Die letzte Ehre von BuchTraumFaenger ================================================================================ Kapitel 13: 13. Wahre Albträume ------------------------------- Es regnete, wenn auch nicht gerade heftig. Dennoch war es laut genug, dass Liu nicht einschlafen konnte. Das andauernde Grollen des Gewitters war genauso unruhig wie ihr Inneres. Sie machte sich Sorgen. Sorgen um ihn. Immer wieder rollte sie sich von einer Seite auf die andere. Sie konnte einfach keine Ruhe finden. Wie fühlte er sich gerade? Was machte er gerade? Sie konnte seinen Blick von heute Mittag einfach nicht vergessen. Dieses verängstige Verhalten. So hatte sie ihn schon lange nicht mehr gesehen. Aber es war nicht das erste Mal. Genauer gesagt war es vor drei Jahren passiert, dass er das letzte Mal geweint hatte… Knappe 3 Jahre zuvor… Liu blinzelte. Es war noch dunkel. Müde reckte sie sich in ihrem Bett, das im Vorraum von Xiangs Schlafraum stand. Sie wollte sich gerade auf die andere Seite legen, als sie ein wimmerndes Stöhnen erschrocken aufhorchen ließ. Für einen Moment wagte sie nicht zu atmen. Sie lauschte angestrengt. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Das Jammern wurde sogar lauter. Dann ein Aufschrei. Ruckartig setzte sie sich auf die Bettkante. sprang zur Schiebetür und schob sie auf. Xiang warf sich im Bett hin und her. Dabei stieß er die schauerlichsten Töne aus als würde ihn jemand erwürgen. Die Bettdecke lag zerwühlt auf dem Boden. Mit hämmernden Herzen lief sie zu ihm hin und drückte ihn auf die Matratze. „Bleiben Sie ruhig“, redete sie auf ihn ein. „Es ist alles in Or…“ Er stieß sie brutal weg, doch er hatte die Augen immer noch geschlossen. Einen kurzen Moment stand die Pfauenhenne völlig geschockt da, doch dann warf sie sich mit all ihrem Gewicht auf den windenden Pfau. „Hören Sie auf! Hören Sie auf!“, flehte sie ihn an. „Wachen Sie auf!“ Endlich blinzelte er. Doch als sie sah geriet er erneut in Panik. Liu musste sich große Mühe geben nicht nochmal weggeschleudert zu werden. Die Kräfte, die der Pfau entwickelte, waren schon fast übernatürlich. „Bleiben Sie ruhig! Bleiben Sie ruhig!“, wiederholte sie immer wieder. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor bis Xiang den Widerstand aufgab. Die Pfauenhenne hielt ihn noch für ein paar Minuten fest, wobei sie immer beruhigende Worte aussprach. Doch der Pfau schien ihr nicht richtig zuzuhören. Zitternd lag er im Bett und schluchzte. Er hatte keine Hemmungen zu weinen. Langsam erhob sie sich. Xiang lag schwer atmend auf dem Bett, hatte sich aber inzwischen wieder soweit beruhigt, dass er auf dem Rücken liegen blieb. Sein Gesicht war ganz nass von Tränen. Liu wollte ihm mit einem Tuch die Wangen abtupfen, doch der Pfau schob ihre Hände weg. Er wollte das nicht. Liu gab sich Mühe ihn nicht weiter anzusprechen, da er ihr schon oft genug klar gemacht hatte, dass er kein Mitleidsgeschwätz hören wollte. Stattdessen hob sie seine Decke vom Boden auf und schüttelte sie ein paar Mal aus. Dann holte sie eine Flasche aus dem Regal und ging damit zurück zum erschöpften Pfau. Sie öffnete die Flasche und goss etwas davon auf ihre befiederte Hand. Anschließend rieb sie es auf Xiangs Brustkorb. Der Pfau zuckte kurz zusammen, blieb aber ruhig liegen. Er kannte dieses Zeug, dass ihn immer beruhigte, wenn er nicht schlafen konnte. Liu lächelte