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Die letzte Ehre

von

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4. Das blaue Wunder

Hunnenreich, irgendwo in den Bergen
 

Weiter draußen, hinter der nördlichen chinesischen Grenze, irgendwo in den Bergen, erhob sich auf einer Anhöhe ein komplexes mehrstöckig und mit vielen anderen Häusern und Türmen verknüpftes Gebäude. Doch es besaß weder aufwändige Verzierungen oder besondere Farben. Es war einfach ein riesiges Steinhaus mit gewöhnlichem Holz und Dachziegeln bestückt. Das ehemalige alte Kloster erfüllte längst nicht mehr die Funktion als Anbetungsort. Stattdessen wurde es vor vielen Jahren saniert und in eine Kurresidenz umbenannt. Seit sich die Kriege in dem Land beruhigt hatten, kamen hier nur wenig Tiere mit Gebrechen dorthin. Stattdessen waren es vermehrt ältere Leute, die sich von Krankheiten und dergleichen erholen mussten. Auch die Angestellten waren keine Mönche. Die meisten von ihnen hatten eine medizinische Ausbildung, oder waren bewandert im Umgang mit der Pflege jeglicher Art.

So auch Liu. Sie war erst seit ein paar Jahren in dieser Einrichtung und sie mochte ihre Arbeit eigentlich sehr. Bis vor vier Jahren. Ab diesen Moment war alles anders als sonst. Nicht weil die Tätigkeit schwerer geworden war, sondern wegen ihrer Tierart. Sie war die einzige Pfauenhenne in diesem Haus und eigentlich hätte sie jeden Patienten haben können. Doch Herr Furu, der Leiter der Kurresidenz, hatte ihr vor vier Jahren einen ganz speziellen Patienten zugewiesen.

Zuerst hatte Liu sich über diese Aufgabe gefreut. Doch mit der Zeit wurmte sie etwas erheblich. Und das lag nicht an dem Schweregrad der Person. Inzwischen fiel es ihr jeden Morgen schwer in die Küche zu gehen und das Frühstück für ihn abzuholen. Selbst der Koch ließ keine Stichelei darüber aus, wenn sie das Essen auf ein Tablett zusammenstellte.

Der Koch, ein alter Dachs, warf ihr einen skeptischen Blick zu, während er in einer Schüssel am Herd rührte.

„Willst du es heute wirklich schon wieder versuchen?“ Er klatschte eine Brise Kräuter in den Topf. „Der wird es dir doch sowieso nur wieder auf den Boden werfen.“

„Vielleicht habe ich ja heute Glück“, meinte die Pfauenhenne hoffnungsvoll. Ihre Federn waren um die Augen herum weiß, der Rest davon und der Hals waren mehr ein dunkles Braun und weiter runter verlief es sich in ein dunkles Grün. Auch ihre Augen waren grün und sie war auch gar nicht alt.

„Glück?“, wiederholte der Koch ungläubig. „Mit dem?“ Er lachte laut auf. „Ha! Eher liegt Zucker auf dem Bergen…“

„Ich werde es trotzdem heute versuchen“, unterbrach sie die Unterhaltung. Anschließend nahm sie das Tablett und verließ die Küche.
 

Bis zu seinem Zimmer war es nicht weit. Wie jeden Morgen hielt sie vor seiner Tür an und schob sie sachte zur Seite. Sie blieb überrascht im Türrahmen stehen. Das Zimmer war noch von den Vorhängen abgedunkelt, doch im Bett rührte sich noch nichts. Er schlief noch. Das war eher ungewöhnlich. Sonst war er immer wach bevor sie das Frühstück brachte. Vorsichtig schlich sie auf Zehenspitzen ans Bett. Ein leichtes Lächeln huschte über ihren Mund. Sie sah ihn selten schlafen. Zumindest seitdem seine Verbrennungen wieder gut verheilt waren. Danach hatte er ihr nie mehr erlaubt, sich in seiner Nähe aufzuhalten, wenn er schlief.

Sachte stellte sie das Tablett auf den Nachtisch neben dem Bett ab und huschte zum Fenster. Dort zog sie sachte die Vorhänge zur Seite. Kaum hatte der erste Sonnenstrahl die gegenüberliegende Wand getroffen, fuhr die Gestalt im Bett hoch.

„WAS TUST DU HIER?!“

Die Pfauenhenne war so erschrocken, dass sie sich schützend an die Wand drückte. Ihre Blicke trafen sich. Er saß im Bett und stierte sie an, als wäre sie ein Einbrecher.

