empfinden. Ihre Intention, ihre Gefühle, sind in einer ganz anderen Region angesiedelt wie seine. Sie schätzt ihn, mag ihn; aber sie liebt ihn nicht. Ihre Gefühle sind rein freundschaftlicher Natur. Warum ihr Körper allerdings der Meinung ist auf ihn zu reagieren, ist ihr nicht so wirklich klar. „Lass einfach los …“, wiederholt sich Ludwig schnurrend. Ein hitziger Schauer erfasst die Studentin und bringt sie zum Zittern. Ihre Alarmglocken melden sich im selben Moment – doch sie kann sich nicht wehren. Statt aufzuspringen und Abstand zwischen sie beide zu bringen, seufzt sie zufrieden und legt eine Hand in den mächtigen Nacken. Verspielt huschen ihre Finger durch die Mähne des Werwolfs und kraulen ihn sanft. Verrückt! Einfach verrückt! „Ich könnte dir nie weh tun, oder überhaupt etwas tun, dass du nicht willst …“, beteuert er mit einer rauen Stimme, die ihr mehr als deutlich macht, dass seine Gefühle gänzlich andere sind wie ihre. Wenn dem so ist, was hat dann die Situation im Labor zu bedeuten? Wollte sie das? Schon irgendwie, aber doch erst nachdem er sie so umgarnt hat … oder? Womöglich sagt er das nur, um sie weiter um den Finger zu wickeln? Die Überlegungen der jungen Frau kommen immer mehr zum Erliegen. Wie Wasser in der Wüste versiegen sie und lösen sich in Luft auf. Ihr Körper genießt einfach zu sehr die Zuwendung die ihm zu Teil wird, und scheint gar nicht genug davon zu bekommen. Ein leises, fremdartiges Geräusch ist plötzlich hörbar. Es formt Worte und flüstert, dass sie sich in Acht nehmen sollte. Das Wispern sagt ihr, dass sie nicht der erste Kollateralschaden auf einer jahrhundertealten Jagd wäre … und, dass sie das auch ganz genau wüsste. „Ich will nur das es dir gut geht und du dich wohlfühlst …“, summt Ludwigs angenehme Stimme in ihrem Kopf. „Du musst nur loslassen, ich kümmere mich um den Rest …“ Worüber hatte sie gerade nachgedacht? Da war doch etwas gewesen, oder? Eine andere Stimme? Die Studentin weiß nicht mehr so recht … Loslassen und sich treiben lassen klingt immer verlockender … und irgendwie auch logisch … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)