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Dunkle Nächte

Wenn das Schicksal zuschlägt...
von

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Qualvolle Nacht!

Dunkle Nächte
 

Kapitel 1

Qualvolle Nacht
 

Ein kalter Wind strich um die Ecken und ließ die wenigen trockenen Blätter an den Bäumen rascheln. Die Nacht hatte sich schon seit einigen Stunden über die Stadt Domino gelegt und nun waren auch noch die letzten Sonnenstrahlen vertrieben. Der Mond wurde von schweren, schwarzen Wolken verdeckt, die sich über den ganzen Himmel erstreckten und kein Fünkchen Licht durch die Wolkendecke ließen.

In solchen grauen Nächten blieb man am besten zu Hause oder nahm den kürzesten Weg in sein vertrautes Heim. Was in solchen Nächten geschah, konnte ein ganzes Leben verändern. In dieser Finsternis ging das Schicksal umher und griff sich diejenigen, die es wagten, sich dagegen aufzulehnen. Menschen, die immer noch glaubten, sie könnten ihres eigenen Schicksals Schmied sein.
 

Nur noch lichtscheues Gesindel trieb sich nun auf den Straßen herum und drückte sich in die Schatten der schwarzen Nacht. Schatten, die in alle Ecken hinein drangen und alles verschlangen, was sich darin zu verstecken versuchte. Nur einer schien dem, was um ihn herum geschah, nichts beizumessen.
 

Der brünette, junge Mann schritt ohne auf seine Umgebung zu achten seinen Weg durch diese unheimliche Dunkelheit. Sein dunkelblauer Mantel flatterte im leichten Wind und das Geräusch seiner festen Schritte hallte von den Wänden der alten Häuserfronten wider. Seine eisblauen Augen blickten ins Leere, während er mit leicht gesenktem Kopf die Straße entlang ging.
 

Es war wieder einer dieser Tage gewesen, an denen der junge Mann erst zu spät gemerkt hatte, dass er am besten gar nicht aus dem Haus gegangen wäre. Heute hatte es nur Ärger gegeben, den ganzen Tag über.

Zuerst hatte dieser Stümper von einem Sekretär seinen heißen, schwarzen Kaffee über alle Akten gekippt. Beim Rettungsversuch der einzelnen Blätter aus der Brühe fand er auch noch heraus, dass er einen wichtigen Termin in Osaka verpasste. Sein Sekretär hatte ihm nicht mitgeteilt, dass der Termin um drei Tage vorverlegt wurde und trotz eines sofortigen Anrufes war der Vertrag bereits mit einem anderen Unternehmen geschlossen worden. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, schaffte es ein völlig unfähiger Autofahrer vor gut 20 Minuten beim Abbiegen in seine schwarze Limousine zu krachen. Diese war nun gänzlich fahrunfähig und mit den Nerven am Ende, ließ er Roland dieses Desaster klären. Er ging zu Fuß nach Hause. Dunkelheit und kalte Nachtluft waren genau das Richtige nach so einem grauenvollen Tag! Mit einem Seufzen fuhr er sich gedankenverloren durch die kurzen Haare. Bis der Ersatzwagen vor Ort gewesen wäre, hatte es der Firmenchef auch zu Fuß geschafft. Die Nachricht von seinem Bruder war ihm fast entfallen. Der Kleine hatte sich angewöhnt, in einer drei Sätze langen E-Mail von seinem Fortbleiben zu berichten. Bei der Länge waren schon die Anrede und die Verabschiedungszeile mit eingerechnet.
 

So würde zumindest niemand meckern, wenn er einmal mehr erst spät in der Nacht nach Hause kam. Das Personal hatte er gut genug erzogen, damit sie nicht einen Gedanken daran verlören und Mokuba hatte sich irgendwo hin abgesetzt und würde nicht vor dem nächsten Mittag zurückkommen.
 

Erneut seufzte er und sein Blick fiel auf die leere Straße. Dieser Trost war nun wirklich zu gering, um weiter über ihn nachzudenken. Mit einer gewissen Frustration malte er sich sarkastisch aus, was in den letzten anderthalb Stunden noch passieren könnte. Nach Ablauf dieser Frist war der Tag beendet.

