Dunkle Nächte von Traumfaengero_- (Wenn das Schicksal zuschlägt...) ================================================================================ Kapitel 28: Bettgeflüster und Götterkult ---------------------------------------- Kapitel 28 Bettgeflüster und Götterkult Sein Lachen klang noch lange in meinen Ohren und mein breites Grinsen blieb. Ein schlichtes „Na dann…“ war seine Antwort und er ließ das Buch los. Ohne noch weiter darauf einzugehen, wanderte seine Aufmerksamkeit zurück zu seinem Laptop. Die Unterhaltung war damit beendet, doch dieses Lächeln verweilte stoisch auf seinen schmalen Lippen, während die feinen Finger über die Tasten fuhren. Noch kurz blickte ich ihn an und schüttelte den Kopf. Ich selbst sollte mich wieder auf die Theorie der Verarbeitung von Leim konzentrieren. Juni, so lange war der Abschlusstermin nicht mehr hin und mit diesem Gedanken ließ ich mich wieder auf das weiche Polster fallen. Noch kurz sah ich zu ihm und schlug dabei schon mein Buch auf. Vielleicht war Kaiba doch nicht so ein Mistkerl. Er hatte anscheinend nette Seiten. Na ja, von dem frechen Kuss mal angesehen, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Der erste hatte mich schon überfordert und dieser? Er war ebenso dreist und auch ebenso unerwartet, aber doch irgendwie… Nachdenklich betrachtete ich die Zeilen vor mir. Mit Mai war es anders, leidenschaftlicher, irgendwie gewollter. Das hier tat Kaiba nur, um mich zu verunsichern, um mir zu zeigen, dass er sich nehmen konnte, was er wollte. Meine persönlichen Grenzen zu überschreiten war seine Art seine Dominanz durchzusetzen und mir meine Handlungsunfähigkeit klar zu machen. Dennoch… hatte ich mehr Widerstand von meiner Seite erwartet. Es ärgerte mich, ich war sauer, irgendwie angefahren, aber nicht so entsetzt, wie ich es erwarten würde, wenn mich ein anderer Mann einfach so küsste. Ja, irgendwie hätte ich mehr aus der Haut fahren müssen, ihn anschreien, ihm vielleicht deutlicher sagen sollen, dass er so etwas nie wieder machen sollte. Schweigend starrte ich erneut auf die gleichen Zeilen dieser Seite und blätterte um. Ich musste noch ein gutes Stück im Buch weiter nach hinten und so stieß ich nachdenklich die Luft aus, während meine Hände jedes Blatt einzeln wendeten. So würde ich noch ewig brauchen, um mein Ziel zu erreichen. Vielleicht war das auch gar nicht so schlimm. Immerhin drehten sich meine Gedanken weiterhin um diesen Kuss und meine Reaktion. Irgendwie fühlte ich mich immer sicher, da war nie ein Zweifel, auf welches Geschlecht ich nun stand. Kaiba hingegen sah das alles so locker, ihm war es schlichtweg egal! Meine Freunde sähen das anders und auch ihre Reaktion über den Kuss wäre sicher schockierter. Schockierter als meine eigene. Wahrscheinlich lag es nur daran, dass ich mich langsam an all diese Berührungen gewöhnte. Ständig war dieser komische Kerl mir so nahe. Seine Finger strichen über meine Haut, meine Wangen, sie fuhren durch meine blonden Haare und oft war er nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Vielleicht gewöhnte man sich einfach an so etwas. Tristan und ich… ja… irgendwie waren wir uns nicht so nahe. Auch mit Yugi, den ich oft brüderlich in den Arm nahm, war nie so eine vertraute Nähe entstanden. Irgendwie erschien es mir, als wäre die Arbeit mit ihm immer von einem solch intimen Kontakt geprägt. Nur konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie er mit Yuriko arbeiten würde. Er käme ihr sicher nicht so nahe! Niemals! Sie würde garantiert nicht zulassen, dass er ihr dermaßen auf die Pelle rückte! Wahrscheinlich säße sie in ihrem Stuhl und würde ihn nur aus den grauen Augen anklagend anblicken, wenn er jemals bei ihr auf die Idee käme, sich so direkt neben ihr über den Schreibtisch zu beugen. Ich seufzte. All diese Gedanken machten mich wahnsinnig. Bisher hatte ich mir niemals über die Sexualität dieses Mannes Gedanken gemacht. Selbst nach seinem fragwürdigen Geständnis in der Küche hatte ich keinerlei Zeit in diese Tatsache investiert. Jetzt stand aber plötzlich eine Frage im Raum, die mich verwirrte. Wie war das bei mir? Klar, wenn eine tolle Frau vor mir stand, wurde mir schon anders. Ich wurde rot, meine dummen Sprüche wurden noch etwas dümmer und dieses schreckliche Schwitzen setzte ein. Aber mein Körper an sich… er reagierte nicht so, wie er es tun sollte oder? Sex, ein ewiges Mysterium und etwas, dass in meinem momentanen Leben keinen Platz hatte. Wenn ich mir über Sex Gedanken machte, dann eher in Bezug auf all die Kerle, die ich nicht