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Der Sommer, den wir bei Garroway's verbrachten

von

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Pläne und Pflichten

Es war der Sommer, als Alec 18 Jahre alt wurde.
 

Mit achtzehn haben die meisten jungen Leute eine Zeit, in der sie ihr junges Leben genießen.

Sie gehen mit Freunden aus. Sie gehen in Clubs feiern und tanzen.

Sie treffen sich in Cafés oder auf dem Sportplatz.

Sie fahren gemeinsam campen.

Sie gehen auf Konzerte oder spielen in einer Band.

Und sie lernen oder studieren und versuchen auf die ein oder andere Weise, den Weg in ihr Leben zu finden.
 

Für Alec traf das alles nicht zu. Zum Feiern gehen oder dergleichen war in seinem Leben keine Zeit. Die Ausbildung zum Schattenjäger nahm jede Stunde des Tages in Anspruch. Das Training war hart und fordernd. Freunde hatte er daher keine; er kannte nur die anderen Schattenjäger, von denen die meisten älter waren als er. Die einzigen jungen Leute in seinem Alter waren seine Schwester Isabelle und sein Adoptivbruder Jace. Und die hatten genauso wenig Zeit für „Spinnereien“ wie er selbst.
 

Den Weg ins Leben zu finden - nun, Alecs Leben lag bis ins kleinste vorgezeichnet vor ihm. Als hätte jemand eine sehr detailreiche Zeichnung mit feinem spitzem Bleistift vorgenommen: jede Kleinigkeit war bereits zu sehen, und es gab kaum noch Dinge, die unklar blieben.

Er würde an der Seite seines Vaters studieren, damit er in einigen Jahren die Institutsleitung übernehmen konnte. Das war fest geplant, denn auch wenn es offiziell keine Berechtigung gab, so etwas zu vererben, sah die Praxis doch so aus, dass es de facto so gehandhabt wurde.

Er würde das Institut streng nach den Regeln des Rates führen, dabei das Abkommen mit den Schattenwesen einhalten; Vergehen bestrafen, Irdische beschützen, Dämonen töten.

Und er würde, um seine Stellung zu sichern, ein Mädchen aus einer der alten Schattenjäger- Familien heiraten.
 

Grundsätzlich war dieses Leben, wie es sich vor ihm ausbreitete, durchaus in Alecs Sinne. Sein Leben lang war er auf diese Dinge vorbereitet worden und hatte darauf hin gearbeitet. Er wollte es so, es war sein Lebensinhalt - nun ja, bis auf das heiraten vielleicht. Aber gut, wenn das dazu gehörte, würde er auch das tun, wenngleich …

Also insgesamt gesehen war das alles ganz in Ordnung so.

Nur …

Er wäre gern gefragt worden.
 

War es denn wirklich normal, dass niemand sich die Mühe machte, zu hören, was er selber, um den es hier ging, zu all dem zu sagen hätte? Ob das Leben, so wie es vorausbestimmt zu sein schien, das Leben war, das er sich vorstellte? Oder wünschte?

Ja, sicher, er kannte seine Pflichten, und er würde sie nicht vernachlässigen.

Aber - so völlig, ohne sein Einverständnis einzuholen???
 

Nun, was soll man machen. Wahrscheinlich war das einfach das Schicksal eines Schattenjägers. Nicht zu fragen, nicht zu hoffen, nicht zu wünschen. Sondern einfach zu machen, was erwartet wurde. Und dagegen widersetzte man sich nicht.

Alec hatte nicht vor, sich zu widersetzen, nur - er seufzte und sah aus dem Fenster des Kleinbusses, der ihn und seine Familie zum Hotel transferierte, in dem sie die nächsten Wochen zu bringen würden.

Bevor sein Studium zur Institutsleitung beginnen würde, hatten die Eltern entschieden, dass sie alle fünf zusammen, er, seine beiden Geschwister und die Eltern, ein paar Wochen Urlaub machen würden. So richtig ausspannen, bevor der Ernst des Lebens beginnen würde. Pah, als ob sein Leben jemals etwas anderes als ernst gewesen war.

Aber gut, er musste gestehen, er freute sich auf die Ferien bei Garroway’s.
 

Das Garroway’s Resort war ein Urlaupsparadies in Indonesien und wurde geführt von Luke Garroway und seiner Frau Jocelyn, die beide ehemalige Schattenjäger waren, jedoch nicht mehr im aktiven Dienst tätig waren. Ihre Tochter Clary lebte ebenfalls dort bei ihnen.

Es lag am Meer und hatte einen Pool, eine Strandbar, ein Hauptgebäude mit Restaurant und Ballsaal für Abendveranstaltungen, einen Tanzpavillion und etliche Bungalows, in denen die Gäste residierten.

Es wurde einiges an Animation geboten: Sport, Spiel, Tanz … nun, darauf hatte Alec nicht wirklich Lust. Aber Strand und Ruhe wäre schon ganz okay, und er hoffte, dass die Eltern ihm diese Ruhe wenigstens ließen. Na ja, Isabelle würde ihn sicher wenigstens einmal mit zum Tanzen schleppen, aber seiner Schwester konnte er ohnehin kaum etwas abschlagen, das war schon in Ordnung.
 

Ach was solls. Insgesamt freute er sich auf das Garroway’s.

Er war schon einmal hier gewesen, als er und Isabelle noch klein gewesen waren. Das war gewesen, bevor Jace zu ihnen gekommen war. Er erinnerte sich nicht allzu intensiv daran, aber er hatte das Gefühl, dass es damals ein toller Sommer gewesen war. Also würde es das auch diesmal wieder werden.

Und er konnte die Erholung gebrauchen, bevor der harte Teil des Lebens im Herbst wieder richtig Fahrt aufnehmen würde.

Das Studium würde kein Zuckerschlecken werden.
 

Alecs Mutter, Maryse Lightwood, rieb sich müde die Augen. Der Flug war lang gewesen. Und, nun, die letzten Wochen waren nicht gerade nach Plan verlaufen.

Alec musste schmunzeln, wenn er daran dachte. Maryse und Alecs Vater, Robert, hatten die Sache mit der Heirat genau geplant gehabt.

Die Wahl war auf Lydia Branwell gefallen - auch hier hatte wieder niemand Alec um seine Meinung gebeten - und die Verhandlungen mit den Branwells waren schon recht weit gediehen. Die Hochzeit hatte im nächsten oder übernächsten Jahr stattfinden sollen.
 

Doch dann hatte Lydia allen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Sie, die sonst eine strenge Verfechterin der Regeln und Gesetze des Rates der Schattenjäger war, hatte heimlich den Mann geheiratet, den sie liebte.

Und alle vor vollendete Tatsachen gestellt. Alecs Eltern hatte beinahe der Schlag getroffen.
 

Alec selber war nicht unglücklich darüber. Lydia war nett, aber, nun ja … sie war nicht der Mensch, von dem er träumte.

Na ja, er wusste natürlich, dass das nur ein Aufschub war und es nun ein anderes Mädchen aus ebenso geachteter Familie treffen würde.

Den Menschen, für den er selber so etwas wie Schwärmerei empfand, würde er nicht bekommen …

Sein Blick glitt vorsichtig hinüber zu Jace, und er wurde ein wenig rot.
 

Jace war ein Frauenheld. Er liebte Alec. Doch er liebte ihn so, wie man einen Bruder, einen Parabatai liebt. Nicht so, wie Alec es sich gewünscht hätte. Obwohl … so ganz war sich Alec nicht sicher, ob die Schwärmerei für Jace wirklich Verliebtheit war … woher sollte er das auch wissen. Immerhin konnte er mit niemandem darüber reden.

Mit Jace - Gott bewahre. Mit den Eltern auch nicht, denn Schattenjäger waren nicht schwul. So etwas war eine Schande.

Und mit Isabelle? Nun, sie hätte ihn noch am ehesten verstanden - aber sie war eine Plaudertasche.
 

Also behielt er es für sich und versuchte, einfach zurecht zu kommen.
 

Das Auto stotterte, hielt an und der Angestellte hinter dem Steuer wandte sich zur Familie Lightwood um.

„Meine Herrschaften, wir sind da. Willkommen im Garroway’s. Ich bringe Sie zu Ihrem Bungalow.“

Alec seufzte, schulterte seinen Rucksack und stieg aus.

Vorbild und Schandtat

Die Morgensonne fiel auf Alecs Gesicht und er rümpfte die Nase.

„Zu hell!“, brummte er. Ein Kichern durchbrach die Stille.

„Mmmpf“, grummelte Alec, „will schlafen!“
 

Alec war durchaus ein Frühaufsteher, sein streng geregeltes Leben am Institut in New York ließ gar nichts anderes zu. Aber hier im Urlaub, möglicherweise die letzte wirklich entspannende Zeit in seinem Leben, gedachte er, entgegen seiner Gewohnheit bis in die Puppen zu schlafen.

Nun, Isabelle hatte offenbar andere Pläne.
 

„Aufstehen, Schlafmütze!“, rief sie und warf Alec ein Kissen, das sie offenbar aus Jaces Bett geklaut hatte, ins Gesicht.

„Mann!“, knurrte Alec. Doch dann richtete er sich auf.

Sein Blick fiel auf das Bett seines Adoptivbruders auf der anderen Seite des lichtdurchfluteten Raumes.

„Ist Jace schon aufgestanden?“

„Ja“, kicherte Izzy. „Der hat sich schon früh aus dem Staub gemacht, noch bevor Mom und Dad aus den Federn sind. Die haben mich übrigens geschickt. Es ist schon neun Uhr, mach dich fertig, dann gehen wir frühstücken!“
 

Neun Uhr. Alec hatte vorgehabt, bis mindestens elf Uhr im Bett zu bleiben. Aber Izzy kannte keine Gnade. Also gut.

„Ich komme ja schon.“
 

Eine halbe Stunde später trat er frisch geduscht und angezogen - wie immer in schwarz - in den großen Wohnraum des Bungalows.

„Alexander“, sagte Vater mit strengem Ton. „Ich erwarte, dass du ab morgen pünktlich um neun Uhr fertig bist, so dass wir gemeinsam zum Frühstück aufbrechen können!“

Izzy, die hinter den Eltern stand, verdrehte die Augen, und Alec musste sich ein Grinsen verkneifen.

Dennoch ärgerte er sich. Ehrlich, sein ganzes Leben lang war er der brave, gehorsame Sohn. Der pflichtbewusste Schattenjäger. Der zielstrebige zukünftige Leiter des Instituts. Konnte man ihn da nicht einmal hier, in den Ferien, in Ruhe lassen?

Aber er hatte keine Lust auf Streit, deswegen sagte er nur: „Ja, Vater.“
 

„Wo steckt eigentlich Jace?“ Maryse zog die Augenbrauen hoch.

„Bin hier draußen!“

Jace stand auf der Veranda, zu allen Schandtaten bereit.

„Siehst du, nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder“, sagte der Vater ernst.

Diesmal schwieg Alec. Dazu würde es kein ‘Ja, Vater’ geben. Wie oft wurde ihm Jace als Vorbild vorgehalten? Ausgerechnet Jace, der ein Draufgänger war, und eine Menge Dinge ausheckte, von denen die Eltern nie erfuhren … Nein, Alec hatte eine Grenze dessen, was er am ersten Urlaubsmorgen zu ertragen bereit war. Und das gehörte nicht dazu.

Nun, Jace selber konnte nichts dafür, der war von der Sache genau so genervt wie Alec.

Auch er verdrehte versteckt die Augen, und das machte es für Alec wieder besser. Und das freche Grinsen, das sich auf Jaces Gesicht zeigte, war ebenso geeignet, Alecs Stimmung zu verbessern.
 

Der Tisch, der für sie im Restaurant im Hauptgebäude bereit stand, war elegant eingedeckt. Die Eltern legten Wert auf einen gewissen Stil, das war sicher auch ein Grund, weshalb sie das Garroway’s ausgewählt hatten.

Das - und die Tatsache, dass sich die Schattenjäger hier als das geben konnten, was sie waren. Sie konnten sich über alles unterhalten, was das Schattenjäger-Leben betraf, denn: es gab hier nur wenige Mundis, und wenn, waren es welche, die über die Welt der Schattenwesen und der Schattenjäger Bescheid wussten.
 

Außerdem waren die Angestellten hier zum großen Teil Schattenwesen. Das Abkommen zwischen dem Rat der Schattenjäger und den Führern der Schattenwesen hatte ermöglichst, dass letztere in Frieden leben konnten, sofern sie keinem Mundi Schaden zufügten. Das Garroway’s bot Schattenwesen einen guten und sicheren Arbeitsplatz, und so kam es, dass es hier Elfen, Werwölfe und Hexen gab. Sie machten ihre Jobs im allgemeinen sehr zu Luke Garroways Zufriedenheit.
 

Vampire allerdings hatte er nicht unter seinem Personal, und jeder, der sich mit Schattenwesen auskannte, konnte das verstehen. Nicht, dass es nicht auch anständige Vampire gab, sicher tat es das. Aber insgesamt gesehen waren diese einfach zu unberechenbar, und Luke wollte seine Gäste keinen unnötigen Gefahren aussetzen.
 

Unter den Gästen jedoch waren keine Schattenwesen. Oh nein. Als Angestellte waren sie gut und schön, da konnte und musste man sie mit einem professionellen Respekt behandeln. Aber als gleichwertige Wessen? Nun das waren sie nach Meinung der meisten Schattenjäger nun mal nicht, und es wäre kaum jemandem eingefallen, sich auf einer privaten Ebene mit ihnen abzugeben.
 

Alec sah das anders. Wie sollte es denn dauerhaft ein friedliches Miteinander zwischen ihnen und den Schattenjägern geben, wenn die einen als blutrünstige Rächer betrachtet wurden, und die anderen als minderwertige Wesen, die man eben tolerieren musste?

Aber solche Gedanken bei seinen Eltern oder gar dem Rat zu äußern …

Nun, Alec war nicht gerade lebensmüde.

Vielleicht würde er ja eines Tages, wenn er das Institut leitete, Veränderungen herbeiführen können … nun, bis dahin würde noch viel Wasser den East River hinunter fließen, und hier und heute war nicht der Moment, sich darüber Gedanken zu machen.
 

Alecs Sinne wandten sich daher dem Frühstück zu.

Luke Garroway war an ihren Tisch getreten, um Robert und Maryse Lightwood, immerhin Vorstände eines der wichtigsten Institute der Welt, in seinem Resort zu begrüßen.

Er winkte einen jungen Mann heran, der perfekt in Kellneruniform mit schwarzer Hose, weißem Jackett und weißer Fliege gekleidet, äußerst elegant wirkte.

„Das ist Raphael“, sagte er. „Er ist ein Elf und wird Ihr persönlicher Kellner sein. Wann immer Sie etwas wünschen, wird es ihm eine Freude und eine Pflicht zugleich sein, es für Sie und Ihre Familie zu beschaffen.“
 

Raphael war für einen Elf ungewöhnlich dunkel. Er hatte beinahe schwarzes Haar und glänzende dunkle Augen. Sein Gesicht war vergleichsweise braun gebrannt.

Normalerweise waren Elfen eher von helleren Farben. Aber auch da gab es persönliche Unterschiede, und die schlanke, feingliedrige Gestalt sowie die spitz zulaufenden Ohren wiesen ihn eindeutig als einen Angehörigen des lichten Volkes aus.
 

„Zu Ihren Diensten, Familie Lightwood“, sagte der junge Mann, und sein Blick blieb einen Augenblick länger an Izzy hängen, als an den anderen. Alec schmunzelte. Das war verständlich, den Izzy war nunmal eine Augenweide.

„Ich bringe Ihnen erst einmal Kaffee, wenn es recht ist?“, fragte der Kellner mit einer Stimme wie schmeichelnde Seide.

Alle nickten zustimmend, und Izzy, nun, auf Izzys Wangen schlich sich eine sanfte Röte, die Alec von seiner selbstbewussten und vorlauten Schwester so nicht gewöhnt war.

Reis und Soße

Das Frühstück war köstlich gewesen. Pfannkuchen, Bacon, Eier, Toast und Marmelade, alles war von hervorragender Qualität und Zubereitung.

Einzig Alec hatte sich für ein indonesisches Frühstücksgericht entschieden: Reis mit verschiedenen würzigen Soßen. Es war ungewohnt gewesen, aber herrlich, mit frischen Zutaten und wunderbar aufeinander abgestimmt. Vater hatte pikiert die Augenbrauen gehoben - was auch sonst. Aber Alec fand eben, dass es einfach dazu gehörte, in einem fremdem Land nicht nur die von zu Hause gewohnten Speisen zu erwarten. Er war neugierig auf das, was die Welt zu bieten hatte, und jetzt in diesen paar Wochen hier hatte er immerhin die Gelegenheit, ein wenig davon zu entdecken.
 

Als Raphael geschickt und umsichtig das benutzte Geschirr vom Tisch geräumt hatte und nun Kaffee nachschenkte, fragte Maryse:

„Raphael, können Sie uns sagen, wo wir heraus finden, was so alles auf dem Programm steht?“

Der junge Kellner lächelte sein professionelles Lächeln und antwortete:

„Selbstverständlich. Im Rezeptionsbungalow finden Sie immer einen tagesaktuellen Plan der angebotenen Zerstreuungen. Es werden verschiedenene Tanzkurse angeboten werden, Gymnastik und andere sportliche Aktivitäten. Es gibt einen Golfcourt, Sie haben die Möglichkeit auszureiten, Tennis zu spielen. Es gibt auch ausgefallenere Dinge wie Bungee-Jumping, dazu werden Ausflüge ins Bergland angeboten, wo es eine Brücke über einer Schlucht gibt. Sie können aber auch einfach nur den Pool genießen und selbstverständlich den hoteleigenen Strandabschnitt.“
 

„Ich freue mich auf den Pool. Und Cocktails an der Poolbar!“, rief Isabelle.

Wieder ein missbilligender Blick von Robert. Aber immerhin kommentierte er den Begeisterungsausbruch seiner Tochter nicht.

„Heute ist erst einmal ein Tag zum in Ruhe ankommen, da die meisten Gäste gestern angereist sind“, sagte Raphael.

„Mr. Garroway bat mich jedoch, Ihnen zu sagen, dass er Ihnen als ganz besondere Gäste jederzeit seine Tochter Clary zur Verfügung stellt für eine ganz persönliche Führung über das Gelände.“

Nun war es an Alec. Die Augen zu verdrehen. Ganz besondere Gäste. Einschleimen konnte sich dieser Garroway anscheinend gut.

Robert jedoch sonnte sich in dieser Sonderbehandlung.

„Das wäre wunderbar“, sagte er. „Wir werden uns nach dem Frühstück ein wenig frisch machen, vielleicht hätte Miss Garroway anschließend Zeit für uns?“

„Ich werde es ausrichten“, sagte Raphael.
 

Alec räusperte sich.

„Vater, ich würde gern … ein wenig allein über das Gelände …“

Wie so oft ließ der Vater ihn gar nicht erst ausreden.

„Jace, Alec, Isabelle, natürlich werdet ihr mich und Mutter begleiten, wenn die junge Miss Garroway uns das Gelände zeigt.“

Alec setzte erneut an.

„Vater …“

Diesmal fiel ihm die Mutter ins Wort.

„Alexander, ich bin sicher, du wirst es genießen. Clarissa ist eine sehr hübsche und charmante junge Frau. Ihr werdet euch sicher großartig verstehen.“
 

Alec schluckte. Also daher wehte der Wind. Jace warf ihm einen Blick zu.

‘Gleich’, sagte er lautlos. Alec nickte und erhob sich, als der Rest der Familie ebenfalls vom Tisch aufstand, um sich auf den Weg zum Bungalow zu machen.
 

Dort angekommen, gingen Alec und Jace in ihr gemeinsames Zimmer. Alec ließ sich schwer auf sein Bett plumpsen.

Er stöhnte.

„Oh Mann. Wenn ich das richtig verstehe, ist Clary Garroway die nächste, mit der Vater und Mutter mich verkuppeln wollen? Der Ersatz für Lydia, sozusagen?“

Jace, der sonst nie eine Gelegenheit zum Blödeln und Sprüche klopfen ausließ, blieb diesmal ernst. Er nickte.

„Ich habe sie heute Morgen darüber reden hören.“

„Na großartig.“ Alec hatte eigentlich gehofft, dass diese Themen wenigstens während der Ferien keine Rolle spielen würden.
 

Jace hatte sich vor Alec auf den Boden gehockt. Er sah ihm eindringlich in die Augen.

„Alec … hör mal, ich weiß es ist deine Sache, aber …“

Er kaute unsicher auf seiner Unterlippe,

„ … ich finde, du solltest ihnen sagen, dass Clary vermutlich nicht die richtige für dich ist. So wie … jede andere Frau.“
 

Erschrocken schaute Alec auf.

Jace wusste … woher wusste er das?!

Jace seufzte.

„Alec, ich bin dein Parabatai. Ich weiß mehr über dich als irgendjemand sonst.“

„Verdammt, Jace! Versprich mir, dass du das niemandem sagst!“

„Natürlich nicht! Was denkst du denn von mir! Das ist deine Sache, und ich werde dich nicht so hintergehen. Aber ich denke, du tust dir keinen Gefallen, wenn du es auf Dauer verschweigst.“
 

Alec schüttelte den Kopf.

„Ich … Jace, weißt du, was los ist, wenn Vater das erfährt? Schattenjäger sind nicht schwul …“ Alec sprach das Wort nur zögernd aus.

„Und schon gar nicht sein Sohn! Der einst seinen Posten als Institutsleitung übernehmen soll! Ein Lightwood! Das wäre eine Katastrophe, eine Schande für ihn und ich denke nicht, dass Mutter das viel anders sieht.“
 

Jace ließ die Schultern hängen.

„Du hast sicher recht Alec. Aber dennoch. Willst du dich dein Leben lang verstecken? Niemals wirklich Glück finden? Liebe? Ja ja, ich weiß. Dass gerade ich von Liebe rede, der doch jede Woche ne andere … das mag dir wie Hohn erscheinen. Ist es aber nicht. Ich weiß einfach, dass du anders bist als ich. Du bist jemand der sich nicht so schnell verliebt. Aber wenn, dann richtig. Und das willst du aufgeben?“

„Was soll ich tun, Jace? Wenn sie das erfahren - Vater schmeißt mich raus! Mein Studium, alles wofür ich gelebt habe und bis zu diesem Tag schon so viel geopfert habe, kann ich dann vergessen. Und was dann?“

Alec zitterte. Die Vorstellung, alles zu verlieren, war grauenhaft. Und wofür? Für etwas, was nicht sein konnte - denn Jace …

Schlagartig wurde er bleich. Wenn Jace wusste, dass Alec sich eher für das eigene Geschlecht erwärmte, wusste er denn auch, dass er für Jace schwärmte … ? Oh Nein!
 

„Ach Alec.“

Jace schüttelte den Kopf.

„Ich bin sicher, es würden sich Wege finden.“

Er zögerte, dann fuhr er fort.

„Und ich bin sicher, dir wird die Liebe begegnen. Auch wenn ich … nicht …“
 

Scheiße. Jace wusste es. Alec sprang auf und rannte nach draußen auf die Terrasse, wo er beinahe seine Mutter umriss.

Reinheit und Ehre

„Alec?“

Maryse sah ihren Sohn etwas erstaunt an.

„Ist alles in Ordnung, mein Junge?“

Alec schluckte.

„Ja, Mutter. Jace und ich … du weißt doch. Unsere üblichen Zankereien. Nichts ernstes.“

Maryse lächelte.

„Na dann ist ja alles gut. Sag, Junge, wie gefällt es dir denn hier bei den Garroways?“
 

Nun, da konnte Alec ehrlich sein.

„Es gefällt mir gut. Es gibt eine Menge zu tun, das Gelände ist offensichtlich wunderschön und weitläufig. Aber, Mutter, ich gebe zu, ich werde nicht an all zu vielen der angebotenen Veranstaltungen teilnehmen, wenn das für euch in Ordnung ist. Wenn ich ehrlich bin, ist es mir lieber, einfach nur Ruhe zu finden und zu entspannen. Es ist vielleicht das letzte mal, dass ich Zeit für das finde, was Vater so verächtlich ‘rumgammeln’ nennt. Und ich möchte das gerne nutzen. Verstehst du?“

Maryse nickte.

„Es wäre lieb“, sagte Alec leise, „wenn du Vater davon überzeugen könntest, dass er das akzeptiert?“

„Ich versuche mein bestes“, sagte Maryse, „allerdings wird es ein paar Ereignisse geben, um die du nicht herum kommst. Da wäre zum Beispiel der große Kennenlern-Ball morgen Abend.“
 

Alec seufzte.

„Ein Ball? Das heißt, ich muss tanzen?“

Die Mutter lachte.

"Ach Alec, das hört sich ja an, als wäre es eine unangenehme Sache!“

„Ist es auch“, stöhnte Alec, „ich kann doch nicht tanzen. Und ich mag es auch nicht.“

„Nun“, sagte Maryse, „morgen Abend jedenfalls musst du dich zusammenreißen. Der Ball wird dir sicher gefallen, und du wirst Clary Garroway als deine Begleitung dorthin ausführen.“

„Was?!“ Alec riss erschrocken die Augen auf. „Mutter, Clary ist nett, aber …“
 

„Alexander Gideon Lightwood! Clary ist eine wunderbare junge Frau, und nun, da uns Lydia Branwell so schändlich hintergangen hat, wirst du Clary den Hof machen, und der Ball morgen Abend ist ein Anfang!“
 

Aha. Nun war also die Katze aus dem Sack.

„Die Garroways“, fuhr Maryse fort, „sind eine der großen Schattenjägerfamilien, fast so alt und ehrenvoll wie die Lightwoods. Über all die Jahrhunderte hinweg haben wir unser Blut rein erhalten und weder einen Mundi noch gar ein Schattenwesen in die Familie einheiraten lassen. Und das soll so bleiben. Die großen alten Geschlechter müssen einander unterstützen! Und daher wirst du Clary Garroway heiraten!“

Alec hatte nicht die Kraft, sich heute, am ersten Urlaubstag mit der Mutter zu streiten.

„Ist ja schon gut“, sagte er. „Das alles verstehe ich und es ist ja auch in Ordnung. Es ist nur … ich hätte gerne wirkliche Ferien gehabt, verstehst du? Statt dessen stellt sich heraus, dass das hier nichts anderes ist als eine Fortsetzung meiner Installation als Institutsvorstand und Schattenjäger- Anführer.“

Maryse fuhr ihm sanft mit der Hand über die Wange, ein liebevolles mütterliches Lächeln auf den Lippen.

„So ist nun mal unser Schicksal, mein Junge. Die Pflicht lässt uns nie wirklich in Ruhe.“
 

Dann klatschte sie in die Hände.

„Also ist es abgemacht. Clary erwartet, dass du sie morgen Abend abholst und zum Ball führst. Sie weiß bereits Bescheid, und ihre Eltern sind äußerst erfreut über ihre Zukunftsaussichten an deiner Seite.“

Dann wurde ihre Stimme milder.

„Du wirst sehen, Junge. Der Abend wird schön werden, und Clary ist eine großartige junge Frau. Und das wirst du in wenigen Sekunden feststellen, denn sieh, dort kommt sie schon, um uns das Gelände ausführlicher zu zeigen!“

Alec nickte und gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange.
 

Die anderen hatten sich inzwischen zu ihnen gesellt, als Clarissa Garroway auf sie zu trat.

„Herzlich willkommen in unserem Resort“, sagte sie. Sie war wahrhaftig eine Schönheit: Sie war zierlich und schlank, ihre Augen funkelten in katzenhaftem Grün und ihre rotblonde Mähne glänzte und sprühte regelrecht Funken.

„Mr. Ligtwood, Mrs. Lightwood“, nickte sie den Eltern zu.

Dann begrüßte sie die jungen Leute.

„Willkommen auch, Isabelle“, sie gab Izzy die Hand, „ … Alec …“, sie lächelte ihn warm, aber doch ein bisschen zurückhaltend an und ihr Blick war voller Neugier, „ … und Jace!“, ihre Stimme stockte. Sie musste sich räuspern und ihr Blick blieb mit einem Aufglühen der großen, klaren Augen an Alecs Bruder hängen. Ihre Wangen wurde rot.

Doch sie riss den Blick los, mit offensichtlichem Bedauern, und wandte sich wieder Alec zu.

Roberts auffordernder Blick brachte Alec dazu, Clary ganz altmodisch den Arm zu reichen, und dann gingen sie gemeinsam über die wirklich große und schöne Ferienanlage.
 

Clary war wirklich charmant. Sie war intelligent, verstand zu plaudern, war hübsch. Alec hätte diesen Rundgang durchaus genießen können, wenn nicht der Vater so peinlich aufdringlich ihn immer wieder in Clarys Richtung geradezu gestoßen hätte und immer wieder Bemerkungen gemacht hätte.

„Vielleicht sollten wir die beiden ein wenig voran gehen lassen … nun, nachher habt ihr ja noch Zeit allein füreinander … Alec, nun nimm doch Clarissas Hand …“

Es war grauenhaft, und selbst Mutter, die ja durchaus auch hinter der Idee einer Heirat stand, schien mehr und mehr davon unangenehm berührt. Mehrfach versuchte sie, Robert flüsternd klar zu machen, wie unmöglich er sich verhielt. Aber der Vater hatte von jeher wenig Verständnis für Kritik gehabt. Manchmal mochte man glauben, er hielt sich für unfehlbar. Daher zischte er sie nur wütend an und machte keine Anstalten, sich zurückhaltender zu geben.
 

Alec war froh, dass Clary das ganze offenbar mit Humor nahm und sich nicht aus ihrer charmanten Ruhe bringen ließ. Wenn sie von der ganze Sache genau so genervt sein mochte, wie Alec, ließ sie es sich nicht anmerken und lachte es hinweg.

Schließlich waren sie wieder am Bungalow angekommen.

„Ich überlasse Sie nun Ihrer Urlaubsruhe“, sagte sie und gab jedem einzelnen die Hand.

Als sie sich als letzten an Alec wandte und auch ihm zum Abschied die Hand schüttelte, spürte er, wie sie ihm etwas in die Hand drückte. Sie sah ihn dabei eindringlich an und hatte die Lippen zusammen gepresst.

Alec nickte unmerklich.
 

Als er einige Augenblicke später im Badezimmer des Bungalows verschwunden war und die Tür hinter sich verschlossen hatte, besah er sich, was sie ihm zugesteckt hatte:

Es war ein kleiner Zettel, auf dem stand:

„Heute Abend nach dem Abendessen. Beim Bootshaus. Wir müssen reden.“

Cocktail und Cola

An einem Ende wurde der hoteleigene Strand von einem langen Steg begrenzt, der ein Stück weit in die Bucht hinein ragte. An seinem Ende befand sich ein tatsächliches Bootshaus, oder besser ein Bootsverleih, wo man Mortorboote und Wasserski, kleine Segelkatamarane und anderes ausleihen konnte. Man konnte auch Tauchfahrten buchen oder Ausflüge auf diesen unsäglichen Glasbodenbooten.
 

Entlang des recht breiten Steges befand sich eine Cocktailbar, die ebenfalls den Namen „Bootshaus“ trug.

An einem der Tische dieser Bar wartete Clary auf Alec.

Um diese Zeit, kurz nach dem Abendessen, war es hier vergleichsweise leer, so dass sie ein wenig abseits von anderen Gästen saß. Das war gut so, denn es sollte nicht jeder ihr Gespräch mit anhören können.
 

Alec entdeckte Clarys roten Haarschopf sofort. Sie saß dort wie einem Werbeplakat für Urlaub unter Palmen entsprungen: Die Sonne ließ ihr Haar funkeln; eine Sonnenbrille hatte sie in die Stirn geschoben. Ihre Haut glänzte mit einem leichten bronzenen Schimmer und vor ihr auf dem Tisch stand ein Cocktail in kräftigen, bunte Farben. Er schillert ein wenig nach Muschelglanz und über der Flüssigkeit glitzerten ein paar winzige Funken. Klar, ein Elfencocktail, mit Elfenmagie gemixt.
 

„Clary“, grüßte Alec höflich und setzte sich zu der jungen Frau, die nach Wunsch seiner Eltern seine zukünftige Verlobte und Gattin war.

Sie nickte ihm zu.

„Alec. Gut, dass du gekommen bist.“

Eine junge Elfe trat an den Tisch, um Alec die Cocktailkarte zu reichen. „Nein Danke“, sagte er und bestellte sich nur eine Cola. Er vertrug einfach keinen Alkohol und fand auch nicht wirklich Geschmack daran.

Die Cola kam, die Kellnerin verschwand hinter dem Tresen und Alec ließ einen Schluck des kalten Getränkes seine Kehle hinunter rinnen.
 

Dann sah er Clary an.

„Du wolltest mich sprechen“, sagte er. „Was kann ich also für dich tun?“

Clary zögerte einen Moment, dann platzte sie geradezu heraus:

„Damit das ein für alle mal klar ist, ich werde dich nicht heiraten!“
 

Alec fiel beinahe die Kinnlade runter.

„Na“, sagte er dann grinsend, „das mit dem ‘mit der Tür ins Haus fallen’ hast du echt drauf!“

Clary schnaubte unwillig.