Wahrscheinlich würde ihm noch ein weiterer „Zwischenfall“ gänzlich die Nerven rauben. Erst ein leises Stöhnen, eine Art Wimmern, holte ihn wieder in die Realität zurück. Verwundert blieb er stehen und suchte mit seinen kalten Augen nach dem Grund dieses Geräusches. Erst jetzt bemerkte er, in welch heruntergekommener Gegend er gelandet war. Die dunklen Straßen mit ihren löchrigen Asphaltdecken waren leer und verlassen, selbst das übliche Gesindel, das man in solchen Gegenden antraf, ließe sich heute Nacht nicht blicken. Die Häuserfronten zu beiden Seiten waren verweist und aus vielen Wänden hatte man Steine herausgebrochen. Das Glas der großen Fenster war teilweise vollständig zerbrochen und einige waren sogar ausgehängt. Früher war er diesen Weg öfter gegangen. Es hatte ihm geholfen, wenigstens kurz den Kopf abzuschalten. Dass diese Gegend jedoch so erheblich abgestürzt war, kam in seinen Erinnerungen nicht vor. Warum befanden sich die schlechtesten Stadtteile immer in der Nähe der gut situierten? Einen Müllberg setzte doch auch keiner neben ein Einkaufszentrum.
 

Das Geräusch kam aus einer der kleinen Seitenstraßen, die tief im Mauerwerk der Häuserfronten wie finstere Mäuler versunken waren. Langsam beschleunigte er seine Schritte wieder, ohne es wirklich bewusste zu bemerken, und steuerte direkt auf die kleine Gasse zu. Er wusste nicht, was ihn dort erwarten würde. Grauenhafterweise gab es da nicht sehr viele Möglichkeiten und die Wahrscheinlichkeit, auf einen dieser betrunkenen Straßenstreuner zu treffen, war entschieden zu groß.

Doch die Dunkelheit der kleinen Gasse war so tief, dass er zuerst wieder zurückweichen musste. Sie war geschätzt nur zwei bis drei Meter breit und die hohen Häuserwände ließen sie in einer tiefen Dunkelheit versinken.
 

Es dauerte einige Sekunden bis sich seine Augen an diese Finsternis gewöhnt hatten. Langsam erkannte er eine in sich zusammen gesunkene Person, die zu Füßen der Mauern saß. Im Näherkommen wurde ein heller, vielleicht blonder Schopf erkennbar. Auch die Jacke schien stark zerschlissen, wirkte matt grau. Mit dem Rücken an die kalten Steine gelehnt, den Kopf tief auf die Brust gesunken und die Beine leicht angewinkelt, saß der junge Mann auf dem Boden. Von ihm kam das klägliche Stöhnen, welches den Brünetten aus seinen Gedanken gerissen hatte.

Vorsichtig machte Kaiba einen Schritt auf den Zusammengesunkenen zu. In ihm keimte ein schrecklicher Verdacht auf. Er kannte nur einen Menschen, der solch eine alte, zerschlissene Jacke trug und eine so blonde Haarfrisur hatte, dass sie sogar in dieser Dunkelheit zu erkennen war.
 

„Wheeler.“ Der Brünette konnte selbst nicht sagen, warum er so überrascht war. Mit einem ernsten Blick schaute er auf den Blonden herunter. Es war doch nur dieser temperamentvolle Straßenköter Wheeler, der ihm einmal mehr den Tag zu verderben drohte. Damit hatte er dann wohl seine Antwort gefunden. Wheeler würde also der letzte, kleine Tropfen sein, der sein Nervenfass zum Überlaufen brächte.

Doch dieser schien ihn nicht gehört zu haben, denn nichts weiter als ein leises Stöhnen kam über seine Lippen. Eine solche Reaktionslosigkeit war gerade bei dem Blonden sehr ungewöhnlich, immerhin hatte sein „schlimmster Feind“, Kaiba Seto persönlich, ihn in dieser Lage gefunden.

Warum ereilte dieses Schicksal immer ihn? Gab es denn keinen anderen attraktiven, jungen und obendrein wohlhabenden Firmenchef, dem das Schicksal auf die Nerven gehen konnte?
 

Plötzlich hörte er innerlich Ishizus Worte: Das ist dein Schicksal, Kaiba!

Als ob er daran glaubte!
 

Doch so sehr er diesen kleinen Köter auch hasste, er konnte nicht einfach wieder gehen. Noch einmal warf er einen Blick zurück über die Schulter. Wahrscheinlich war es das Einfachste und auch das Unauffälligste ihn mit nach Hause zu nehmen. „Wheeler, ich schwör dir, beim nächsten Mal bring ich dich um!“ Mit diesen Worten kniete er sich neben den jungen Mann und schaute in dessen Gesicht. Ein leichtes Blutrinnsal war dem Blonden über die Stirn, die Wange entlang und schließlich bis zum Kinn heruntergelaufen und tropfte auf den Saum des weißen Hemdes. Über dem rechten Wangenknochen hatte ihm jemand mit einem Messer eine tiefe Schnittwunde verpasst. Die blaue Jeans war an einigen Stellen zerrissen und sowohl seine Knie als auch seine Handinnenflächen waren blutig aufgescheuert.

