Die letzte Ehre von BuchTraumFaenger ================================================================================ Kapitel 6: 6. Ein ungewöhnlicher Morgen --------------------------------------- Es war noch früh am Morgen, als die Ziege sich auf den Beinen machte und durch die Gänge des Palastes ging. Dabei kam sie auch an Shens Zimmer vorbei. Vorsichtig spähte sie durch die Tür. Shen lag friedlich im Bett. Und daneben an seinem Hals lag die kleine Shenmi. Die Wahrsagerin lächelte und zog sich schmunzelnd zurück. Es dauerte nicht allzu lange und das Pfauenmädchen wachte auf. Nachdem es sich ein paar Male ausgiebig gestreckt und gegähnt hatte, fiel ihr Blick auf Shens freie Füße, die unter der Bettdecke hervorlugten. Sie kicherte und krabbelte darauf zu. Dort angekommen strich sie mit den kleinen Federfingern über seine Fußsohlen. Plötzlich zuckte Shen zusammen und setzte sich ruckartig auf. Er war noch nicht ganz wach, doch er merkte sofort, wer ihn da geweckt hatte. „Shenmi! Du weißt doch, dass ich nicht gern gekitzelt werden möchte.“ „Mama macht das doch oft bei dir.“ „Bei ihr ist das ja auch etwas völlig anderes.“ „Wieso?“ Das brachte Shen in Erklärungsnot. „Na ja, sie ist für mich… was ganz besonders. Bei uns läuft es oft anders ab…“ „Wie das Knutschen?“ Shen sah seine Tochter verdutzt an. „Wo hast du denn diesen Ausdruck her? Besser du gehst dich jetzt waschen.“ Damit hob der weiße Pfau sie hoch und setzte sie auf den Boden ab. Shenmi war schon ganz munter und hüpfte davon. Im Gegensatz zu Shen. Kaum war das Mädchen draußen, zog er sich wieder die Bettdecke über den Kopf. „Vater, du siehst sehr müde aus.“ Shen hielt im Gähnen inne, als Xia ihn darauf aufmerksam machte. Erschrocken hielt der Herrscher inne, als er merkte, wie ihn alle anstarrten. Sie saßen gerade am Frühstückstisch und es war für jeden unverständlich, dass Shen als Einziger einen sehr erschöpften Eindruck machte. „Ach, es ist nichts“, winkte er ab. „Nur die Luftveränderung.“ Xia war da nicht so überzeugt und schien die Einzige am Tisch zu sein, die sich besonders große Sorgen machte. Doch Shen lächelte sie nur an. „Es ist alles in Ordnung“, beruhigte er sie und schaute rüber zu Fantao. „Fantao! Hör auf mit den Reisstäbchen zu spielen!“ Fantao hatte sich die ganzen Stäbchen gekrallt und zu einem Türmchen aufgestapelt. „Jian! Leg dein Musikinstrument weg!“ „Shenmi, kleckere nicht dein Hemd voll!“ Shenmi, die direkt neben ihrem Vater saß, hatte versehentlich einen Suppenfleck auf ihr Kleid geschlabbert. „Ich mach das schon, Vater“, bot Xia sich an und holte ein Tuch, um den Suppenfleck wegzurubbeln. Sheng räusperte sich. „Also, was machen wir heute?“ Shen war froh, dass er das Thema wechselte. „Ihr macht heute eurer Morgentraining.“ „Warum machst du eigentlich nie mit?“, fragte Zedong. „Weil das Training für euch wichtig ist. Ich benötige keinen Unterricht mehr.“ „Aber du könntest doch auch mal mit uns trainieren“, drängte Zedong weiter. Jetzt war es Shen, der sich räusperte. „Ihr haltet euch besser an die Meister. Tut einfach das, was sie euch sagen.“ Shenmi sah ihn fragend an. „Also, Meister Ochse sagt mir immer: ‚Shenmi, was immer du auch tust, werde bloß nicht wie dein Vater.‘“ Shens Hände verkrampften sich. „So, sagt er das?