„Hör zu, Alec. Das hat nichts mit dir persönlich zu tun. Ich meine, wie auch, wir kennen uns ja kaum. Aber du scheinst ein netter Kerl zu sein, jedenfalls ist das bisher mein Eindruck, und du bist auch durchaus nicht unattraktiv, also um genau zu sein, du bist ziemlich heiß, aber …“

Heiß? Alec schluckte. Nein, das war er nicht. Er sah eher langweilig aus.

„ … es geht einfach darum“, fuhr Clary fort, „dass es mich total nervt, dass meine Eltern meinen, sie könnten einfach mal über meinen Kopf hinweg entscheiden, mit wem ich mein Leben zubringen werde. Dieser ganze Mist von wegen alte Schattenjägerfamilie, reiner Stammbaum, Ehre und so weiter … dabei geht es hier um mein Leben! Hätte ich dich unter anderen Umständen kennen gelernt, wäre ich vielleicht nicht mal abgeneigt, aber so?“

Sie funkelte ihn jetzt regelrecht wütend an.

„Nein, nein, ich will mir den Mann, den ich irgendwann mal heirate, verdammt noch mal selbst auswählen!“

Sie knallte zornig mit der Hand auf den Tisch.
 

„Clary …“, setzte Alec an, aber das rothaarige Temperamentbündel fiel ihm ins Wort.

„Nein, Alec, du brauchst gar nicht auf mich einreden!“

„Clary …“

„Keine Chance, mich zu überzeugen!“ Ihr standen beinahe Tränen in den Augen.

„Clary!!“

Entgegen seiner Gewohnheit war Alec laut geworden.
 

Erschrocken sah sie ihn an.

„Clarissa Garroway. Glaubst du wirklich bei mir ist das anders? Meine Eltern sind, so sehr ich sie liebe, in diesem Punkt vermutlich noch anstrengender als deine! Sie legen so großen Wert auf diese ganze Schattenjägerehre, dass ich mich manchmal frage, ob sie nicht einfach verbohrt …“

Er schwieg. Verflixt, so redete man nicht über die eigenen Eltern. Die respektierte man schließlich.

„Entschuldige“, sagte Clary leise. „Es ist einfach nur … Mom und Dad waren nie so streng in der Hinsicht. Erst seit ein paar Monaten … von mir aus dürfen sie ja konservative Ansichten haben, wenn sie wollen. Aber wenn es mich und mein ganzes künftiges Leben betrifft, vermag ich das nicht mehr so gelassen zu sehen.“
 

Alec nahm einen weiteren Schluck von seiner Cola, um einen Augenblick lang Zeit zu gewinnen.

Sollte er Clary gegenüber offen und ehrlich sein?

Sie würde ihn nicht an die Eltern verraten und auch an sonst niemanden, da war er sich sicher.

Sie beide standen auf der selben Seite, das wollte er ihr gern klar machen.

Er sah sie eindringlich an.

„Clary, ich kann das gut verstehen, dass du selber entscheiden möchtest, welchen Mann du eines Tages heiratest.“

Er holte tief Luft.

„Genau das möchte ich nämlich auch.“

Sie nickte, und es dauerte einen Moment, bis sie verstand, was er da gesagt hatte. Erstaunt sah sie auf.

„Du … auch? Welchen Mann …?“

Er nickte und wurde rot.

„Oh …“, sagte Clary und war einen Augenblick sprachlos.
 

„Clary, bitte, das darf vorerst niemand erfahren“, sagte Alec. „Vor allem unsere Eltern nicht.“

Clarys Blick war bohrend.

„Nein, natürlich, Alec, von mir erfährt niemand etwas. Aber, wie soll das weiter gehen?“

„Ich weiß nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wenn ich Institutsleiter werden will … und beim Engel, das will ich … dann werde ich wohl irgendwann eine Frau heiraten müssen, die meine Eltern auswählen.“

Clary schnaubte.

„Ich werde das nicht sein.“

Alec nickte.
 

Dann sagte er zögernd:

„Können wir vorerst einmal … unseren Eltern verschweigen, dass wir uns in dem Punkt einig sind? Ich meine, können wir erst mal so tun, als ob wir uns näher kommen würden? Damit wir ein bisschen Ruhe haben, und andererseits Zeit gewinnen? Wer weiß, was uns noch einfällt, um eine Lösung zu finden.“

Clary nickte.

„Einverstanden. Das ist wahrscheinlich das beste. Und dann überlegen wir gemeinsam, was wir tun.“
 

Alec stand auf.

„Wir sehen uns dann morgen auf dem Ball“, sagte er.

„Ja“, sagte die junge Frau.

„Aber ich warne dich, Clary, ich kann nicht tanzen.“

Sie lachte.

„Überlasse mir die Führung, dann geht das schon!“

„Also dann!“, sagte Alec und lief mit einer Mischung aus Erleichterung und Sorge den Steg entlang zurück in Richtung Bungalow.

Ballkleid und Champagner

„Auf einen wunderschönen Abend“, sagte Robert Lightwood und erhob sein Champagnerglas. Selbstzufrieden schaute er in die Runde, ließ seinen Blick über seine Familie gleiten, jeden einzelnen hier am Tisch.

Seine Frau Maryse, die in einem bodenlangen, schmalen schwarzen Kleid und mit dezentem Makeup und Schmuck angetan neben ihm saß und ihn anstrahlte.

Isabelle, in einem ebenso schmalen und langen Kleid, jedoch in einem glänzenden Silberton und mit einem Seitenschlitz bis beinahe zur Hüfte. Ihr Makeup war wesentlich auffälliger, doch ihrer jugendlichen Frische stand eben der schimmernde Elfen-Lidschatten und der blutrote Lippenstift.
 

Alec trug schwarz, wie immer. Doch der elegante Anzug, der es heute Abend war, hätte mit Sicherheit großartig an ihm ausgesehen, wenn er sich nicht so ausgesprochen unwohl in dieser Art Bekleidung gefühlt hätte. Das war einfach nicht er.

Seine schmalen schwarzen Hosen, die lässigen Shirts, die bequemen Boots - darin fühlte er sich wie in einer zweiten Haut. Aber das hier?

Außerdem hatte der Vater darauf bestanden, denn, und da hatte er ja nicht ganz unrecht, später würde Alec als Schattenjäger in einer leitenden Position auch immer mal wieder gezwungen sein, in Abendgarderobe aufzutreten, also wäre es nicht schlecht, sich beizeiten an so etwas zu gewöhnen. Dennoch, es war ihm unangenehm.
 

Jace dagegen trug die elegante Abendkleidung mit einer Art rotzigen Nonchalance, die es aussehen ließ, als täte er nichts anders. Er war ein Typ, der im Smoking ebenso natürlich wirkte, wie in zerrissenen Jeans und Holzfällerhemd, und Alec beneidete ihn darum.
 

Nun, und dann war da noch Clary. Da Luke und Jocelyn Garroway den ganzen Abend über zu tun hatten, damit bei dem Ball alles zu ihrer Zufriedenheit lief, hatte sich Clary an den Tisch der Lightwoods gesellt. Oder, um genau zu sein, Luke hatte sie dorthin geleitet, natürlich mit Roberts und Maryses Einverständnis.

Clary hatte die Kleiderordnung ziemlich frei ausgelegt. Sie trug eine schmale Hose, die, wenn man genauer hin sah, aus schwarzem Denim bestand, und eine weite, tunika-ähnliche Bluse aus edlem Material. Dazu hatte sie die Haarpracht zu einer griechisch anmutenden Hochsteckfrisur gebunden, und sah insgesamt sehr eleganz aus. Dennoch, es war klar, dass ihre Eltern sie lieber in einem klassischen Ballkleid gesehen hätten.

Nun, sie dachte nicht daran, sich in etwas zwängen zu lassen, dass sie nicht selber ausgewählt hatte, und das betraf eben auch ihre Garderobe.
 

Sie stießen also alle die Champagnergläser aneinander und Alec, der, wie sollte es auch anders sein, direkt neben Clary saß, lächelte der jungen Frau freundlich zu. Er mochte sie. Die Art, wie sie sich auflehnte, ohne dabei zu viel Porzellan zu zerschlagen, und dabei doch deutliche Statements setzte, gefiel ihm.

Nun, die nächsten Wochen würde Alec voraussichtlich nicht wenig Zeit mit ihr verbringen, denn immerhin sollte er ihr offiziell den Hof machen und sie hatten sich darauf geeinigt, nach außen hin zumindest vorerst den Schein zu wahren. Nun, er könnte sich weitaus schlimmeres vorstellen.
 

Luke trat auf die Bühne, auf der die Band aufgebaut hatte, die hier für die nötige Musikalische Untermalung sorgen sollte.

Mit einer Handbewegung bedeutete er den Musikern, mit dem Spielen aufzuhören.

Als es still war, trat er ans Mikrofon.
 

Er begrüßte die Gäste, von denen die meisten am Vortag angereist waren.

„Ich, meine Familie und mein Personal werden Ihnen hier sechs unvergessliche Wochen bereiten. Der heutige Ball soll dazu dienen, dass Sie sich untereinander ein wenig kennen lernen können. Unsere Band, ‘Rock solid Panda’, wird Ihnen Musikwünsche erfüllen, wenden Sie sich dazu bitte an Simon.“

Der junge bebrillte Bandleader machte eine kleine Verbeugung.

„Und nun wünsche ich Ihnen viel Spaß! Lassen Sie uns das Tanzbein schwingen!“

Er wandte sich der Band zu, klatschte, gab ein Zeichen und das Schlagzeug setze ein.
 

Die Band spielte als erstes eine Art langsamen Walzer und ein wenig taten sie Alec Leid. Sie sahen so aus, als würden sie liebend gerne los rocken. Aber sie würden den Abend damit verbringen, eine Mischung aus dem zu spielen, was für die älteren Leute geeignet war, für die Leute mittlere Alters und das, was man In dieser Runde so für Jugendmusik hielt. Vernünftigen Hip Hop konnte man also vermutlich vergessen …

Egal, Alec war fest entschlossen, da er nun einmal hier war, den Abend zu genießen.
 

Roberts Blicke waren schon wieder finster und drängend. ‘Nun los’, sagte der Blick. ‘Fordere Clary auf!’

Alec schluckte. Er würde nicht darum herum kommen, mit ihr zu tanzen. Flehend blickte er Clary an.

Gerade, als er sich erheben wollte, kam die junge Frau ihm zuvor.

Sie stand auf und reckte Alec ihre Hand entgegen.

„Alec, darf ich um den ersten Tanz bitten?“
 

Robert blieb fast die Spucke weg. Maryse schaute völlig verblüfft.

Clary dagegen grinste. Wieder ein kleines Stückchen Rebellion, ohne den anderen zu sehr auf den Schlips zu treten.

„Aber gern“, sagte Alec, auch wenn ihm der Bauch zwickte. Er konnte eben nicht tanzen und würde sich vermutlich schrecklich blamieren.
 

Nun, vielleicht war es in Roberts Augen tatsächlich eine Blamage.

Alec versuchte zu führen, wie das eben so üblich ist. Da er nun aber nichts vom Tanzen verstand, ging das gewaltig nach hinten los und sie traten sich gegenseitig ständig auf die Füße. Also versuchte Clary, die an sich wunderbar tanzen konnte, das Führen zu übernehmen; da sie damit aber keinerlei Erfahrung hatte, stolperten sie beide auf der Tanzfläche nur so dahin. Es war ein Desaster.

Aber …

Anstatt wütend zu werden oder beleidigt, fing Clary an zu grinsen und schließlich zu lachen. Sie lachte nicht über Alec, sondern über sie beide und ihre Ungeschicklichkeit und war dabei so herzlich und fröhlich, dass Alec nichts blieb, als mit zu lachen.

Wenn das ganze also alles andere als elegant aussah, konnte man doch nicht umhin, ihnen anzusehen, dass sie beide einen Heidenspaß hatten. Das ganze war so lustig, dass selbst Maryse schmunzeln musste.

Der einzige, der rot vor Zorn und peinlicher Berührtheit war, war Robert Lightwood.

Aber wer Robert kannte, hätte sich nicht darüber gewundert.

schwarz und bernsteingold

Sie tanzten noch zwei weitere Tänze.

Während des letzten, eines langsamen Stückes, das sie recht nah aneinander tanzten, sagte Clary leise:

„Nichts für ungut, Alec, aber … kann dein Bruder besser tanzen?“

Alec schmunzelte.

„Jace? Ja, das kann er tatsächlich.“

Jace, der Frauenheld. Tanzen konnte er, ja. Dinge, von denen man annahm, dass Frauen und Mädchen sie toll fanden und die geeignet waren, die Weiblichkeit von sich zu überzeugen und zu verführen, ja, so etwas konnte Jace.

„Ob du ihn überzeugen kannst, dass er mich zum Tanz bittet?“
 

Wieder grinste Alec.

„Ich glaube nicht, dass ich da viel Überzeugungsarbeit leisten muss.“

„Meinst du?“

„So wie er dich anschaut?“

Clary runzelte die Stirn.

„Alec, ich … wir werden später auch noch mal tanzen müssen. Oh, das kam jetzt falsch raus. Es macht Spaß mit dir, und ich mag dich.“

„Schon gut, Clary. Ich weiß doch, was los ist. Wir können gerne später noch mal tanzen, damit unsere ‘Kuppler’ zufrieden sind.“
 

Die Musik verebbte.

Bevor ein neues Stück begann, nahm er Clarys Arm und führte sie zurück zum Tisch.

Sie ließ sich auf ihren Stuhl plumpsen.

„Ich habe Durst!“

Wie aus dem nichts tauchte Raphael auf.

„Darf ich Ihnen Wasser bringen, Miss Garroway?“

„Oh ja bitte.“

Der Junge Elf wandte sich an Isabelle.

„Und welchen Wunsch darf ich Ihnen erfüllen?“

Wieder blieben seine Augen ein wenig länger an den ihren hängen, als es professionell angebracht gewesen wäre.
 

„Champagner!“, rief Izzy.

„Selbstverständlich“, sagte er und verschwand.

Isabelle schaute ihm hinterher.

„ … und dann ein Tanz, das wäre schön!“, sagte sie leise.

„Isabelle!“ Robert spie die Worte geradezu aus.

Izzy verdrehte die Augen.

„Dein Vater hat recht“, sagte Maryse. „Du solltest dich nicht mit dem Personal auf die private Ebene einlassen, zumal nicht mit den Schattenwesen!“

„Ja, ja, schon gut.“ Isabelle klang verschnupft.

Sie hatte noch nie viel von der ganzen ‘Wir sind was Besseres als die Schattenwesen’- Nummer gehalten.

„Dann tanze ich eben mit Alec.“
 

In dem Augenblick aber hörte sie ein Räuspern, und als sie aufblickte, sah sie in die brillenglasumränderten Augen von Simon Lewis, dem Bandleader.

„Ich ...“, stotterte der junge Mann, dann nahm er sich zusammen.

„Ich habe meine Jungs gebeten, mal ein paar Stücke ohne mich zu spielen. Damit ich … wenn Sie es gestatten, meine Herrschaften … mit dieser wunderbaren jungen Dame tanzen kann …?“

Er schwankte zwischen rot und kalkweiß.

Izzy grinste.

Und bevor der Vater etwas von wegen „nicht mit dem Personal“ sagen konnte, sprang sie auf und sagte: „Selbstverständlich, gern!“

Simon strahlte und führte Isabelle, die in ihrem schimmernden Outfit geradezu hervor stach, auf die Tanzfläche.
 

Robert schüttelte verärgert den Kopf.

„Zu meiner Zeit hätte es so etwas nicht gegeben“, sagte er.

„Nun, dieser Simon scheint immerhin wenigstens ein Mundi zu sein“, wandte Maryse ein.

„Das ist auch nicht gerade standesgemäß!“

„Nun lass ihr doch ihren Spaß“, sagte Maryse und seufzte. Manchmal war Robert einfach zu stur.
 

Simon brachte nach dem Tanz, charmant und gentlemanlike, Izzy wieder zurück zum Tisch.

„Vielen Dank“, sagte er. „Es war wunderbar. Aber jetzt muss ich wieder spielen, Mr. Garroway schaut mich schon so finster an.“

Er eilte davon.

Robert schaute ihm missbilligend hinterher.

„Isabelle, du wirst dich von ihm fern halten.“

Izzy seufzte, aber auch sie hatte im Moment keine Lust auf Streit, daher sagte sie nur:

„Ja, Vater.“
 

Die Musik setzte fort. Es gab schnelle und langsame, altmodische und moderne Stücke und insgesamt musste man der Band zugute halten, dass sie sich tatsächlich bemühten, jeden mit einzubinden.
 

Schließlich, als Alec wieder mit Clary über die Tanzfläche stolperte, stoppte die Musik mit einem lauten Beckenschlag. Einen Augenblick war es still, dann setzten heiße, aufpeitschende Rhythmen ein. Irgendetwas karibisches - und das Licht im Saal wurde dunkler. Ein Spotlight wurde auf die Mitte der Tanzfläche gerichtet und die Tanzpaare zogen sich ein bisschen an den Rand der Fläche zurück.
 

Wie aus dem nichts erschienen in der Mitte ein elegant gekleidetes Paar.
 

Eine schlanke, elegante Frau und ein Mann der …

Oh Mann. Der schlichtweg Alec den Atem raubte.
 

Er war nicht allzu groß, aber schlank und von geradezu zauberhafter Anmut. Sein Gesicht hatte offenbar einen asiatischen Einschlag. Seinen Augen hatten eine undefinierbare Farbe … Es schwankte zwischen beinahe schwarz und einem schimmernden Bernsteingold.

Sein schwarzes Haar war in frechen Spitzen aufgegelt.

Er trug ein einen Smoking, der wie angegossen saß, und bei jeder Bewegung mitzugehen schien.

Seien Augen waren … ja was eigentlich? Schwarz umrandet mit … Eyeliner? Es war in dem hellen Scheinwerferlicht gut zu erkennen, auch, dass er tiefvioletten Nagellack trug und auf dem Ringfingernagel ein schimmerndes Steinchen.

Ringe an beinahe jedem Finger, einen schimmernden Ohrschmuck … du liebe Güte, er war einfach eine auffällig Erscheinung.
 

In einer beinahe artistischen Bewegung wirbelte er seine Partnerin herum. Seine Füße bewegten sich zur Musik, und waren dabei so schnell, dass Alec es faszinierend fand, das er nicht stolperte.

Der Mann legte eine gerade katzenhafte Geschmeidigkeit an den Tag. Nun, seine wunderschöne Partnerin sicher auch, aber Alec hatte nur Augen für ihn.
 

Clary und er hatten aufgehört zu tanzen, wie viele andere auch, und schauten nun begeistert dem Tanzpaar zu.

„Wer ist das?“, flüsterte Alec.

„Das sind die hiesigen Tanzlehrer“, flüsterte Clary zurück.

„Camille Belcourt und Magnus Bane.“
 

Magnus.

Magnus Bane.

Alec ließ sich unhörbar den Namen auf der Zunge zergehen.

Magnus Bane.
 

Camille und Magnus wirbelten, steppten, flossen regelrecht um einander herum. Was für ein Paar, dachte Alec. Was für eine beneidenswerte Frau.
 

Das Mikro auf der Bühne quietschte.

Luke Garroways Stimme ließ sich hören.

„Meine Damen und Herren: unsere Tanzlehrer!“, sagte er und allgemeines Klatschen brandete auf.

Die beiden hatten bei seinen Worten elegant ihre letzte Bewegung ausgleiten lassen.
 

Luke machte eine Art scheuchende Bewegung.

Camille und Magnus trennten sich voneinander und schritten auf die Gäste zu.

Camille reichte ihre Hand einem tollpatschigen jungen Mann, der darauf hin grinste wie ein Honigkuchenpferd.
 

Magnus schritt auf seiner Seite die Menge ab. Frauenherzen schlugen höher, Gesichter wurden rot, Lippen befeuchtet.

Und dann streckte Magnus mit einem charmanten Lächeln die Hand aus und winkte jemanden zu sich heran, und sein erwählter Tanzpartner war …
 


 

… Alec.

Eichenfass und Ehrgepussel

Alec schluckte. Sein Hals war trocken und sein Herz schlug wie ein galoppierendes Rennpferd.

Um ihn herum brandete Applaus, und die Musik … die Musik …

Die nahm er gar nicht mehr war.
 

Manchmal spielen sich in Sekundenbruchteilen im Kopf Dinge und Überlegungen ab, die eigentlich viel mehr Zeit in Anspruch nehmen müssten.
 

Er will mit mir tanzen, dachte Alec. Oh Gott.

Und dann:

Engel, hilf, was soll ich jetzt tun?
 

Wollte er das? Tanzen mit diesem Mann, Magnus Bane, dessen Augen in diesem Augenblick wie uralter Whisky aus jahrhundertelang in Eichenfässern gereiften Jahrgängen schimmerten? Und genau so berauschend?

Oh Engel, ja! Und wie er das wollte! Er wollte die dargereichte Hand nehmen, diese fein manikürte und wie ein Kunstwerk anmutende Hand.

Er wollte von Magnus Bane herumgewirbelt werden und es würde ihm nicht im geringsten etwas ausmachen, wenn er dabei ebenso tollpatschig wirkte, wie gerade noch mit Clary.

Wobei er das bezweifelte; er hatte das Gefühl, dass Magnus, dessen Lächeln schmeichelnd und auffordernd zugleich wirkte, in der Lage war, ihn so zu führen, dass es wie ein Tanz wirkte und nicht wie das Herumstolpern eines dreijährigen.
 

Aber sollte er das auch tun?

Es wäre unhöflich, Clary zurück zu lassen … er wandte sich zu der jungen Frau um, doch Clary machte eine Geste mit der Hand, die unmissverständlich sagte: ‘Nun mach schon!’
 

Aber … er konnte doch nicht … mit einem anderen Mann tanzen? Noch dazu mit einem, der offenbar ein Schattenwesen war?
 

Aus dem Augenwinkel sah er Robert. Sah, wie dessen Gesicht langsam aber sicher zu der Farbe von frisch geernteter Roter Bete überging. Der von seinem Stuhl aufsprang und Anstalten machte, hierher, zu ihm, zu Alec, auf die Tanzfläche zu kommen. Wutschnaubend, um den Affront gegen die Schattenjägerehre, als den er das ganze sicher betrachten würde, zu unterbinden.
 

Auf der Bühne hinter dem Mikrofon sah er Luke Garroway, der bleich und unsicher auf die Situation schaute.

Er sah ein paar entsetzte Gesichter, aber auch ganz viele neugierige oder gar zustimmende.
 

Izzy. Seine Schwester. Sie stand neben Robert und nickte Alec zu. Strahlte geradezu. Auch ihr Blick verhieß: ‘Mach schon!’
 

Und da dachte Alec:

Zur Hölle!

Zur Hölle mit dem ganzen Ehrgepussel!

Zur Hölle mit den Standesunterschieden!
 

Und er legte seine Hand in die von Magnus Bane.
 


 

Es war ein Gefühl, als ob sein Herz in Honig getaucht würde.

Die Musik um sie herum war da, ja, aber er hätte nicht sagen können, was gerade gespielt wurde. Es war etwas rhythmisches, und Magnus, der eine Hand auf seine Hüfte gelegt hatte, führte ihn tatsächlich auf eine Art und Weise, die es ihm möglich machte, mit dem Takt, mit dem Rhythmus mitzugehen. Der Mann wusste was er tat, das spürte Alec.

Ansonsten aber war es für ihn wie ein Gleiten durch einen Sternenregen.

Sein Herz raste, sein Magen drehte sich, seine Lippen waren trocken, doch das, was er fühlte war eine Art von bezauberndem Schwindel, der ihn trug wie in einem Wirbel aus … glitzernden Funken.
 

Magnus’ Lächeln schien nur für ihn persönlich zu existieren. Natürlich stimmte das nicht, denn Magnus war ein Tanzlehrer und somit geradezu verpflichtet, sein Gegenüber mit dem charmantesten Lächeln zu bedenken, zu dem er fähig war. Und doch …
 

Magnus Augen glühten.

Alec versank in ihnen.

Sie sahen jetzt aus wie eine Sommernacht.

Sie funkelten, sprühten, strahlten Wärme aus. Nun, auch das war sicher nicht nur für ihn reserviert, und doch …
 

Magnus’ Duft. Nach Exotisch irgendwie. Ein bisschen wild, ein bisschen gezähmt, ein bisschen frisch und uralt zugleich … Himmel, dachte Alec, wenn man an Klischees sterben könnte, wäre dies hier meine letzte Stunde.

Aber Magnus Duft umgab und überwältigte ihn nun mal, während sie über die Tanzfläche glitten, wirbelnd, gleitend, langsam, schnell … während Magnus von ihm steppte und ihn wieder an sich heran zog; ihn nach hinten drückte und sich über ihn beugte … nein, sicher, auch wenn die Situation geradezu danach schrie, erfolgte kein Kuss, natürlich nicht, immerhin war Alec nichts anderes als ein Urlaubsgast und Magnus tat hier nichts weiter als seinen Job … und doch …
 

Eine Wange, die der seinen nahe kam. Ein geflüstertes: „Du bist gut!“

Alec schüttelte den Kopf.

„Bin ich nicht!“

Magnus lachte. „Oh doch, junger Mann!“

Wieder waren Alecs Lippen trocken.
 

Und dann verklang die Musik und Magnus sorgte mit einem letzten Herumwirbeln und Ausgleiten dafür, dass sie sich beide noch mal von den Umstehenden einen Applaus verdienten.

Magnus lachte fröhlich und warf Alec einen Handkuss zu. Dann verbeugte er sich und drehte sich um, um einer älteren Dame, die in der Nähe stand und große Augen machte, den nächsten Tanz anzubieten.
 

Alec fiel es schwer, auf den Boden der Tatsachen zurück zu finden.

Was es schließlich schaffte, ihn aus dem träumerischen Gefühl zu reißen, das er bis eben noch empfunden hatte, war Roberts Stimme, die geradezu vor Wut zu kochen schien, als er voller Zorn ausstieß:

„Alexander Gideon Lightwood! Wie kannst du es wagen, uns hier so zu brüskieren!“

„Robert“, zischte Maryse, die neben ihm stand. „Bitte nicht hier!“

Robert atmete schwer.

Dann packte er Alec am Ärmel seines Jacketts und zog ihn mit sich in Richtung der Ausgangstür. Izzy wollte ihnen nacheilen, aber Maryse hielt sie zurück.
 

Alec hatte keine Lust auf einen Streit mit dem Vater, aber ihm war klar, dass er da wohl nicht drum herum kommen würde. Er drehte den Kopf, und das letzte, was er sah, bevor der Vater ihm aus der Saaltür zerrte, war ein Blick aus Magnus’ Augen, die jetzt scheinbar wie ein Sonnenuntergang glühten.

Streit und Sternenhimmel

Draußen zog der Vater Alec ein wenig seitwärts, bis sie bei einem üppig blühenden Gebüsch unter Palmen zu stehen kamen.

„Alec“, fauchte er, „was hast du dir dabei gedacht!“

Alec schwieg. Was gab es darauf auch zu antworten?

„Nicht nur, dass du dich selbst erniedrigst, mit einem Angestellten zu tanzen. Du, der künftige Leiter des New Yorker Instituts! Nein, als ob das nicht genügte, tanzt du auch noch mit einem Schattenwesen! Was denkst du dir eigentlich dabei? Es ist ja schon schlimm genug, dass deine Schwester keinerlei Anstand beweist, aber nun auch noch du!“

Wieder schwieg Alec.

„Und was das schlimmste bei alledem ist - du tanzt auch mit einem Mann! Kannst du dir denn nicht vorstellen, wie das in den Augen der Anwesenden aussehen muss?“
 

Jetzt hob Alec den Blick und sah dem Vater in die Augen.

„Vater, ich denke nicht, dass das für die meisten hier ein Problem ist …“
 

Klatsch!

Die Ohrfeige, die Robert ihm verpasste, schallte in die Nacht hinein.

Alec sah ihn einen Augenblick mit vor Staunen offenem Mund an, dann drehte er sich um und stapfte davon.
 

„Alec! Alexander! Jetzt warte doch!“

Offenbar kam ihm der Vater nachgerannt.

„Alec!“

Er riss ihn am Ärmel seines Jacketts herum.

„So warte doch!“

„Wozu, Vater?! Damit du mich noch mal schlagen kannst?!“

Alec hielt mühsam die Tränen der Wut zurück.
 

Der Vater atmete schwer.

„Es tut mir leid, mein Junge. Wirklich. Ich hätte das nicht tun sollen.“

Die sonst so beeindruckende und eine machtvolle Präsenz ausstrahlende Gestalt des Vaters schien in sich zusammen zu fallen.

Alec schniefte.

„Ja“, sagte er. „Das hättest du nicht.“
 

„Alec, ich … lass uns in Ruhe reden, einverstanden?“

Einen Augenblick zögerte Alec, dann nickte er und folgte dem Vater, der ihn zu einer Bank an einer der mit duftenden exotischen Blüten aufwartenden Rabatten geleitete.

„Alec, die Ohrfeige tut mir wirklich leid. Mir sind die Nerven durchgegangen. Das war falsch.“

Alec nickte.

„Aber, mein Junge, wir müssen darüber reden. Es geht nicht, dass du dich in aller Öffentlichkeit so aufführst. Du machst dir damit deine Zukunft kaputt.“
 

Seine Zukunft. Sie war ihm immer so erstrebenswert erscheinen. Das, was er wollte. Wofür er arbeitete, lernte, vieles aufgab und das so akzeptierte. Das, was ihm auch eine Menge geben würde.

Doch jetzt, hier, inmitten der Blüten und der Palmen, unter dem herrlichen Sternenhimmel Indonesiens, schien sie ihm auf einmal gar nicht mehr so begehrenswert.

„Es ist einfach wichtig, dass niemand an deinem Charakter zweifelt, Junge. Du bist ein Schattenjäger. Und Schattenjäger verkehren nun mal nicht auf freundschaftlicher Ebene weder mit Angestellten noch mit Schattenwesen. Und …“

Robert sah ihn mit durchdringendem Blick an, „… Schattenjäger tanzen nicht mit dem gleichen Geschlecht!“
 

„Und warum nicht?“, sagte Alec, dem das alles allmählich zu viel wurde.

Robert wollte zum Sprechen ansetzen, aber Alec stoppte ihn.

„Ich weiß schon, was du sagen willst, Vater. Die alten Regeln, die Ehre. Schon gut. Aber kann ich denn nicht mal hier im Urlaub für ein paar Wochen, wenigstes für ein paar Tage das alles hinter mir lassen und einfach mal sein, wer ich wirklich bin?“

Robert schloss voller Verdruss die Augen.

Alec fuhr fort:

„Es war ein Tanz, Vater. Ein einziger verdammter Tanz!“
 

Diesen Ton kannte Robert nicht von seinem Sohn.

„Und es wird sich nie wiederholen!“, fauchte er. „Niemand darf etwas bemerken!“

Alec schaute überrascht auf. Wusste der Vater …?

„Ja, Alec. Ich weiß Bescheid. Ich weiß, dass du aus der Art geschlagen bist und homosexuell bist.“ Er sprach das Wort aus, als würde er ein ekliges Insekt ausspeien.

„Aber, Junge, du musst dich dagegen entscheiden, wenn du deine Karriere wie geplant verfolgen willst, und ich erwarte einfach von dir, dass du das tust!“

‘Na super’, dachte Alec. ‘Als ob ich mich entscheiden könnte, nicht mehr schwul zu sein!’
 

Doch dann holte er langsam Luft.

In vielem hatte der Vater wohl recht und er wusste, dass er keine Wahl hatte.

„Ich weiß das ja. Ich will ja nicht aufgeben, was ich ein Leben lang angestrebt habe. Bestimmt nicht.“

Robert wirkte erleichtert ob Alec’s Worten.

„Aber ich möchte einfach ein paar Wochen Freiheit haben, hier, bei Garroway’s, während der Ferien. Bevor ich dann mein Studium fortführe, und das Mädchen heirate, dass ihr mir vorsetzt. Sei es nun Clary oder wer auch immer.“

„Nun, selbstverständlich wird das Clary sein!“

„Ja, Vater“, sagte Alec, und dachte nur: ‘wenn du wüsstest!’

Aber er war froh, die Sache um Clary jetzt in diesem Moment nicht mit dem Vater ausdiskutieren zu müssen.

„Lass mir die paar Wochen Freiheit, und dann bin ich bereit, ein Leben für das Institut, für die Schattenjägerwelt, für Stärke und Macht im Schatten des Engels zu führen; Hand in Hand mit den stillen Brüdern; hoch erhoben über die Schattenwesen, wachend über die Mundi.“

Alec hatte somit den Schwur wiederholt, den jeder junge Schattenjäger leisten musste.

„Und …“, fügte er leise hinzu, „all das, auch wenn es ein Leben ohne … die Liebe ist.“
 

„Ph, Liebe“, sagte Robert. „Als ob das etwas wäre, was man anstreben sollte.“

Alec sah ihn überrascht an.

„Aber … du und Mutter …“

„Verstehe mich nicht falsch“, sagte Robert. „Ich schätze deine Mutter sehr. Sie ist eine großartige Frau. Aber sie hab ich nicht aus Liebe geheiratet, sondern aus genau den Gründen, aus denen du Clary ehelichen wirst. Und ich bin froh darüber. Wäre ich der Liebe gefolgt … sie hat mich damals, als ich so jung war, wie du, beinahe an den Abgrund gebracht.“
 

Trotz der Versicherung, dass es gut so sei, wie es nun mal war, klang Roberts Stimme traurig. Sehnsüchtig.