leicht, sagte aber nichts. Stattdessen führte sie ihre streichelnden Bewegungen auf seinem Phantom-Schmerzen geplagten Körper sanft und ruhig aus. Xiang hatte die Augen geschlossen und inhalierte die beruhigende Wirkung des ätherischen viskosen Mittels. Allmählich flaute sein Anfall ab. Schließlich holte Liu die Decke und legte sie über ihn, die er mit einer entgegenkommenden Geste annahm. Es entkam ihm sogar ein erleichterter Seufzer als sie ihn damit zudeckte. Doch dann öffnete er die Augen einen Spalt. Sie fing seinen Blick auf. „Ich hasse dich“, zischte er, dann schloss er die Augen wieder. Liu seufzte. Dennoch glaubte sie, dass er das Gegenteil meinte. Liu stieß einen tiefen Atemzug aus bei dieser Erinnerung und drehte sich auf die andere Seite. Bestimmt hatte er jetzt wieder Albträume. Liu lag mit ihrer Vermutung nicht so falsch. Ein paar Zimmer weiter von ihr entfernt lag der Pfau ebenfalls im Bett und hatte einen unruhigen Schlaf. Immer wieder wachte er auf. Döste dann wieder ein paar Minuten, dann schreckte er wieder hoch. Seine Flügel zitterten. Er sah sich hastig um. Kam da jemand? Sein Blick wanderte zur Tür. Sie war zu. Dennoch kroch in ihm eine schreckliche Angst hoch, sie würde sich jeden Moment öffnen. Er legte sich wieder hin. Versuchte an etwas anderes zu denken. Die ganzen Jahre war es ihm gelungen seine Panik unter Kontrolle zu bekommen. Doch der brutale Angriff von heute hatte in ihm wieder die Welle des Horrors freigesetzt, die ihn erbarmungslos niederdrückte. Seine Federfinger krallten sich in das Kopfkissen. Da war wieder diese Angst. Diese schreckliche Angst, wenn sie kam. Damals. Als er noch ein Kind war… Vor vielen, vielen Jahren… Sie kam. Sie kam wann immer sie wollte. Der kleine blaue Pfau wagte nicht zu atmen. Still lag er auf der Seite im Bett, den Rücken zur Tür gewandt. Er hörte wie sich die Tür öffnete. Er hatte erwartet, dass sie heute kommen würde. Er hatte es gewagt ihr heute zu widersprechen „Na, wie geht es meinem kleinen Jungen heute Abend?“, ließ ihn eine Frauenstimme zusammenfahren. Der Junge drückte sich tiefer in die Decke. Sie erlaubte ihn selten richtig zu Schlafen. Ein eiskalter Schauer durchfuhr seinen kleinen Körper, als er einen Flügel auf seiner Schulter spürte, deren Federfinger sich in die Decke gruben. „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass man seiner Mutter nicht widerspricht, wenn sie sagt, du sollst deinen Teller leer essen?“, tadelte die Stimme mahnend. Der kleine blaue Pfau bewegte ängstlich den Schnabel. „E-es… es war zu viel.“ Sie hatte ihm extra den Teller zu voll gemacht. Es war zu viel für ein kleines Kind. Sie wusste das. Sie wusste das ganz genau. Und sie hatte es so gewollt, dass er nicht den ganzen Teller leeressen konnte. Sein Herz schlug schneller, als sich ihr Griff auf seiner Schulter verengte. „Du weißt, dass kleine Kinder bestraft werden, wenn sie ihrer Mutter nicht gehorchen.“ Dem Jungen entkam ein verängstigter Laut. Am liebsten würde er aus dem Zimmer rennen und abhauen, doch dann würde sie ihn nur noch härter bestrafen. Deshalb blieb er bewegungslos im Bett liegen und lief auch nicht weg als sie ihm mit einem Mal die Decke wegriss. Der kleine blaue Pfau drückte verängstigt die Arme an seinen Körper. „Nein, Mama, bitte nicht… NEIN!“ Die violette Pfauenhenne packte seine Flügel, dann drückte sie ihn auf den Bauch. „Halt den Mund!