vermöbeln wollte, weil sie meiner kleinen Schwester an die Wäsche wollten. Für mich war sie immer noch süße 5 Jahre alt und mein Hirn war nicht bereit, die langsam junge Frau in ihr zu sehen. Aber genau das würde zwangsweise geschehen, denn mit ihren 17 Jahren war sie sicher schon lange an Männern interessiert. Vielleicht war sie sogar deutlich aktiver in diesem Bereich, als ich es war. Dieser Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken. Sie war in meinen Augen das kleine Mädchen, welches ich beschützen würde, komme da, was wolle! Verstohlen huschte mein Blick zu Kaiba hinüber und ich schluckte. Meine Wangen brannten, dass konnte ich genau spüren. Es war dieses Gefühl der Hitze, welches mir sehr bewusst war. Doch er arbeitete nur, tief konzentriert und nicht abzulenken. Ganz im Gegensatz zu mir, ich hatte es nicht einmal auf die richtige Seite meines Buches geschafft. Dafür machte ich mir über Sex Gedanken, den ich nicht hatte. Wann auch? Mein Alltag sah grauenhaft aus. Ich stand viel zu früh auf, verbrachte dann Stunden in der Schreinerei, kaufte auf dem Weg nach Hause eventuell noch etwas ein und sprang dann unter die Dusche, um den ganzen Staub los zu werden. Dann half ich meiner Schwester beim Kochen und wir aßen gemeinsam zu Abend. Hin und wieder sahen wir einen Film oder ich paukte mich durch meine Arbeitsbücher für die Ausbildung. Am Wochenende arbeitete ich Freitagabend und Samstagabend als Barkeeper, denn mein Gehalt reichte vorne und hinten nicht aus, um uns zu finanzieren. Also schlief ich den Samstag meistens durch und den Sontag gleich mit. Die wenigen Stunden Freizeit verbrachte ich mit meiner Schwester oder Tristan, Tea und Yugi, nur um auf dem Heimweg regelmäßig in Auseinandersetzungen mit Tala zu geraten. Wo sollte ich denn dann bitte noch Zeit finden, meinen eigenen Bedürfnissen nachzugehen oder hübsche Frauen abzuschleppen? Bei Kaiba sah das unter Garantie anders aus. Der hatte wahrscheinlich in den drei Monaten, in denen wir zusammen arbeiteten, mehr Sex, als ich in diesem gesamten Jahr. Gut, da ich beinahe wie ein asketischer Mönch lebte, hatte wahrscheinlich jeder meiner Freunde mehr Vergnügen in diesem Thema. „Wheeler, was ist los?“ Erschrocken zuckte ich zusammen und starrte ihn mit großen Augen an. „Was?“ Entkam mir und ich spürte, wie die Hitze auf meinen Wangen noch einmal zulegte. Hatte ich etwa laut gesprochen? Woher sollte er sonst wissen, dass ich mir irgendwie Gedanken über ihn machte? Die eisblauen Augen starrten mich an und auf seinen schmalen Lippen lag ein seltsam sanftes Lächeln. „Du denkst so laut, dass es mich ablenkt. Damit hast du zwei Möglichkeiten: hör auf damit oder spuck es aus.“ Schweigend stierte ich weiter, denn die Bilder, die in meinem Kopf aufplatzten, waren entsetzlich. Ich dachte an das große Bett in seinem Schlafzimmer und an zwei nackte Körper, die… Wie konnte ich diese Gedanken los werden? Mein Herz hatte wild zu schlagen begonnen, schmerzhaft schnell und ich bekam kaum Luft, so flach war meine Atmung geworden. Die Röte meines Gesichtes musste dafür umso heftiger sein. „Denkst du noch immer über diesen Kuss nach?“ Seine tiefe Stimme hatte etwas Provokantes und ich konnte meinen Blick nicht halten. Verlegen biss ich mir auf die Unterlippe und starrte wieder in das Buch vor mir. Antworten konnte ich nicht, dazu versuchte ich noch immer zu sehr die Vorstellung zu verdrängen, wie Kaiba mit einem anderen Mann… Sex hatte. Warum mussten ausgerechnet jetzt diese Bilder in meinem Verstand herumgeistern? Wahrscheinlich beobachtete er mich noch immer. Ich hörte, wie er den Laptop auf dem Tisch ein Stück verschob und sich zurücklehnte. „Offenbar ist es mehr, als nur der Kuss. So rot, wie du angelaufen bist, scheint es dir richtig unangenehm zu sein. Worüber denkst du nach, dein Sexleben?“ Tief atmete ich ein und aus, ich versuchte mich zusammen zu reißen. Wirklich half es mir nicht. Den Blick zu heben, wagte ich nicht. Meine Brust schmerzte, das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich meine eigene Stimme kaum hörte. „N… nein, es…“ Ich schluckte hörbar und versuchte die Buchstarben in meinem Buch zu fixieren, um in dem Gewirr von Gedanken wenigstens einen Anflug von Ordnung zu finden. Mein Kopf dröhnte und ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte. „Wenn ich das, also, wenn ich dich richtig verstanden habe, dann…“ Wieder schluckte ich und versuchte einen neuen Ansatz zu finden. „Du meintest eben, dass es dir egal ist. Also, ich… das heißt, dass du auch mit…“ Ich stotterte mir einen ab, das wusste ich. Aber dieses Thema war eines, über das ich sonst Stillschweigen bewahrte und es war mir schrecklich unangenehm. Kaiba schien mir jedoch nicht entgegenkommen zu wollen. Er schwieg und wartete darauf, dass ich einen halbwegs verständlichen Satz Zustande bekam. „Hast du dir je die Frage gestellt, ob du anders bist? Ich meine nicht im guten Sinne. Ich meine eher im Sinne, dass du nicht normal bist?