“ Doch er behielt sein unscheinbares Lächeln auf dem Schnabel. Wenn er schon wütend war, dann sollte Shenmi es nicht mitansehen. Denn dann würde sie sich nur wieder schuldig fühlen. Nach dem Frühstück entließ der Herrscher die ganze Bande. Xia und Sheng hatten die Aufgabe auf die Kleinen aufzupassen, während Shen seinen Rundgang durch den Palast machte. Die Ziege hatte gegenüber Shen kein gutes Gefühl und folgte ihm. „Shen? Alles in Ordnung?“, fragte sie. Shen verschränkte die Arme auf dem Rücken und sah aus, als würde über ihm gleich ein Gewitter losbrechen. „Er erzieht meine Tochter noch hinter meinem Rücken“, knurrte er. „Shen, beruhige dich“, versuchte sie ihn zu besänftigen. „Du kannst froh sein, dass er dir überhaupt erlaubt hat hier in Gongmen ab und zu zu verweilen.“ Mit einem Schnauben wandte Shen sich von ihr ab. „Eigentlich steht die Stadt immer noch rechtmäßig mir zu. Und komm mir nicht schon wieder mit der Sache von damals an, dass ich kein Recht darauf hätte!“ Die Ziege strich sich über ihren Bart. „Was damals passiert ist, kannst du zwar nicht ändern, aber du hast es geschafft, es wieder in eine andere Bahn zu lenken…“ „Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Kindererziehung immer noch mir zusteht!“, fiel er ihr ins Wort. „Er hat kein Recht sich einzumischen! Wenn es nach mir ginge, würden wir sofort von hier abreisen.“ „Mein Lord?“ Shen hielt inne, als eine Gazelle auf ihn zukam. „Was ist?“, fragte der Lord genervt. „Eine Botschaft.“ Damit reichte der Wächter ihm eine Papierrolle. „Sie kam mit der Luftpost.“ Shen nahm die Nachricht entgegen und der Wächter entfernte sich wieder. Als er den Absender las, entfaltete er das Papier sofort. Die Ziege wollte sich schon zurückziehen, doch dann entstand beim Pfau eine ruckartige Bewegung und sie drehte sich wieder zu ihm um. Shen hatte den Kopf mit dem Flügel bedeckt, im anderen Flügel hielt er den Brief, zerknüllt. „Ist irgendetwas Shen?“, erkundigte sie sich besorgt. Ihre Augen weiteten sich, als Shen den Flügel enger auf die Stirn presste und heftig den Kopf schüttelte. Dann hielt er ihr das zerknitterte Papier entgegen. „Lies das.“ Er sah sie immer noch nicht an, was die Ziege noch mehr beunruhigte. Zögernd nahm sie ihm den Brief ab, während Shen mit gepresster Stimme befahl: „Lies es laut und deutlich.“ Wollte er nur testen, ob er sich nicht verlesen hatte? Doch die Ziege fragte nicht weiter nach und las: „Sehr geehrter Lord Shen, anlässlich der Lage sehe ich mich gezwungen Ihnen diese Nachricht zu senden, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Frau seit gestern Nacht im Palast Mendong vermisst wird. Man hat sie in der Nacht schreien gehört, seitdem ist die unauffindbar. Sobald wir etwas Neues haben, werde ich es Sie wissen lassen. Hochachtungsvoll, König Wang.“ Die Wahrsagerin hatte kaum geendet, als Shen sich ruckartig abwandte. „Ich hätte sie niemals alleine gehen lassen sollen!“ Shen rannte zur nächsten Treppe und stieg nach unten. „Shen, wo willst du hin?“, rief die Ziege und rannte ihm hinterher. „Zum Hafen.“ „Hafen?“ „Ich charterte sofort ein Schiff!“ „Du willst abreisen? Aber…“ „Versuch mich nicht davon abzuhalten!