Orientierte Offenbarung von Varlet ================================================================================ Kapitel 1: Was damals geschah ----------------------------- Versteckt in der Dunkelheit beobachtete Vermouth in ihrem schwarzen Wagen argwöhnisch das Haus der Familie Starling. Während sie das Foto des Agenten, welches an ihrem Rückspiegel hing, betrachtete, krallte sie sich mit den Händen in das Lenkrad. Sein Gesicht war mit einem roten X verziert und stellte ihr neuestes Ziel dar. Hätte sie vor einigen Jahren nicht mit der Schauspielerei begonnen, wäre sie nie soweit in ihrem Leben gekommen. Vielleicht wäre sie jetzt auch zu Hause und würde in einem Buch lesen oder einen Film schauen. Doch es kam anders. Mittlerweile war sie in den Staaten berühmt und drehte regelmäßig Filme oder Werbespots. Langsam arbeitete die Organisation – die sie förderte und stets im Auge hatte – daran, dass sie auch in Japan Karriere machte. Eigentlich wollte sie nur durch ihre Hilfe aufsteigen und ihnen dann den Rücken kehren, aber so leicht ließ sich die Organisation nicht austricksen. Dennoch arbeitete sie heimlich an einem Ausstiegsplan, baute sich ein zweites zu Hause auf und richtete sich unter verschiedenen Pseudonymen verschiedene Wohnungen ein. Käme es irgendwann hart auf hart, würde sie einfach untertauchen können. Aber eigentlich war dieser Plan total unnötig, denn die Organisation wusste immer wenn sie aussteigen wollte und ließ ihr ein eindeutiges Zeichen zukommen. Obwohl Vermouth mittlerweile einen hohen Stellenwert in der Organisation genoss, kannte sie noch nicht jedes Mitglied. Gerade die japanischen Anhänger schienen ihr noch nicht vollkommen zu vertrauen. Und damit hatten sie recht, denn insgeheim sammelte die Schauspielerin Informationen über ihren Boss. Irgendwann würde sie ihn zu Fall bringen. Irgendwann. Aber jetzt befand sie sich in der Bredouille. Nachdem sich ihr Leibwächter eine Kugel einfing, war er auf eine tägliche Krankenversorgung angewiesen. Ihr Manager drängte auf einen zeitnahen Ersatz und so hatten sie Agent Starling – unter einem falschen Namen – angeheuert. Sie waren zwar vorsichtig und ließen ihn von oben bis unten überprüfen, konnten aber nichts finden, was auf seine Tätigkeit beim FBI schließen ließ. Starling war immer in ihrer Nähe und verbrachte mehrere Monate mit ihr. Je mehr Zeit verging, desto besser schien er zu wissen, welche Knöpfe er drücken musste, damit sie plauderte wie ein altes Waschweib. Sich die Probleme von der Seele reden, tat ihr gut und sie fühlte sich nach langer Zeit befreit. Aber dann hatte sie durch Zufall von seiner Familie erfahren und konnten über diese seine wahre Identität herausfinden. Selbstverständlich wurde ihr die Schuld an allem gegeben, weswegen auch sie diesen Fehler aus der Welt tilgen sollte. Vermouth warf einen Blick in den Spiegel. Bald, bald würde sie ihre Rache bekommen. Gerade als die Schauspielerin die Wagentür öffnete, öffnete sich auch die Tür des Hauses der Familie Starling. Starlings Frau kam mit der kleinen Tochter – die am Weinen war – nach draußen gelaufen und setzte das Kind in den Wagen. Anschließend stieg sie selbst ein und fuhr los. „Interessante Wendung“, murmelte Vermouth, stieg aus und schlug die Wagentür zu. Eigentlich hatte sie geplant, die Frau des Agenten umzubringen und sie in dem Ehebett entsprechend zu drapieren, ehe sie sich um den Agenten kümmern wollte. Jetzt musste sie den Plan ändern und einen anderen Weg finden um sich zu rächen. Zum Glück war sie gut im improvisieren. Schmunzelnd steckte sich die Schauspielerin die Haare hoch, setzte eine schwarze Kappe auf und machte sich auf den Weg zum Haus. Nach einem sehr langen Tag im Büro betrag FBI Special Agent Starling endlich sein zu Hause, hing seine Jacke an den Kleiderständer und zog die Schuhe aus. Obwohl er eigentlich nur eine Besprechung hatte, wurde er den ganzen Tag im Büro aufgehalten. Kaum war er einem Kollegen begegnete, wurde er gleich in die nächste Besprechung gezogen oder um Rat gebeten. Zum Glück hatte er eine verständnisvolle Ehefrau, die die Wichtigkeit seiner Arbeit verstand und ihm den Rücken stärkte. Allerdings wusste er, dass diese auch gern wieder in Vollzeit arbeiten wollte. Seine Frau war Krankenschwester und liebte ihren Beruf und die damit verbundene Unabhängigkeit. Hörte man die Geschichte ihres Kennenlernens, dachte man an das typische Klischee: verletzter Mann wird von hübscher Krankenschwester gepflegt. Nach der Geburt von Jodie blieb sie die ersten Jahre zu Hause, aber seitdem Jodie im Kindergarten war, arbeitete sie Halbtags wieder im Krankenhaus. Aufgrund seiner nicht regelmäßigen Arbeitszeiten und seinen Abwesenheiten konnte sie allerdings keine weiteren Schichten übernehmen. Es tat ihm leid, aber er konnte nicht einfach so kürzer treten – vor allem deswegen nicht, da er immer noch in einem brisanten Fall steckte. Um Jodie nicht zu wecken, machte er sich auf Zehenspitzen auf den Weg in die Küche. Die Wahrscheinlichkeit, dass seine kleine Tochter noch wach war, lag bei 50%, da sie immer versuchte bis zu seiner Heimkehr durchzuhalten. Sie hatte es bisher nur selten geschafft, aber ihre Mutter ließ sie dennoch im Wohnzimmer warten. So konnte er Jodie wenigstens noch sehen, wenn er nach Hause kam und sie ins Bett tragen. Agent Starling freute sich bereits auf seinen Urlaub. Dieses Mal wollte er mit der Familie wegfahren und sein Handy ausgeschaltet lassen. Er nahm sich sehr viel vor und es würde nicht lange dauern, bis sein Fall abgeschlossen war. Hoffentlich. Morgen würde er die Schauspielerin Sharon Vineyard in ihrem Hotel abholen und wieder ihren Leibwächter spielen. Danach würde er… Was er danach tun würde, wusste keiner. Er brauchte noch mehr Informationen, ehe sie die Organisation stürzen konnten. Aber er wusste, dass es irgendwann so weit wäre. Er würde die Welt für seine kleine Tochter sicherer machen. „Bin wieder zu Hause“, sagte er und blickte in die leere Küche. Normalerweise war seine Frau dort, wenn sie durch das Fenster im Wohnzimmer die Scheinwerfer seines Wagens in der Einfahrt sah und bereitet das Abendessen vor. Dass ihr Wagen nicht dastand, hatte er zwar bemerkt, aber manchmal nutzte sie auch die Garage. Irritiert wollte er wieder den Raum verlassen, als ihm ein Zettel auf dem Küchentisch auffiel. Starling trat näher an diesen heran. Jodie ist gestürzt und hat starke Schmerzen im Arm. Ich fahr mit ihr ins Krankenhaus. Das Essen steht in der Mikrowelle. Liebe dich. Sachte strich er über das kleine Herz am Ende der Nachricht. Der Agent lächelte und nahm sein Handy heraus. Eifrig tippte er eine Nachricht an seine Frau. Geht es Jodie gut? Soll ich euch abholen? Ich liebe dich auch. Zusätzlich schickte er ihr ein Kuss-Smiley. Er entschied später zu Essen und ging nach oben in das Arbeitszimmer. Als er dieses betrat, seufzte der Agent leise auf. Wäre er damals doch nur über die Langlebigkeit des Auftrages informiert worden, hätte er ihn nicht angenommen. Stattdessen hätte er seinem Partner und besten Freund – James Black – den Vortritt gelassen. Nun aber war es zu spät und er konnte seinen Einsatz nicht mehr abbrechen. Wenigstens wusste er warum er das alles tat: Jodie sollte eine unbeschwerte Kindheit haben und nicht in Angst leben müssen. Und genau das würde früher oder später passieren, sollte die Organisation an immer mehr Macht gelangen, sodass man bald nicht mehr Freund vom Feind unterscheiden konnte. In einem seiner schlimmsten Szenarien wurden auch alle Bundesbehörden von ihnen kontrolliert. Damals war er noch ganz anders. Er war ein Draufgänger und lebte von einem Tag in den nächsten. Seine Arbeit führte er zwar weiterhin ordnungsgemäß aus, aber irgendwann hatte ihm der weitere Ansporn gefehlt. Er hatte viel zu viel gesehen, aber mit Jodies Geburt hatte sich alles geändert. Dieses kleine Wesen hatte einen anderen Menschen aus ihm gemacht und wer wusste schon, wann sie noch ein Geschwisterchen bekommen würde. Vielleicht würde er sogar der Arbeit beim FBI den Rücken kehren und nur noch als Berater tätig sein. Seine Pläne hatte er noch nicht mit seiner Frau besprochen, da er zuerst seinen aktuellen Auftrag zu Ende bringen wollte. Doch sie würde ihn verstehen – sie verstand alles. Starling betätigte den Lichtschalter, dann hörte er ein Geräusch. Ein Schuss und im nächsten Augenblick lag er am Boden. Die rote Flüssigkeit begann sich zu verteilen und er spürte, wie ihn langsam seine Kräfte verließen. Vermouth ging auf ihn zu. „Eigentlich wollte ich das alles ja auskosten“, begann sie und kniete sich zu ihm runter. „Und wie gerne hätte ich darauf gewartet, dass deine Familie auch hier ist. Leider konnte ich mich nicht zurückhalten.“ „Mist…stück…“, wisperte er. „Oh, das ist aber nicht nett von dir“, gab die Schauspielerin von sich. „Dabei haben wir uns doch immer so gut verstanden.“ „Wie…wie kommst…woher…?“ „Willst du jetzt wirklich mit mir darüber reden, wieso ich hier bin?“ Sie schmunzelte. „Einmal FBI Agent, immer FBI Agent. Aber das ist schon sehr bald Geschichte.“ Agent Starling hustete. „Eigentlich kannst du froh sein, dass deine Familie nicht hier ist. So haben sie wenigstens die Chance zu überleben. Außer sie kommen natürlich nach Hause, ehe ich alles in Schutt und Asche gelegt habe.“ „N…ei…n…“ „Du hast eine beachtliche Sammlung an Akten über uns. Du verstehst doch, dass ich alles zerstören muss“, sagte Sharon ruhig und gab einen weiteren Schuss auf den Agenten ab. „Sayonara“, murmelte sie mit einem Lächeln. Sie nahm ihm seine Brille ab und steckte sie ein. Es war eine Trophäe, die sie immer an ihren Sieg erinnern sollte. Langsam stand Vermouth wieder auf und verließ den Raum. Da sie den Keller - in welchen sich die Akten über die Organisation befanden – bereits vorbereitet hatte, holte sie ihre restlichen Sachen aus dem kleinen Abstellraum im Erdgeschoss. Mit dem Benzinkanister in der Hand ging sie ins Wohnzimmer und verteilte die Flüssigkeit auf den Möbeln. Danach zog sie eine Spur in Richtung Keller. Anschließend holte sie eine Packung Streichhölzer aus ihrer Tasche und zündete eines an. Sorgsam betrachtete sie die Flamme, ehe sie das Streichholz auf den Boden warf. Sofort setzte sich das Feuer in Gang und folgte den Spuren des Benzins. Mit schnellen Schritten eilte Vermouth aus dem Haus und machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen. Ein letztes Mal warf sie einen Blick nach hinten und beobachtete, wie die Flammen langsam alles zerstörten. Mit Stolz betrachtete Jodie den Gips an ihrer linken Hand. „Papa wird Augen machen“, erzählte sie. „Und nicht glauben, dass ich mir die Hand wirklich gebrochen habe.“ Ihre Mutter sah kurz zu ihr und lächelte. „Dein Papa ist bereits zu Hause und wartet auf uns.“ Jodie machte große Augen. Durch ihren kleinen Unfall und den ganzen Trubel im Krankenhaus war sie nun nicht nur wach, sondern auch aufgekratzt. „Dann kann Daddy mir die versprochene Gute Nacht Geschichte vorlesen“, sagte sie glücklich. „Ja, das kann er“, erwiderte Angela. „Ich freu mich so“, gab Jodie von sich. „Wenn wir zu Hause sind, putzt du dir aber noch einmal die Zähne. Ich hab gesehen, dass du von Schwester Rose Bonbons bekommen hast.“ „Och menno“, murmelte Jodie. „Keine Widerworte. Dein Papa wird dir das gleiche sagen“, entgegnete ihre Mutter. Je näher sie ihrem Haus kam, desto heller wurde es draußen. „Merkwürdig“, murmelte sie. „Was ist denn, Mama?“, wollte Jodie wissen. „Nichts. Alles in Ordnung“, log die Frau. Nun waren auch Sirenen zu hören und ein ungutes Gefühl erfasste sie. Sie hatte gelernt damit zu leben, dennoch machte sie sich immer Sorgen um ihren Mann, vor allem wenn die Polizei oder Sanitäter in der Nähe waren. Gerade als sie in die kleine Straße einbiegen wollte, die zu ihrem Haus führte, entdeckte sie einen Polizisten, der den Weg absperrte. Angela kurbelte das Fenster runter. „Entschuldigung? Ich müsste hier reinfahren.“ „Das können Sie nicht“, fing der Mann an. „Die Feuerwehr löscht dort hinten einen Brand.“ „Einen Brand? Nein, das kann nicht…“ Es war unmöglich, dass es sich um ihr Haus handelte. Aber vielleicht hatte sie auch in der Eile und Sorge um Jodie den Herd angelassen. Angela schluckte. „Ich wohne dort hinten“, wisperte sie und zog den Ausweis aus ihrer Handtasche. Der Polizist betrachtete das Schriftstück. „Dann fahren Sie durch. Aber bitte behindern Sie nicht den Einsatz.“ „Danke“, murmelte sie und fuhr die Straße entlang. Je näher sie ihrem Haus kam, desto mehr war auf dieser los. Nachbarn standen in Bademänteln in der Nähe und beobachteten die Löschmaßnahmen, Sanitäter verarzteten verletzte Ersthelfer und die Polizei begann mit der Befragung. „Jodie, bleib bitte im Wagen“, begann Angela und stieg aus. „Das ist die Frau“, sprach einer der Nachbarn und wies auf sie. Schockiert sah Angela zu ihrem Haus. Die Flammen loderten. „Das kann nicht…das darf nicht…“ Der Polizist kam auf sie zu. „Ma’am? Wohnen Sie in dem Haus?“ Angela nickte, hörte aber nicht wirklich zu. „Wissen Sie, ob jemand im Haus war?“ Sie schluckte. „Ma’am? Ist Ihnen bekannt, dass jemand im Haus war?“ „Mein Mann…wo…wo ist mein Mann…?“, wollte sie wissen und sah sich panisch um. „Liebling…Liebling…wo bist du?“ Mit einem Mal atmete sie schneller. In ihrem Kopf drehte sich alles und ihre Beine zitterten. „Ma’am, bitte, Sie müssen ruhig bleiben.“ Der Polizist winkte einen Sanitäter her. Mit zitternden Händen zog Angela ihr Handy aus der Tasche heraus und wählte die Nummer ihres Mannes. The person you have called is temporary not available. Please call again later… Angela schluckte. Bestimmt hatte es ihr Mann nach draußen geschafft und half jetzt so gut es ging. Vielleicht war sein Handy im Haus, sodass sie ihn nicht erreichen konnte. Es musste ihm einfach gut gehen. „Nein“, wisperte Angela und versuchte es ein weiteres mal. The person you have called is temporary not available. Please call again later… „Bitte nicht…“ Wieder wählte sie eine Nummer. „Black.“ „Ang…ela…hier.“ Doch mehr konnte sie nicht sagen. James wurde hellhörig. „Angela, ist etwas passiert?“, wollte er wissen. Angela blickte wieder auf das Haus. „Es…brennt…das Haus…es brennt…“, brachte sie heraus. „Mein Mann…wo ist…mein Mann…“ Sie hielt dem Druck nicht mehr stand, ihre Füße trugen sie nicht mehr und sie sackte auf den Boden. „Ma’am? Ma’am?“ Angela bekam das, was um sie herum passierte, nicht mehr mit. Sie konnte nicht einmal mehr sagen wo sie ihren Wagen abgestellt hatte, aber das war egal, denn die kindliche Stimme würde sie überall erkennen. Und sie wurde immer lauter. „Mommy…“ Jodie hatte es im Wagen nicht mehr ausgehalten und kam zu ihr gelaufen. „Mommy…“ Jodie fiel ihrer Mutter verängstigt in die Arme und schluchzte. „Ich bin da…Mommy ist da…“, wisperte Angela. Kapitel 2: Der frühe Vogel -------------------------- Normalerweise hatte Jodie ihre Nervosität gut im Griff, aber der erste Tag als FBI Agent stellte alles in den Schatten, was sie bisher erlebt hatte. Nachdem sich Jodie schließlich dreimal umgezogen hatte, kam sie die Treppe nach unten und betrat die Küche. Angela stand am Waschbecken und kümmerte sich um den Abwasch ihres Frühstücks. „Guten Morgen“, begrüßte Jodie ihre Mutter. Sie war zwar vor mehr als einem Jahr in ihre eigenen vier Wände gezogen, kam aber regelmäßig an den Sonntagen nach Hause, wo sie gemeinsam aßen und über alles Mögliche sprachen. Damit Jodie auch jederzeit in das neue Haus kommen konnte, behielt sie ihren Schlüssel, benutzte diesen aber nur in einer Ausnahmesituation. Eine solche Situation trat während der letzten Nacht auf. Jodie lag in ihrem Bett, starrte die Decke an und fand keinen Weg um einzuschlafen. Sie malte sich die verschiedensten Szenarien von ihrem ersten Arbeitstag beim FBI aus und geriet in Panik. Schließlich begann sie, die Kleidung für den nächsten Tag anzuprobieren und wurde nur noch nervöser. Daraufhin war sie – mit einer gepackten Tasche - zu ihrer Mutter gefahren. Da das Licht nicht mehr brannte, hatte sie ihren Schlüssel benutzt und auch wenn Jodie versucht hatte, so leise wie möglich zu sein, wurde sie erwischt. Wenigstens gab es dadurch am nächsten Morgen keine Überraschungen. „Guten Morgen“, lächelte Angela. „Hast du einigermaßen schlafen können?“ „Ging so“, murmelte Jodie und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. „Es war eine kurze Nacht.“ Jodie nippte an der schwarzen Flüssigkeit, ehe sie die Tasse auf die Arbeitsfläche zurückstellte. Sie sah an sich herunter. Nach mehreren Anläufen hatte sie sich für eine schwarze Hose und eine weiße Bluse entschieden. „Kann ich so ins Büro fahren?“, wollte sie wissen. Angela musterte ihre Tochter. „Das steht dir ausgezeichnet“, fing sie an. „James kann dich nachher bestimmt mitnehmen.“ Jodie verdrehte die Augen. James Black war der beste Freund ihres Vaters und sein Partner während der Arbeit beim FBI. Sie hatten sich damals in Quantico kennengelernt und gingen seither durch dick und dünn. Vor dem Tod ihres Vaters brachte er ihr oft Geschenke mit, erzählte ihr Gute-Nacht-Geschichten und spielte mit ihr. Er war der perfekte Onkel. Nachdem ihr Elternhaus in Schutt und Asche gelegt worden war, hatte sich James unverzüglich auf den Weg zur Familie gemacht. Wie auch ihre eigene Mutter war er auf die Knie gefallen und starrte das brennende Haus schockiert an. Anders als sie – denn sie hofften immer noch, dass der Agent heil aus dem Haus kam - hatte Black sofort das Ausmaß des Brandes realisiert. Er wusste genau, warum sein bester Freund sterben musste und wer dafür verantwortlich war. Aber offiziell hieß es, dass das Feuer aufgrund eines Unfalls im Haus wütete und der Familie konnte man nichts anderes sagen, als dass Agent Starling in Ausübung seiner Pflicht verstorben war. Sie hatten anfangs zwar auch versucht Angela anzulügen, aber die Krankenschwester durchschaute schnell das falsche Spiel. Nachdem auch Jodie damals endlich begriff, dass ihr Vater nicht mehr am Leben war, hatte sie oft und viel geweint. Sowohl ihre Mutter als auch James gaben sich viel Mühe mit ihr, doch als sie eines Nachts mitbekam, dass sich ihre Mutter in den Schlaf weinte, nahm sich Jodie vor, stark zu sein. Sie stellte ihre Gefühle und Emotionen hinten an und versuchte so oft wie es ging zu Lachen. Es war zwar ein falsches Lachen, aber irgendwann glaubte sie selbst, dass es ihr besser ging. Dennoch fing Jodie immer an zu weinen, wenn sie alleine war oder unter ihrer Bettdecke lag. Ob ihre Mutter davon gewusst hatte, war ihr nicht klar. Doch das Leben ging weiter. Es musste weitergehen. Seit dem ersten Abend waren sie in der Obhut des FBIs gewesen. Einige Tage später konnten sie bei James unterkommen und lebten eine Weile mit ihm zusammen. Seine Wohnung war eigentlich viel zu klein für drei Personen gewesen, aber sie hatten es geschafft sich irgendwie zu organisieren. Für die Außenstehenden sahen sie sogar wie eine kleine Familie aus und die ersten Gerüchte wurden gestreut. Einige behaupteten, dass der Brand im Hause der Starlings von James oder Angela gelegt wurde, andere hingegen waren sich sicher, dass sich Agent Starling rächen wollte und dabei gestorben war. James und Angela ignorierten die Gerüchte und machten sich stattdessen auf die Suche nach einer größeren Wohnung. Als ihre Pläne langsam konkreter wurden und sie sogar ein großes Haus fanden, merkten Beide, dass es so nicht weiter gehen konnte. Nach fast zwei Jahren zog Angela schließlich mit ihrer Tochter aus und sie mussten sich an ein neues Leben gewöhnen. So musste Angela fortan für Jodie Mutter und Vater sein, konnte aber immer mit der Unterstützung des FBIs rechnen, besonders dann wenn sie arbeiten musste und keiner nach der Schule auf Jodie aufpassen konnte. Da das FBI annahm, dass auch Jodie und ihre Mutter zum Ziel der Organisation werden würden, stellten sie diese unter Beobachtung. Sämtliche Klassenkameraden von Jodie, deren Eltern, die Lehrer und andere Schüler wurden genauestens unter die Lupe genommen. Zusätzlich wurden die Kollegen von Angela im Krankenhaus überprüft. Glücklicherweise konnte kein Zusammenhang zur Organisation gefunden werden. Bereits früh hatte James dafür gesorgt, dass Jodie die Möglichkeit bekam die besten Schulen zu besuchen und eine gute Ausbildung zu erhalten. Er stand ihr immer zur Seite und manchmal unterstützte er sie sogar dann, wenn sie bestimmte Dinge von ihrer Mutter wollte. Mit der Zeit wurde James so eine Art Ersatzvater für sie und Jodie war ihm für seine Hilfe dankbar. Hätte er sich nicht so oft für sie eingesetzt, wäre ihr Leben vielleicht anders verlaufen. Doch dann hatte sich einiges verändert. Durch einen Zufall fand Jodie die Wahrheit über den Tod ihres Vaters heraus. Seit sie wusste, dass er ermordet wurde, hatte sie oft nach seinem Mörder gefragt. Als sie schließlich erfuhr, dass dieser immer noch frei herumlief, hatte sie sich geschworen in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und seinen Mörder zu fangen. Es gab sogar Tage an denen sie bei James im Büro stand und die Wahrheit verlangte. Manchmal besuchte sie ihn sogar zu Hause und versuchte in seinem Arbeitszimmer an Unterlagen oder Hinweise zu gelangen. Doch es endete immer auf die gleiche Art und Weise: James schwieg und sie konnte niedergeschlagen wieder nach Hause fahren. Als ihre Mutter von ihrem Berufswunsch erfuhr, hatte James ihr zur Seite gestanden und die positiven Aspekte aufgezählt. Letzten Endes musste sich Angela damit arrangieren – fürs erste, denn die Ausbildung zum FBI Agenten war hart und erforderte eine jahrelange Vorbereitung. Nicht jeder war dafür geschaffen und es wurde noch oft ausgesiebt. Allerdings wurde Jodie von James und den ehemaligen Kollegen ihres Vaters unterstützt und als schließlich die Zusage für die Ausbildung in Quantico kam, war ihre Mutter am Boden zerstört. Als Jodie die Stelle in der Niederlassung in New York bekam, wurde es sogar schlimmer. Auf einmal sah sie ihre kleine Tochter in Gefahr schweben. Und auch wenn Jodie und James sich lange mit ihr zusammensetzten, hatte Angela weiterhin Angst um ihre Tochter. Dennoch wusste sie, dass sie Jodie nicht immer beschützen konnte und dass das Mädchen ihre eigenen Erfahrungen sammeln musste. Wäre es doch nur wirklich so einfach gewesen. Während ihrer Schulzeit war Jodie immer das Mädchen mit dem toten Vater und während der Ausbildung in Quantico war sie die Tochter des toten Agenten. Jedes Mal wurde sie anders behandelt. Während einige sie immer nur mitleidig anblickten, waren andere von den Verdiensten ihres Vaters begeistert. Wieder andere sprachen von Vetternwirtschaft beim FBI und gingen entsprechend hart mit Jodie ins Gericht. Aber am Ende zählte nur, dass sie die Ausbildung erfolgreich absolvierte und endlich als FBI Agentin arbeiten durfte. Doch mit einem Mal kamen die gemischten Gefühle auf. Einerseits freute sie sich dort zu arbeiten, wo auch ihr Vater tätig war und irgendwann sogar sein Büro beziehen zu können. Andererseits hatte sie die Sorge, dass man sie auf ihren Namen und ihre Verbindung zum FBI reduzieren würde. Am Ende konnte sie nur abwarten und schauen, was passieren würde. Würde sie sofort Aufträge bekommen, die eine Nummer zu groß waren, würden die Kollegen immer über sie reden. Gab man ihr hingegen gar keine oder niedere Aufträge, konnte dies bedeuten, dass sie nichts konnte und ohne ihre Beziehungen zum FBI nie soweit gekommen wäre. Und auf James wollte sie sich auch nicht stützen. Nicht mehr. Eigentlich hatte sie ihn immer gemocht. Nur leider hatte er während ihrer Ausbildung in Quantico eine Beziehung mit ihrer Mutter angefangen. Zufällig erfuhr Jodie dann auch noch, dass es zwischen den Beiden bereites viel früher knisterte und sie auf sie Rücksicht nahmen. Aber je länger Jodie in Quantico war, desto öfters suchte Angela die Nähe zu James. Und dann war alles anders geworden. Auch für Jodie, denn mit einem Mal stellte sie sich die Frage, ob James nur Pluspunkte bei ihr sammeln wollte oder ob er bereits die ganze Zeit an seinem Status als ihr Stiefvater arbeitete. Dennoch konnte sie es ihrer Mutter nicht verübeln, immerhin hatte sich diese all die Jahre für Jodie aufgeopfert und keinen Mann in ihr Leben gelassen. Aber warum musste es ausgerechnet James Black sein? Warum der beste Freund ihres Vaters? Und dann ging er auch noch in ihrem zu Hause ein und aus, übernachtete und wohnte dort sogar. Als wäre das nicht genug verlief die letzte Woche mehr als suspekt. Zuerst begegnete sie einem Fremden immer mal wieder, sodass nicht mehr an einen Zufall glaubte. Wäre es in Richtung Flirt gegangen, hätte sie sich geschmeichelt gefühlt, aber nicht jede Begegnung war nett verlaufen. Doch sobald sie Fragen stellen oder ihm folgen wollte, war er verschwunden. Zudem fühlte sie sich seit längerem verfolgt, hatte aber gehofft, dass es nur ein weiterer Test des FBIs war und vor ihrer Mutter und James geschwiegen. „Jodie?“ Die Angesprochene wurde aus ihren Gedanken gerissen. „Mhm? Ja?“ „Ich hab vorgeschlagen, dass dich James nachher mitnimmt.“ Jodie sah ihre Mutter skeptisch an. Was sollte sie antworten, um Angela nicht vor den Kopf zu stoßen? Denn wenn Jodie ehrlich war, wollte sie nicht mehr so viel Zeit mit James verbringen. „Ehrlich gesagt, halte ich das für keine gute Idee“, fing sie an. Als hätte er gewusst, dass sie über ihn sprachen, betrat James die Küche. „Guten Morgen“, grüßte er die beiden Frau. Auch ihm war eine gewisse Unsicherheit anzumerken, sodass er auf einen Kuss mit Angela verzichtete. „Morgen“, murmelte Jodie. „Guten Morgen“, lächelte Angela. „Würdest du Jodie nachher ins Büro mitnehmen?“ „Mom!“ Jodie seufzte. „Ich kann auch alleine fragen. Und außerdem müssen die anderen Agenten doch nicht wissen, welche Beziehung ich zu James hab. Es reicht doch schon, wenn ich andauernd als Agent Starlings Tochter bezeichnet werde. Wenn die anderen jetzt noch denken, dass ich eine Extrabehandlung bekomme, kann ich den Dienst gleich quittieren. Außerdem muss ich eh früher los.“ James beobachtete Jodie nachdenklich. „Ich kann deine Sorge gut verstehen. Es gibt im Büro tatsächlich viele, die schon gespannt auf dich sind.“ „Das mein ich…“, entgegnete Jodie leise. „Es gibt sicher genug, die viel von mir erwarten und andere, die darauf warten, dass ich versage. Das macht mir alles natürlich keinen Druck“, spottete sie. „So schlimm wird es schon nicht sein“, warf Angela ein. Jodie zuckte mit den Schultern. „Und James? Bitte behandel mich im Büro wie jeden Anderen auch. Ich bin neu und wenn ich Fehler mache, möchte ich, dass du auch entsprechend reagierst und mich nicht in Schutz nimmst. Ist das in Ordnung?“ „Natürlich“, nickte der Ältere. „Ich werde dich nicht schonen.“ „James!“ „Mom!“ James sah seine Freundin an. „Ich weiß, dass du besorgt bist, aber Jodie hat Recht. Wenn ich sie anders behandel, wird sie es noch schwerer haben.“ Angela seufzte. „Ihr habt ja recht…“, murmelte sie. „Ich mach mir aber trotzdem Sorgen um sie. Ihr Vater…“ „Das musst du nicht“, entgegnete James. „Jodie ist neu und wird nicht gleich am ersten Tag einen Auftrag bekommen, der sie in die Bredouille bringt. Außerdem kriegt sie einen Agenten als Mentor zur Seite gestellt.“ „Hast du gehört, Mom? Ich kriege einen Aufpasser.