“ Mein Herz setzte aus und ich wagte es nicht mehr zu atmen. Inständig hoffte ich, dass er mein Gestotter richtig verstanden hatte. Wenn er jetzt nachfragen würde, bekäme ich sicher gar keinen Ton heraus. Angespannt hielt ich die Luft an und wartete. Stille. Er schien sich nicht zu regen und da mein Blick noch immer stoisch auf mein Buch gerichtet war, konnte ich auch seine Gesichtszüge nicht sehen. „Du meinst, weil ich mit Männern das Bett teile?“ Eine ja oder nein Frage ging. Nicken. Das war vergleichsweise einfach. Angespannt lauschte ich und meinte, ein Schmunzeln zu hören. Sicher war ich mir nicht. „Hm, du machst dir also über mein Sexleben Gedanken und nicht über dein eigenes.“ Seine Stimme klang belustigt, aber sanft. Er schien sich zu amüsieren, jedoch nicht boshaft. Vielleicht zögerte er die Situation absichtlich etwas heraus, bevor er weiter sprach. „Nein, das glaube ich nicht. Für mich ist es etwas gänzlich normales. Ich mache mir keine Gedanken darüber, was andere davon halten, es geht sie immerhin nichts an. Davon abgesehen, dass ich weder für Monogamie noch für Heterosexualität etwas übrig habe. Sie beide sind Druckmittel der Obrigkeit.“ Diese Worte irritierten mich so sehr, dass ich aufblickte und in sein lächelndes Gesicht sah. Diese eisblauen Augen waren direkt auf mich gerichtet und ich schnappte nach Luft. Meine Lungen brannten ebenso, wie meine Wangen. „Was?“ Entkam mir und ich bemerkte, wie ich einen Moment länger brauchte, um meinen Mund wieder zu schließen. „Wieso das?“ Setzte ich nach und versuchte zu verstehen, was mir der charmant lächelnde Kerl da eben gesagt hatte. Kaiba lehnte entspannt an der breiten Rückenlehne der Sitzbank und den linken Arm locker auf diese gelegt. Seine eisblauen Augen leuchteten und er hatte etwas unendlich Selbstsicheres in seiner Haltung. „Alles im Leben basiert auf ein und dem selben Prinzip: Drohung und Verheißung. Die aufgezwungene Monogamie und die vorgeschriebene Heterosexualität gehören in den Bereich Drohung.“ Offenbar war mein Gesichtsausdruck ausreichend überfordert, damit er weiter sprach. „Jedes Lebewesen auf dieser Welt wird von zwei Urinstinkten getrieben. Das ist das eigene Überleben und es ist das Überleben der eigenen Rasse. Ersteres bedeutet, dass wir Essen und Schlafen wollen. Alle anderen Bedürfnisse wie Selbstentfaltung oder Sicherheit sind uninteressant, wenn wir nicht Essen und Schlafen können. Der zweite Urinstinkt, das Überleben der eigenen Rasse bedeutet einfach nur die Fortpflanzung, sprich Sex. Das Verlangen mit einer anderen Person zu schlafen ist also genetisch bedingt. Warum sollte ich mich schämen, wenn ich diesem Trieb nachgehe?“ Seine Stimme hatte etwas Ruhiges und ich bemerkte, wie diese Ruhe mich selbst entspannte. „Ja, aber mit einem Mann zu schlafen, bringt ja nichts. Ich bin nicht sonderlich bewandert in diesem Bereich, aber bei zwei Männern kommen keine Kinder dabei heraus.“ Erklärte ich meine Überlegung und spürte die Hitze in meinem Kopf. Wie war ich in die Situation gekommen, dass ich mich ausgerechnet mit diesem Kerl darüber unterhielt? Kaiba hingegen lächelte etwas Selbstgefällig. „Das ist der Unterschied zwischen Menschen und Tieren. Ich kann selbst bestimmen, mit wem ich Sex habe.“ Das war eine einfache und schlichte Antwort und ich verzog das Gesicht. Sie gefiel mir nicht. Dennoch konnte ich nichts dagegen sagen. Kaiba hingegen setzte zu seinem zweiten Teil an. „Die Welt funktioniert schon seit Jahrtausenden mit den beiden Prinzipien von Drohung und Verheißung. Sie haben sich bis heute gehalten, weil sie so schlicht und effektiv sind. Dein Ausbildungsverhältnis funktioniert ebenso: Du leistest gute Arbeit, denn du weißt, dass dir sonst die Kündigung droht. Leistest du gute Abreit, wirst du im Betrieb übernommen und erhältst Sicherheit und Geld als Gegenleistung. Im großen Stil einer Dynastie funktioniert es nur, wenn eine weitere Komponente dazu kommt. Die Religion.