Aus irgendeinem Grund war Kaiba nicht verwundert darüber, den jungen Mann in diesem Zustand vorzufinden.
 

„Mit wem hast du dich denn angelegt? Kannst du es eigentlich nie lassen?“ Zwei eisblaue Augen fixierten das Gesicht des Jüngeren und plötzlich hob Seto mit seiner linken Hand Joeys Kinn leicht an. Dessen braune Augen hatten für heute ihren Glanz verloren und verwirrt schaute der Blonde den jungen Mann an, der ihn grade ansprach. „K... Kaiba...“ Seine Stimme versagte ihm den Dienst und er zuckte leicht zusammen, als er die warmen Finger spürte, die seine Wange entlang strichen.
 

Warum machte er das hier eigentlich? Kümmerte er sich gerade wirklich um diesen Köter? Nein, das konnte nur ein schlechter Traum sein. Leider halfen all die Einbildungsversuche nicht, die Wirklichkeit auszublenden. Warum er das tat, konnte er sich nicht erklären, aber lange zögern konnte er auch nicht mehr.

Seufzend warf Seto noch einen Blick über die Schulter und ein Schauer lief über seinen Rücken. Wie konnte er nur auf die absurde Idee kommen, diesen flohverlausten Köter mit nach Hause zu nehmen? Ein wenig angewidert schaute er zu dem Kleineren herunter, der gerade noch ein Stück an der Wand herabgesunken war. Ihn einfach hier liegen zu lassen, konnte er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Es war zwar nicht bitterkalt, aber ausreichend, damit der Köter bis morgen böse Erfrierungen erleiden würde.

„Du kannst wahrscheinlich noch nicht einmal alleine gehen.“ Murmelte er leise vor sich hin. Der Angesprochene warf nur einen müden Blick zu ihm und verstand nicht ganz, was von ihm verlangt wurde. Ein wenig wütend über sich selbst schüttelte Seto seinen Kopf und mit einer kurzen Bewegung zog er den Blonden mit einem leichten Ruck an sich. Kaum einen Herzschlag später lag dieser weit über dem Boden in den Armen des Dunkelhaarigen. Jetzt war der Firmenchef froh, dass er seinen geliebten Koffer bei Roland im Auto gelassen hatte. Dieser würde jetzt erheblich stören.
 

Ein sehr leiser Schrei des Entsetzens kam von dem Angeschlagenen, als dieser den plötzlichen Ruck spürte. Er kniff verängstigt die Augen zusammen und klammerte sich mit letzter Kraft an den verhassten Feind.

Was war das nur für ein Tag. Grinsend schaute Seto auf den völlig verwirrten und verängstigten Mann in seinen Armen herab. Er musste wirklich nicht ganz bei Trost sein. Jetzt tat er es doch wirklich. Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg fort und seine Gedanken begannen langsam um das Problem in seinen Armen zu kreisen. Der Blonde war so leicht, dass er ihn ohne größere Probleme tragen konnte. Es war ihm bis heute nie aufgefallen, wie mager Wheeler war. Aber soweit er wusste, lebte der junge Mann doch mit seiner jüngeren Schwester zusammen und war schon lange aus den Fängen seines alkoholabhängigen Vaters entkommen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass dies noch nicht die letzte Überraschung war, die ihn in dieser Nacht erwartete.
 

Was hat dein Schicksal nun schon wieder vor, Ishizu?
 

Der Weg zu seiner Villa war in dieser Dunkelheit zwar nicht unbekannt, wenn er ihn auch schon lange nicht mehr gegangen war, dennoch schien heute Abend alles etwas anders zu sein. Die Schatten schienen sich immer weiter von ihm abzuwenden, als spürten sie den Hauch von Schicksal, den die beiden jungen Männer an sich hatten. Obwohl der Blondschopf in Setos Armen verhältnismäßig leicht war, fühlte er sich dennoch ein wenig erschöpft, als er vor das große Tor seines Hauses trat. Für dieses Opfer würde Wheeler noch bezahlen müssen, dachte er grimmig und musterte kurz das Gesicht es Jüngeren im einfallenden Schein der Straßenlaterne.