“, fauchte sie ihn an und versetzte ihm einen mahnenden Schlag auf den Rücken. „Nochmal solche Widerworte und ich steck dich ins Eiswasser!“ Ohne Rücksicht auf das Weinen ihres Sohnes band sie ein Seil um seinen ersten dann ein anderes um seinen zweiten Flügel. Das gleiche machte sie mit seinen Füßen. Der Pfauenjunge bekam kaum etwas mit. Er spürte nur wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Erst als sie seine Flügel und Beine an die Bettpfosten festband und seinen kleinen Körper damit mit dem Bauch nach unten auf dem Bett ausstreckte, flaute sein Weinen allmählich ab. Eine Stille setzte ein. Eine Stille, die den kleinen Jungen nahezu erdrückte. Er meinte unter ihrem Schweigen zu ersticken. Erst als er den Schatten seiner Mutter neben sich erblickte, stieß er wieder ein Schluchzen aus. „Du weißt ich könnte dich töten“, säuselte die Pfauenhenne bissig. „Doch ich hab immer noch eine bessere Idee.“ Dem Jungen stockte der Atem als das Messer im Mondschein aufblitzte. Er zerrte an den Stricken, doch diese hielten ihn erbarmungslos am Bett fest. Seine Atmung beschleunigte sich als ihre Federfinger über seinen Flügel gegen die Federrichtung strichen. Anschließend fühlte er Tücher, die sie dazwischen legte. Der Pfau presste die Lippen zusammen. Er durfte nicht schreien. Nur ein Schrei und sie würde ihn dafür umbringen. Das Messer berührte seine Haut. Er zuckte stark zusammen, als das scharfe Metall seine dünne Kinderhaut am Flügel verletzte. Der Schnitt war nicht tief, dennoch begann es sofort zu bluten. Er hörte sie lachen. Der kleine Pfau zitterte stark, als sie mit ihren Fingerfedern über seine blutende Wunde strich. Anschließend beugte sie sich über seinen Kopf und lächelte ihn warnend an. „Nur ein Wort zu jemanden…,“ Sie strich mit ihren blutbeschmierten Federfingerspitzen über seine Schnabellippen und verteilte sein Blut drauf. „Du willst doch nicht so enden wie Daddy, oder?“ Die Augen des kleinen blauen Pfaus weiteren sich vor Angst. Vater! Hilf mir! Warum bist du nicht hier?!, schrie er innerlich. Seine Sicht verschleierte sich vor lauter Tränen. Er spürte gar nichts mehr. Nur wie sie endlich die Knoten löste und ihn losband. Dann wurde es still. Eine Tür wurde geschlossen. Eine Weile blieb der Junge weinend auf dem Bett liegen. Schließlich schaffte er es sich soweit wieder zusammenzureißen um sich aufzurichten. Er leckte sich über die Lippen, worauf er sein Blut schmeckte. Hastig stieg er aus dem Bett und lief zu einer Schüssel mit Wasser die auf einer kleinen Kommode stand. Zitternd zündete er eine Lampe an und besaß sich im Spiegel. Das Blut auf seinen Lippen sah aus wie Lippenstift. Schnell schöpfte er etwas Wasser und wischte sich damit die rote Farbe aus dem Gesicht. Anschließend wanderte sein Blick auf die Flügel. Das Blut war nicht auf den Federn zu sehen, dafür hatte sie zuvor die Tücher dazwischen gelegt, damit kein Blut auf die Federn kam. Keiner außer ihm sollte sie sehen. Zögernd strich er gegen die Federrichtung bis die Schnitte sichtbar wurden. Seine Atmung beschleunigte sich, als er das Blut sah… Ruckartig setzte sich der Pfau im Bett auf. Er konnte kaum noch atmen. Zitternd besah er sich seine Flügel. Da war kein Blut. Er ballte die Hände zu Fäusten, dann hielt er sie sich vors Gesicht. Da ist kein Blut! Dennoch meinte er immer noch die rote