“ Jodie warf einen Blick auf die Uhr. „Und jetzt muss ich los. Die Neulinge bekommen noch eine Einführung, ehe es losgeht. Ich erzähl heute Abend wie es gewesen war“, fügte sie hinzu und ging aus der Küche. Im Flur zog sich Jodie ihre Jacke und Schuhe an und verließ das Haus. Mit gemischten Gefühlen machte sich die junge Agentin auf den Weg zu ihrer neuen Arbeitsstelle und fragte sich, was die Zukunft für sie bereit hielt. Kapitel 3: Einweisung --------------------- Obwohl Jodie der Weg zum Büro sehr lang vorkam, hatte sich ihre Nervosität immer noch nicht gelegt. Je mehr Zeit sie auf der Straße oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln verbrachte, desto schlimmer wurde es, da sie erneut alle verschiedenen Szenarien zu ihrem ersten Tag vor Augen hatte. Entweder es würde ein ruhiger Tag werden, was hieß, dass es eine Belehrung und Einweisung gab, danach den Rundgang durch das Gebäude und am Ende würde sie endlich ihrem neuen Partner vorgestellt werden. Anschließend würde sie nur am Schreibtisch sitzen, Dokumente lesen und Unterlagen wegsortieren. Oder aber es würde chaotisch werden und sie würde nicht einmal fünf Minuten zum verschnaufen haben. Vielleicht bekam sie sogar direkt ihren ersten Auftrag und musste sich eingestehen, dass die Arbeit beim FBI nichts für sie war. Auch wenn Jodie normalerweise keine Probleme mit Druck hatte und auch in jeder Stresssituation einen kühlen Kopf bewahren konnte, kam sie nicht umher, sich nun ihr Versagen vorzustellen. Außerdem gab es auch noch gewisse Erwartungen in die Tochter von Agent Starling, was hieß, dass es nicht einfach für sie werden würde. Aber Jodie wusste ganz genau was sie wollte und dieses Ziel durfte sie nicht aus den Augen verlieren. Sie musste alles in ihrer Macht stehende tun, um den Tod ihres Vaters aufzuklären, zu rächen und um seinen Mörder hinter Gittern zu bringen. Natürlich wusste die junge Agentin, dass es nicht einfach werden würde und dass sie noch einen langen Weg vor sich hatte. Auf ihren Partner war sie schon sehr gespannt gewesen. Selbst James hatte ihr bisher nur wenig zu ihm erzählt. So wusste sie nicht, ob der Agent älter war und ob er bereits mit ihrem Vater zusammen gearbeitet hatte oder ob es ein eher jüngerer Kollege werden würde. Vielleicht kannte er sogar den Fall an dem ihr Vater gearbeitet hatte und vielleicht war es auch sein Ziel, diesen Fall endlich aufzuklären. Oder würde er stattdessen ihre Ziele als jugendlichen Leichtsinn abfertigen? Vielleicht würde er sie auch nur auf ihre Herkunft reduzieren. Vielleicht würde sie sogar für einige Tage oder gar Wochen noch den Welpenschutz genießen. Andererseits wollte sie auch nicht, dass sie unnötig geschont wurde oder von ihm für die Drecksarbeit, wie Recherche oder Ablage, benutzt wurde. Doch schon sehr bald würden Jodies Fragen geklärt werden. Sobald sie das Gebäude betrat, reihte sie sich in der Schlange der Agenten ein. Es war normal, dass sowohl Besucher als auch Agenten bei ihrer Ankunft im Gebäude sicherheitshalber durchleuchtet wurden. Ziel war es zu verhindern, dass Besucher Waffen mitbrachten und Agenten gefährdeten oder Agenten, die außerhalb bedroht wurden, Kollegen in Gefahr brachten. Jodie beobachtete was ihre Vorgänger taten und als sie an der Reihe war, zog sie die Jacke aus und legte diese zusammen mit ihrer Tasche in die kleine Transportbox. Während sie im Dienst sein würde, wollte sie auf Schmuck verzichten. Lange Ohrringe, Ketten, Armbänder und sogar Ringe konnten ein Sicherheitsrisiko darstellen, wenn ein Verdächtiger oder Täter diese zu fassen bekam. Ein Ring konnte zudem auf die private Situation und eine gewisse Verletzlichkeit hindeuten. Ihren Ausweis – den ihr Black bereits vor einigen Tagen mitgebracht hatte – hielt sie fest in der Hand, während der Sicherheitsmann einen Knopf betätigte und die Box in den Scanner rollte. Anschließend zog Jodie ihren Ausweis durch das Lesegerät und wartete. „Alles klar, Agent Starling“, fing der Sicherheitsmann an und starrte auf den Bildschirm. „Sie können jetzt weiter gehen. Bitte strecken Sie die Arme aus und spreizen die Beine. Sobald Sie einen Ton vernehmen, können Sie weitergehen.“ Jodie nickte und betrat den Metalldetektor. Wie gefordert streckte sie die Arme aus und spreizte die Beine, während das Gerät die Aufnahme machte. Als sie den Ton hörte, ging sie weiter. Der Sicherheitsmann sah erneut auf den Bildschirm. „In Ordnung, das war es auch schon, Agent Starling“, sagte er. „Sie können Ihre Sachen jetzt wieder an sich nehmen.“ Er lächelte. „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag.“ „Danke“, kam es von Jodie und sie zog sich die Jacke wieder an. Danach nahm sie ihre Tasche und war froh, dass sie nicht mit einem Spitznamen wie Starling junior, mini Starling oder kleine Starling betitelt wurde. Aber vielleicht kannte der Sicherheitsmann ihren Vater auch nicht. Jodie musterte ihn interessiert. Ob er auch erst vor kurzem seinen ersten Tag hatte? Oder gingen täglich so viele Agenten ein und aus, dass er sich nicht alle Namen und Gesichter merken konnte? Aber Jodie würde sich vermutlich immer an ihn erinnern, wenn sie an ihren ersten Arbeitstag zurückdenken würde. Und bestimmt hätte sie sich bis dahin auch an die ständigen Kontrollen gewöhnt. Wie Jodie von James wusste, musste man diese auch dann überwinden, wenn man nur mal kurz nach draußen ging. Aber wie hieß es so schön: Sicherheit geht vor. Die junge Agentin schmunzelte und ging zu den Fahrstühlen. Außer ihr stiegen noch andere Agenten ein, doch sie war die einzige Person, die laut James, in der 15. Etage aussteigen musste. Nachdem sich die Aufzugstüren öffneten, stieg Jodie aus. Sie las die Namensschilder an der Tür und ging weiter. Je näher sie dem Raum des Direktors kam, desto schneller schlug ihr Herz. Es waren nur noch wenige Sekunden und… Jodie stockte als sie die anderen beiden Personen vor der Tür sah. Waren das auch Neulinge? Oder handelte es sich um Agenten? War einer von ihnen vielleicht ihr Partner? Oder wurde sie vielleicht Beiden zugeteilt? Irritiert blickte Jodie die Fremden an. „Guten Morgen“, fing sie an. „Guten Morgen“, antwortete die junge Frau. „Morgen“, gab der Ältere von sich. Jodie war zwar nicht schüchtern, aber sie hatte Hemmungen wieder das Wort zu ergreifen. Den anderen Beiden schien es ähnlich zu gehen und Jodie war froh, dass die Stille durchbrochen wurde, als die Tür zum Büro endlich aufging. Der ältere Agent sah auf die drei Neulinge. „Guten Morgen“, begrüßte er die Drei. „Schön, dass Sie bei uns sind, kommen Sie doch bitte rein und nehmen Platz“, fügte er hinzu und ging in sein Büro. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und wartete bis sich auch seine Gäste setzten. „Ich kann Sie beruhigen, meine Ansprache wird nicht allzu lange dauern, schließlich möchten Sie alle noch heute an Ihren Arbeitsplatz und Ihren Partner kennenlernen. Sie alle haben einen sehr langen Weg auf sich genommen, um hier anfangen zu können, aber stellen Sie es sich nicht zu einfach vor. Es hat gerade erst angefangen und sie werden nicht geschont. Denken Sie immer daran, dass Sie auch während Ihrer Probezeit Leistung bringen müssen. Bringen Sie diese nicht oder sind wir der Meinung, dass Sie für uns nicht mehr tragbar sind, werden wir uns leider von Ihnen trennen müssen. Bevor es jedoch soweit ist, werden Sie von Ihrem Partner die entsprechenden Hinweise erhalten.“ Er runzelte die Stirn. „Wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich nicht nur in den nächsten Monaten anstrengen, sondern auch darüber hinaus immer Leistung erbringen werden. Scheuen Sie sich nicht davor, Fragen zu stellen. Fragen sind wichtig und wenn Sie diese zu spät stellen, haben Sie unter Umständen schon sehr bald ein Problem. In den nächsten Monaten werden Sie nicht nur von Ihrem Partner und anderen Agenten beobachtet werden, Sie werden auch Ihre ersten eigenen Fälle bearbeiten und im aktiven Dienst tätig werden. Zeigen Sie uns, was Sie können, aber seien Sie weder nachlässig noch handeln Sie zu sehr nach Lehrbuch. Ab heute ist die ganze Welt Ihr Lehrbuch und Sie werden lernen, was es heißt eigenständige Entscheidungen zu treffen. Selbstverständlich werden Sie auch Fehler machen, aber das gehört zu Ihrem Lernprozess dazu. Glauben Sie nicht, dass jeder Agent von Anfang an perfekt war. Auch Ihr Partner hat in der Vergangenheit mindestens einen Fehler gemacht.“ Der Direktor räusperte sich. „Wie dem auch sei, ich bringe Sie jetzt zu Ihren Partnern. Haben Sie noch Fragen?“ Die drei Agenten sahen einander an. „Nein, Sir“, antwortete einer. „Gut“, gab der Ältere von sich und stand auf. Zusammen mit den Neulingen verließ er sein Büro und brachte jeden nacheinander zu seinem Partner. Als Jodie an der Reihe war, blickte er sie an und musterte sie. „Agent Starling“, fing er an. „Es freut mich, dass wir Sie bei uns im Team haben. Wir haben gehofft, dass Sie eines Tages unser Team bereichern werden und sind schon sehr auf Ihre Fähigkeiten gespannt. Agent Black spricht immer sehr gut von Ihnen.“ Machen Sie mir bloß keinen Druck, sagte sich Jodie. Dennoch lächelte sie. „Ich hoffe, ich enttäusche Sie nicht.“ „Bestimmt nicht“, entgegnete der Mann ruhig. „Wir haben uns die Entscheidung über Ihren Partner nicht leicht gemacht, aber ich denke, Sie werden sich sicher mit Agent Akai gut verstehen.“ „Agent Akai“, murmelte Jodie leise, als der Direktor an die Tür klopfte. Wieder schlug Jodies Herz höher und als die Tür des Büros aufging, traute sie ihren Augen nicht. „Sir“, begann Akai und sah anschließend zu Jodie. „Passen Sie gut auf Agent Starling auf, Agent Akai.“ „Natürlich“, nickte Shuichi. „Ich werde Ihre Erwartungen nicht enttäuschen.“ Der Direktor lächelte und verabschiedete sich. Jodie sah ihm nach und blickte anschließend zu Shuichi. „Komm doch rein“, sagte er und ging zu seinem Schreibtisch. „Und schließ die Tür.“ Jodie schluckte, folgte ihm rein und schloss die Tür. Sie blickte auf die beiden Schreibtische im Raum und ging auf ihren zu. Langsam strich sie mit den Fingerspitzen über die leere Arbeitsfläche und lächelte. „Auf deinem Tisch findest du einen Ordner mit den Log-in Daten für den Computer, wichtige Telefonnummern, die Raumpläne und Passwörter für unsere Software sowie das Archiv. Nachdem du dich das erste Mal damit angemeldet hast, musst du ein neues Passwort vergeben. Wenn du mit der IT Probleme hast, kannst du den IT-Administrator informieren, er kümmerte sich zeitnah darum. Dein Diensthandy liegt in der Schublade, hab es immer an und sei immer erreichbar. Nachtdient ist auch während deiner Probezeit nicht ausgeschlossen. Gewöhn dich daran, dass ich auch außerhalb der Arbeitszeiten anrufen könnte. Wenn ich sage spring, springst du. Du stellst keine Fragen und stellst meine Autorität nicht in Frage“, erklärte Akai. „An deinen ersten Tagen lasse ich dich noch nicht am aktiven Dienst teilnehmen. Auf dem Server findest du ein paar Unterlagen zu Standardübungen, lies sie dir durch. Wenn du dein Wissen auffrischen musst, sag es mir frühzeitig. Ich möchte nicht, dass du mich behinderst, weil du starr vor Angst bist. Bevor ich dich aktiv einen Fall bearbeiten lasse, schaue ich mir deine Fähigkeiten an. Sei immer dazu bereit, ich werde dich nämlich nicht vorwarnen. Hast du dazu fragen?“ Jodie war wie vor den Kopf gestoßen. Ihr Partner schien nicht älter zu sein als sie, aber scheinbar besaß er bereits viel mehr Erfahrung. Und er hatte sich einen Plan zurecht gelegt, was sie alles tun sollte, oder nicht tun sollte. „N…noch nicht…“, murmelte sie leise. „Das kommt…sicher noch.“ Shuichi nickte verstehend und widmete sich wieder seinen Unterlagen. „Sag mal…“, kam es von Jodie. „Mhm?“ Akai sah wieder auf. „Du hast mich in der letzten Woche beobachtet, nicht wahr?“ „Wie kommst du darauf?“, wollte Shuichi wissen. „Anfang der letzten Woche sind wir im Café ineinander gelaufen und ich bekam den Kaffee ab, während du mich kaum angesehen hast und nur entschuldigend rausgelaufen bist. Danach hast du mir den Parkplatz vor dem Supermarkt weggenommen und mich im Supermarkt so komisch angesehen“, antwortete Jodie. „In den nächsten Tagen hab ich dich zwar nicht gesehen, aber gemerkt, dass mich jemand beobachtet. Sei ehrlich, das warst doch du.“ Akai schmunzelte. „Du hast mich soeben positiv überrascht“, gab er von sich. „Nachdem ich wusste, wer mein neuer Partner wird, habe ich mich über dich informiert. Dein Vater war auch FBI Agent und ich kann niemanden gebrauchen, der mich in meiner Arbeit behindert und mir im Weg steht, nur weil er sich auf seinen Namen ausruht. Deswegen habe ich mir erlaubt, deine Reaktionen zu testen. Aber bilde dir nicht zu viel darauf ein. Diese wenigen Momente sind noch nicht aussagekräftig genug.“ „Ich verstehe“, murmelte Jodie. „Mach dir keine Gedanken, ich habe nicht vor, dich in deiner Arbeit zu behindern, denn auch ich habe ein Ziel.“ „Den Mörder deines Vaters finden.“ Jodie öffnete den Mund, brachte aber keinen Ton heraus. „Selbstverständlich habe ich mich auch mit deinen Bewerbungsunterlagen auseinander gesetzt, aber auch ohne diese, war mir dein Ziel schon lange klar. Keine Sorge, ich verurteile dich nicht deswegen. Bei deiner Familiengeschichte ist dein Ziel sehr verständlich, ich hoffe aber, du hast dir überlegt, was du machen willst, wenn du es erreicht hast.“ Jodie schluckte. „Ich gehöre zum FBI, egal was passiert.“ Akai beobachtete sie. „Damit kann ich arbeiten.“ Kapitel 4: Erster Fall ---------------------- Mit eher gemischten Gefühlen stand Jodie in der kleinen Teeküche und blickte in ihre Tasse mit der schwarzen Flüssigkeit. Während letzte Woche ihre Schicht immer früh morgens begann, konnte sie diese Woche wenigstens ausschlafen. Aber war das besser? Nicht wirklich, denn an ihrer momentanen Einarbeitungsphase hatte es nichts geändert. Vor etwas mehr als zwei Wochen war sie vollkommen aufgeregt in ihren ersten Arbeitstag beim FBI gestartet. Sie hatte sich damals zwar viele verschiedene Szenarien ausgemalt, aber was letzten Endes passiert war, hätte sie sich so nie erträumt. Anfangs lief es gut. Der Direktor der Niederlassung machte ihr Hoffnungen auf ihren ersten praktischen Fall, doch nachdem sie ihren Partner – Shuichi Akai - kennengelernt hatte, war sie sich nicht mehr so sicher. Obwohl er nur ein paar Jahre alter als sie war und erst seit zwei Jahren für das FBI tätig war – was hieß, dass seine Probezeit erst seit einigen Monaten vorbei war – konnte er sich nicht in sie und in ihre Wünschen hinein versetzen. Akai wollte ihr so schnell keine praktischen Tätigkeiten anvertrauen und hatte sie behandelt, als hätte sie gar keine Ahnung von ihrem neuen Tätigkeitsfeld. Dabei musste er doch wissen, was alles während der Ausbildungszeit in Quantico passierte. Es hatte Jodie nicht überrascht, dass er sich über sie informiert hatte und von ihrem Vater wusste. Mit Akai machte sie dennoch eine andere Erfahrung. Ihm schien ihre familiäre Bindung zum FBI egal zu sein. Er hatte sie weder bemitleidet, noch deswegen besser behandelt, dabei musste er auch wissen, in welchem Verhältnis ihre Familie zu James Black stand. Stattdessen gab er ihr das Gefühl, sie sei ein Nichts und all ihre Aufgaben der letzten zwei Wochen hatten keinen Mehrwert. Sie durfte sich mit den Raumplänen beschäftigen und wurde von ihm immer mal wieder als Brieftaube eingesetzt. Häufig lief sie von einem Büro in das Nächste und unterstützte ihn bei der Kommunikation mit den Kollegen. Zudem hatte sie ihr Diensthandy eingerichtet und Unterlagen zu den Standardübungen immer und immer wieder gelesen. Die meisten Übungen kannte sie aus ihrer Ausbildung, andere lernte sie jetzt erst kennen, aber dennoch wusste sie, dass in einem Einsatz auch Spontanität zählte. Täter waren nie gleich und man musste sich sehr schnell entscheiden, wie man gegen jemanden vorgehen wollte. Manchmal halfen auch unkonventionelle Methoden. Wie Akai es ihr auch versprochen hatte, überprüfte er ihre Anwesenheit außerhalb der Arbeitszeiten. Aber bis auf ein paar Anfragen nach Unterlagen, war nichts Sonderliches passiert. Obwohl Jodie sehr oft protestieren wollte, hatte sie sich jedes Mal zurückgehalten und gute Miene zu dem bösen Spiel gemacht. Außerdem hatte sie gehofft, dass es bald besser werden würde. Dafür musste sie aber erst einmal sein Vertrauen gewinnen. Aber wie konnte sie ihm vertrauen? Und auch wenn Jodie immer alles machte, was er wollte, war sie noch keinen Schritt weiter gekommen. Zwischenzeitlich hatte sie sich bei ihren Kollegen über Akai informiert und erfahren, dass der Agent während seiner Probezeit nicht gerade einfach war. Oft war er seinem Partner über den Mund gefahren und hatte auf sein Bauchgefühl gehört und weiter ermittelt, auch wenn ein Fall offiziell bereits abgeschlossen war. Dennoch machte er sich gerade mit diesem Verhalten auch einen Namen und für einen Anfänger war seine Erfolgsquote hoch. In der Niederlassung war er mittlerweile auch ein geschätzter Kollege geworden und je nach Fall wurde er um seine Meinung gebeten. Leider schien Jodie aber nicht mit ihm warm zu werden. Außer ein paar Begrüßungsfloskeln und belanglosem Smalltalk sprachen sie kaum miteinander. Jodie hatte es zwar versucht, aber ihr Partner antwortete meistens nur kurz und knapp. Am Wochenende hatte sie sogar überlegt, ob es etwas bringen würde, sich bei James oder beim Direktor über ihren Partner zu beschweren. Die Idee verwarf sie schnell, da sie nicht als schwierig gelten wollte, immerhin war sie erst seit zwei Wochen dabei gewesen. Außerdem musste sich das FBI etwas gedacht haben, als man sie ihm zuwies. Aber was? Würde es ihren beiden Neulings-Kollegen nur ähnlich ergehen, wäre Jodie erleichtert gewesen. Doch es war genau das Gegenteil passiert. Ihre Kollegen durften bereits ihren ersten eigenen Fall übernehmen und erhielten eine entsprechende Einweisung von ihrem Partner. Wenn sie sich zufällig auf dem Flur, in der Kantine, der Teeküche oder auf dem Parkplatz trafen, erzählten sie immer viel über ihre aktuelle Arbeit. Jodie beneidete die Beiden dafür und stand eher stumm daneben. Wurde sie gefragt, versuchte sie es mit ausweichenden Antworten. Akai hatte es binnen zwei Wochen geschafft, dass sie sich unnütz vorkam. Jodie seufzte leise auf. Sie hatte sich immer auf ihre Arbeit beim FBI gefreut und von James hatte sie bereits früh mitbekommen, wie sehr die Agenten die partnerschaftliche Arbeit schätzten. Und was war jetzt? Jetzt hoffte sie darauf, dass sich ihr Partner krank meldete oder Urlaub hatte. Immer wenn sie im Büro ankam, freute sie sich schon auf ihren Feierabend oder darauf, dass er das Büro verließ. Warum musste sie auch ausgerechnet einen Partner bekommen, der sich nicht darum kümmerte, dass sie richtig eingearbeitet wurde? Und dann grübelte sie auch noch über diese zufälligen Treffen mit ihm und der Tatsache, dass er sie vorher schon beobachtet hatte. Wollte er sie wirklich nur testen oder gab es doch einen anderen Grund für sein Interesse an ihr? Wie gern hätte sich Jodie einer Person anvertraut. Aber wem? Jodie biss sich auf die Unterlippe. Was würde sie heute erwarten? Durfte sie wieder nur auf ihrem Platz sitzen, Unterlagen lesen und ihre Zeit absitzen? Oder würde er endlich mal damit anfangen ihre Fähigkeiten zu testen und sie als gleichwertigen Partner zu behandeln? Jodie wollte für jeden Fall gewappnet sein, so hatte sie sogar Sportsachen im Büro gebunkert und fuhr in ihrer Freizeit auf den Schießstand, wo sie ihre Fertigkeiten verbessern wollte. „Hallo Jodie“, grüßte James die junge Agentin. Er lächelte und ging zur Kaffeemaschine, wo er sich eine Tasse Kaffee einschenkte. „Hey“, murmelte Jodie und verfluchte sich dafür, dass sie noch in der kleinen Teeküche stand. Seit James mit ihrer Mutter zusammen war, gehörte er zu den Personen, die sie mittlerweile eher ungern sah. Leider konnte sie ihm nicht immer aus dem Weg gehen. Besuchte sie ihre Mutter, war er da. Rief sie sie an, musste sie damit rechnen, Sätze zu hören wie James hat auch schon gefragt oder Befrag doch James dazu? Soll ich ihm Bescheid geben? Reichte es denn nicht schon, dass sie James regelmäßig im Büro sah? Konnte sich ihre Mutter nicht auch denken, dass Jodie erst einmal Zeit für sich brauchte und damit klar kommen musste? Jodie freute sich zwar für ihre Mutter, aber es versetzte ihr auch einen Stich, weil nicht ihr Vater an ihrer Seite war. Dennoch riss sich die Agentin zusammen und versuchte mit James weiterhin klar zu kommen. Natürlich wollte er auch wissen, wie ihre ersten Tage beim FBI liefen und Jodie hatte Mühe gehabt die Wahrheit zu verschweigen. Deswegen griff sie auch auf Floskeln zurück und erzählte, dass sich erst eine gewisse Vertrautheit einstellen musste. Wenigstens hatte es sich dabei um keine komplette Lüge gehandelt. Doch Jodie war sich nicht sicher, ob James ihre Ausreden durchschaute. „Geht es dir gut?“ Jodie nickte. „Klar“, antwortete sie ruhig. „Und dir?“ „Auch“, nickte Black. „Wenn du Hilfe brauchst…“ „Ich weiß, dann kann ich immer zu dir kommen. Aber mach dir keine Sorgen, ich komme klar. Und wenn es mal nicht so läuft, wie ich will, sollte ich nicht sofort zu dir gelaufen kommen. Ansonsten habe ich sehr bald einen schlechten Ruf. Ab jetzt muss ich solche Sachen alleine regeln.“ „Ich verstehe“, gab James von sich. „Und wie geht es dir mit der Schichtarbeit?“ Jodie zuckte mit den Schultern. „Passt schon. Manchmal hat es auch Vorteile, wenn man erst zur Mittagszeit anfangen muss. Gestern Abend musste ich noch ein paar Sachen erledigen und ich bin jetzt trotzdem wieder fit und munter.“ Jodie sah auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „Ich sollte jetzt auch wieder ins Büro. Akai wartet sicher schon“, fügte sie hinzu und verließ die Teeküche. Auf ihrem Weg ins Büro seufzte Jodie ein weiteres Mal leise auf. Als sie vorhin ihre Tasche und Jacke ablegte, war er glücklicherweise noch nicht da gewesen, aber das musste nichts heißen. Er konnte auch bei einem Kollegen sein, draußen rauchen oder oder oder… Es kann nur besser werden, motivierte sie sich selbst, als sie vor der Tür stand. Jodie atmete tief durch und betrat ihr Büro. Irritiert stellte sie fest, dass ihr Partner immer noch nicht da war. Neugierig blickte Jodie auf seinen Arbeitsplatz, ehe sie ihre Tasse auf den Tisch stellte. Trau dich, sagte sie zu sich selbst. Was konnte ein Blick auf seine Unterlagen schon schaden? Aber vielleicht war er auch wieder nur auf ihre Reaktion gespannt? Jodie runzelte die Stirn und gerade als sie einen Schritt auf Akais Schreibtisch zu machte, klingelte ihr Handy. Als hätte er es geahnt. Sofort stellte sich Jodie an ihren Schreibtisch und nahm das Gespräch entgegen. „Starling.“ Sie versuchte fröhlich und motivierend zu klingen. „Akai hier“, gab der Ältere von sich. „Mach dich auf den Weg zum NYPD. Wir wurden zu einem Fall gerufen, also beeil dich. Die Einsatzbesprechung findet um 14:30 Uhr statt.“ „Eh…“, murmelte Jodie überrascht. War das wirklich sein Ernst? Ließ er sie tatsächlich zum ersten Mal aktiv an einem Fall mitarbeiten? Jodie konnte es kaum glauben. „Was ist? Willst du nicht?“, kam es von Akai. „Nein, also ich mein doch. Also ich mein: Ich will“, fing Jodie an und schnappte sich ihre Jacke. „Ich bin auf dem Weg.“ „Nimm deine Dienstwaffe mit.“ Jodie stockte. „Meine…“ „Oder hast du ein Problem damit, wenn du auf Jemanden schießen musst?“ „Ich…“, begann Jodie. Natürlich wusste sie, dass immer die Möglichkeit bestand einen Täter zu erschießen, allerdings sollte es sich dabei immer um Ausnahmefälle handeln. „…werde tun, was notwendig ist.“ Shuichi wirkte nicht überzeugt, aber er konnte nichts daran ändern, dass auch Jodie gebraucht wurde. „Du weißt, wo du hin musst?“ „Ja“, antwortete die Agentin und holte ihre Waffe aus dem Safe. Sie prüfte, ob diese gesichert war und schob sie in das Holster. „Dann mach dich auf den Weg. Wir treffen uns im Gebäude“, sagte er und legte auf. „Ver…standen…“, murmelte sie. Jodie steckte das Handy ein und legte das Holster an. Anschließend machte sie sich auf den Weg nach draußen. Voller Vorfreude lief sie zu ihrem Wagen, öffnete die Türen, schnallte sich an, startete den Motor und fuhr los. Erst während der Fahrt hatte sie wieder Zeit gehabt um nachzudenken. Was wenn der Fall gar nicht existierte und es sich nur um einen Test handelte? Augenblicklich wurde sie unsicher und verlangsamte das Tempo. Im nächsten Moment schüttelte die junge Agentin den Kopf. Selbst wenn es ein Test war, würde sie ihr Bestes geben. Und wenn es keiner war, konnte sie zeigen, was sie konnte. Jodie fuhr auf den Parkplatz und stellte den Motor aus. Sie sah in den Rückspiegel und überprüfte kurz ihr Erscheinungsbild. „Du schaffst das“, sagte sie zu sich selbst und entfernte den Sicherheitsgurt, ehe sie ausstieg. Jodie schlug die Tür zu blickte zu dem großen Polizeigebäude. Vielleicht sollte ich alles als einen Test sehen?, fragte sie sich selbst. „Ach Quatsch“, murmelte sie leise. Die junge Agentin atmete tief durch. Gerade als sie sich auf den Weg zum Eingang machen wollte, wurde sie an der Schulter berührt. Jodie zuckte nicht nur zusammen, sie drehte sich um und versuchte den Arm ihres vermeintlichen Angreifers nach hinten zu verdrehen. Allerdings war dieser stärker und hielt sie fest. Erst dann bemerkte Jodie, dass es sich um ihren Partner handelte. Langsam löste sich Jodies Anspannung. „Tut…mir leid“, brachte sie hervor. Akai musterte sie. „Wenigstens achtest du auf deine Umgebung. Wäre ich ein Zivilist oder ein Reporter hättest du jetzt ein Problem.“ Jodie nickte verstehend. „Ich dachte…“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist egal was ich dachte. Ich hätte nicht so reagieren dürfen, auch wenn gerade etwas im Argen ist und ich daher angespannt bin.“ „Das stimmt, aber ich lass es dir durchgehen“, sprach Akai. „Ich dachte, wir treffen uns im Gebäude?“, kam es von Jodie. Shuichi zuckte mit den Schultern. „Zufall“, antwortete er. „Und worum geht es jetzt in dem Fall?“, wollte die Agentin wissen. Akai musterte sie. Glücklicherweise hatte Jodie die entsprechende Kleidung für einen Außeneinsatz an und trotzdem wusste er nicht, ob er ihr diese Tätigkeit bereits zutrauen konnte. „Das wirst du drinnen hören“, gab er von sich. „Komm jetzt.“ Kapitel 5: Mord in New York --------------------------- Zusammen mit Shuichi betrat Jodie das NYPD. Das New York City Police Department war die kommunale Polizeibehörde von New York City und auch die größte Polizeibehörde in den Vereinigten Staaten. Sie waren hauptsächlich für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit sowie für die Verfolgung von Straftaten in den fünf Stadtbezirken von New York zuständig. Ihr Hauptquartier befand sich in der Nähe der FBI Niederlassung und gegenüber vom Rathaus. Das dadurch gewisse Belange auf dem kurzen Dienstweg geregelt wurden, war ein offenes Geheimnis. Dennoch hielten sie sich an ihre Ideale von Höflichkeit, Professionalität und Respekt, wobei sie auch darauf bedacht waren präventive Maßnahmen zu ergreifen, sowie schnelle Reaktionen auf Kriminaldelikte zu gewährleisten. Die Anzahl ihrer Mitarbeiter war schwankend, mal stieg sie, dann sank sie, dann stieg sie wieder. Neben den zahlreichen Vollzugsbeamten waren auch mehrere zivile Angestellte im aktiven Dienst tätig. Insgesamt setzte sich das NYPD aus zehn Abteilungen zusammen, welche in Sektionen, Dezernate, Einheiten, Reviere und Stadtbezirke unterteilt waren. Jede dieser Abteilung wurde von einem Chief geleitet, der im Notfall weitere Einheiten oder Behörden einschaltete. Normalerweise aber arbeiteten die Polizisten nur ungern mit FBI Agenten zusammen, da das FBI oftmals den Fall übernahm oder ihn dominierte. Es war nicht selten, dass sie gar keine Informationen bekamen. Und auch der Ruhm ging an das FBI, während jeder Fehler der Polizei in die Schuhe geschoben wurde. Es gab nur selten Agenten mit denen die Polizei freiwillig zusammenarbeitete, aber da es um das Wohl der Menschen ging, hatten sie kaum eine andere Wahl. Neugierig sah sich Jodie in den Räumlichkeiten um. Es war das erste Mal, dass sie beim NYPD war. Wurde sie als Kind wegen ihrem Vater befragt, kamen die Polizisten entweder zur Wohnung von James oder sie trafen sich an einem neutralen Ort. Deswegen versuchte sie sich jetzt so viel wie möglich zu merken, sowie jede Einzelheit in sich aufzunehmen. Jedem Polizisten, der ihnen entgegen kam, nickte sie freundlich zu. Auch wenn es nur ein Test sein sollte, fühlte sich Jodie motivierter als je zuvor. „Ich kann dir später eine Führung besorgen“, entgegnete Akai leicht spöttisch. „Oder ich geb sie dir selbst.“ „Nicht nötig“, murmelte Jodie und versuchte die Stichelei zu ignorieren. „Warst du schon oft hier?“ „Hin und wieder“, antwortete er knapp und bog in den langen Flur ein. Als er am Ende ankam, klopfte Shuichi kurz an die Tür und trat ein. Augenblicklich blickte er zu den beiden wartenden Kollegen vom NYPD – Lieutenant Harry Stevens und Detective Melissa Hole. „Entschuldigen Sie, dass wir Sie warten ließen“, sprach der Agent und setzte sich auf einen freien Platz. Sofort schlug er die erste Seite der kopierten Akte, die vor ihm lag, auf und studierte die ersten Zeilen. Jodie versuchte sich ihre Anspannung nicht anmerken zu lassen und setzte sich neben Shuichi. „Guten Tag“, grüßte sie die beiden Fremden. „Tag“, begann Stevens. „Dann können wir ja endlich anfangen.“ „Harry“, mahnte ihn seine Kollegin. Der Angesprochene seufzte leise auf. „Ich bin Lieutenant Stevens. Das ist Detective Melissa Hole. Sie arbeitet bereits seit einiger Zeit an dem Fall, ich hingegen wurde ihm erst heute früh zugeteilt.“ Er sah zu Akai. „Wie ich gehört habe, kennen Sie Hole bereits von einem anderen Fall.“ Shuichi nickte. „Wir hatten damals das Vergnügen. Ich bin Agent Akai, das ist meine Partnerin Agent Jodie Starling.“ Jodie lächelte. „Nennen Sie mich ruhig Jodie.“ „Ich bin Melissa“, kam es von der anderen Frau. „Ich habe Ihnen bereits die notwendigen Unterlagen als Kopie bereit gestellt. Sie können diese gerne mit in Ihr Büro nehmen.“ „Danke“, antwortete Shuichi und blickte weiterhin auf die Akte. Normalerweise arbeitete er ungern mit Polizisten zusammen. Oftmals musste man ihnen alle notwendigen Informationen aus der Nase ziehen oder ihnen selbst alles haarklein erzählen. Hin und wieder waren ihnen auch einige wohlgesonnen und kooperierten. „Wie ich lese, hat das Kommando über den Fall Captain Radish Redwood…“ „Das stimmt“, entgegnete Stevens. „Kennen Sie ihn?