Sie schluckte schwer. „Ich… ich wollte… Ich bringe das Frühstück.“

Doch er verengte die Augen, was ihr Angst einjagte.

„Du scheinst vergessen zu haben, mich richtig anzusprechen… Entschuldige dich gefälligst!“

Liu atmete einmal tief durch, bevor sie sich verneigte. „Ich bitte um Verzeihung, Lord Xiang.“

Der blaue Pfau würdige sie keines weiteren Blickes mehr und betrachtete skeptisch das Essen auf dem Tablett. Liu hatte sich inzwischen wieder soweit beruhigt, dass sie sich wieder ans Bett traute. Dort wollte sie sein Kopfkissen an die vordere Bettkante legen, damit er sich mit dem Rücken beim Aufrichten dagegen lehnen konnte. Doch er stieß sie weg.

„Das kann ich auch alleine!“

Sie seufzte. „Bitte, wie Sie meinen.“

Während er sich aufsetzte, holte Liu einen kleinen Tisch mit kurzen Beinen hervor. Dieses Stellte sie anschließend dem blauen Pfau aufs Bett, sodass er sich nicht extra zum Nachttisch zum Tablett herüberbeugen musste. Anschließend stellte sie das Tablett auf den kleinen Betttisch ab.

„Vorkosten!“, befahl er.

Sie seufzte erneut, doch sie widersprach ihm nicht.

Auf dem Tablett stand eine Schüssel mit Reissuppe, daneben eine Kanne Tee und eine Tasse.

Da sie schon geahnt hatte, dass er das Vorkosten von ihr verlangte, holte sie einen Löffel aus ihrem Hemd hervor. Zuerst nahm sie einen Löffel Suppe, die sie unter dem aufmerksamen Blick des Pfaus herunterschluckte, anschließend goss sie etwas vom Tee da rein, das ebenfalls in ihrem Mund verschwand.

Dann verneigte sie sich. „Wünsche guten Appetit.“

Sie ging schnell zur Tür, doch er ließ sie nicht mal über die Schwelle treten, da donnerte er auch schon: „Diesen Fraß kann doch keiner essen!“

Noch ehe sie ihn davon abhalten konnte, holte er mit dem Flügel aus, und alles was noch zuvor auf dem Tablett stand, flog durch die Luft und zerschellte auf den Boden. Fassungslos starrte sie auf das Trümmerfeld.

„Räum das weg!“, fuhr er sie an.

Während sie alles wieder aufsammelte, spürte sie seinen genugtuerischen Blick im Nacken, was in ihr die Wut hochtrieb.

„Als eine Angestellte taugst du wirklich nicht viel“, schimpfte er weiter. „Es wundert mich, dass man jemanden wie dich, mir zugeteilt hatte.“

Liu biss die Zähne zusammen. Sie nahm das Tablett, legte dort die Scherben drauf und räumte das Betttischchen weg. Anschließend nahm sie das Tablett und mit dem Rücken ihm zugewandt ging zur Tür.

„Heute ist Ihr Badetag“, sagte sie tonlos. „Ich werde heute Mittag dann wiederkommen. Benötigen Sie noch etwas?“

„Ja, besseren Service!“, knurrte er.

Ihre Hände um das Tablett verkrampften sich. „Ich kann wenigstens überhaupt noch eine Arbeit. Im Gegensatz zu ihnen.“

Sie drehte sich zu ihm um.

„Das Einzige, was Sie nur tun können, ist sich selber zu bemitleiden.“

Damit machte sie kehrt und verließ das Zimmer.

Eine Weile blieb alles still. Zuerst saß Xiang völlig regungslos im Bett. Dann schrie er laut auf. Wütend schlug er die Bettdecke beiseite und schwang seine Füße über die Bettkante. Er stemmte die Beine auf den Boden, doch im nächsten Moment fiel er nach vorne und knallte auf den Fußboden.

Stöhnend stützte er sich auf seinen Armen ab und schaute nach hinten. Seit dem Explosionsunfall in Gongmen hatte er sich zwar wie durch ein Wunder wieder erholt, doch sein rechtes Bein war seitdem komplett gelähmt. Mühsam hievte er sich am Bett hoch. Sein linkes Bein, dass noch funktionierte, nahm ihm wenigstens noch einen Teil der Geharbeit ab. Dennoch, ohne Abstützhilfe oder Krücke konnte er keinen gescheiten Schritt mehr laufen. Eine Gehhilfe hatte er von Anfang an abgelehnt. Nur wenn er ins Bad musste, erlaubte er es. Und vor allem, wenn ihm keiner dabei zusah.