Farbe zu sehen. Zwischen seinen Federn, auf seinem Schnabel. Es verfolgte ihn wie ein Schatten. Es ließ ihn einfach nicht los. Eine Weile saß der Pfau teilnahmslos da. Er war damals noch ein Kind gewesen, doch er sah es immer noch vor sich wie sie ihm die Arme anschnitt. Prüfend tastete er seine Beine ab. Sie taten immer noch etwas weh. Nur improvisatorisch hatte er sie sauber gemacht. Eine Stelle schien sich entzündet zu haben. Auf seinem linken Bein nahe am Knie pochte es unangenehm. Da er sein rechtes Bein taub war, konnte er nur erahnen, dass es vielleicht genauso aussah. Er legte sich wieder hin und versuchte an etwas anderes zu denken. Doch das Gewitter in der Ferne machte es nicht besser. Im Gegenteil. Er kam sich vor als wäre er in der Hölle gelandet. Früher konnte er sich wehren, heute konnte er nicht mal mehr laufen. Seine Schnabellippen begannen zu zittern. Seine Finger krallten sich ins Kissen. Er war kurz davor zu weinen, als ihm ein leises Knarren aufhorchen ließ, das, wie er meinte, von der Tür kam. Xiang drückte sich tiefer in die Decke. Er kniff die Augen zusammen und versuchte seine aufkommende Panik zu unterdrücken. „Alles nur Einbildung, alles nur Einbildung“, rief er sich ständig in Gedanken zu. „Das bildest du dir nur ein, das bildest du dir nur ein.“ Er kniff die Augen noch fester zusammen. Er meinte jemand würde sich an ihn heranschleichen. Xiang war so sehr darauf fixiert sich einzureden, dass ihm die Panik in den Wahnsinn treiben würde, dass er sich gar nicht sich umsah. Denn hinter ihm schlich sich tatsächlich ein Schatten an. Ihre großen Hände streckten sich nach ihm aus und waren schon über seinen Kopf. Plötzlich packten sie blitzschnell zu. Xiang war so erschrocken, dass er zuerst keine Luft hatte zu schreien. Doch noch ehe er einen tiefen Atemzug machen konnte, hielt ihm jemand den Schnabel feste zu. Der Pfau warf sich auf die Seite. Er meinte sein Herz würde stehenbleiben, als er Duonas Silhouette im dunklen Zimmer erkannte. Zuerst war der Pfau wie gelähmt, doch dann versuchte er sich wieder aus ihren Griffen zu befreien. Doch die Bärin packte mit der noch freien Hand die Enden der Decke und wickelte den Vogel damit Flügel und Beine zusammen. Xiang wehrte sich wie verrückt. Verdammt, was sollte das?! Er versuchte zu schreien, doch noch ehe er reagieren konnte, wurde er aus dem Bett gerissen und gegen den Körper seines Peinigers gedrückt. „Nur einen Mucks“, knurrte die Pflegerin drohend. „Und ich halte dir beide Nasenlöcher zu.“ Der blaue Pfau erstarrte sofort als die Bärin ihm nicht nur den Mund, sondern auch schon ein Nasenloch zugedrückt hielt. Aus Angst zu Ersticken nickte er hastig. Und ohne, dass er was machen konnte, wurde er aus dem Zimmer geschleppt. In den Gängen der Kurresidenz war es still. Niemand hielt sich dort auf. Normalerweise wollte Xiang nie jemanden dort sehen, doch jetzt wünsche er sich nur noch, dass sich eine der Türen öffnen würde. Doch leider wurde ihm dieser Wunsch nicht gewährt, sodass die Bärin ihn ohne Probleme ungesehen bis zur nächsten Hintertür durchschleusen konnte. Draußen regnete es immer noch. Als Xiang die ersten Regentropfen im Gesicht spürte, schloss er krampfhaft die Augen. „Das ist alles nur ein Albtraum“, dachte er verzweifelt und schüttelte mühevoll den Kopf. In Wahrheit lag er im Bett und würde bald aufwachen. Widerstandslos