Hoffentlich war das Personal soweit schon aus dem Haus. Bis auf zwei alte Herrschaften, die beinahe zum Inventar gehörten, verließen alle zu später Stunde die Villa und kehrten, wenn überhaupt, erst am Morgen zurück. Er hasste es, wenn sich zu viel Personal im Hause aufhielt. Nun musste er jedoch hoffen, dass die beiden Verbliebenen nicht schon im Bett waren, denn er kam nicht an seinen eigenen Schlüssel heran, solange er Wheeler trug. Seit sehr langer Zeit war Kaiba Seto nun dazu gezwungen, an seiner eigenen Tür zu klingeln. Irritiert musste er sich die Frage stellen, ob er überhaupt jemals zuvor an seiner Gartenpforte geklingelt hatte oder wann er dies an der Eingangstür getan hatte. Normalerweise schien immer einer der Bediensteten hinter der Tür zu lauern, nur um sie ihm direkt zu öffnen.

Plötzlich hörte er das summende Geräusch, mit dem das große Metalltor freigegeben wurde, welches sich wie von Geisterhand selbst zu öffnen schien. Die letzten Meter bis zur gewaltigen Flügeltür des Anwesens erschienen dem Brünetten wie eine Ewigkeit.
 

Joey war schon länger nicht mehr wirklich bei Bewusstsein, er dämmerte eher zwischen einer Ohnmacht und einem unruhigen und höchstwahrscheinlich recht schmerzhaften Schlaf. Der feste Griff hatte sich gelockert und sein Kopf war gegen Setos Brust gesunken.

Wieder schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis er die ersten Schritte hinter der Tür hörte, ein schwerer Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt und mit einem leisen Klicken herumgedreht. Als sich endlich die Tür öffnete, fiel zuerst ein warmer Lichtschein auf die blassen Gesichter der beiden jungen Männer. Seto staunte nicht schlecht, als er den alten Butler eingewickelt in einem langen Morgenrock mit einer alten Kerzenlampe in der Hand stehen sah. Dieser rückte seine Brille zurecht und hob das alte Relikt ein Stück an. Als er dann den Hausherrn erkannte, erschrak er maßlos. Bleich im Gesicht verbeugte er sich so tief, wie er es in seinem Alter noch konnte und seine raue Stimme ertönte leise. „Okaerinasai, Kaiba-sama.“
 

Fragend zog der Brünette eine Augenbraue hoch und musterte den alten Butler. Anscheinend hatte sich dieser schon auf die Nachtruhe vorbereitet und sichtlich nicht mehr mit dem Erscheinen seines Herrn gerechnet. Seltsamerweise sah er dieses heute Abend nicht als einen Grund an, den alten Mann direkt fristlos zu kündigen. Wahrscheinlich hätte er es unter anderen Umständen getan. In dieser Nacht, so vermutete der 22-Jährige, war jedoch einfach schon viel zu viel geschehen.

„Sag Margerite Bescheid, sie soll den Arzt rufen und mir einen heißen, schwarzen Kaffee zubereiten.“ Wieder verbeugte sich der ältere Herr und hielt noch einmal die Tür weit auf. Nachdem Seto hindurchgetreten war, verschloss der diese wieder auf dieselbe Weise, wie er sie zuvor geöffnet hatte. Mit einer weiteren Verbeugung fragte er noch, ob er den jungen Mann mit dem Licht geleiten sollte, doch dieser verneinte. Das Treppenhaus war dunkel, die Lichter ausgestellt. So drehte sich der Butler um und verschwand mit dem hellen Lichtkegel in die Richtung der Küche. Anscheinend hatten die beiden dort noch gesessen und über all die kleinen Probleme und Herausforderungen dieses Haushalts und des Älterwerdens gesprochen. So wie alte Leute nun einmal waren.
 

Seto war leicht durchgefroren und auch an ihm hatte der Tag seine Spuren hinterlassen. Ohne noch lange darüber nachzudenken, schritt er die große Treppe hinauf in den ersten Stock. Keine Lichter brannten in der riesigen Eingangshalle, allein durch die großen Fenster fiel der Schein der Straßenlaternen, sodass die Treppe in fast völliger Dunkelheit lag. Wie ein schwerer Nebel erfüllte sie die riesige Halle und verbarg den Marmorboden unter sich. Es schien fast so, als würde die Schwärze selbst die hohen Wände hochkriechen.
 