Mit einem Keuchen ließ er sich aufs Bett nieder und befühlte sein taubes rechtes Bein. Er ballte die Hand zur Faust und schlug verbittert drauf.

„Warum funktionierst du nicht?!“

Seine Faust zitterte. Anschließend presste er die Hände auf die Bettkante. Dann rollten ihn Tränen über die Wangen. Hastig wischte er sich über die Augen. Dann vergrub er das Gesicht ins Kissen. Er hasste es wie ein kleines Kind zu heulen und wenn, dann sollte es wenigstens keiner sehen.
 

Sie klopfte an. Wie abgesprochen. Dennoch öffnete sie zögerlich die Schiebetür. Xiang saß schon im Bett. Die Tränen sah sie, zu Xiangs Glück, nicht mehr.

„Das Bad ist fertig“, informierte sie ihn.

Er nickte mit gleichgültiger Miene. Es schien ihm sogar egal gewesen zu sein, wenn er mit Haien hätte schwimmen müssen. Der Pfau schlug die Bettdecke beiseite und rutschte an die Bettkante. Liu stellte sich neben ihm hin an die rechte Seite, wo sein lahmes Bein lag. Anschließend schob sie ihren linken Arm unter seine Achsel, sodass er mit dem linken, noch gesunden Bein aufsetzen konnte, ohne dabei umzukippen. Dann stützte er sich auf sie und er humpelte an ihrer Seite aus dem Zimmer mit ihr raus.

Der Weg war zum Glück nicht lang. Es ging nur ein paar Türen weiter den Korridor entlang, wo sie zu einem Zimmer mit der Aufschrift „Bad“ kamen. Das Badewasser war schon eingelassen. Der Raum war erfüllt mit Düften von Badezusätzen. Xiang schnupperte. Der letzte Badegast hatte Kiefernöl benutzt. Alles roch nach frischem Wald, was in ihm wieder eine Wehmut nach Freiheit hervorrief.

„In die Badewanne werdet Ihr ja wohl noch selber steigen können, oder?“, meinte Liu gleichgültig.

Knurrend ließ Xiang sich von ihr auf einen Hocker setzen, der hinter einer Abschirmung stand. Dort zog er sein Hemd aus. Die Badewanne stand direkt daneben. Anschließend hangelte er sich an einer Stange neben der Wanne, die auch für Gehbehinderte eine Hilfe war. Zumindest wenn man stark mit den Armen war. Dies war zwar ein mühsamer Vorgang, aber er wollte sich nicht wie ein Kleinkind in die Wanne setzen lassen. Vielleicht hätte er sogar locker alles alleine schaffen können. Aber Liu hatte wohl recht. Er hatte sich einfach zu viel in Selbstmitleid versinken lassen.

Während er in der Wanne saß, hatte Liu sich etwas weiter entfernt ans Fenster zurückgezogen und vertrieb sich die Zeit damit die vorbeifliegenden Vögel zu zählen. Die Kurresidenz lag zwar in den Bergen, aber es wuchs ein wenig Wald in der Umgebung.

Xiang unterdessen hatte sich ein kleines Tuch geschnappt. Schnell tunkte er es ins Wasser und warf den triefendnassen Stofffetzen in Lius Gesicht.

„Schrubb mir mal den Rücken, Sklavin!“, befahl er.

Wütend stierte sie ihn an und wischte sich das Badewasser aus dem Gesicht.

„Ich bin eine Pflegehilfe, keine Sklavin“, dachte sie verbittert.

Doch sie erwiderte nichts, sondern griff nach einem Schwamm. Dann trat sie an ihn heran, tunkte ihn kurz ins Badewasser und strich ihm damit über den Rücken. Xiang saß in der Wanne mit verschränkten Armen und schien ihre Behandlung eher als lästig zu empfinden. Schon nach ein paar Mal Darüberstreichen, stieß er sie wieder weg.

„Das reicht! Du kannst es ja eh nicht! Gib mir ein Handtuch!“

Liu musste sich extremst beherrschen ihm nicht den Schwamm ins Gesicht zu schmeißen. Stattdessen legte sie den Schwamm beiseite und holte ein großes Badehandtuch hervor. Anschließend half sie ihm aus der Wanne und setzte ihn wieder auf den Hocker, wo er sich trockenrubbeln konnte.