“ „Kann man so sagen“, gab der Agent von sich. „Er hat eine gute Aufklärungsquote und ist sich auch nicht bequem um Hilfe zu bitten. Allerdings arbeitet er ungern mit dem FBI zusammen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass wir mehr Kompetenzen und Möglichkeiten haben und dem NYPD auch alle Fälle kommentarlos entziehen können oder eigenständig ermitteln dürfen, ohne uns rechtfertigen zu müssen. Dennoch zieht uns Redwood zu Rate wenn es sein muss. Das erkenn ich ihm hoch an“, erklärte Shuichi. „Da wir das jetzt geklärt haben, fasse ich den Fall kurz zusammen“, warf Stevens ein. „Wir haben es mit einem Serienmörder zu tun, der seine Opfer nur wahllos aussucht. Jung, alt, männlich, weiblich, arm, reich…“ Der Polizist seufzte. „Und wir kennen noch nicht sein Motiv dahinter.“ Akai verschränkte die Arme vor der Brust. „Woher wissen Sie dann, dass es sich um einen Serienmörder handelt?“ „Wir haben mehrere Hinweise darauf“, fing Melissa an. „Unser Täter agiert nur innerhalb eines bestimmten Umkreises und außerdem…hinterlässt er bei jedem seiner Opfer eine bestimmte Signatur. Diese finden Sie in den Unterlagen auf Seite fünf. Da es sich um einen wichtigen Hinweis handelt und wir keine Nachahmungstäter auf den Bildschirm holen wollten, haben wir dieses Detail in den Medienberichten verschwiegen. Außerdem…“ „Außerdem?“, fragte Akai. „Was wissen Sie noch?“ Melissa seufzte leise auf. „Es ist leider noch unbestätigt, allerdings konnten wir an einem Tatort ein Haar sicherstellen. Zudem gab es bei seiner letzten Tat einen Zeugen. Er hat leider nicht viel gesehen und konnte den Täter aufgrund der Dunkelheit kaum beschrieben, allerdings gab er an, dass es sich um einen Mann japanischer Herkunft handelt, der lange Haare hat.“ Jodies Blick ging sofort zu Shuichi. Er schien ihre Gedanken bemerkt zu haben und schmunzelte. „Schwarz?“ „Laut Zeugen grau oder blond. Das Haar, welches wir sicherstellen konnten, war grau.“ Shuichi nickte verstehend. „Er schlägt also überwiegend nachts zu…“ „Genau“, stimmte Melissa zu. „Er nutzt den Schutz der Dunkelheit. Es gibt in den Medien zwar zahlreiche Berichte über seine Taten und wir haben die Presse auch gebeten, die entsprechenden Warnungen zu veröffentlichen, aber…“ Sie seufzte ein weiteres Mal. Als Polizist sah man oft die gleichen Taten, aber auch die gleichen Fehler der Menschen. Und man konnte nichts dagegen tun. „Aber die Menschen sind dumm. Wir können sie oft genug warnen, doch letzten Endes sind sie für ihr eigenes Handeln verantwortlich. Und alleine deswegen wird es immer Menschen geben, die der Meinung sind, dass ihnen nichts passieren kann. Sagen Sie ihnen, dass Sie ihre Wohnungen nicht verlassen sollen, tun sie es trotzdem…“, entgegnete Shuichi. „Tja, da kann man nichts machen. Er wird immer genügend Opfer finden. Und wenn sie nicht freiwillig zu ihm kommen, kann er seinen Arbeitsbereich einfach verschieben. Wenn wir sein Motiv kennen, können wir weitere Schlüsse ziehen. Es würde mich nicht wundern, wenn er in der Nähe wohnt und die Arbeit der Polizei beobachtet.“ „Möglich“, sagte Stevens. „Wir müssen dennoch unser Bestes geben und den Täter finden. Nur so kann sich die Bevölkerung in Sicherheit wähnen.“ „Sperrt man einen weg, kommt der nächste“, kam es von Akai. Jodie sah ihren Partner irritiert an. „Und…was wollen wir…jetzt machen?“ Shuichi schloss nachdenklich die Augen. „Wir wissen in etwa wo der Täter zuschlagen wird“, murmelte er. „Also sollten wir ihm eine Falle stellen.“ „Und wie sieht diese in Ihren Augen aus?“ „Heute Abend wird das Musical Golden Apple aufgeführt“, fing Shuichi an. „Es haben sich viele Gäste mit Rang und Namen angekündigt, da sich der Hauptdarsteller Heath Flockheart aus der Branche zurückziehen wird. Zu seiner letzten Vorstellung werden viele Prominente erwartet, sodass das Polizeiaufgebot dort höher werden wird. Anschließend gibt es auch noch einen Empfang für geladene Gäste. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass unser Täter dies für sich nutzen wird, zumal viele mit dem Taxi nach Hause fahren werden oder den Weg zu Fuß beschreiten wollen. Was für ein Zufall, dass der Tatort in der Nähe ist. Vielleicht könnte das Musical einen Zusammenhang zwischen den Opfern darstellen. Prüfen Sie das.“ Jodie war erneut überrascht. „Du weißt so was…also mit dem Darsteller?“ „Die Medien haben ausgiebig darüber berichtet, deswegen ist es auch an mir nicht spurlos vorbei gegangen. Außerdem halte ich mich auf dem Laufenden, da gerade solche Veranstaltungen oftmals kranke Menschen anziehen“, erklärte er. „Wir sollten uns den heutigen Abend also zu Nutze machen und ihm ein Opfer auf den Präsentierteller servieren.“ „Mhm…“, murmelte Jodie nachdenklich. „Ein Opfer auf dem Präsentierteller…das könnte wirklich klappen…Und hast du schon eine Idee wer diesen Part übernehmen soll?“ Akai schmunzelte. „Ich bin mir sicher, dass unser Täter einer süßen Blondinne nicht widerstehen kann.“ Jodie errötete. „Du findest mich süß?“ Nun war es Shuichi der überrascht war. „Das hab ich doch gar nicht gesagt. Aber wenn es das einzige ist, was dir dazu einfällt, stimmst du meinem Plan also zu.“ „Agent Akai, ich glaube, Sie haben Ihre Partnerin damit ziemlich überrumpelt“, warf Stevens ein. „Nein nein, schon gut“, murmelte Jodie. „Ich mach es.“ Shuichi wirkte nicht überzeugt. „Bist du dir sicher? Noch gibt es ein zurück.“ „Ich bin mir sicher.“ Stunden später wünschte sich Jodie, dass es noch die Möglichkeit gab, die Entscheidung rückgängig zu machen. Um auch ein interessantes Ziel abzugeben, trug sie ein weißes Top, sowie einen kurzen schwarzen Rock und hohe Stiefel. Ihre Jacke sollte das Offensichtliche verbergen, dennoch sollte der Täter sie für ein leicht zu habendes Opfer halten, welches sich nicht wehren würde. Trotzdem hatte sie zur Sicherheit ihre Dienstwaffe in der kleinen Handtasche verstaut, trug für den Notfall ein GPS-Gerät bei sich und war über ein Earpiece mit ihrem Kollegen verbunden. Kaum das es dunkel wurde, wurden die Zufahrtswege zum Zielgebiet blockiert und mehrere Polizisten und Agenten als zivile Unterstützung überall positioniert. Es sollte alles beobachtet werden und niemand durfte mehr rein- oder rauskommen. Shuichi selbst saß auch nicht tatenlos rum. Da er Japaner mit langem Haar war, wollte er den Täter herausfordern und hoffte auf eine direkte Konfrontation. Seine Hand steckte in der Jackentasche und hielt die Dienstwaffe – die nicht mehr gesichert war - fest. Obwohl der Agent wirkte, als wäre ihm alles egal, ließ er seine Umgebung nicht aus den Augen. Zeig dich endlich, sagte sich Shuichi und ging weiter. Sobald er in die nächste Gasse einbog, stand ein Mann mit langen grauen Haaren vor ihm. Er grinste. Akai erkannte, dass es sich um den Serientäter handeln musste. Shuichi war froh darüber, dass er ihm begegnete und nicht Jodie. Auch wenn er es nie zugeben würde, machte er sich um seine Partnerin sorgen. Sie hatte gerade erst ihren Dienst angefangen und konnte möglicherweise bereits im Fokus der Organisation stehen. Deswegen musste er sie so lange wie möglich beschützen. Der Serienmörder zog seine Waffe. Wie Shuichi aber wusste, handelte es sich nicht um seinen Tötungsstil. Hier stimmt was nicht, ging es dem Agenten durch den Kopf. Bevor es allerdings ihn treffen würde, brauchte es mehr. Blitzschnell zog Akai seine Waffe und drückte ab. Der fremde Japaner starrte seinen Gegenüber erstaunt an und als er etwas Warmes an seinem Bauch spürte, sah er kurz nach unten. Er erkannte das Blut und als Shuichi auf ihn zukam, ergriff der Serienmörder die Flucht. Akai lief ihm hinterher, verlor aber leider bald die Spur. Es ärgerte ihn ungemein und noch immer lag Anspannung in der Luft. „Akai?“ Shuichi hörte Jodie durch sein Earpiece. „Was ist?“, wollte der Agent leise wissen. „Sie haben ihn gefunden.“ Shuichi verengte die Augen und zog sein Handy aus der Jackentasche. Dennoch ließ er seine Umgebung nicht aus den Augen. Insgesamt waren drei Nachrichten bei ihm eingegangen. Die Letzte meldete den Fund und Standort der Leiche des Serienmörders. „Wir treffen uns dort“, sagte Akai und lief los. Als Shuichi ankam, standen bereits mehrere Polizisten und Agenten zusammen. Akai ging zu ihnen. „Sind wir sicher, dass er es ist?“ „Es ist ein Japaner mit langen grauen Haaren“, antwortete Jodie und wies mit dem Kopf zur Leiche. „Vor etwa 20 Minuten habe ich ihn getroffen“, entgegnete Shuichi. „Es war eine kurze Begegnung und er ergriff schnell die Flucht.“ „Was? Warum hast du nicht Bescheid gesagt?“, wollte Jodie aufgebracht wissen. „Das tut nichts zur Sache“, gab der Agent von sich und ging zur Leiche. „Das ist der Mann den ich getroffen habe…“ Shuichi stockte. „Was ist?“ „Er wollte mich erschießen, also musste ich ihm zuvor kommen. Es war zwar ein Bauchschuss, aber er sollte nicht tödlich enden.“ Akai kniete sich auf den Boden. „Dem Mann hier wurde in die Brust geschossen.“ „Zwillinge?“, fragte Jodie leise. „Wer weiß“, murmelte Akai. „Oder ich hab mich vertan.“ Auch wenn er seinen Gegenüber nur durch den Schein des Mondes sehen konnte, glaubte er nicht daran einen Fehler gemacht zu haben. Irgendwas war faul. Er roch den Gestank und er kam nicht von dem Toten. Irgendwas stimmte nicht. Das ist also seine Kleine. Wir werden uns schon bald treffen! Shuichi lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er fühlte sich beobachtet und blickte auf. „Akai?“ Was war das?, fragte sich der Agent. Anschließend sah er in die Runde. „Auch wenn es so aussieht als hätten wir den Serienmörder, sucht dennoch die Umgebung ab“, wies er die Kollegen an. Kapitel 6: Nachbesprechung -------------------------- Auch drei Tage später hatte Shuichi noch ein ungutes Gefühl, wenn er zurück an Jodies Lockvogeleinsatz dachte. Auch wenn sie sicherlich einiges in ihrer Ausbildung gelernt hatte, war sie noch neu und hatte keinerlei Erfahrung. Außerdem hatte sie noch nie mit einem erfahrenen Kollegen zusammen gearbeitet. Sie würde erst noch lernen müssen was es hieß, sich auf ihr Bauchgefühl und auf ihren Partner zu verlassen. Leider brauchte es dafür mehr Erfahrung. Dennoch wollte er sie noch nicht dieser Gefahr aussetzen. Nicht so schnell. Allerdings wusste Shuichi, dass er Jodie nicht auf Dauer vom aktiven Dienst fernhalten konnte und irgendwann würden auch seine Vorgesetzten Fragen stellen. Selbstverständlich hatte Akai gewusst, dass die anderen Neulinge bereits viel mehr machen durften, doch Jodie hatte bislang noch kein einziges Mal gemeckert. Daher hatte er auch keine andere Wahl, als das FBI vom NYPD für einen Fall angefragt wurde. Trotzdem hatte ihn Jodie überrascht. Zwar war es seine Idee, seine Partnerin als Lockvogel einzusetzen, aber nur weil sie im Büro eine große Klappe hatte, konnte es dennoch heißen, dass sie sich bei ihrem ersten Fall zurück hielt und erst einmal nur zuschauen wollte. Wenigstens war Jodies Einsatz letzten Endes doch sehr kurz gewesen und ihr war nichts passiert. Dennoch gab es noch sehr viele Ungereimtheiten und zu viele offene Fragen bei diesem Fall. Mit der Art und Weise wie er den Serienmörder traf, wurde er überrascht. Es war beinahe so, als wäre der Mann mit Absicht in ihn reingelaufen. Und dann hatte er noch versucht ihn zu erschießen, aber Akai war ihm zuvor gekommen. Trotzdem konnte der Serienmörder fliehen und ging Shuichi durch die Lappen. Aber die größte Überraschung kam, als der Serienmörder gefunden wurde – tot. Hatte sich Akai tatsächlich beim Schuss vertan und für den tödlichen Ausgang gesorgt? Oder war doch etwas gänzlich anderes passiert? Irgendwas passte in dem gesamten Konstrukt nicht zusammen. Außerdem hatte sich Akai am Ende auch noch beobachtete gefühlt. Doch bis auf die Agenten und Polizisten war keiner vor Ort gewesen. Shuichi ließ es extra überprüfen. Aber das komische Gefühl war immer noch da. Akai verschränkte die Arme vor der Brust und schloss seine Augen. Er ließ den gesamten Abend abermals Revue passieren. Wieder hatte er die gleichen Gedanken und Bedenken. Oder gab es vielleicht doch zwei Serienmörder? Arbeiteten diese auch noch zusammen? Und was war mit dem Haar, welches an einem anderen Tatort sichergestellt wurde? Wurde es mit Absicht dort liegen gelassen oder war es wirklich nur ein Zufall aufgrund einer Unachtsamkeit? Normalerweise arbeitete ein Täter mit langen Haaren anders und versuchte keinen Hinweis auf seine Identität zu hinterlassen. Oder fühlte er sich einfach viel zu sicher? Und was war mit dem Zeugen? Hatte er den Serienmörder wirklich gesehen oder steckte etwas Anderes dahinter? Selbst wenn, warum machte der Täter auf einmal derartige Fehler? Oder war es wirklich Absicht? Wollte er geschnappt werden oder verfolgte er einen anderen Plan? Sollte er vielleicht mit Jodie über seine Gedanken sprechen oder würde er sie damit nur verwirren? Jodie betrat das Büro. Langsam fühlte sie sich beim FBI immer wohler. Es konnte aber auch daran liegen, dass sie endlich aktiv mitarbeiten konnte. Sie fühlte sich willkommen und freute sich auf den Arbeitstag. „Der Bericht ist da“, fing sie an. „Ich habe kurz reingeschaut und die Vollständigkeit überprüft. Das NYPD hat uns alles hinzugefügt, was sie hatten. Außerdem sind auch der Obduktionsbericht und der Bericht der Spurensicherung dabei.“ „Auch der Ort, wo ich den Serienmörder getroffen hab?“, wollte der Agent wissen und öffnete seine Augen. „Ja, auch von dort“, entgegnete Jodie ruhig. „Ich hab mir auch die Freiheit rausgenommen und eine Kopie gemacht, dann kann ich sie parallel zu dir lesen.“ „Mhm…“, murmelte Shuichi und nahm die Akte entgegen. Er blätterte sie durch und runzelte die Stirn. „Stimmt was nicht?“, fragte Jodie und setzte sich auf ihren Platz. Bisher hatten sie noch nicht über ihren gemeinsamen Fall gesprochen. Hauptsächlich lag es an ihrem Partner, der andauernd schwieg, egal was sie sagte. Jodie schlug die erste Seite ihrer Kopie auf. „Wie fandest du deinen ersten Einsatz?“, fragte der Agent. Hätte Jodie gerade einen Schluck Wasser genommen, hätte sie dieses schockiert ausgespuckt. Wollte ihr Partner tatsächlich über den Fall sprechen und ihre Meinung wissen? Hatte er die ganze Zeit über gewartet, damit sie sich die Akte gemeinsam ansehen konnten? Jodie lächelte leicht. Sie freute sich, dass er sich endlich auch nach ihrem Befinden erkundigte. „Ehrlich gesagt hatte ich am Anfang tatsächlich ein mulmiges Gefühl bei der ganzen Sache. Natürlich wusste ich, dass ich vom FBI nicht aus den Augen gelassen werde, aber es kann immer etwas Unerwartetes passieren. Du weißt ja, ich bin noch nicht so lange dabei und mir fehlt noch die Erfahrung im Außeneinsatz. Aber ich geb mein Bestes und irgendwie war ich doch froh gewesen, als ich nicht auf den Serienmörder getroffen bin.“ Jodie stockte. „Äh…also so…meinte ich das nicht. Ich will nicht sagen, dass ich Angst oder so hätte…aber…ich…also…“ Akai nickte verstehend. „Ich weiß, was du meinst. Jeder Agent ist nervös, wenn er das erste Mal in den Außeneinsatz geschickt wird. Trotzdem brauchst du die Erfahrung und die wirst du ab jetzt bekommen.“ Jodie traute ihren Ohren nicht. „Danke“, murmelte sie leise. Shuichi blätterte auf die nächste Seite der Akte. „Mhm…es gibt keinen ersichtlichen Zusammenhang zwischen den bisherigen Opfern. Das heißt, wir müssen tiefer graben.“ Jodie sah ihn erstaunt an. „Aber der Serienmörder ist doch tot“, warf sie ein. „Wollen wir die Familien der Opfer wirklich noch weiter quälen? Sie wollen doch bestimmt mit allem abschließen.“ „Das weiß ich auch. Aber es gibt noch zu viele Fragen“, entgegnete Akai und blätterte erneut weiter. „Die Obduktion des Mannes ergab, dass die Schusswunde tödlich war. Ich bin mir immer noch sicher, dass ich auf eine ganz andere Stelle gezielt habe.“ Er blätterte auf die nächste Seite. „Wir konnten die Identität des Mannes klären. Er hatte keine Geschwister, Zwillinge sind damit ausgeschlossen.“ „Die Kugel die in der Leiche gefunden wurde, könnte aus einer Waffe des FBIs stammen“, murmelte er. „Leider wurde am Fundort der Leiche keine auffällige Person ausfindig gemacht. Ich bin am nächsten Morgen nochmal dorthin gefahren“, gestand er schließlich. „Du bist…und warum?“ „Es bringt nichts, wenn man sich den Ort des Geschehens nur aus einer Perspektive ansieht. Wenn doch könnte es passieren, dass einem wichtige Hinweise entgehen. Selbst die Spurensicherung kann Indizien übersehen. Oder sie stufen diese nicht als Indizien ein. Und mit einem neuen Blickwinkel gibt es auch neue Ideen. Manchmal hilft es auch, wenn man sich in den Täter hineinversetzt und das Geschehene noch einmal Revue passieren lässt, während man dort ist. Am Anfang lernt ein Agent, dass er am besten nach Lehrbuch agieren sollte. Das belassen wir auch weiter so, denn du musst erst die Routine lernen. Aber es ist auch wichtig, dass du eigenständige Entscheidungen triffst, lernst dich auf dein Bauchgefühl zu verlassen und weißt wie man überlebt.“ Jodie schwieg. „Du bist ja so still“, stellte der Agent fest. „Äh…naja…du hast mir am ersten Tag gesagt, dass ich dich nicht in Frage stellen soll. Daran halte ich mich nur.“ Akai lachte. „Was ist denn so witzig daran?“ „Schon gut“, entgegnete Shuichi. Mit einer solchen Antwort hatte er wahrlich nicht gerechnet. „Wie ich bereits sagte, ich war am nächsten Morgen am Ort des Geschehens und habe mir alles angesehen. Der Ort wo ich den Serienmörder angeschossen habe, war zu sauber für eine Gasse. Dennoch konnten wir ein wenig getrocknetes Blut sicherstellen. Selbstverständlich besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass es nicht das Blut des Serienmörders ist, aber ich wollte trotzdem sicher gehen. Es gibt zwei interessante Tatsachen dabei.“ „Die da wären?“, wollte Jodie wissen. „Es gibt keine Blutspur. Aber wie kann das sein? Und wie kann der Ort so sauber sein, wenn unsere Leute die ganze Zeit in der Nähe waren? Wenn wir Pech haben, werden wir das nie herausfinden.“ Shuichi sah zu ihr. „Das untersuchte Blut weist keine Ähnlichkeiten zum Blut unseres Toten auf. Ich hab auch eine Abfrage gestartet, ob wir die DNA im System haben. Fehlanzeige.“ „Mhm…“, gab Jodie nachdenklich von sich. „Vielleicht gehört es einer anderen Person, die an einem anderen Tag dort war…oder denkst du, dass einer unserer Leute mit dem Serienmörder unter einer Decke steckt und die Beweise manipuliert hat?“ „Das wäre eine Option“, stimmte der Agent zu. „Ich habe am nächsten Tag in der Zeitung gelesen, dass Yukiko Kudo und Sharon Vineyard am Abend Gäste im Musical gewesen sind. Beide Frauen sind Schauspielerinnen und sehr gut darin, in andere Rollen zu schlüpfen. Allerdings hat Sharon Vineyard diese Fähigkeit perfektioniert. Gib ihr eine Maske und sie kann jede Person nachmachen. Sie hat diese Gabe an ihre Tochter Chris weitergegeben. Weil das Musical in der Nähe war, habe ich es kurz für möglich gehalten, dass Sharon Vineyard in die Rolle unseres Täters geschlüpft ist.“ „Aber schafft man das auch in der Kürze der Zeit?“, wollte Jodie wissen. „Die Zeit hätte gereicht. Der Darsteller wurde auf der Bühne ermordet“, erzählte Akai. Der Täter wurde am gleichen Abend verhaftet und das Musical beendet. Zeitlich würde es passen.“ „Aber sie ist doch Schauspielerin. Welches Motiv hätte sie?“ Akai zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir auch nicht sagen. Es war auch nur eine Möglichkeit, die ich in Betracht gezogen habe. Ich möchte am Anfang lieber viele verschiedene Aspekte in Erwägung ziehen und nicht stur nur einen Weg für möglich halten.“ Shuichi blätterte auf die letzte Seite. „Nachdem was hier drin steht, wird der Fall geschlossen.“ Jodie nickte verstehend. „Das heißt, es ist vorbei?“ „Ja“, antwortete der Agent. „Aber auch wenn ein Fall abgeschlossen ist, wenn du denkst, dass irgendwas nicht stimmt, solltest du weiter recherchieren. Und du solltest deinen ersten Fall nie vergessen, auch wenn er sehr schnell beendet war.“ „Das tu ich nicht“, murmelte Jodie. Sie hatte sich eigentlich mehr von ihrem ersten Fall erhofft, aber Jodie wusste, dass sie nicht alles haben konnte. „Ich habe dir an deinem ersten Tag gesagt, dass ich erst sehen will was du kannst, ehe ich dich aktiv mitarbeiten lasse. Jetzt ist es doch anders gekommen und du wirst immer mehr mitarbeiten können. Allerdings werde ich mir vorher ansehen, was du kannst und wo deine Stärken liegen. In der nächsten Woche werden wir uns morgens immer im Park treffen und zusammen laufen gehen. Danach fahren wir zum Schießplatz und du zeigst mir wie Zielsicher du bist. Anschließend werden wir daran arbeiten deine Sinne zu schärfen. Hast du damit ein Problem?“ „Nein, hab ich nicht“, antwortete die Agentin. „Ich bin ehrlich gesagt sogar froh, denn ich möchte nicht nur im Büro sitzen und nichts tun.“ „Gut“, nickte Akai. „Wenn du dich dabei gut anstellst, kannst du es weit bringen und ich übergebe dir deinen ersten eigenen Fall.“ „Das würde mich wirklich sehr freuen.“ Shuichi schlug die Akte zu. „Abgeschlossen“, murmelte er nicht überzeugt. Trotzdem würde er den Fall nicht ruhen lassen. „Lass mir deinen Bericht zu dem Fall so schnell wie möglich zukommen.“ „Ja“, gab Jodie von sich. Akai hasste Berichte. Sie waren zwar wichtig, damit andere Agenten alle notwendigen Informationen bekamen, aber wenn er sie selbst schreiben musste, waren sie einfach nur Zeitfresser. Shuichi öffnete das Textprogramm und begann zu Tippen. Dieser Blick, sagte er sich. Es wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Als er aus dem Augenwinkel zu Jodie sah, schein es, als hätte er einen Geistesblitz. Galt der Blick vielleicht gar nicht ihm? War Jodie möglicherweise das wahre Opfer? Aber warum? Sie war neu beim FBI und hatte sich noch keinen Namen gemacht. Shuichi stockte. Sie nicht, aber ihr Vater. Akai runzelte nachdenklich die Stirn. Oder hat jemand mit ihrem Vater noch ein Hühnchen zu rupfen?, fragte er sich. Doch wie wahrscheinlich war es? Der Agent war bereits seit Jahren tot. Shuichi verengte die Augen und stand auf. Wurde sie vor Beginn ihrer Tätigkeit beim FBI noch von einer anderen Person beobachtet? Jodie sah irritiert zu ihm. „Willst du doch heute schon anfangen?“, wollte sie wissen. „Nein“, antwortete Akai. „Wenn jemand fragt, bin ich unten im Archiv.“ Viele Akten waren mittlerweile zwar digitalisiert worden, aber die Älteren lagen noch in der Papierform vor. Jodie nickte verstehend. „Soll ich dir beim Suchen helfen?“ „Nicht nötig“, gab der Agent von sich und ging aus dem Büro. Mit dem Fahrstuhl fuhr Shuichi in den Keller. Als er vor der Tür zum Archiv stand, zog er seine Karte durch und betrat den großen Raum. Unverzüglich ging er an einen der Computer und tippte den Namen von Jodies Vater ein. Kapitel 7: Partnerschaft ------------------------ Nachdenklich saß Shuichi an seinem Schreibtisch im Büro und schloss die Akte. Obwohl er den Fall mit dem Serienmörder noch einmal mit Jodie durchsprach, den Leichenfundort sowie alle Beweise erneut überprüfte und verschiedene Szenarien in seinen Gedanken durchspielte, war er in den letzten Wochen dennoch keinen Schritt weitergekommen. Auch wenn es für Shuichi noch sehr viel offene Punkte gab und er sich sicher war, dass bei dem Fall noch etwas im Argen lag, konnte er diesen nur noch offiziell abschließen. Normalerweise hätte er nicht so einfach aufgegeben, aber da auch Jodie involviert war, durfte er kein Risiko eingehen. Außerdem wusste er immer noch nicht, ob nicht Jodie bereits im Visier einer fremden Person war. Es war zum Haare raufen, da er durch die vielen unbekannten Faktoren keine Vorbereitungen treffen konnte. Zudem hatte Shuichi gehofft, dass sich Jodie in den Übungen schlecht machen würde, damit er ihr nur kleine Fälle übergeben konnte. Doch leider hatte ihn Jodie positiv überrascht. Egal welche Aufgabe er ihr auch gab, sie erledigte diese. Nur an ihren Schießkünsten musste sie noch arbeiten und mehr trainieren. Doch dies würde sich in der Zukunft noch ändern. Allerdings hatte Akai bereits bemerkt, dass sich Jodie damit schwer tun würde, auf andere Menschen zu schießen. Damit hatte er zwar schon gerechnet, aber mittlerweile war er sich ganz sicher. Aber auch dem konnte er entgegenwirken. Er würde einfach nur dafür sorgen müssen, dass sie niemals in die Situation kommen würde. Trotzdem hatte er seit jenem Tag vor einer Woche keine andere Wahl mehr, als Jodie in seine Fälle mit einzubeziehen und ihr auch mal einen eigenen Fall zu überlassen. Es würde schwer werden, doch er konnte Jodie nicht auf ewig beschützen. Weder vor sich selbst noch vor anderen. Das war auch etwas, das ein FBI Agent zu lernen hatte. Aber sie würde schon bald wissen, wann es besser war den Mund zu halten. Schweigend stand Shuichi auf und ging zum Büro von James Black. Er klopfte an die Tür und trat einen Moment später ein. „Agent Black? Haben Sie einen Moment Zeit für mich?“, wollte Akai wissen. James blickte auf. „Agent Akai, natürlich, kommen Sie doch rein“, entgegnete der Ältere. „Setzen Sie sich doch.“ Akai nickte und nahm auf dem freien Stuhl vor dem Schreibtisch seines Vorgesetzten Platz. Er lehnte sich nach hinten und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Der Schreibtisch war größer als seiner und sehr chaotisch. Die Akten stapelten sich auf dem Tisch und mehrere Papiere lugten heraus. Wie jeder andere Agent warf auch er einen interessierten Blick auf die Unterlagen. „Kann ich Ihnen etwas zu Trinken anbieten?“ „Danke, aber nein“, sagte Shuichi. „Ich wollte mit Ihnen über meine Partnerin sprechen.“ James wurde hellhörig und verengte die Augen. „Gibt es Probleme mit ihr?“ „Nein nein, keine Probleme“, sprach der Agent. „Mich würde allerdings interessieren, warum ich ihr Partner geworden bin.“ „Mhm…“ „Agent Black, ich möchte ehrlich sein“, fing Shuichi an. „Sie wissen doch, dass ich meine eigenen Recherchen angestellt habe, als ich erfuhr wer mein neuer Partner wird. Selbstverständlich weiß ich auch, dass Jodies Vater früher ebenfalls als FBI Agent tätig war. Er wurde während eines Auftrages von einer unbekannten Organisation ermordet. Jodie und ihre Mutter haben den Anschlag überlebt, weil sie nicht zu Hause gewesen sind. Trotz allem werde ich sie nicht anders behandeln.“ James nickte. „Es ist bereits so lange her“, murmelte der Ältere. „Es war damals mein erster großer Fall und ich war sehr aufgeregt. Mein Partner – Agent Starling – musste mich immer wieder beruhigen, obwohl er eigentlich der war, der in Schusslinie stehen würde. Wir haben damals nur durch Zufall von dieser Organisation erfahren, weil eines ihrer Opfer Hilfe bei uns suchte. Während unserer Recherchen fanden wir heraus, dass diese Organisation innerhalb von sehr kurzer Zeit sehr viel Geld erbeutet hat. Mit der Zeit kamen wir ihnen immer mehr auf die Spur und schließlich hatten wir Glück und konnten eines ihrer Mitglieder identifizieren. Es handelte sich um eine Schauspielerin. Ihr Leibwächter wurde damals verletzt und Starling konnte sich bei ihr einschleichen. Während seiner Zeit als ihr Leibwächter sammelte er Informationen über diese Person und die Organisation. Doch dann…flog seine falsche Identität auf. Wir haben bis heute nicht herausgefunden, wie das passiert ist.“ James seufzte leise auf. „An jenem Abend hatten Jodie und ihre Mutter Glück gehabt, dass sie nicht zu Hause gewesen sind. Das Haus der Familie brannte bis auf die Grundmauern ab und alle Informationen die es über die Organisation gab, wurden zerstört. Wir konnten damals nicht abschätzen, ob sie nicht auch noch Jodie und ihre Mutter ins Visier nehmen würden, daher haben wir die Beiden sicherheitshalber in unsere Obhut genommen. Es ist zum Glück alles gut gegangen. Wie Sie ja sehen, wollte Jodie schon immer zum FBI und den Tod ihres Vaters rächen. Ich hoffe nur, dass sie sich nicht in Gefahr bringt.“ Akai verschränkte die Arme vor der Brust. „Das heißt, die Organisation ist immer noch aktiv“, murmelte er. „Wir nehmen es an. Sie haben sich seit diesem Vorfall erst einmal zurück gezogen.“ „Und Ihre Zielperson? Ist sie auch verschwunden? Sie sagten doch, sie sei Schauspielerin, also kann sie nicht so einfach von der Bildfläche verschwinden.“ „Wir haben sie natürlich weiterhin beobachtet“, antwortete James. „Allerdings hat sie seit diesem Tag nichts mehr getan, was auf eine Verbindung zur Organisation hinweisen würde. Irgendwann haben wir unsere Beschattung dann aufgegeben. Natürlich achten wir trotzdem vermehrt darauf, ob sie nicht doch in irgendwelche Aktivitäten verwickelt wird.“ „Und Sie wollen mir den Namen nicht verraten?“ „Es würde nichts bringen“, begann James. „Sie würden sich Jodie gegenüber möglicherweise anders verhalten, auch wenn es keine Absicht wäre. Oder Sie würden Ihre eigenen Untersuchungen gegen diese Person anstellen. Dazu sehen wir derzeit allerdings noch keine Veranlassung. Außerdem habe ich Sorge, dass Jodie davon Wind bekommt und sich in etwas hineinsteigert. Auch nach all den Jahren vergöttert sie ihren Vater immer noch.