„Wer war sie?“, fragte Alec sanft. Ungeachtet ihres Streites fühlte er sich jetzt, in diesem Augenblick, dem Vater nahe wie lange nicht mehr. Was für Geheimnisse trug dieser Mann in seinem Herzen?
 

Doch dann stand Robert auf.

„Komm, Alec. Lass uns zurück gehen. Du solltest dich bei Clary entschuldigen und mit ihr tanzen, man lässt seine zukünftige Frau nicht einfach so auf einem Ball allein.“

Alec seufzte und folgte dem Vater.

Die Vertrautheit, die sich da gerade aufzubauen begonnen hatte, war wohl vorerst einmal vorbei.

Heimlichkeit und Rückendeckung

Als Alec den Saal hinter seinem Vater wieder betrat, war er fest entschlossen, heute Abend Spaß zu haben.

Jetzt erst recht, dachte er. Was war schließlich dagegen einzuwenden?

Wenn er schon nicht das Recht hatte, sein Leben so zu leben, wie er es sich wünschte. Wenn es schon ein Leben ohne Liebe sein sollte, und es anscheinend keinen anderen Weg gab.
 

Tja, das mit der Liebe war so eine Sache.

Alec hielt sich erst einmal im Hintergrund des Saales, um ein wenig nachzudenken.

Die Liebe war ihm noch nicht begegnet in seinem Leben. Nun ja, sicher, er schwärmte für Jace. Vielleicht war er auch tatsächlich verliebt in ihn, oder war es jedenfalls gewesen … aber das, was er mit Liebe verband, der wirklichen, tiefen Liebe zu einem Partner, mit dem man das Leben verbringen wollte … nein, das war es nicht.
 

Und wenn er ehrlich war zu sich selbst, hoffte er beinahe, dass diese Art von Liebe ihm niemals begegnen würde. Denn was würde es bringen? Er könnte ihr nicht nachgeben; immerhin würde er bald mit einer Frau verheiratet sein, wenn auch vermutlich nicht mit Clary. Und Alec mochte seine Fehler haben, das bestritt er nicht, aber er war treu und loyal. Sollte er wirklich heiraten, würde er, Liebe hin, Liebe her, seine Frau nicht betrügen.
 

Er seufzte und beschloss, heute nicht mehr über das Thema nachzudenken.

Also schob er sich durch die Menge und trat schließlich zu ihrem Familientisch.

Robert war nicht hier; er war auf der Tanzfläche und tanzte mit Maryse.

Alec setzte sich neben Clary, die ihn fragend ansah.

„Alles okay, Alec?“, fragte sie.

Er zögerte einen Augenblick, und antwortete dann:

„Ja, schon.“

Nun, wirklich überzeugend klang das nicht. Doch Clary schien zu spüren, dass er nicht reden wollte.
 

In dem Augenblick kamen Jace und Izzy, beide fröhlich lachend und erhitzt, von der Tanzfläche. Izzy schnappte sich ihr Champagnerglas und stürzte es hinunter, während Jace eine formvollendete Verbeugung vor Clary machte, sie verschmitzt anlächelte und sagte:

„Darf ich bitten, holdes Fräulein?“

Clary lachte.

„Spinner! Aber ja, gerne.“

Und schon schwirrten die beiden ab.
 

Izzy fächelte sich mit der Hand Luft zu.

Dann schaute sie zu Alec hinüber.

„Er ist beeindruckend, oder?“

Alec nickte.

„Jace? Ja, ich denke schon.“

Seine Schwester lachte.

„Doch nicht Jace! Ich meine Magnus Bane!“
 

Oh, ja, natürlich. Sie meinte Magnus Bane.

Alec schluckte.

„Ja. Ja, das ist er.“

„Gefällt er dir?“, fragte Izzy, die offensichtlich auch Bescheid wusste … hey, wieso wusste hier scheinbar jeder Bescheid? Kannten ihn einfach alle so gut? Oder war er einfach so wenig subtil?

„Ja, das tut er“, sagte Alec.
 

Izzy rutschte näher an ihn ran. Sie schaute sich um, aber sie saßen allein am Tisch, und die anderen waren noch auf der Tanzfläche und dort schwer in Schwung.

„Hör mal“, sagte sie leise.

„Ich habe vorhin mit Raphael gesprochen. Und, na ja …“

Sie sah sich erneut um.

„ …morgen Abend findet eine Party statt. In den Personalquartieren. Unter den Angestellten, die dann gerade keinen Dienst haben. Raphael hat mich eingeladen.“

Alec riss die Augen auf.

„Izzy! Was wird Vater sagen!“

Isabelle schnaubte.

„Nix, weil er nichts davon weiß. Und du wirst ihm sicher auch nichts sagen, oder?“

„Nein, du kannst dich auf mich verlassen. Aber willst du denn wirklich dahin gehen?“

Izzy nickte und strahlte.

„Du magst Raphael, oder?“, fragte Alec.

Izzy wurde rot.

„Ich weiß nicht … irgendwie schon.“

Sie war sichtlich verlegen, ganz ungewöhnlich für diese sonst so selbstbewusste junge Frau.

„Na jedenfalls“, fuhr sie fort, „hat er gesagt, ich solle dich ruhig mitbringen.“

Alec schüttelte den Kopf.

„Nein, Izzy, das geht nicht, ich kann nicht …“

„Ach, Alec“, fuhr seine Schwester ihm ins Wort.

„Denk doch mal einen Abend nicht an deine Pflichten, deine Zukunft, unseren Vater. Wir sagen ihm, wir wollten zusammen ausgehen, und dann haben wir einfach mal Spaß, ja? Bitte, Alec.“

Sie sah ihn eindringlich an.

„Übrigens“, fügte sie leise hinzu, „Magnus wird auch dort sein.“
 

Jetzt war es an Alec, rot zu werden.

Sein Blick glitt zur Tanzfläche, wo Magnus gerade mit einer dicklichen und scheinbar etwas unbeholfenen Frau in den Vierzigern tanzte und dabei ein gequältes Lächeln zur Schau stellte.

Magnus würde auch dort sein, und er, Alec, würde vielleicht die Gelegenheit haben, sich mit ihm zu unterhalten … doch nein, sicher hätte ein Mann wir Magnus kein Interesse an einem langweiligen Typen wie Alec. Aber immerhin könnte er ihn anschauen und vielleicht erneut beim Tanzen beobachten … beim richtigen Tanzen und nicht beim Rumstolpern mit irgendwelchen Muttchen …
 

„Also gut“, sagte er. „Ich komme mit. Aber Vater darf um Himmels willen nichts davon erfahren.“

„Das wird er nicht“, sagte Izzy. „Jace gibt uns Rückendeckung. Mit dem hab ich schon gesprochen. Dafür helfen wir ihm, zu verbergen, dass er den morgigen Abend komplett mit Clary verbringt.“

Alec grinste. Seine Schwester war schon was besonderes.

„Und jetzt komm“, sagte Izzy. „Lass uns tanzen, Brüderchen.“

Er seufzte. Andererseits, mehr blamieren als vorhin mit Clary konnte er sich ohnehin nicht mehr, also los! Und so stolperte er mit Isabelle über die Tanzfläche, stieß mit anderen Paaren zusammen, lachte; fing immer mal wieder missbilligende Blicke von Robert auf, der sich aber mit irgendwelchen Äußerungen immerhin zurück hielt; und fing von Zeit zu Zeit den Duft von Magnus auf, wenn er nah an ihm vorbei tanzte.
 

Magnus Augen, die nun die Farbe von weichem Karamelltoffee hatten, blieben immer wieder an ihm hängen. Und das Lächeln, das Magnus in seine Richtung schickte … nein, sicher galt das nicht ihm. Sicher nicht.

Aber, zur Hölle, ja, Alec hätte es sich gewünscht, dass es an ihn gerichtet gewesen wäre.

Golfcourt und Goldfisch

Sie schliefen recht lange am nächsten Morgen, da sie bis spät in die Nacht getanzt und gefeiert hatten.

Der nächste Tag versprach, recht ruhig und entspannt zu werden, da keiner von ihnen tagsüber Pläne hatte.

Maryse und Robert waren nach dem Frühstück zum Golfcourt aufgebrochen, man würde sie wohl erst zum Abendessen wiedersehen.

Alec war das ganz lieb, denn er wollte nachdenken und für sich sein.

Der gestrige Abend hatte einiges in ihm durcheinander gerüttelt, was er als unverrückbar feststehend erachtet hatte, und das alles wollte er sich durch den Kopf gehen lassen.

Die Beziehung seiner Eltern, die wohl nicht von Liebe geprägt war, wie er immer geglaubt hatte.

Sein Vater, der wohl eine tiefgründigere Geschichte hatte, als Alec bewusst gewesen war.

Seine eigene Zukunft, bisher in Stein gemeißelt … er begann, daran zu zweifeln …
 

Und dann war da nicht zuletzt Magnus Bane.

Ja, der Mann hatte ihn nun einmal beeindruckt. Und wie auch nicht: er war eine schillernde Erscheinung, das ließ sich nicht leugnen. Er hatte viele Blicke auf sich gezogen. Sein Auftreten, sein Aussehen, seine Bewegungen, seine Geschmeidigkeit … und nicht zuletzt die Augen.

Gott, diese Augen!
 

So ganz war Alec sich nicht sicher: sollte er wirklich zu der Party heute Abend gehen?

Ja, natürlich, er wollte gerne, aber war das auch vernünftig?

Sein Herz tat seltsame Dinge mit ihm. Die Schwärmerei für Jace begann zu verblassen … nun, er liebte Jace immer noch wie einen Bruder, einen Parabatai. Es gibt niemanden, der einem Schattenjäger näher steht.

Aber das andere… das verblasste, und ein neues Gesicht schob sich vor sein Inneres Auge, wenn er einfach vor sich hin träumte.
 

Magnus.
 

Und etwas dümmeres hätte sein Herz doch nicht tun könne, oder?
 

Alec seufzte, als er gemächlich den Pfad zwischen den herrlich duftenden Hibiskusbüschen hindurch schlenderte.

Er hatte kein bestimmtes Ziel. Zum Strand wollte er nicht; dort war es ihm zu belebt, ebenso am Pool. Und er wollte lieber allein sein.

Also lief er, wohin ihn die Füße trugen.
 

Aber ehrlich, war sein Herz etwa dabei, sich in Magnus zu verlieben?

Ihm wurde heiß, als er seine verworrenen Gefühle zum ersten Mal so beim Namen nannte.

Ausgerechnet Magnus Bane.

Zum einen die schillerndste Persönlichkeit der ganzen Anlage, die mit Sicherheit keinen zweiten Blick auf jemanden simples wie Alec verschwenden würde.

Auf der anderen Seite ein Schattenwesen und damit in den Augen seines Vaters und anderer Hardliner automatisch weniger wert als er, Alec …

Sich in ihn zu verlieben wäre wirklich äußerst dumm.

Nun, das Herz macht, was es will, und fragt nicht nach Vernunft oder Regeln.
 

Alec war ohne auf den Weg zu achten bei den Fischteichen angekommen. Eine Anlage aus mehreren kleinen künstlich angelegten Gewässern, in denen Goldfische lebten.

Sie waren mit bambusartigen Gewächsen umgeben und von kleinen Holzstegen durchzogen, über die man spazieren konnte und dabei die hübschen Wasserbewohner beobachten konnte.

Alec lief auf einen der Stege und streifte nach einem Augenblick zögern die leichten Leinenschuhe ab, in die er heute morgen geschlüpft war. Er ließ sich auf dem von der Sonne aufgeheizten Holz nieder und hängte die Füße ins Wasser.

Durfte man das hier überhaupt? Oder störte das die Fische?

Seine Schultern verspannten sich ein wenig. Dann dachte er: vielleicht sollte ich einfach aufhören, mich in jeder Situation des Lebens zu fragen, ob man das oder das tatsächlich darf …
 

Er schüttelte sich und genoss die Kühle, die nun seine Füße umspülte.
 

Tja, also Magnus. Wieder drifteten seine Gedanken zu dem Manne ab, der ihn gestern Abend in einem Tanze durch den Saal gewirbelt hatte, der nicht nur seinen Kopf schwindelnd und schwirrend zurück gelassen hatte.

Also noch mal, liebes Herz: verliebst du dich gerade? In den Mann mit den Augen, die in jeder Stimmung anders schimmern? In den Mann, dachte Alec, der so weit außerhalb meiner Reichweite steht, in so vieler Hinsicht?

Ach, dummes Herz.

Pumpe doch einfach Blut durch die Adern meines Körpers, das ist schließlich dein Job, und lass mich mit solchen Tollheiten in Ruhe.
 

Wieder seufzte er, denn er war sich klar, dass das so nicht funktionierte.

Wäre er doch besser nie mitgekommen.

Hätte er sich doch geweigert, mit der Familie nach Indonesien zu fliegen, hätte er doch Lernstoff vorgeschoben, Pflichten, sonst etwas, und wäre in New York geblieben!

Aber das half nun nichts. Er war nun einmal hier und würde mit der Situation zurecht kommen müssen.
 

Er plätscherte ein wenig mit den Füßen im Wasser.

Ein keiner Roter Fisch kam neugierig heran geschwommen und ließ ein paar winzige Blasen zur Oberfläche des Teiches ersteigen.

Alec grinste.

„Na kleiner? Du hast also auch etwas dazu beizutragen, ja?“

Ein erneutes Plätschern mit den Zehen, und schwupp, schon war der Fisch mit einer aberwitzigen flinken Wendung davon gehuscht und unter einem der Seerosenblätter verschwunden.

„Schon gut“, lachte er leise. „Keine Angst, ich tue dir doch nichts!“
 

In diesem Augenblick fiel ein Schatten über seinen Nacken. Ein Gewicht drückte die etwas lockere Planke herauf, auf der Alec saß.

„Na, wer unterhält sich denn hier mit der heimischen Tierwelt?“, fragte jemand mit einem deutlich hörbaren Amüsement in der Stimme.

Alec drehte sich um, Hitze und Röte überzog sein Gesicht, und er blickte genau in die faszinierenden Augen von Magnus Bane.

Charme und Dampfhammer

„Ich …“, setzte Alec an, doch dann schwieg er. Er war sich bewusst, dass er jetzt und hier nicht viel mehr als ein Stottern zusammen bringen würde. Also ließ er es lieber.

Der andere schmunzelte.

„Mache ich dich sprachlos?“

Alec, der noch mehr errötete, senkte das Gesicht. Er war sich Magnus’ Anwesenheit so bewusst, dass sein ganzer Körper zu vibrieren schien.

„Tut mir leid“, sagte Magnus, „das lag nicht in meiner Absicht.“

Alec schwieg weiterhin.

„Oder wenn ich’s recht bedenke“, fuhr Magnus fort, „dich sprachlos zu machen, auf die ein oder andere Weise, fände ich gar nicht so übel … nur in Verlegenheit bringen wollte ich dich nicht.“
 

Was zum Teufel …? Flirtete Magnus etwa mit ihm?

Langsam wandte Alec seinen Blick wieder zu dem Manne, der sich nun mit einer eleganten Bewegung auf dem Steg neben ihm niederließ. Dem Mann mit den wunderbare Augen, die nun die Farbe von geschmolzener, dunkler Schokolade zu haben schienen.

Nun, er war sich nicht sicher. War das wirklich flirten, was der andere versuchte? Aber - wenn ja, warum? Warum mit ihm? Er war doch bloß Alec! Andererseits, vielleicht flirtete Magnus mit jedem so. Das gehörte sicher einfach zu seinem professionellen Charme.
 

Oder etwa doch nicht? Immerhin war er ihm hierher gefolgt, hier wo Alec momentan allein war. Absichtlich? Oder Zufall? Sicher nur Zufall.

Dennoch.

Wenn das flirten war, und sei es nur antrainiertes berufliches nett Sein - sollte er einfach darauf eingehen? Und sei es nur, um Robert eins auszuwischen?

Also, warum nicht!
 

„Ich bin nicht sprachlos“, sagte er daher. „Noch nicht.“

Magnus lachte.

Dieses Lachen war einfach bezaubernd.

Alecs Herz pochte wie ein kleiner aber ausdauernder Dampfhammer.
 

„Na wenn das so ist“, sagte Magnus, immer noch vergnügt grinsend, „können wir uns ja ein wenig unterhalten.“

„Wenn … wenn du magst, gern“, sagte Alec leise.

„Oh, und wie ich mag!“

„Aber…“ Alec war immer noch unsicher.

„Warum mit mir? Gibt es nicht hier im Garroway’s jede Menge anderer, wesentlich interessanterer Gesprächspartner für jemanden wie dich?“

Magnus Stirn legte sich in Falten. Er sah ehrlich überrascht aus.
 

„Findest du sich denn selber uninteressant?!“

Alec nickte.

Magnus dagegen schüttelte mit gespielter Verzweiflung den Kopf.

„Also wirklich“, sagte Magnus, „da ist dieser junge Schattenjäger. Still, zurückhaltend und ausgesprochen gut aussehend.“

Es brauchte ein paar Sekunden, bevor Alec kapierte, das Magnus von ihm sprach!

„Er ist irgendwie geheimnisvoll“, fuhr Magnus fort, „immer eher im Hintergrund. Und dann tanzt er wie ein Engel …“ Was?!, dachte Alec. „ … macht mich geradezu schwindelig mit seiner Präsenz. Ist andererseits schüchtern, immer ein wenig dunkel, doch wenn man genauer in seine Augen schaut, sieht man darin das helle Licht und die Wärme. Und der soll nicht die interessanteste Person sein, die hier durch diese Ferienanlage wandelt?!“
 

Alec schluckte.

„So … so siehst du mich?“

Magnus nickte eifrig.

„Weißt du, es gibt hier so viele Leute, die einfach wirklich langweilig und spießig sind“, sagte er. „Und dann gibt es die, die sich für ach so toll halten und das wie ein Schild vor sich her tragen. Und auf unsereins herab schauen, weil ein Hexenmeister …“, er machte eine Geste zu sich selbst „ … natürlich nur ein Stück Dreck unter den Schuhen eines Schattenjägers ist. Pah.“

Er schnaubte.

"Und dann bist da du. Jemand wie du, der so anders ist, so freundlich, so geheimnisvoll, so ohne Arroganz und Kälte … wie soll ich dich da nicht faszinierend finden?“
 

Hitzewellen überrollten Alec.

Er und faszinierend.

Das hatte er noch nicht gesagt bekommen in seinem Leben. Und Magnus meinte das offenbar wirklich ehrlich.

„Also dachte ich mir“, fuhr der andere fort, „dass ich mich hier zu dir setze und versuche, deine nähere Bekanntschaft zu machen.“

Er lächelte nun überaus warm.

„Weißt du eigentlich, dass du entzückend aussiehst, wenn du so rot bist?“
 

Jetzt oder nie, dachte Alec. Er nahm allen seine Mut zusammen, sah dem anderen direkt in die Augen und fragte:

„Sag mal, Magnus - flirtest du mit mir?“

Einen Augenblick lang sah Magnus ihn völlig verblüfft an, dann brach er in fröhliches Lachen aus. Alec wusste nicht, ob er mitlachen sollte, oder sich ein wenig beleidigt fühlen sollte. Doch die Gegenwart des anderen war so angenehm, dass er zum Beleidigt sein nicht genug schlechte Stimmung in sich fand.

„Entschuldige“, jappste Magnus, „aber ich dachte, das wäre schon nach meinen ersten Worten klar geworden! Ja, ich flirte nach Leibeskräften, und ich hatte gehofft, dass du das magst? Und darauf eingehst?“
 

„Sorry“, brummelte Alec. „Ich hab nicht viel Erfahrung.“

Magnus Ausdruck wurde ernster.

„Fühlst du dich unwohl dabei?“
 

Fühlte er sich unwohl dabei? Alec dachte einen Augenblick nach. Dann schüttelte er den Kopf.

„Nein, ich … mag es.“

Das Lächeln kehrte auf Magnus’ Gesicht zurück.

„Prima. Dann kann ich ja weiter flirten mit diesem überaus gut aussehenden jungen Mann hier.“

Er zwinkerte Alec zu.
 

Dann schwang er sich mit einer sportlichen Bewegung zurück auf die Beine. Er steckte Alec die Hand entgegen.

Wow. So konnte Alec das nicht. Er packte Magnus’ Hand und ließ sich hinauf ziehen. Wesentlich tollpatschiger als der andere.
 

„Komm“, sagte Magnus, „lass uns ein Eis essen gehen. Ich lade dich ein!“

Warum nicht, dachte Alec, doch dann wurde er wieder unsicher.

„Ich glaube, das ist keine so gute Idee“, sagte er leise.

„Irgendwer wird uns sehen und es Vater stecken … der ist eh schon sauer auf mich.“
 

Ein leichter trauriger Schatten zog sich über Magnus’ Gesicht. Dann seufzte er resigniert.

„Ich verstehe dich.“

Jetzt ärgerte Alec sich beinahe über sich selbst. Warum konnte er sich nicht einfach über Roberts Anforderungen an ihn hinweg setzten? Wenigstens ein bisschen?

Er kaute auf seiner Lippe.

Dann sagte er leise:

„Tut mir leid. Ich bin noch nicht so weit.“

Magnus nickte.

„Kein Problem“, sagte er. Und dann, ebenfalls leise.

„Sehen wir uns heute Abend?“
 

Alec entschied sich in diesem Moment:

Zum Teufel, ja. Er wollte Magnus heute Abend auf der Party sehen. Da würde sich für die Eltern eine Ausrede finden. Und von den Leuten dort, Magnus Kollegen, würde ihn keiner bei den Eltern verraten. Das hoffte er jedenfalls.

„Ja“, sagte er. „Ich komme heute Abend.“

Magnus strahlte.

„Also dann“, sagte er.

Dann nahm er seine Sandalen in die Hand und schlenderte barfuß zurück in Richtung der Bungalows.

Alec blickte ihm hinterher.
 

Ja, die Frage war beantwortet.

Sein dummes, dummes Herz war dabei, sich in Magnus zu verlieben.

Ziege und Hündchen

Der Rest des Tages schlich nur so dahin.

Das Abendessen am Familientisch war eine Qual, da Robert wieder einmal zwischen Suppe und Steak Vorträge hielt über die Ehre und Pflichten des Schattenjägers, bla bla bla. Alec, der das doch schon sein Leben lang kannte und es immer für richtig gehalten hatte, hatte es auf einmal so satt.

Robert und Maryse hatten sich mit einem Ehepaar aus einem der anderen Bungalows zu einem Bridge-Abend verabredet. Oh Mann, wie langweilig. Gott sei Dank kamen sie nicht auf die Idee, dass die jungen Leute daran teilhaben sollten.

Im Gegenteil, als Alec andeutete, er würde sich später mit Clary treffen, nun gut, Jace und Izzy wären auch dabei, und sie wollten den Abend unter sich verbringen, ein wenig Musik machen und reden etc, da war Robert begeistert.

„Das ist großartig. Ich finde es schön, dass Miss Garroway und du euch näher kommt, Sohn, und dass du nebenher noch auf Izzy aufpasst - wir wissen ja beide, dass deine Schwester manchmal keinen Anstand besitzt.“

Alec verdrehte die Augen, sagte aber:

„Ja, Vater.“
 

Nun, wie auch immer.

Sie waren nach dem Essen noch nicht lange wieder in ihrem Bungalow und die Eltern waren gerade dabei, zu ihrer Verabredung aufzubrechen, als Clary auftauchte, um Alec und seine Geschwister abzuholen.

„Na dann, ich wünsche euch einen schönen jungen Abend“, sagte Robert und zwinkerte Clary aufdringlich zu.

Alec seufzte.

Vater war manchmal einfach zu peinlich.
 

Sie zogen zusammen los, in Richtung der Sportanlagen, die um diese Tageszeit eher verlassen waren.

Clary sah Alec mit einem entschuldigenden Lächeln an.

„Ich weiß, wir sollen eigentlich zusammen … na ja, aber, Alec, ist das okay für dich, wenn Jace und ich uns nun verabschieden?“

Alec nickte.

„Ich bin nicht mein Vater, Clary.“

„Ja“, sagte sie. „Entschuldige.“
 

Izzy kicherte.

„Nun haut schon ab“, sagte sie. „Aber bleibt anständig. Wenigstens ein bisschen!“

„Olle Ziege“, sagte Jace zu seiner Adoptivschwester, aber es klang ausgesprochen liebevoll.

„Bleib auch du anständig! Nicht, dass in ein paar Monaten ein paar kleine Izzys mit spitzen Elfenohren durch das Institut laufen!“

„Doofkopp!“ Izzy boxte ihn lachend auf den Oberarm.
 

Clary nahm Jaces Hand.

„Komm“, sagte sie. Jace führte ihre Hand zu seinen Lippen.

„Wohin auch immer Ihr wünscht, holde Maid.“

Sie wurde rot auf den Wangen.

Dann zog sie ihn mit sich.
 

Alec musste wohl ein sorgenvolles Gesicht gezogen haben.

„Hey“, sagte Izzy, „die beiden sind erwachsen!“

„Ich weiß.“ Alec seufzte. „Ich hoffe nur, dass Vater nichts mitbekommt."

Izzy verdrehte die Augen.

„Vater, Vater, immer nur Vater! Alec, es ist ja dein Leben, aber ehrlich: willst du dir wirklich ein ganzes Leben lang von Vater diktieren lassen, was du zu tun und zu lassen hast? Jace wird das jedenfalls nicht tun, und sei dir sicher, Clary ebenfalls nicht, weder von Dad noch von ihren eigenen Eltern. Und ich selber - na, das muss ich dir ja wohl nicht sagen.“
 

Nein, das musste sie wahrhaftig nicht.

„Du hast ja recht, Izzy. Aber, versprich mir dennoch, dass du ein bisschen auf dich aufpasst, ja? Immerhin kennst du Raphael ja noch nicht lange.“

Nun sah Isabelle ein wenig verärgert aus.

„Mann, Alexander Gideon Lightwood, ich habe nicht vor, direkt mit ihm ins Bett zu steigen.“

Alec atmete erleichtert aus.

„Aber selbst wenn“, fuhr seine Schwester fort, „ist das allein meine Sache! Ich bin volljährig, und werde mein Leben so führen, wie es mir passt. Und wenn Dad damit ein Problem hat, ist es seins, nicht meins.“

Alec schluckte.
 

„Und wenn er meint“, sagte Izzy, „dass er mich dann aus dem Haus jagt, wie er es schon mal angedroht hat, als ich nicht pariert habe wie ein dressiertes Hündchen, dann soll er das eben tun. Ich habe Freunde, die mir helfen, wenn es dazu kommt, und ich bin durchaus in der Lage , für meinen Lebensunterhalt selber zu sorgen. Ich bin nicht von ihm oder dem Institut abhängig.“
 

Dressiertes Hündchen?

War er das?

Parierte er, wenn sein Dad pfiff? War er abhängig?

Nun, für jemanden mit einem Freiheitsdrang wie Isabelle musste es zumindest so aussehen.

Ja, in ihren Augen machte er sich wohl abhängig von Vater und all dem Schattenjäger - Getue.

Aber konnte er sich Robert entgegen stellen, und wollte er das?
 

Konnte er denn auch von sich sagen, dass er auch ohne Robert, den Schattenjägerrat und das Institut mit dem Leben zurecht kommen würde?

Nun …
 

Ja. Schon. Doch, das würde er.

Er hatte nur nie auch nur im Ansatz daran gedacht.

Es würde bedeuten, alles zu verlieren, was er bisher angestrebt hatte. Aber - wollte er das denn noch?

Unter den Bedingungen, die offenbar damit verknüpft waren?

Er war sich nicht mehr darüber im klaren.
 

Sicher, er hatte das Gefühl, dass er jetzt, hier und heute noch nicht soweit war, sich Robert gegenüber auf die Hinterbeine zu stellen und sich gegen das all zu starke Gängeln zu wehren.

Aber, wurde ihm so langsam bewusst - wenn Robert ihn tatsächlich raus werfen würde, hieße das zwar einerseits, dass für ihn die geplante und bisher immer auch gewünschte Zukunft in Stücke brechen würde.

Es hieße allerdings auch, dass andererseits das Institut seinen zukünftigen Leiter verlieren würde. Es müsste ein anderer Kandidat her. Izzy? Die würde nicht im Traum daran denken. Jace käme auf Grund seiner etwas komplizierten Vergangenheit, bevor er von den Lightwoods adoptiert worden war, auch nicht in Frage.

Also müsste jemand aus einer anderen der alten Schattenjägerfamilien her. Die Lightwoods würden dadurch ihre Stellung verlieren.
 

Und mit dieser Tatsache, wurde Alec in diesem Moment klar, hatte er ein ebenso gutes Druckmittel in der Hand, wie Robert ihm gegenüber! Vielleicht ein noch stärkeres!
 

Izzy hatte ihm wohl angesehen, dass die Gedanken in seinem Kopf sich gradezu überschlugen.

„Komm, Brüderchen“, sagte sie.

„Du wirst deinen Weg schon finden. Und ich werde dich unterstützen. Egal, was passiert.“

Er nahm Isabelle kurz in den Arm. „Hab dich lieb, kleine.“

Sie lachte.

„Ich dich auch. Und jetzt gehen wie feiern!“

Sie zwinkerte.

„Ich bin sicher, Magnus wartet schon!“

„Jace hat recht“, sagte Alec.

„Womit?“

„Du bist ne Zicke!“, rief er und warf die Arme gespielt verzweifelt gen Himmel.

Sie lachte wieder.

Dann nahm sie ihn an der Hand und zog ihn hinter sich her, den palmengesäumten Weg entlang, in Richtung der Personalquartiere.

Sex und Musik

Der Raum, den sie betraten, war eine Art gemeinsamer Aufenthaltsraum, von dem aus aus zwei Flure abgingen mit den kleinen Schlafräumen der hier wohnenden Angestellten.

Er war nicht sonderlich groß, und so hatte man Platz geschaffen, indem man sämtliche Sitzmöbel an die Seite geräumt und teilweise gestapelt hatte; Der Tisch war an den Rand geschoben, und auf ihm befanden sich Getränke und ein paar Snacks, Sachen, die beim Abendessen der Gäste im Haupthaus übrig geblieben waren.

An einer Seite des Raumes stand der junge Bandleader - wie hieß der doch gleich - ach ja, Simon.

Er bediente eine Anlage, und die Musik, die durch den Raum peitschte war… laut und irgendwie sinnlich.
 

Der Raum war voll gestopft mit zuckenden Leibern.

Ja, genau so konnte man es beschreiben. Die Leute hier tanzten … auf eine Art und Weise, die heiß war, packend, beinahe erotisch. Ach, was hieß hier beinahe. Leiber bewegten sich um einander herum, aneinander vorbei, strichen, bogen sich, bebten, kreisten in lustvollen, geschmeidigen Bewegungen.
 

Izzy quietschte vor Freude.

„Hier ist richtig was los!“

Ihr Gesicht strahlte die pure Lebensfreude aus.
 

Raphael, der junge Elf, kam durch die Menge auf sie zu und balancierte zwei bunte, mit Elfenglitzer versehene Cocktails.

„Isabelle!“, rief er erfreut, als er zu ihnen heran trat. Er reichte der jungen Frau eines der beiden Gläser.

„Danke, Raphael“, sagte sie und strahlte ihn an.

Alec schien er nicht zu bemerken, oder zu ignorieren … nun, Alec war es egal, seine Blicke suchten ohnehin den Raum nach jemand anderem ab.

Er musste nicht lange suchen.

Magnus tanzte in der Mitte der Leute. Und zwar mit Camille.
 

Alec wischte sich über das Gesicht, um das dumme Gefühl der Eifersucht zu vertreiben. Das war doch albern. Camille war Magnus’ Tanzpartnerin, sicher waren sie befreundet, und mal abgesehen davon, er und Magnus kannten sich kaum, und er hatte ja wohl noch keinerlei Anrechte auf den Mann. Dennoch, er mochte es nicht, wie der sich mit Camille über die Tanzfläche bewegte. Und er mochte es nicht, wie Camille ihn ansah.
 

Alec blickte sich zu Izzy um, um ihr noch ein paar Worte zu sagen, er konnte einfach nicht aus seiner Beschützender-Bruder-Haut.

Aber Izzy war längst verschwunden, um genau zu sein, stand sie kichernd und mit Raphael Arm in Arm bei Simon. Vermutlich versuchte sie den jungen Musiker zu überreden, ihre Wunschmusik zu spielen.

Alecs Augen sahen mit Staunen, dass Simon ein wenig schaute wie ein getretener Welpe … nun, es war nicht zu übersehen. Er sah Isabelle an wie eine Göttin. Er hätte vermutlich alles dafür gegeben, mit Raphael zu tauschen. Aber Izzy schien nur Augen für den großen schlanken Elfen an ihrer Seite zu haben.

Alec seufzte.

Hoffentlich ergab das nicht noch Drama. Davon hatte er wirklich genug.

Aber immerhin, Izzy war alt genug, zu entscheiden, was sie tat. Also konnte er sich genau so gut da raus halten und sich seinen eigenen Dingen widmen.
 

Magnus hatte ihn erblickt. Ein Strahlen ging über das Gesicht des Hexenmeisters. Er beugte sich im Tanz zu seiner Partnerin und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Camille lächelte verstehend und nickte. Dann tanzte sie in einem wilden Wirbel von Magnus weg und wandte sich einem anderen jungen Mann zu, den sie mit ihrer Hüfte an der seinen anstupste und der direkt darauf einging. Er wandte sich ihr zu, legte seine Hände auf ihre Hüften, bewegte sich im gleichen Rhythmus wie sie und senkte dann seine Lippen auf die ihren.