Während Liu wartete bis er trocken war, betrachtete sie seine Federn. An einigen Stellen war sein Gefieder so stark verbrannt gewesen, dass dort keine Federn mehr nachgewachsen waren. Jedoch deckten die danebenstehenden Federn im Gefieder die jeweiligen Stellen glücklicherweise zu. Es war ein Wunder, dass er es so weit wieder gebracht hatte, weshalb sie ihn heimlich das blaue Wunder nannte.

Die Pfauenhenne schmunzelte. Irgendwie mochte sie sein Gefieder. Hellblau, dunkelblau… Kein Vergleich zu seinen starken verbrannten…

„Gefällt dir was du siehst?!“, fuhr Xiang sie an.

„Wie?“ Liu errötete. Sie hatte nicht gemerkt, wie sie ihn angestarrt hatte. „Äh, nein… Ja! Äh, ich meine…“

Hastig reichte sie ihm ein neues Hemd. Wutschnaubend riss er es ihr aus den Händen.

„Spannerin!“, schimpfte er leise und zog sich das frische dunkle Hemd über, was gut mit seinem Gefieder harmonierte. Doch Liu sah schnell weg, damit sie ihn nicht schon wieder anstarrte.
 

Der Weg zurück ins Zimmer war nicht schwer, allerdings war die Stimmung zwischen ihnen deutlich gekippt. Und kaum hatte sie ihn wieder ins Bett gesetzt, ging sein Gemaule wieder von vorne los.

„Wenn du denkst, ich lass mich von dir kleinkriegen, dann hast du dich geirrt“, keifte er. „Ich brauche dein gespieltes Mitleid nicht!“

Liu nahm einen tiefen Atemzug bevor sie sich wieder der Tür zuwandte.

„Ich nehme an, Sie wollen heute aufs Mittagessen verzichten. Ich bringe Ihnen dann erst wieder das Abendessen.“

Damit verließ sie ohne ein weiteres Wort den Raum.
 

Herr Furu saß im Schneidersitz im Yoga-Raum, den, außer ihm, gerade keiner belegte.

Bei Herr Furu handelte es sich um einen Pfeifhasen, oder wie man diese Art auch bezeichnete, ein Pika. Doch er sah bei weitem nicht wie ein Hase aus. Seine Ohren waren so abgerundet und seine Gestalt so klein, dass ihn jeder auf den ersten Blick für ein Nagetier hielt. Normalerweise suchte Liu ihn selten auf. Doch heute hatte sie endgültig genug.

Kaum hatte sie den Raum betreten, kam sie auch gleich zum Thema.

„Herr Furu!“

Der alte Pika sah nicht auf, sondern fuhr einfach mit seiner Meditation fort. „Oh, sei gegrüßt, liebes Kind. Was führt dich hierher?“

Liu holte tief Luft. „Ich verlange, dass Sie mir einen neuen Patienten zuteilen.“

Wieder hielt er die Augen geschlossen. „Tatsächlich? Weshalb das, meine Gute? Ich dachte, es wäre dir ganz recht einen Patienten deiner Art zu behandeln.“

Die Pfauenhenne ging einmal tief in sich bevor sie antwortete. „Das war ich auch. Und ich war Ihnen auch sehr dankbar dafür. Aber… ich kann so einfach nicht weiter machen. Ich meine, ich… Ich hab alles für ihn getan! Die Verbände gewechselt, seine Wunden versorgt, ihm Medikamente verabreicht, Salben aufgetragen, gewaschen, gefüttert, ihm zu Trinken gegeben, dazu schlaflose Nächte wegen seiner Krampfanfälle, später dann die Federpflege, Massage, Akkupunktur, Krallen schneiden und sogar Pediküre. – Ich hab mich wie eine Mutter um ihn gekümmert… Und für was?! Beleidigungen und Beschimpfungen! Jeden Tag! Ich kann das nicht mehr hören!“

Noch immer die Augen geschlossen, erhob der kleine Pika seine Stimme.

„Mein liebes gutes Kind, ich erinnere mich wie du mir einst sagtest, dass du jede Arbeit hier in meinem Hause erledigen würdest. Andersseits würde ich dich wieder an deinen ursprünglichen Arbeitsort zurückschicken, wo du hergekommen bist.“

Er schielte mit dem rechten Auge zu ihr rüber.

