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Die letzte Ehre

von

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3. Im Schatten der Berge

Nordchina, nahe der Grenze zum Hunnenreich, Stadt Mendong, Xiangs Heimatstadt
 

Mit scheuem Blick sah sie sich um. Die große Vorhalle war genauso wie sie sie in Erinnerung gehabt hatte. Die Wände waren allesamt blau gestrichen, verziert mit goldenen blumenartigen Mustern. Und auch die Säulen zierten schön bemusterte drachenartige Figuren. Hätte sie nicht gewusst wo sie war, hätte sie sich vielleicht wohl gefühlt in dieser Umgebung. Doch egal wo sie hinsah, jeder Winkel barg hier schlimme Erinnerungen. Alleinschon als sie zum ersten Mal diesen Ort betreten hatte, stäubten sich in ihr sämtliche Federn. Für sie war es vom ersten Tag an ein Gefängnis in einem goldenen Käfig. Und das war Mendong, die Stadt ihres Exmannes, für sie auch immer gewesen.

Der Palast stand auf einem Berg, oder genauer gesagt auf halber Höhne des Berges. Noch vor seiner Entstehung war die Fläche am Berghang ideal gewesen, um dort ein großes Haus zu errichten. Die Stadt selber lag am Fuße des Berges, wo sich nicht weit entfernt der Hauptfluss erstreckte, mit denen Schiffe Waren liefern konnten. Und für jeden, der dort ankam, war der Palast ein Blickfang. Vielleicht weil er auch nicht zu übersehen war. Das Gebäude war ein einziger Komplex. Die Wände waren hauptsächlich weiß, während die Dächer dunkel blau waren. Die kaum ein paar Stockwerke hohen Türme waren eng einander gebaut, dass es für einen Pfau ein leichtes gewesen wäre, einfach von einem Turm zu anderen zu segeln. Die unteren Stockwerke bildeten Stufenweise Dächer, die wie einer Treppe glichen und mächtig wirkten wie übereinandergestapelte Hallen, wobei mal ein Raum größer und der andere mal kleiner war. Es war einfach ein ganz krasser Gegensatz zum einzelnen Palastturm in Gongmen. Yin-Yu konnte sich bis heute nicht erklären, wozu ein Palast nur so viele Zimmer benötigte. Es hätten vielleicht sogar alle Stadtbewohner darin Platz gehabt, wobei es wohl kein Vergnügen gewesen wäre, die lange Treppe ständig rauf und runter rennen zu müssen. Sie war bei weitem nicht so lang wie die zum Jade Palast, aber dennoch hatte man besseres mit seiner Zeit anzufangen, als sie zum Treppensteigen zu verwenden.

Yin-Yus Gedanken wurden jäh unterbrochen, als eine Figur aus einem der Gänge auf sie zukam.

„Seien Sie willkommen“, begrüßte sie ein schmächtiger alter Stier im schwarzen Mantel. „Es freut mich, die einstige Mitregentin hier begrüßen zu dürfen.“

Die Pfauenhenne verneigte sich. „Vielen Dank. Und Ihr Name war nochmal…?“

„Huan. Ich bin der Verwalter dieser Einrichtung. Was verschafft mir genau die Ehre Ihres Besuches?“

„Eigentlich wollte ich nur ein paar Sachen abholen“, erklärte sie. „Solange mein Mann sich mit den Kindern in Gongmen aufhält.“

„Was für Sachen?“, fragte der Stier.

„Ein paar Spielsachen von Xia und Sheng, die ich einst aufbewahrt hatte. Vielleicht möchten die Kleinen damit spielen.“

„Sind die nicht schon vier?“

Sie lächelte. „Selbst vierjährige mögen Spielzeug. Ich hätte sie vielleicht schon früher holen können, aber ich hab mich all die Jahre einfach nicht hierher getraut. Es liegen zu viele dunkle Erinnerungen in diesen Mauern.“

„Das wundert mich gar nicht.“

Lady Yin-Yu drehte sich überrascht um, als eine zweite tiefe Stimme sie von hinten angesprochen hatte. Aus einem der Gänge kam die vertraute Gestalt von König Wang zum Vorschein.