Der Kuss, den sie im Tanze teilten, war heiß und zeigte Alec, dass er keinen Grund zur Eifersucht hatte.

Jedenfalls nicht, was Camille Belcourt betraf.
 

Magnus tänzelte durch die Menge und kam neben Alec zum Stehen.

„Hallo, mein Engel!“, sagte er.

Wieder wurde Alec in seiner Gegenwart rot.

„Bin kein Engel“, brummte er.

„Aber du tanzt wie einer!“, sagte Magnus.

„Tue ich nicht!“

„Doch“, sagte Magnus. „Zumindest, wenn ich dich führe!“
 

Alec sah sich um, dann schüttelte er den Kopf.

„Das hier“, sagte er und machte eine umfassende Geste, „das ist etwas anderes, als das was wir neulich getanzt haben … das war eine Art Gesellschaftstanz, auch wenn das, was du und Camille daraus gemacht haben, umwerfend war. Aber das hier?“

„Das hier ist echt“, sagte Magnus. „Aus dem Bauch heraus. Aus dem Gefühl.“

Alec schluckte.

„Für mich sieht das eher aus wie … Sex im Takt der Musik.“

Magnus lachte.

„Tja, so kann man das auch sehen …“

Er zwinkerte Alec zu, dessen Gesicht sich mit Purpur überzog.
 

„So was kann ich nicht!“, sagte Alec.

„Doch“, sagte Magnus. „Komm!“

Er nahm Alec bei beiden Händen und zog ihn mit sich. Dann legte er seine Hände auf Alecs Hüften und bewegte sich zum Rhythmus des wilden und doch harmonischen Songs. Er übte mit seinen Händen leichten Druck aus.

„Komm! Versuche es einfach!“

Alec zögerte.

„Ich kann so was nicht!“

„Doch, das kannst du! Folge einfach deinem Gefühl!“
 

Und genau das war Alecs Problem. Seinen Gefühlen zu folgen.

Er hatte das nicht gelernt. Er hatte gelernt, dass man Gefühle versteckte. Sich zurück hielt. Sich der Sitte gemäß verhielt. ‘Anständig’, beherrscht, reserviert.

Das hier? Wenn er sich umschaute … das hier war alles andere als zurückhaltend oder anständig.

Das hier war lustvoll, erotisch, ‘unsittlich’.

Und genau deswegen war es so wundervoll.
 

Also gab Alec sich einen Ruck, und versuchte es.

Bewegte sich, geführt von Magnus’ Händen, die sich auf seinen Hüften so unfassbar warm, sanft und doch fordernd anfühlten.

Er versuchte, der Musik zu folgen.

Er lächelte zurück, als Magnus ihn anstrahlte.

Er stolperte, bewegte sich lange nicht so weich und geschmeidig wie Magnus oder auch andere hier im Raume … und doch, es störte ihn nicht. Er begann, das was hier im Raume schwang, zu fühlen.

Er lachte, als Izzy, die nun mit Raphael tanzte, gegen ihn stieß.

Er strahlte, als sie ihn anlachte und ihm einen ‘Daumen hoch!’ gab.

Er fühlte sich großartig.
 

Dieser Abend war etwas besonderes. Das fühlte er. Und ein bisschen war ihm klar: zwischen ihm und Magnus entspann sich etwas. Und was immer daraus auch werden würde - nach diesem Abend würde nichts mehr so sein, wie es war.

Tanzen und Leben

Hier der Soundtrack zu diesem Kapitel:

 

https://www.youtube.com/watch?v=jSPpbOGnFgk
 

„Be my Baby“ von The Ronettes aus dem Jahre 1963
 

_________________________
 

„The night we met I knew I needed you so …“
 

Die Musik heiß

Aufpeitschend

Mitreißend
 

Helle Stimme, leidenschaftlich, sexy Rhythmus
 

Alecs Hüfte an Magnus’ gepresst, wie festgeklebt

Vorwärts geschoben

Magnus Hände sanft auf seinem Hintern

Fragender Blick …?

Aufforderndes Nicken!
 

Die Hände fester, zupackend, wollend.

Ungewohnt, Alecs Atem schwer, ein wenig zitternd …

Und doch wunderbar. Keine Sekunde des Zurückweichens.

Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht heute.
 

Kreisend. Eng aneinander. Die Hände des anderen so warm.

Step, Step, Schritt nach hinten, Staunendes Schauen:

Magnus’ Schwung und Steps so flink, so kunstvoll.
 

Sanftes Mitwippen.

Drehung - huch! Sanfter Druck, schieben, drehen. Freude, dass es funktioniert hat - noch mal!
 

Magnus’ Oberkörper sinnlich nach hinten gebeugt, Hände fest ineinander gekrallt. Kreisende Bewegung, der Oberkörper wieder an Alec gepresst.
 

Schwindel, Glücksgefühl, Strahlen in den Augen.
 

Lippen, Lippen so sinnlich und lockend.
 

„And if I had the chance I’d never let you go …“
 

Step, Step, Seitwärtsschritt.

Drehung unter Magnus’ Arm.

Hüftschwung.
 

Nun Alecs Oberkörper, sanft nach hinten gepresst …

Gehalten von Magnus’ starken Armen.
 

Nah beieinander. Auseinander gesteppt. Wieder zusammen. Nah aneinander.

Step, Step,

Rück.

Vor.
 

Er rechts gebeugt, Magnus links.
 

Schwüle heiße Luft im Raum.

Durst in  der Kehle.

Lachen im Hintergrund, sinnliches Beieinandersein, lustvolles Umeinandertanzen.

Hunger.

Im Herzen.

Hunger, nach Leben, nach Lust.
 

„I have been waiting for you, you know I will adore you ‘til eternety …“
 

Step, Step, Doppelschritt.

Tänzelnde Füße, haltende Hände.

Biegsame Körper.
 

Und Lippen. Sinnlich. Lockend.
 

Näherkommend. Näher … näher …
 

„Be my, be my baby, my one and only baby …“
 

Ausklingende Musik, endender Song.
 

Lachen, Strahlen.

Freude.

Lebenslust.

(Kein Kuss, noch nicht …)
 

Lebenslust!
 

Mehr!

Gespräch und Kuss

Alec war glücklich, dass das hier, das Zusammenspiel ihrer Körper im Takt der Musik, irgendwie funktionierte. Er hatte keine Ahnung, wie das zustande kam, denn er hatte noch nie besonders gut getanzt.

Aber das hier - das war kein Tanzen, wie er es je gekannt hatte. Das hier war - wie hatte Magnus es genannt? - echt.
 

Und es machte Spaß. Er hatte sich das nicht vorstellen können, aber herrje, das tat es. Und es gab keine kritischen Blicke, wie er es in der Tanzstunde im Institut gekannt hatte, wenn man einen Schritt verfehlte. Nun, da sich hier jeder bewegte, wie es ihm gefiel, konnte man ja quasi keine Schritt verfehlen … was auch immer das hier war, es war ehrlich, es war lustvoll, es war … dreckig.

Ja, irgendwie schon.

Aber auf eine richtig gute Weise. Man konnte sich dem einfach hingeben.

Man konnte einfach nur … sein!
 

Alec strahlte sein Gegenüber an, und Magnus sah glücklich aus. Zutiefst zufrieden und glücklich.
 

Es war heiß in dem Raum. Ja klar, die Musik, der Tanz … aber nein, es war auch einfach heiß hier, weil viele Leute auf engem Raum sich intensiv bewegten. So was treibt eben die Temperaturen nach oben. Und Alec hatte Durst.

Er beugte sich zu Magnus und rief:

„Können wir was trinken?“

Magnus nickte, und zog Alec hinter sich her zu dem Tisch, auf dem Flaschen und Gläser standen und eine Karaffe mit Eis.

Er wollte nach einer Flache mit einem bunten Likör greifen, als Alec seinen Arm ergriff und fest hielt.

„Ich möchte bitte keinen Alkohol.“

Wieder wurde er rot um die Nase.
 

Magnus schmunzelte, dann nickte er.

Er hielt sich nicht mit dem auf, was der Tisch her gab. Er nahm zwei Gläser, ließ seine Magie wirken und schon füllten sie sich mit etwas, das Alec nicht kannte.

Er nahm das Glas entgegen, das Magnus ihm reichte. Dann kostete er. Es war köstlich. Es war ein exotisch und fruchtig schmeckendes, überaus erfrischendes Getränk.

Er lächelte.

„Danke“, rief er, doch Magnus erkannte nur am Zusammenhang, was er gesagt hatte, denn der nächste Song tobte durch den Raum und es war nicht möglich, ein Gespräch zu führen. Nun, dafür war auch keiner hier.
 

Alec jedoch wollte gern mit Magnus reden. Über nichts bestimmtes, na ja, einfach nur so. Um mehr über Magnus zu erfahren. Ihn näher kennen zu lernen.

Also zog er an Magnus’ Ärmel und rief:

„Veranda?!“

Gleichzeitig nickte er mit dem Kopf in Richtung nach draußen.

Magnus nickte und folgte Alec, der sich durch die Menge schob. Sie schlüpften durch die Terrassentür.
 

Draußen auf der hölzernen Veranda war die Musik immer noch laut genug zu hören.

Aber dennoch war es möglich, sich hier ein wenig zu unterhalten.

„Auf diesen Abend“, sagte Magnus und stieß sein Glas an das von Alec.

„Auf diesen Abend“, antwortete Alec. Und dann wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. Vielleicht hätten sie doch besser drinnen bleiben sollen …
 

„Du hast das echt prima hinbekommen mit dem Tanzen“, sagte Magnus.

Alec wollte gewohnheitsgemäß abwehren, aber dann dachte er: Er hat recht. Das hat gut geklappt. Und es war großartig.

„Danke“, sagte er also nur und: „Kein Wunder, wenn man mit jemandem tanzt wie dir, der einem das so gut beibringt.“

Magnus grinste.

„Bin halt nicht umsonst Tanzlehrer.“

Alec musste lachen.

„Aber stell' dir das hier …“, er zeigte nach drinnen, „ … mal da drüben vor, im Tanzsaal, mit all den Familien, den Damen und Herrn mittleren Alters, meinem Vater … Oh Gott!“

Magnus lachte ebenfalls.

„Luke würde mich umbringen!“
 

Alec nahm noch einen Schluck aus seinem Glas. Magnus sah, dass es leer war und nach einem fragenden Blick auf Alec, einem Nicken von ebendem und einer kunstvollen kleinen Handbewegung des Hexenmeisters war das Glas wieder gefüllt.

Alec schmunzelte.

„Schon praktisch, so ein eigener Hexenmeister“, sagte er - und dann stockte ihm der Atem. Was hatte er da gerade gesagt?

Magnus war doch nicht … er war doch nicht „sein“ Hexenmeister.

„Ich … tut mir leid …“, stotterte Alec und war - wiedereinmal - rot. Manchmal hasste er das.

Magnus jedoch war nicht aus der Ruhe zu bringen.

„Also wenn ich ehrlich bin, möchte ich sehr gerne DEIN was-auch-immer sein“, sagte er leise.

Alec schluckte.

„Ehrlich?“

„Ja, Alexander. Ich wäre gern dein Freund. Dein fester Freund.“
 

Alec war regelrecht überwältigt.

Magnus - wollte - ihn? Wollte sein fester Freund sein?

Oh Mann.

„Aber - wir kennen uns doch erst seit gestern Abend!“

„Das ist mir egal“, sagte Magnus.

„Da ist mir der Mann über den Weg gelaufen, der mich vom im ersten Moment an einfach umgehauen hat. Und ich werde alles tun, dass er mir nicht wieder entwischt!“

Er strich sanft mit der Hand über Alecs Arm.

„Natürlich nur“, ergänzte Magnus leise, „Wenn du das möchtest“.
 

Ein warmer, angenehmer Schauer lief über Alecs Haut. Er genoss Magnus’ Nähe, er genoss dessen Stimme, dessen Wärme. Er mochte Magnus sprühende Persönlichkeit, und er mochte es auch, dass Magnus ihm gegenüber manchmal beinahe ein wenig schüchtern war.

Er konnte und wollte es nicht bestreiten:

Er hatte sich verliebt.

Wie schnell das gegangen war! Es schien also wohl doch so etwas wie Liebe auf den ersten Blick zu geben.

Alec holte tief Luft, denn ihm wurde bewusst, dass Magnus immer noch auf so etwas wie eine Antwort wartete.

Sollte er sich darauf einlassen? Ja, sicher, er wollte gern. Und wie er wollte!

Aber …

Die Möglichkeit bestand natürlich, dass das ganze nichts weiter wurde als eine Urlaubsliebelei. Und dann war da noch Vater, der nichts erfahren durfte. Izzy würde den Mund halten, keine Frage. Aber man musste sich auch vor anderen verstecken, Luke Garroway zum Beispiel. Und gemeinsame Unternehmungen, tagsüber, im Lichte der Öffentlichkeit - nein, unmöglich.

Es würde also schwierig werden. Kompliziert. Aber …

Zur Hölle!

Und wenn es nur ein Urlaubsflirt wäre. So sei es drum. Er wollte genießen, was das Leben ihm schenkte, und daher sagte er:

„Ja! Ich möchte ebenso gern dein Freund sein!“

Und dann, ja, dann beugte Alec sich vor, nahm allen Mut zusammen und schenkte Magnus einen Kuss.
 

Es war der erste Kuss in Alecs jungem Leben.

Kater und Strand

Als Alec am nächsten Morgen erwachte, dröhnte ihm der Kopf und er fühlte sich, als wäre er verkatert. Dabei hatte er am Abend zuvor keinerlei Alkohol getrunken. Das lag ihm nicht.

Dennoch. Der Abend war wie ein Wirbelwind in seinem Leben gewesen, Eindrücke, Gefühle waren in atemberaubender Schnelligkeit und überwältigender Schönheit auf ihn eingeströmt, und daher war er wie berauscht gewesen.

Und dann hatte es da …

Alec schnellte Kerzengerade aus dem gerade dahin schwindenden Schlaf hoch - diesen ersten wunderbaren Kuss gegeben. Und es war nicht der letzte gewesen.

Nachdem Alec sich erst einmal getraut hatte, hatte auch Magnus keine Zurückhaltung mehr gekannt und sie hatten regelrecht geknutscht.

Sie hatten noch viel mehr getanzt, hatten sich aneinander gepresst und vor diesen Menschen, die Magnus’ Kollegen und Freunde waren, keinen Hehl daraus gemacht, dass sie zusammen gehörten.
 

Izzy hatte er irgendwann aus den Augen verloren. Sie war anscheinend mit Raphael verschwunden … nun Alec konnte nur hoffen, dass sie nichts unbedachtes getan hatte. Aber Izzy hatte ihm ja deutlich klar gemacht, dass sie eine erwachsene Frau war, und durchaus in der Lage, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Also schüttelte er die Gedanken an sie einfach ab.
 

Er mochte lieber an Magnus denken.

Magnus, seinen Freund. Seinen festen Freund.
 

Wie es wohl weiter gehen würde?

Sie hatten sich für heute Abend wieder verabredet. Diesmal in Magnus’ Wohnung. Er wohnte nicht, wie die anderen Angestellten, in den Baracken mit den Personalquartieren. Nein, er und Camille hatten zwei Schlafräume in einem gesonderten Bungalow, der gleichzeitig einen Übungsraum für sie beide in ihrer Eigenschaft als Tanzlehrer enthielt. Camille jedoch würde nicht da sein. Sie hatte Familie im nahe gelegenen Dorf und übernachtete recht häufig dort, wenn es keine spätabendlichen Veranstaltungen gab.
 

Alec streckte sich noch einmal gemütlich in das bequeme Bett.

Er freute sich auf den Abend. Wenngleich er ein wenig schüchtern war, wenn er daran dachte. Denn heute Abend würden sie beide allein miteinander sein. Gestern hatte es Musik gegeben und Tanz und all die anderen Leute. Aber heute?

Nun, es würde schon funktionieren, dachte er und nahm sich vor, sich nicht ganz so schüchtern zu geben, nicht so unbeholfen wie sonst. Na ja, vermutlich würde ihm das ja doch nicht gelingen. Er würde sich genau so tapsig anstellen wie sonst auch. Aber das war wohl gar nicht schlimm, denn immerhin hatte Magnus ihn ja genau so schon erlebt.

Und sich erstaunlicherweise dennoch in ihn verliebt.
 

Ein warmes, zufriedenes Lächeln huschte über Alecs Gesicht, als er daran dachte.
 

Den Rest des Tages lief Alec wie auf Wolken.

Selbst Roberts penetrante Versuche, ihn mental und teilweise auch wörtlich in Clarys Richtung zu schieben, prallten an ihm ab. Jaces breitgrinsende Selbstzufriedenheit und offensichtliche Verliebtheit machte ihn selbst nur noch glücklicher.

Izzys Grummeligkeit entlockte ihm höchstens ein Schmunzeln.

Isabelle war gestern sehr spät zurück in den elterlichen Bungalow gekommen. Genau genommen waren es schon die frühen Morgenstunden gewesen.

Und die Tatsache, dass seine Eltern seine arme Schwester zu einem „Du musst unbedingt den Sohn von XY kennen lernen, nein, so ein netter junger Mann!“- Golfspiel mitschleppten, machte den Tag für die junge Frau nicht besser.
 

Nun, Alec ging es prima. Er genoss es, am Pool auf einer Sonnenliege zu lesen, später mit ein paar anderen jungen Leuten zu planschen und herum zu toben.

Nachmittags spielte er mit einigen von ihnen Tennis.

Anschließend ging er mit Clary im Bootshaus, einen Cocktail trinken.

„Irgendwer wird das sicher deinem Vater hinterbringen“, sagte die junge Frau, „und dann haben wir Ruhe.“

Alec nickte.

Das Versteckspiel war nervig, aber im Moment einfach noch die bessere Wahl. Oder genauer gesagt, die einfachere.

Nun, Clary war nett und eine durchaus angenehme Gesprächspartnerin, und so war es alles andere als unangenehm, einige Zeit mit ihr zu verbringen.
 

Und so verging der Tag schneller, als Alec erwartet hatte, und erst beim gemeinsamen Abendessen begann er, unruhig zu werden.

„Unternehmt ihr jungen Leute heute Abend wieder etwas gemeinsam?“, fragte Robert.

„Na klar“, sagte Isabelle. „Wir nehmen ein paar Getränke mit an den Strand und jemand bringt seine Gitarre mit. Es könnte wieder spät werden, Vater.“

Robert lächelte.

„Schon in Ordnung. Habt einfach Spaß.“

Doch er konnte nicht umhin, noch nachzusetzen:

„Unschuldigen Spaß, wie ich hoffe.“

Isabelle verdrehte die Augen, sagte aber nur:

„Ja, Vater.“
 

Robert drehte sich nun zu Alec um.

„Du bist auch dabei?“

Alec schluckte. Es gefiel ihm nicht, den Vater so direkt anzulügen, aber …

„Ja“, sagte er.

„Und … Clarissa?“

„Ich weiß nicht, ob sie Zeit hat. Du weißt ja, Vater, dass sie Mr. Und Mrs. Garroway eine große Hilfe ist beim Führen des Resorts, und da hat sie eben immer viel zu tun.“

Robert nickte.

„Ja, sie versteht es, Verantwortung zu übernehmen. Sie wird dir eine gute Frau sein, Alec.“
 

Das war jetzt doch zu viel.

„Vater!“, zischte Alec verärgert.

„Noch ist nichts klar! Ich weiß noch nicht, ob sie sich überhaupt dafür interessiert, die Frau des New Yorker Institutsleiters zu werden! Vielleicht will sie mich ja überhaupt nicht!“

Und wie ich das weiß, dachte Alec. Vielleicht sollte ich es Vater genau jetzt sagen …

Doch er brachte es nicht fertig. Und so schwieg er.
 

Robert aber schien gut gelaunt zu sein. Er lachte nur.

„Schon gut, mein Junge. Mach das ganze nur nach deinem Tempo. Nur warte nicht zu lange. Eine so reizende junge Dame könnte auch anderen gefallen!“

Jetzt schaltete sich Maryse ein.

„Robert, nun lass ihn doch, wir sind gerade mal drei Tage hier!“

Robert lachte wieder und Alec verkniff sich jeden weiteren Kommentar.

Er wollte nur dieses Abendessen überstehen, sich dann ein wenig zurecht machen und zu Magnus verschwinden. Und er hatte keine Lust, dass ein Streit mit Vater ihm diesen Abend und die gemeinsamen Stunden mit seinem Freund vielleicht kaputt machen würde.

Schlafcouch und Unschuld

Musik klang leise durch das Zimmer. Alec schob seinen Teller von sich.

„Nein, danke Magnus. Es ist köstlich, aber ich bin satt. Um genau zu sein, ich hab das Gefühl, ich kann mich keinen Zentimeter mehr bewegen, so viel hab ich gegessen.“

Er lächelte schüchtern und spürte, dass er wieder einmal rot wurde.

Es war aber auch wirklich überaus lecker gewesen. Magnus hatte gekocht, ein indonesisches Gericht mit Reist und Fisch und faszinierenden Gewürzen.

„Nun, wenn das so ist“, sagte Magnus lächelnd, „dann muss ich das Dessert eben für später aufheben.“

Er schaute Alec mit einem tiefen Blick aus seinen mit langen Wimpern verzierten Augen an.

„Und dabei hab ich doch extra selbst gemachtes Mangoeis…“

Alec stöhnte.

„Das lasse ich mir nicht entgehen, aber … später. Sonst musst du mich hier vom Stuhl zum Sofa rollen und ich komme die ganze Nacht nicht wieder davon hoch.“

Magnus ließ den Blick zu der Schlafcouch gleiten, die ihm gleichzeitig sein Bett war, und auf der er jede Nacht schlief.

„Also, nun ja, dagegen, dass du die ganze Nacht auf meinem Bett bleibst, hätte ich ja nun nichts einzuwenden …“

Alec lachte und warf mit seiner Serviette nach seinem Freund.
 

Es war einfach schön, mit Magnus zusammen zu sein. Er fühlte sich wohl und geborgen. Magnus zeigte ihm Wertschätzung und ja, er mochte das verliebte Kribbeln in seinem Bauch.

Und - es herrschte eine Leichtigkeit zwischen ihnen, die Alec so in seinem Leben bisher nicht gekannt hatte.
 

Einfach mal sein, wie man eben war. Einfach lachen, ja, auch flirten. Spaß haben.

Ohne dass die ganze Schwere seiner Zukunft jeden Moment beherrschte.

Ohne jede Geste zu bedenken, jedes Wort abzuwägen. Ohne irgendwelchen gesellschaftlichen Standards oder familiären Anforderungen genügen zu müssen.

Alec genoss es wie es war. Und es war herrlich.
 

Sie saßen gemeinsam auf dem Bett-Sofa und redeten. Alec hatte sich in Magnus’ Arm gekuschelt. Magnus hatte seinen Arm um Alec gelegt und spürte dessen Wärme, seinen Duft.

„Ich möchte mehr über dich wissen“, sagte Magnus leise. „Möchte gern wissen, warum du so angespannt bist in der Nähe deines Vaters. Warum er so streng ist …“

Alec schmiegte sich noch näher an ihn.

Und dann begann er zu erzählen, und schüttete Magnus sein Herz aus. Alles was ihn belastete und was ihm das Leben schwer machte.

Magnus hörte einfach zu.

Er kommentierte nicht, gab keine ungewollten Ratschläge, enthielt sich jeder Wertung.

Er hörte einfach nur zu.
 

Als Alec fertig war, nahm Magnus sein Gesicht in die Hände und küsste ihn.

„Weißt du“, sagte er leise, „ich weiß nicht, wie das ganze mit uns weitergeht. Keine Ahnung. Deinen Worten entnehme ich, dass du selber nicht genau weißt, was du möchtest. Die vorgezeichnete Zukunft hat sicher ihren Reiz, und du hast dein Leben lang darauf hin gearbeitet. Andererseits gibt es da uns und die Gefühle zwischen uns, die mit solch atemberaubender Geschwindigkeit aufgetaucht sind…“

Sein Blick drang tief in Alec ein.

„Aber egal, was auch kommt, Alexander: Ich werde für dich da sein. Ich weiß was ich will. Ich kenne dich erst so kurz, und doch weiß ich, dass ich mit dir zusammen sein will. Am liebsten ein ganzes Leben lang.“

Alec schluckte.

„Aber“, nuschelte er in Magnus’ Halsbeuge, „wie du selber sagst, wir kennen uns doch erst so kurz …“

„Für mich fühlt es sich an, als würde ich dich schon ein Leben lang kennen.“
 

Alec fühlte einen leichten, angenehmen Schauer über seine Haut gleiten.

„Lass uns einfach genießen, was wir haben, ja? So große Gedanken, so weitreichende Pläne … genau das ist es, was ich jetzt gar nicht möchte, okay?“

Magnus nickte.

„Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht unter Druck setzten.“

Alec lächelte ihn an.

Hast du nicht.“

Er nahm Magnus’ Hände.

„Bekomme ich noch einen Kuss?!“
 

Magnus lachte.

„Aber sicher!“

Und er ließ den Worten Taten folgen.
 

Magnus’ Küsse waren unvergleichlich. Sie waren sanft und wild zugleich. Sie schmeckten nach Vanille und Zimt, nach Ozean, nach Magie, nach uralter Weisheit und morgendlicher, taubenetzter Frische. Sie wärmten und kribbelten und lösten Dinge in Alec aus, die er ebenso bisher nicht gekannt hatte.
 

Er spürte die Hitze in sich aufsteigen. In seinem Unterleib kribbelte es und fühlte sich ganz großartig an. Er atmete schwerer, je länger der Kuss andauerte, und nein, das lag nicht an der in vielen Liebesgeschichten so hinlänglich beschrieben Luftknappheit - denn auch wenn man küsste, konnte man doch immerhin noch durch die Nase atmen, und warum sollte man damit aufhören? Na also. Nein, es lag daran, dass ihm einfach vor Liebe und Hingabe und … Erregung geradezu schwindelig wurde.
 

Auch das war neu für ihn.

Schließlich löste Magnus seine Lippen von Alecs und holte tief und langsam Luft.

„Alec“, sagte er, „das ist wunderbar. Du bist einfach umwerfend.“

Alec schüttelte den Kopf.

„Bin ich nicht.“

Magnus zog die Augenbrauen hoch.

„Doch, bist du. Und einem Hexenmeister widerspricht man nicht.“

Alec lachte.
 

Dann wurde er etwas scheuer.

„Ich … möchte …“

Er wusste genau was er wollte. Aber es fiel ihm schwer, das in Worten auszudrücken.

Magnus sah ihn an.

„Was immer du willst, Baby.“
 

Langsam glitten Magnus’ Hände unter Alecs Shirt. Langsam, von immer wieder fragenden und sich versichernden Blicken begleitet, bereit, sofort zurück zu weichen, wenn Alec Unwillen oder Ablehnung zeigen würde.

Doch nichts dergleichen geschah. Alec schien zu allem bereit, was Magnus ihm zu geben beabsichtigte.
 

Und so streichelte der Hexenmeister weiterhin seinen Freund. Seine Hände waren zärtlich und verlangend.

Und schließlich glitten sie zum Bund von Alecs Hose.

Wieder Frage im Blick.

Diesmal ein Nicken als Antwort.
 

Das Bettsofa war bequem.

Als Alec sich zurück lehnte und Magnus’ Lippen auf seiner Haut zu fühlen begann, konnte er schon nicht mehr kohärent denken. Das einzige, was ihm zusammenhängend durch den Kopf ging war:

"Dieses Bettsofa ist so bequem!“

Das menschliche Gehirn ist schon ein seltsames Ding.
 

Nun, wie auch immer. Das Ding war eben schön weich, Alec dagegen …

Und Magnus war mit all seiner Leidenschaft genau das, was Alec in diesem Moment brauchte.
 

Und so kam es, das Alexander Gideon Lightwood, Schattenjäger und Erbe des Instituts von New York, an diesem Abend, in dem Bungalow in Garroways Resort in Indonesien, seine Unschuld verlor.

beglückt und berauscht

Von da an trafen sich Alec und Magnus so oft es nur ging.

Es war nicht jeden Abend möglich, denn es gab offizielle Veranstaltungen, an denen Alec teilnehmen musste. Hin und wieder bestanden die Eltern auch einfach darauf, dass die jungen Leute einen Abend mit ihnen gemeinsam verbrachten.

Davon waren weder Alec noch Jace oder Izzy sonderlich begeistert, doch man tat den Eltern ihren Willen, um an den anderen Abenden um so mehr Freiheit zu genießen.

Zwischen Alec und Magnus wuchs die Vertrautheit mit jeder Minute, die sie gemeinsam verbringen konnten. Die Sache zwischen Jace und Clary wurde auch recht ernst, erstaunlich eigentlich, wenn man bedachte, dass man hier von Jace „Jede Woche eine andere“ „Ein ganzer Club voll weiblicher Bewunderer“ Wayland Herrondale Lightwood sprach. Doch Clary schien für ihn die Eine zu sein.

Izzy dagegen hatte sich eine Zeit lang ausgiebig mit Raphael verabredet. Zu Beginn der dritten Woche jedoch war sie plötzlich abends nicht mehr ausgegangen. Alec hatte gefragt, was denn los sei. Sie hatte nur geantwortet, dass sie Raphael wohl falsch eingeschätzt habe, jedenfalls wäre er nicht der, für den sie ihn zuerst gehalten hätte, und im übrigen wäre sie nicht bereit, darüber mit ihm oder sonst irgendjemandem zu reden.
 

Nun, Alec war viel zu sehr mit sich und seinem Liebesleben beschäftigt, um sich allzu sehr um seine Schwester zu sorgen. Zum ersten Mal in seinem Leben nahm er seine eigenen Gefühle und Wünsche wichtiger als die seiner Mitmenschen.
 

Und die eigenen Gefühle waren überwältigend. Magnus war überwältigend.

Sie hatten nach jenem ersten Abend noch ein paar Mal Sex gehabt, und das war aufregend und bezaubernd. Aber das war es natürlich nicht allein.

Magnus war liebevoll und charmant.
 

Alec kannte das nicht: jemand, der seine, Alecs Bedürfnisse an die erste Stelle rückte.

Magnus gab ihm, was er brauchte, sei es Zärtlichkeit, sei es wilde, raue Leidenschaft. Oder sei es einfach nur ein im Arm halten. Reden. Beieinander sein. Füreinander da sein.
 

Magnus kochte für ihn, und Himmel, der Mann konnte kochen! Nicht nur traditionelle indonesische Küche, sondern auch großartige Gerichte aus aller Herren Länder. Aber selbst ein simples Sandwich schmeckte aus Magnus Händen, als wäre es von einem himmlischen Büfett gestohlen worden.
 

Magnus tanzte mit ihm.

Und Himmel, der Mann konnte tanzen!

Aber das war ja nun inzwischen für Alec nichts neues mehr, das erstaunliche war nur, dass Magnus es schaffte, dass auch er, Alec, jeden Tanz hinbekam, wenn nur Magnus ihn führte.
 

Die Zeit war wie ein Traum, ein Wirbel aus Liebe und Lust, Urlaub und Freiheit, Schönheit und Lebensfreude. Ein Rausch aus Farben, Düften und Klängen. Und Alec hatte das Gefühl, noch nie in seinem Leben so glücklich gewesen zu sein.
 

Nun ja. Es gab auch die bittersüßen Momente.

Die Augenblicke, wo eben nicht nur alles eitel Freude und Glück war, sondern sich so ein kleines schmerzhaftes Ziepen in das Herz stahl.

Das war immer dann, wenn Alec begann, sich für Augenblicke aus dem Hier und Jetzt zu lösen und an die Zukunft zu denken.

Und die Momente, wo er spürte, dass auch Magnus nicht frei davon war.
 

„Ich will nicht, dass nach deinen Ferien alles endet“, sagte Magnus eines Abends leise und rührte mit dem gläsernen Strohhalm in seinem Cocktail. Sein Blick schien traurig, er hatte die Augen zu Boden gesenkt.

Alec wusste nicht, was er antworten sollte. Er wollte das ja auch nicht. Das, was er für Magnus empfand, war nichts, was man nach ein paar Wochen Liebelei hinter sich ließ und als schöne Erinnerung bewahrte. Es war etwas, was einen zerreißen würde, wenn man es einfach so beendete.

Aber er hatte keine Ahnung, wie er das alles bewältigen sollte.
 

Magnus sah ihn an und sah die Hilflosigkeit in Alecs Augen.

„Verzeih mir“, sagte Magnus. „Ich will dich nicht unter Druck setzen oder so etwas. Es ist nur …“

Er nahm einen Schluck Cocktail.

„ … ich wünschte mir so sehr, du könntest mich deinem Vater vorstellen. Könntest ihm sagen, Vater, das hier ist mein Freund. Und dann würde dein Vater lächeln und uns zur gemeinsamen Kaffeetafel bitten, oder so …“

Er seufzte.
 

Alec seufzte auch. Was für ein schöner Traum.

Ein Traum, dem zwei Dinge im Weg standen: Magnus war ein Hexenmeister. Und Magnus war ein Mann.

Nein, das war unfair. Es war nicht Magnus, der das Problem war, es war sein Vater. Sein Vater, der gleichgeschlechtliche Beziehungen verabscheute und der Schattenwesen als minderwertig betrachtete.