“ Er machte eine kurze Pause und ich versuchte seine Worte zu verstehen. Wie hatten wir es von dem Thema „gleichgeschlechtlicher Sex“ über meiner Ausbildung zu den Göttern geschafft? „Die Religion ermöglicht gleich zwei Dinge. Erstens erklärt sie unerklärliches oder das, was einst einmal unerklärlich war. Das waren Naturkatastrophen, Krankheiten oder schlicht der Wechsel von Sonne und Mond am Himmel. Zweitens bieten sie oft eine Erklärung für das, was nach den Tod passiert. Auch hier bietet sich das typische Spiel, wer ein gutes, redliches Leben geführt hat, wird belohnt, wer sich schlecht Verhalten hat, wird bestraft. Jetzt wird es interessant: Was ist ein redliches Leben und wer bestimmt diese Definition? Es ist die Obrigkeit.“ Wieder ließ er mir eine Pause und ich grübelte. Es war logisch, was Kaiba da vortrug, doch was hatte nun das Leben nach dem Tode mit Sex zu tun? „Mit der Religion schafft sich die Obrigkeit ihre Legitimation. Der Kaiser, der Pharao, der König, sie alle sind von den Göttern bestimmt, auserwählt oder sogar deren Kinder auf Erden. Demzufolge diktieren sie, wie ein redliches Leben auszusehen hat, welches natürlich mit einschließt, dass sich niemand gegen die Götter stellt. Die Obrigkeit steht in klarer Verbindung zu diesen. Wer sie angreift, greift die Götter an und wird damit bestraft. Es ist ein sich selbst legitimierendes System, aus dem es kein Entkommen gibt.“ Eine vielsagende Pause trat ein und ich wartete gespannt. Jetzt sollte sich der Bogen zum ursprünglichen Thema ergeben. So hoffte ich zumindest. „Außer du stellst die Religion in Frage. Stürzt du die Götter, stürzt du die Obrigkeit. Menschen wie ich tun das. Menschen mit Geld, Zeit und Sicherheit. Ich habe keine Angst, dass morgen kein Essen auf dem Tisch steht, ich kann über die Götter und das System philosophieren. Darum will die Obrigkeit Menschen wie dich, Wheeler. Sag mir, bist du zufrieden mit deinem Leben?“ Eine böse Vorahnung traf mich, doch noch wusste ich nicht, worauf all das hinaus lief. Ehrlich antwortete ich ihm. „Ja, es ist vielleicht nicht einfach, aber ich bin weitestgehend zufrieden.“ Mein Blick lag verwundert auf seinem Gesicht und sein Lächeln wurde noch gefährlicher. „Wann hast du das letzte Mal satt und zufrieden auf deinem Sofa gelegen und dir über die aktuellen Missstände unseres Systems und die damit einhergehende Politik Gedanken gemacht?“ Erstaunt blinzelte ich. Das war weit von Sex entfernt! Verwirrt überlegte ich, zog meine Stirn in Falten. „Davon abgesehen, dass wir kein Sofa haben, noch nie! Ich habe gar keine Zeit, um mich damit auseinander zu…“ Meine Worte brachen ab. Die Yen Münze fiel. „Ich komme nicht auf die Idee, dass System zu stürzen.“ Fasste ich den Gedanken zusammen, der sich mir nun erschloss. Ich war ein ergebener Diener des Systems und auch mein neu gewonnenes Wissen würde nichts daran ändern. Ich hatte zu viel mit der Arbeit, meiner kleinen Schwester und dem winzigen Bisschen Freizeit zu tun, um in den nächsten Jahren eingehend darüber zu philosophieren. Selbst, wenn sich unsere finanzielle Situation verbessern würde, fraß eine größere Wohnung dieses wieder auf. „Die entscheidende Frage für die Obrigkeit ist also, wie sie einen möglichst großen Anteil der Bevölkerung in deiner Situation fest hält. Du besitzt ausreichend, um nicht zu rebellieren und wenig genug, um beschäftigt zu sein. Religionen mit ihren verheißenden Versprechungen bieten diese Möglichkeit. Die Obrigkeit diktiert dem Volk, wie ein religiöses, redliches Leben auszusehen hat und nutzt natürlich nur diese Regeln, die den gewünschten Zustand erhalten; der überwiegende Teil der Bevölkerung ist hörig, arm und beschäftigt damit, ein redliches Leben zu führen. Am effektivsten ist ein Druckmittel, eine Regel, die die gesamte Bevölkerung betrifft. Solltest du dich nach dem verbindenden Element fragen, wir kommen jetzt zum Anfang unserer Unterhaltung zurück. Wie zu Beginn festgestellt, ist Sex ein Bestandteil jedes Lebens, also der gesamten Bevölkerung. Die Regularien beziehen sich also unteranderem auf das Sexleben.“ Er ließ mir wieder eine Pause und ich begriff, wie mein Mund ein Stück weit offen stand. „Ein redliches Leben führt nur derjenige, der monogam und heterosexuell ist. Alle anderen werden als Sünder bezeichnet. Der Umgang mit ihnen wird ebenfalls zum Sündenfall. Angenommen du wärest ein schwuler Mann, dann wärest du damit beschäftigt, dass niemand dein Geheimnis erfährt. Wüsste dein Sensei, dass du schwul bist, müsste er dich sofort raus schmeißen, um seinen Ruf zu schützen. Dein Ansehen wäre dahin und keiner würde dich wieder einstellen. Damit verlierst du deine finanzielle Sicherheit und wahrscheinlich deine Wohnung. Deine Schwester bekäme keinen anständigen Mann, denn wer heiratet schon die Schwester eines Schwulen.