“ Akai nickte verstehend. „Tja und warum ausgerechnet Sie ihr Partner wurden…“, murmelte James. „Sie wissen, dass wir auch Ihre Hintergrundgeschichte kennen. Ihr Vater wurde damals in einen Mordfall verwickelt und ist seitdem verschwunden. Lediglich Ihre Mutter erhielt vorher eine Abschiedsnachricht…“ Shuichi verengte die Augen. Sein Vater war der Grund warum er beim FBI arbeiten wollte. Er erinnerte sich noch genau an die Abschiedsnachricht seines Vaters. Er bat seine schwangere Mutter ins Ausland zu fliehen, doch Mary wollte weiterhin für das MI6 tätig sein. Kurz darauf war Shuichi selbst in die Staaten gekommen und begann zu studieren. Aber insgeheim wollte er das Verschwinden seines Vaters aufklären – selbst wenn es damit endete, dass er seine Leiche fand. Seitdem Shuichi für das FBI tätig war, hatte er seine Familie nicht mehr gesehen, aber ihre Aktivitäten weiterhin verfolgt. Seine Mutter und seine kleine Schwester Masumi lebten wieder in England. Sein Bruder Shukichi wurde Shogi-Spieler mit dem Spitznamen Taiko Meijin. Vor allem auf seinen kleinen Bruder war der Agent stolz, da dieser früher immer einen sehr zerstreuten Eindruck machte und es so schien, als könnte er nichts alleine machen. „Auch wir haben den damaligen Fall untersucht.“ „Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?“, wollte Akai wissen. „Wir gehen davon aus, dass Mrs. Hughes das eigentliche Ziel gewesen war, da sie einige Kontakte zum FBI und CIA pflegte. Es ist daher davon auszugehen, dass Mr. Haneda nur ein Kollateralschaden war.“ „Und da der Leibwächter von Mrs. Hughes verschwand, zählte er zum Hauptverdächtigen.“ James nickte zustimmend. „Ihr Vater hat versucht den Tod von Mr. Haneda aufzuklären und verschwand. Arbeitet Ihre Mutter weiter daran das Verschwinden Ihres Vaters aufzuklären?“ Shuichi zuckte mit den Schultern. „Es ist mir nicht bekannt, aber ich kann es auch nicht ausschließen“, antwortete Akai ruhig. „Meine Mutter lässt sich selten in die Karten schauen und zum MI6 pflege ich auch keine Kontakte.“ „Ich verstehe“, gab James von sich. „Das müssen Sie ja auch nicht.“ „Wurde mir Starling zugeteilt, weil wir eine ähnliche Hintergrundgeschichte haben und ich sie dadurch besser verstehen kann?“, wollte Akai wissen. James runzelte die Stirn. „Oder glauben Sie, dass mein Vater auch der Organisation zum Opfer fiel?“ „Wir können es nicht ausschließen.“ „Dann sollten Sie mich gegen die Organisation ermitteln lassen. Ich finde eine Spur zu Ihnen“, sagte der Agent. „Nein“, sprach James. „Das ist eine Anweisung von ganz oben. Nur erfahrene Agenten kümmern sich um diesen Fall.“ Shuichi verengte die Augen. „Oder gibt es etwas, das Sie mir verschweigen?“, fragte James. „Ich bin mir sicher, dass ich dem Serienmörder keine tödliche Wunde verpasst habe. Er ist dennoch tot und ich fühlte mich am Tatort beobachtet, wobei ich nicht sagen kann, ob es mir oder Jodie galt.“ James verengte die Augen. „Ich hoffe, Sie sagen das jetzt nicht nur, damit ich auf die Idee komme, dass die Organisation wieder aktiv ist und einer von Ihnen ihr neues Ziel ist.“ „So etwas würde ich nicht machen“, fing Shuichi an. „Ich habe Jodie beobachtet, ehe sie bei uns anfing. Sie hat es allerdings bemerkt, was ich ihr sehr zu gute halte. Dennoch stelle ich mir schon länger die Frage, ob es nicht auch jemand anderen gibt, der sie beobachtet. Wenn die Organisation erfährt, dass Jodie jetzt für das FBI arbeitet, werden sie sicher nicht untätig werden.“ „Und deswegen müssen Sie ruhig bleiben. Wenn Jodie tatsächlich zu ihrem Ziel werden sollte, braucht es jemanden, der auf sie aufpassen kann.“ „Ich bin kein Babysitter.“ „Das weiß ich doch“, sagte Black. „Ich spreche mit meinen Vorgesetzten, in Ordnung? Allerdings kann ich Ihnen nichts versprechen, doch ich teile Ihre Sorge bezüglich Jodie. Dennoch können wir ihr keine Extrabehandlung zukommen lassen. Vergessen Sie bitte nicht, dass die Organisation mehrere Jahre Zeit gehabt hätte. Warum sollten sie ausgerechnet jetzt zuschlagen?“ Akai zuckte mit den Schultern. „Das macht für mich auch keinen Sinn.“ Shuichi seufzte. „Vielleicht habe ich es mir auch eingebildet, weil ich etwas sehen wollte, was nicht da ist.“ „Es war trotzdem gut, dass Sie es mir erzählt haben.“ Shuichi stand auf. „Halten Sie mich bitte trotzdem auf dem Laufenden. Wenn Jodie in Gefahr geraten sollte, möchte ich das so schnell wie möglich wissen.“ Agent Black nickte. „Verlassen Sie sich auf mich.“ Shuichi drehte sich um und verließ das Büro. Irritiert sah er zu seiner Partnerin. „Was machst du hier?“ Aber was noch wichtiger war, hatte sie irgendwas gehört? „Ich hab ein paar Akten“, entgegnete Jodie und hielt diese hoch. „Die soll ich abgeben.“ „Okay“, gab Akai von sich. „Wir sehen uns im Büro“, fügte er hinzu und ging. Jodie sah ihm für einen Augenblick nach und schluckte. „Jodie?“, kam es aus dem Inneren. Die Angesprochene blickte auf die offene Tür und machte einen Schritt nach vorne. „Darf ich reinkommen?“ „Natürlich“, entgegnete James mit einem Lächeln auf den Lippen. „Setz dich doch bitte.“ James trat an seinen Schreibtisch heran und legte die Akten ab. „Die wollte ich dir nur vorbei bringen. Schau sie dir in Ruhe an und wenn noch etwas ist, überarbeite ich die Dokumente.“ „Oh…ach so…“, murmelte der Agent. „Danke. Wie fühlst du dich hier?“ „Ich gewöhn mich immer mehr ein“, antwortete Jodie zögerlich. „Das freu mich“, entgegnete Black. „Ist noch etwas?“ „Nein…ich geh mal zurück. Akai wartet sicher schon“, sagte sie und verließ das Büro. Jodie seufzte leise auf, während sie zu ihrem Büro ging. Vor der Tür atmete sie tief durch, ehe sie eintrat. Nur langsam setzte sie sich auf ihren Stuhl und warf immer mal wieder einen verstohlenen Blick zu ihrem Partner. „Was ist?“, wollte Shuichi leicht genervt wissen. „Stimmt das?“, fing Jodie leise an. „Was…ihr im Büro besprochen habt?“ Akai verengte die Augen. „Ab wann hast du uns belauscht?“ „Als es um deine Familie ging“, murmelte Jodie. „Es war nur ein Zufall. Ich hab das nicht mit Absicht gemacht.“ Shuichi seufzte leise auf. „Es stimmt was du gehört hast. Du solltest dem aber keine Bedeutung schenken. Es wird nichts an unserem Arbeitsverhältnis ändern.“ „Aber…“ „Siehst du mich jetzt mit anderen Augen?“, wollte der Agent wissen. „Was? Ich…“, Jodie brach ab. „…ich finde es etwas komisch, dass du mich an meinem ersten Tag dafür verurteilt hast, dass ich den Mörder meines Vaters finden wollte, dabei willst du genau das gleiche. Und jetzt hör ich auch noch, dass unsere Väter möglicherweise vom gleichen Täter…der gleichen Organisation umgebracht wurden.“ Sie sah auf ihren Schreibtisch. „Ich wusste nicht, dass er gegen eine Organisation ermittelt hat. Sie sagten mir immer nur, dass er in Ausübung seiner Pflicht ermordet wurde und einen Auftrag hatte…“ Shuichi rollte mit den Augen. „Und was hast du jetzt mit dem neuen Wissen vor?“ „Ich…ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.“ „Mach dir nicht zu viel Gedanken darum“, fing Akai an. „Gegen diese Organisation dürfen nur erfahrene Agenten ermitteln, das heißt, wir Beide müssen noch viel mehr Fälle bearbeiten und für das FBI die Agenten erster Wahl werden. Erst dann lassen sie uns die alten Fälle aufrollen“, fügte er hinzu. Jodie wirkte nicht überzeugt. „Sobald es möglich ist, werde ich dich bei deiner Suche nach dem Mörder deines Vaters unterstützen. Du kannst mir vertrauen.“ Kapitel 8: Feierabend --------------------- Obwohl Jodie eigentlich einen recht ruhigen Tag im Büro hatte, fühlte sie sich am Abend wie gerädert. Es war lange her gewesen, dass sie sich auf den Feierabend freute und als es soweit war, flüchtete sie nahezu aus dem Büro. Jodie wollte einfach nur nach Hause und am liebsten alles vergessen. Sobald Jodie ihre Wohnung betrat, stellte sie ihre Tasche auf den Boden, schlüpfte aus ihren Schuhen, zog die Jacke aus und hing diese an die Garderobe. Seufzend ging die junge Agentin in ihr Wohnzimmer und warf sich auf das Sofa. „Oh man“, murmelte sie leise. „Was für ein Tag…“, fügte sie hinzu und schloss ihre Augen. Jodie hatte nie geplant gehabt an der Tür ihres Vorgesetzten zu lauschen, aber als sie die Stimmen von James und Shuichi hörte, konnte sie irgendwie nicht anders. Nahezu automatisch öffnete Jodie die Tür ganz leise und ließ diese einen Spalt weit offen. Sie hoffte, dass sie weder von James noch von einem anderen Agenten erwischt wurde und hörte Shuichi und James aufmerksam zu. „Sie wissen, dass wir auch Ihre Hintergrundgeschichte kennen. Ihr Vater wurde damals in einen Mordfall verwickelt und ist seitdem verschwunden. Lediglich Ihre Mutter erhielt vorher eine Abschiedsnachricht. Auch wir haben den damaligen Fall untersucht“, sagte James ruhig. Mit einem Mal fühlte sich Jodies Herz schwer an. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Partner seinen Vater auch verloren hatte. Und dann war die Art und Weise auch noch grausam. Es war bereits schlimm genug, wenn man ein Elternteil verlor, doch Shuichi wusste nicht einmal, was aus seinem Vater geworden wurde. Suchte er denn auch nach ihm oder hatte er sich bereits damit abgefunden? Und was am wichtigsten war, lebte sein Vater überhaupt noch? „Ihr Vater hat versucht den Tod von Mr. Haneda aufzuklären und verschwand. Arbeitet Ihre Mutter weiter daran das Verschwinden Ihres Vaters aufzuklären?“ „Es ist mir nicht bekannt, aber ich kann es auch nicht ausschließen“, antwortete Akai ruhig. „Meine Mutter lässt sich selten in die Karten schauen und zum MI6 pflege ich auch keine Kontakte.“ Es überraschte Jodie, dass ihr Partner Kontakte zum MI6 hatte. Arbeitete seine Mutter etwa dort? Hatte James diese extra deswegen erwähnt? Aber warum war Akai dann dem FBI beigetreten? Unweigerlich ballte Jodie ihre Hände zu Fäusten. Sie hatte durch dieses kurze Gespräch viel mehr über ihren Partner erfahren, als in den letzten Wochen. Vielleicht konnte sie ihn auch überzeugen, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Gemeinsam hätten sie bestimmt eine Chance und konnten möglicherweise einen Hinweis finden. Und wenn sie ihm half, würde er ihr sicherlich auch helfen. „Wurde mir Starling zugeteilt, weil wir eine ähnliche Hintergrundgeschichte haben und ich sie dadurch besser verstehen kann?“, wollte Akai wissen. „Oder glauben Sie, dass mein Vater auch der Organisation zum Opfer fiel?“ „Wir können es nicht ausschließen.“ „Dann sollten Sie mich gegen die Organisation ermitteln lassen. Ich finde eine Spur zu Ihnen“, sagte der Agent. „Nein“, sprach James. „Das ist eine Anweisung von ganz oben. Nur erfahrene Agenten kümmern sich um diesen Fall.“ Es hatte Jodie schockiert. Sie wusste zwar, dass ihr Vater aufgrund seiner Arbeit von einem unbekannten Täter ermordet wurde, aber von einer Organisation – einer Verbrecherbande – hörte sie zum ersten Mal. Mit einem Mal schlug Jodies Herz schneller. Warum hatte man sie angelogen? Warum nur? Warum hatte ihr James dies nur angetan? Die ganze Zeit über hatte Jodie gedacht, dass die Ermittlungen gegen den Mörder ihres Vaters zu den Akten gelegt wurden, doch jetzt wusste sie, dass das FBI weiter daran arbeitete. Und das nur, weil eine Verbrecherorganisation dahinter stand. Wenn James sie schon deswegen anlog, was verschwieg er ihr noch? „…und ich fühlte mich am Tatort beobachtet, wobei ich nicht sagen kann, ob es mir oder Jodie galt.“ „Ich hoffe, Sie sagen das jetzt nicht nur, damit ich auf die Idee komme, dass die Organisation wieder aktiv ist und einer von Ihnen ihr neues Ziel ist.“ „So etwas würde ich nicht machen“, fing Shuichi an. „Ich habe Jodie beobachtet, ehe sie bei uns anfing. Sie hat es allerdings bemerkt, was ich ihr sehr zu gute halte. Dennoch stelle ich mir schon länger die Frage, ob es nicht auch jemand anderen gibt, der sie beobachtet. Wenn die Organisation erfährt, dass Jodie jetzt für das FBI arbeitet, werden sie sicher nicht untätig werden.“ „Und deswegen müssen Sie ruhig bleiben. Wenn Jodie tatsächlich zu ihrem Ziel werden sollte, braucht es jemanden, der auf sie aufpassen kann.“ Jodie schluckte. Ja, sie hatte natürlich bemerkt, dass sie beobachtet wurde, doch sie hatte es die ganze Zeit über auf ihren Partner geschoben. Es machte auch Sinn und er hatte ihr schließlich auch die Wahrheit eröffnet. Aber jetzt bestand auch noch die Möglichkeit, dass sie selbst im Visier dieser ominösen Organisation geriet. Doch was hieß das für ihre Mutter? War sie nun auch in Gefahr? Waren sie und ihre Mutter vielleicht schon lange in ihrem Visier? Oder war alles nur ein Zufall? Wurden sie deswegen so lange vom FBI beschützt und gefördert? War James vielleicht sogar nur deswegen mit ihrer Mutter zusammen, um auch weiterhin ein Auge auf Jodie werfen zu können? Sofort schüttelte Jodie den Kopf. Sie wollte das nicht glauben. „Und was hast du jetzt mit dem neuen Wissen vor?“ „Ich…ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.“ „Mach dir nicht zu viel Gedanken darum“, fing Akai an. „Gegen diese Organisation dürfen nur erfahrene Agenten ermitteln, das heißt, wir Beide müssen noch viel mehr Fälle bearbeiten und für das FBI die Agenten erster Wahl werden. Erst dann lassen sie uns die alten Fälle aufrollen“, fügte er hinzu. „Sobald es möglich ist, werde ich dich bei deiner Suche nach dem Mörder deines Vaters unterstützen. Du kannst mir vertrauen.“ Und Jodie glaubte ihm. Sie war sich sogar sicher, dass er ihr helfen würde, wenn er nur die Möglichkeit dazu bekam. Aber wie sollten sie es hinbekommen? Wenn tatsächlich nur erfahrene Agenten gegen die Organisation ermitteln durften, waren sie erst einmal aus dem Rennen. Und was würde passieren, wenn man Akai dafür auserwählte und sie nicht? Würde ihre Partnerschaft abrupt enden oder würde man auch ihr eine Chance geben? Jodie öffnete die Augen. Es brachte nichts, wenn sie über alles grübelte und nur die theoretischen Aspekte im Auge behielt. Die junge Agentin seufzte leise auf und stand auf. Sie ging in den Flur und zog das Handy aus der Handtasche. Sofort tippte sie eine Nachricht an ihre Mutter und schickte diese ab. Es dauerte nicht lange bis sich ihre Mutter zurück meldete. Wie Jodie erwartet hatte, war Angela zu Hause. Dann kann ich mit ihr in Ruhe über James reden, sagte sich Jodie und machte sich mit einem Lächeln auf den Lippen auf den Weg zu ihrem alten zu Hause. Sie war sogar froh, als sie endlich dort ankam. Immer wieder geisterte in ihrem Kopf herum, dass sie von einer geheimen Organisation beobachtet wurde. Sie kannte weder ihre Mitglieder noch deren Aussehen. Aus diesem Grund hatte sich Jodie auch während des ganzen Weges umgesehen und verfolgt gefühlt. Als Jodie an der Haustür klingelte, hoffte sie, dass Gefühl ihres Verfolgungswahns enden würde. Es dauerte nicht lange bis ihre Mutter die Tür öffnete. „Jodie, schön, dass du gekommen bist.“ „Ich freu mich auch“, entgegnete Jodie. Sie versuchte zwar immer noch regelmäßig am Sonntag zum Essen vorbei zu kommen, doch manchmal ließ es ihre Arbeitszeit nicht zu. Sie trat ein und umarmte ihre Mutter. „Macht dir die Arbeit immer noch Spaß?“ „Ja, sehr“, nickte Jodie und zog sich die Schuhe und die Jacke aus. Ihre Jacke hing sie an die Garderobe und nahm ihre Tasche. „Du hast nicht zufällig Abendessen gekocht?“ Angela schmunzelte. „Zufällig hab ich das. Komm doch schon in die Küche. James deckt bereits den Tisch.“ „James“, murmelte Jodie leise. Damit konnte sie sich von ihren Plänen verabschieden. Statt mit ihrer Mutter über James zu sprechen, würde sie einfach eine gute Miene machen. „Ich verstehe.“ „Ist das ein Problem für dich?“, wollte Angela wissen. „Ich weiß ja, ihr seht euch schon oft im Büro…“ „Ist schon in Ordnung“, entgegnete Jodie ruhig. „So oft sehen wir uns gar nicht“, fügte sie hinzu. „Ich muss wieder an den Herd, sonst brennt das Essen an“, sagte Angela und ging in die Küche. „Jodie ist da.“ James nickte und sah dann zu der Agentin. „Wenn ich gewusst hätte, dass du heute herkommst, hätte ich dich nach der Arbeit mitgenommen.“ Jodie setzte sich an den Tisch. „Als ich Feierabend gemacht hab, wusste ich noch gar nicht, dass ich Mom besuchen will. Das war eine spontane Eingebung.“ „Ich verstehe“, gab James von sich und setzte sich. Angela trat an den Herd und nahm das Essen runter. „Es ist schön, dass ich meine zwei Lieblingsmenschen jetzt hier hab. Wir müssen wirklich häufiger zusammen Zeit verbringen.“ Jodie tat sich damit schwer ihr Gesicht nicht zu verziehen. Eigentlich hatte sie James gemocht, doch mittlerweile war sie sich nicht sicher, welche Ziele er mit allem verfolgte. Wieso spielte er ihr gegenüber nicht mit offenen Karten? „Die Arbeitszeit wird es uns nicht einfacher machen“, begann Jodie ruhig. „Jetzt arbeiten wir ja alle im Schichtdienst. Ich werde sicherlich nicht an jedem Sonntag herkommen können.“ „Ja, das stimmt“, nickte Angela und stellte die Töpfe auf den Tisch. „Greift zu und lasst es euch schmecken.“ Sie setzte sich und wartete, bis jeder etwas auf dem Teller hatte. „Jetzt erzähl mal, Jodie, wie ist es so mit James als Chef?“ Jodie zuckte mit den Schultern. „So viel Kontakt haben wir im Büro gar nicht. Meistens bring ich nur Akten vorbei.“ Sie stocherte in ihrem Essen. „Und ich versuche auch James möglichst aus dem Weg zu gehen, damit so wenig Kollegen wie möglich erfahren, in welcher Verbindung wir stehen. Es ist eh schon schwer als Dads Tochter dort zu arbeiten…mit James im Nacken würde es nicht einfacher werden. Allerdings musste ich feststellen, dass nicht alle Kollegen wussten, wer mein Vater ist.“ Angela nickte verstehend. „Es freut mich, dass dir die Vergangenheit keine Probleme bereitet. Und wie geht es mit deinem Partner voran? Du hattest erzählt, dass es am Anfang nicht so einfach mit ihm war.“ „Mhm?“ James wurde hellhörig. „Ach ja? Stimmt das?“ „Wir brauchten eben Zeit um einander kennen zu lernen“, sagte Jodie. „Er hat natürlich gewusst, dass Dad auch beim FBI war und war dementsprechend mir gegenüber auch vorsichtig. Vielleicht wusste er sogar, dass James hier ein- und ausgeht und nahm daher an, dass ich vom FBI bevorzugt wurde. Ich denke, wir sind jetzt gut miteinander warm geworden und arbeiten auch als Team zusammen. Unseren ersten Fall haben wir auch schon zusammen gemeistert.“ „Ja? James, das hast du mir gar nicht erzählt.“ „Ich wollte dich nicht beunruhigen und ich dachte, dass dir Jodie selbst davon erzählen will“, antwortete der ältere Agent. „So viel konnte ich gar nicht bei meinem ersten Fall machen. Kaum dass er anfing, war er auch schon vorbei. Das gute ist, dass ich jetzt öfters aktiv mitarbeiten kann.“ Jodie sah den besorgten Blick ihrer Mutter. „Mom, mach dir keine Sorgen um mich. Ich weiß was ich tu und mein Partner passt auch auf mich auf. Mir wird nicht das gleiche passieren wie Dad.“ „Das weiß ich doch“, murmelte Angela. „Ach, Mom…ich werde bestimmt nicht im Einsatz sterben. Ich weiß doch, was du wegen Dad durchgemacht hast. Das werde ich dir nicht antun. Und…“ Jodie sah zu James. „James wird bestimmt auch darauf achten, dass mir nichts passiert.“ „Aber natürlich“, entgegnete der Agent. „Jeder Agent sammelt zuerst Erfahrungen, ehe er an einem gefährlichen Einsatz teilnehmen kann. Außerdem achtet der Partner auch auf einen.“ „Und wenn…“, sprach Angela leise. „Also wenn…es jemanden gibt, der…noch eine Rechnung mit…“ Jodie sah in ihr Essen. „Dad hat viele Verbrecher hinter Gittern gebracht“, entgegnete sie ruhig. „Bestimmt gibt es den ein oder anderen, der mit ihm noch eine Rechnung offen hat und Rache an ihm nehmen will…aber…auch wenn ich nicht zum FBI gegangen wäre, hätte ich in ihr Visier geraten können.“ In ihr Visier? James runzelte nachdenklich die Stirn. Weiß sie etwas? Angela schluckte. „Ich will dich nicht verlieren.“ „Ach Mom…“, Jodie seufzte leise auf. „Lasst uns doch das Thema wechseln“, schlug James vor und sah in die Runde. „Wir könnten doch nächste Woche gemeinsam Essen gehen.“ „Ja, warum nicht“, gab Angela von sich. „Oder Jodie kocht für uns.“ Jodie sah irritiert zu den Anwesenden. „Wenn ihr wollt, dass ich euch vergifte…“ Kapitel 9: Gedanken ------------------- Beinahe fasziniert beobachtete James seine Freundin. Hätte ihm irgendjemand vor Jahren erzählt, dass er eines Tages mit der Frau zusammenkommen würde, die seinen besten Freund geheiratet hatte, hätte er es nicht geglaubt. Stattdessen hätte er vehement darauf bestanden, dass Angela nie die Frau seines Lebens werden würde. Doch es kam alles anders. James war schon immer sehr eng mit der Familie Starling verbandelt gewesen. Seinen Partner – Agent Starling – lernte er während der Ausbildung in Quantico kennen und war froh, als sie am Ende in der gleichen Niederlassung anfangen konnten. Neben der Arbeit trafen sie sich regelmäßig privat und er war auch der erste, dem sein Freund Angela vorstellte. Wie es sich für einen besten Freund gehörte, freute sich James natürlich und war letzten Endes auch der Trauzeuge auf der Hochzeit. Nach Jodies Geburt brachte er ihr oft Geschenke mit, erzählte immer mal wieder eine Gute-Nacht-Geschichte und spielte oft mit dem kleinen Mädchen. Er sah sich selbst als Onkel James und wollte – genau wie Jodies Vater – das Mädchen vor allen Grausamkeiten der Welt beschützen. Nachdem sein Partner in Ausübung seiner Pflicht durch die Organisation getötet wurde, hatte Jodie viel geweint. Jedes einzelne Mal hatte er versucht das kleine Mädchen zu trösten. Manchmal erzählte er ihr sogar Geschichten aus dem Leben ihres Vaters oder zeigte ihr alte Fotos. Immer wenn er das Gefühl hatte, dass Jodie einen Schritt vorwärts machte, ging sie automatisch wieder zwei Schritte zurück. Dennoch war er weiterhin behutsam mit ihr und wartete ab. Selbstverständlich bemerkte er auch, wie sie versuchte für ihre Mutter stark zu sein. Als er sie darauf ansprach, leugnete sie es nicht einmal. Allerdings hatte Jodie ihn überrascht und verlangt, dass er vor ihrer Mutter schwieg. Schließlich hatte er sich ihrem Wunsch gefügt und geschwiegen, aber auch Angela hatte die Veränderung ihrer Tochter bemerkt und versucht entsprechend zu handeln. Letzen Endes hatten sie alle nur zu Jodies Wohl gehandelt und nie wieder darüber gesprochen. Auch die Jahre danach hatte sich James um die Familie gekümmert. Offiziell waren sie allerdings in die Obhut des FBIs gekommen. Es dauerte nicht lange bis die kleine Familie sein Leben komplett auf den Kopf gestellt hatte. Seine Wohnung war einst nicht sehr opulent eingerichtet und erschien für viele wie die Wohnung eines ganz normalen Junggesellen. Aber von einem Tag auf den anderen lag überall Spielzeug verstreut und er bekam täglich selbst gekochtes Essen auf den Tisch gestellt. James hatte damals gar nicht bemerkt wie sehr er sich bereits an sein neues Leben gewöhnt hatte. Doch sein neues Leben führte auch zu neuen Konflikten, nachdem die ersten Gerüchte in Umlauf gebracht wurden. Einige behaupteten, dass der Brand im Hause der Starling von James oder Angelegt gelegt wurde, andere hingegen waren sich sicher, dass die Beiden bereits lange vorher eine Affäre hatten und sie eigentlich der Rache von Agent Starling zum Opfer fallen sollten, was schließlich in einer Katastrophe ausartete. Nur die wenigsten Agenten, Freunde und Bekannte hatten noch daran geglaubt, dass ein Fremder ins Haus eindrang und den Tod des Agenten verursachte. Für sie alle war es zwar eine sehr wahrscheinliche Erklärung, doch genau so war sie auch ein Klischee, welches als Ausrede herhalten musste. Aber was sollten sie auch machen? Die erste Beschattung der Organisation fand im Geheimen statt und nur die obersten Vorgesetzten kannten den Auftrag. Als schließlich – ohne einen Täter gefunden zu haben - der Fall zu den Akten gelegt wurde und keiner mehr darüber sprach, brachte es nichts mehr die alten Geschichten aufzuwärmen. Für James und Angela gab es von da an nur eine Möglichkeit: Sie mussten die Gerüchte ignorieren und dafür sorgen, dass Jodie nichts mitbekam. Da das Mädchen bereits genug durchgemacht hatte, sollte sie nicht wieder neue Qualen leiden und die Schuld bei ihrer Mutter suchen müssen. Denn eines war klar: Keiner wusste was in einer zarten Kinderseele vorging. Knapp zwei Jahre später machten sie sich auf die Suche nach einer neuen Wohnung oder einem neuen Haus. Als ihre Planung langsam konkreter wurde und die beiden Erwachsenen immer mehr Zeit miteinander verbrachten, begann es zaghaft zwischen ihnen zu knistern. Sie gestanden sich diese Veränderung allerdings nicht ein und entschlossen sich – aus Überforderung – getrennte Wege zu gehen. Dennoch war James auch weiterhin für die Familie da. Er unterstützte Angela bei allen Belangen, führte Hintergrundprüfungen von Jodies Klassenkameraden, deren Eltern, den Lehrern, anderen Schülern und auch bei Angelas Arbeitskollegen und einigen Patienten durch. Wann immer es ging, holte er Jodie von der Schule ab und half ihr bei den Hausaufgaben. Manchmal machte er sie sogar für das Mädchen oder hielt als Ausrede her, wenn sie nach der Schule noch Zeit mit ihren Freunden verbringen wollte. Da Jodie zu einem wichtigen Menschen in seinem Leben wurde, wollte er ihr auch die bestmögliche Ausbildung ermöglichen und half ihr sogar bei der Wahl ihres Studienplatzes. Da sich Jodie bereits sehr früh dazu entschlossen hatte in die Fußstapfen ihres Vater zu treten, hatte er mit ihr die Wahl der Kurse und Fächer besprochen und für sie Weiterbildungen organisiert. Mit Angela war er mehr als einmal darüber in Streit geraten, hatte ihr aber immer wieder erklärt, dass Jodie irgendwann ihren eigenen Weg gehen musste und keiner sie auf ewig beschützen konnte. Aber je mehr Zeit verging, umso schlechter fühlte er sich. Obwohl er nur für Jodie das Beste wollte, führte er sie auch auf ihren Weg und veränderte damit ihr Leben. Hätte er ihr nicht so viele Optionen geboten, hätte ihre Zukunft auch friedlicher verlaufen können. Es war schon schwer genug gewesen sie über die wahren Umstände des Todes ihres Vaters im Unklaren zu lassen. Irgendwie war er sogar froh, dass sie der Wahrheit langsam auf die Spur kam und die Lügengeschichten bald ein Ende finden würden. Doch jetzt wo sie es wirklich geschafft hatte und eine FBI Agentin wurde, wurde sein Herz schwer. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen, nicht mehr die Tochter von Angela und seinem besten Freund, sie war mittlerweile auch irgendwie seine Tochter geworden. James teilte die gleichen Sorgen wie Angela, verbarg sie aber besser. Er wusste auch, was die Kollegen denken würden und hatte bereits geahnt wie hart ihre ersten Wochen und Monate in der Niederlassung sein würden. Da er auch den gefährlichen Alltag eines Agenten kannte, sorgte er dafür, dass Akai ihr Partner wurde. Der junge Agent hatte in der Vergangenheit bereits viel Elan gezeigt, wusste sich durchzusetzen und würde auch mit Jodies Art klar kommen. Außerdem hatte James gehofft, dass er Jodie nicht so schnell am aktiven Dienst teilnehmen ließ, doch er hatte sich geirrt. Als er aber von Jodies Einsatz erfuhr, war er bereits vorbei gewesen. Am liebsten wäre er in das Büro des Agententeams gestürmt und hätte sich selbst von Jodies Verfassung überzeugt. Jetzt war es allerdings viel zu spät um sich einzumischen, daher konnte er nur noch abwarten und schauen, wie sich die Situation entwickeln würde. Und dann war da noch die Sache mit Angela. Er hatte sie die ganze Zeit über in ihrer Sorge begleitet und versuchte sie zu trösten sowie zu beruhigen. Schließlich hatte es ein weiteres Mal zwischen ihnen geknistert und letzten Endes gaben sie endlich ihrem Verlangen nach. Aus einem Mal wurde ein zweites Mal, dann ein drittes…und schließlich dauerte es nicht lange bis sie sich endlich ihre Gefühle eingestehen konnten und ein Paar wurden. Doch die schwerste Prüfung stand ihnen noch bevor: Jodie. Ihre Reaktion fiel anders aus als vorgestellt. Jodie hatte weder getobt noch sich gefreut. Sie hörte den Beiden einfach nur zu und nickte verstehend. Danach hatten sie es erst einmal gelassen und Jodie ihren Freiraum gegeben. Die junge Frau kam zwar weiterhin zum Essen am Sonntag nach Hause, doch ihre Beziehung zueinander hatte sich schlagartig verändert. Und auch Wochen später wusste James nicht, was in ihr vor sich ging. Im Büro schien sie ihm aus dem Weg zu gehen und wenn sie miteinander sprachen, dann auf der professionellen Ebene. Irgendwie war es auch für James ein Schlag ins Gesicht gewesen, da er doch gehofft hatte, dass sie sich freuen und ihn als Partner ihrer Mutter akzeptieren würde. James reflektierte den Abend. Er hatte bemerkt, dass es Jodie lieber gewesen wäre, wäre er nicht im Haus ihrer Mutter, aber er konnte ja nicht wissen, dass sie ausgerechnet an jenem Abend vorbei kommen wollte. Auch hatte sich ihr Gespräch in eine sehr zwanghafte Richtung entwickelt und wann immer es ging, versuchte Jodie ihren Vater zu erwähnen. Zu bestimmten Zeitpunkten des Abends fühlte er sich wie das fünfte Rad am Wagen und war sogar ein wenig froh, als Jodie nach Hause fuhr. Doch wie sollte er weiterhin mit Jodie umgehen und sollte er mit Angela darüber sprechen? „Ist alles in Ordnung?“, wollte die Frau wissen, als hätte sie seine Gedanken nachverfolgt. „Ich bin nur froh, dass wir zueinander gefunden haben“, entgegnete James. Angela nickte zaghaft. „Jodie kommt noch nicht mit dem allen klar“, murmelte sie. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer für sie sein würde.“ „Jodie ist erwachsen“, begann James. „Sie wird sich schon daran gewöhnen. Es ist normal, dass es am Anfang ein Schock für sie war.