Doch der junge Mann kannte dieses Haus mittlerweile viel zu gut, als dass ihn dieser Umstand stören würde. Er brauchte nicht mehr als das fahle Licht, um den richtigen Weg zu finden. Ein wenig sorgenvoll blickte er zu dem Blonden in seinen Armen hinunter. In dieser Lichtlosigkeit wirkte er zerbrechlich und geschunden. Das blasse Gericht erschien beinahe wie tot, allein das leise kaum wahrzunehmende Stöhnen und das flache Heben und Senken des Brustkorbes widersprach dem.
 

Joey lag immer noch wie eine Feder in seinen Armen. Wog der Kerl denn gar nichts? Selbst Yugi schien dem Brünetten schwerer zu sein, obwohl dieser ein abgebrochener Zwerg war.

Die Dunkelheit verbarg all den Prunk dieses Hauses und das Dämmerlicht reichte nicht aus, um das Ende des Flures deutlich zu erkennen.

Nun doch müde, kaputt und mit leicht schmerzenden Gliedern stieß Seto eine der vielen Türen auf, die sich den Gang entlang zogen. Die Stille im Haus und das Auftreten des Butlers verdeutlichten, dass keiner mehr mit ihm gerechnet hatte. Nun war er dennoch da und hatte sogar, mehr oder weniger freiwillig, jemanden mitgebracht.

Wieso er das getan hatte, wusste er immer noch nicht. Wahrscheinlich geschah es aus Mangel an Alternativen. Immerhin hätte er ihn in diesem geschundenen Zustand auch nicht dort zurücklassen können.
 

Stumm betrat der schlanke Mann das dunkle Zimmer und schritt durch den großen Raum auf das Himmelbett zu. Die Vorhänge standen noch offen, sodass ein wenig Licht von draußen hereinfiel und den Raum schwach erhellte. Sein Blick schweifte über die Regale, die in diesem Schattenspiel nur schwer als solche zu erkennen waren.

Er war selbst überrascht, welches Zimmer er für seinen 'Gast' ausgewählt hatte. Behutsam legte er Joey auf die weiche Decke und richtete sich wieder auf. Na wunderbar, jetzt hatte er sich selbst ein Problem angeschleift. Ein wenig wütend starrte er auf die roten Ziffern der Uhr auf der anderen Seite des Bettes. 23:47 Uhr verkündeten sie stumm und straften den jungen Mann gleich wieder mit einem schlechten Gewissen.
 

Wie lange mochte Joey schon da draußen in der Kälte gelegen haben, bevor er vorbei gekommen war? Mit wem hatte sich der Blonde angelegt? Und wann würde er ENDLICH AUFHÖREN sich über diesen Straßenköter Gedanken zu machen?

Es war Wheelers Sache, mit wem er sich prügelte und von wem er sich halb totschlagen ließ!

Außerdem war Seto selbst extrem müde, denn auch die letzten Nächte waren mehr als kurz gewesen. Zumindest der Teil, den er zum Schlafen genutzt hatte. Erschöpft ging er um das Bett herum und trat auf die Uhr zu. Eben hatte er bemerkt, dass der Wecker noch eingeschaltet war. Wann wurde dieser denn das letzte Mal benutzt? Hatte er etwa seit einem halben Jahr jeden Morgen geklingelt?
 

Wieder huschte sein Blick zu dem unruhig schlafenden Jungen, der so winzig in dem riesigen Bett wirkte. Hatte er Wheeler je in solch einem erbärmlichen Zustand gesehen? Oft hatte er sich über diesen lustig gemacht, aber nie damit gerechnet, dass seine Worte einmal eintreffen würden. „Wie ein ausgesetzter, kleiner Hund siehst du aus, Wheeler.“ Sagte er leise genug, um den Blonden nicht zu wecken. Verloren wirkte der Kleine, regelrecht hilflos und vor allem sehr schwach.

Wie perfekt seine Rache für all die Aufmüpfigkeit des Blonden nun sein könnte. Da lag er, hilflos und ihm völlig ausgeliefert. Doch irgendwie konnte er diese Situation nicht vollends genießen. Der Gedanke, ihm noch mehr Leid zuzufügen, gefiel ihm heute Abend gar nicht. Ja, irgendwie hatte er eher das Bedürfnis, den Blonden zu beschützen, keine weitere Gefahr an ihn herankommen zu lassen und wie ein Drache über seinen Schlaf zu wachen.
 

Bitte was???
 