Verdammt.
 

Alec nahm Magnus’ Hände.

„Gib mir Zeit“, sagte er leise.

„Alle Zeit die du brachst“, sagte Magnus. „Und wenn es nach den Ferien eben vorbei ist, dann werde ich … dich in guter Erinnerung behalten. Ich verlange nichts von dir, was du nicht bereit bist, zu tun.“

Alec schauderte.

War dieser Mann wirklich ein Hexenmeister, oder nicht vielmehr ein Engel? O Gott, das würde Vater als Blasphemie bezeichnen … Vater, Vater, dachte Alec, wütend über sich selbst. Immer nur Vater.

Warum bringe ich den Mut nicht auf, zu tun, was ich für richtig halte und auf Vater zu pfeifen?
 

Er legte seinen Arm um Magnus.

„Ich liebe dich“, sagte er. „So oder so.“

„Ich dich auch“, sagte Magnus. „Komm, lass es mich dir zeigen …“
 

Und dann sanken sie zurück auf das Sofa und liebten sich bis in die frühen Morgenstunden hinein. Magnus hatte so viel zu geben, und Alec war ein gelehriger Schüler.
 

Als er schließlich durch die dunkle Nacht zurück zum elterlichen Bungalow huschte, blieben seine Gedanken bei Magnus zurück.
 

* * *
 

Am nächsten morgen erwachte Alec völlig übernächtigt durch das panische Rufen seiner Schwester, die versuchte, ihn aus dem Schlaf zu rütteln.

„Alec! Alec! Wach auf! Es ist etwas schreckliches passiert!“

Er fuhr aus dem Bett hoch, und sein erster Gedanke galt Magnus.

Isabelle war bleich wie die Wand.

„Izzy, was ist los!“
 

Seine Schwester schluckte.

„Jemand hat eine der Frauen, die hier sauber machen, ermordet! Sie ist hier aus dem Dorf, und hätte früh heute morgen im Haupthaus … und dort liegt sie … blutüberströmt …“

Izzy zitterte.

„Alec, das hat ein Vampir getan!“

Paris und Berlin

Sie saßen gemeinsam um einen runden Tisch im Speisesaal und trugen ernste Mienen zur Schau: die hochrangigsten der zur Zeit in Garroway's Resort anwesenden Schattenjäger hatten sich zusammen gefunden, um das furchtbare Verbrechen zu besprechen und zu planen, wie man weiter vorgehen sollte.

Da waren zum einen Luke und Jocelyn Garroway selber. Als Besitzer der Anlage waren sie selbstverständlich bei dieser Art „Ältestenrat“ dabei. Schließlich waren sie für das Wohlergehen der Gäste aber auch der Angestellten verantwortlich, und beide waren, wenn sie sich auch inzwischen zurückgezogen hatten aus dem aktiven Dienst und sich weitestgehend nur noch um das Resort kümmerten, einst große Schattenjäger gewesen und hatten viele erfolgreiche Missionen durchgeführt und bitte Kämpfe erfolgreich gefochten.
 

Da war natürlich Robert Lightwood, der als Leiter eines des größten Instituts einen der höchsten Ränge überhaupt außerhalb von Idris inne hatte. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, Alec, seinen Sohn und Nachfolger mit hinzuzuziehen, was Alec einerseits erfreute, andererseits erstaunte. Und ein wenig beängstigte; hieß es doch für ihn, sich weiter und tiefer in die ihm vorbestimmte Karriere hinein zu knien, und er war sich nun mal nicht mehr sicher, ob er das noch wollte … sei’s drum, hier ging es nicht um ihn, es ging um etwas viel wichtigeres. Und Alec mochte jung sein, aber er er war gut in dem, was er tat.
 

Dann waren die Hauptleute der Institute aus Paris und aus Berlin hier: Monsieur Jaques de Blanchet und sein Sohn Pierre sowie Sandra Oberlindt und ihre Frau Carola. Die beiden Deutschen wurde von Robert mit scheelen Blicken beäugt. Zwei lesbische Frauen, und sie leiteten ein Institut! Wo war die Welt nur hingekommen.
 

„Nun“, sagte Luke und sah in die Runde.

„Sie alle haben mitbekommen, was letzte Nacht geschehen ist, und wir müssen nun gemeinsam festlegen, was wir tun. Zuerst aber möchte ich eine Bitte hier in die Runde äußern.“

Er räusperte sich.

„Da wir aktuell niemanden vom Rat aus Idris vor Ort haben und auch keinen aus den Reihen der stillen Brüder, möchte ich anregen, es dabei auch zu belassen.“

Die Leute in der Runde warfen sich erstaunte Blicke zu.

„Sie wollen ein’ Untersuchung … inoffiziell?“, fragte de Blanchet, dessen Englisch einen deutlichen Akzent auswies.

„Nein“, ruderte Luke zurück und schien sich sichtlich unwohl zu fühlen. „Wenn die anderen darauf bestehen, können wir natürlich sofort dem Rat Bescheid geben. Allerdings denke ich, dass wir zu schnelleren Ergebnissen kommen, wenn wir die Wellen nicht so hoch schlagen lassen.“
 

"Nun …“, Setzte Robert an, schwieg dann jedoch.

„Ein Mensch ist gestorben“, sagte Alec verärgert. „Ist das nicht das wichtigste? Das, was unsere Handlungen diktieren sollte?“

„Mr. Lightwood hat recht“, sagte Carola Oberlindt.

„Sicher“, sagte Luke und lockerte sich mit der Hand seinen Hemdkragen, „das ist richtig …“

Er schwieg ebenfalls.
 

„Also“, sagte Robert, „ich denke, wir sollten Lukes Einwand ernst nehmen. Wenn wir den Rat herbeirufen, wird es dauern, bis ein Vertreter aus Idris hier eintrifft und ins Bild gesetzt worden ist. Wenn wir sofort handeln, es in unsere eigenen Hände nehmen, haben wir vielleicht das Problem viel schneller gelöst.“

Er sah seinem Sohn direkt ins Gesicht.

„Wir haben das gleiche Ziel, Alec.“
 

Alec zuckte mit den Schultern.

„Nun, dann … aber was tun wir jetzt? Wo setzen wir an?“
 

„Zuerst“, sagte Jocelyn, „müssen wir uns klar werden, wie es einem Vampir gelungen ist, hier in das Resort zu kommen. Mitten unter Schattenjäger.“

„Ich vermute“, sagte Luke, „Dass es jemand ist, der hier … lebt.“

Er seufzte.

„Es kann niemand von außerhalb sein. Wer hier rein kommt, wird genau überprüft. Lieferanten werden an der Hauptpforte abgefertigt. Wir legen auf Sicherheit wert, gerade weil hier Schattenjäger ein und ausgehen.“

„Und Schattenwesen“, sagte Alec.

„Was?“ Luke schien nicht zu verstehen.

„Schattenwesen“, sagte Alec. „Das ganze ist doch auch zu deren Schutz? Immerhin arbeiten sie hier?“

„Ja, natürlich“, sagte Luke. Dann fuhr er fort:
 

„Einer der Gäste kommt nicht in Frage. Die meisten, die hier sind, sind Schattenjäger und somit über jeden Zweifel erhaben, und die wenigen Mundis sind solche, die um die Welt der Schatten wissen und die Wesen der Nacht sehen können. Sie sind in unseren Kreisen bekannt und für jeden einzelnen lege ich meine Hand ins Feuer.“

Er blickte in die Runde.

„Es besteht also nur die Möglichkeit, dass eines der Wesen, die hier arbeiten, dafür verantwortlich ist.“

„Sie meinen also, Monsieur Garroway“, sagte Pierre de Blanchet, dessen Englisch deutlich klarer war als das seines alten Herren, „dass einer ihrer Angestellten den Vampir eingelassen hat? Also doch jemand von außen?“

„Hm“, sagte Luke. „Das, oder … jemand von ihnen ist nicht der, der er zu sein vorgibt.“
 

„Sie meinen“, Sandra Oberlindts Stimme überschlug sich beinahe, „ein Vampir ist hier vor Ort und gibt sich den Anschein, etwas anderes zu sein? Geht das denn überhaupt!?“

Alec warf der Frau einen erstaunten Blick zu. Diese Frage war doch einer Institutsleiterin unwürdig …

„Ja“, sagte er. „Mit den entsprechenden Vorkehrungen und den richtigen Zaubersprüchen …“

„Das heißt“, sagte Luke und nickte, „ein Hexenmeister muss in die Sache verwickelt sein.“
 

Alec rutschte beinahe das Herz in die Hose.

Roberts Blick, den er im nächsten Moment zugeworfen bekam, sprach denn auch Bände.

„Vielleicht begreift mein Herr Sohn ja jetzt, dass es immer schlecht endet, wenn man sich mit derlei Gelichter befasst“, brummte der Vater.

Alec verschluckte sich beinahe vor Zorn. Wie konnte Robert es wagen …!
 

„Niemand verurteilt hier jemanden, bevor wir keine Beweise haben“, sagte nun Luke und Alec war ihm dankbar dafür. „Wir werden jeden meiner Angestellten verhören, allen voran den einzigen anwesenden Hexenmeister, Magnus Bane. Und wir werden das Gelände abriegeln. Niemand darf raus, niemand rein, bevor diese Sache nicht geklärt ist. Des weiteren erlasse ich für die Angestellten eine Art Ausgangssperre: Sie dürfen, außer für ihren Dienst, ihre Quartiere nicht verlassen, bis das hier vorüber ist.“
 

In Alec brodelte es. Er wollte wie jeder andere hier, dass der Täter gefunden und weitere Angriffe verhindert werden würden. Aber diese Art und Weise, diese Einseitigkeit der Verdächtigungen, das ging eindeutig zu weit.

Was sollte er tun?

Den Mund auf machen? Dem Vater und Luke sagen, was er davon hielt?
 

Ach. Das würde doch nichts als Ärger bringen.

Er seufzte.

Er musste versuchen, mit Magnus zu reden.

Sorgen und Eiswasser

Es stellte sich als ziemlich schwierig heraus, mit Magnus zu reden.

Der Vater ließ seine Familie nicht aus den Augen, und die restriktiven Bedingungen, die nun im Ressort herrschten, machten es Alec unmöglich, sich auf die Suche nach seinem Freund zu begeben.

Der provisorisch zusammengestellte Ermittlungsrat begann unmittelbar nach dem morgendlichen Gespräch mit den ersten Verhören. Und ja, auch wenn Luke es vorzog, das ganze " informative Gespräche" zu nennen, waren es doch eindeutig Verhöre. Tatsächlich war Magnus einer der ersten, die zum Gespräch geholt worden. Und natürlich sorgte Robert dafür, dass Alec bei dieser Befragung nicht anwesend war.
 

Alec saß wie auf Kohlen. Er saß mit Sandra Oberlindt und dem jungen Franzosen in einem Raum. Gemeinsam befragten sie einige der Angestellten.

Alec war nicht bei der Sache. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab und machten sich auf die Reise zu Magnus.
 

Es war ein heißer Tag, die Luft war schwül und trieb einem den Schweiß aus den Poren. Alec hatte Durst, doch nicht nur deswegen fühlte er sich ausgesprochen unwohl. Es war nicht abzusehen, wie die ganze Sache enden würde, und er hatte zugegebenermaßen Angst. Angst vor der Zukunft, aber vor allem Angst um Magnus, denn er musste vor sich selber zugeben, dass er dem Vater nicht traute, die ganze Angelegenheit objektiv zu behandeln. Robert war nun einmal voreingenommen was Schattenwesen im allgemeinen betraf, und Magnus im Besonderen hatte seinen Unwillen auf sich gelenkt allein durch die Tatsache, dass sein Sohn sich gut mit ihm verstand. Es war nicht auszudenken, wie Robert reagieren würde, wenn er mit bekäme, dass Alec und Magnus inzwischen sogar ein Liebespaar waren.
 

Alec seufzte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sandra Oberlindt sah zu ihm herüber.

„Es ist heiß nicht wahr?"

„Ja ", sagte Alec.

„Nun ", sagte die Frau, „wir sollten uns etwas zu trinken bringen lassen."

Sie nahm ihr Telefon aus der Hosentasche und wählte die Nummer der Rezeption. Dort bestellte sie auf ein zustimmendes Nicken der anderen beiden einen großen Krug Eiswasser.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, da klopfte es an die Tür des Zimmers, und auf das „Herein! " von Sandra öffnete sich die Tür und der junge Kellner Raphael trat mit einem Tablett herein, auf dem sich der gewünschte Krug und drei Gläser befanden.

„Danke”, sagte Sandra, nachdem der junge Elf das Tablett vor ihr abgestellt hatte. Als er sich anschickte, den Raum wieder zu verlassen, zögerte er einen Augenblick. Sein Blick blieb an Alec hängen. „Ich bitte um Entschuldigung, aber ... gibt es schon etwas Neues? Ich meine, habt ihr ... Haben Sie schon etwas herausgefunden?”

Alec schüttelte den Kopf.

„Nein, aber wir haben mit der Befragung ja auch gerade erst angefangen.”
 

Er lächelte.

„Machst du dir Sorgen um Isabelle? Meine Schwester kann gut auf sich aufpassen. Aber dennoch, das ist nett von dir.”

Raphael errötete, dann entschuldigte er sich und verließ den Raum.
 

Der junge Pierre war aufgestanden und hatte die Gläser gefüllt. Er stellte eines vor Sandra, ein weiteres vor Alec ab, und dann trank er selber mit großen gierigen Schlucken das wunderbar kalte Wasser.

„Ah das tut gut“, sagte er mit dieser entzückenden französichen Klangfärbung der Worte.

Sandra klatschte in die Hände.

„Also machen wir weiter. Wer ist als nächstes an der Reihe?”
 

Alec jedoch unterbrach sie.

„Ich...”

Er schluckte.

„Ich habe eine Bitte.”

Die anderen beiden sahen ihn erwartungsvoll an.

„Ist es möglich, dass ich... “

Er zögerte, doch dann fuhr er fort.

„ ... dass ich einen Augenblick fort kann und ihr die nächsten Interviews ohne mich führt? Ich hätte da etwas Dringendes zu erledigen.”

„Sicher”, sagte Sandra mit fragendem Blick.

„Und wäre es machbar, dass mein Vater nichts davon erfährt? Bitte, das wäre mir wirklich sehr sehr wichtig.”

Sandra lächelte.

„Hat das etwas mit Magnus Bane zu tun?”

Alec wurde rot und senkte den Blick.

„Sei vorsichtig mein Junge “, sagte die Frau, die doch nur weniges älter war als er selber. Alec seufzte.

„Aber na ja, ich habe nichts dagegen, wie ist das mit dir Pierre? “

Der junge Franzose zuckte nur mit den Schultern.

„Du wirst schon wissen was du tust.”

„Danke”, sagte Alec. Er wollte aufstehen und aus dem Raum gehen. Aber Sandra hielt ihn zurück.

„Warte einen Augenblick, ich werde nachsehen ob dein Vater und Luke noch mit Mister Bane beschäftigt sind.”

Alec war ihr dankbar. Sie schien Verständnis für ihn zu haben. Nun vielleicht lag es ein wenig daran, dass sie es auch nicht unbedingt leicht gehabt hatte als lesbische Frau unter den Schattenjägern. Dass sie mit einer Frau verheiratet war und es dennoch geschafft hatte, Leiterin des Berliner Instituts zu werden, hatte unter den konservativen Ratskreisen für einen ziemlichen Wirbel gesorgt.
 

Alec seufzte wieder. Warum nur, dachte er, warum nur müssen solche Dinge für die alten Schattenjägerfamilien und für die Leute beim Rat ein solches Problem darstellen.

Man mochte von der Welt der Mundis ja halten was man wollte, aber was diese Dinge betrifft, waren sie doch deutlich weiterentwickelt.
 

Wenige Minuten später war Sandra wieder zurück.

„Sie haben Mister Bane ziemlich durch die Mangel genommen”, sagte sie.

„Aber jetzt ist er in seinem Wohnquartier. Also hau schon ab, Pierre und ich machen hier weiter und halten dir den Rücken frei.”

„Noch mal Danke “, sagte Alec und schlüpfte aus der Tür hinaus. Bevor er die Halle betrat, sah er sich sorgfältig um, denn er hatte keine Lust, gerade jetzt vom Vater erwischt zu werden. Doch es war niemand zu sehen, alle schienen mit ihren eigenen Problemen beschäftigt zu sein, also huschte er aus dem Gebäude und machte sich auf den Weg über das Gelände. Sein Ziel war der Bungalow mit dem Tanz- Übungsraum, der Bungalow indem auch Magnus sein Quartier hatte.

Wut und Entschlossenheit

Er traf Magnus in einer sehr schlechten Stimmung an. Nun, wer konnte es ihm verübeln. Der Hexenmeister war gerade dabei, sich einen seiner bunten, schillernden und irgendwie faszinierenden Drinks zu mischen.

Er sah Alec mit tiefem, unergründlichem Blick an.

„Ich brauch das jetzt“, sagte er, und trank das Glas mit einem Zug leer. Dann schnippte er mit den Fingern und ließ ein weiteres Getränk erscheinen.
 

Alec trat näher an Magnus heran und legte die Arme um ihn.

„So schlimm?“, fragte er.

„Du hast ja keine Vorstellung“, sagte Magnus. „Alexander, ich weiß nicht, was in deinen Vater gefahren ist, aber er hasst mich. Oh“, sagte er, als Alec ein abwehrendes Geräusch machte, „doch, doch, und mir ist schon klar, dass er mich nicht persönlich hasst, sondern in meiner Eigenschaft als Hexenmeister.“

Alec schaute verschämt zu Boden.

„Und als derjenige, der seinem Sohn gefährlich werden könnte.“

„Was?“ Alec wusste nicht, wie er das nun deuten sollte.

Magnus lächelte bitter.

„Ihn ist klar, dass ich dir gefalle. Und er will nicht, dass du auf dumme Gedanken kommst. Daher hasst er mich.“

Alec grinste nun auch. „Wenn er nur wüsste…!“
 

Magnus seufzte.

„Wie auch immer. Dass auch Luke in diese Kerbe haut, hat mich verletzt. Immerhin arbeite ich hier schon so lange und Luke sollte mich kennen. Er hat mich nie besonders geachtet, das weiß ich, wie er alle von uns Schattenwesen eher misstrauisch und abwertend ansieht. Aber dennoch.“

Er nahm einen weiteren Schluck.

„Sie haben mir ziemlich deutlich unterstellt, ich würde mit wem auch immer, der sich hier als etwas anderes ausgibt und doch in Wahrheit ein Vampir ist, unter einer Decke stecken und ihm mit meinen magischen Fähigkeiten dazu verhelfen, seine Vampirgestalt zu verbergen.“

„Was für ein Unsinn. Warum solltest du so etwas tun?!““

„Weil ich ein Schattenwesen bin und damit automatisch schlecht und böse.“
 

Alec war fassungslos. Und wütend.

Er kannte Magnus noch nicht lange, das war wohl zutreffend. Aber er kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass nichts böses an diesem Manne war. Nicht ein Quäntchen.
 

„Oh“, sagte Magnus und stellte sein Gas auf den kleinen Tisch.

„Entschuldige, Alexander. Ich habe dir gar nichts zu trinken angeboten?“

Alecs Augenbrauen zogen sich fragend zusammen. Diese Höflichkeit in Magnus Stimme, so förmlich …

Das war nicht der warmherzige ehrliche Ton, den er von seinem Freund gewohnt war.

„Magnus“, sagte er vorsichtig, „Danke, ich brauche nichts. Ich muss gleich zurück. Aber …“

Er schluckte.

„Dir ist doch völlig klar, dass ich nicht so denke?!“

„Natürlich, Alexander.“ Magnus seufzte.

„Aber … weißt du, ich liebe dich aus tiefstem Herzen. Nur, ich weiß nicht, ob es wirklich gut ist, wenn wir zusammen sind.“
 

Alec fühlte sich wie vom Blitz erschlagen.

„Was?!“

Seine Augen sprühten Entsetzen.

„Magnus, was soll, das? Hat Vater dir gedroht?“

„Darum geht es nicht. Da hat er zwar, aber es hatte nichts mit uns beiden zu tun. Nein, Alexander, ich denke nur …“

Magnus nahm seine Hände.

„Ich liebe dich und will mit dir zusammen sein, aber denk doch mal nach: Wir können nicht ewig im Geheimen bleiben, wenn das was dauerhaftes werden soll. Und wenn du dich zu mir bekennst … ich will mir gar nicht ausmalen, was dann alles auf dich zu kommt. Du liebes Bisschen, dein Vater wird dir die Hölle auf Erden bereiten, ganz zu schweigen von den Problemen mit dem Rat und den Ältesten … Nein, Alexander. Das bin ich einfach nicht wert. Und ich will ehrlich sein … um das ganze als einen harmlosen Urlaubsflirt zu betrachten, der vorbei ist, wenn du nach Hause nach New York fährst, dafür geht es bei mir schon zu tief. Dann lieber …“

Er sah Alec tief in die Augen.

„… ein Ende mit Schrecken.“
 

Alec zögerte nur ein paar Sekunden.

Dann zog er ihn ganz fest an sich.

„Magnus, du Idiot.“

Der Hexenmeister versteifte sich.

„Ich werde dich nicht aufgeben. Ich liebe dich. Und mir ist in diesem Augenblick klar geworden, dass es nichts gibt, was mir wichtiger ist als du. Und wenn ich dafür alles aufgeben muss … meine Eltern, meine Karriere, das Institut … zum Teufel noch mal, dann werde ich das tun. Und es gibt nichts, was mich davon abhalten könnte. Auch nicht du.“
 

Magnus sank in seinen Armen zusammen.

Der Hexenmeister war alt, so alt im Vergleich zu seinem jungen Geliebten. Aber dennoch war es jetzt Alec, der die Dinge in die Hand nahm und der sich nicht vom Sturm des Augenblicks brechen lassen wollte.

Alec strich dem älteren sanft über den Rücken.
 

„Ich muss zurück. Aber heute Abend werde ich wieder hier sein, komme was da wolle. Ich werde heraus finden, wer hier als Vampir umgeht und tötet. Ich muss es herausfinden. Und dann …“

Er schob Magnus zurück und lächelte ihn liebevoll an.

„Dann werde ich Vater sagen, dass du der Mann in meinem Leben bist.“

Magnus seufzte erneut.

„Danke, Alexander. Aber lass uns, wenn wir heraus gefunden haben, was hier los ist, erst noch mal reden, ja?“
 

Alec sah erstaunt auf.

„Wir…?“

„Natürlich. Ich kenne alle und jeden hier. Ich werde ebenfalls Ermittlungen anstellen. Denn du hast recht - bevor das Verbrechen nicht geklärt ist, haben wir keine Zukunft, egal, wie sie auch aussehen mag.“

Alec nickte. Dann gab er Magnus einen Kuss und machte sich auf den Weg zurück zu Sandra und Pierre.

Er war voller schwerer Gedanken und hoffte nur, dass der Vater ihn nicht erwischen würde.
 

Magnus dagegen machte sich einen weiteren Drink. Immerhin hatte der Alkohol keinen Einfluss auf ihn, wenn er nicht wollte.

Obwohl …

Heute wäre es vielleicht gar nicht übel …

Ihm war danach, sich zu betrinken, und so schnippte er mit den Fingern und ließ zu, dass der Alkohol ihm einen gehörigen Schwips verpasste.

Liebe und Blut

Sie alle taten, was sie konnten. Aber es brachte keinerlei Erfolg.
 

Alec schlief kaum in diesen Tagen. Tagsüber war er ganz offiziell an der Seite seines Vaters und der anderen leitenden Schattenjäger unterwegs und unterstützte die Ermittlungen. Man hatte die örtliche Polizei hinzugezogen. Das war sicher mehr oder weniger eine Formsache, denn man konnte natürlich den Leuten von der Polizei nicht erzählen, was für ein Fall hier tatsächlich vorlag. Für die indonesischen Behörden blieb das ganze ein „ganz normaler“ Mord.

Und auch für die Familie der Toten.

Damit war Alec nicht sonderlich glücklich, der eher der Meinung gewesen war, dass man den Angehörigen der armen jungen Frau, es waren da eine alte Mutter und eine Schwester, die Wahrheit sagen sollte.

Aber er musste einsehen, dass das nicht sonderlich klug gewesen wäre. Die Frau selber hatte nicht gewusst, dass ein Großteil der Gäste hier an ihrem Arbeitsplatz alles andere als gewöhnliche Menschen waren, oder das gar ein Teil der anderen Angestellten Schattenwesen waren. Ja, das so etwas wie die Welt der Schatten überhaupt existierte.

Man hielt dieses Wissen so gut es ging im eigenen Kreise, und Alec musste zugeben, dass nun, bei einem solchen tragischen Ereignis, nicht der richtige Zeitpunkt war, Uneingeweihten davon zu erzählen.
 

Gut fand er das dennoch nicht.
 

Abends, wenn das Tagwerk erledigt und auch das gemeinsame Familienessen hinter ihm lag, versuchte Alec, zu Magnus zu gelangen.

Dieses Familienessen wurde weiterhin im Hauptgebäude im Speisesaal abgehalten. Ermittlungen hin oder her, der Vater bestand auf diese gemeinsamen Tischzeiten, und, zugegeben, die meisten anderen Gäste hielten es ebenso. Man versuchte, weiter zu machen, als sei nichts geschehen. Und vielleicht war das auch das Vernünftigste so.

Es hatte natürlich auch die gegeben, die versucht hatten, vorzeitig abzureisen. Auch das konnte man keinem verdenken. Aber Robert, als Leiter des wichtigsten und angesehensten Instituts, verweigerte das, und niemand wagte es, sich ihm in der Hinsicht zu widersetzen.
 

Nun, wie gesagt, Alec versuchte, sich abends mit Magnus zu treffen.

Es gelang ihm, nur heute, am dritten Abend nach Beginn der Ermittlungen, nicht. Heute hatte Robert eine Krisensitzung einberufen. Daran sollten er selbst und Luke, Monsieur de Blanchet und Sandra Oberlindt teilnehmen.

Carola Oberlindt und Jocelyn Garroway hatten sich mit Alecs Mutter hier im Bungalow zusammen gefunden, da niemand allein bleiben sollte. Man wollte nichts riskieren.

Die Jungen Leute, Alec, Izzy, Jace, Clary sowie Pierre de Blanchet, saßen zusammen in Alecs Schlafraum und beratschlagten ihrerseits. Auch sie hatten das strenge Verbot, sich allein auf dem Gelände zu bewegen.

Simon Lewis, der junge Bandleader, hatte sich zu ihnen gesellt und saß nun neben Isabelle. Alec schmunzelte, als sein Blick auf ihrer beider Hände fiel: sie hielten sich aneinander fest.
 

„Wir sind keinen einzigen Schritt weiter“, murmelte Pierre mit seinem entzückenden französischen Akzent.

„Ich weiß“, sagte Jace. „Es sei denn, ihr habt Erkenntnisse, und behaltet die für euch?!“ Sein Blick lag fragend auf Alec.

Alec wurde rot.

„Nein, haben wir nicht“, fauchte er.

„Schon gut, Jace meint es nicht so“, sagte Clary.
 

„Ich wünschte, es wäre anders“, sagte Alec. „Das schlimmste ist ja, dass wir wissen, wie Vampire sind: es wird nicht bei dem einen Opfer bleiben. Und ich bin nicht sicher, ob ich hoffen sollte, dass der fragliche Vampir weiter gezogen ist. Denn das würde bedeuten, dass er nun anderswo sein Unwesen treibt und tötet. Hier haben wir immerhin noch eine Chance, ihn zu fassen. Andere wären ihm schutzlos ausgeliefert.“

Jace nickte.

„Das ist wahr. Und, Alec, es ist ja nicht so, dass nur der Kreis um Vater versucht, hier herauszufinden, was los ist. Wir anderen sind ebenfalls auf die Spurensuche gegangen.“

„Das ist gefährlich …“

„Mach dich nicht lächerlich, Alec“, schnaubte Jace. „Ich bin genau so ein Schattenjäger wie du, Izzy ist das auch, wir wissen, was wir tun.“

„Hey“, schimpfte Clary. „Mag ja sein, dass ich nie ein Institut besucht habe. Aber Mutter hat mich trainiert, auch wenn Vater das nie gerne gesehen hat. Ich weiß mit einer Stele ebenso umzugehen wie mit einem Schattendolch.“

Jace grinste. Er mochte es, dass Clary sich nicht unterbuttern ließ.

Pierre nickte. „Das glaube ich euch gern“, sagte er, „aber ich gehe davon aus, auch ihr habt nichts heraus gefunden?“

Kopfschütteln. Ratlose Blicke.
 

Simon hatte noch kein Wort gesagt. Er war kein Schattenjäger. Er wollte hier doch einfach nur Musik machen. Einen Job zu haben, wo er vom Musik machen leben konnte - das war ihm als Glücksgriff erschienen. Zuerst jedenfalls. Doch nun …

Nein, das war nicht fair. Immerhin hatte er Isabelle gefunden. Dem Engel sei Dank hatte die sich nicht, wie es zu Anfang erschienen war, Raphael zugewandt. Sondern ihm. Und er genoss das Glück, diese tolle Junge Frau an seiner Seite zu haben. Er würde nach der Saison ohnehin wieder zurück nach New York gehen, immerhin war er dort zu Hause. Und dann konnte man das, was sich hier zwischen ihnen entspann, weiter entwickeln.

Würde Izzys Vater ein Problem daraus machen?

Sicherlich.

Aber Izzy hatte klar gestellt, dass ihr das reichlich egal war. Sie war eine Frau, die ihr Ding durchziehen würde und da würde er, Simon, nicht hinter ihr zurück stehen.

Er seufzte.

Er wollte Izzy. Wollte ihre Liebe.

Aber … nun, alles andere würde sich finden.
 

Sein Magen knurrte. Er hatte Hunger. Nun, das würde warten müssen.

Erst einmal wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Runde vor ihm zu.
 

Alec schien unruhig, das spürte Simon.

„Ich würde …“ setzte der junge Lightwood an, schwieg dann jedoch.

Jace verdrehte die Augen.

„Du willst zu Magnus, oder?“

Alec nickte.

„Hau ab durchs Fenster“, sagte Jace. „Wir halten dir den Rücken frei.“

Alec wurde erneut rot. Es war doch zu peinlich, sich so davon zu schleichen … er sollte den Rücken gerade bekommen und vorne durch die Tür marschieren, mochte die Mutter doch noch so sehr zum Vater rennen, mochte der Vater doch noch so sehr ausrasten…

Nun, er würde das tun.

Aber noch nicht heute.
 

Er öffnete das Fenster. Ein winziger Splitter hatte sich vom hölzernen Fensterrahmen gelöst und fuhr Alec, der in Gedanken und unachtsam war, schmerzhaft in die Hand.

„Verdammt“, schimpfte er. Es tat weh. Ein Blutstropfen erschien und begann, seinen Daumen hinunter zu laufen.

Genervt führte Alec den Daumen an seine Lippen, um den kleinen Tropfen abzulecken - Speichel trägt bei so winzigen Wunden zur Heilung bei - da hörte er hinter sich ein gefährlich klingendes Fauchen. Ein paar erschrockene Schreie.
 

Er drehte sich um.

Vampirzähne - glühende Augen - in einem ihm inzwischen vertrauten Gesicht.

Schreck und Vernunft

Dann geschahen wieder einmal mehrere Dinge gleichzeitig.

Vor den Augen des entsetzten Alec bot sich ein hektisches Durcheinander.

Die glühenden Augen, die ihn aus Simons Gesicht entgegen starrten, waren blutunterlaufen. Spitze Eckzähne blitzten aus der Reihe seiner sonst so harmlos wirkenden, leicht unebenen Zähne hervor. Das Fauchen klang im ersten Augenblick gierig und bösartig, wandelte sich dann jedoch in ein verzweifeltes, beinahe flehendes Geräusch um.
 

„Simon, nein!“, schrie Isabelle. Sie hatte den jungen Musiker an seinem Oberarm gepackt und versuchte, ihn festzuhalten. Jace seinerseits hatte sich auf Simon gestürzt und versuchte, ihn an jeder Bewegung zu hindern. Doch der blutgierige Ausdruck in Simons Gesicht wich, und seine Augen, eben noch die bösartigen Augen einer Kreatur der Nacht, schimmerten kurz darauf in Tränen, und sein Gesicht zeigte wieder den weichen, freundlichen Ausdruck, den man von ihm gewöhnt war.
 

„Nein, Jace lass ihn!", rief Isabelle. „Er wird niemandem etwas tun!"

„Bitte", schluchzte Simon, der nun offenbar wieder ganz er selbst war und sich furchtbar fühlte.

„Isabelle, was ist hier los!?", schrie Jace.

Simon weinte nun unkontrolliert. Er hatte seinen Kopf auf Isabelles Schulter gelegt und schluchzte. Isabelle strich ihm sanft durch das Haar.

Jace hatte ihn losgelassen.
 

Alec, der nun die Sprache wiederfand, schaute von Simon zu seiner Schwester, von seiner Schwester zu seinem Bruder.

„Ja, verdammt, was ist hier los? Warum ist Simon ein Vampir? Und warum, beim Engel, wissen wir nichts davon!?", rief er.

„Und du, Isabelle? Hast du das etwa gewusst?"

Isabelle nickte.
 