ließ er sich von der Bärin einen Hügel runtertragen. Zum Glück war das Gewitter noch eine Strecke entfernt, sodass sie nicht Gefahr liefen von einem Blitz getroffen zu werden. Xiang sah sich aufmerksam um. Im Schein der Lichtblitze erkannte er nur einen steilen Hang, überzogen mit Wiese und kleinen Kiefernbäumen. Schließlich endete die Wanderung auf einer kleinen Straße. Xiang kniff die Augen zusammen. Ein paar Meter weiter entfernt stand etwas, dass er nicht sofort identifizieren konnte. Erst als der nächste Blitz aufleuchtete erkannte er einen Holzwagen. Dort angekommen blieb die Bärin stehen. Xiang versuchte etwas zu sagen, doch Duona hielt ihm weiterhin den Schnabel zu. „Bist du allein?“, erkundigte sich auf einmal eine misstrauische Stimme. Die Bärin grunzte kurz bevor sie antwortete. „Außer ihm, ja.“ Auf einmal tauchten mehrere kleine Schatten auf. Xiang kniff die Augen zusammen. Es waren Geckos. Kleine Geckos mit roten Augen und schwarzen schlitzförmigen Pupillen. Ihre Schwänze waren schwarz-weiß gestreift, wohingegen ihre Oberkörper mit schwarzen Flecken übersäht war. Alle trugen schwarze Hosen. Ohne Vorwarnung warf Duona Xiang auf den Boden. Sofort wollte Xiang davonlaufen, doch erstens war er noch in der Decke verheddert und zweitens, wäre er mit seinem lahmen Bein sowieso nicht weit gekommen. Und noch ehe er es sich versah wurde er von den Geckos in die Mangel genommen. „HIL…mmpf!“ Eine der Geckos hatte ihn einen Lappen in den Mund gestopft. Doch Xiang kam nicht mehr dazu ihn auszuspucken, weil ihm der nächste ein Seil um den Schnabel band. „Allmählich finde ich Gefallen daran, Vögel zu verschnüren“, lachte der vordere Gecko amüsiert. Vor Schreck flatterte Xiang mit den Flügeln, bis auch diese genauso wie seine Füße gefesselt wurden. In der nächsten Sekunde stießen ihn zwei Geckos von der Seite an, die ihn auf den Boden schleuderten. Xiang blieb kurz die Luft weg, bis vier weitere Geckos ihn wieder hochrissen und gegen den Holzwagen pressten. „Und du wartest auf weitere Anweisungen“, wies der Gecko Duona an. Die Bärin nickte und zog sich mit stampfenden Schritten zurück. Im Lichtgewitter der Blitze wirkte sie wie ein davonschreitendes Monster. Xiang schrie dumpf durch den Knebel. Egal was man mit ihm vor hatte, aber es konnte nichts Gutes sein. Seine böse Vorahnung schien sich zu bestätigen, als einer der Geckos ihn einen Lappen auf die Nase presste, der mit einer merkwürdig riechenden Flüssigkeit getränkt worden war. „Jetzt schön einatmen“, hallte eine Stimme im Grollen des Gewitters. Der Pfau warf den Kopf hin und her. Doch er konnte nicht verhindern das betäubende Zeug einzuatmen. Eine Weile kämpfte er noch dagegen an. Sein ganzer Körper wurde taub wie sein lahmes Bein. „Sie wird erfreut sein ihn wiederzusehen“, hörte er den Gecko noch lachen. Dann verlor er das Bewusstsein. Jedes Geräusch dröhnte in seinem Kopf. Stöhnend wachte der Pfau wieder auf. Alles schaukelte und zitterte. Er zog scharf die Luft durch die Nase ein. Sein Mund war immer noch geknebelt. Aber auch sein restlicher Körper steckte immer noch in Fesseln. Er versuchte sich zu erinnern was passiert war. Schließlich fiel ihm alles wieder ein. Er hob den Kopf. Außer dem Regen und den quietschenden Reifen des Holzwagens war nicht zu hören. Schließlich versuchte er sich auszustrecken. Zu allen Seiten waren Holzwände, allerdings