„König Wang?“ Die Pfauenhenne verneigte sich vor dem Hunnenkönig. „Euch hab ich gar nicht erwartet.“

„Ich war gerade in der Gegend“, meinte der große mit Schafswolle überzogene Ochse, obwohl es längst Sommer war. „Wie geht es dem Drachenkrieger?“

„Nach alldem, was von seinem letzten Brief entnommen habe, ganz gut.“

„Das freut mich zu hören. Schade, dass er nicht mitgekommen ist.“

„Ich könnte gerne Ihre Grüße von Ihnen an ihn ausrichten, wenn Sie möchten.“

Sie ließ ihren Blick schweifen. Als sie das letzte Mal hier gewesen war, war wegen dem Krieg einiges zerstört zurückgeblieben.

„Ich sehe, es ist vieles renoviert worden“, meinte sie nach einer Weile.

König Wang nickte stolz. „Ja, selbst der Garten steht wieder in voller Blüte, obwohl er vor langer Zeit in Brand gesteckt wurde.“

„Oh ja, ich sehe es immer noch vor mir“, meinte Yin-Yu wehmütig. Den Überfall der Hunnen auf die Stadt hatte sie noch nicht vergessen. Besonders weil Xiang damals den Angriff absichtlich provoziert hatte, um so in die Hunnenburg gelangen zu können, wo er sich mit Komplizen verbündetet, um den Hunnenkönig zu stürzen. Es war ein Glück, dass Xia sich kurz darauf auf die Suche nach Shen begeben hatte und mit Hilfe des Drachenkriegers noch Xiangs Plan vereiteln konnte.

In diesem Moment meldete sich auch der Verwalter Huan zu dem Renovierungsthema.

„Ja, wir haben alles wieder Instand gesetzt. Nur in zwei Zimmer hatten wir zunächst etwas Schwierigkeiten.“

„Welche Zimmer?“, fragte König Wang.

„Die auf der Ostseite.“

Yin-Yu gefror kurz in ihrer Haltung. „Oh ja, ich erinnere mich. Xiang hatte diese zwei Zimmer komplett verriegelt. Soweit ich weiß, ist er auch dort nie reingegangen.“

Wang kratzte sich nachdenklich über seinen dicht befellten Kopf. „Befindet sich dort irgendetwas Besonderes?“

Der Verwalter Huan zuckte die Achseln. „Nö. Ich war mal kurz da drinnen gewesen. War nicht so einfach, wir mussten sie einschlagen, um da reinzukommen. Aber da war nichts Auffälliges. Nur zwei Schlafzimmer. Eines mit einem Doppelbett. Das andere mit nur einem Bett. Ansonsten die übliche Einrichtung: Tisch, Stühle, Kleiderschränke. Aber nichts wovon ich sagen würde, dass es etwas Auffälliges wäre.“

„Und was habt ihr dann gemacht?“

„Wieder zu gemacht. Wer weiß. Vielleicht ist es sogar verseucht.“

König und Lady sahen ihn entgeistert an. Der Verwalter zuckte gleichgültig die Achsen. „Was denn? Kann doch alles möglich sein. Wenn jemand so extrem ein Zimmer verriegelt. Selbst die Fenster waren mit Brettern zugenagelt. Dann wird derjenige schon seinen Grund gehabt haben, oder etwa nicht?“
 

Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis Yin-Yu sich kurzerhand verabschiedete und ziellos durch den Palast schlenderte. Sie war nachdenklich geworden. Ihr ging das Gespräch über die verriegelten Zimmer nicht mehr so schnell aus dem Kopf. Sie hatte Xiang einmal danach gefragt, was sich hinter den Türen verbarg. Das Einzige was sie dafür bekommen hatte, war eine harte Ohrfeige und eine schallende Rüge. „Solange du lebst, frag mich das nie wieder!“ hatte er sie angebrüllt. Danach hatte sie nie wieder gewagt, ihn darauf anzusprechen.

Gedankenverloren strich sie über das Marmor-Treppengeländer, der zum Garten runterführte.

Die Morgensonne bestrahlte freundlich die Berge und dennoch warf der Gedanke an ihren Ex-Ehemann einen tiefen Schatten auf ihr Gemüt.

Sie seufzte tief. Wie es ihm wohl gerade ging.



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