“, fuhr Shen sie an. Inzwischen hatten sie die Eingangstür des Palastes erreicht, die der weiße Lord mit Schwung öffnete. „Ich werde nach Mendong fahren, sie finden und zurückho…! Plötzlich prallte der Herrscher gegen eine große, breite schwarz-weiße Figur. Shen fiel nach hinten und landete unsanft auf den Boden. Die Person vor dem Eingang hatte sich besser auf den Beinen gehalten. Shen rieb sich den Rücken und schaute hoch, um zu sehen, wer ihm da den Weg versperrt hatte. „Hey, Shen!“, begrüßte ihn Pos heitere Stimme. „Wie geht’s? Schon lange her, was? Ich war gerade auf dem Weg zu dir, um…“ „Panda!“ Wütend sprang Shen auf. „Ganz egal was dir das Universum zugeflüstert hat, aber ich regle das auf meine Art und Weise! Und zwar alleine! Du brauchst dich nicht zu bemühen hierherzukommen. Der Brief galt einzig und allein mir. Und es ist immer noch meine Frau und ich werde sie alleine suchen und finden! Hast du das verstanden, Panda?!“ Po hatte den Redeschwall eingeschüchtert über sich ergehen lassen und stand jetzt da, mit eingezogenem Kopf. „Äh, eigentlich wollten wir nur… in den… Urlaub… fahren.“ „Urlaub?“ Shen meinte nicht richtig zu hören. Doch Po grinste breit und richtete sich wieder zu seiner normalen, jubelnden, Größe auf. „Ja, und zwar in das Shuǐ Qíyù Erlebnisparadies!“ Damit hielt er dem Pfau ein Plakat vor den Schnabel. „Wasserrutschen, Wasserschlachten, Wasserstrudel, Schlammbäder… Das wird spitzenmäßig! Und weil Gongmen auf dem Weg lag, dachte ich, wir kommen mal vorbei.“ „Wir?“ „Ja, meine Freunde sind solange noch in der Stadt. Also wollte ich gerne mal wieder nach so langer Zeit wieder Hallo sagen, Na ja, das habe ich ja jetzt getan. Aber ich sage es noch mal: Hallo!“ Shen sah sich irritiert um, bevor er den Gruß, wenn auch mit säuerlicher Miene, erwiderte. „Äh, hallo.“ „Guck mal, das ist der Drachenkrieger!“ In diesem Moment kam Fantao um die Ecke gerannt. Dicht gefolgt von seinen Geschwistern. Po breitete die Arme aus. „Hey! Kids! Wie geht’s?“ Jubelnd sprangen die Kinder um ihn herum. „Autsch!“ Po zuckte zusammen, als ihn jemand in den Rücken gekickt hatte. „Oh, du hast sehr viel geübt, Zedong, kann das sein?“ Der kleine gescheckte Pfau lächelte stolz. „Jep.“ „Wow, was ist das denn?“ Fantao hielt neugierig das Plakat hoch, das der Panda hat fallen lassen. „Das ist das beste Wasserspielparadies in der ganzen Ostprovinz“, klärte Po ihn auf. „Da gibt es alles was es an Wasserattraktionen gibt. Wasserstrudel, Wasserrutsche…“ „Wasserrutsche?“ „Ja, komm, ich zeig dir mal wie schnell eine Wasserrutschte ist.“ Damit hob Po den Pfauenjungen hoch und raste mit ihm hin und her. „Darf ich auch!“, drängten die anderen. „Natürlich. Du auch.“ Po nahm ein Pfauenkind nach dem anderen auf die Hände, hielt es über seinen Kopf und rannte mit ihm quer über den Hof, wobei er immer zu rief: „Wasserrutsche! Wasserrutsche!“ Amüsiert sah die Ziege dem Treiben zu. „Warum machst du nicht auch mal mit den Kindern sowas?“ Shen legte die Flügel zusammen und hob den Kopf. „Erstens weil sich sowas nicht gehört und zweitens…“ In diesem Moment sank Po erschöpft auf dem Boden zusammen. „… ist es zu anstrengend“, beendete Shen seine Erklärung und sah auf den japsenden Panda. „Keine Wasserrutsche mehr“, keuchte Po „Bitte, keine Wasserrutsche mehr.“ Nach ein paar schweren Atemzügen setzte sich der Panda auf und sah Shen fragend an. „Aber was war das eigentlich für ein Brief von dem du da gesprochen hast?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)