“ Kurz lachte er gehässig auf, während mein Herz schwer wurde. „Die ganze Stadt würde euch als Sünder meiden. Gleichzeitig bliebe euch nichts anderes mehr übrig, als wirklich zu Sündern zu werden. Ohne finanzielles Einkommen müsstest du die Arbeiten übernehmen, die sonst keiner machen will oder die strafbar sind. Ihr würdet stehlen, erpressen, plündern. Wer weiß, vielleicht würde deine kleine, süße Schwester das einzige verkaufen, was sie noch besitzt.“ Übelkeit stieg in mir auf und ich wusste, was er damit meinte. Jetzt waren die schrecklichen Bilder weg, die Kaiba mit einem anderen Mann zeigten. Dafür sah ich stattdessen Serenity, die sich für Geld zu dem Mistkerl legte. Wie ich meine Hand auf den Mund presste, um die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken, bemerkte ich nicht. Dafür hörte ich seine Worte, die immer noch von diesem herzlosen Ton gezeichnet waren. „Religionen geben Sicherheit und helfen in den Momenten der Schwäche. Sie erlauben uns eine logische Erklärung für Unerklärliches zu finden. Sie sind aber auch ein Mittel, um die Bevölkerung zu erpressen und die Obrigkeit zu legitimieren. Ein Eingriff in unser privates Sexleben war damals ein extrem effektiver Zug und die Macht der Gewohnheit hat diesen Überzeugungen erhalten. Obwohl wir heute an viele Dinge nicht mehr glauben, bestimmen sie doch unseren Alltag. Selbst ich gehe zu Neujahr in den Tempel und tue für Mokuba so, als würde ich beten. Sollte es die Götter wirklich geben, hassen sie mich eh. Da kann ich meine Seele auch mit ein paar falschen Gebeten besudeln.“ Er lachte kurz, als ich ein würgendes Geräusch von mir gab. „Du hast auf jeden Fall zu viel Geld, Zeit und Sicherheit.“ Brachte ich hervor und zuckte zusammen, als die Stewardess mir plötzlich ein Glas Wasser auf den Tisch stellte. Ich hatte sie nicht bemerkt, noch wusste ich, woher ihre Weitsicht kam. Vielleicht hatte ich das auch Kaiba zu verdanken. Mit einem Nicken griff ich nach dem Glas und stürzte gierig das kühle Nass meine trockene Kehle herunter. Langsam setzte ich das gläserne Gefäß ab und blickte es einen Moment an, bevor ich zurück zu Kaiba sah, der noch immer dreist grinste. „Für mich hatte Sex bisher immer eher etwas mit zwei Menschen zu tun und weniger mit der Legitimierung politischer Systeme.“ Gab ich leicht krächzend von mir und spürte die Hitze auf meinen Wangen brennen. „Fällt es dir darum so leicht, über all das zu sprechen?“ Ich schluckte und senkte den Blick wieder auf das Glas, welches ich noch mit der linken umgriffen hielt. „Das war wahrscheinlich das längste Gespräch über Sex, das ich jemals in meinem Leben geführt habe.“ Kurz musste ich lachen und meine braunen Augen sahen in sein freches Gesicht. „Oder eher, der längste Vortrag. Viel habe ich ja nicht dazu beigetragen.“ „Der Trick ist ganz einfach, Wheeler. Sex ist ebenso natürlich und notwendig, wie dein tägliches Essen. Wenn du diesen Gedanken verinnerlicht hast, dann ist es dir auch nicht mehr peinlich.“ Mein Schlucken musste hörbar gewesen sein und ich schlug mit der rechten Hand mein Buch zu. Irgendwie musste ich mich bewegen, sonst kam ich aus meinem gedanklichen Karussell nicht mehr heraus. Das Arbeitsbuch schob ich auf die Mitte des Tisches und straffte meine Schultern. „Mag wohl stimmen, aber die Vorstellung ist trotzdem komisch. Wer fragt denn seine Freunde: ‚Und wann hattest du das letzte Mal Sex?‘“ Gab ich von mir und verschränkte die Arme vor der Brust. Das Polster der Rückenlehne fühlte sich weich an, als ich mich dagegen drückte. „Warum nicht?“ Kam die direkte Frage und mit einem Hochziehen der Augenbraue fügte er an. „Gestern!“ Irritiert zog ich die Stirn in Falten, bis mir die Bedeutung des Wortes „gestern“ bewusst wurde. „Gut, wenn du meinst.“ Ich atmete kräftig ein und gab mir große Mühe, dieses Mal den Blickkontakt zuhalten. Zwar schrie alles in mir auf, ein schmerzhaftes Brennen erfüllte jede Faser meines Körpers, aber ich zwang mich weiter dazu. „Mit einer Frau oder einem Mann?“ Ich hatte mir immerhin ein Versprechen gegeben, dass ich hier beweisen konnte. Nicht aufgeben, keine Angst haben! „Beides.“ War die schlichte Erwiderung und ich leckte über meine Lippen, um Zeit zu gewinnen. Meine Wangen glühten, das Blut rauschte in meinen Ohren und mir musste sehr deutlich die Verlegenheit abzulesen sein. „Die Freundin, mit der du dich gestritten hast?