mit niedriger Decke. Prüfend befühlte er mit seinen Krallen seines gesunden Beines die Wände. Die Geckos mussten ihn in den Holzwagen verfrachtet haben, als er noch bewusstlos gewesen war. Allerdings konnte er nicht sagen, ob er sich in einer Kiste oder sich woanders befand. Plötzlich hielt der Wagen an. Der Pfau lauschte angestrengt. Er hörte dumpfes Gemurmel. Dann stampfende Schritte auf matschigem Boden, die um den Wagen herumgingen. Ein paar Mal rumpelte es, dicht gefolgt von prüfendem Klopfen. Schließlich entfernten sich die Schritte wieder. „Genehmigt“, brummte eine tiefe Stimme. „Können passieren.“ Xiang riss die Augen auf. Das waren eindeutig die Stimmen von Soldaten. Sie mussten sich an der Grenze befinden. „Mmpffphf!!“ Doch seine Hilferufe wurden von dem immer noch aktiven Gewitter und Prasseln des Regens erstickt. Die Fahrt ging weiter, ohne dass er wusste, was das Ziel war. Nach einer Weile gab er den Versuch auf sich aufmerksam zu machen auf. Still saß er in seinem Gefängnis und konnte nur abwarten was als nächstes passieren würde. Plötzlich hielt der Wagen abrupt an. Dem Pfau stieg die Angst hoch. Waren sie schon da? „Das gibt’s doch nicht!“, hörte er eine aufgebrachte Stimme fluchen. „Ausgerechnet heute.“ Irgendjemand kicherte. „Bin ja gespannt wie du das Teil wegräumen willst.“ Der Rest des Gespräches ging in einem diskutierenden Gemurmel unter, die sich nach und nach entfernten. Offensichtlich lag dem Wagen etwas im Weg. Der Pfau lauschte weiter. Er schien jetzt allein zu sein. Er zerrte an den Fesseln. Verdammt er musste raus, selbst wenn er ein kaputtes Bein hatte. Auf einmal hielt er inne. Irgendjemand kroch auf dem Wagen herum. Es schien über ihm zu sein. Im nächsten Moment blitzte ein Licht durch einen Spalt in der Holzdecke. Irgendjemand entfernte die Holzbretter über seinem Kopf. Anschließend schoben sich Hände unter seine Achseln, die ihn aus dem doppelten Boden im Karren herauszerrten. Xiang schrie dumpf auf, als im Blitzlicht ein Messer aufblinkte. Panisch versuchte er abzuhauen. Doch dann hielt ihn eine Hand an der Schulter fest. „Hören Sie auf damit!“, rief eine Frauenstimme. „Ich bin‘s!“ Als Xiang die Stimme von Liu erkannte, hielt er kurz inne. Im nächsten Moment spürte er wie das Messer seine Fesseln durchtrennte. „Kommen Sie schnell raus hier!“ Da er immer noch den Knebel im Mund hatte, konnte er nicht reden. Schnell hievte die Pfauenhenne ihn hoch und stützte ihn von der Seite ab. Xiang stolperte fast als sie aus dem Wagen stiegen. Doch für eine Pause blieb keine Zeit. Ohne zu Warten zerrte sie ihn in den Wald hinein. Es regnete immer noch und hier und da leuchtete ein Blitz auf. Liu wusste nicht wie lange sie durch das Unterholz stolperten. Es war nicht leicht mit einem halbgelähmten Pfau schnell vorwärts zu kommen. Doch irgendwann brach sie die Flucht ab. Xiang konnte nicht mehr weiter. „Ich glaube nicht, dass sie uns folgen“, hoffte Liu und setzte den Pfau neben einem Felsen ab. Besorgt sah sie ihn an. „Ich mach den Knebel ab“, bot sie an und beugte sich zu seinem Kopf vor. Doch plötzlich haute der Pfau ihr auf die Flügel. Erschrocken wich sie zurück. Xiang griff nach den Seilen, die seinen Schnabel umgaben und schaffte es diese herunter zu reißen. Kaum hatte er das Stück Stoff aus dem Mund fuhr er sie wütend an. „Das hast du doch eingefädelt!