“ „Das stimmt wohl“, gab die Krankenschwester leise von sich. „Ich glaube, es ist für sie so schwer, weil sie dich ihr ganzes Leben bereits kennt und nicht damit gerechnet hat, dass wir zwei zusammen kommen würden.“ Daran hatte James auch gedacht. Er zog sogar die Möglichkeit in Betracht, dass Jodie ihr gesamtes Leben in Frage stellte oder Angst hatte, dass er sich nur um sie kümmerte um bei ihrer Mutter gut da zu stehen. „Sie wird sich irgendwann für uns freuen“, sprach James ruhig. „Er freut sich bestimmt auch für uns…“ Angela nickte. „Vielleicht…sollten wir trotzdem schauen, dass wir uns nicht so oft sehen…vor allem nicht, wenn Jodie da ist.“ James starrte sie ungläubig an. „Du willst, dass wir uns trennen?“ „Was? Nein, das hab ich nicht so gemeint. Ich…“ Sie sah auf die Hände in ihrem Schoß. „Ich will es Jodie nur leichter machen. Wenn sie nach Hause kommt, soll sie nicht das Gefühl haben, dass du hier schon eingezogen bist. Ich will sie nicht noch mehr überfordern und…“ James seufzte. „Jodie ist eine erwachsene Frau. Ich verstehe, dass es schwer für sie ist, jetzt zu sehen, dass du einen Freund hast. Du kannst Jodie aber nicht immer beschützen und dich nach ihren Wünschen richten. Haben wir uns nicht schon lange genug zurück gehalten? Angela, so kann es doch nicht weiter gehen. Ich glaube nicht, dass es die richtige Entscheidung ist, Jodie zu schonen, nur weil sie mit der Veränderung nicht klar kommt. Sie muss lernen damit umzugehen, auch wenn es dauert. Aber wenn du willst, dass ich nach meinem Feierabend nicht mehr herkomme, werde ich diesen Wunsch respektieren…“ Die Krankenschwester biss sich auf die Unterlippe. „Ich weiß doch auch nicht was das Richtige ist. Aber ich weiß, dass es Jodie nicht gut geht und…wenn sie wegen uns ihre Arbeit vernachlässigt und dann in Gefahr gerät…“ Angela schüttelte den Kopf. „…daran möchte ich nicht denken.“ James seufzte leise auf. Das Gespräch entwickelte sich in keine Richtung die er wollte. „Verstehe.“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Musst du nicht gleich zur Nachtschicht?“ „Muss ich“, entgegnete Angela und stand von ihrem Platz auf. „Lass uns morgen noch einmal darüber reden, ja?“ „In Ordnung“, stimmte James zu. „Soll ich dich fahren?“ „Nicht nötig.“ Sie versuchte zu lächeln. „James, ich mag dich wirklich sehr.“ Sein Herz wurde schwer. Es war ein ‚Ich mag dich sehr, aber‘ und er wollte nicht wissen, wo dies alles noch hinführte. Statt etwas zu sagen, gab er ihr einen Kuss auf die Lippen und setzte ein Lächeln auf. „Bis morgen und pass auf dich auf.“ „Bis morgen“, wisperte Angela und folgte ihm in den Hausflur. Zusammen zogen sie sich ihre Jacke und Schuhe an und verließen das Haus. Angela warf James einen sehnsüchtigen Blick zu, ging dann aber zu ihrem Wagen und stieg ein. James tat das gleiche, seufzte und fuhr anschließend los. Die ganze Zeit über warf er einen Blick in den Rückspiegel, bis Angela an der Kreuzung nach rechts bog. Die Krankenschwester unterdrückte ihre Tränen. Nie hatte sie gedacht, dass sich das Gespräch in diese Richtung entwickeln würde, aber ihre Worte konnte sie nicht mehr zurücknehmen. Obwohl sich die Frau auf die Straße konzentrierte, hatte sie keine Zeit mehr gehabt um zu reagieren und kollidierte mit einer schwarzen Gestalt. Ihr Wagen kam mit quietschenden Reifen zum Stehen und Angelas Herz raste. Kapitel 10: Unfallgegner ------------------------ Eigentlich hätte Angela nicht glücklicher sein können. Nach all den Jahren in denen sie immer wieder zurücksteckte, konnte sie endlich wieder glücklich sein, ohne sich Vorwürfe zu machen. Nicht nur, dass Jodie mittlerweile zu einer jungen Frau herangewachsen war und ihren eigenen Weg ging, sie selbst hatte sich wieder verliebt. Anfangs kämpfte sie noch gegen diese Gefühle an und ging James sogar aus dem Weg, doch je mehr Zeit verging, desto mehr fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Sie liebte ihn von ganzem Herzen und dennoch würde sie ihren ersten Mann nie vergessen. Sie hatten so viel Zeit miteinander verbracht und eine gemeinsame Tochter, wodurch sie auf ewig miteinander verbunden waren. Nach dem sie von seinem Tod erfuhr, war auch ein Teil von ihr gestorben. Sie fühlte sich einsam und war zerbrochen, doch James hatte es geschafft sie zu retten. Die ganze Zeit über war er für sie da gewesen und hatte sie auf den rechten Weg zurück geführt. Er hatte ihr und Jodie sogar ein neues zu Hause gegeben. In den schweren Stunden tröstete James sowohl Jodie als auch sie selbst. Dank ihm wurde ihr Leben wieder in positive Bahnen gerückt und er hatte das Mädchen während der gesamten Zeit wie sein eigen Fleisch und Blut behandelt. Irgendwann waren sie zu einer kleinen Familie geworden, doch Angela verbot sich jegliche romantischen Gefühle für den besten Freund ihres Mannes. Stattdessen zog sie sich zurück und versuchte ihr Leben ohne James zu führen. Trotzdem hatte er sie nicht in Stich gelassen und nachdem Jodie eine positive Rückmeldung vom FBI bekam, war James für sie da. Es hatte ein weiteres Mal zwischen ihnen gefunkt, doch erneut haderte Angela mit ihren Gefühlen. Irgendwann aber gab sie nach und stand dazu. Eigentlich hätte alles perfekt sein können, doch Jodie schien mit der Beziehung ihrer Mutter nicht klar zu kommen. Angela hatte gehofft, dass es für Jodie einfacher werden würde, schließlich wuchs sie mit James auf, doch Jodie hatte kaum eine Regung gezeigt. Stattdessen zog sie sich zurück und wurde ruhiger. Auch wenn ihr James nur wenig von seiner Zeit mit Jodie im Büro erzählte, hatte Angela dennoch verstanden, dass ihre Tochter ihn mied. Oftmals wollte sie schon mit ihr darüber sprechen, doch die passende Gelegenheit blieb immer aus. Kam Jodie zu Besuch war James auch da und die Stimmung wurde mit einem Mal kühler. Zwar hatte Angela versucht das Beste aus der Situation zu machen, dennoch wurde es nicht besser. Obwohl Angela sich bereits viele Male vornahm, Jodie darauf anzusprechen, hatte sie sich in Gegenwart von James nicht getraut. Irgendwie hatte sie die Sorge, dass sich Jodie gegen die Beziehung der Beiden aussprach. Außerdem wusste Angela nicht, was sie tun sollte, würde dieses Szenario eintreten. Daher war Schweigen eine bessere Option. Selbstverständlich wusste Angela, dass Jodie am Abend ihre Mutter lieber für sich alleine haben wollte, aber sie konnte James nicht kommentarlos nach Hause schicken. Mittlerweile wünschte sie sich, dass sie es getan hätte. Das Gespräch hatte sich leider in eine Richtung entwickelt, die sie nicht bedacht hatte. Zwar war Jodie relativ freundlich und ruhig, doch Angela konnte nicht abschätzen, ob es Absicht gewesen war, dass Jodie bei fast jeder Gelegenheit ihren Vater erwähnte. Die Krankenschwester hatte sehr lange an den Geschehnissen des Abends zu knabbern gehabt und wollte einfach nur vergessen. Doch als sie James beobachtete, konnte sie nicht anders. Leider hatte sich das Gespräch mit James in eine Richtung entwickelt, die fatal war. „Jodie kommt noch nicht mit dem allen klar“, murmelte Angela. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer für sie sein würde.“ „Jodie ist erwachsen“, begann James. „Sie wird sich schon daran gewöhnen. Es ist normal, dass es am Anfang ein Schock für sie war.“ „Das stimmt wohl“, gab die Krankenschwester leise von sich. „Ich glaube, es ist für sie so schwer, weil sie dich ihr ganzes Leben bereits kennt und nicht damit gerechnet hat, dass wir zwei zusammen kommen würden.“ „Sie wird sich irgendwann für uns freuen“, sprach James ruhig. „Er freut sich bestimmt auch für uns…“ Angela nickte. „Vielleicht…sollten wir trotzdem schauen, dass wir uns nicht so oft sehen…vor allem nicht, wenn Jodie da ist.“ James starrte sie ungläubig an. „Du willst, dass wir uns trennen?“ „Was? Nein, das hab ich nicht so gemeint. Ich…“ Sie sah auf die Hände in ihrem Schoß. „Ich will es Jodie nur leichter machen. Wenn sie nach Hause kommt, soll sie nicht das Gefühl haben, dass du hier schon eingezogen bist. Ich will sie nicht noch mehr überfordern und…“ James seufzte. „Jodie ist eine erwachsene Frau. Ich verstehe, dass es schwer für sie ist, jetzt zu sehen, dass du einen Freund hast. Du kannst Jodie aber nicht immer beschützen und dich nach ihren Wünschen richten. Haben wir uns nicht schon lange genug zurück gehalten? Angela, so kann es doch nicht weiter gehen. Ich glaube nicht, dass es die richtige Entscheidung ist, Jodie zu schonen, nur weil sie mit der Veränderung nicht klar kommt. Sie muss lernen damit umzugehen, auch wenn es dauert. Aber wenn du willst, dass ich nach meinem Feierabend nicht mehr herkomme, werde ich diesen Wunsch respektieren…“ Die Krankenschwester biss sich auf die Unterlippe. „Ich weiß doch auch nicht was das Richtige ist. Aber ich weiß, dass es Jodie nicht gut geht und…wenn sie wegen uns ihre Arbeit vernachlässigt und dann in Gefahr gerät…“ Angela schüttelte den Kopf. „…daran möchte ich nicht denken.“ James seufzte leise auf. „Verstehe.“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Musst du nicht gleich zur Nachtschicht?“ „Muss ich“, entgegnete Angela und stand von ihrem Platz auf. „Lass uns morgen noch einmal darüber reden, ja?“ „In Ordnung“, stimmte James zu. „Soll ich dich fahren?“ „Nicht nötig.“ Sie versuchte zu lächeln. „James, ich mag dich wirklich sehr.“ Statt etwas zu erwidern, gab er ihr einen Kuss auf die Lippen und setzte ein Lächeln auf. „Bis morgen und pass auf dich auf.“ „Bis morgen“, wisperte Angela und folgte ihm in den Hausflur. Zusammen zogen sie sich ihre Jacke und Schuhe an und verließen das Haus. Obwohl noch ein Teil unausgesprochen war, ging sie zu ihrem Wagen und fuhr los. Angela unterdrückte während der Autofahrt die Tränen. Am liebsten hätte sie all ihre Worte zurückgenommen, doch dafür war es bereits zu spät. Was gesagt wurde, konnte keiner ändern und sie würde mit den Konsequenzen leben müssen. Wie James wohl am nächsten Tag darauf reagieren würde? Immer wieder sah Angela nach vorne und beobachtete den Wagen von James. „Oh James“, murmelte sie leise. „Es tut mir so leid…“ Als sich ihre Wege schließlich trennten, wollte Angela am liebsten wieder umdrehen und nach Hause fahren, doch die Nachtschicht konnte sie nicht einfach ignorieren. Obwohl sich die Krankenschwester wieder auf die Straße konzentrierte, konnte sie der schwarzen Gestalt nicht mehr ausweichen. Es lief wie in Zeitlupe ab: Die Person kam von der Seite und lief auf die Straße. Angela betätigte zwar die Bremse doch es war bereits zu spät. Beim Zusammenprall landete der Fremde auf ihrer Motorhaube und fiel anschließend zu Boden. Angelas Wagen kam mit quietschenden Reifen zum Stehen und ihr Herz raste. Die Krankenschwester krallte ihre Hände ins Lenkrad und atmete schwer. „Oh Gott“, wisperte sie. „Oh Gott.“ Angela sah nach vorne auf die Straße. Die Laternen sorgten nur für eine geringe Beleuchtung. Angelas Hände zitterten und nur langsam stellte sie den Motor aus. Ebenso langsam entfernte sie den Sicherheitsgurt, öffnete die Wagentür und griff nach dem Handy in ihrer Handtasche. Als Angela ausstieg, zitterten ihre Beine. Zwar sah sie im Krankenhaus sehr viele Verletzte, doch sie selbst war für keinen von ihnen verantwortlich. Angela lief um den Wagen herum und kniete sich zu dem fremden Mann hinunter. „Es wird alles gut. Ich bin Krankenschwester, ich kümmer mich um Ihre Verletzungen“, fing sie an. „Ein Krankenwagen kommt auch gleich.“ Angela begann damit die Nummer in ihr Handy einzutippen. Der Mann beobachtete sie – teils argwöhnisch, teils verängstigt. Langsam hob er seine Hand und legte sie auf das Handy. „N…ei…n…“, wisperte er leise. „K…ein…K…rank…en…wage…n…“ Angela schüttelte den Kopf. „Machen Sie sich keine Sorgen.“ Sie versuchte zu lächeln. „Im Krankenhaus werden Sie versorgt. Haben Sie keine Angst.“ Er versuchte ihr das Handy aus der Hand zu nehmen, fühlte sich aber zu schwach dafür. „Bitte…kein…Krank…wagen…“ Angela schluckte. „Ich kann hier Ihre Verletzungen nicht abschätzen. Vielleicht haben Sie innere Blutungen. Ich kann mich nur im Krankenhaus um Sie kümmern.“ „Nicht…bitte…“, murmelte er und richtete sich langsam auf. „Sie dürfen sich nicht bewegen. Es könnte Ihre Verletzungen nur verschlimmern“, entgegnete Angela. „Bitte…“ „Vergessen…Sie…mich…“, gab er von sich und hustete. Der Mann zog sich am Wagen nach oben und machte langsam ein paar Schritte. „Sir…“ Angela zögerte. „Ich kann Sie so nicht gehen lassen. Bitte, lassen Sie mich…Ihnen helfen.“ Der Angesprochene sah nach hinten. „Kein…Krankenhaus…“ „Aber…“, sagte die Krankenschwester leise. Doch welche andere Wahl hatte sie? Selbstverständlich konnte sie einen Krankenwagen rufen, aber ihn nicht zur Behandlung zwingen. Außerdem konnte sie ihn nicht am Unfallort festhalten und wenn er sich auf den Weg machte, bestand die Möglichkeit, dass er an einer anderen Stelle verunglückte. Angela biss sich auf die Unterlippe. „Ich kann Sie nicht einfach gehen lassen, aber ich akzeptiere, dass Sie nicht in ein Krankenhaus wollen. Ich kann…einen befreundeten Arzt bitten, dass er Sie sich ansieht, damit Ihre Wunden behandelt werden.“ Angela öffnete die hintere Wagentür. „Setzen Sie sich bitte rein.“ „Weg…weg von…hier…“, murmelte er. „Ja, ich bringe Sie von hier weg“, stimmte die Krankenschwester zu. „Brauchen Sie Hilfe beim Reinsetzen?“ Der Mann beobachtete sie. „Weg…weg von hier…bitte“, wiederholte er und stützte sich an der Wagentür ab. Langsam setzte er sich, doch Angela musste bei seinen Beinen behilflich sein. Zusätzlich legte sie den Sicherheitsgurt um ihn und schloss die hintere Tür. Angela atmete tief durch und sah auf die Unfallstelle. Mit ihrem Handy machte sie schnell ein Foto davon, ehe sie selbst in den Wagen stieg. Was tu ich hier nur?, fragte sie sich selbst. Doch ein komisches Gefühl umhüllte sie. Sie wollte ihm unbedingt helfen und seinen Wunsch respektieren. Aber wer war er und welches Geheimnis verbarg er? Die Krankenschwester schnallte sich an, startete den Motor und fuhr los. Ihr Handy legte sie auf ihren Schoss. Sie sah in den Rückspiegel und als sie die erste Laterne passierte, bemerkte sie erst sein ramponiertes Äußeres. Sein Gesicht hatte zahlreiche blaue Flecken, möglicherweise war auch die Nase gebrochen, ein Schnitt an der Wange führte zu Blutverlust, seine Kleidung war ebenfalls blutdurchtränkt. Bei allem was Angela im Krankenhaus sah, konnte sie sich sicher sein, dass die Wunden nicht von dem Autounfall herrührten. Vielleicht wurde er entführt und misshandelt? Vielleicht hatte er vorher einen anderen Unfall gehabt und war jetzt auf der Flucht vom anderen Unfallort? Vielleicht…? Sie schüttelte den Kopf. Es brachte nichts, wenn sie sich Fragen stellte auf die sie doch keine Antwort bekam. „Es dauert nicht lange. Ich fahr Sie…“ Sollte sie ihn wirklich zu sich nach Hause fahren? „…ich fahr Sie in meine Zweitwohnung. Sie liegt in der Nähe vom Krankenhaus. Wenn irgendwas sein sollte, kann ich Sie dorthin bringen.“ Da sie als Krankenschwester auch verschiedene Schichten zu bedienen hatte und nicht immer den langen Weg nach Hause auf sich nehmen oder zwischen den Schichten nur schlafen wollte, hatte sie sich vor Jahren ein kleines Apartment gemietet. Es war nur wenige Minuten vom Krankenhaus entfernt und bot eine passende Alternative. Er reagierte nicht auf ihre Worte, legte aber seinen Arm über die Augen. „Können Sie mir sagen wie Sie heißen?“, wollte Angela wissen. „Und was mit Ihnen passiert ist?“ „Tsu…to…mu…“, murmelte er. „Okay, Tsutomu, ich kümmer mich um Sie.“ Er schwieg. Immer wieder sah Angela in den Rückspiegel. Worauf hatte sie sich nur eingelassen? Aber jetzt war es zu spät für einen Rückzieher. Langsam griff Angela nach dem Handy und tippte die Telefonnummer der Notfallarztes ein, ehe sie den Lautsprecher aktivierte. „Evergarden.“ „Hey Gilbert“, fing die Krankenschwester an. „Kannst du mir bitte einen Gefallen tun ohne Fragen zu stellen?“ Der Arzt seufzte leise auf. Er schuldete ihr noch etwas, sodass er nicht einfach ablehnen konnte. „Was brauchst du?“ „Du hast doch heute keinen Dienst. Kannst du bitte zu meiner Wohnung nach Manhattan fahren? Ich brauch deine Hilfe bei einem…verletzten Bekannten.“ „Fahr ihn doch ins Krankenhaus.“ „Das kann ich nicht. Bitte, hilf mir.“ „Ja, ist gut.“ Kapitel 11: Erste Hilfe ----------------------- Angela fuhr auf den Parkplatz vor dem Wohnblock und sah ein weiteres Mal in den Rückspiegel. Der Verletzte – Tsutomu – hatte seine Augen geschlossen und atmete flach aber regelmäßig. Einerseits war sie erleichtert, dass er noch am Leben war. Andererseits war sie aber auch beunruhigt, weil seine Wunden nicht vom Autounfall stammen konnten und möglicherweise lebensbedrohlich waren. Doch da sie nicht wusste was passiert war, konnte sie es nur erahnen. Worauf hab ich mich nur eingelassen?, fragte sich die Krankenschwester. Nach all den Jahren hätten sie es eigentlich besser wissen müssen. Sie hatte genügend Erfahrungen um zu wissen welche Konsequenzen ihr Handeln haben könnte. Zum einen hatte sie sich einfach so vom Unfallort entfernt und zum anderen hatte sie keine Hilfe gerufen – weder einen Krankenwagen, die Polizei oder das FBI. Da brachte es auch nichts, dass sie den Verletzten mitnahm und einen befreundeten Arzt für die Behandlung zu sich nach Hause bestellte. Wenigstens konnte ihr aber keiner unterlassene Hilfeleistung unterstellen. Nur hoffte sie, dass der Mann auch überlebte. Mittlerweile konnte Angela nicht einmal mehr sagen, warum sie dies getan hatte. Irgendetwas in ihr hatte ihm helfen wollen, ohne ihn in weitere Schwierigkeiten zu bringen. Und wer wusste schon in welcher Bredouille er sich befand oder von wo er entkommen war. Wenn sie im Laufe der Zeit mehr über ihren Patienten herausfand, würde sie versuchen in Erfahrung zu bringen, ob er ein Entführungsopfer war. Selbstverständlich würde sie ihm dann helfen. Dass er hingegen ein Krimineller war, glaubte sie nicht. Sie konnte nicht einmal beschreiben warum. Es war ihr Bauchgefühl und dieses hatte sie selten im Stich gelassen. Tagtäglich erlebten ihre geliebten Familienmitglieder – ihr Mann, ihre Tochter und ihr neuer Partner – viele schlimme Dinge, erfuhren neue Sachen und mussten sich der Realität stellen sowie weitere Nachforschungen durchführen. Immer wieder wurden sie mit Aufgaben konfrontiert, bei denen sie niemanden um Hilfe bitten konnten und im Geheimen agieren mussten. Es hatte Angela immer gestört, dass keiner mit ihr darüber reden wollte, aber jetzt wusste sie, wie sich ihre Liebsten fühlen mussten. Sie konnten nicht mit ihr reden. Nun wusste sie wie schwer es ihnen fallen musste und jetzt war sie selbst an der Reihe. Aber würde sie es tatsächlich schaffen und den Unfall mit keiner Silbe erwähnen? Angela biss sich auf die Unterlippe und schaltete den Motor ab. Sie atmete tief durch und nahm ihr Handy in die Hand. Angela suchte aus dem Telefonbuch die Nummer des Schwesternzimmers und meldete sich krank. Da eine Lebensmittelvergiftung selten mit einer Vorankündigung kam, konnte niemand ihr zu spätes Handeln in Frage stellen. Dennoch hasste Angela es zu lügen, aber manchmal ging es nicht anders. Zögerlich steckte sie ihr Handy zurück in die Handtasche, ehe sie diese nahm und ausstieg. „Du schaffst das“, murmelte sie aufmunternd zu sich selbst. Kaum dass sie die Wagentür schloss, sah sie sich draußen um. Hatte derjenige, der Tsutomu verfolgt hatte, auch den Unfall beobachtet und war ihr hinterhergefahren? Wusste er vielleicht sogar schon wer sie war, wo sie arbeitete und wohnte? Hatte er alles über ihre Familie in Erfahrung gebracht und… Die Krankenschwester schüttelte augenblicklich den Kopf. Ohne es zu wollen war sie von einem Moment auf den anderen paranoid geworden. Ob es auch James und Jodie so ging? Die Krankenschwester öffnete die hintere Wagentür und blickte zu Tsutomu. „Herr Tsu…“, murmelte sie leise, ehe sie inne hielt. Langsam legte Angela ihre Hand auf seine Schulter und rüttelte ihn leicht. „Können Sie mich hören?“, fragte sie. „Mhm…“, stöhnte der Mann auf. „Gott sei Dank“, wisperte Angela leise. „Wir sind jetzt bei meiner Wohnung. Ich weiß, es wird nicht einfach sein und Sie werden sicher Schmerzen haben, aber…Sie müssen jetzt aussteigen.“ Angela beobachtete ihn. „Sie schaffen das. Wir müssen nur aufpassen, dass wir den Schaden in Ihrem Inneren nicht vergrößern.“ Sie versuchte zu lächeln. „Ich helfe Ihnen auch dabei“, fügte sie hinzu und entfernte seinen Sicherheitsgurt. „Ganz langsam, ja?“ Tsutomu öffnete die Augen und blickte sie an. Er versuchte sich langsam zu bewegen und stieg aus dem Wagen. Mehrfach kniff er die Augen zusammen und hielt sich anschließend an der Wagentür fest, um auf den Beinen zu bleiben. Die Schmerzen die durch seinen Körper strömten, machten sein Vorhaben nicht gerade einfacher. Aber er musste durchhalten. „Ich weiß, es ist schmerzhaft“, entgegnete Angela ruhig. „Aber wenn Sie nicht ins Krankenhaus wollen, können wir nur diesen Weg gehen. Aber…ich könnte Sie trotzdem ins Krankenhaus bringen.“ Tsutomu sah irritiert an sich herunter, ehe er sich langsam vom Wagen entfernte. „Ke…ein…Krank…en…ha…us…“, murmelte er leise. Die Krankenschwester seufzte leise auf. Sie hatte genügend Erfahrungen mit Sturköpfen um zu wissen, dass reden oft nichts brachte. Aus diesem Grund schloss sie die Wagentür, verriegelte die Türen und folgte ihm. „Machen Sie langsam. Sie dürfen sich nicht überanstrengen. Ich weiß, es ist schwer, aber Sie müssen auf meine Anweisungen hören, wenn Sie so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen wollen.“ Tsutomu sah kurz zu ihr, brachte aber kein Wort über die Lippen. Angela ging zu ihm und legte seinen Arm vorsichtig über ihre Schulter. „Wir schaffen das gemeinsam“, lächelte sie und machte sich auf den Weg zum Wohngebäude. Hoffentlich ist der Aufzug nicht defekt, sagte sich die Krankenschwester. Andernfalls würde sie ein Problem haben. Allerdings würde der Weg nach oben nur für ihn beschwerlich werden. „Geht’s?“ Tsutomu nickte und ging mit ihr zum Wohnhaus. Direkt nachdem Angela die Tür öffnete, machten sie sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Da die Tür des Fahrstuhls offen stand, stiegen sie direkt ein und fuhren in die fünfte Etage. Immer mal wieder sah die Krankenschwester zu dem fremden Mann. „Keine Sorge, gleich können Sie sich ausruhen.“ Als sich die Fahrstuhltür öffnete, brachte sie Tsutomu zu ihrer Wohnung. Angela schloss die Haustür auf und ging rein. „Erwarten Sie bitte nicht zu viel. Ich bin sehr selten in der Wohnung und habe nur das Nötigste da. Aber es wird reichen und wenn wir etwas brauchen, fahr ich zum Supermarkt.“ Tsutomu schwieg und sah sich um, während Angela ihn zum Schlafzimmer brachte. Vorsichtig setzte er sich auf das Bett und legte sich anschließend hin. „Mhm…“ „Ja, ich weiß, es ist schmerzhaft“, entgegnete Angela ruhig und hoffte, sich nicht mehr so oft zu wiederholen. Andererseits wusste sie auch nicht, was sie sonst sagen sollte. „Ich wisch Ihnen erst einmal das Blut aus dem Gesicht. Ruhen Sie sich einfach aus, ja?“ „Mhm…“, murmelte der Mann ein weiteres Mal und sah nach oben an die Decke. Angela beobachtete ihn für einen kurzen Moment, ehe sie in die Küche ging und eine Schüssel mit Wasser befüllte. Sie brachte diese in das Schlafzimmer und ging anschließend in ihr Badezimmer. Die Krankenschwester holte den erste Hilfe Kasten hervor und nahm ein paar Tücher. Gerade als sie zurück in das Schlafzimmer wollte, klingelte es an der Haustür. Obwohl Angela bereits ahnte, dass es Dr. Evergarden war, hatte sie ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend. Ein weiteres Mal atmete Angela tief durch und ging zur Haustür. Langsam nahm sie den Hörer der Freisprechanlage in die Hand und hielt dieses an ihr Ohr. „Ja?“ „Ich bin es. Lass mich bitte rein.“ Angela lächelte, als sie die Stimme erkannte und betätigte den Summer. Es dauerte ein paar Minuten ehe der Notfallarzt vor ihrer Wohnungstür stand. Sie öffnete diese zaghaft. „Da bin ich.“ „Danke, dass du gekommen bist“, fing Angela an. „Du hattest ja noch einen Gefallen gut bei mir, also hatte ich kaum eine andere Wahl.“ „Wir wissen Beide, dass du die gehabt hast“, entgegnete sie und ließ ihn rein. „Du bist…gut ausgerüstet…“ Gilbert stellte seinen Arztkoffer sowie das mobile Ultraschallgerät auf den Boden. „Du hast mich um Hilfe gebeten und wolltest deinen Bekannten nicht ins Krankenhaus bringen. Ich kann eins und eins zusammenzählen und habe daher zur Sicherheit vorgesorgt. Ich hoffe, es reicht. Leider gibt es noch kein mobiles CT- oder MRT-Gerät.“ „Ja, da hast du Recht.“ Angela lächelte. „Danke für deine Hilfe.“ „Willst du mir erzählen, was passiert ist?“ „Das würde ich gerne, aber ich weiß es selbst nicht so genau. Er ist im Schlafzimmer“, antwortete sie und ging dorthin. „Ich wollte mir auch gerade seine Verletzungen ansehen und das Blut wegwischen.“ Gilbert folgte ihr mit seinen mitgebrachten Utensilien in das Zimmer und beobachtete den Mann auf dem Bett. Er runzelte die Stirn. „Angela…“ „Ich weiß, eigentlich müsste ich die Polizei rufen“, murmelte sie. „Und ihn ins Krankenhaus bringen“, entgegnete er. „Ich hoffe, du weißt was du tust.“ „Das hoffe ich auch“, murmelte Angela leise. „Zuerst sollten wir seine Wunden versorgen“, begann Gilbert und öffnete seinen Arztkoffer. Der Notfallmediziner holte mehrere Mullbinden heraus und nahm die Wasserschüssel und Tücher. Anschließend begann er damit die Verletzungen des Patienten zu verarzten. Nachdem er fast fertig war, wandte er sich zu Angela. „Magst du einen Kaffee aufsetzen? Mir reicht es, wenn er schwarz ist.“ Die Krankenschwester nickte und ging in die Küche. Obwohl sie regelmäßig ähnliche Wunden sah, fühlte sie sich in der Gegenwart von Tsutomu irgendwie komisch. Dankbar darüber nach draußen geschickt worden zu sein, setzte sie den Kaffee auf und sah der Maschine bei ihrer Arbeit zu. Einige Minuten später betrat Gilbert die Küche. „Ich bin fertig.“ „Und?“ Angela drehte sich zu ihm um. „Wie schlimm sieht es aus?“ „Ich denke, er hat gute Chancen“, begann der Arzt. „Beim Ultraschall konnte ich keine Auffälligkeiten feststellen, allerdings kann ich keine anderen inneren Verletzungen ausschließen. Dafür müsste er in ein Krankenhaus gebracht werden. Selbst wenn wir die Untersuchungen heimlich durchführen wollten, müssten wir alles dokumentieren.“ „Mhm…verstehe“, murmelte Angela. „Das ist schon mal was…“ Sie war erleichtert. „…und ich bin wirklich froh darüber.“ „Möchtest du mir nicht sagen was passiert ist?“ „Wie meinst du das?“ „Seine Verletzungen…sie sind…“ „Er ist mir vor den Wagen gelaufen“, antwortete Angela ehrlich. „Ich konnte nicht mehr bremsen.“ Gilbert sah sie skeptisch an. „Seine Verletzungen stammen ganz sicher nicht von einem Autounfall.“ Die Krankenschwester nickte. „Das dachte ich mir auch schon. Er war auf der Flucht vor irgendjemanden, deswegen wollte er wohl auch nicht, dass ich die Polizei oder einen Krankenwagen rufe. Ich musste etwas tun, da ich ihn nicht liegen lassen konnte. Daher war die einzige Möglichkeit, dass ich ihn herbringe.“ „Angela…“ „Ja, ich weiß. Das war keine gute Idee, aber ich musste etwas tun“, entgegnete sie. Gilbert seufzte leise auf. „Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich hoffe, du weißt was du tust“, fing er an. „Während ich ihn behandelt hab, konnte ich keine Personalien finden. Wer immer er ist, er hat auf jeden Fall Dreck am Stecken. Du solltest deinen Freund oder deine Tochter informieren.“ „Mhm…“, murmelte Angela und schenkte den Kaffee in zwei Tassen ein. Sie nahm ihre Tasse und nippte an der schwarzen Flüssigkeit. „Das hab ich vor.“ Zumindest plante sie James zu informieren. „Gut“, gab Gilbert von sich und nahm seine Tasse. „Ich habe sicherheitshalber Fotos von seinen Verletzungen gemacht. Ich schick sie dir nachher. Ich habe zusätzlich Blutproben genommen und die Partikel unter seinen Fingernägeln sichergestellt. Sollte es zu Ermittlungen gegen einen unbekannten Täter kommen, haben wir ausreichend Material sichergestellt. Ich werde es im Krankenhaus deponieren, ganz anonym.“ „Und ganz nach Protokoll…“, murmelte die Krankenschwester. „Du weißt, dass ich keine andere Wahl hab.“ „Und ich mach dir keinen Vorwurf“, gab Angela von sich. „Und wie geht es jetzt weiter?“ „Du solltest ihn die nächsten Tage beobachten. Wenn sich sein Zustand verändert, musst du auf jeden Fall einen Krankenwagen rufen.“ Die Krankenschwester nickte. „Danke für deine Hilfe.“ Dr. Evergarden stellte seine Tasse auf den Tisch. „Er hat ein leichtes Beruhigungsmittel von mir bekommen. Die nächsten Stunden müsste er durchschlafen. Ich bring dann jetzt die Proben ins Krankenhaus.“ Angela begleitete ihn an die Haustür. „Hab nochmal vielen Dank, Gilbert.“ Der Arzt nahm seinen Arztkoffer und das mobile Ultraschallgerät. „Wenn irgendwas passiert und du dir unsicher bist, kannst du mich auch anrufen.