“ Ein Zittern lag in meiner Stimme, sein Grinsen war überragend dreist. Kaiba hatte an diesem Gespräch mehr Spaß, als an all den Demütigungen zuvor. Selbst der gestohlene Kuss von vorhin schien nicht mit dieser Unterhaltung vergleichbar zu sein. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich mich selbst geißelte und vielleicht ahnte er auch, dass mein aufgekratzter Verstand ihn mit meiner Schwester und einem anderen Mann im Bett als Hauptmotiv auserkoren hatte. Ein Dreier… ließ der Kerl denn gar keine Perversion aus? „Ja, sie heißt übrigens Viktoria. Das sollte zukünftige Gespräche leichter machen.“ Kurz schien etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und ich hörte gedämpfte Schritte. Die Stewardess kam mit einem großen Becher Kaffee und stellte diesen mit einem schlichten Lächeln auf den schmalen Tisch zwischen uns. Dann fiel ihr Blick auf mich und ich kam ihr zuvor. „Haben sie einen Jasmintee?“ Ihr Nicken reichte aus und sie verbeugte sich leicht, bevor sie ging. Nun war ich also wieder am Zug und ich stellte meine nächste Frage. „Und der Mann? Ein Bekannter oder eine zufällige Eroberung?“ Erst nachdem ich meine eigenen Worte hörte, begriff ich etwas Erschreckendes. Ich wurde neugierig! Ja, so peinlich mir dieses Gespräch auch war, es entwickelte sich in eine interessante Richtung. Warum auch immer das Sexleben Seto Kaibas etwas Interessantes war! „Keins von beiden. Ein Freund, Patrik. Ich kenne ihn und Viktoria schon einige Jahre und er ist recht häufig bei ihr, wenn ich sie besuche. Da er und ich beide bisexuell sind, ist es meines Wissens noch nie dazu gekommen, dass wir nicht gemeinsam im Bett gelandet sind.“ Es war eher eine feste Bettgeschichte. Nachdenklich ließ ich diese Überlegung in meinem Verstand reifen und erfreute mich an der Feststellung, dass meine überschäumende Phantasie wenigstens Serenity aus dieser Sexgeschichte geschmissen hatte. Es war äußerst beruhigend, nicht meine Schwester in seinem Bett zu sehen. Selbst wenn dieses Bild nur einer als abartig zu bezeichnenden Phantasie meinerseits entsprungen war. „War diese… sexuelle Komponente schon immer Teil dieser Freundschaft?“ Nur kurz hatte ich gestockt, mit jeder weiteren Frage fiel es mir leichter. Seltsam. Sein Grinsen blieb dafür und zeugte noch immer von überschwänglicher Freude. „Ja, ich weiß zwar nicht mehr genau, wie wir es zu dritt in ein und das selbe Bett geschafft haben, aber das ging damals recht schnell. Ich habe Patrik und Viktoria unabhängig von einander kennengelernt und irgendwann fanden wir heraus, dass sich die beiden ebenfalls kannten.“ Der Kerl war unerwartet gesprächig. Noch immer hatte ich meine Arme verschränkt und wusste, dass mir die Fragen ausgehen würden. Zumindest diese, die ich ihm stellen wollte. Nicht alles, was ich fragen konnte, sollte ich fragen und auf Einzelheiten des Bettgeflüsters konnte ich dankend verzichten. „Ich stelle mir das irgendwie ziemlich kompliziert vor.“ Gab ich von mir und hob dann doch gleich abwehrend die Hände. „Nein, bitte, lass diese Aussage einfach so stehen, ja!“ Das Funkeln in den eisblauen Augen erkannte ich sofort und er schien beinahe so, als hätte er nur auf solch einen Moment gewartet. „Na gut, wie du willst.“ Er schien wieder abgelenkt und nur einen Moment später erkannte ich den Grund. Die nette Dame mit den schwarzen, kurzen Haaren und dem adretten, knappen Rock kam wieder zurück. Auf einem kleinen Tablett befand sich mein Becher, etwas Zucker, eine kleine Schale und ein Löffel. Ich beobachtete sie mit einem angenehmen Gefühl im Bauch, während sie eine kleine Decke ausrollte und alles hübsch vor mir abstellte. „Danke.“ Meinte ich und sah die Sanduhr, die schon von ihr umgedreht wurde. Sie hatte für jede Minute einen kleinen schwarzen Strich und ich konnte ablesen, dass die meisten den Tee jetzt herausnehmen würden. Zwei Minuten reichten völlig aus. Ich war da anders, bei vier bis sechs Minuten mochte ich ihn lieber. Sie verbeugte sich schlicht und verschwand. Meine Gedanken wanderten derweil zu einer unerwarteten Frage. Die Dame mochte vielleicht Ende zwanzig sein, von kleiner Körpergröße, doch sonst sehr ansehnlich. Ich beugte mich leicht vor, um ihr über die Schultet hinweg nachzusehen. Nein, sie sprach mich so gar nicht an. Nicht mein Typ. Dummerweise war ich dabei zu auffällig und die nächste Frage ereilte mich mit einem erneuten Ansturm verlegener Röte. „Diesen Blick kann ich nicht ignorieren, Wheeler. Wann war dein letztes Mal? Wann hattest du das letzte Mal Sex?