Der junge Franzose war inzwischen aufgesprungen.

„Schnell, jemand muss Luke, Robert und meinen Vater holen!"

„Nein ", schrie Isabelle. „Versteht doch, Simon ist ein Vampir, ja. Er hat es verschwiegen, aber er hat niemandem etwas getan! Er ist für den Mord nicht verantwortlich! So glaubt mir doch!"

Es war offensichtlich, dass Isabelle mehr für den jungen Mann empfand, nun, für den jungen Vampir musste man wohl sagen, als sie bisher zum Ausdruck gebracht hatte. Sie hielt ihn fest in ihren Armen und blickte wild entschlossen im Raum umher, sie würde nicht zulassen, dass irgendjemand Simon ein Leid zufügte.
 

„Gut. Nun beruhigen wir uns alle erst einmal." Alec versuchte Ruhe in die Runde zu bringen.

„Izzy, Simon ist offensichtlich gerade nicht in der Lage zu sprechen. Erkläre uns bitte was hier Sache ist."

Isabelle holte tief Luft.

„Simon hat mir alles erzählt. Er will doch einfach nur mit seiner Musik Geld verdienen. Als er erfahren hat, dass Luke einen Musiker suchte, der mit seiner Band hier für die passende Urlaubsstimmung sorgt, da hat er sich ihm vorgestellt. Er hatte vorher schon viel von Luke gehört und wusste, dass der nicht viel Respekt für Schattenwesen übrig hat. Simon wollte die Stelle unbedingt. Also hat er verschwiegen, dass er ein Vampir ist."
 

„Das mag ja gut und schön sein", sagte Jace, „aber ein Vampir ist nun einmal Vampir. Und ein Vampir braucht Blut. Ist er also regelmäßig los gezogen, um seinen Hunger in den umliegenden Dörfern zu stillen, und hat nun nicht mehr die Kontrolle gehabt, so dass er sich jemanden hier im Ressort gegriffen hat?"

„Nein!" Isabel schnaubte.

„Ich ...", schniefte nun Simon, „ich habe ausschließlich von Blutkonserven gelebt. Habe genügend dabei. Das müsst ihr mir bitte glauben!"
 

Alec seufzte. Er konnte sich Simon nun wirklich nicht als kaltblütig mordenden Vampir vorstellen. Andererseits hatte der eben beim Anblick von Alecs Blut durchaus heftig reagiert. Man konnte also nicht ausschließen, dass Simon verantwortlich war, ohne dass er es wirklich beabsichtigt hatte. Und Isabelle war offensichtlich so verliebt, dass man ihrem Urteil aktuell nicht trauen konnte.

Moment.

Was hatte er da gedacht?

Er schüttelte innerlich den Kopf über sich selber.

Das, was ihm da gerade durch den Kopf gegangen war, war doch in etwa dasselbe, was Robert in einer solchen Situation denken würde. Was er sicherlich auch über ihn, Alec, denken würde, wenn es sein Urteil über Magnus betraf.

Einen Augenblick lang hasste Alec sich selber dafür.

Dennoch.

„Hör zu Isabelle, ich verstehe, dass du fest an Simons Unschuld glaubst. Und ehrlich gesagt, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Simon die Frau umgebracht haben soll. Dennoch. Wir müssen sichergehen."

Er blickte in die Runde.

„Wenn ihr alle einverstanden seid, werden wir Maßnahmen ergreifen. Aber wir werden Luke, meinen Vater und die anderen Ältesten da raus lassen.“
 

Die jungen Leute nickten. Isabelle heftig, Pierre zögerlich, Jace mit einem finsteren Grimm im Gesicht.

„Ich bin einverstanden", sagte Jace, "aber nur, wenn wir dafür sorgen, dass Simon hinter Schloss und Riegel kommt, und nichts anstellen kann. Solange, bis wir des Rätsels Lösung auf die Spur gekommen sind."

Er sah Alec und Isabel herausfordernd an.

„Einverstanden“, sagte Isabell. „Es tut mir so leid, dass ich es euch verheimlicht habe", sagte Simon, der sich nun etwas beruhigt hatte.

„Ich bin inzwischen seit ein paar Jahren Vampir. Und ich habe selbst in den ersten Wochen, wo ich noch gar nicht wusste, was mit mir los war, niemandem etwas getan. Niemandem, versteht ihr? Ich könnte das gar nicht!"

„Schon gut", sagt der Alec.
 

Sie diskutierten, was sie nun mit Simon machen sollten man. Der saß wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl, Isabelle ganz nah neben sich, die ihre Arme fest um ihn geschlungen.

„Ich denke, Simon sollte sich krank melden“, sagte Alec, „und Isabelle, du solltest die ganze Zeit bei ihm bleiben. Versiegele den Raum, indem er sich aufhält, mit einer Kerkerrune. Und du bist dafür verantwortlich, dass Simon nicht eine Sekunde lang diesen Raum verlassen kann."

Isabel nickte.

Alec schaute in die Runde, ob alle einverstanden waren. Offensichtlich hatte niemand etwas dagegen einzuwenden.
 

„Gut“, sagte er, „dann werden wir das jetzt veranlassen. Jace und Pierre, bitte kümmert euch darum. Ich muss und möchte jetzt zu Magnus. Ist das für euch in Ordnung?“

Niemand hatte dagegen etwas einzuwenden. Und so machte sich Alec, nachdem die anderen versprochen hatten, alles in die Wege zu leiten, durch das Fenster auf den Weg zu Magnus.
 

Sein Kopf schwirrte.

Er hatte Magnus so viel zu erzählen.

Handtuch und Hibiskus

Es waren Tränen der Überforderung, die über Alecs Gesicht rollten.

„Ich … ich …“, stotterte der junge Schattenjäger und seine Schultern, die zusammen gesackt waren, bebten.

Magnus seufzte und legte den Arm um seinen Freund.

„Schon gut“, flüsterte er leise.

„Verdammt noch mal!“, schnaubte Alec und seine Gemütslage ging nun in so etwas wie Wut über.

„Ich wollte doch einfach nur Urlaub machen!“

Er drosch zornig mit der Faust auf die hölzernen Bodenplanken, denn er saß im Schneidersitz auf dem Boden.
 

Seine Augen, groß und immer noch feucht, sahen Magnus flehend an.

„Einfach ein paar Wochen erholen, bevor der Ernst des Lebens …“

Er schniefte und legte seinen Kopf auf Magnus’ Schultern.

„Und dann … führt Vater sich auf wie ein Idiot … und dann der Mord, und Simon ist ein Vampir, und Isabelle … und alle haben Angst und …“

Er merkte, dass er unzusammenhängend stotterte und wieder begannen die Tränen zu fließen.
 

„Hey“, sagte Magnus leise. „Vielleicht solltest du genau das tun? Deine Wut raus lassen? Der Boden hier im Bungalow hält einiges aus!“

Alec hörte auf zu schluchzen und schmiegte sich wieder enger an Magnus.

Dann schüttelte er langsam den Kopf.

„Ich will doch nur, dass das alles aufhört. Das alles wieder normal wird. Aber ‘normal’ ist andererseits auch nicht mehr das, was mich glücklich machen könnte, denn ‘normal’ würde heißen ‘ohne dich’ …“

Magnus schmunzelte.

Alec lächelte nun ebenfalls mit seinem tränenverschmierten, vom Weinen roten Gesicht.

„Ich drücke mich blöd aus, oder?“

Magnus strich ihm über das Haar.

„Ich weiß schon, was du meinst.“
 

Sie saßen noch eine ganze Weile zusammen, so auf dem Fußboden in Magnus’ Bungalow, bis Alec schließlich sagte:

„Ich muss zurück. Kann nur hoffen, dass Vater nichts mitbekommen hat.“

Magnus seufzte.

Dann rappelte er sich auf, reichte Alec die Hand und zog auch ihn auf die Füße.

„Ich begleite dich“, sagte er. Das hatte er an den letzten Abenden auch getan.

„Vielleicht ist es heute besser, wenn du nicht …“, versuchte Alec, ihn abzuwehren.

Doch Magnus ließ sich nicht darauf ein.

„Alec, es ist inzwischen spät, es ist dunkel. Ich lasse dich auf gar keinen Fall allein da draußen herum laufen. Ihr habt doch selber die Anweisung rausgegeben, dass niemand allein unterwegs sein soll, solange die Sache nicht geklärt ist?!“

Alec brummte zustimmend.

„Hast ja recht.“
 

Einen Augenblick zögerte er. Dann schritt er zu dem kleinen Spülbecken in der Minikücke des Bungalows, drehte den Wasserhahn auf und warf sich eine Hand voll Wasser ins Gesicht. Er wusch sich, trocknete sich mit dem Küchenhandtuch ab und drehte sich um zu seinem Freund.

„Na, bin ich wieder präsentabel?“

„Mmmh, ich weiß nicht …“, neckte Magnus mit einem Lächeln.

„Dafür müssten wir erst mal an deinem modischen Gespür arbeiten …“

„Du Snob!“, meckerte Alec liebevoll und warf kichernd das Handtuch nach dem Hexenmeister.

Der fing es geschickt auf und strahlte den Jüngeren an. Es tat gut, Alecs Gesicht wieder etwas fröhlicher zu sehen.
 

Hand in Hand verließen sie den Bungalow. Die Nacht war warm und die Luft fühlte sich an wie frisch gesponnene Seide. Sie schmeckte auf der Zunge wie ein schwerer süßer Wein.

Die Nachtgeräusche waren ungeachtet der Lage irgendwie schön. Musik drang an ihr Ohr, Musik und Lachen von Leuten, die sich den Urlaub nicht verderben lassen wollten.

Das Rauschen des sanften Windes in den Palmen, das Rascheln von Getier in den Hibiskus-Sträuchern.

Das Zirpen der Zikaden, das eine solche herrliche Nacht mit einem Geräusch untermalt, das wie dafür geschaffen zu sein scheint.
 

Es war wunderschön, und Alec genoss das langsame Schlendern mit Magnus.

Wie gerne, dachte er, würde ich das auch einmal tagsüber tun. Er und ich. Hand in Hand. Unter aller Augen. Unter Vaters Augen. Und einfach keinen Pfifferling drauf geben, was irgendjemand darüber denkt.

Nun, er musste zugegen, es lag in ihm. Einzig und allein an ihm, den Mut dazu zu finden. Er war bisher noch nicht dazu bereit gewesen, und das konnte er niemandem anlasten als sich selbst.
 

Sicher, er könnte sich sagen, dass es Vaters Schuld sei, Vater mit seinen altertümlichen Einstellungen; die Schuld des Rates, der so konservative Werte vertrat und alles moderne und freie mit jedem einzelnen Atemzug eines seiner Mitglieder zu bekämpfen schien; doch wenn er ehrlich war, was das alles vorgeschoben.

Es ist doch nun mal so: wenn die äußeren Umstände schwierig sind, kannst du diese Umstände vielleicht nicht ändern.

Du kannst nur dich ändern. Dich und dein Handeln.

Und daher war es an ihm, Alec, etwas zu tun.

Nun, das würde er. Aber erst wäre da die Sache mit dem Vampir zu klären. Daran führte kein Weg vorbei.
 

In Sichtweite ihres Familienbungalows, doch verdeckt durch ein herrlich blühendes Gebüsch, verabschiedeten sich Alec und Magnus.

Alec wollte nicht riskieren, dass Vater ihn erwischte.

„Bis morgen“, sagte Magnus.

Alec ergriff seine Hände.

„Bis morgen.“

Dann beugte er sich noch einmal zu Magnus und gab ihm einen sanften Kuss.

Ein letztes Mal aneinander schmiegen - dann löste sich Alec von seinem Freund und trat auf den Kiesweg, der zur Terrasse des Bungalows führte.
 

Magnus blickte ihm noch einen Augenblick lang nach, dann drehte er sich um, um zurück zu seiner eigenen Behausung zu gehen.
 

Er war noch keine drei Schritte weit gekommen, da hörte er einen lauten Schrei.

Kälte und Entschlossenheit

Blitzschnell drehte Magnus sich um. Sein Blick suchte Alec, der ihn ebenso erschrocken, aber offenbar unversehrt, anstarrte. Dem Engel sei Dank.

„Komm!“, rief Magnus und rannte los, in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Er streckte seine Hand nach Alec aus, und der junge Schattenjäger folgte ihm, ohne zu zögern.

Sie rannten ein paar Schritte einen Kiesweg entlang. Um ein Gesträuch herum.
 

Dort vor ihnen, vom fahlen Mond und den Gehwegslaternen in ein unwirkliches Licht getaucht, lag jemand. Eine Frau, klein, schmal, mit der Bekleidung der Angestellten des Resorts.

Eine der Reinigunsgkräfte der Nachtschicht.

Und sie blutete aus einer Wunde an Hals …

„Verdammt!“, schimpfte Magnus. Er hockte sich zu ihr, Alec an seiner Seite.

Alec fühlte ihren Puls. Sie lebte.

Seine Augen blickten flehend zu dem Hexenmeister.

„Kannst du etwas für sie tun?!“

Magnus atmete tief ein.

„Ich kann es versuchen!“
 

Er konzentrierte sich, legte seine Hände über die Wunde und über ihr Herz. Dann begann er, irgendeinen Spruch zu murmeln.

Das Gesicht der Frau, das bis eben noch zutiefst blass gewesen war, wurde etwas rosiger.

Es schien also ein wenig Besserung zu bringen.
 

Inzwischen waren um sie herum andere Leute eingetroffen.

Unter ihnen auch Clary und Jace. Die Oberlindts. Pierre und sein Vater.

Und etliche andere.

Monsieur de Blanchet fragte aufgeregt etwas auf französisch, und Pierre antwortete.

Man redete hektisch durcheinander.

Dann teilte sich die Gruppe und Luke Garroway mit seiner Frau Jocelyn kam dazu.

Luke war blass und entsetzt, Jocelyn klammerte sich an ihm fest.

„Alexander“, fragte Luke, „was macht Bane da?!“
 

„Ich wusste es!“

Die scharfe Stimme von Robert Lightwood durchschnitt das aufgeregte Gerede der Leute. Wie ein Peitschenknall durchschnitt die Kälte und der Hass in seinen Worten die Nacht.

„Ich wusste, dass der Hexenmeister in die Sache verwickelt ist. Man kann diesen Schattenwesen einfach nicht trauen. Einer wie der andere sind sie durchweg schlecht.“

„Vater!“

Alec war empört aufgesprungen.

„Siehst du denn nicht, dass Magnus alles tut, um sie zu retten?“

„Hat er dir also wirklich Sand in die Augen gestreut ja? Junge! Da hören wir einen Schrei in der Nacht, und was finden wir vor? Magnus Bane, über das blutende Opfer gebeugt und Zaubersprüche murmelnd. Da ist doch wohl klar, was hier geschieht!“

Carola Oberlindt, die sich zu Magnus gekniet hatte und sich das Oper genau angeschaut hatte, warf nun ein:

„Das hier war eindeutig ein Vampir, wie schon zuvor. Und Bane ist ein Hexenmeister, und keiner von diesen Blutsaugern.“

Nun, nicht, dass sie Magnus Bane besonders mochte. Aber ganz offensichtlich ungerechtfertigte Anschuldigungen mochte sie noch weniger.
 

Robert war nicht zu bremsen.

„Das ist doch nur Augenwischerei!“

Er wandte sich an Luke.

„Wir müssen dagegen vorgehen.“

Luke nickte.

„Ja, ich denke auch, wir sollten Bane festsetzen.“

Luke zückte, ebenso wie Robert, seine Stele.
 

Magnus hatte inzwischen das schlimmste verhindert. Er hatte mitbekommen, was um ihn herum geschah, doch er war zu erschöpft, um dagegen etwas zu tun. Die Rettung der Frau hatte ihn viel Kraft gekostet. Aber nun sollte sie es eigentlich schaffen.

„Jemand muss einen Arzt rufen“, schnaufte er und ließ sich auf das Gras neben Alecs Füßen plumpsen.

Pierre de Blanchet war bereits am Handy und klingelte den resorteigenen Doktor aus dem Bett.
 

Alec dagegen hatte sich schützend vor Magnus gestellt.

„Ihr lasst die Finger von ihm“, sagte er bestimmt.

„Gehe zur Seite, Junge.“ Roberts Stimme war immer noch eiskalt.

Maryse versuchte, auf ihn einzureden, er wischte ihre Worte mit einer ungeduldigen Geste an die Seite. Jocelyn sagte nichts, sie zitterte nur.
 

„Nein.“

Alec war entschlossen. Diesmal würde er sich nicht vom Vater herumkommandieren lassen. Diesmal nicht.

„Magnus hat nichts schlimmes getan. Er hat die Frau gerettet!“

„Geh an die Seite Alec!“

„Nein!“
 

Es war ein entscheidender Moment. Das spürte Alec. Ein Augenblick, in dem er Farbe bekennen, in dem er Stellung beziehen musste. Wenn er jetzt wieder, um keinen Ärger zu provozieren, dem Vater willfahren würde, konnte das weitreichende Folgen haben. Für ihn, für sein Leben. Aber eben nicht nur für ihn. Auch und vor allem für Magnus. Für den Mann, den er liebte.
 

Es war ein Moment, an dem der Weg sich teilt, den man in Zukunft beschreiten wird, und wo man sich entscheidet, welche Richtung man wählt.

Alec hatte sich entschieden.
 

„Magnus hat nichts böses getan! Das könnte er gar nicht! Er ist dazu gar nicht fähig, so gut kenne ich ihn inzwischen! Und außerdem …“

Alec schluckte.

„… kann er das gar nicht gewesen sein. Ich …“

„Das kannst du nicht wissen, Junge! Er hat dich nur verhext!“

„Nein, Vater! Ich weiß es! Ich war den ganzen Abend mit ihm zusammen!“
 

Die Stimmen der Leute traten in den Hintergrund. Nur Maryses verblüfftes „Was?!“ war für Alec zu hören. Und Magnus’ erschöpftes Atmen.

„Du bist was?!“, fragte nun auch Robert. Kalt. Schneidend.

„Ich bin den ganzen Abend bei ihm gewesen. Wir sind …“

Nun sag es ihm schon, trat Alec sich selbst in den Hintern. Jetzt ist doch schon alles egal!

„Wir sind zusammen. Wir lieben uns, und ich war bei ihm.“
 

Robert Lightwood sprachlos. Das gab es auch nicht oft, aber in diesem Augenblick schien es ihm tatsächlich die Sprache verschlagen zu haben. Jedenfalls für ein paar Momente. Und auch keinem der anderen schien eine Antwort auf die Lippen zu kommen.

Doch das dauerte wirklich nur Augenblicke.

Dann begann Roberts Gesicht, langsam aber sicher eine ungesunde Röte anzunehmen.

Der metaphorische Dampf schien ihm aus den Ohren zu quellen, als er nach Luft schnappte und seinen Sohn mit einem Blick bedachte, der sich regelrecht in Alecs Haut brannte.
 

Alec wappnete sich für das Gewitter, was nun über ihn herein brechen würde. Egal, was jetzt käme, er würde zu Magnus stehen.

Zu sich selbst stehen.

Es gab für ihn kein zurück mehr, zum Teufel mit den Konsequenzen.
 

Doch mit Roberts nächsten Worten hätte er dann doch nicht gerechnet:

„Alexander! Hast du etwa mit diesem - Ding - da … gevögelt?!“

Verblüffung und Wut

Manchmal steht die Zeit still.

Wie eine dicke träge Suppe, in der der Löffel stecken bleibt, bewegt sie sich nicht.

Sekunden dehnen sich zu Minuten; ohne die übliche Lebendigkeit ihres Werdens und Vergehens scheinen sie sich zu Jahrhunderten zu weiten.

Dieser Augenblick war so einer.
 

Alec wusste, dass nur Bruchteile von Sekunden vergangen sein konnten, bis er den Mund öffnete; doch es fühlte sich an als seien es Äonen.

Er war fassungslos über die Verachtung in Roberts Worten.

Selbst für Robert, der nie einen Zweifel daran gelassen hatte, wie wenig er von Schattenwesen hielt, waren diese Worte harscher als üblich gewesen.
 

Wie konnte Robert es wagen, die Liebe, die zwischen ihm, Alec, und Magnus entstanden war, auf simples Vögeln zu reduzieren?

Und - noch schlimmer - wie konnte er es wagen, Magnus, diesen wunderbaren Mann, der so warmherzig war, gutmütiger als ein ganzes Bündel Ratsleute zusammen, als „Ding“ zu bezeichnen?
 

Als es Alec endlich gelang, wieder im Jetzt und Hier aufzutauchen und seiner Kehle Laute zu entlocken, war das erste, was er sagte, ein wütendes:

„Vater! Verdammt noch mal!“
 

Robert sah ihn mit einer Mischung aus Wut und Überraschung an. Er war es nicht gewohnt, wie Alec sich verhielt und wie er hier mit ihm sprach .
 

„Dieser Mann hier, der soeben das Leben dieser jungen Frau gerettet hat, ist kein Ding! Er ist der Mann, den ich liebe, der Mann, mit dem ich, ja, auch das, meinen ersten Sex hatte. Wenn gleich dich das einen Scheißdreck angeht!“

Alec schnaufte.
 

Robert gab nun ein ziemlich inkohärentes Kreischen von sich.

„Da seht ihr’s!“, rief er. „Dieses Viech hat meinen Sohn verhext! Wir müssen ihn fest nehmen! Er muss dem Rat in Idris überstellt werden! Und Alec gleich mit, damit wir ihm den Zauber austreiben können …“
 

Nun reichte es offenbar auch Maryse.

„Robert, beim Engel, jetzt halt endlich deinen Mund!“

Auch damit hatte Robert nicht gerechnet, und so tat er, was sie sagte, wenngleich eher aus Verblüffung als aus eigenem Entschluss.

Maryse holte Luft.

Dann wandte sie sich an die Umstehenden.
 

„Ganz offensichtlich hat Mr. Bane nichts mit dem Angriff auf die junge Frau zu tun. Das hat ein Vampir getan, und Mr. Bane ist kein Vampir. Jedenfalls augenscheinlich nicht. Wir sollten das näher untersuchen …“

Alec wollte verärgert aufbrausen, aber Maryse beruhigte ihn durch eine Geste und die Worte:

„Wie bei jedem anderen auch, der hier im Resort lebt und arbeitet. Und Urlaub macht.“

Sie sah eindringlich in die Menge.
 

Es gab zustimmendes Gemurmel, und so fuhr sie fort, an Robert gerichtet:

„Du, mein Lieber, beruhigst dich jetzt erst einmal. Es ist niemandem geholfen, wenn wir hier wilde, ungerechtfertigte Anschuldigungen anbringen, anstatt die Sache gründlich zu untersuchen und den wahren Täter zu finden.“

Robert brummte. Er kochte offensichtlich immer noch vor Zorn, aber er widersprach seiner Frau nicht.
 

„Gut“, fuhr sie fort, den Zeigefinger auf Alec gerichtet: „Und du, mein Junge, kümmerst dich jetzt erst einmal um Mr. Bane. Und nachher wirst du uns Rede und Antwort stehen. Uns und der Familie Garroway, denn ich denke auch Clary hat ein Recht, zu erfahren, warum ihr zukünftiger Gatte auf Abwegen umher streift.“
 

Clary wollte etwas sagen, aber Jace sah sie eindringlich an und flüsterte: „Später!“

Er hatte ja recht. Das war jetzt nicht der Augenblick für Bekenntnisse.
 

Der Arzt war inzwischen eingetroffen. Er hatte sich sofort zu der Verletzten gekauert und sie untersucht. Nun richtete er sich wieder auf.

„Es geht ihr den Umständen entsprechend gut“, sagte er. „Die magische erste Hilfe, die ihr zu Teil wurde, hat sie gerettet. Sie wird, soweit ich das jetzt schon sagen kann, weder sterben noch sich verwandeln.“

Er blickte zu Magnus Bane. Sein Blick fragte. Magnus nickte ihm zu.

Der Arzt streckte ihm die Hand hin.

„Danke, Mr. Bane. Sie haben ihr das Leben erhalten. Noch dazu das Leben, wie sie es kennt.“

Dann sorgte er dafür, dass die Frau abtransportiert wurde auf die Krankenstation des Resorts.
 

Er wollte sich noch um Magnus kümmern, doch der wehrte ab.

„Danke, aber mir geht es gut. Ich bin nur erschöpft.“

Sein Blick lag bittend auf Alec.

Der beugte sich zu ihm und half ihm auf. Dann stüzte er ihn und sagte:

„Komm. Ich bringe ich in deinen Bungalow. Du musst dich ausruhen.“
 

Robert sah immer noch so aus, als wolle er sich auf ihn stürzen. Aber Maryse hatte sich bei ihm eingehakt und hielt ihn zurück.

Und auch von den anderen Umstehenden schien ihn niemand unterstützen zu wollen. Nicht einmal mehr Luke, der sich nun mit Jocelyn Arm in Arm hielt und stirnrunzelnd auf die ganze Szene sah. Er traute Schattenwesen nicht, zugegeben. Und er vertraute auch Bane nicht, obwohl er ihn schon so lange kannte. Aber das, was Robert Lightwood hier abgezogen hatte, war selbst ihm zu weit gegangen.

Nun, man würde sehen.
 

Luke seufzte.

Robert war nicht immer so gewesen.

Wenn er da an die Zeit zurück dachte vor ungefähr einem Viertel Jahrhundert … die Zeit, als sie alle noch so blutjung gewesen waren. Bevor er Jocelyn kennen und lieben gelernt hatte, bevor Robert um Maryse gefreit hatte …

Ja, da war auch Robert anders gewesen.

So viel war geschehen seit damals. Sie alle hatten sich verändert.

Ein Schauder überlief ihn.
 

So, wie Robert sich heute gab … da war es sicher gut, dass er nicht alles wusste, was über die Jahre geschehen war.

Nun gut. Auch er, Luke, hatte seine Geheimnisse, und sicher war es besser, wenn diese auch solche blieben.

Dennoch.

Auch wenn seine erste Reaktion eine andere gewesen war. Er würde nicht zulassen, dass Robert auf Grund seiner Borniertheit Magnus Bane ungerechtfertigt für etwas beschuldigte, dass der gar nicht getan hatte.

So etwas würde auf Garroway's Resort nicht geschehen, solange er, Luke Garroway, hier etwas zusagen hatte.
 

Er wandte den Blick zu Jocelyn.

Ihre Augen waren dunkel vor Sorge.

Er drückte den Arm fester um sie.

Er liebte Jocelyn, und er würde nicht zulassen, dass etwas geschähe, was sie unglücklich machte.

Lava und Sehnsüchte

Als Alec Magnus zu dessen Bungalow begleitete, fühlte sich die Welt um ihn herum seltsam an. Der Grund, auf dem er seinen Fuß setzte, schien zu schwanken und zu brodeln; als würde er auf kochendem Gestein laufen, und Lava könne jeden Augenblick unter seinen Füßen sprudeln …

Es war eigenartig, und ihm war klar: er hatte sich nicht nur entschieden, zu Magnus zu stehen. Nein, er hatte damit sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt.
 

Welche Konsequenzen würde das alles nach sich ziehen?

Oder könnte … sollte er einen Rückzieher machen?

Wenn er jetzt zum Vater ging, und sich entschuldigte; wenn er ihm sagte, dass alles nur in der Hitze des Augenblicks gesprochen worden war, dann würde der Vater sicher immer noch sauer sein, aber er würde ihm letztlich verzeihen …
 

Schon im nächsten Augenblick schämte Alec sich für seinen Gedanken. Was hatte der Vater ihm schließlich zu verzeihen? Dass er sein eigenes Leben leben wollte? Dass er glaubte, Anspruch auf ein bisschen Glück, ein bisschen Liebe zu haben? Und vor allem, dass er frei entscheiden wollte?

Nein, das alles war nichts, für das man um Verzeihung bitte sollte.
 

Er seufzte.

Nun, er würde sich dem Vater stellen. Er wollte das alles nicht mehr aufgeben, was nun so verlockend vor ihm lag. Zum Teufel mit Robert Lightwood, zum Teufel mit dem Institut!
 

Sie erreichten Magnus’ Behausung. Er begleitete Magnus noch hinein und sorgte dafür, dass der sich auf sein Bett kuschelte und brachte ihm Tee und ein paar Biscuits.

Dann setzte er sich an die Seite des Mannes, den er liebte.

„Magnus? Kann ich dich jetzt allein lassen? Ich würde viel lieber bei dir bleiben, aber ich denke, es gibt eine Menge zu regeln.“

Magnus sah ihn aus seinen wunderschönen Augen an.

„Geh nur, Alec. Ich komme zurecht. Aber …“

Er schluckte.

„… wäre es nicht besser, wenn ich dir zur Seite stehen kann?“

Alec lächelte.

„Das tust du doch, Magnus. Du bist bei mir, auch wenn du nicht körperlich neben mir stehst. Ich habe mich noch nie im Leben so angenommen und unterstützt gefühlt, wie durch dich.“

„Danke“, sagte Magnus und schloss die Augen. Zugegeben, er war wirklich erschöpft.

„Ruh’ dich aus“, sagte Alec und küsste seinem Freund liebevoll auf die Stirn.

Dann wandte er sich zum Gehen. Er blickte noch einmal auf Magnus’ sich langsam entspannende Züge und schritt dann durch die Tür hinaus in die Nacht, in die Dunkelheit.
 

Keiner von beiden dachte daran, dass es in Anbetracht der Geschehnisse vielleicht keine so gute Idee war, dass er den Weg zurück zum Haupthaus, wo die anderen sich nun sicher versammelt hatten, alleine zurück legen würde …
 

* * *
 

Die anderen hatten inzwischen beschlossen, dass man in dieser Nacht nichts mehr erreichen würde.

Die Verletzte war gut versorgt in der Krankenstation. Man würde auch hier wieder die Polizei informieren müssen; und man würde die Suche nach dem Vampir verstärken.

Aber das alles würde morgen, ausgeschlafen und bei Tageslicht, angegangen werden.
 

Auch die Tatsache, dass man es wohl nicht mehr länger vor dem Rat in Idris geheim halten können würde …

Das würde weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen, und niemand fühlte sich mehr in der Lage, heute noch dahingehende Entscheidungen zu treffen.
 

Daher waren alle in ihre jeweiligen Bungalows zurück gekehrt.

Man wollte sich ausruhen, um dann morgen alle Dinge gemeinsam anzugehen.
 

Keiner von ihnen ahnte, dass sie in dieser Nacht keine Ruhe mehr finden würden …
 

* * *
 

Robert saß schlecht gelaunt und finster blickend auf einem der Rattanstühle in dem kleinen Wohnbereich des Bungalows.

Jace hatten sich auf sein Zimmer verzogen, da er sich dieser Gewitterstimmung nicht aussetzen wollte. Außerdem musste er Izzy decken, die noch immer bei Simon war und auf den jungen Vampir aufpasste.
 

Maryse jedoch stand ihrem Mann gegenüber und wartete. Sie sah ihm an, wie es in ihm brodelte und wusste, dass sie nichts zu sagen brauchte. Früher oder später würde er lospoltern.
 

Und richtig. Es waren erst wenige Minuten vergangen, da schlug er mit der Faust wütend auf den kleinen Tisch vor ihm.

„Was denkt sich der Bengel eigentlich!“

Er atmete schwer.

„Er wirft alles hin! Alles, was ich ihn gelehrt habe. Alles, was seine Zukunft ausmacht. Und wofür?!“

Er sah seine Frau eindringlich an.

„Für eines von diesen … diesen …“

Als er das Wort schließlich aussprach, klang es mehr, als wollte er es ausspeien wie etwas, was sich einem in der Kehle festgesetzt hat und irgendwie eklig ist.

„… Schattenwesen! Bah!“
 

Maryse schüttelte den Kopf.

Na ja, begeistert war sie selber auch nicht. Immerhin sollte Alec Clary heiraten und dann seine Karriere als Institutsleiter anstreben, und das ging nun mal nicht, wenn …

Ach verdammt.

Sie sah doch schließlich, das Alec auf einem Scheideweg war, und das, was ihm seit Kindertagen vorgezeichnet gewesen war, war nicht mehr das, was ihm das Ziel seiner Wünsche war.

Nun, sicher, schon andere als er hatten Wünsche zurück gesteckt und sich der Pflicht gebeugt. Und vielleicht würde auch Alec, wenn er sich hier ein bisschen ausgetobt hatte, erkennen, wo seine wirkliche Aufgabe lag …

Aber so, wie Robert den Jungen anging, war das nicht hilfreich. Denn Alec zeigte hier zum ersten Mal in seinem Leben, dass er offenbar sowohl Roberts Sturheit als auch ihre eigene Dickköpfigkeit geerbt hatte. Je mehr man ihn bedrängte, desto entschlossener schien er sich gegen den Gegenwind zu stemmen.

Mit Härte und Wut war also nichts bei ihm zu erreichen.

Nein, man würde es geschmeidiger anfangen müssen, wenn man ihren Sohn auf den Pfad der Tugend zurück führen wollte.

Also sollte sie als erstes einmal Robert von seinem hohen Ross holen.
 

Sie seufzte.

Sie dachte an ihre eigene Jugend. An die Zeit, in der Robert um ihre Hand angehalten hatte.

Er hatte damals keinen Zweifel gelassen, dass es ihm um die Ehre der Verbindung mit ihrer altehrwürdigen Familie ging, und nicht um Liebe.

Sie hatte gehofft, dass er früher oder später vielleicht die Liebe, die sie für ihn empfand, erwidern würde, und hatte ja gesagt.