“ „Mach ich“, lächelte Angela und verabschiedete sich von ihm. Sie schloss die Haustür und zog ihr Handy aus der Handtasche heraus. Die Krankenschwester ging zum Schlafzimmer und beobachtete den fremden Mann. „Was ist nur mit Ihnen passiert?“, wollte sie leise wissen. Sie blickte wieder auf ihr Handy und tippte die Nummer von James ein. Ehe sie auf die Anruf-Taste drückte, sperrte sie ihr Telefon und beobachtete weiterhin ihren Gast. Kapitel 12: Leibwächter ----------------------- „Ich bin fertig!“ Stolz sah Jodie auf die Akte und schloss diese. Die frisch ausgebildete FBI Agentin streckte sich und begann im nächsten Augenblick ihren Hals und den Anfang ihres Nackens zu massieren. Ihr zweiter Fall – auf den sie fast zwei Wochen warten musste – war nicht ohne gewesen, aber sie hatte ihn erfolgreich abschließen können. Dieses Mal durfte sie sogar mehr machen, als nur den Lockvogel zu spielen und abzuwarten. Sie konnte sich aktiv mit einem Täterprofil auseinandersetzen und Erfahrungen sammeln, die ihr später im Umgang mit anderen Kollegen noch nützlich sein werden konnten. Allerdings war sie noch immer auf die Unterstützung ihres Partners angewiesen. Doch mittlerweile fühlte sie sich von ihm akzeptiert und traute sich auch über die Schwierigkeiten bei der Arbeit zu reden. Außerdem unterstützte sie ihn bei seinen offenen Fällen, auch wenn es hieß, dass sie sich um die Nachbereitung seiner Akten kümmerte und mit Kollegen über die Einzelheiten sprach. Jodie hatte lange gebraucht um damit klar zu kommen, dass ihr Vater von einer Organisation heimtückisch ermordet wurde. Anfänglich hatte sie zwar immer wieder versucht im Internet sowie im Archiv des FBIs an Informationen von damals zu kommen, aber nach den sehr belehrenden Gesprächen mit Shuichi war sie zu dem Schluss gekommen, die Füße erst einmal still zu halten. James schien von ihren Ausflügen ins Archiv zu wissen, doch er hielt sich zurück. Oft hatte sich Jodie vorgestellt, wie sie ihn mit den Fakten konfrontierte, aber auch wenn sie häufig vor seiner Tür stand, hatte sie sich doch nicht getraut. Im Nachhinein war sie darüber froh gewesen, denn es hätte nur zu Problemen während ihrer Arbeit geführt. Aber war diese Unwissenheit wirklich besser? Auch mit ihrer Mutter hatte sie bislang kein Wort gewechselt und die Arbeit als Ausrede für ihre fehlenden Besuche vorgeschoben. Immer wenn sie die Unsicherheit über ihre Entscheidung überkam, redete sie sich selbst ein, dass es zum aktuellen Zeitpunkt am besten war. Wenigstens Akai hatte ihr seine Unterstützung zugesagt, allerdings wusste Jodie nicht was sie tun würde, würde ihr Partner gegen die Organisation ermitteln dürfen und sie nicht. Allerdings handelte es sich dabei um Zukunftsmusik und so konnte sie nichts anderes tun als abzuwarten und eigene Erfahrungen zu sammeln. Dennoch beschäftigte Jodie eine Frage: Wie sollte sie gegen die Organisation ankommen, wenn es nicht einmal ihr Vater geschafft hatte? „Mhm?“ Shuichi sah zu ihr. „Bis du den nächsten Fall bekommst, kann es noch einige Wochen dauern“, entgegnete er. Es gab Tage und Wochen an denen die Kriminalitätsrate nach oben schoss, aber auch Zeiten an denen nichts passierte. Erfahrene Agenten arbeiteten oftmals an mehreren Fällen parallel, aber den Neulingen halste man noch nicht so viel Arbeit auf. Akai wusste allerdings auch, dass seine Kollegen mit ihren Neulingen anders umgingen, aber schließlich musste er ein Auge auf Jodie haben. Mittlerweile war er mit ihr warm geworden und sie bewies ihm, dass sie sich nicht nur auf ihrem Namen ausruhte. Aber er fühlte sich auch für Jodie verantwortlich und sie hatte sogar seinen Beschützerinstinkt geweckt. Außerdem war er sich weiterhin unsicher, ob sie nicht bereits in Gefahr schwebte. Zwar hatte er seinen Verdacht seinem Vorgesetzten mitgeteilt, aber seitdem war nichts passiert. Er hatte weder das Gefühl, dass sie beobachtet wurden, noch gab es unerklärte Anschläge. Leider ließ ihn auch das FBI weiter im Dunkeln tappen – besonders was die Vergangenheit von Agent Starling anging. Nach außen zeigte er sich davon unbeeindruckt, aber in Wahrheit brodelte es in seinem Inneren. Sobald er zu Hause war, versuchte er auf eigene Faust Informationen zu sammeln. Und wenn er schon seinen Vater nicht finden konnte – wobei er nach all den Jahren nicht mehr daran glaubte, dass dieser noch am Leben war – konnte er Jodie wenigstens dabei helfen die Wahrheit über ihren Vater herauszufinden. „Das habe ich mir schon gedacht“, begann Jodie ruhig. „Und es ist in Ordnung für mich.“ Shuichi schaute sie irritiert an. „Die Menschheit entwickelt sich mit jedem Augenblick weiter. Oftmals handelt es sich dabei leider um eine Veränderung die uns nicht gefällt, aber es ist auch unsere Aufgabe den Menschen zu helfen. Als ich hier anfing, war die Aufklärung des Mordes an meinem Vater mein primäres Ziel. Selbstverständlich wollte ich auch anderen Opfern helfen und ich habe tatsächlich für einen kurzen Moment gedacht, dass das FBI nur auf jemanden wie mich gewartet hat. Mittlerweile weiß ich aber, dass jeder seinen Anteil leistet und dass Zeit ein wichtiger Faktor bei unserer Arbeit ist. Wir dürfen uns weder zu viel noch zu wenig Zeit lassen. Jede Handlung kann zu einem Fehler führen. Daher werde ich meine freie Zeit dafür nutzen, um meine Fähigkeiten weiter auszubauen und mich zu verbessern.“ Akai nickte verstehend. Vermutlich hatte Jodie bereits mit vielen Kollegen gesprochen und ebenso viele Erfahrungsberichte gehört. Er freute sich, dass sie sich nicht nur auf ihren Vater fixierte, doch seinem Äußeren konnte man keine Gefühlsregung entlocken. „Ich fahr heute Nachmittag zum Schießstand. Wenn du möchtest, kannst du mitkommen und mir zeigen, ob du dich verbessert hast.“ Jodie zögerte einen Moment. Ihre Schießfähigkeiten waren zwar nicht schlecht und sie traf ihr Ziel auch, allerdings auch nur dann, wenn es sich nicht bewegte. Als ihr Partner die Parameter der Zielscheiben veränderte und sich die Ziele bewegten, versagte sie auf ganzer Linie. Einige Schüsse – er nannte sie Zufälle – trafen ihr Ziel, doch die Mehrheit war nicht einmal annähernd in der Nähe gewesen. Bei ihrem ersten Versuch argumentierte Jodie mit ihrer Nervosität, doch schon bald musste sie sich der Wahrheit stellen. Und in der Realität blieb ein Verdächtiger oder Täter auch nicht einfach stehen. Jodie hatte zwar damit gerechnet, dass Shuichi ihr eine Predigt hielt, doch stattdessen gab er ihr gutgemeinte Ratschläge und Hinweise. Sie nahm sich jeden davon zu Herzen und trainierte auch noch nach Feierabend. „Ich bin dabei“, antwortete sie in der Hoffnung, dass es nicht in einer Katastrophe enden würde. Als es einige Minuten später an der Tür klopfte, blickte das Agentenpaar gleichzeitig dorthin. „Herein“, kam es schließlich von Akai. Ein älterer Agent betrat den Raum. „Agent Akai, Agent Starling, schön Sie beide hier zu sehen“, grüßte er. „Agent Gibson“, murmelte Shuichi und schaute auf das Schriftstück in dessen Hand. „Was führt Sie zu uns?“ Agent Gibson hatte sich bereits vor einigen Jahren aus dem aktiven Dienst zurückgezogen und war innerhalb der Niederlassung für die Verteilung der eingehenden Fälle verantwortlich. Er schmunzelte. „Agent Akai wie er leibt und lebt. Sie kommen immer direkt zum Punkt“, entgegnete der Ältere. „Agent Starling wurde für einen Auftrag angefordert.“ Jodie blickte ihren Kollegen erstaunt an. „Ich wurde…für einen Auftrag angefordert?“ Auch Shuichi wurde hellhörig. „Warum ausgerechnet Starling?“, wollte er wissen. Agent Gibson zuckte mit den Schultern. „Wir wissen, dass Agent Starling bisher nur zwei Fälle hatte und Sie bei einigen Aufgaben unterstützt hat. Dennoch wurde sie für diesen Auftrag angefragt.“ Akai runzelte die Stirn. „Auftrag…“, murmelte er. „Das heißt, es gibt keinen Toten und Starling soll was tun? Leibwächter sein? Undercover ermitteln? Interviews geben? Sie sollten nicht vergessen, dass Starling noch nicht genügend Erfahrung mit anderen Aufträgen gesammelt hat.“ „Sie wird das schon schaffen, Agent Akai“, gab Gibson von sich. „Ich kann Ihre Sorgen verstehen, aber irgendwann muss sie auch auf eigenen Beinen stehen. Außerdem bin ich mir sicher, dass Sie Agent Starling von hier aus unterstützen werden.“ Shuichi verengte die Augen. Es gefiel ihm nicht, wenn er im Büro bleiben musste, während sich Jodie möglicherweise in Gefahr brachte. „Gut, worum geht es?“ „Agent Starling soll als Leibwächter auf eine Schauspielerin aufpassen“, entgegnete Gibson. „Ich verstehe“, sagte Shuichi und sah zu seiner Partnerin. „Traust du dir das zu?“ Zwar kannte er die Antwort bereits, hoffte aber, dass sie doch anders ausfiel. Jodie nickte. „Natürlich“, antwortete sie. „Agent Gibson, wann startet der Auftrag?“ „Sofort.“ Gibson räusperte sich. „Ehrlich gesagt, können Sie diesen Auftrag nicht ablehnen, daher haben wir Ihnen die Daten bereits per E-Mail geschickt. Sie fahren in der nächsten Stunde zum Set und melden sich dort bei Mister Jefferson. Vor Ort werden Sie vermutlich einen Geheimhaltungsvertrag unterschreiben müssen. Lassen Sie uns diesen so schnell wie möglich zukommen. Danach werden Sie für etwa zwei Wochen die Arbeit des Leibwächters übernehmen.“ „Nur für zwei Wochen?“, wollte Jodie irritiert wissen. „Ein Filmdreh dauert doch normalerweise länger als zwei Wochen.“ „Das ist richtig“, nickte Gibson. „Der eigentliche Leibwächter wurde verletzt und muss daher ersetzt werden.“ „Ich verstehe“, gab Jodie von sich. „Ich mach mich gleich auf den Weg.“ „Danke, wenn Sie noch Fragen haben, kommen Sie ruhig zu mir“, sagte der Ältere und verließ das Büro. Jodie nickte und sah dem Agenten nach. Anschließend blickte sie zu Shuichi. „Du siehst nicht begeistert aus.“ Selbstverständlich hatte Shuichi den Zusammenhang zwischen Jodies Auftrag und dem Auftrag ihres Vaters gesehen. War das nur Zufall oder nicht sogar Absicht? Sofort malte er sich die verschiedensten Szenarien aus und wollte Jodie gar nicht gehen lassen. „Mhm…pass einfach auf dich auf. Du denkst zwar, dass die Arbeit als Leibwächter einfach ist, aber es gibt immer bestimmte Schwierigkeiten. Wir wissen nicht, was deinem Vorgänger passiert ist, daher kann es gefährlich werden. Ich erwarte, dass du dich heute Abend bei mir meldest und wir deine Erkenntnisse durchsprechen. Danach treffen wir uns zu einem regelmäßigen Austausch.“ „Verstanden“, murmelte Jodie und rief die E-Mail ihres Kollegen auf. Sie schrieb sich die Adresse des Filmstudios auf und fuhr ihren Computer runter. „Also dann…“ Die Agentin stand auf, zog ihre Jacke an und nahm die Tasche. „Wünsch mir Glück. Vielleicht bring ich dir sogar ein Autogramm mit.“ „Viel Glück.“ Überrascht schaute sie zu ihm, musste dann aber lächeln. Jodie verließ das Büro, ging zum Fahrstuhl und fuhr mit diesem nach unten in die Tiefgarage. Sie ging zu ihrem Wagen, öffnete die Tür und stieg ein. Ihre Tasche legte sie auf den Beifahrersitz, ehe sie sich anschnallte und den Motor startete. Schnell tippte Jodie die Adresse in das Navigationsgerät und fuhr los. Nachdem sie etwa 20 Minuten später am Studio ankam, wurde sie von einem Sicherheitsmann zu ihrem Auftraggeber gebracht. Jodie musterte diesen. „Guten Tag, ich bin Agent Starling“, stellte sie sich vor. „Ich wurde für einen Auftrag angefordert und soll mich bei Mister Jefferson melden.“ Dave Jefferson war ein Mann Mitte 30 und Manager verschiedener Schauspieler. „Ich bin Mister Jefferson“, antwortete er und beobachtete Jodie akribisch. „Entschuldigung, ich hab nicht damit gerechnet, dass Sie so…jung sind.“ Jodie lächelte. „Mein Alter steht in keinem Verhältnis zu meinen beruflichen Fähigkeiten. Sie können sich auf jeden Fall auf mich verlassen.“ Er schmunzelte. „Das ist gut zu hören. Darf ich fragen, woher Sie Miss Vineyard kennen?“ „Ich kenne sie nicht“, antwortete Jodie ehrlich. „Oh“, murmelte Jefferson. „Ich dachte, Sie wären mit ihr befreundet oder würden Sie von anderen Ermittlungen kennen, schließlich hat Miss Vineyard darauf bestanden, dass Sie die Aufgabe hier übernehmen.“ Überrascht starrte Jodie ihn an. „Tut mir leid, aber ich wüsste nicht, wann ich Sharon Vineyard je getroffen hätte. Soweit ich weiß, war sie auch nie in einen Fall bei uns involviert.“ Jefferson kicherte. „Wir drehen hier mit Chris Vineyard und wollen sie genau so groß raus bringen, wie ihre Mutter.“ Er sah sich um. „Ah, da ist sie ja. Chris? Kommst du bitte zu uns?“ Die Schauspielerin kam zu den Beiden. „Was gibt es denn, Dave?“, wollte sie wissen. Sie schaute zu Jodie und lächelte. „Ich wollte dir deinen neuen Leibwächter vorstellen“, fing er an. „Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Miss Vineyard. Ich bin Agent Starling. Sie können sich auf mich verlassen. Wenn es irgendwas gibt, was ich für Sie tun kann, zögern Sie bitte nicht.“ Chris runzelte die Stirn und musterte Jodie irritiert. „Sie sind…Agent Starling?“ Jodie nickte. „Das bin ich.“ Die Schauspielerin brauchte einen Moment um sich zu fangen. „Bitte entschuldigen Sie, Agent Starling, ich bin einfach nur überrascht, dass man Sie geschickt hat. Ich hatte mit einem älteren Mann gerechnet.“ Jodie schluckte. „Sie haben vermutlich mit meinem Vater gerechnet, Miss Vineyard“, gab Jodie von sich. „Er ist leider vor vielen Jahren verstorben und ich bin in seine Fußstapfen getreten. Wenn Sie allerdings lieber einen anderen Agenten haben wollen, kann ich das mit meinem Vorgesetzten klären.“ „Nein nein, nicht nötig“, entgegnete Chris. „Wir werden bestimmt gut miteinander auskommen. Agent Starling, es tut mir leid, aber ich muss zurück zum Dreh. Ich würde mich gern danach noch mit Ihnen unterhalten. Natürlich kriegen Sie die Zeit auch bezahlt.“ Jodie lächelte. „Das ist kein Problem.“ Kapitel 13: Familie ------------------- Nachdem Jodie den Geheimhaltungsvertrag unterschrieben hatte, beobachtete sie sowohl die Filmaufnahmen als auch das gesamte Set. Sie hatte das Gefühl, dass alle Augen auf sie gerichtet waren und wollte natürlich keinen Fehler machen. „Ich hoffe, Sie langweilen sich hier nicht.“ Dave Jefferson stellte sich neben die Agentin. „Ganz im Gegenteil. Ich wusste gar nicht wie aufregend so ein Dreh sein kann, wie viele Vorbereitungen dafür getroffen werden müssen und wie oft eine Szene erneut gedreht wird, ehe man damit zufrieden ist“, begann Jodie. „Und dann wird auch gar nicht in der richtigen Reihenfolge gedreht…“ Jodie stockte. „Entschuldigung, da sind wohl die Pferde mit mir durchgegangen. Was ich eigentlich damit sagen will, ist, dass ich das alles hier sehr spannend finde. Aber natürlich lasse ich die Umgebung auch nicht aus den Augen.“ Jefferson kicherte. „Sie sind nicht die einzige Person die so reagierte. Ich habe schon viele Menschen gesehen, vor allem weil der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, wie das Leben eines Schauspielers in Wahrheit ist. Oft nehmen die Menschen einfach nur das wahr, was in den Medien berichtet wird…und das ist leider immer nur das luxuriöse Leben eines Schauspielers. In Wahrheit ist die Schauspielerei harte Arbeit. Egal wie gut man auch ist, man muss sich immer auf ein neues Team einstellen und natürlich auch das tun, was von einem gefordert wird. Ein Schauspieler wird am Set nur selten mit Samthandschuhen angefasst. Außerdem ist es noch schwerer, wenn man das Kind eines anderen bekannten Schauspielers ist. Gerade von denen wird sehr viel mehr erwartet.“ Jodie nickte verstehend. „Allerdings ist unsere Chris ein wahres Ausnahmetalent. Ihre Mutter hat ihr alles beigebracht was sie konnte und Chris hat diese Fähigkeiten noch weiter perfektioniert. Ich hoffe ja noch, dass Mutter und Tochter irgendwann einen gemeinsamen Film drehen werden. Allerdings stehen die Chancen dafür leider sehr schlecht.“ „Was meinen Sie?“, wollte Jodie wissen. „Sie lesen wohl nur wenig Klatschpresse, nicht wahr?“ „Ich versuche mich auf dem Laufenden zu halten, aber manchmal muss es eben auch Abstriche geben.“ „Das glaub ich sofort“, entgegnete Jefferson. „Nun, sagen wir es so, die Beiden haben sich zerstritten.“ „Verstehe“, murmelte Jodie. „Dürfte ich noch fragen, was mit meinem Vorgänger passiert ist?“ „Mhm?“ Jefferson sah sie irritiert an. „Ach so, Sie meinen den anderen Leibwächter. Er wurde verletzt, aber machen Sie sich keine Sorgen. Es ist während der Hausarbeit passiert. Sie wissen ja wie es heißt, die meisten Unfälle passieren zu Hause.“ „Ehrlich gesagt, erleichtert mich das ungemein. Ich hatte schon angenommen, dass wirklich Gefahr in Verzug ist. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich will damit eigentlich nur sagen…“ „Schon gut. Sie müssen sich nicht rechtfertigen. Ich weiß, was Sie meinen. Auch mir ist es lieber, wenn gar nichts passiert und ich mir keine Sorgen machen muss.“ Jefferson sah zum Set. „Und schon ist es für heute vorbei.“ „Sieht so aus“, murmelte sie nachdenklich. „Wie geht es jetzt weiter? Soll ich auf Miss Vineyard auch zu Hause aufpassen?“ „Mhm? Nein, nein, das ist nicht nötig. Chris hat für ihre private Zeit selbst vorgesorgt.“ „Oh…ach so…“ Dave schmunzelte. „Seien Sie lieber froh, dass Sie nach dem Dreh Feierabend machen können. Es hätte viel länger dauern können.“ Jodie wollte etwas erwidern, als Chris zu den Beiden kam. „Entschuldigt die Störung.“ Sie sah zu Jefferson. „Dave? Ich hoffe, du warst mit meiner Leistung zufrieden.“ Er nickte. „Du warst wie immer perfekt, Chris.“ Die Schauspielerin lächelte und blickte zu Jodie. „Hat es Ihnen auch gefallen?“ „Ja, ich habe bereits mit Mister Jefferson darüber gesprochen, wie fasziniert ich von den vielen Einzelheiten beim Dreh bin.“ Die Schauspielerin kicherte. „Für einen Außenseiter kann es sehr imposant wirken. Ich erinnere mich noch, als mich meine Mutter das erste Mal an ein Set mitnahm.“ Chris räusperte sich. „Agent Starling, wollen wir uns jetzt ein wenig unterhalten?“ „Natürlich“, antwortete Jodie. „Möchten Sie, dass wir hier bleiben oder in ein Café gehen?“ „Am besten wäre es, wenn wir zu mir nach Hause fahren. Das, was ich mit Ihnen besprechen will, ist recht…heikel…“ Chris kramte in ihrer Handtasche herum, bis sie ihr Notizbuch und einen Stift fand. Sie notierte ihre Adresse, riss den Zettel heraus und reichte ihn an Jodie weiter. „Meine Adresse.“ Jodie lächelte. „In Ordnung. Dann treffen wir uns gleich dort.“ „Danke“, sagte Chris. „Ich fahr schon mal vor“, fügte sie hinzu und ging. Jodie sah irritiert auf den Zettel in ihrer Hand und anschließend zu Jefferson. „Wissen Sie worüber sie mit mir reden will.“ „Leider nicht. Aber lassen Sie sie nicht warten.“ Jefferson zwinkerte und entfernte sich ebenfalls. Irritiert sah Jodie ihm nach, ging dann aber auch nach draußen. Sie öffnete die Wagentür und stieg ein. Sofort steckte die Agentin ihr Handy in die Freisprechanlage und wählte die Nummer ihres Partners. Im nächsten Moment legte sie ihre Tasche auf den Beifahrersitz, schnallte sie sich an, startete den Motor und fuhr los. „Akai hier“, meldete sich ihr Partner. „Hey, ich bins, Jodie. Der Dreh ist jetzt zu Ende. Mein Schützling ist Chris Vineyard, sie ist eine Nachwuchsschauspielerin. Vielleicht hast du ja schon mal von ihr gehört? Scheinbar hatte ihr eigentlicher Leibwächter einen Unfall im Haushalt, daher wurde jemand Neues gebraucht.“ „Mhm…verstehe“, murmelte Shuichi. „Hast du herausfinden können, warum sie ausgerechnet dich wollte?“ „Nein“, antwortete Jodie ehrlich. „Sie war allerdings sehr überrascht, als sie mich gesehen hat. Es war irgendwie so, als hätte sie gar nicht damit gerechnet, obwohl sie mich selbst angefordert hat. Naja…ich denke, ich werde nachher noch herausfinden was los ist.“ „Wie willst du das anstellen?“, wollte der Agent wissen. „Sie möchte sich gleich mit mir treffen. Ich bin gerade auf dem Weg zu ihr.“ Akai verengte die Augen. „Was?“ Er stand sofort auf. „Schick mir die Adresse.“ „Eh?“ Jodie wirkte überrascht. Shuichi biss sich auf die Unterlippe. Er versuchte ruhig zu bleiben und hoffte auf einen Zufall. Aber was, wenn es keiner war? „Gib mir einfach die Adresse, ja?“ „Mhm…“ Sie war noch nicht komplett überzeugt. „Ich schick sie dir, wenn wir das Gespräch beendet haben. Aber…wozu brauchst du sie?“ „Ich will nur sichergehen, dass auch wirklich alles in Ordnung ist“, log der Agent.“ „Verstehe“, murmelte Jodie. „Ich bin gerade angekommen. Ich melde mich, wenn ich mich auf den Heimweg mache. Bis später“, sagte Jodie und legte auf. Sie seufzte und nahm das Handy aus der Freisprechanlage. Vertraute er ihr doch nicht mehr? Dennoch schickte Jodie ihrem Partner eine Nachricht mit der Adresse. Anschließend stellte sie den Motor aus und schnallte sich ab. Jodie nahm ihre Handtasche und steckte das Handy hinein, ehe sie ausstieg. Die junge Agentin sah auf den Wohnkomplex in dem die Schauspielerin wohnte. „Wow“, wisperte sie und machte sich dann auf den Weg. Es dauerte einen Moment ehe sie die richtige Hausnummer fand. Erneut sah sie auf den Zettel in ihrer Hand und betätigte anschließend die Klingel. „Ja, bitte?“ „Hier ist Jodie…äh Agent Starling.“ „Kommen Sie rein, Jodie“, gab Chris durch die Türsprechanlage von sich. „Sie müssen in die siebte Etage“, fügte sie hinzu und betätigte den Summer. Jodie stieß die Tür auf und fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben. Chris wartete bereits vor der Wohnungstür auf sie. „Schön, dass Sie gekommen sind. Ich hoffe, der falsche Name auf dem Zettel hat Sie nicht irritiert.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Ich habe mir schon fast gedacht, dass Sie eine Wohnung unter falschem Namen gemietet haben…“ Chris schmunzelte und betrat mit der Agentin ihre Wohnung. „Sie können die Schuhe gern anlassen, das macht mir gar nichts aus“, fing sie an und brachte Jodie kurz darauf ins Wohnzimmer. „Machen Sie es sich doch bereits gemütlich. Möchten Sie etwas Trinken?“ „Ein Wasser würde mir reichen.“ „Kommt sofort“, entgegnete die Schauspielerin und verschwand in der Küche. Jodie sah sich im Wohnzimmer um. Ohne zu wissen warum, überkam sie ein mulmiges Gefühl. Ging es ihrem Partner auch so, als er von ihrem Besuch bei der Schauspielerin erfuhr? Wie gern hätte sich Jodie auch noch im Rest der Wohnung umgesehen, aber ihre berufliche Neugier musste warten. Chris kam mit zwei Gläsern und einer Wasserflasche zurück. Sie stellte alles auf den Wohnzimmertisch und öffnete die Wasserflasche. Nachdem sie beide Gläser befüllte, setzte sie sich auf das Sofa. „Gefällt es Ihnen hier?“ „Ehrlich gesagt, ist es ein wenig…klinisch eingerichtet. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, allerdings wirkt es hier nicht so, als würden sie sich wohl fühlen. Ich sehe weder Blumen noch Bilder oder andere persönliche Gegenstände.“ Chris lachte. „Sie haben eine gute Beobachtungsgabe, Jodie. Und ich muss Ihnen recht geben. Ich reise sehr viel und wenn meine Fans herausfinden, wo ich wohne, muss ich bereit sein so schnell wie möglich umzuziehen. Daher ist hier auch alles nur minimalistisch eingerichtet.“ Jodie nickte verstehend. „Dürfte ich fragen, warum Sie mich zu sich nach Hause eingeladen haben? Es könnte doch sein, dass mir Fans hinterhergefahren sind oder ich Ihre Adresse versehentlich ausplaudere.“ „Ach was, da mach ich mir gar keine Sorgen“, antwortete die Schauspielerin. „Jodie, ich wollte mit Ihnen alleine reden und das in einer Umgebung in der wir uns Beide wohl fühlen könnten.“ „Liegt es an Ihrer Reaktion von vorhin?“ „Wie bitte?“ „Als ich Ihnen vorgestellt wurde, wirkten Sie überrascht. Scheinbar haben Sie mit meinem Vater gerechnet.“ Chris sah auf den Boden. „Das stimmt, ich hatte gedacht, dass Ihr Vater kommen würde“, begann sie. „Ich dachte, ich könne ihm…in den nächsten zwei Wochen ein wenig…näher kommen…“ „Sie…Sie…Sie wollten…?“ „Oh Gott, nein, es ist nicht so wie Sie denken“, gab sie sofort von sich. „Ich wollte ihn einfach nur kennenlernen.“ Jodie verstand noch immer nicht. „Aber warum?“ „Nun ja…wissen Sie, ich weiß, dass klingt jetzt merkwürdig, aber…“ Chris seufzte. „Sie haben doch sicher schon von meiner Mutter gehört, nicht wahr?“ Jodie nickte. „Sie meinen Sharon Vineyard. Sie ist ebenfalls Schauspielerin und hat Ihnen viel beigebracht.“ „Genau, das ist meine Mutter. Sie hat ihren Mann vor etwas mehr als 20 Jahren kennengelernt und geheiratet. Er liebte mich wie ein Vater seine Tochter liebt und ich liebte ihn. Als er gestorben ist…“ sie brach ab. „Chris?“ „Entschuldigung“, murmelte die Schauspielerin und wischte sich ihre Tränen aus dem Gesicht. „Sie haben vorhin erzählt, dass Ihr Vater verstorben ist. Sie können sich vorstellen, was ich auch durchgemacht habe.“ Jodie nickte. „Meine Mutter konnte lange nicht loslassen und…bewahrte seine Sachen weiterhin auf. Letzten Endes haben wir diese dann doch gemeinsam aussortiert und…vor einigen Jahren fand ich heraus, dass er mich…adoptiert hat. Meine Mutter hat es mir nie erzählt und meine Welt brach zusammen. Der Mann der mein Vater war, war…“ Chris schüttelte den Kopf. „…meine Mutter und ich wir stritten und seitdem haben wir kaum noch Kontakt. Immer wenn ich nach meinem leiblichen Vater frage, beendet sie das Gespräch und wird wütend. Trotzdem habe ich weiter recherchiert und…auch einen Detektiv beauftragt. Es gab viele Indizien und einige potentielle Kandidaten. Nach und nach habe ich sie kontaktiert und überprüft, aber keiner von ihnen war mein Vater.“ Jodie wollte das Gespräch an dieser Stelle am liebsten beenden. „Sie wollen…nicht, dass ich Ihren Vater finde, nicht…wahr?“ „Ich habe…ein paar Bilder gefunden. Wenn Sie möchten, zeige ich Sie ihnen“, entgegnete die Schauspielerin. „Sie zeigten meine Mutter mit ihrem damaligen Leibwächter. Ich fand heraus, dass es sich um einen jungen FBI Agenten handelte…“ Jodie schluckte. „Sie glauben, dass…“ „Acht Monate nachdem er nicht mehr für meine Mutter arbeitete, wurde ich geboren“, gestand sie. „Ich könnte mir daher vorstellen, dass Ihr Vater auch mein Vater ist. Ich habe nach ihm Suchen lassen, aber es gab keine Spur. Daher habe ich das FBI direkt kontaktiert und nach Agent Starling zu meinem Schutz gebeten.“ Der Schock stand Jodie ins Gesicht geschrieben. „Das muss nicht einfach für Sie sein, Jodie. Und glauben Sie mir, ich wünschte, ich hätte es Ihnen schonender beibringen können. Aber als Sie mir erzählt haben, dass er verstorben ist…ich will doch auch endlich Gewissheit haben.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Das kann nicht…mein Vater…er würde…nie…nein…das geht…nicht…er hat…nicht…nein…“ Chris blickte bedrückt drein. „Es tut mir leid, ich hab nicht geplant, dass ich es Ihnen schon heute sage, aber ich möchte Sie auch nicht anlügen. Agent Starling, nein, Jodie, lassen Sie uns einen DNA-Test machen. Dann haben wir Gewissheit und vielleicht sind wir ja Schwestern. Das…wäre doch positiv.“ Jodie stand auf. „Ich sollte…jetzt besser…gehen.“ „Aber…“ Chris biss sich auf die Unterlippe. „In Ordnung. Ich kann Sie hier nicht festhalten. Nehmen Sie sich die Zeit. Und wenn was sein sollte, kontaktieren Sie mich ruhig.“ Sie brachte Jodie wieder zur Haustür und nachdem die Agentin gegangen war, schmunzelte Chris. Jodie ging apathisch zu ihrem Wagen. Sie öffnete die Tür und setzte sich rein. Die Agentin sah nur nach vorne. Als es einmal an der Scheibe klopfte, reagierte sie nicht. Erst als die Fahrertür geöffnet wurde, blickte sie erschrocken zu ihm. Sie ließ ihren Tränen sofort freien Lauf. „Jodie? Was ist passiert?“, wollte Akai wissen. Kapitel 14: Nähe ---------------- Jodie stand unter Schock. Das Gespräch mit Chris hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Konnte es wirklich sein, dass ihr Vater eine Affäre mit Sharon Vineyard hatte? Hatte er mit dieser Frau wirklich ein Kind gezeugt? War sie wirklich ihre Schwester? Wusste ihre Mutter von der Affäre? Hatte diese ihrem Mann etwa verziehen oder würde die Wahrheit auch für sie ein Schock werden? Konnte Jodie es überhaupt ihrer Mutter sagen oder würde sie schweigen müssen? Da ihr Vater nicht mehr am Leben war, würde Jodie mit der Wahrheit ein Fass aufmachen. Es konnte ihre Mutter zerstören sowie alles, was ihr Vater zu Lebzeiten erreicht und aufgebaut hatte. Aber mit wem konnte sie darüber reden? Da James nun mit ihrer Mutter zusammen war, fiel diese Option weg. Auf einmal fühlte sich Jodie vollkommen alleine und auf sich gestellt. Als die Tür zu ihrem Wagen aufgerissen wurde, konnte die junge Agentin ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren. Sie ließ ihre Deckung komplett fallen und brach in Tränen aus. Ihr bitterliches Weinen hallte durch den ganzen Wagen. „Jodie? Was ist passiert?“, wiederholte Shuichi erneut. Man konnte ernsthafte Sorge heraushören, obwohl er weiterhin sehr darauf bedacht war, seine Umgebung nicht aus den Augen zu lassen. Akai biss sich auf die Unterlippe, sah zu Jodie und im nächsten Moment zu dem Wohngebäude aus dem sie kam. Er war eindeutig zu spät gekommen. Aber was war passiert? Was hatte man Jodie angetan, das sie so dermaßen durch den Wind war? Der Agent ärgerte sich über sich selbst. Eigentlich hätte er es besser wissen müssen. Er hätte Jodie aufhalten und während ihres Gesprächs mit Chris in der Nähe bleiben sollen. Am besten sie hätten das Gespräch über eine Wanze aufgenommen. Aber jetzt war es zu spät. Sie saß wie ein Häufchen Elend in ihrem Wagen und er wusste nicht einmal wieso. Und nun begann sein nächstes Problem. Er war zwar immer für seine Familie da, hatte sein Herz aber schon lange verschlossen. Wann immer es ging, versuchte er so gefühllos wie möglich zu wirken und hatte sich somit einen gewissen Ruf aufgebaut. Aber jetzt musste er Jodie trösten und er wusste nicht wie. Was sollte er sagen oder machen, damit es ihr besser ging? „Jodie?