“ Das Rauchen des eigenen Blutes reichte nicht aus, um sein gehässiges Lachen zu überhören. Es war nicht laut, doch die Hitze auf meinen Wangen hatte ihm wohl mehr verraten, als ich wollte. „Mein… also mein letztes Mal?“ Stotterte ich. War ja klar, dass mich dieses Schicksal auch ereilte. Was sollte ich darauf antworten? Die Wahrheit war mir ein wenig zu heikel und nach all dem schämte ich mich doch ganz schön vor ihm. Kaiba war umtriebig, erfahren und ziemlich offen bei dem Thema Sex, wogegen ich…. Ich hörte mich selbst Schlucken und suchte hektisch den Tee. Ihn könnte ich nicht ansehen. Zu unangenehm. Verbittert stellte ich fest, dass meine rechte Hand zitterte, mit der ich das kleine Sieb mit den Teeblättern aus meinem Becher zog. „Bei deinem Grad an Verlegenheit muss es ja ewig her sein.“ Höhnte der Brünette von der anderen Seite und ich spürte, wie meine Wangen noch einmal an Hitze zulegten. Wenn er wüsste! Aber das würde ich ihm sicher nicht sagen. Mit einem neuen tiefen Einatmen hob ich den Blick und wagte es. Sein dreistes Grinsen war nicht breiter, als ich es erwartete. Die blauen Augen leuchteten mich mit diesem höhnischen Funkeln an, die beobachtend auf mich gerichtet waren. „Na ja, seit ich mit meiner Schwester in eine Wohnung gezogen bin, habe ich gar keine Zeit für dieses Thema. Der einzige Gedanke, den ich an Sex verschwende, ist die Sorge, dass irgendwann ein Kerl an unserer Tür klingelt und Serenity zu einem Date abholen will. Wahrscheinlich werde ich mich dann sehr zusammen reißen müssen, damit ich den Kerl nicht vermöbel.“ Erklärte ich und stellte fest, dass ich dafür einen mitleidigen Ausdruck kassierte. „Was denn? Es hat auch Vorteile. Wenn ich plötzlich als Mönch in ein Kloster müsste, fiele mir das sehr leicht. Ich lebe extrem asketisch.“ Nun war es an mir, ein fieses Lächeln aufzusetzen und ich stichelte provozierend. „So ein sexloses Klosterleben wäre sicher für dich ein absoluter Albtraum oder?“ Ich sah das kurze Entsetzen über sein Gesicht huschen und wusste, dass ich ein klein wenig Oberwasser gewonnen hatte. Zumindest für diesen winzigen Moment. „Oh ja, das ist der Stoff, aus dem meine Albträume gewebt werden.“ Gab er an und ich sah unter dem wieder auftretenden Lächeln noch immer eine gewisse Angst in seinen eisblauen Augen. „Ich kann mir definitiv kein Leben vorstellen, in dem ich nie wieder Sex hätte.“ Er schüttelte den Kopf und nun kam mir eine nette Idee. Mein breites Grinsen schien mich zu verraten, denn er hielt inne, musterte mich genau. Ich griff derweil nach meinem Teebecher und hielt ihn wärmend umklammert. Es tat gut, die Hitze auf meiner Haut zu spüren. „Wir hatten es doch vorhin mit den Göttern, die du ja sicher schon mehrfach verärgert hast. Gehen wir mal spaßhaft davon aus, dass du plötzlich vor einem solchen Gott stehst und er dich bestrafen will.“ Ich ließ diese Worte im Raum stehen und stützte mich mit den Ellenbogen auf den Tisch. Kaiba blickte mich aufmerksam an und wartete. „Er würde dich vor die Wahl stellen, eine Sache nimmt er dir, eine darfst du behalten. Entweder kannst du weiterhin der Firmenführer der Kaiba Corp. bleiben, dafür darfst du nie wieder Sex haben oder du darfst weiter umtriebig sein, verlierst aber deine Firma. Für was entscheidest du dich?“ Wenn ich dachte, dass sein Gesicht bei der Vorstellung des Klosterlebens schon entsetzt gewesen war, zeigte es nun einen Ausdruck völliger Überforderung. Die eisblauen Augen waren weit aufgerissen und ich registrierte, dass selbst sein Mund ein kleines Stück geöffnet war. Seto Kaiba war so entsetzt, dass er nicht in der Lage war, eine Antwort in seinem Gehirn zu formulieren. Mein Grinsen wurde derweil noch breiter und ich meinte leicht süffisant. „Also, was gibst du auf, dein Sexleben oder deine Firma?“ Es dauerte noch einige Atemzüge, bis sich die schmalen Lippen wieder schlossen und eine Regung über das helle Gesicht fuhr. Er schien sich noch immer zu sammeln und nur schwer sog er die Luft ein. Ich konnte sehen, wie er sich dazu zwang, seinen Blick wieder von meinem Gesicht auf den Teebescher in meinen Händen zu lenken und noch einmal hörte ich ihn tief Atmen. „Das ist eine unerwartet schwere Frage. Schließt der Verlaust meines Unternehmens auch mit ein, dass ich nie wieder ein neues gründen darf oder eines kaufen?“ Ein Lachen entkam mir und ich ahnte, worauf er hinaus wollte. Mit einem Kopfschütteln schloss ich die Augen und nahm noch einen Schluck von meinem Tee. „Schon gut, deine Reaktion reicht mir. Du bist sicher auf der Suche nach einem Weg, wie du beides behalten kannst, nicht wahr?