Seto fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Jetzt reichte es! Immerhin war er hier der böse, der gemeine, der arrogante Fiesling. Es konnte ihm völlig egal sein, wenn sich dieser Typ vermöbeln ließ, sich deswegen den Allerwertesten fast abgefroren hätte und schließlich hier lag, um sich durch einen schmerzhaften Schlaf zu quälen. Warum sollte er ihn da beschützen wollen? Wheeler war mit seinen 21 Jahren alt genug, um zu wissen, was er tat.
 

Plötzlich drang das leise Geräusch von Schritten durch die Stille, die sich unaufhörlich dem Zimmer näherten. Noch bevor der Brünette aufsehen konnte wurde das Licht eingeschaltete und erhellte den ganzen Raum.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Tiaiel
2022-07-21T18:10:55+00:00 21.07.2022 20:10
Da sich unverhofft ein kleines Zeitfenster ergeben hat, musste ich jetzt doch meine Neugier befriedigen. Etstmsl finde ich es toll, dass du die Geschichte nach so langer Zeit nochmal überarbeiten willst. Zwar kenne ich das Original aus 2005 nicht, aber das erste Kapitel liest sich unwahrscheinlich gut. Die Beschreibung der Umgebung ist dir gut gelungen und hat mich direkt dazu verführt, weiterzulesen!
Interessant finde ich die Tatsache, dass Kaiba das ganze mit Ishizu und ihrem Schicksalsgeschwafel -er glaubt ja nicht an sowas- verbindet und dass er seinen Lieblingsstreithammel nicht einfach so der rauen, kalten Nacht überlassen kann. "Wie ein ausgesetzter, kleiner Hund siehst du aus" Eine Wortverbindung, die du in diesem Zusammenhang so wunderbar gewählt hast. Und jetzt hat er ihn sich ins Haus geholt. Wo wird das nur Enden, mein lieber Kaiba ^^
Antwort von:  Traumfaengero_-
21.07.2022 21:33
Es freut mich riesig, dass du doch ein klein wenig Zeit gefunden hast und dich an dieses Mamutprojekt heran wagst. Es ist eine kleine Herausforderung, so eine Geschichte in Angriff zu nehmen. Ich freue mich daher sehr, dass dir der Anfang auch noch gleich so zugesagt hat.
Ich versuche von den Kapiteln so viel wie möglich beizubehalten und auch den Stil nicht zu verändern. Hier glaube ich, ist gar nicht so viel verbessert worden.
Oh ja, die liebe Ishizu. Leider ging sie etwas unter und ich bin gerade dabei, diesen Punkt wieder etwas mehr aufzugreifen. Denn obwohl er nicht daran glaubt, ist es doch irgendwie zu einem Teil seines Lebens geworden. Da schwafeln einfach zu viele von Vergangenheit und Göttern.
Mein etwas klischeehafter Anfang versucht ja auch mit guten Momenten zu glänzen. Außerdem ist das noch immer "sein" ausgesetzter, kleiner Hund, auch wenn er das so nie sagen würde. XD

Herzlichen Dank für diese lieben Worte und ich wünsche dir noch viel Spaß beim Weiterlesen. Wann auch immer du dazu kommst.

Liebe Grüße
Traumfänger
Von:  Yui_du_Ma
2021-11-19T19:32:11+00:00 19.11.2021 20:32
Ein interessanter Anfang von einer Geschichte, bin mal gespannt wie es da weiter gehen wird.
Wie sich die Charaktere entwickeln und was für eine Handlung folgen wird. ^.^
Antwort von:  Traumfaengero_-
19.11.2021 22:22
Einen wunderschönen guten Abend!

ich bin ja sehr erstaunt, dass sich hier noch jemand von Beginn an durcharbeitet. :)

Herzlichen Dank für die lieben Worte! Oh, es wird noch viel kommen! Lustiges, Trauriges, Schreckliches, Herzerwärmendes... :D

Liebe Grüße
Traumfänger
Von:  Lampow
2006-04-11T09:23:33+00:00 11.04.2006 11:23
Bin erste. <<<jippie>>>>
Ne, spaß beiseite. Das Kapi ist wieder mal ursuper gelungen. Ich möcht' ja nix sagen, aber ein Licht schaltet man ein um zu erhelen und nicht aus - da wird es ja dunkel. Auf jeden Fall freu ich mich schon auf das nächste. Aber sag, wer hat den arme Joey so zugerichtet? Ich find das voll nicht fair. sa g beim nächsten Kapi Bescheid. Cu, Saturn - chan


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