Nun, das war lange her …

Wieder seufzte sie.
 

Damals hatte sein Herz nicht ihr gehört, er hatte seine Liebe aufgegeben, um den Erwartungen an ihn gerecht zu werden.

Und nun erwartete er von Alec dasselbe.
 

Nun, das tat sie ja letztendlich auch.

Aber es würde nicht einfach werden.
 

Beim Engel, das würde es ganz gewiss nicht.

Zukunft und Ohren

Luke, Jocelyn und Clary waren inzwischen in ihr eigenes Wohnhaus zurück gekehrt.

Als Luke die Tür hinter sich schloss, drückte er seine Frau kurz an sich und küsste sie auf die Stirn.

Dann wandte er sich an Clary:

„Mein Kind, ich bin sicher, dass sich alles aufklären wird. Ich habe doch gesehen, dass du und Alec so gut miteinander ausgekommen seid. Und er weiß genau, was für ihn, das New Yorker Institut und auch für die Schattenjägerwelt davon abhängt. Er wird dir, noch ehe diese Ferien für ihn vorbei sein werden, einen Antrag machen.“
 

Clary schluckte.

Sicher, das sollte eine Beruhigung sein, und ja, der Vater hatte es gut und liebevoll gemeint.

Wenn er wüsste!

Wenn sie beide doch wüssten !
 

Clary zauderte.

Sollte sie sich nun, ähnlich wie Alec, aufrichten und Farbe bekennen?

Sie hatte sich verliebt, seit die Lightwoods hier waren, ja … doch nicht in Alec!

Wann immer sie die Augen schloss und an ihre Zukunft dachte, war Jace ein unbestreitbarer Teil davon.
 

Sollte sie es also ihren Eltern sagen, oder sollte sie vorerst noch schweigen? Und abwarten, was Alec am nächsten Morgen tat und sagte?

Nun, sicher. Sie konnte sich einreden, dass schweigen besser sei, da es ja immerhin nicht nur sie selbst betraf, sondern auch Jace und Alec … hatte sie also ein Recht, die Dinge vorweg zu nehmen?

Sie konnte aber genau so gut eingestehen, dass es einfach nur feige wäre, nichts zu sagen.
 

Sie wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Luke ihr mit einer Geste zu schweigen gebot.

„Ich habe da etwas gehört!“, sagte er.

Clary zog die Stirn kraus.

„Da ist schon wieder etwas los! Zum Engel! Wartet hier!“
 

Und Luke stürmte aus der Tür.
 

* * *
 

Alec war den Weg zurück langsam geschlendert.

Hätte er nachgedacht, wäre ihm klar gewesen, dass er sich besser beeilt hätte - niemand sollte momentan allein unterwegs sein, und das aus gutem Grund - aber er war zu sehr in seinen Gedanken verfangen, und daher ließ er sich mehr Zeit, als gut war.
 

Wieder und wieder spulte sich in seinem Kopf das selbe ab:

War es richtig gewesen, sich gegen den Vater zustellen?

War es richtig gewesen, sich an Magnus’ Seite zu stellen?

Was würde nun aus ihm werden?

Konnte er dennoch eine Zukunft als Anführer unter den Schattenjägern haben?

Konnte er eine Zukunft mit Magnus haben?

Konnte er gar beides haben?
 

Die Welt änderte sich, die Dinge änderten sich.

Warum konnte der Rat der Schattenjäger das nicht sehen? Es war nicht mehr so wie in vergangen Jahrhunderten, als es auf Grund von Hass und Angst und Unverständnis nur Feindschaft zwischen den Schattenjägern und den Schattenwesen gegeben hatte.

Es hatte Annäherungen gegeben, Verhandlungen und schließlich Abkommen.
 

Und auch die Tatsache, dass Alec schwul war - warum sollte das heutzutage noch eine Rolle spielen? Warum sollte das einer Karriere als Institutsleiter im Weg stehen?

War der Rat, waren die alten Schattenjägerfamilien wirklich so verbohrt, oder war da einfach nur die betonharte Einstellung seines Vaters? Der ja auch in vieler anderer Hinsicht nicht gerade für seine Offenheit und Flexibilität bekannt war?!
 

Nun, jedenfalls würde er, Alec, vieles überdenken, was bisher in seinem Leben wie in Stein gemeißelt schien.

Und falls er dennoch der Leiter des Instituts und damit einer der führenden Köpfe der Schattenjägerwelt werden würde, würde er vielleicht die Chance haben, solche Dinge zu ändern oder zumindest an der Aufweichung sinnloser und steinharter alter Traditionen und ihrer Anpassung an die Moderne mitzuwirken.

Und das war doch wohl ein Ziel, dass man durchaus anstreben konnte, oder?
 

So in Gedanken war Alec stehen geblieben und hatte begonnen, mit einer der Blüten des Hibiskusgebüsches zu spielen, der am Wegrand wuchs.
 

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als er ein sehr unschönes Geräusch vernahm.

Ein Fauchen.

Das bösartige Fauchen eines Vampirs.
 

Scheiße. Alec war sofort wieder hellwach und im jetzt und hier. Er drehte sich um und sah gerade noch rechtzeitig wilde, spitze Zähne aufblitzen.

Im Sekundenbruchteil hatte er sich zur Seite geworfen und die Schattenjägerklinge gezückt, die er immer bei sich trug.

Er hielt sie in der rechten Hand, und drehte sich blitzschnell wieder in Richtung des Angreifers.
 

Der war ganz in schwarz gekleidet und hatte das Gesicht mit so einer Art venezianischen Maske bedeckt. Nun, zumindest den oberen Teil des Gesichtes.

Die Augenpartie war so unkenntlich gemacht. Doch Alec kannte das Grinsen, das unangenehme Grinsen.

Er kannte es, nur fiel ihm in diesem Augenblick nicht ein, woher.
 

Er hatte nun wahrhaftig auch keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Der Vampir, sichtlich verärgert darüber, dass sein Überraschungsangriff missglückt war und er sich nun einer gefährlichen Seraphenklinge gegenüber sah, fauchte erneut.
 

Sie schlichen umeinander herum. Alec war sich klar darüber, dass es kaum jemanden gab, der sich mit der Geschwindigkeit eines Vampirs messen konnte. Er hatte also kaum die Chance, dem Angriff des Blutsaugers zuvor zu kommen und entschied sich, abzuwarten, bis dieser erneut angriff. Dann würde er ihn Dank seiner Gewandtheit zumindest wahrscheinlich abwehren können.
 

Alecs Chancen standen nicht schlecht, und so wäre es wahrscheinlich auch geblieben, wenn nicht in diesem Augenblick eine der Haarsträhnen des Vampirs zur Seite gerutscht wäre und ein Ohr frei gegeben hätte.
 

Alec starrte völlig verblüfft auf das Ohr und in diesem Augenblick war ihm klar, wer es war, der sich hier als etwas anderes verkleidet hatte, in Wahrheit jedoch ein Vampir war.

Er erkannte erschrocken, wen er da vor sich hatte …

Kiesel und Schatten

Die wenigen Sekundenbruchteile, die Alec wie erstarrt auf den Angreifer gestarrt hatte, hatte dieser für einen weiteren Angriff genutzt. Alec schrie auf, was eines Schattenjägers eigentlich unwürdig war. Aber es hatten sich einfach in den wenigen Augenblicken vor seinem inneren Auge Schreckensszenarien abgespielt … Isabelle, seine Schwester, als Opfer des finsteren Gesellen, blutüberströmt … doch dann hatte er sich wieder gefangen und warf sich im allerletzten Moment zur Seite.

Er drehte sich blitzschnell um, um sich gegen die nächste Attacke zu wappnen.
 

Seine Klinge blinkte im Licht der Lampen, die den Weg beleuchteten.

Hey, verdammt noch mal, er war Alec Lightwood, Schattenjäger mit bestem Training und fein geschärften Sinnen, und das seit frühester Kindheit. Er würde sich doch wohl nicht von einem Vampir besiegen lassen?

Na also.
 

Langsam tänzelten sie um einander herum.

Der Vampir stand ihm mit wütendem Blick gegenüber.

„Es ist vorbei, Lightwood!“, zischte er.

Vampire, dachte Alec. Es ist doch immer wieder das selbe mit ihnen.

Er leckte sich einen Schweißtropfen von der Oberlippe und ließ den anderen nicht aus den Augen.

Nun, der Gedanke war nicht ganz fair. Immerhin hatte er doch heute erst erlebt, dass nicht alle so waren, es gab sie wirklich, die rühmlichen Ausnahmen. So wie Simon, der doch ganz offensichtlich nicht einfach über wehrlose Opfer herfiel, sondern andere, harmlosere Wege gefunden hatte, den für Vampire nun mal unvermeidlichen Blutdurst zu stillen.

Er würde Isabelle also nicht gefährlich werden.
 

Aber wie es schien, hatte Isabelle wohl einen Hang zu dem spitzzähnigen Volk …
 

Trotz dieser Gedanken, die durch seinen Kopf rasten, war er hochkonzentriert bei der Sache und hielt seinen Fokus fest auf den Gegner gerichtet.

Der Vampir fauchte erneut.

Alec liefen kalte Schauer über den Rücken. Er hasste dieses Geräusch.

„Ich werde dich zerfleischen!“

Der Blick des bleichen Gesichtes war von Wut verzerrt.

„Zerfleischen und dein Blut trinken! Das Blut eines Schattenjägers, das ist ein besonderer Genuss!“
 

Alec wartete ab. Die Klinge fest in der Hand, jede Faser seines Körpers auf Kampf eingestellt.

Dies war nicht der erste Vampir, mit dem er sich messen musste. Er würde siegreich daraus hervor gehen, immerhin wusste er, wie man gegen dergleichen Gelichter kämpfte.

Er musste siegreich sein, das war nicht anders denkbar, denn er musste doch verhindern, dass der finstere Geselle weitermachen und weitere unschuldige Opfer töten könne. Und er war doch der einzige, der nun wusste, um wen es sich handelte …

Er zog sich ein paar Schritte zurück, hoffend, den Gegner zu provozieren, damit er erneut vorstieß. Aber auch der schien nun abzuwarten.
 

Es war dem Vampir klar, dass sein einziger Vorteil gegenüber einem versierten Kämpfer wie Alexander Gideon Lightwood seine Schnelligkeit war, mit der niemand sich messen konnte. Doch diesen musste er sehr gezielt einsetzen.

Wenn Lightwood ihn attackieren würde, könnte er ihn mit Leichtigkeit ausmanövrieren. Aber dazu war der Schattenjäger zu klug.

Verdammt.
 

Zu ärgerlich, dass er es nicht geschafft hatte, ihn in der ersten Überraschung zu überwältigen. Eigentlich hatte er darauf gezählt. Doch nun lief ihm die Zeit davon. Früher oder später würde irgendjemand auf das hier aufmerksam werden, und das wäre gar nicht gut.

Die Frauen, die er geschlachtet hatte, waren sofort zu Boden gegangen und tot gewesen, da war so etwas nicht zu befürchten gewesen. Aber jetzt … ?

Er wollte Lightwood töten, und wollte nicht, dass irgendjemand dabei erfuhr, wer es getan hatte.

Er wollte sich an Isabelles Leid weiden. Die hatte es nicht anders verdient!

Isabelle hatte ihn abserviert, und nur darum hatte er sich ihren Bruder ausgewählt als nächstes Opfer. Vielleicht war das keine so kluge Entscheidung gewesen, nun ja. Aber nun gab es kein zurück.

Er musste Lightwood erledigen!

Also rüstete er sich zum Sprung.
 

Alec sah, wie sich die Muskeln des Vampirs anspannten.

Er darf mich nicht besiegen, dachte Alec, denn neben allem anderen … wenn mir etwas geschähe, wie sehr würde Magnus leiden …

Der Gedanke an Magnus lenkte ihn ab.

Das war nicht gut. Schattenjäger waren darauf trainiert, ihre Gefühle im Griff zu haben, damit sie in der entscheidenden Situation keine Schwäche, kein Zaudern zeigten.

Alec beherrschte das normalerweise, aber die letzten Tage mit ihrem emotionalen Auf und Ab waren einfach zu viel gewesen. Daher passierte ihm dieser Lapsus.

Ein Augenblick der Ablenkung, nicht länger als ein Elektronenblitz.

Und ein dummer kleiner Kieselstein, der ausgerechnet in diesem Augenblick unter seinen rechten Fuß geriet, auf den er sein ganzes Gewicht verlagert hatte.

Und schon stolperte er und kam ins Rudern, und der Vampir nutzte die Gelegenheit, um zuzustoßen.

Und so kam Alec ins Straucheln und fiel, von der schieren Gewalt des Angriffs umgeworfen.
 

Er schlug hart mit dem Rücken auf den Boden, und sein Hinterkopf knallte auf das Pflaster des Weges. Einen Wimpernschlag lang sah er Sterne, und dann war der andere schon über ihm. Bedrohlich drang wieder das Fauchen an sein Ohr und vor sich sah er den blutgierigen Blick des Feindes und die spitzen, gefährlichen Zähne. Er versuchte, sich dagegen an zu stemmen, aber der Vampir war stark, verdammt stark …

Die Seraphenklinge war Alec aus der Hand gerutscht, und während sich die Zähne beängstigend seiner Halsschlagader näherten, dachte Alec, immer noch entschlossen kämpfend:
 

‘Verdammt, Raphael, du bist ein Miststück!’
 


 

Es war vorbei.

Für ihn, Alec, schien nun alles vorbei.

Das war es also.
 

Doch noch bevor Raphaels Zähne tatsächlich die verletzliche weiche Haut an seinem Hals berührten, stob aus der Dunkelheit ein großer, grauer Schatten und warf sich mit einem wütenden Knurren gegen den Vampir.

Wucht und Wolfsgeheul

Der Schatten, was immer es auch war, warf sich mit voller Wucht gegen die Flanke des Vampirs, der dadurch zurück geworfen wurde und auf dem Rücken landete. Sofort war der Schatten über ihm. Doch Vampire sind schnell und stark, und so ließ Raphael sich nicht einfach überwältigen. Ein wildes Gerangel entstand, ein Durcheinander aus Knurren, Zischen, Fauchen, Aufschreien und Jaulen.
 

Alec, der sich inzwischen wieder aufgerappelt und sich aufgesetzt hatte, starrte wie versteinert auf das kämpfende Knäuel da vor ihm. Ein Knäuel, bestehend aus dem Vampir und - einem Werwolf.
 

Es war ein großes, prachtvolles Tier mit grauem, dichtem Fell, soweit man das in der Dunkelheit der Nacht erkennen konnte. Es hatte einen mächtigen Kopf und einen gewaltigen, von dichtem, gesträubtem Fell umwachsenen Nacken. Seine Rute peitschte aufgeregt und drohend.

Schließlich gewann der Wolf die Oberhand. Gerade in dem Augenblick, als er sich anschickte, mit seinem mächtigen Fang die nun ungeschützte Kehle des Vampirs zu zerreißen, kam Alec zur Besinnung. Er kam auf die Beine, machte einen Satz auf die beiden Kontrahenten zu und schrie: „Nein!“

Der Wolf hielt inne. Er presste den Vampir mit seinem Körper nieder, so dass dieser nicht gegen ihn ankam und keine Chance hatte, sich zu befreien; doch er hielt inne und ließ ab von dessen Hals.
 

Er wandte den prachtvollen Kopf, sah Alec mit großen, vor Kampfeslust glühenden Augen an. Dann hob er den Kopf gen Himmel und begann zu heulen. Ein lang gezogenes, durch Mark und Bein gehendes Wolsheulen.

Es musste auf Meilen zu hören sein.
 

Nun würden sie also nicht mehr lange allein hier sein, das Heulen würde vermutlich das gesamte Resort alarmiert haben.

Aber das war gut, den Alec fühlte sich der Lage allein nicht gewachsen. Er würde … er brauchte …
 

„Alec? Alec!“

Sieh an, der erste, der zu ihnen stieß, war Magnus.
 

Magnus starrte entsetzt auf das Geschehen vor ihm.

Alec wandte sich zu ihm.

„Hilf dem Wolf! Wir haben den Vampir überwältigt!“

Magnus erfasste sofort die Lage. Er kniete sich zu den beiden Kämpfenden. Raphael versuchte ein letztes Aufbäumen, denn er erkannte, dass seine Lage schwierig, mehr als schwierig sein würde, wenn es ihm nicht gelänge, sich jetzt aus dem Staub zu machen. Aber der Werwolf ließ ihm keinen Millimeter Spielraum.
 

Aus Magnus’ Fingerspitzen sprühten indessen magische Funken.

Er murmelte irgendeine Art von Beschwörung und hatte die Augen geschlossen. Sein ganzer Körper begann zu glühen, zu beben, und ein Licht begann von seinem Körper aus zu dem des Vampirs zu fließen. Dort bündelte es sich zu dünnen, leuchtenden Bändern, die den Vampir umwanden.

Als Magnus schließlich erschöpft zusammensank, atmete er schwer. Doch er bedeutete dem Wolf, von Raphael abzulassen.

Der Wolf knurrte, es klang skeptisch. Er wandte den Blick zu Alec und schien auf seine Erlaubnis zu warten.
 

Alec schluckte.

Das Tier schien Vertrauen in ihn zu haben. Nun, er wiederum hatte Vertrauen in Magnus. Also nickte er.

Der Wolf schob sich langsam, aber den Vampir fixierend und nicht aus den Augen lassend, von ihm herunter.

Er knurrte immer noch leise und drohend.

Doch das erwies sich als überflüssig. Magnus hatte ganze Arbeit geleistet. Der Vampir war vollständig bewegungsunfähig.
 

Inzwischen waren von überall herum Schritte und Stimmen zu hören. Das ganze Resort schien auf den Beinen, und nach und nach strömten die Menschen zu ihnen. Unter ihnen natürlich die Institutsvorstände; Clary und Jocelyn; Jace; Isabelle. Sogar Simon. Izzy hatte ihn nicht allein lassen wollen. Simon war bleich wie Magerquark; Izzy stützte ihn und hielt seine Hand.
 

Und natürlich waren auch Robert und Maryse hier. Sie waren unter den ersten, die ankamen, und kaum, dass er die Szene vor sich sah, glomm in Roberts Augen wieder der Hass auf.

Maryse stürzte zu ihrem Sohn.

„Alec! Junge! Geht es dir gut?!“

Alec nickte.

„Ja, Mutter. Ich bin unverletzt.“

Maryses Knie zitterten vor Erleichterung.
 

Jetzt hatte Robert die Sprache wiedergefunden.

„Unverletzt!“, keifte er. „Da sieht man mal, was geschieht, wenn man sich mit diesem Gelichter einlässt! Vampir, Werwolf und Hexenmeister! Da ist es ein Wunder, dass sie dich nicht zerfleischt haben!“

„Nein so ist das nicht…“, wollte Alec richtig stellen, aber wie immer hörte Robert nicht zu.

„Was mich noch viel mehr wundert“, schrie er giftig, „ist, dass sie noch unverletzt sind! Bist du denn so schwach, dass du es nichts schaffst, drei von ihnen zu erlegen? Auch ohne deinen Bogen? Hab ich dich so schlecht trainiert, dass du mit deiner Seraphenklinge so nutzlos bist?!“

Er wollte Alec zur Seite stoßen.

„Lass mich zu Ende bringen wofür mein Sohn zu schwach ist!“

Und er zog seine Klinge, die er immer bei sich trug, und wollte damit auf Magnus los gehen, der noch immer erschöpft am Boden hockte.
 

Alec hielt ihn mit eisernem Griff fest.

„Vater? Es reicht jetzt!“

Seine Stimme klang schneidend und kalt wie Stahl.

Robert war überrascht. Auch wenn Alec sich in den letzten Tagen überaus renitent gezeigt hatte - so kannte er ihn nicht.
 

„Siehst du nicht, dass von Magnus und dem Wolf keine Gefahr ausgehen? Der Wolf hat mich gerettet, ohne ihn wäre ich jetzt tot! Und Magnus hat den Vampir gebunden, so dass wir ihn verhören können! Ich weiß ja nicht wie es dir geht, aber ich persönlich möchte anstatt wilden Hass gegen alles und jeden zu versprühen, lieber wissen, warum Raphael sich die Urlauber ausgerechnet hier in Garroways Resort als Snack auserkoren hat!“
 

„Ra… Raphael …?!“

Die Stimme, die leise und entsetzt ertönte, war Izzys. Sie hatte sich die ganze Zeit mehr um Simon gekümmert als um alles andere, daher war ihr Blick erst, als Alec den Namen aussprach, auf das Gesicht des Vampirs gefallen.

Fassungslos erkannte sie den jungen Kellner, der sich als Elf getarnt und an sie heran gemacht hatte und mit dem sie ein paar mal ausgegangen war. Bis er ihr zu eigenartig, zu verblendet in seinen Ansichten gegenüber den Mundis erschienen war. Da hatte sie seine Avancen begonnen, abzuweisen. Und hatte sich Simon zugewandt. Simon, der so ganz anders war.
 

Das ganze war in diesem Augenblick zu viel für sie, und mit einem dumpfen Plumpsen sackte sie ohnmächtig zu Boden.

Rebell und Nacktheit

Blitzschnell hatte Maryse sich zu ihrer Tochter gehockt, doch sie wurde zur Seite gescheucht, denn auch der Resort-Arzt war da und kümmerte sich um Izzy. Er fühlte ihren Puls, leuchtete in ihre Pupillen und schickte dann einen der umstehenden los, ein Glas Wasser zu besorgen. Mit ein paar leichten Schlägen auf die Wange beförderte er Isabelle wieder ins hier und jetzt, dann gab er ihr vorsichtig das Wasser zu trinken, das man ihm reichte.

Simon hatte sich auf Izzys andere Seite niedergelassen und hielt ihre Hand. Der junge Vampir starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seine Freundin und hoffte einfach nur, dass alles gut ausginge und niemand ihm und Isabelle etwas zuleide tat.
 

Robert hatte sich, nachdem er seine Tochter versorgt sah, wieder Alec zugewandt.

Noch immer kochte der Zorn in ihm, der Abscheu gegen das, was hier geschah. Doch Alec machte nicht den Eindruck, als würde er sich von ihm in die Schranken weisen lassen.

Dieser ganze verdammte Urlaub war ein Fehler gewesen. Seit sie hier waren, seit Alec aus den strengen und eng gesteckten Strukturen des Instituts heraus gekommen war, hatte er sich verändert, war von seinem wohlerzogenen Erben und pflichtbewussten Schattenjäger zu … ja zu was eigentlich geworden?
 

Einem Rebell. Einem Querkopf. Jemandem, der den eigenen Kopf durchsetzen wollte.

Der sich nicht mehr nur ohne zu hinterfragen an die althergebrachten Regeln hielt, sondern eigene schaffen wollte. Eigene Ideen durchsetzen.

Pah!

Robert schnaubte unwillig.

Doch ganz tief hinten in seinem Kopf, verborgen unter dem Schutt der Jahrzehnte, muckte sich ein winziger Gedanke.

‘Jemand - so wie du selbst es warst - damals - als du …’

Und wider jede Konvention, ungeachtet der Situation, ja beinahe wider seinen eigenen Willen musste Robert einen winzigen Moment lang lächeln …

Doch dann riss er sich zusammen. Er war schließlich nicht mehr der unreife und ungeschliffene Bengel von kaum zwanzig Jahren. Er war ein erwachsener Mann, ein erfahrener Kämpfer gegen die Schattenwelt, der die Dummheiten der Jugend hinter sich gelassen und die richtigen, die althergebrachten Wege eingeschlagen hatte. Und genau so würde es auch Alec tun.
 

Es war an der Zeit, dass Alec Clary heiratete, dass man nach New York zurück kehrte und der Junge sich tief in seine Studien vergrub, so dass für derlei Narreteien keine Zeit mehr blieb.
 

„Du weißt ja nicht, was du tust“, sagte er daher kalt und abschätzig zu seinem Sohn.

„Derlei Gelichter muss man töten. Kurz und schmerzlos meinethalben, aber man muss sie töten. Ganz gleich ob Vampire, Werwölfe, Hexen … selbst die Elfen, sie alle sind nur noch auf dieser Welt, weil wir sie nicht umgebracht haben. Und wenn es nach mir ginge, sähe das anders aus. Aber glaube mir, mein Junge. Wenn solche Gestalten meiner Familie zu nahe kommen, dann kenne ich kein Erbarmen.“
 

Er schwang noch immer drohend seine Seraphenklinge. Alec aber wich keinen Millimeter. Er stand schützend vor Magnus und war bereit, eher selber zu sterben, als seinen Vater an ihn heran kommen zu lassen.
 

Nun, Robert schien das zu begreifen, denn er wandte sich den anderen beiden Wesen zu und bewegte sich drohend in Richtung des Vampirs und des Wolfes.
 

Der Wolf hielt ihn im Blick seiner gelben, glühenden Augen. Seine Rute peitschte angriffslustig. Doch dann begann er, sich zu wandeln.

Anstatt sich gegen Robert zur Verteidigung bereit zu machen, nahm er in der dramatischen Art und Weise, in der das immer geschieht, seine menschliche Form wieder an.
 

Nun, der Abend hatte schon viele Überraschungen mit sich gebracht.

Er hatte Robert einen Wutanfall, Maryse beinahe einen Herzinfarkt, Isabelle eine Ohnmacht und vielen anderen zutiefste Verblüffung beschert.
 

Es sollte sich zeigen, dass das noch lange nicht alles war. Dass dieser Abend noch deutlich mehr in Petto hatte.
 

Das Fell des Wolfes begann zu glimmen, magischer Staub wirbelte darum herum.

Seine Gestalt richtete sich auf die Hinterpfoten auf.

Die lange, buschige Rute schrumpfte, ebenso die lange, wolfsartige Schnauze.

Die spitzen Ohren rundeten sich und wurden kleiner. Die Fangzähne wichen zurück.

Die Figur straffte sich, die Beine wurden gerade, die Vorderbeine mit den Pfoten zu Armen mit Händen.

Die Taille straffte sich und vor ihnen erschien die nackte, schlanke, muskulöse Gestalt eines Mannes.

Das Gesicht formte sich zuletzt.
 

Robert blieb der Mund offen stehen, als er sah, wen er da vor sich hatte.

Das durfte doch nicht wahr sein!
 

„Lu… Luke?!“
 

Jemand rannte los zu einer der Liegen dort hinten am Pool, die jetzt in der Nacht nicht besetzt waren, wo aber allerlei herum lag und kam wenige Augenblicke später mit einem Handtuch zurück.

Luke nahm es dankbar entgegen und schlang es sich um die Hüften.
 

Jocelyn und Clary starrten ihn fassungslos an. Sie hatten sich bei der Hand genommen. Clary zitterte. Jocelyn ebenso. Sie hatte keine Angst vor ihrem Mann. Gott, das war immerhin noch Luke! Aber sie war erschüttert … sie hatte es nicht gewusst! Warum hatte er ihr nichts gesagt?
 

Luke räusperte sich.
 

„Ich hab das Gefühl, Robert, dass du nicht klar denken kannst. Wir sollten reden. In Ruhe.“
 

Robert war noch immer nicht in der Lage, etwas zu erwidern.
 

Luke sprach die anderen Institutsvorstände an.

„Kümmert euch bitte darum, dass Raphael weggesperrt wird. Wenn ich das alles richtig verstehe, haben wir den Mörder der Angestellten.“

Sandra Oberlindt nickte und machte sich mit ihrer Frau daran, das notwendige zu veranlassen, während die de Blanchets es in die Hand nahmen, den Rat in Idris zu informieren.
 

„Und wir“, sagte Luke zu Robert, „gehen jetzt in euren Bungalow für ein paar längst überfällige Gespräche. Du, ich unsere Frauen, unsere Kinder. Und …“ Er zögerte, aber nur einen Augenblick. „… Magnus.“

Robert wollte sich wehren, aber er kam nicht zu Wort. Die anderen ließen es nicht zu, sie schoben und schubsten ihn regelrecht in Richtung des Lightwood’schen Bungalows. Izzy ließ dabei Simon nicht von der Hand. Sie stützte sich auf ihn. Und so kam auch Simon mit.
 

Irgendwie, dachte Izzy, gehört er auch schon zu unserer Familie. Und wenn noch nicht heute, dann aber jedenfalls bald.

Donner und Dammbruch

Im Bungalow hatte Robert sich mit finsterem Gesicht auf den Stuhl gesetzt, der irgendwie die Mitte des Raumes ausmachte: den Stuhl an der Stirnseite des Tisches im Wohnraum. Robert konnte nicht aus seiner Haut: er hatte instinktiv den Platz gewählt, der ihm so etwas wie den Vorsitz gewährte.

Maryse setzte sich an seine Seite und knetete nervös ihre Hände. Was hier geschah, gefiel ihr ganz uns gar nicht. Aber sie war sich der Tatsache im klaren, dass manches, was heute geschehen war, einen Verlauf nehmen würde, der nicht mehr aufzuhalten war. Und auch wenn sie darüber nicht glücklich war, wusste sie doch, dass man sich, wenn ein Damm einmal gebrochen war, den Wassermassen am besten nicht einfach aus purer Borniertheit entgegen stemmen sollte.
 

Luke hatte erst gezögert, hatte sich dann jedoch lässig gegen die Wand zur Terrasse hin gelehnt. Er hatte die Beine überschlagen und wirkte äußerlich, als könne nichts und niemand ihn aus der Ruhe bringen. Wer ihn jedoch genauer kannte, so wie Jocelyn und Clary, sah ihm an, wie sehr es in ihm arbeitete.

Er hatte Jocelyns Hand genommen und hielt sie fest, sie klammerte sich regelrecht an ihn, so dass ihre Fingerknöchel ganz weiß waren.

Sie hatte Angst. Schlicht und ergreifend Angst. Nicht vor Luke, ach was, nein, vor dem, was hier zur Sprache kommen würde.
 

Und irgendwie, weil die beiden Männer sich mit ihren Frauen an der Seite so offensichtlich verbündet hatten, hatten sich auch die jungen Leute zu Paaren zusammen gefunden.

Hier war schnell klar, wer zu wem gehörte und gehören wollte.
 

Alec saß am Tisch, den Eltern gegenüber: Auf dem Stuhl neben ihm saß, Roberts entsetzten und bösen Blicken ungeachtet, Magnus und hielt Alecs Hand.
 

Izzy setzte sich auf die schmale Chaiselongue und zog Simon mit sich. Es war nicht klar, wer von den beiden mehr zitterte. Sie drückten sich aneinander und man sah, wie sehr sie die Gegenwart des anderen gerade brauchten.
 

Tja, und Jace … nun Jace zögerte einen Augenblick, doch dann dachte er: Scheiß drauf. Und er legte seinen Arm um Clary. Unmissverständlich, nicht wie Freunde oder Kumpel.
 

Roberts Augen weiteten sich bei dem Anblick, sein Blick wurde noch wütender, doch noch bevor er etwas sagen konnte, ging Luke dazwischen:

„Lass gut sein, Robert!“

Doch Robert war nicht gewillt, zuzugestehen, dass er über das, was hier geschah, nicht mehr die Kontrolle hatte.

Noch immer hielt er an dem Trugbild fest, dass ihm die Zukunft und auch Gegenwart für seine Kinder vorgaukelte, die er sich wünschte. Das Trugbild, das doch so offensichtlich vor aller Augen von Sekunde zu Sekunde mehr in sich zusammen fiel, so dass jedem von ihnen, selbst Maryse, klar war, dass hier einiges anders laufen würde und es eine Menge zu klären gab.
 

Er war nicht gewillt, und so giftete er los:

„Nein! Hier ist nichts gut! Mein eigener Sohn ist eine Schwuchtel, der sich noch dazu lieber mit einem Schattenwesen einlässt, als eine Frau zu heiraten, die unserer Familie würdig ist! Der Mann, der früher mal mein bester Freund war, ist auch so ein Schattenvieh, ein blutrünstiges Monster; und seine Tochter eine Hure, die sich an keine Abmachung hält…“
 

Jocelyn, die ruhige, liebe, freundliche Jocelyn hatte nun genug. Sie war bei seinen Worten zusammen gezuckt, hatte sich dann über den Tisch geworfen und Robert eine Ohrfeige verpasst, dass es nur so schallte.

Sie zitterte vor Zorn, und Tränen der Wut liefen ihr über das Gesicht, als sie zischte:

„Du wirst nie wieder -… nie wieder, hörst du … so über die Menschen reden, die ich liebe, ist das klar!?“

Robert starrte sie zutiefst verblüfft an.

„Und auch nicht über meine“, sagte nun Maryse. „Unsere Kinder sind wunderbare Menschen. Und wenn sich Jace eben zu Clary hingezogen fühlt und umgekehrt auch; Wenn Alec eben Magnus mag und Izzy eben Simon, dann bedauere ich sicher manches daran, das will ich gar nicht bestreiten. Aber dann ist das eben so, und niemand wird sie deswegen beschimpfen. Auch du nicht, Robert.“
 

Verärgert schüttelte Robert den Kopf. Ihm schwammen die Felle davon. Auf einem reißenden Fluss mit rasend schneller Strömung.