“, fing er erneut an, merkte aber schnell, dass es nichts brachte. Jodie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Dem Weinen folgte ein Schluchzen und sie war nicht mehr sie selbst. Sie wollte die Zeit zurückdrehen und lieber unwissend bleiben. Wie sollte sie nur mit den Neuigkeiten leben? Es war viel zu viel für sie. Akai blickte ein weiteres Mal zu dem Wohnkomplex. Augen zu und durch, sagte er zu sich selbst. Shuichi räusperte sich und ging in die Hocke, sodass er nun auf Augenhöhe mit Jodie war. „Agent Starling“, begann er sachlich und in der Hoffnung, dass er wenigstens damit zu ihr durchdringen konnte. Seine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Jodie nahm ihre Hände langsam runter und blickte ihn mit glasigen und leicht geschwollenen Augen an. „Du hast jetzt drei Optionen. Erstens: Du rutscht rüber auf den Beifahrersitz. Zweitens: Du steigst aus und kommst mit mir zu meinem Wagen. Oder drittens: Du fährst mir hinterher“, entgegnete er. „Für was entscheidest du dich?“ Jodie wirkte unentschlossen und schien alle Optionen durchzugehen. Letzten Endes tastete sie mit der linken Hand an ihrem Sitz, bis sie den Regler fand. Jodie verschaffte sich genügend Platz, indem sie den Fahrersitz nach hinten schob. Dann sah sie auf den Beifahrersitz und setzte sich rüber. Für das Aussteigen und um den Wagen gehen, sowie zu seinem Wagen zu gehen oder ihm gar hinterherzufahren, fehlte ihr die Kraft. Sie war fertig. Fix und fertig. Akai sah kurz in die Richtung, wo er seinen Wagen abgestellt hatte und auch wenn er diesen lieber nicht einfach so stehen ließ, war er über Jodies Entscheidung froh. Denn auch er fand, dass sie nicht in der Lage war, um selbst nach Hause zu fahren. Aber dennoch wollte er ihr zumindest die Möglichkeit geben. Shuichi stand wieder auf, ehe er auf dem Fahrersitz Platz nahm. Er schnallte sich an und stellte Rück- und Seitenspiegel sowie den Sitz auf seine Bedürfnisse ein. Anschließend nahm der Agent den Wagenschlüssel aus Jodies Hand und startete den Motor. „Schnall dich bitte an“, wies er seine Partnerin an. Jodie gehorchte und legte langsam den Sicherheitsgurt um sich. Es schien, als hätte sie sich beruhigt, doch im nächsten Moment brach sie erneut in Tränen aus. Was ist da drinnen nur passiert?, wollte der Agent wissen und fuhr los. Immer mal wieder blickte er aus dem Augenwinkel zu ihr. „Gut, dass ich weiß, wo du wohnst. Oder möchtest du, dass ich dich woanders hinbringe?“ Jodie reagierte nicht auf seine Frage. Shuichi seufzte leise auf und war froh, dass er bereits vorab ausreichend Recherchen zu seiner Partnerin betrieben hatte und wusste, wo er hin musste. Im Notfall hätte er sie aber auch zu ihrer Mutter oder zu James gebracht. Als Shuichi den Wagen auf dem Parkplatz abstellen konnte, war er froh. Obwohl sie bereits in der Nähe von Jodies Wohnung waren, kam ihm der Weg unendlich lang vor, was vor allem an Jodies derzeitiger Konstitution lag. Akai entfernte den Sicherheitsgurt, stellte den Motor ab und stieg aus. Er ging zur Beifahrerseite und öffnete die Tür. „Wir sind da“, entgegnete er und sah zu Jodie. Die Agentin wirkte überrascht und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie nahm ihre Tasche, entfernte den Gurt und stieg aus. Da sie sich kaum auf den Beinen halten konnte, stützte er sie und legte seine Hand um ihre Taille. Automatisch drückte er sie näher an sich, ehe er die Tür schloss und Jodie zu ihrer Wohnung brachte. Vor der Haustür kramte sie in ihrer Handtasche, fand aber den Schlüssel nicht. Erst als Shuichi ihr auch diese Arbeit annahm, konnten sie endlich die Wohnung betreten. Akai betätigte den Lichtschalter und sah sich um. Sofort versuchte er sich mit Jodies Apartment vertraut zu machen, um im Notfall auch einsatzbereit zu sein. Während Jodie aus ihren Schuhen schlüpfte, ihre Jacke aufhängte und ihre Tasche auf den Boden stellte, beobachtete Akai seine Partnerin. Anschließend tat er es ihr gleich und folgte ihr in das Wohnzimmer. Jodie ließ sich auf das Sofa sinken und blickte auf das Bild auf ihrer Kommode. Es zeigte ihre Eltern einige Wochen vor dem Anschlag. Sie waren glücklich, aber jetzt stellte Jodie alles in Frage. Akai sah zu ihr. „Soll ich Tee aufsetzen?“ Jodie schwieg auf seine Frage. „Jodie?“ Die Angesprochene sah überrascht zu ihrem Partner. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass er ihr in die Wohnung gefolgt war. Und ausgerechnet dies durfte ihr als FBI Agentin nicht passieren. „Shu…“, wisperte sie leise. „Was…machst du denn…hier?“ Es überraschte ihn, zeigte aber auch, wie schlecht es Jodie gehen musste. „Ich setz Tee auf.“ „Das…kann ich doch machen“, murmelte Jodie. „Ich weiß…wo alles steht.“ „Schon gut, bleib ruhig sitzen“, entgegnete Akai. „Ich find die Küche alleine, genau wie den Wasserkocher und den Tee, vorausgesetzt du hast Tee auch da“, fügte er hinzu und verließ das Zimmer. Jodie wollte ihm nach, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Shuichis Abwesenheit kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Doch als er mit einer Tasse Tee zurück kam, lächelte sie. „Danke.“ Shuichi stellte die Tasse auf den Tisch und setzte sich neben sie. „Erzählst du mir jetzt, was bei der Schauspielerin passiert ist?“ Jodie schluckte. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, dass sie sich wieder gefangen hatte, doch nun war sie wieder den Tränen nahe. Sie versuchte sie aufzuhalten, doch die ersten Tränen rollten schon über ihre Wangen. Akai verzog das Gesicht. „Jodie, nicht…wieder weinen…“, murmelte er. „So…meinte ich das nicht…du kannst natürlich weinen…wenn du willst…“ Jodie sah nach unten. „Sie wollte…wegen meinem Vater mit mir reden“, antwortete Jodie. „Chris hat mir erzählt, dass sie herausfinden wollte, wer ihr…Vater ist. Sie glaubt, dass es mein Vater sein könnte. Er war…wohl der Leibwächter ihrer Mutter…und einige Monate später wurde sie geboren…“ Shuichi sah sie überrascht an. „Du glaubst, dass dein Vater noch ein weiteres Kind hat?“ „Ich weiß nicht, was ich glauben soll“, gestand Jodie. „Mein Vater…er würde meine Mutter doch nie betrügen…und wenn er ein weiteres Kind hat, hätte er sich doch darum gekümmert…ich wäre mit…einer Schwester aufgewachsen. Er hätte es…doch nicht vor meiner Mutter…verschwiegen…so war er nicht…“ Jodie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Sie schlug mir vor, dass wir…einen DNA-Test machen lassen könnten, um sicher…zu sein…“ Jodie begann erneut zu schluchzen. „Ich weiß nicht, was ich…machen soll. Was wenn, sie wirklich…meine Schwester ist? Das ist…mir zu viel…“ Akai beobachtete sie. „Wieso hat sie dich erst jetzt kontaktiert? Versteh mich nicht falsch, Jodie, aber ich finde das Timing sehr komisch.“ „Ihre Mutter…hat es ihr auch verschwiegen. Sie hat nur zufällig herausgefunden, dass ihr Vater sie...adoptiert hat. Daraufhin hat sie, einen Detektiv mit der Suche nach potentiellen Vätern beauftragt“, erzählte die Agentin. „Keiner von ihnen hat er sich als ihr Vater herausgestellt, daher kam sie auf die Idee, dass es…der Leibwächter ihrer Mutter war. Und sie wusste nicht, dass mein Vater…nicht mehr am Leben ist. Daher war sie auch überrascht, als ich am Set vor ihr stand. Sie wollte eigentlich…erst meinen Vater kennenlernen, ehe sie ihm ihre Vermutung…gesteht. Und jetzt…möchte sie mich kennenlernen.“ Jodie sah tränenüberströmt zu ihm. „Was soll…ich jetzt denn machen?“ „Ehrlich gesagt, würde ich mir an deiner Stelle nicht so viel Gedanken darüber zu machen. Sie scheint sich selbst nicht sicher zu sein und vermutlich kommen noch andere Männer in Frage. Es könnte auch sein, dass dein Vater gar nichts mit ihrer Mutter gehabt hat. Und wenn er tatsächlich für Sharon Vineyard als Leibwächter tätig war, wird es in den Akten beim FBI vermerkt sein. Lass mich die Fakten erst einmal überprüfen, ehe du etwas Unüberlegtes tust, ja?“ Dennoch drehten sich die Räder in seinem Kopf bereits und er dachte daran, was ihm James erzählte. Mit der Zeit kamen wir ihnen immer mehr auf die Spur und schließlich hatten wir Glück und konnten eines ihrer Mitglieder identifizieren. Es handelte sich um eine Schauspielerin. Ihr Leibwächter wurde damals verletzt und Starling konnte sich bei ihr einschleichen. Während seiner Zeit als ihr Leibwächter sammelte er Informationen über diese Person und die Organisation. Doch dann...flog seine falsche Identität auf. Wir haben bis heute nicht herausgefunden, wie das passiert ist. War es tatsächlich möglich, dass Sharon Vineyard zur Organisation gehörte und den Tod des Agenten verschuldete? Shuichi biss sich auf die Unterlippe. Wenn Jodie weiter grub, würde sie Sachen herausfinden, die nicht gut für sie waren. Er musste etwas tun. Sofort. „Lass dich am besten von diesem Auftrag freistellen. Und vergiss nicht, du kennst deinen Vater am Besten. Traust du ihm so etwas wirklich zu?“ Jodie schüttelte den Kopf. „Aber…was wenn…“ „Es bringt nichts darüber zu grübeln“, warf der Agent ein. „Du malst dir ansonsten nur das Schlimmste aus und kannst dich auf deine Arbeit nicht mehr konzentrieren.“ „Dann könnte…der Test…doch helfen.“ Shuichi seufzte. „Jodie, wenn du diesen Test wirklich machen willst, dann bitte jemanden aus unserem Labor darum. Wir laden die Schauspielerin zu uns ein und besprechen mit ihr das weitere Vorgehen. Unsere Leute arbeiten diskret und präzise, dann hast du das Ergebnis schon innerhalb weniger Tage.“ Und wir können Chris beim FBI unauffällig zu einem Verhör bewegen und kommen so vielleicht an ihre Mutter. „James…er darf nichts davon erfahren“, murmelte Jodie. „Er würde es…meiner Mutter erzählen und…“ „Ich weiß“, gab Akai von sich. „Jetzt schau nicht so“, fügte er hinzu und legte seinen Arm um sie. „So ein deprimiertes Gesicht steht dir gar nicht. Wo ist die Agentin, die immer lächelt?“ „Die hat…gerade Pause“, murmelte Jodie. „Kannst du…heute Nacht…bleiben?“ „Okay“, nickte der Agent. Eigentlich hatte er etwas Anderes geplant, doch er war sich nicht sicher, ob er Jodie unter diesen Umständen allein lassen konnte. Wer wusste schon, was sie anstellen würde? Dass Jodie auch eine spontane Art hatte, hatte er schon vor einiger Zeit herausgefunden. Aber das Jodie ihn im nächsten Moment küssen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Sachte drückte er sie von sich weg. „Jodie, das ist keine gute Idee“, begann er. „Du bist gerade sehr verletzlich und das werde ich nicht ausnutzen.“ „Ich aber“, antwortete sie und küsste ihn erneut, ehe sie sich auf seinen Schoss setzte. Kapitel 15: Vermouth -------------------- Chris stand auf ihrem Balkon und blickte in die aufkommende Dunkelheit. Die Kälte fühlte sich abermals gut an und durch den Wind umspielten einige ihrer blonden Strähnen ihr Gesicht. Ihre Haare trug sie seit Jahren lang, aber ihr stand auch eine Kurzhaarfrisur. Leider würde sie dadurch viel zu sehr Ähnlichkeit mit ihrer Mutter haben und ihr kleines Geheimnis durfte nicht auffliegen. Vor allem nicht, da sie eine Person des öffentlichen Interesses war. Allerdings wusste sie, dass die Organisation jeder Nachricht in dieser Form entgegen wirken würde, denn schließlich wollten sie auch nicht, dass ihre Arbeit aufflog. Egal wie man es drehte und wendete, fiel Vermouth, nahm sie die Organisation mit. Die Schauspielerin schloss die Augen und dachte an die Ereignisse von vor einigen Jahren. Damals hatte sie als Sharon Vineyard für die Organisation gearbeitet und war noch grün hinter den Ohren. Ihre Schauspielkarriere hatte zu jener Zeit gerade erst begonnen und das Interesse an ihr war noch gering. Sie war ein Niemand, eine Person, an die man sich nicht erinnern musste – ein kleiner Fisch im großen Haifischbecken. Es gab zahlreiche Schauspieler die genauso gut waren wie sie oder sogar besser. Aber dann trat die Organisation in ihr Leben. Anfangs wollte sie diese für ihre eigenen Zwecke benutzen, aber die Organisation spielte nicht so einfach mit. Vermouth hatte schon früh bemerkt, dass es kein Entkommen gab und sie sich ihrem neuen Schicksal fügen musste. Nach und nach übernahm sie sogar die ersten Aufträge für die Organisation, bis sie gänzlich für sie tätig wurde. Die erste Person die sie damals umbringen musste, hatte sich tief in ihre Seele gebrannt. Sie hatte sein Gesicht jahrelang nicht vergessen, doch nachdem sie sich daran gewöhnt hat, waren die Menschen zu Gesichtslosen mutiert. Irgendwann würde sie für ihre Taten büßen müssen…irgendwann. Aber welche andere Möglichkeit hatte sie? Mit der Zeit hatte die Organisation weiter an ihrer Karriere gearbeitet und es dauerte nicht lange bis sie auch in Japan berühmt wurde. In regelmäßigen Abständen flog sie dorthin, lernte die Sprache und ließ sich von einem Magier ausbilden und erlernte neue Fähigkeiten. Seitdem konnte sie nahezu jede Rolle perfekt spielen. Doch je mehr Zeit verging, desto mehr verstrickte sie sich in dem Lügengerüst und am Ende konnte sie kaum noch sagen, was der Wahrheit entsprach und was nicht. Um auch für ein Leben nach der Organisation gewappnet zu sein, baute sie sich ein zweites zu Hause auf und richtete unter verschiedenen Namen Wohnungen und Häuser ein. Käme es hart auf hart hätte sie einfach untertauchen können, doch wann immer sie diesem Plan einen Schritt näher kam, ließ ihr die Organisation ein eindeutiges Zeichen zukommen. Es gab kein Entkommen vor ihnen. Sie hatten sie in der Hand und kontrollieren sie. Vermouth hatte allerdings nie herausgefunden wie das Netzwerk der Organisation damals funktionierte und auch nicht, wie diese von ihren Plänen erfuhr. Selbst jetzt war es ihr manchmal noch ein Rätsel. Dennoch hatte der Boss sie immer mehr gefördert und sie ganz langsam aufsteigen lassen. Mittlerweile war sie sogar sein Liebling und genoss ganz andere Privilegien. Selbst mit ihrer neuen Stellung kannte sie noch immer nicht jedes Mitglied. Trotzdem gab es noch viele in ihren Reihen die sie nicht mochten und die an ihrer Loyalität zweifelten. Selbstverständlich hatten sie auch Recht mit ihrer Vermutung. Um irgendwann der Organisation zu entkommen, sammelte sie Unterlagen gegen ihren Boss und einiger seiner Vertrauten. Sie war auch nicht abgeneigt, sich mit dem FBI, dem CIA oder einer anderen Bundesbehörde zu verbünden, aber irgendwann verschwanden ihre Unterlagen und sie stand wieder am Anfang. Vermutlich sammelte die Organisation auch Beweise gegen sie, doch solange sie nicht wusste, wo sie diese fand, konnte Vermouth nichts anderes tun außer weiterarbeiten. Besser so ein Leben als gar kein Leben, war seit jeher ihre Devise. Aufgrund ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit brauchte sie einen Leibwächter. Er war ein treues Mitglied der Organisation, schied dann aber wegen einer Verletzung aus. Danach trat Agent Starling in ihr Leben. Sie hatten ihn von oben bis unten durchleuchtet und anschließend als geeigneten Kandidaten für diese Aufgabe ausgewählt. Starling war immer in ihrer Nähe und nachdem sie mehrere Monate gemeinsam verbrachten, begann sie ihm zu vertrauen. Der Agent wusste genau wie er sie zum reden brachte. Leider tat ihr dieses reden gut. Sie redete sich alles von der Seele und fühlte sich nach langer Zeit befreit. Als er dann als FBI Agent enttarnt wurde, brach ihre Welt zusammen. Und dann war sie auch noch den Anfeindungen der Organisation ausgesetzt. Obwohl sie bei der Überprüfung seiner Identität keine Auffälligkeiten feststellen konnten, wurde ihr die Schuld gegeben. Und deswegen musste sie auch diesen Fehler aus der Welt schaffen. An sich hatte sie mit dem Auftrag kein Problem, denn auch sie wollte Rache an dem FBI Agenten nehmen. Doch die Organisation wollte mehr. Nicht nur Starling sondern auch seine Familie sollte dafür büßen. Es hatte der Schauspielerin nie gepasst ein kleines Mädchen umzubringen und so war sie tatsächlich für einen kurzen Augenblick froh, als seine Frau und Tochter das Haus verließen. Da Vermouth im improvisieren schon immer gut war, konnte sie ihren Auftrag auch auf eine andere Art und Weise zu Ende bringen. Am Ende musste sie sich zwar rechtfertigen, aber das Ergebnis – der Tod von Agent Starling und Verlust der Agent des FBIs – hatte ausgereicht. Trotzdem hatte sie Jodie all die Jahre nicht aus den Augen gelassen und ihren Lebensweg heimlich weiter beobachtet. Hin und wieder war sie in die Rolle von James oder Angela geschlüpft und versuchte Jodie von ihrem Lebensweg beim FBI abzubringen. Es brachte nichts und so wurde das Mädchen schon bald zur Bedrohung – eine Bedrohung um die sie sich kümmern musste. Und dann war da noch die Forschungsarbeit der Organisation. Ihr Erfolg führte zu einer weiteren Qual in Vermouths Leben. Seit sie zum Versuchskaninchen wurde, musste sie ihre Identität immer wieder verschleiern. Seit einigen Jahren wechselte sie bereits zwischen ihren beiden Identitäten – Sharon und Chris Vineyard – hin und her. Zusätzlich musste sie auch noch darauf achten, dass sich ihre beiden Persönlichkeiten nie in der Öffentlichkeit trafen. Und schon sehr bald würde sie Sharon Vineyard sterben lassen, um sich nur noch auf ihre Identität als Chris zu konzentrieren. Wie gut, dass sie auch dafür bereits einen Plan hatte. Parallel konnte sie auch ihre Rache an Agent Starling weiter treiben und Jodie für alles büßen lassen. Mittlerweile war Jodie auch alt genug, sodass Vermouth kein schlechtes Gewissen haben musste. Die Schauspielerin fühlte sich gut wie schon lange nicht mehr. Ihr Treffen mit der Agentin hatte zum gewünschten Erfolg geführt. Sie hatte es an Jodies Gesicht erkannt. Die junge Frau war am Boden zerstört und wusste nicht, wie sie mit der neuen Information umgehen sollte. Für Vermouth war es nahezu einfach gewesen Jodie zu manipulieren. Chris hatte einfach nur die richtigen Knöpfe gedrückt und sich von ihrer verletzlichen Seite gezeigt. Da Jodie wusste wie es war ohne Vater aufzuwachsen, hatte sie leichtes Spiel. Dennoch hatte Chris sicherheitshalber vorgesorgt und führ ihre Hintergrundgeschichte einen Detektiv – der ebenfalls zur Organisation gehörte – instruiert. Und sobald Jodie dem DNA-Test zustimmte, würde ihr ein anderes Organisationsmitglied die Familienzugehörigkeit bestätigen. Die Schauspielerin öffnete ihre Augen und blickte zum Parkplatz wo vor wenigen Minuten noch Jodies Wagen stand. Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer von Gin – einem Mitglied der Organisation in Japan. Seit einigen Tagen war er in den Staaten und kümmerte sich um einen anderen Auftrag. Zwischen ihnen bestand eine Hassliebe, sie vertrauen sich nicht und versuchten einander immer schlecht zu machen. Und dennoch verbrachten sie hin und wieder die Nächte miteinander. Danach verabscheute sie sich selbst, doch sie machte immer wieder den gleichen Fehler. „Was ist?“, nahm Gin das Gespräch entgegen. „Freundlich wie eh und je“, begann Chris ruhig. „Du hast dich doch für meinen Fortschritt bei der Starling Tochter interessiert.“ Gin schmunzelte. „Wie weit bist du?“ „Sie hat mir die Lügengeschichte abgenommen. Kein Wunder, ich kann so etwas gut spielen und hab genau gewusst, was sie hören musste. Es würde mich nicht wundern, wenn sie sich in den nächsten Tagen bei mir meldet. Danach gehe ich zu Phase 2 über und sie wird mich für ihre Schwester halten. Wenn dies der Fall ist, können wir sie für unsere Pläne einspannen. Ehe sie sich versieht, wird sie das FBI verraten und für uns arbeiten. Wenn sie es dann bemerkt, wird es zu spät sein und ich puste ihr das Hirn weg.“ „Gut“, entgegnete Gin. „Du hättest dich schon vor Jahren um sie kümmern müssen. Es war nur eine Frage der Zeit bis sie ihrem Vater nacheifern würde. Pass aber auf, dass sie nicht dahinter kommt, dass du ihren Daddy umgebracht hast, sonst wird es ganz schön ungemütlich für dich. Hast du keine Angst, dass sie mit ihren Freunden beim FBI spricht?“ „Soll sie doch“, fing die Schauspielerin an. „Wenn das FBI einen Zusammenhang gesehen hätte, hätten sie die Kleine doch gar nicht zu mir gelassen. Und bevor du fragst, nein, sie hat mich nicht ausspioniert. Ich vermute, es gibt nur wenige die wissen, dass ich Starlings damaliger Auftrag war. Und wie ich sie einschätze, wird sie sich auch Keinem anvertrauen, zumindest nicht sofort. Wenn sie es tut, wird es schon lange zu spät sein.“ „Du klingst sehr selbstsicher. Soll mir recht sein. Was ist mit diesem Akai Typen?“, wollte das Organisationsmitglied wissen. „Habt ihr ihn mittlerweile gefunden?“ Vermouth verengte die Augen. Gin wusste, wie man sie zur Weißglut treiben konnte, doch leider hatte er recht. Seit Jahren hielten sie Tsutomu Akai gefangen und versuchten über ihn das MI6 zu infiltrieren. In regelmäßigen Abständen folterte sie den Mann oder schlüpfte in die Rolle eines seiner Familienmitglieder. Beim letzten Mal hatte sie allerdings nicht mitbekommen, wie er seinen Fesseln entkommen konnte. Zwar hatten sie ihn verfolgt, doch ihm war die Flucht gelungen. „Nein“, antwortete sie. „Ich dachte, du solltest dich darum kümmern.“ Gin verengte die Augen. „Überlass das Denken lieber anderen. Ich habe mir schon einen Plan überlegt.“ Als Angela nach einem langen Arbeitstag ihre Zweitwohnung betrat, hatte sie ein beklommenes Gefühl. Sie konnte nicht einmal sagen, woran das lag. Seit mehreren Tagen kam sie nach der Arbeit her und kümmerte sich um Tsutomu. James hingegen ging sie aus dem Weg. Wenn er zu Besuch kam, sprachen sie über belanglose Dinge und versuchten die Zeit zu überbrücken bis er wieder ging. Es verletzte sie, vor allem da er versuchte ihren Wünschen nachzukommen und noch mehr Rücksicht auf Jodie nahm. Er legte seine Arbeitszeit beim FBI so, dass er Jodie nicht zu oft über den Weg laufen musste, was auch dazu führte, dass sich Jodie und James auch privat nicht mehr so oft sahen. Wie gern hätte sie mit den beiden liebsten Menschen in ihrem Leben wieder zusammen gegessen, doch dafür brauchte es noch Zeit. Allerdings wuchs Angelas schlechtes Gewissen stetig. Einerseits wollte sie sich bei James entschuldigen und andererseits hütete sie noch das Geheimnis um Tsutomu. Dennoch war sie froh, dass es dem Mann immer besser ging. Mittlerweile führten sie sogar allerlei Gespräche, vermieden aber die private Ebene. Sie wusste weder wie sein Nachname lautete, noch wo sich seine Familie befand oder welchen Beruf er ausübte und schon gar nicht, was an jenem Abend in Wirklichkeit passiert war. Da er nicht von sich aus darüber reden wollte, schwieg auch sie darüber. Angela trug die Einkäufe in die Küche und packte diese aus. Wieder überkam sie dieses komische Gefühl. Die Stille in der Wohnung war mit einem Mal unerträglich geworden, sodass sie in das Schlafzimmer ging. „Tsutomu, ich hab…“, begann sie und stockte. Irritiert blickte sie sich in dem Zimmer um. Er lag nicht mehr im Bett. Gerade als sie zur Badezimmertür gehen wollte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel einen Zettel auf den Nachttisch. Angela trat näher an diesen heran und nahm das Blatt Papier in die Hand. Danke für alles. Leben Sie wohl. Tsutomu. Angela schluckte und legte ihre Hand auf dem Mund. Sie spürte einen leichten Stich in der Brust. Nein, sie liebte ihn nicht, fühlte sich aber für ihn verantwortlich. Und nun war er weg. Einfach so und ohne Vorwarnung. Wie ihr Mann damals. Kapitel 16: Der Morgen danach ----------------------------- Jodie öffnete langsam ihre Augen. Sie fühlte sich wie gerädert, obwohl sie eigentlich genügend Schlaf bekommen hatte. Trotzdem war der Morgen viel zu schnell gekommen und wenige Minuten später erinnerte sich die Agentin wieder an die Ereignisse des Vortages. Eigentlich hätte sie froh sein müssen, dass der katastrophale Abend endlich vorbei war, doch ihre Gefühle waren gespalten. Sie hatte viel geweint und musste noch immer so viel verarbeiten. Mit einem Mal wurde ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Und welche Entscheidung sollte sie nur treffen? Was war richtig und was falsch? Sollte sie mit ihrer Mutter sprechen? Mit James? Oder doch noch einmal mit Chris? Sollte sie den DNA-Test machen oder so tun, als wäre nichts passiert und ganz normal weiterarbeiten? Sollte sie versuchen alles nur zu vergessen? Aber wenigstens gab es eine Person der sich Jodie anvertrauen konnte. Ohne Shuichi hätte sie nicht gewusst, wie der gestrige Abend geendet hätte. Sie war verloren und er war für sie da. Er hörte ihr zu, tröstete sie und gab ihr gute Ratschläge. Bei ihm fühlte sie sich sicher. Dabei war es komisch, wenn Jodie an ihre ersten Tage beim FBI dachte. Hätte ihr damals jemand gesagt, dass sie sich einst so wohl bei ihm fühlen und sich ihm sogar anvertrauen würde, sie hätte es nicht geglaubt. Irgendwie war die Agentin froh gewesen, dass alles anders gekommen war. Vielleicht hatte es das Schicksal doch gut mit ihr gemeint und sie bekam einen Partner auf den sie sich verlassen konnte. Nahezu automatisch tastete Jodie mit der Hand neben sich. Shuichi! Mit einem Mal setzte sich die Agentin auf und sah auf die leere Stelle neben sich. Er lag nicht mehr neben ihr oder hatte sie sich alles nur eingebildet? Jodie wurde unsicher. „Was hab ich getan“, wisperte sie zu sich selbst. Nein. Jodie schüttelte den Kopf. Es war keine Einbildung. Nachdem Jodie am Abend ihren Emotionen freien Lauf ließ, war sie ihrem Partner wortwörtlich an die Wäsche gegangen. Sie hatte schon immer eine recht spontane Art, konnte sich aber kontrollieren, wenn es darauf ankam oder sie in die Situation geriet, einen Fehler zu begehen. Aber bei Shuichi war alles anders. Bei ihm hörte ihr Kopf auf einmal auf zu denken. Sie hatte nur noch reagiert und in jenem Moment wollte sie ihn küssen. Die erste Berührung mit seinen Lippen fühlte sich gut an, zu gut. Sie wollte mehr. Sie wollte ihn spüren, seine warme Haut auf ihrer fühlen, die Leidenschaft, die Geborgenheit und die Nähe zu einem anderen Menschen. Sie wollte fest umschlungen mit ihm am nächsten Morgen aufwachen. Doch er hatte ihrem Treiben ein Ende bereitet und sie abgewiesen. Er hatte ihre Verletzlichkeit nicht ausnutzen wollen, was sie ihm sehr hoch anrechnete. Dennoch hatte sie einen weiteren Vorstoß gewagt und ihn erneut geküsst. Sie hatte sogar alles auf eine Karte gesetzt und ihm gezeigt, wie weit sie gehen wollte. Damit er sie kein weiteres Mal abwies, hatte sie sich auf seinen Schoss gesetzt und damit begonnen sein Hemd aufzuknöpfen. Sobald sich Shuichi mit ihr erhob, schlug ihr Herz schneller und sie dachte, alles vergessen zu können. Allerdings hatte er sie wieder auf dem Sofa abgesetzt und sie im Stehen beobachtet. Im Nachhinein war Jodie dieser Versuch mehr als peinlich und einen dritten Versuch wollte sie nicht unternehmen – zumindest nicht an jenem Abend. Doch Shuichi schien zu wissen, was in ihr vorging und fragte sie ganz unverblümt nach ihrem Badezimmer. Jodie war irritiert im Wohnzimmer zurückgeblieben und hatte gewartet. Als er wiederkam, fragte er lediglich ob er bei ihr im Schlafzimmer bleiben sollte, bis sie eingeschlafen war oder nicht. Es hatte Jodie überrascht, aber sie war froh, dass er an seiner Zusage festhielt. Schließlich waren sie zusammen in ihr Schlafzimmer gegangen und Jodie hatte sich bettfertig gemacht. Da Akai keine Sachen bei ihr hatte, setzte er sich mit Hemd und Hose auf das Bett. Jodie hatte sich schließlich langsam ins Bett gelegt, schloss sie die Augen und versuchte zu schlafen. Nachdem sie sich allerdings von ihm beobachtet fühlte, hatte sie den Agenten auch auf das Bett gedrückt und sich auf die andere Seite gedreht. Shuichi hingegen hatte die ganze Zeit geschwiegen und irgendwann waren sie gemeinsam eingeschlafen. Jodie konnte allerdings nicht sagen, ob er die gesamte Nacht über neben ihr lag oder sich auf das Sofa zurückzog. Vielleicht war er aber auch schon nach Hause gefahren? Langsam stand die Agentin auf, ging an ihren Kleiderschrank und holte ein paar Sachen raus. Sie verließ das Schlafzimmer, betrat das Badezimmer und machte sich für die Arbeit fertig. Einige Minuten später kam Jodie in die Küche. Als sie Shuichi an der Kaffeemaschine erblickte, lächelte sie. „Guten Morgen.“ „Morgen.“ Shuichi sah zu ihr. „Kaffee?“ „Gerne“, entgegnete sie und bekam eine Tasse mit der schwarzen Flüssigkeit eingeschenkt. Jodie nahm diese entgegen und blickte hinein. „Geht es dir heute besser?