“ Er nickte, schwieg dennoch unerwartet. „Hör zu, es ist nur eine Frage und ich muss ganz ehrlich sagen, dass es mich schockiert, dass dir Sex so wichtig ist, dass du dich nicht direkt für deine Firma entscheiden kannst. Ich lebe jetzt gefühlt seit Jahren enthaltsam und beklage mich auch nicht. Wenn deine Welt so schnell ins Wanken gerät, mache ich mir ein wenig Sorgen um dich. Nicht, dass deine Entscheidungen demnächst von deinem kleinen Kaiba getroffen werden und nicht mehr von deinem rationalen Verstand.“ Meine Augen leuchteten und zwar stieg mir bei diesen Worten gleich wieder ein Schwall Hitze in die Wangen, doch ich schaffte es, dass sich der Eisklotz wieder entspannte. Ein Lächeln huschte über seine Lippen und er lehnte sich zurück. Er hatte sich bei all dem Horror, in den ich ihn gedanklich stürzte, zu mir vorgebeugt. „Jetzt kann ich dich beruhigen, dass wird niemals passieren! Ich trenne diese beiden Dinge sehr strikt voneinander. Wen ich in mein Bett lasse, lasse ich nicht in mein Büro.“ Er hielt kurz inne. „Viktoria einmal außen vor gelassen, aber sie lässt mich immerhin auch in ihr Büro, also ist das recht ausgeglichen.“ Spielerisch zog ich meine Augenbrauen in die Höhe und verzog den Mund. „Eine Frau, die es in dein Bett und dein Büro geschafft hat? Jetzt habe ich fast ein schlechtes Gewissen.“ Gab ich leicht verlegen von mir, denn ich bereute meine Worte in der Früh. Ich kannte diese Viktoria nicht und doch hatte ich ihm geraten, sich von der Frau zu trennen. Wer war ich schon, dass ich jemandem wie Kaiba Beziehungstipps geben konnte? Meine einzige Beziehung hatte ich erfolgreich vor die Wand gefahren. Sonst hatte ich nicht einmal Sex mit einer Frau und heute stellte ich mir zum ersten Mal ernsthaft die Frage, ob ich mir meiner eigenen Sexualität so sicher war, wenn ich nicht wie ein Irrer wegen den Kuss eines anderen Mannes ausrastete. „Was meinst du?“ Fragte er kurz verwundert und schien nicht mehr ganz den Werdegang unseres Gespräches im Kopf zu haben. Vielleicht war es dumm, dieses nun wieder aufzufrischen. Mit unsicherer Stimme begann ich und meinte zurückhaltend. „Du hattest mir doch von dieser Viktoria heute Morgen erzählt und wir haben festgehalten, dass ihr beiden eine sehr böse Mischung seid. Immerhin hast du doch noch eine Rechnung mit ihr offen oder?“ Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob er noch etwas sagen wollte. Er sah mich nur still an und aus seinem Gesicht war für diese Zeit alle Freude verschwunden. Kurz wich sogar der Blick der eisblauen Augen den meinen aus und er starrte aus dem Fenster. „Du hast das nicht wirklich vor oder? Ich meine, heute Abend noch eine Frau so… medienträchtig ins Bett zu bekommen?“ Fragte ich vorsichtig und hielt ein wenig den Atem an, als die eisblauen Augen wieder zu mir fanden. Sie wirkten plötzlich so verschlossen, ernst und… verletzt? Ich blinzelte und war mir nicht sicher, ob ich den Ausdruck so verstehen konnte. Dennoch wirkte er wie angeschlagen, verwundet und diese Schicht aus dickem Eis war wieder über seine Gefühle gelegt. Es war der gleiche Ausdruck, den ich auch schon am letzten Abend gesehen hatte, als er aus Großbritannien zurück gekehrt war. „Dafür ist es etwas zu spät, Wheeler.“ Selbst seine Stimme hatte wieder diesen schneidenden, kalten Ton und ich zuckte leicht zusammen. Was hatte denn diese Frau für einen schlechten Einfluss auf ihn, dass alles so unerwartet schnell kippte? „Ich habe vorhin mit Kamli geschrieben. Er ist ein Freund, den wir in Dubai treffen. Er schlug mir vor, dass wir heute Abend ausgiebig feiern gehen. Ich habe ihm zugesagt. Musik, Drinks und Frauen, so ist der Plan für heute Abend.“ Ich wusste, dass ich nur der dumme Sekretär, nur der dumme Hund war, mit dem er aktuell spielte, aber ich war mir in diesem Moment sicher, dass er das nicht wollte. Er würde es tun, ja, auf jeden Fall. Sich betrinken, feiern, flirten, aber es war nicht das, wonach er sich wirklich sehnte. Wäre es anders, hätte er dabei nicht so verloren geklungen. Sein Blick schien weit entrückt und ohne noch etwas zu sagen, zog er den Laptop wieder zu sich heran. Ich wurde ignoriert. Vielleicht war das besser so. Für einen flüchtigen Moment hatte ich das Gefühl, dass mich ein Schauer der Vorahnung packte und erzittern ließ. Der Abend würde böse werden. Vielleicht war es nur Einbildung, aber hier geschah etwas mit Kaiba, dass ihm nicht gut tat. Viktoria… wer war sie, dass sie diesen Mann so beeinflussen konnte, ihn so aus dem Gleichgewicht brachte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)