„Möchtest du denn wieder in die Wäscherei zurückgehen?“

Liu senkte den Blick. „Nein.“

„Nun, ich erwarte von dir dementsprechende Dankbarkeit, dass ich dich da rausgeholt habe“, fuhr Herr Furu unbeirrt fort. „Außerdem kennst du ihn schon fast 4 Jahre. Denkst du, es kann einfach jemand so eine Pflege übernehmen? Keiner würde sich freiwillig dafür melden. Und bei seinem Behinderungsschweregrad wird er wohl noch sehr, sehr lange Pflege benötigen. Vor allem, weil er sich keine Mühe macht, sich selbstständig zu machen.“

Er machte eine kurze Pause. „Hast du diesem etwas entgegenzusetzen?“

Liu seufzte. „Nein.“

Der Pika nickte zufrieden. „Also, dann wieder ab an die Arbeit.“
 

Es viel Liu schwer sich an diesem Abend fürs Bett fertig zu machen. Wenigstens hatte dieser Pfau das Abendessen herunterbekommen. Wenn auch nur unter Protest. Während sich die Pfauenhenne die Federn kämmte, durchging sie immer die gleiche Frage: Warum tat sie das für ihn?

Diese Frage verfolgte ins Bett und auch nachdem sie das Licht gelöscht hatte. Auch als sie sich hingelegt hatte und die Augen geschlossen hatte, verfolgte es sie immer weiter und weiter.

„Ich kann auf dein gespieltes Mitleid verzichten!“

Ob Xiang doch damit recht hatte? Ihr Mitleid war zwar nicht gespielt, aber war der Grund doch nur Mitleid gewesen? Wie oft musste sie an den ersten Tag denken, wo er in die Kurresidenz kam…
 

Vor 4 Jahren…
 

„Liu, mein gutes Kind. Ich habe gute Neuigkeiten.“

Verwundert sah Liu auf, als Herr Furu zu ihr in eines der leeren Patientenzimmer hereinkam. Sie war gerade damit beschäftigt gewesen, ein Bett mit neuer Bettwäsche zu beziehen.

„Ich habe den perfekten Patienten für dich“, fuhr der alte Pika fort.

„Den perfekten Patienten?“ Sie schüttelte das Kopfkissen aus, welches sie gerade in den Flügeln hielt und legte es aufs Bett. „Wovon reden Sie?“

„Der König hat ihn uns extra zugeschickt.“

„Der König?“

Das verwirrte die Pfauenhenne nur noch mehr.

„Ich war auch sehr überrascht… Aber sieh doch selber.“

Sie verließen das Zimmer und gingen ein paar Gänge weiter, wo sie in einen anderen Raum kamen. Dort lag eine Trage, auf der eine mit Verbänden eingewickelte Figur lag. Darunter waren lauter verbrannte Federn zu erkennen.

Die Augen der Pfauenhenne weiteren sich. Sie war kurz davor zu fragen „Was ist das?“ statt „Wer ist das?“

Doch Herr Furu hatte eine Antwort schon parat.

„Meine Liebe, dein neuer Patient“, verkündete er und deutete auf die Trage.

Liu blieb der Mund offen. „Grund Gütiger, was ist denn mit ihm passiert?“

„Explosionsunglück. Schwergradige Verletzungen. Ein Wunder, dass er noch am Stück ist. Aber ich glaube nicht, dass er wieder vollständig genesen wird.“

Inzwischen war die Pfauenhenne ans Ende der Trage getreten, wo sie den Kopf vermutete. Die Person war nicht nur ein Vogel, sondern auch ein Pfau. Sie streckte die Hand nach ihm aus und strich ihm über den Kopf. Unter den verklebten Federn erkannte sie ein leichtes Blau. Er musste ein schöner Pfau gewesen sein.

In diesem Moment zuckte der Pfau unter ihrer Berührung zusammen. Seine Augen öffneten sich einen Spalt. Als er sie erblickte, wich er ihrer Hand aus und zog den Kopf ein. Er wollte weg.

„Bleiben Sie liegen!“, rief sie.

Der Pfau war kurz davor aufzuspringen. Liu hatte Mühe ihn zu halten. Sie konnte seine Angst regelrecht spüren.

Wovor hatte er Angst?

„Keine Angst. Ich tue Ihnen nichts!“
 

Seufzend drehte sie sich auf den Rücken.

Ja, es war Mitleid gewesen.

Mit einem beklemmenden Gefühl im Bauch zog sie sich die Decke über, mit dem quälen Gedanken im Hinterkopf, dass der nächste Tag genauso werden würde wie der heutige.



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