“ Liu blieb die Luft weg. „Wie können Sie so etwas behaupten?! Sie können froh sein, dass ich vor lauter Sorge um Sie nicht schlafen und mich nach Ihnen erkundigen wollte. Sonst hätte ich nie gesehen, wie man sie weggeschafft hat!“ Wutschnaubend hievte der Pfau sich am Felsen hoch und sah sie mit zornigen Augen an. „Lüg nicht!“, fauchte er. „Du magst mich vielleicht in der Mangel haben, aber ich lass mich nicht unterkriegen! Niemals! Schon gar nicht von deinem billigen Flittchen wie dir!“ „Hören Sie endlich auf damit!“ Völlig außer sich stieß die Pfauenhenne ihn an, sodass der Pfau nach hinten fiel und unter einen Strauch landete. „Jetzt reicht es mir!“, schrie Liu weiter. „Ich lass mich nicht mehr länger von Ihnen beleidigen! Entweder reißen Sie sich endlich zusammen oder Sie können hierbleiben! Alleine!“ Der nächste Blitz dicht gefolgt von einem unheimlichen Knall erfüllte die Luft. Der Pfau vergrub das Gesicht in seinen Flügeln und begann zu schluchzen. Liu hielt verwundert inne. Allmählich legte sich ihre Wut und sah mitleidig auf ihn herab, wie er zusammenkauert da lag. Langsam ging sie neben ihn in die Knie. „Hören Sie“, begann sie leiser. „Ich würde Ihnen doch nie wehtun wollen.“ Sie schluckte schwer. „Sie können von Glück sagen, dass durch das Unwetter ein Baum auf die Straße gefallen ist.“ Sie strich ihm über die Schulter, doch er wich ihrer Berührung aus und kauerte sich noch mehr unter dem Strauch zusammen. Eine Weile schweigen beide. Schließlich machte Liu den Anfang. „Wollen Sie sich erkälten?“, fragte sie leise. „Sie müssen ins Trockene.“ „Ich gehe nicht zurück“, knurrte Xiang bitter. Liu seufzte. Sie konnte ihm diesen Gedanken nicht verübeln. „Wo wollen Sie denn hin?“, fragte sie. Eine Weile herrschte wieder Schweigen, dann hob der Pfau endlich den Kopf aus den Flügeln. Ihre Blicke trafen sich. Es regnete zwar, doch sie wusste, dass er immer noch Tränen in den Augen hatte. „Sind wir in China?“, fragte er. Sie nickte. „Ja, der Wagen ist über die Grenze gefahren.“ Er wischte sich übers Gesicht. „Und wie kommst du dann hierher?“ Liu lächelte verlegen. „Ich hab mich rübergeschlichen. Es war nicht unbedingt einfach. Aber mit etwas Flugübung…“ „Wie weit ist es bis Mendong?“, unterbrach er sie. „Ihre Heimatstadt?“ Xiang sah sie verwundert an. „Ich weiß das aus ihrer Krankenakte“, erklärte Liu. Xiang wich ihrem Blick aus und erhob sich. Einen kurzen Moment stützte er sich an einem kleinen Baum ab, dann humpelte er ein paar Schritte. „Sie können nicht alleine dort hin“, warf Liu ein und eilte zu ihm. „Ich werde Sie begleiten.“ „Hau einfach ab!“, keifte Xiang und stieß sie weg. „Xiang!... Ich meine… Lord Xiang. Sie können nicht überleben ohne Hilfe.“ Der Pfau stieß ein angewidertes Schnauben aus. „Mein Bein ist zwar taub aber nicht mein ganzer Körper.“ „Nein, ich werde Sie nicht alleine gehen lassen!“ Sie packte ihn am Flügel. Für einen Moment sah es so aus, als ob Xiang sie wieder schlagen wollte, doch dann ließ er es. Es war ohnehin sinnlos sie davon abzuhalten. Er war nicht kampffähig. Außerdem merkte er wie er anfing zu frieren. „Na gut, aber nur bis zur Stadt“, knurrte er. Liu atmende erleichtert auf, was Xiang nicht behagte. Insgemein hoffte er, dass er immer noch träumte. Bei den Geckos handelt es sich um Chinesische Leopard-Geckos (Goniurosaurus luii). Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)