„Ich verstehe es nicht“, knurrte er. „Siehst du denn nicht, was hier passiert, Maryse? Unser ältester Sohn wirft alles hin, was vor ihm liegt! Ich habe ihn doch, seit er klein ist, auf die Institutsleitung vorbereitet, und nun, kurz vor seinem Studium, das alles zu dem ersehnten Ziel bringen soll, wirft er alles hin! Und das nur, weil ein Hexenmeister ihn umgarnt und seine Verlobte ihn hintergeht und sich unserem anderen Jungen an den Hals wirft! Und das findest du in Ordnung?“
 

„Ich…“ Alec räusperte sich.

„Das stimmt so nicht, Vater. Clary und ich waren uns vom ersten Tag an einig, dass wir nicht füreinander bestimmt sind. Mich hat hier niemand hintergangen.“

Er sah zu Magnus. Dann wieder zu seinem Vater.

„Und ich … ich werfe nicht alles hin. Ich verstehe nicht, warum. Ich möchte bei dir studieren und Leiter des Instituts werden, so wie ich es schon immer wollte. Und ich sehe keinen Grund, warum ich das nicht tun sollte - mit Magnus an meiner Seite.“

Magnus lächelte leise.

Es tat ihm gut, wie Alec seine Hand hielt.
 

„Mit einem Mann an deiner Seite wäre schon schlimm genug. Aber auch gleich noch ein Hexenmeister! Alec, siehst du denn nicht, dass …“

„Nein!“

Alecs Stimme war nun fest und unerschütterlich.

„Nein. Ich sehe nicht, wie eines von beiden ein Problem sein sollte.“
 

„Ich werde das nie akzeptieren! Und selbst wenn. Der Rat in Idris wird das nicht hinnehmen, Alec. Werde doch vernünftig!“

„Pah!“, sagte Luke. „Der Rat in Idris hat die Ehe der Oberlindts akzeptiert!“

„Zwei lesbische Frauen!“ Aus Roberts Mund klang das wie etwas ekliges, das man ausspucken musste.

„Das allein schon hätte der Rat nicht genehmigen dürfen. Aber ein Hexenmeister! Das ist viel schlimmer! Das werden Sie nicht …“
 

Luke holte tief Luft.

„Carola Oberlindt … sie hängen das nicht an die große Glocke, Robert. Aber sie verschweigen es auch nicht. Carola Oberlindt ist eine Elfe. Und der Rat weiß davon.“
 

Robert blickte wie vom Donner gerührt drein. Ihm war, als würde seine sorgsam gehegte Welt in tausend Scherben zerbersten.

Kampfeslust und Zukunftshoffnung

„Und warum“, fragte Robert, und in seiner Stimme teilten sich nur mühsam unterdrückte Wut und eine deutlich hörbare Resignation den Raum, „warum zum Teufel weißt du darüber so genau Bescheid, Luke? Ach ja, ich vergaß - du bist ja selber so ein …“

Er schluckte das Wort herunter, das er eigentlich hatte sagen wollen.

Luke jedoch schüttelte den Kopf.

„Jocelyn und ich waren dort. Wir waren ihre Trauzeugen. Und nein, Robert - die Oberlindts wussten nicht über mich Bescheid. Nicht einmal Jocelyn wusste es, bis vorhin jedenfalls.“

Er schluckte und sah schuldbewusst zu seiner Frau.

Jocelyn war bleich und sah ein wenig hilflos drein. Es war offensichtlich nicht einfach für sie, die Ereignisse des Abends zu verarbeiten.

Nun, das war ja auch kein Wunder.
 

„Es gibt etwas, was ich nicht verstehe“, kam nun von der Seite. Von Simon.

Simon, der ganz offensichtlich verängstigt war und dem das alles hier schwer zu schaffen machte, war aufgestanden. Er hatte seine Hand auf Izzys Schultern gelegt und sah Luke nun fest in die Augen.

„Jahrelang, seit ich hier bin, habe ich erlebt, dass du … nicht viel Achtung oder Respekt gezeigt hast für … Schattenwesen. Du hast sie nie wirklich schlecht behandelt und in gewisser Weise war das Garroway’s immer ein sicherer Hafen für … sie.“

Es fiel ihm offenbar nicht leicht, einzugestehen, dass er dazu gehörte. Immerhin wussten Clarys Eltern bisher ebenso wenig darüber Bescheid wie Robert und Maryse.

„Aber dennoch. Respekt war da nie, eher so etwas wie … unterdrückter Abscheu … Generalverdacht … wie kann das sein, da du selber eines bist? Und so wie du dich bewegst und gibst, wie deine Verwandlung abgelaufen bist, lehne ich mich mal aus dem Fenster und behaupte, das bist du nicht erst seit gestern!“
 

Luke zuckte mit den Schultern.

„In der Tat“, sagte er. „Ich … war es schon, bevor ich Jocelyn geheiratet habe.“

Jocelyn ließ sich auf einen Stuhl fallen.

„Warum hat du nie etwas gesagt …“, flüsterte sie.

Luke seufzte.

„Ich weiß. Ich bin ein Idiot, und ihr habt beide recht. Dir, Jocelyn, und auch dir, Clary, hätte ich etwas sagen sollen.“

Sein Blick wanderte zu Simon.
 

„Und um deine Frage zu beantworten … ich weiß es nicht. Ich habe üble Erfahrungen mit ein paar Schattenwesen gemacht, die letztendlich zu meiner Verwandlung geführt haben. Aber … das alles ist nur schlechte Ausrede. Ich habe mich so verhalten, um mich und was ich bin zu verbergen … glaube ich.“

„Verbergen? Vor mir?“, fragte Jocelyn mit gebrochener Stimme.

Luke schüttelte den Kopf.

„Nein. Nein, meine Liebste. Eher vor …“

Er räusperte sich.

„… vor Leuten wie Robert.“
 

Robert sprang auf und donnerte wütend mit der Faust auf den Tisch.

„Da hattest du auch allen Grund dazu!“

Er kochte.

„Das darf doch alles nicht wahr sein! Mein ehemals…“ er zögerte, „… bester Freund…“ er wurde rot bis in die Ohrenspitzen, „… ist so ein Vieh, die Leitung in Berlin ebenso. Noch irgendwer von dem ich noch nichts weiß?“

Er schaute auffordernd in die Runde.

Izzy legte Simon die Hand auf den Arm und schüttelte unmerklich den Kopf.

„Nicht jetzt“, flüsterte sie, „das bringt gerade nichts.“

Also schwieg Simon.
 

Robert jedoch hatte sich in Rage geredet.

„Gleich morgen früh werde ich den Rat in Idris informieren. Die Leitung des Berliner Instituts wird abgesetzt. Wir leiten es dann interimsweise von New York aus, bis der Rat eine neue Leitung eingesetzt hat. Das Resort wird geschlossen. Alle Schattenwesen, die hier arbeiten, werden nach Idris überstellt, und einer genauesten Untersuchung unterzogen. Ich werde…“
 

„Nein!“

Alecs Stimme schallte Donnerhall durch den Raum.

„Nein, Vater, das wirst du nicht!“

Robert starrte seinen Sohn an.

„Wie bitte?!“

Alec holte Luft.
 

Es knisterte in der Luft.

Es fühlte sich an, als würden Blitze zucken. Jeder im Raum hatte das Bedürfnis, instinktiv den Kopf einzuziehen.
 

„Vater, seit ich hier bin und nach allem, was ich in den wenigen Tagen hier erlebt habe, ist mir eine Menge klar geworden. Vor allem, wie antiquiert und falsch vieler deiner Ansichten sind. Und wie unreflektiert ich vieles nachgeplappert habe. Aber so wird es nicht weitergehen.“

Er spürte Magnus’ Hand, die die seine fest drückte.

Er drückte zurück, dann erhob er sich, stützte sich mit den Händen auf den Tisch und funkelte seinen Vater kampflustig an.
 

„Ja, Vater. Ich will die Leitung des New Yorker Instituts eines Tages übernehmen. Aber ich werde dafür nicht auf mein Lebensglück verzichten. Und ich will noch mehr: Ich will das Institut und damit an führender Position in der Schattenjägerwelt diese in modernere Zeiten führen. Den Blick der Zukunft zugewandt. Wir können nicht ewig an den überholten althergebrachten Regeln kleben. Wir müssen nach vorne blicken.“

Er schnaufte.

„Es ist normal, dass Männer Männer lieben. Und Frauen Frauen. Es ist normal, dass Menschen und Schattenwesen mit einander auskommen. Das ist doch das, was es vor Jahrhunderten gegeben hat und was der Ursprung des Rates und der Regeln und Gesetzte war, nicht wahr? Also warum haben wir uns eigentlich von diesem Ziel abgewandt?!“
 

„Weil es falsch ist! Schwule versündigen sich gegen die Engel! Schattenwesen sind ein Fehler der Natur, eine Mutation, und es ist ebenso eine Versündigung, sie nicht längst ausgemerzt zu haben!“
 

„So siehst du das also.“

Alec hatte es gewusst. Sicher. Dennoch. Es so deutlich aus dem Munde des Vater zu hören, das tat weh.

„Sobald wir in New York sind“, sagte er leise, „werde ICH den Rat kontaktieren und um deine Absetzung ersuchen.“

Er sprach leise, aber eindringlich.

„Und bis ich so weit bin, die Leitung zu übernehmen, wird sich eine Zwischenlösung finden. Hodge vielleicht. Oder … die Oberlindts leiten uns von Berlin aus?“ Er konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.
 

„Wie auch immer. Mit dir an der Spitze … nein. So kann es nicht weitergehen. So verliert unser Institut seinen führenden Rang, bleibt in der Vergangenheit stecken und das kann ich nicht zulassen.“
 

Robert schnaubte wütend.

„Niemand wird auf dich hören … du … du …“
 

„Schwuchtel?“, fragte Luke leise. „Wolltest du Schwuchtel sagen? Ach Robert.“

Und seine Stimme klang wie ein trauriges, verzweifeltes Seufzen.

Tränen und Fragen

Doch dann straffte sich Luke.

„Es ist an der Zeit“, sagte er.

„Nein!“ Robert bellte das Wort geradezu.

„Doch, Robert. Es ist an der Zeit, darüber zu reden.“

„Auf gar keinen Fall!“

„Und wenn du es nicht tust, werde ich das tun.“

„Luke, nein! …“
 

Luke drehte sich zu Alec und Magnus. Einen Augenblick lang zögerte er mit dem, was er nun zu sagen hatte. Es war einer dieser Momente, wo man das Gefühl hat, man könne jedes einzelne Staubkörnchen im Raume in der Luft schweben sehen. Das Ticken einer Uhr, wenn denn eine Uhr, die tickte, im Raume gewesen wäre, hätte wie das Beben von Donnerschlägen geklungen.

Roberts Herzschlag dagegen war präsent, und der klang wie das Galoppieren eines Pferdes, eines schnellen Pferdes. Das hörte Luke mit seinem feinen Werwolfsgehör nur zu genau, und auch Simon, dessen Vampirsinne bis aufs äußerste gespannt waren, nahm ihn überdeutlich wahr. Überdeutlich und verlockend, und Simon wurde klar, dass er lange nicht - nun - getrunken hatte, und er ausgesprochen hungrig war. Verdammt, Simon, nicht jetzt, dachte er und klammerte sich einfach fester an Isabelle. Sie war sein Anker in dieser Welt.
 

„Vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren …“, begann Luke.

„Nein!“ Roberts Augen glühten zornig, entsetzt.

„… als wir noch jung waren …“

„Luke!“

„ … bevor ich Jocelyn und er Maryse kennen lernte …“

„Wage es nicht …“

„ …als wir also noch jung waren, so jung wir du und deine Geschwister jetzt, Alec …“

„ … davon …“

„ … da waren Robert und ich Freunde, die besten Freunde …“

„ … zu …“

„ … und nicht nur das.“ Luke schluckte.

„ … sprechen!“ Robert machte Anstalten, sich auf den anderen zu stürzen. Doch er hatte keine Chance. Simon, der nun alle Zurückhaltung aufgab, war mit der ihm eigenen Geschwindigkeit aufgesprungen und hielt Robert fest. Der Mensch hatte keine Chance gegen den Vampir. Der Griff des jungen Mannes war für ihn unüberwindlich.
 

Luke holte tief Luft.

„Wir haben uns damals geliebt.“
 

Ein Tumult brach aus. Maryse, die sonst so unerschütterliche, weinte leise. Jocelyn saß mit versteinertem Gesicht auf ihrem Stuhl.

Alle anderen redeten durcheinander.
 

So lange, bis Clary, ausgerechnet Clary, es nicht mehr ertrug und aus vollem Halse schrie:

„Ruhe, verdammt! Jetzt haltet einfach alle die Klappe, ja?!“

Und erstaunlicherweise hörte man auf sie.
 

Sie starrte ihren Vater an.

„Du und Robert …? Ernsthaft?“

Luke nickte.

„Aber …“, fragte die junge Frau, und man konnte ihrer Stimme anhören, dass sie es wirklich wissen wollte,

„… was ist dann passiert? Wieso seid ihr nicht …?“
 

Robert, der sich noch immer versucht hatte, aus Simons Griff zu winden, gab nun auf und setzte sich zurück auf seinen Stuhl. Er stützte den Kopf in die Hände und schien in seinen Grundfesten erschüttert. Nichts war mehr geblieben von dem arroganten, selbstsicheren und sich der eigenen Macht und Rechtschaffenheit so sehr gewissen Mann. Geblieben schienen nur Trümmer seiner selbst. Und das leise „Verdammte Scheiße! Das darf doch alles nicht wahr sein!“, das seinen Lippen entkam und das so gar nicht seiner sonstigen Art zu sprechen entsprach, war ein deutliches Zeichen dafür.
 

„Nun“, sagte Luke, und Trauer schwang in seiner Stimme.

„Es war nicht so viel anders als heute. Wir waren jung, verliebt, voller Hoffnung. Wir hatten große Pläne, die Zukunft betreffend. Doch dann waren da Roberts Eltern. Und führten die selben Worte im Mund, wie es heute Robert tut. Waren in den selben verkrusteten, überkommenen Traditionen gefangen. Unser Sohn und Erbe ist doch kein Schwuler … bla bla bla … du musst in eine der guten alten Schattenjäger-Familien einheiraten, bla bla bla.“

Luke seufzte.

„Und Robert hatte nicht die Kraft, sich dagegen anzustellen. Er hat sich von mit abgewandt und …“

Die Stimme des Werwolfs zeigte eine Traurigkeit, die man von ihm nicht gewohnt war.

„… er hatte nicht die Kraft oder den Mut, für uns und unsere Liebe zu kämpfen.“
 

Luke wandte sich an Maryse.

„Erinnerst du dich, Maryse, an jenen Abend, als er dich mir vorgestellt hat? Als seine Verlobte?“

Sie nickte, Tränen und Fragen, so viele Fragen in ihren Augen.

„Nun, als du kurz darauf einmal deine Nase pudern gegangen bist, hab ich ihn gefragt, was das soll? Und da, erst da, hat er mit mir Schluss gemacht.“
 

Alec hielt sich wie ein ertrinkender an Magnus’ Hand fest.

Es gab so vieles, was hier auf ihn einströmte.

Sein Vater und Luke … sein Vater schwul … oder bi, egal, aber …

Oh Engel.
 

Alec zitterte. Doch dann begann aus Magnus’ Hand eine beruhigende Wärme auf ihn über zufließen. Magnus spürt, dass sein junger Liebster seine Kraft, seine Fürsorge brauchte und gab sie ihm, auf diese ganz unmittelbare Weise.

Die Wärme strömte durch Alecs ganzen Körper und langsam, ganz langsam beruhigte er sich und konnte wieder klar denken.

Und konnte wahrnehmen, was seine Mutter leise sagte.
 

„Ich habe von Anfang an gewusst, dass er mich nicht so liebt wie ich ihn … bei all seinen Fehlern, hat er mich, was dass betrifft, immerhin nie belogen. Ich hab es hingenommen, den er ist für mich der eine, verstehst du? Die eine große Liebe, die man im Leben findet.“

Tränen rannen wieder über ihre Wangen.
 

„Ich glaubte damals auch, dass er das für mich wäre“, sagte Luke mit einer warmen Sanftheit in der Stimme.

„Doch dieser … Verrat … hat so weh getan. Und dann traf ich Jocelyn. Und hab erkannt, dass sie für mich die eine, die einzige ist.“

Liebevoll küsste Luke die Hand seiner Frau. Jocelyns Gesichtsfarbe änderte sich von Steinweiß zu einem sanften Rot.

„Ist das wahr?“, flüsterte sie.

„Ja“, sagte er. „Ich liebe dich, Jocelyn. Und alles andere ist Geschichte.“

Und dann nahm er sie ganz fest in den Arm.
 

Nun, dachte Alec, und es tat ihm nicht mal leid, dass er dabei ein wenig Schadenfreude empfand; dann ist wohl der einzige, der hier nicht letztendlich den Menschen bekommen hat, den er wirklich wollte … oder vielleicht immer noch will? … mein Vater.

Und auch wenn es ihm ein wenig leid tat, konnte Alec doch nicht bestreiten, dass Robert sich das immerhin selbst zuzuschreiben hatte.

Denn Traditionen hin oder her.

Es gab Wege, sie zu ändern.

Alec selbst war doch ganz offensichtlich der beste Beweis dafür.

Worte und Leben

Alec war nun auch derjenige, der wieder das Wort ergriff.

„Ach Vater“, sagte er. Leise, beinahe bedauernd. Es war still im Raum. Niemand sagte etwas. Alle versuchten, mit dem Erfahrenen klarzukommen. Jeder auf seine Weise.
 

„Bis eben, Vater, war ich wütend auf dich. So richtig wütend. Aber jetzt …?“

Alec seufzte.

„Jetzt tust du mir eigentlich nur noch leid.“

Robert hob den Blick und sah seinen Sohn an.

„Leid? Weil ich nicht dieses Leben wollte, wie es dir offenbar vorschwebt?“

„Nein, Vater. Deswegen, weil du meiner Meinung nach so ein Leben durchaus wolltest, aber nicht den Mut hattest, es dir oder gar der Welt einzugestehen.“
 

Robert schnaubte. Was erlaubte sich dieser Bengel!

Doch Alec ließ sich nicht beirren.

„Du hast auf deine Liebe verzichtet, um den Ansprüchen zu genügen, die an dich herangetragen wurden. Und wofür?“

Robert wollte auffahren. Er hatte viel erreicht im Leben. Der Leiter des führenden Schattenjägerinstituts, Vorreiter im Kampf gegen …

Aber ein Blick auf seinen Sohn zeigte, dass das alles hier gerade nichts bedeutete.
 

Alec wandte sich von ihm ab.

„Ich weiß nicht, wie ihr das seht“, sagte er. „Aber ich denke, dass nicht einfach alles weitergehen kann, wie bisher.“

Erneut ergriff er Magnus’ Hand.

„Es geht mit hier nicht mehr nur um mich. Ich werde mein Glück finden. Mein Glück mit Magnus. Ob nun mit oder ohne die Schattenjägerwelt.“

Magnus sah ihn überrascht an und auch die anderen sogen erstaunt den Atem ein.

„Was?!“, knurrte Robert.

„Du wärst bereit …“, sagte Clary leise, mit weit aufgerissen Augen.

„Ja“, sagte Alec. „Wenn es hart auf hart kommt, würde ich mir lieber die Schattenjägerrunen nehmen lassen als Magnus.“
 

Er schluckte.

„Aber ich denke nicht, dass es soweit kommt. Der Rat in Idris mag traditionell sein, aber offensichtlich verschließt er nicht die Augen vor der Wirklichkeit. Die Oberlindts …“

Luke nickte ihm zu und brummte zustimmend.
 

„Wie auch immer“, fuhr Alec fort. „Mein Vater hat wie jeder andere ein Recht auf seine Ansichten. Aber …“, sagte er mit erhobener Lautstärke, weil Robert sich zu Wort melden wollte und Alec einfach genug von seinen Tiraden hatte, „solche veralteten und engstirnigen Denkweisen dürfen einfach nicht mehr das Leben hunderter Schattenjäger und damit Tausender Schattenwesen beeinflussen.“
 

„Bei allem Verständnis für den Wunsch zu Veränderungen, mein Junge“, sagte nun Maryse.

„Aber vergiss nicht, dass es Aufgabe der Schattenjäger ist, die Mundis zu schützen, die ohne uns keine Chance haben, gegen finstere Schattenwesen zu bestehen!“

„Nein, Mutter, das vergesse ich ganz sicher nicht. Aber genau das ist doch der Punkt, nicht wahr? Finstere Schattenwesen. Schattenwesen mit schädlichen Absichten. Solche wie Raphael.“

Maryse nickte.

„Doch die meisten Schattenwesen sind nicht so. Siehe Magnus oder Luke.“

Ein Seitenblick fiel auf Simon, der sichtlich zusammenzuckte.

„Oder wie ich“, sagte der junge Vampir nun zur Überraschung derjenigen Anwesenden, die noch nicht über ihn Bescheid wussten, und ließ seine Fangzähne sehen.
 

Robert, der aufsprang, als wolle er sich auf ihn stürzen, sah sich einer wütend blitzenden Isabelle gegenüber.

„Du fasst ihn nicht an, Vater“, sagte sie leise und drohend. Beängstigende Eiseskälte lag in ihrer Stimme. Entschlossenheit, der sich selbst Robert nicht entgegenzuwerfen wagte.

Und so setzte er sich wieder. Oder besser gesagt, er ließ sich mit einem resigniert klingenden Stöhnen zurück auf seinen Stuhl fallen.
 

„Allein hier im Raum“, sagte Alec, „sind drei Schattenwesen, die noch nie jemandem etwas zu Leide getan haben. Und das ist es doch, worauf es ankommt, denn genau so sind die meisten Schattenwesen, und es ist an uns Jägern, sie alle ebenso wie die Mundis zu beschützen! Und steht es nicht auch genau so im Buch der Engel? Die Schattenjäger und Schattenwesen mögen Frieden halten, und gemeinsam gegen das Böse kämpfen, damit niemand zu Schaden komme?!“
 

„Pah!“ Maryse schnaubte. Nun gut, Alec mochte in vielem recht haben. Aber das alles hier ging ihr doch zu schnell.

„Das sind Worte! Nichts als Worte! Das friedliche Zusammenleben von Jägern und Schattenwesen zum Schutze der Mundis… das hat doch noch nie funktioniert. Seit vielen Jahrhunderten nicht.“
 

„Nun, dann ist es an uns, diese Worte mit Leben zu füllen!“

Alecs Augen funkelten.
 

„Können wir …“, ließ sich nun Jocelyn vernehmen.

„Können wir Schluss machen ... Bitte … ich kann nicht mehr. Das alles ist mir zu viel …“
 

„Ja“, sagte Alec. „Wenn ich ehrlich bin, ich bin ebenso erschöpft. Der Tag hatte es in sich.“

Er holte ich einmal tief Luft.

„Und ich denke auch nicht, dass es hier der richtige Platz ist für flammende Reden. Ich werde diese Rede besser vor dem Rat in Idris halten. So schnell wie möglich. Und egal, wie es dann weitergeht. Ich werde an Vaters Umtrieben keinen Anteil mehr haben. Werde meinen eigenen Weg gehen. Mit oder ohne das Institut. Aber auf keinen Fall ohne Magnus.“
 

Und er drehte sich zu seinem Freund, senkte seinen Kopf und legte vor aller Augen die Lippen auf Magnus’ Lippen, der den Kuss sofort erwiderte.
 

Die Geräuschkulisse um sie herum spielte im nächsten Augenblick schon keine Rolle mehr für Alec.

Roberts wütender Aufschrei. Maryses resigniertes Seufzen. Das Klatschen und der Beifall der anderen.
 

Nein, in diesem Augenblick zählte für ihn nur noch eines:

Das Gefühl der tiefen Liebe, der festen Verbindung zwischen ihm und seinem Magnus.

jetzt und für immer

Die Sonne brannte heiß über New York. Es war ein typischer Sommertag hier in der Stadt, und er war nicht vergleichbar mit jener herrlichen tropischen Luft, wie sie in jenem Sommer vor drei Jahren in Indonesien alles umschmeichelt hatte. Jener Sommer, bei dem sich für Alec so viel geändert hatte.
 

Alec wischte sich seufzend mit der Hand über die verschwitzte Stirn. Er drehte den Stift, den er in der Hand hielt, ein paar mal hin und her, entschied dann, dass es für heute genug sei und legte ihn auf den großen, schweren Schreibtisch, der hier im Büro des Institutsleiters stand. In seinem Büro.

Sein Blick ging zur Uhr. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Uhrzeit bemerkte. Nun konnte es nicht mehr lange dauern, bis Magnus, sein Mann, ihn abholen würde. Es war ein langer langweiliger Tag gewesen, mit vielen Entscheidungen, die zu treffen waren, doch nichts von wirklicher Bedeutung, einfach ein Tag voller Papierkram, und nun freute er sich auf den Abend mit seinem Mann in ihrem Lieblingsrestaurant.
 

Er streckte sich und gähnte.

Plötzlich begann die Luft im Raum zu flimmern, und da wo sein Blick noch vor wenigen Augenblicken auf einen Aktenschrank gefallen war, tat sich ein Portal auf, dem gleich darauf Magnus entstieg.
 

„Hallo Alexander“, sagte Magnus. „Wie war dein Tag?“
 

„Ahhh“, stöhnte Alec. „Langweilig und nervenaufreibend.“

Magnus kicherte.

„Ich glaube, so hast du dir dein Leben als Institutsleiter nicht vorgestellt?“

Alec lachte nun auch.
 

Doch dann wurde er ernst.

„Weißt du, letztendlich ist auch dieser langweilige Papierkram wichtig. Gerade jetzt in dieser Zeit des Umbruchs. Wo wir Schattenjäger den Schattenwesen die Hand reichen, und auf sie zu gehen. Die Zusammenarbeit musst halt gut geplant und im Blick behalten werden, damit am Ende beide Seiten das Gefühl haben können, dass etwas Gutes daraus geworden ist.“
 

Magnus nickte.

„Du machst das hervorragend, Alec. Die Vertreter der verschiedenen Völker vergöttern dich, und fressen dir geradezu aus der Hand.“
 

Er trat auf seinen Mann zu.
 

„Das was hier beginnt, mein Lieber, was wir jetzt erleben, das ist der Beginn von etwas Neuem. Der Beginn einer hoffentlich langen, friedlichen Zeit.“
 

„Ich weiß“, sagte Alec, „und du, mein Mann, du hast einen ganz entscheidenden Teil dazu beigetragen“
 

Magnus nahm Alecs Hände in die seinen.

„Ich liebe dich“, sagte er

Und dann küsste er die Hände sanft und liebevoll.
 

Einen Augenblick zögerte er, dann fragte er:

„Was meinst du, sollen wir am Sonntag deine Eltern wieder einmal besuchen?“
 

Alec verzog das Gesicht, doch dann antwortete er:

„Du hast recht. Meine Mutter würde sich sicher sehr freuen.“
 

Magnus nickte.

Und leise fügte er hinzu

„Glaub mir, dein Vater auch, auch wenn er es nicht zugeben wird.“
 

„Ich weiß nicht", sagte Alec, „ich glaube eher, er ist immer noch sauer auf mich, für all das was ich getan habe.“
 

„Du meinst dein eigenes Leben zu leben, deine eigenen Ideen und Vorstellungen in diese Welt einzubringen, anstatt auf Dauer unter dem kaputt zu gehen, was andere von dir erwarten? Oder besser, was dein Vater und andere eher konservative Schattenjäger denken, was alle von dir erwarten?“
 

„Ja“ sagte Alec, „du hast ja recht. Und versteh’ mich bitte nicht falsch. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass das, was ich getan habe und der Weg den ich gehe richtig ist. Wenn ich mir da nicht sicher sein könnte, wie könnte ich dann das führende Institut leiten und damit letztendlich, wenn wir mal ehrlich sind, die ganze Schattenjäger Welt.“
 

Er schnappte etwas nach Luft.
 

„Der Gedanke daran lässt mich immer noch ein bisschen schwindelig werden.“
 

Wieder lachte Magnus leise.
 

„Ich kann mir vorstellen, dass sich das groß anfühlt. Und auch ein kleines bisschen beängstigend. Wie schon gesagt, du machst das großartig. Und sicher wird es immer welche geben, die nicht einverstanden sind mit deiner Art, die Dinge in die Hand zu nehmen. Aber die gäbe es auch, wenn du es anders machen würdest. Also mach einfach dein Ding, mach das was du für richtig hältst. Ich denke, das Feedback, was du im Allgemeinen aus der Schattenjäger- und auch Schattenwesenwelt erhältst zeig dir doch, dass du den richtigen Weg gehst.“
 

„Ich weiß, ich weiß“, sagte Alec grinsend und warf mit einem Radiergummi nach seinem Mann. „Jetzt lass mir doch mein kleines bisschen Selbstzweifel, du perfektes Wesen du.“
 

Magnus lachte nun laut.
 

„Perfekt, ich, lass das nicht Robert hören.“
 

Dann blickte er Alec ins Gesicht.

„Also gehen wir am Sonntag zu deinen Leuten?“
 

Alec nickte. „Das machen wir. Ich werde dafür sorgen, dass auch Simon und Isabelle sowie Jace und Clary dabei sind.“
 

„Ein richtiges Familientreffen also“, sagte Magnus. „Prima, ich bin dabei, aber jetzt, geschätzter Gatte, reich mir die Hand lass uns in den Sonnenuntergang schreiten.“
 

„Gerne“, knurrte Alec, „wenn der Sonnenuntergang mir verspricht, ein bisschen weniger brütend heiß zu sein.“
 

Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf, ging um den Schreibtisch herum auf Magnus zu, und nahm ihn kurz in den Arm.

„Hey, nicht so sehr, ich bin total verschwitzt.“

„Dann lass uns erst in mein Loft“, sagte Magnus, „und lass uns duschen.“
 

Alec lachte.

„Dann lass uns getrennt duschen, sonst kommen wir heute Abend gar nicht mehr fort.“

Magnus lachte ebenfalls.

„Na meinetwegen, mir soll's recht sein. Ich wollte schon lange mal wieder mit dir ins „Babajaga’s“ und ein paar schöne kühle Cocktails trinken. Mit ordentlich Hexenglitzer und Bling Bling. Da werde ich schon nicht zulassen, dass eine Dusche sich uns in den Weg stellt.“

Wieder lachte Alec und stellte fest, dass er, seit er Magnus hatte, soviel lachte, wie davor lange nicht.

„Also dann, Ehemann“, sagte er und genoss das Wort, denn es war noch relativ frisch.

„Auf auf!“
 

Und so schritten sie, der führende Schattenjäger der westlichen Welt, und der oberste Hexenmeister von Brooklyn und somit eines der führenden Schattenwesen der westlichen Welt, fröhlich und verliebt Arm in Arm in den Feierabend.
 

Und darüber hinaus in ihre schöne und gemeinsame Zukunft.



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Kommentare zu dieser Fanfic (32)
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Von:  DieLadi
2021-10-16T11:04:00+00:00 16.10.2021 13:04
:-)
Von:  Aracona
2021-10-13T16:51:45+00:00 13.10.2021 18:51
Was für ein tolles Ende einer echt schönen Story. Ich muss sagen dass ich es geliebt habe deine Geschichte zu verfolgen und bin froh über das Happy End der beiden, denn das haben sie sich redlich verdient
Von:  Aracona
2021-10-13T16:44:42+00:00 13.10.2021 18:44
Was für ein tolles Kapitel. Alec zeigt offen was er denkt und stemmt sich sogar gegen seinen Vater. Ich finde es klasse das er endlich den Mut gefunden hat vor aller Öffentlichkeit zu Magnus zu stehen.
Von:  Aracona
2021-10-05T04:55:18+00:00 05.10.2021 06:55
Uff, damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet O.O
Aber du hast es super geschafft dieses Geheimnis zu bewahren. Ich hoffe das jetzt doch alles gut wird, denn Robert hat so gar keine Argumente mehr *g*

Von:  DieLadi
2021-10-04T13:52:54+00:00 04.10.2021 15:52
ja, ist glaube für alle gerade n9cht einfach
Von:  Aracona
2021-10-03T19:13:10+00:00 03.10.2021 21:13
Au man, da geht es ja heiß her. Zum Glück hat Alec endlich den Mut sich gegen seinen Vater zu wehren. In Joycelins Haut möchte ich momentan aber auch nicht stecken. Für sie bricht ja auch eine Welt zusammen. Ich bin gespannt wie es weitergeht
Von:  DieLadi
2021-09-26T08:46:57+00:00 26.09.2021 10:46
in der Tat, das haben sie
Von:  Aracona
2021-09-24T07:51:29+00:00 24.09.2021 09:51
Wieder ein echt tolles Kapitel. Ich warte auf den Moment, wo Robert doch noch nen Herzinfarkt bekommt, weil langsam alles zusammen fällt. Bin gespannt auf das kommende Gespräch, vor allem da Alec und Magnus jetzt einen starken Verbündeten in Form von Luke haben ^^
Von:  DieLadi
2021-09-19T05:54:54+00:00 19.09.2021 07:54
Ja, Roberts Borniertheit schadet allen, auch ihm selbst
Von:  Aracona
2021-09-18T18:31:36+00:00 18.09.2021 20:31
Ich bin sicher das dein Alec sehr viel in diesem verstaubten Rat verändern kann, immerhin hat er die richtige Motivation dafür.

Es passt aber auch so gut zu ihm, dass er sich über so vieles Gedanken macht und ganz vergisst, dass draußen ein Vampir unterwegs ist ^^`
Aber zumindest ist er nicht schutzlos.
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel ^^


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