“, wollte der Agent wissen. „Wie mans nimmt“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Ich glaube, ich werde dem DNA-Test zustimmen. Ich brauche einfach diese Gewissheit. Wenn ich es nicht mache, werde ich mir immer die Frage stellen, ob sie nicht doch meine Schwester sein könnte. Meiner Mutter möchte ich allerdings nicht sagen, sie würde…es nur nicht verkraften und sich Vorwürfe machen, dass mein Vater unglücklich gewesen ist. Und wenn sich dann herausstellt, dass Chris nicht meine Schwester ist, würde immer noch der Verdacht einer Affäre im Raum stehen. Das kann und will ich meiner Mutter nicht antun. Deswegen werde nur ich damit leben, dass diese Möglichkeit besteht.“ Shuichi nickte verstehend. „Und was wird aus deinem Auftrag? Ich kann verstehen, wenn du ihn nicht zu Ende bringen willst.“ Jodie seufzte leise auf. „Es wird zwar nicht einfach sein, aber ich werde den Auftrag auf professionelle Art und Weise zu Ende bringen. Als FBI Agentin darf ich mir Aufträge oder Fälle nicht aussuchen. Und falls sie meine Schwester ist, lerne ich sie in den nächsten zwei Wochen ein wenig kennen.“ „Verstehe“, gab Akai murmelnd von sich. „Du bleibst allerdings bitte bei meinem Vorschlag. Der DNA-Test wird durch das FBI durchgeführt. Wenn sie dich zu etwas Anderem überreden will, lehnst du ab und informierst mich.“ Jodie sah ihn überrascht an. „Siehst du eigentlich überall nur das Schlechte?“ „Nicht überall, aber ich möchte sichergehen, dass du nicht enttäuscht wirst. Vielleicht steckt auch ein Plan dahinter und sie will an Berühmtheit gewinnen, wenn herauskommt, dass ihre Mutter eine Affäre hatte und sie das Kind eines FBI-Agenten ist. Wir sollten nicht ausschließen, dass alles von ihr nur gespielt ist. Außerdem können auch bei DNA-Tests Fehler passieren, daher wäre es mir lieber, wenn der Test bei uns durchgeführt wird.“ „Ich werds ihr vorschlagen, ok?“ „Gut“, stimmte Shuichi zu. „Am besten du nimmst mich gleich mit und setzt mich vor ihrer Wohnung ab. Von dort fahr ich dann mit meinem Wagen ins Büro und du zum Set. Wann musst du beim Dreh sein?“ „Es fängt immer um 9 Uhr an.“ Als Shuichi sein Büro betrat, fühlte er sich unwohl. Zum einen war es sehr komisch, dass Jodie nicht da war und ihm mit ihrer Art ein wenig auf die Nerven ging und zum anderen machte er sich Sorgen um sie. Die nächsten Stunden wäre sie auf sich alleine gestellt und er wusste nicht, ob Chris ihr nicht wieder unbewusst wehtat. Akai hatte den Großteil der Nacht wachgelegen und gegrübelt. War es wirklich nur ein Zufall, dass Chris jetzt mit ihren Erkenntnissen konfrontierte oder tatsächlich Berechnung? Und hatte FBI Agent Starling, von dem er bereits so viel Gutes hörte, tatsächlich eine Affäre? Akai biss sich auf die Unterlippe. Es gab nur wenige Personen, die den Agenten kannten und eine von ihnen – Jodies Mutter - durfte er nicht fragen. Aus diesem Grund hatte Shuichi keine andere Wahl. Und schließlich hatte er Jodie kein Stillschweigen gegenüber James versprochen. Außerdem erinnerte er sich noch sehr genau an die Erzählung seines Vorgesetzten. Eine Schauspielerin war der Untergang von Starling. Zufall? Ehe sich der Agent auf seinen Platz setzte, verließ er den Raum und ging zum Büro seines Vorgesetzten. Shuichi klopfte an und nachdem ein Herein ertönte, trat er ein. „Agent Black? Dürfte ich Sie für einen Moment stören?“ James blickte auf und nickte. „Setzen Sie sich doch“, fing er an. „Wie kann ich Ihnen helfen? Ist etwas mit Jodie?“ „Jodie…“, murmelte Shuichi. „Ihr geht es…den Umständen entsprechend. Haben Sie schon von ihrem neuen Auftrag gehört?“ Agent Black verzog keine Miene. „Leider nicht. Gestern war mein freier Tag und ich muss mich noch durch einen Haufen an Papierkram wühlen. Haben Sie bedenken, dass Jodie dem Auftrag nicht gewachsen ist?“ „Nun ja“, begann der FBI Agent. „Sie haben mir doch vor einiger Zeit erzählt, dass Jodies Vater bei einem Anschlag von dieser Organisation ermordet wurde. Starling war zu der Zeit der Leibwächter einer Schauspielerin, die zu ihnen gehörte. Sie hatten zudem erzählt, dass Sie die Schauspielerin auch weiterhin beobachtet haben. Mich würde interessieren, ob Starling vorher bereits als Leibwächter tätig war und…ich würde gern wissen, wer diese Schauspielerin war.“ James runzelte die Stirn. „Das war sein erster Einsatz als Leibwächter“, sagte der Agent. „Agent Akai, ich kann Ihnen den Namen leider nicht sagen.“ „Ich verstehe“, entgegnete Shuichi und beugte sich nach vorne. „Dann lassen Sie mich noch eine Frage stellen. War die Schauspielerin Sharon Vineyard?“ Black erschrak. „Woher…?“ „Das dachte ich mir…“ Shuichi wirkte trotzdem unglücklich. „Verdammt…haben Sie eine Ahnung, ob ihre Tochter Chris Vineyard ebenfalls zur Organisation gehört?“ James schwieg. „Agent Black, bitte, es ist wichtig.“ „Wir haben keinen Hinweis darauf“, antwortete der Ältere. „Es ist möglich, allerdings…“ „Allerdings? Agent Black, lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen.“ „Allerdings wissen wir auch erst seit einigen Jahren, dass Sharon Vineyard eine Tochter hat.“ James atmete tief durch. „Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was das alles mit Jodies Auftrag zu tun hat.“ Akai verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann müssen wir schnell handeln. Gestern wurde Jodie als Leibwächterin angeheuert. Vor Ort stellte sich heraus, dass es sich um Chris Vineyard handelt. Zunächst einmal ist dies nichts worüber man sich Sorgen machen müsste, allerdings behauptet sie, dass Starling ihr Vater sei.“ „Was?“ James wurde bleich. „Wieso? Nein…das…das kann nicht…“, murmelte er. „Der Auftrag hätte nie intern freigegeben werden dürfen.“ „Das wurde er aber“, gab Shuichi von sich. „Die Schauspielerin will einen DNA-Test. Ich habe Jodie vorgeschlagen, dass dieser hier durchgeführt wird, damit ich der Frau ein wenig auf den Zahn fühlen kann. Jodie war gestern außer sich und neben der Spur. Trotzdem ist sie heute wieder zum Set und möchte den Auftrag so gut es geht, beenden. Wenn es nach mir geht, sollte sie von diesem Auftrag abgezogen werden. Die Situation ist zu heikel und wenn Chris Vineyard auch zur Organisation gehört, ist Jodie in Gefahr.“ James nickte. „Ich versteh das nicht“, murmelte er leise. „Warum jetzt? Warum nimmt sie jetzt zu ihr Kontakt auf?“ „Fragen Sie nicht mich“, antwortete Shuichi. „Vielleicht ist alles auch nur ein Zufall und Sharon benutzt ihre Tochter für irgendeinen Plan. Vielleicht arbeiten sie auch zusammen. Vielleicht weiß Chris auch von nichts und versucht tatsächlich ihren leiblichen Vater zu finden. Wer weiß. Mein Vorschlag wäre, dass Sie Jodie von dem Auftrag abziehen und Chris um ein Gespräch bitten. Wenn sie ablehnt, wissen wir, dass sie etwas zu verbergen hat und wenn sie kommt, müssen wir alle Register ziehen um Informationen zu erhalten. Sie ist eine gute Schauspielerin, sie kann uns sehr leicht etwas vormachen.“ „Ich fahre los und hole Jodie höchstpersönlich ab.“ „Das halte ich für keine gute Idee“, sagte Akai. „Wenn Sie dort erscheinen, wird Jodie wissen, dass etwas im Argen liegt. Vielleicht glaubt sie auch, dass es nur um ihren Vater geht und versteht nicht das große Ganze. Als ihr Partner habe ich andere Möglichkeiten und sie wird eher auf mich hören, als auf Sie.“ James runzelte nachdenklich die Stirn. „Agent Black, Sie wissen, dass das die beste Entscheidung ist. Sie sollten in der Zwischenzeit herausbekommen, warum der Auftrag nicht an höherer Stelle abgefangen wurde.“ Shuichi stand auf. „Und bereiten Sie in der Zwischenzeit das Verhörzimmer so vor, dass sie glaubt, in einem normalen Besprechungsraum zu sein. Das gleiche gilt auch für ihren Manager. Ich möchte die Beiden fürs Erste nicht aus den Augen lassen.“ James nickte. „Ich verlasse mich auf Sie, Akai.“ Kapitel 17: Abgezogen --------------------- Als Shuichi endlich am Filmset angekommen war, wusste er wieder, warum er Schauspieler und das ganze Drumherum nicht mochte. Bereits der Wachmann am Eingang hatte ihn skeptisch beäugt, als er durch wollte und nicht einmal locker gelassen, als ihm Shuichi seinen Dienstausweis unter die Nase hielt. Mehrere Minuten musste er Fragen über sich ergehen lassen, ob er ein wirklicher Agent war, der zudem an einem Fall arbeitete oder ob er nur eine bestimmte Rolle spielte. Tatsächlich gab es genügend Schauspieler die ihre Rolle auch außerhalb oder vor den Dreharbeiten bereits spielten, um so eine bessere Verbindung zu ihrem Charakter aufzubauen. Leider hatte ihm der Wachmann am Eingang lediglich sagen können, dass die Dreharbeiten im Bereich F waren, sodass sich Shuichi selbstständig auf die Suche machen musste. Immer wieder spürte er die kritischen Blicke der Mitarbeiter. Einige hielten ihn für einen Schauspieler, Helfer, Fan oder aber einen Reporter. Kurz bevor er den Bereich F betreten konnte, stellte sich ihm wieder ein Wachmann in den Weg. Erneut musste er seinen Dienstausweis zur Bestätigung seiner Identität vorweisen. Und auch wenn er über diese Sicherheitsmaßnahmen hätte froh sein sollen, hielten sie ihn nur auf. Kaum das Shuichi von seinem Vorgesetzten den nächsten Happen zur Wahrheit um den Tod von Agent Starling erfuhr, war er in Alarmbereitschaft. Nicht nur, dass sich Jodie seit dem gestrigen Tag in Gefahr befand und auf sich alleine gestellt gewesen war, auch das FBI hatte einen Auftrag freigegeben, der mehr als verdächtig war. Vor James wollte er seinen Gedanken nicht aussprechen, aber sobald er wieder im Büro sein würde, wollte er der Gefahr durch einen potentiellen Maulwurf entgegenwirken. Wie wusste er noch nicht, doch er musste sich etwas einfallen lassen. Aber auch James hatte recht. Der Zeitpunkt war komisch. Wenn die Organisation dahinter steckte, verstand er nicht, warum sie ausgerechnet jetzt erst aktiv wurden. Was hatten sie vor? Wozu brauchten sie Jodie und vor allem warum jetzt? War alles vielleicht doch ein Zufall? Was es auch war, Shuichi musste Jodie unbedingt in Sicherheit bringen und dann der Schauspielerin auf den Zahn fühlen. Der FBI Agent beobachtete die Dreharbeiten akribisch und versuchte sowohl Jodie als auch Chris zu finden. Da er bereits mit seinen Recherchen anfing, konnte er die Schauspielerin schnell am Set ausfindig machen. Sie spielte gerade zusammen mit zwei anderen Kollegen eine Szene. Allerdings fehlte von Jodie jede Spur. Sofort schossen ihm verschiedene Gedanken durch den Kopf und er war auf jedes schreckliche Szenario vorbereitet. Da Jodie noch nicht lange am Set sein konnte und überall Menschen herumliefen, hatte er die Hoffnung, ihr Verschwinden schnell aufzuklären. Aber was, wenn noch mehr Schauspieler, Agenten oder das andere Personal für die Organisation tätig war? Shuichi biss sich auf die Unterlippe. Kam er doch zu spät? „Kann ich Ihnen helfen?“ Shuichi drehte sich zu dem Mann um und musterte ihn. Anschließend holte er seinen Dienstausweis hervor und hielt ihn hoch. „FBI. Ich suche nach meiner Partnerin“, fing er an. „Agent Starling hat die Aufgabe als Leibwächterin der Schauspielerin Chris Vineyard übernommen.“ Dave Jefferson lächelte. „Ach so, dann bin ich ja erleichtert. Ich dachte schon, Sie wären ein weiterer Fan von Chris und hätten sich hier eingeschlichen. Wir haben zwar gutes Wachpersonal, aber manchmal passieren kleine Unachtsamkeiten. Wenn Sie einen Moment warten, werden Sie Agent Starling hier treffen. Sie bringt gerade unseren ungebetenen Gast nach draußen.“ „Jemand hat sich hier eingeschlichen?“, wollte Shuichi wissen. Jefferson nickte. „Das passiert hin und wieder“, antwortete er. „Ist keine große Sache, aber gerade wegen solcher Situationen haben wir lieber zusätzliches Sicherheitspersonal hier. Ihre Kollegin hat sofort reagiert.“ „Ich verstehe“, entgegnete Akai ruhig. Jetzt da er wusste, dass es Jodie gut ging und sie ihre Arbeit machte, durchströmte ihn die Erleichterung. Nach außen hingegen, hatte sich an seiner Körpersprache nichts geändert. „Wie kommen Sie mit dem Dreh voran?“ „Ganz gut. Wir sind innerhalb des Zeitplans. Sie kriegen Agent Starling also mit großer Wahrscheinlichkeit in zwei Wochen wieder zurück.“ Der Agent stockte. „Oh, ich verstehe…“ Shuichi sah ihn überrascht an. „Sie verstehen was?“ Jefferson kratzte sich am Hinterkopf. „Wenn Sie extra hierhergekommen sind um nach Agent Starling zu fragen, nehme ich an, dass Sie sich nicht nur danach erkundigen wollen, wie zufrieden wir mit ihr sind. Das würde allerdings bedeuten, dass Sie sie an einer anderen Stelle benötigen, hab ich Recht?“ Shuichi war überrascht, dass der Mann die richtigen Schlussfolgerungen gezogen hatte. Allerdings hieß das auch, dass er ihn nicht unterschätzen durfte und vorsichtig sein musste. „Ja, das stimmt“, nickte Akai. „Agent Starling wird als Unterstützung bei einem anderen Fall gebraucht. Hätten wir gewusst, dass das passiert, hätten wir Ihnen schon gestern abgesagt. Uns bleibt leider nichts anderes übrig als Starling von hier abzuziehen. Es tut uns sehr leid, aber ich hoffe, Sie verstehen, dass wir keine andere Wahl hatten.“ Der Manager nickte. „Natürlich. Ihre Arbeit geht selbstverständlich vor. Sie kümmern sich tagein, tagaus um die Sicherheit unseres Landes, da werde ich den Teufel tun und auf Agent Starling bestehen. Es ist allerdings sehr schade, dass sich Miss Vineyard nun wieder auf einen anderen Leibwächter einstellen muss. Die Auswahl wird nicht einfach werden, vor allem nicht in Anbetracht der Kürze der Zeit.“ „Das können wir nachvollziehen“, entgegnete Shuichi. „Mein Vorgesetzter stellt gerade eine Auswahl an potentiellen Agenten zusammen, die Agent Starling vertreten könnten. Diese würden wir Ihnen gerne vorstellen. Wenn Sie heute noch Zeit haben, können wir das direkt im Büro klären.“ „Mhm…“, murmelte Jefferson nachdenklich. „Ich weiß nicht, ob wir dafür noch die Zeit aufbringen können.“ „Das versteh ich“, nickte Akai. „In diesem Fall können wir Ihnen auch einfach einen anderen Agenten zuweisen.“ „Dave? Was ist los?“ Chris kam zu den Beiden. „Hallo?“ „Ah, Chris, darf ich vorstellen, dass ist Agent Akai. Er ist der Partner von Agent Starling. Es gibt leider nicht so gute Nachrichten. Agent Starling wird bei einem anderen Fall gebraucht.“ „Oh“, murmelte die Schauspielerin. „Das ist sehr schade.“ „Was ist schade?“ Jodie sah zu ihrem Partner. „Shu…was…“ „Tut mir leid, aber wir benötigen deine Unterstützung bei einem anderen Fall. Es ist wichtig. Am besten du holst deine Sachen und dann fahren wir.“ „Äh…aber…“ „Schon gut, Agent Starling. Das verstehen wir natürlich“, kam es von Jefferson. „Agent Akai, wir werden uns nachher beim FBI melden.“ „Dave?“ Der Manager lächelte. „Das FBI stellt uns einen neuen Leibwächter zur Verfügung. Wir besprechen alles weitere dann später.“ „Ich verstehe“, nickte die Schauspielerin. Akai nickte. „Danke und bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.“ Chris sah zu Jodie. „Jodie, ich melde mich nachher auch bei Ihnen, wenn das in Ordnung ist“ „Ja, natürlich“, antwortete die Agentin. „Gehen wir“, sprach Shuichi und zog Jodie am Arm mit. „Hast du irgendwo noch was von deinen Sachen?“ „Nein…hab alles bei mir…“, murmelte sie. „Was ist denn los? Warum hast du es so eilig?“, wollte die Agentin wissen. Shuichi sah aus dem Augenwinkel nach hinten und spürte den Blick der Schauspielerin auf sich. „Der neue Fall ist wichtig, wir sollten keine Zeit verschwenden“, begann er. „Wir besprechen alles im Büro.“ Mit einem Kaffee in der Hand betrat Jodie das gemeinsame Büro. Sie setzte sich an ihren Platz und holte ihr kleines Notizbuch hervor. „Ich bin dann soweit.“ „Mhm?“ „Der neue Fall“, sagte sie. „Ich will alles darüber wissen. Oder gehen wir in den Konferenzraum?“ Jodie freute sich über die Ablenkung von Chris Vineyard. Außerdem handelte es sich um gute Neuigkeiten, wenn sie für einen Fall angefordert wurde. „Es gibt keinen neuen Fall. Das war nur eine Ausrede um dich vom Filmset wegzubekommen. Du wurdest von dem Leibwächter-Auftrag abgezogen, aber wir wollten keine schlafenden Hunde wecken.“ „Was? Aber wieso? Was ist passiert?“ Jodie stockte. „Du hast doch nicht mit James über die Sache mit Chris gesprochen…“ „Doch, das habe ich“, antwortete Shuichi. „Bevor du mich gleich anbrüllst, hör mir erst einmal zu.“ Akai seufzte. „Black will vermutlich nicht, dass ich dir alles erzähle, aber die Situation hat sich grundlegend geändert. Du erinnerst dich noch an unser Gespräch über den Tod deines Vaters?“ Jodie nickte. „Die Organisation die meinen Vater auf dem Gewissen hat, ist vermutlich auch für den Tod deines Vaters verantwortlich.“ „Genau. Was ich dir allerdings damals nicht erzählt habe, war die Tatsache, dass dein Vater als Leibwächter für ein Mitglied der Organisation tätig war. Bevor ich mit dir darüber spreche, wollte ich erst einmal die Fakten prüfen.“ Jodie schluckte. „Es tut mir leid, Jodie. Dein Vater war damals für Sharon Vineyard zuständig. Sie ist das Organisationsmitglied, das uns antworten liefern kann. Allerdings scheint es so, als hätte sie sich vor Jahren bereits aus der Organisation zurückgezogen. Die Kollegen konnten seit damals keinen weiteren Zusammenhang zwischen ihr und dieser Gruppierung feststellen. Als ich Black darauf ansprach, war er schockiert, dass man dich in die Nähe der Schauspielerin ließ. Wir werden intern prüfen, wie es dazu gekommen ist. Außerdem müsste Chris in etwa in deinem Alter gewesen sein, als dein Vater starb. Es ist allerdings ausgeschlossen, dass er Sharon so lange kannte. Das bedeutet, dass Chris nicht deine Schwester sein kann.“ Shuichi beobachtete Jodie. „Aber wieso sagt sie dann, dass es möglich ist?“, wollte die Agentin leise wissen. „Sie wirkte so…sicher. Und außerdem hab ich heute früh mit ihr gesprochen…sie stimmte dem DNA-Test bei uns zu. Das kann doch nicht…“ „Ich kenne ihre Beweggründe nicht. Es kann sein, dass sie durch ihre Mutter instruiert wurde und dir einfach nur etwas vorspielt. Vergiss nicht, sie ist Schauspielerin und hat ihr Können von ihrer Mutter gelernt. Oder Sharon benutzt ihre Tochter und hat die Informationen absichtlich so gelegt, dass Chris einer falschen Spur nachgeht. Was auch immer es ist, wir werden nicht locker lassen.“ Akai verschränkte die Arme vor der Brust. „Da sich nun wieder alles in Richtung Organisation wendet, muss uns das FBI mitarbeiten lassen. Nach all den Jahren gibt es endlich wieder eine Spur zu ihnen.“ Die Agentin wirkte dennoch nicht erfreut. „Was hast du?“ „Ich weiß nicht“, murmelte Jodie. „Ich bin einerseits froh, dass Chris doch nicht meine Schwester sein kann, aber andererseits…wieso…wieso jetzt? Wenn Sharon Vineyard tatsächlich für den Tod meines Vaters verantwortlich ist, wieso hat sie mich und meine Mutter nicht schon damals aufgesucht und uns diese Geschichte erzählt? Wieso…erst wenn ich selbst zum FBI gehöre?“ „Das weiß ich auch nicht. Vermutlich wurde sie damals noch beobachtet und hätte vom FBI viel schneller in Gewahrsam genommen werden können“, begann Shuichi. „Aber das Timing stellen wir auch in Frage. Wieso ausgerechnet jetzt? Warum hat sie so lange gewartet? Gab es irgendwas, was dein Vater damals geplant hat?“ „Ich glaube nicht“, antwortete Jodie. „Dafür müsste ich meine Mutter fragen.“ „Okay“, entgegnete der Agent. „Wenn wir Glück haben, kommen Chris und ihr Manager nachher noch ins Büro. Wir sind dabei ein Verhörzimmer so umzugestalten, dass es einem normalen Konferenzraum ähnelt und hoffen, dass wir ihr einige Informationen entlocken können. Vorausgesetzt natürlich, dass sie von den Machenschaften ihrer Mutter Bescheid weiß und selbst auch zur Organisation gehört. Davor sollten wir mit Black reden und ihm klar machen, dass wir uns dieses Mal nicht abspeisen lassen. Und…du solltest mit deiner Mutter sprechen, ob es nicht doch irgendwas gibt, was dein Vater für die Zukunft geplant hat.“ Jodie schluckte. „Was ist mit…Sharon? Sie war doch vor einigen Tagen bei dieser Aufführung und ist womöglich immer noch in New York. Wir sollten sie aufsuchen.“ „Das habe ich mir auch schon überlegt“, sprach Shuichi schmunzelnd. „Allerdings vermute ich, dass es schwer sein wird, um an sie heran zu kommen. Wenn wir sicher sind, dass Chris nichts damit zu tun hat, könnten wir den Kontakt über sie herstellen. Ansonsten muss das FBI eine offizielle Anfrage an das Management der Schauspielerin stellen. Und so gern ich jetzt auf eigene Faust ermitteln will, jeder unüberlegte Schritt führt nur dazu, dass wir die Organisation noch mehr auf unsere Ermittlungen aufmerksam machen. Ihre Gegenmaßnahmen sind derzeit noch nicht absehbar. Außerdem…“ „Außerdem?“, wollte Jodie wissen. „Außerdem glaube ich, dass wir das FBI erst einmal davon überzeugen müssen, dass wir den Fall von damals aufrollen und mitarbeiten. Wir dürfen uns jetzt keine Fehler erlauben. Wenn sie nicht möchten, dass wir involviert werden, werden sie jede Kleinigkeit nutzen, um uns zu suspendieren oder um uns als Gefahr einzustufen.“ Jodie schluckte. „Ich verstehe. Dann sollten wir…zuerst mit James darüber reden.“ Akai lächelte. „Ich habe gehofft, dass du das sagen würdest. Black ist unser Türöffner zu diesem Fall.“ Kapitel 18: Bei James --------------------- Als Jodie vor dem Büro von James stand, atmete sie tief durch. Obwohl sie wusste, dass Shuichi den Großteil des Gespräches übernehmen würde, war sie nervös. Einerseits war sie James sehr lange aus dem Weg gegangen und wusste nicht, wie er nun reagieren würde und andererseits wusste sie nicht, in welche Richtung das Gespräch verlaufen würde. Jodie hatte ihr ganzes Leben darauf hingearbeitet, den Mörder ihres Vaters zu finden und diesen zur Rechenschaft zu ziehen, aber nun wo sie die Wahrheit kannte und seiner Mörderin einen Schritt näher kam, zitterte sie. Nicht aus Vorfreunde, dass sie endlich ihr Ziel erreicht hatte, sondern viel eher aus Angst. Sie hatte Angst vor dem, was sie noch alles über ihren Vater herausfinden würde. Und dann war da noch diese Organisation. Was wollten sie? Warum waren sie da? Und warum kamen sie nach Jahren wieder aus der Versenkung hervor? Außerdem hatte die junge Agentin Sorge, dass die Organisation noch viel mächtiger war, als sie alle annahmen und dass ihr die Organisation erneut alles nehmen würde, was ihr lieb und teuer war. Ihre Mutter. James. Shuichi. Augenblick errötete die Agentin bei dem Gedanken an ihren Kollegen. Obwohl es nur ein kleiner Ausrutscher war, gab er ihr doch zu Denken. Als Shuichi an die Tür klopfte, riss er sie unweigerlich aus ihren Gedanken. Jodie zuckte zusammen und beobachtete ihren Partner, als er wenige Sekunden später die Tür öffnete und ins Büro ging. „Wie besprochen, habe ich Jodie hergebracht.“ James blickte nach oben, lächelte und nickte. „Kommt rein und setzt euch.“ Verunsichert ging Jodie rein und setzte sich auf einen der freien Plätze vor seinem Schreibtisch. Shuichi nahm neben ihr Platz. „Ich hab Jodie bereits eingeweiht, komplett.“ „Agent Akai!“ „Ich hielt es für das Richtige“, entgegnete der jüngere Agent und verschränkte die Arme vor der Brust. „Da es so aussieht, als wäre Jodie von der Organisation bereits ins Visier genommen worden, hätte es nichts gebracht, wenn ich sie nur hingehalten hätte. Sie vergessen, dass sie auch eine Agentin ist und wie wir die gleichen Schlussfolgerungen ziehen würde. Daher würde sie früher oder später auch Fragen stellen. Und um ehrlich zu sein, habe ich keine Lust meine Partnerin anlügen zu müssen. Eine Partnerschaft auf Lügen ist in keinerlei Hinsicht förderlich. Das sehen Sie doch bestimmt auch so.“ James runzelte die Stirn und seufzte. „Ja, das stimmt.“ Er blickte zu Jodie. „Dann weißt du jetzt auch, dass dein Vater während seines letzten Auftrages mit Sharon Vineyard zu tun hatte und…“ Jodie nickte beklommen. „…und von ihr getötet wurde…“, murmelte sie. „Ich weiß auch, dass die Schauspielerin zu dieser Organisation gehört und dass sie in den letzten Jahren wohl recht ruhig, wenn nicht sogar inaktiv, gewesen sind.“ „Das ist korrekt“, antwortete Black. „Wir haben sie in den letzten Jahren weiterhin im Auge behalten und versucht eine neue Spur zu ihnen zu erhalten, allerdings…blieben sie die ganze Zeit im Verborgenen. Erst durch dich haben wir wieder einen Hinweis zu ihnen.“ „Warum habt ihr mir nicht schon viel eher die Wahrheit erzählt?“, sprudelte es aus ihr heraus. „Warum, James? Ich hab ein Recht darauf. Du hast doch mitbekommen, dass ich in den letzten Jahren immer wieder versucht habe, Antworten zu finden. Doch ihr habt mich immer nur belogen.“ „Wir haben dir gesagt, dass dein Vater in Ausübung seiner Pflicht gestorben ist. Das entspricht der Wahrheit. Genau so haben wir dich und deine Mutter in Sicherheit gebracht und unter unsere Fittiche genommen, falls es die Organisation auch auf euch abgesehen hat. Auch hier haben wir euch zu keinem Zeitpunkt belogen. Alles andere konnten und durften wir dir nicht erzählen. Nicht nur, weil du nicht zum FBI gehört hast, auch weil du noch zu jung gewesen bist um die Wahrheit zu verstehen und richtig mit ihr umzugehen“, erklärte James ruhig. „Auch wenn du jetzt zum FBI gehörst, hattest und hast du keine Sicherheitsfreigabe für die Daten von damals. Daher darf ich dir…euch eigentlich nichts erzählen, was damals passiert ist, auch dann nicht, wenn du seine Tochter bist.“ Akai verengte die Augen. „Aber es hat sich jetzt einiges geändert. Und deswegen haben Sie uns doch sicherlich schon die Freigabe besorgt.“ „Das stimmt, in Anbetracht unserer Situation musste ich das“, nickte James. „Wir wissen leider nicht, ob Chris Vineyard auch zu ihnen gehört oder ob sie von ihrer Mutter einfach nur benutzt wurde. Vielleicht war alles auch tatsächlich ein grauenhafter Zufall. Aber dennoch müssen wir vom Schlimmsten ausgehen und annehmen, dass du nun das Ziel der Organisation bist.“ „Nicht zu vergessen, dass wir immer noch nicht wissen, warum die Organisation so viele Jahre gewartet hat“, entgegnete Akai. „Sie hätten Jodie schließlich auch umbringen können, als sie noch ein kleines Mädchen war und keine Bedrohung für sie darstellte. Außerdem frage ich mich, was mit ihrer Mutter ist. Ist sie auch in Gefahr? Und wenn nicht, warum ist Jodie ihr einziges Ziel.“ James seufzte. „„Jodies Mutter wird von uns beobachtet, zur Sicherheit habe ich bereits jemanden ins Krankenhaus geschickt, der auf sie aufpasst. Aber die Frage, warum sie noch schon viel eher zugeschlagen haben, habe ich mir auch gestellt“, entgegnete der Ältere. „Vielleicht haben sie ein Problem damit ein Kind zu töten und…haben daher gewartet, bis Jodie alt genug war…oder sie haben sie damals tatsächlich aus den Augen verloren und sind erst jetzt wieder auf Jodie aufmerksam geworden. Vielleicht sah es ihr Plan aber auch von Anfang an vor, dass sie mehrere Jahre warten, vielleicht gibt es auch etwas, das sie sich all die Zeit über erhofft haben. Starling hat damals sämtliche Akten über die Organisation im Keller des Hauses gelagert. Aufgrund des Brandes sind wir davon ausgegangen, dass keine Unterlagen übrig geblieben sind. Aber…vielleicht…“ „Vielleicht gibt es etwas, dass Agent Starling sowohl vor der Organisation als auch dem FBI geheim gehalten hat. Etwas, das Jodie zu Gesicht bekommen würde, wenn sie zum FBI gehen würde? Denken Sie an so etwas?“ James nickte. „Es ist nicht auszuschließen. Jodies Mutter hat mir nie irgendetwas darüber erzählt, aber…ich hab damals auch gar nicht an diese Möglichkeit gedacht.“ „Dann sollte Jodie mit ihrer Mutter reden. Möglicherweise gibt es doch irgendwo einen Hinweis. Und es ist am wahrscheinlichsten, dass Jodie mehr in Erfahrung bringen kann.“ „Jodie?“ James sah zu ihr. „Ist das in Ordnung für dich?“ „Selbst wenn nicht“, fing die Agentin an. „Ich muss es dennoch tun. Ich muss mit meiner Mutter sprechen und in Erfahrung bringen, ob mir mein Vater noch mehr hinterlassen hat.“ Agent Black nickte. „In Ordnung. Ich werde sie herbitten.“ Jodie sah ihn irritiert an. „Hältst du es wirklich für notwendig, dass sie herkommt? Wenn ich zu Hause mit ihr spreche, könnte ich vielleicht mehr rausfinden.“ „Wir wissen nicht, was zu Hause auf euch wartet. Und außerdem möchte ich sichergehen, dass sich die Organisation nicht einmischt, nur weil sie glauben, wir würden ihnen einen Schritt zuvor kommen. Hier ist sie sicherer.“ „Verstehe“, murmelte Jodie leise. „Dann…hol sie her. Aber ich glaube nicht, dass sie absichtlich gewartet haben. Ich erinnere mich an damals…hätte ich mir damals nicht die Hand gebrochen, wäre meine Mutter nicht mit mir ins Krankenhaus gefahren. Dann wären wir Beide auch zu Hause und die Organisation hätte mich auch umgebracht…“ „Das wär möglich“, gab James von sich. „Oder sie hätten…dich mitgenommen und versucht für ihre Zwecke zu benutzen.“ Jodie schluckte. Shuichi sah seinen Boss an. „Als ich vorhin am Filmset war, habe ich mit Chris Vineyard und ihrem Manager gesprochen. Die Beiden wollten im Laufe des Tages herkommen, mal sehen, ob es wirklich passiert. Wie weit sind die Vorbereitungen?“ James war über den Themenwechsel irritiert. „Fast fertig“, antwortete er. „Allerdings hat sich…während Ihrer Abwesenheit etwas Neues ergeben. Wir haben…“ James runzelte die Stirn, während er nach den richtigen Worten suchte. „…einen Besucher, der in den letzten Jahren viel Zeit in den Fängen der Organisation verbracht hat. Er konnte sich befreien und möchte…uns jetzt alles erzählen, was er in den letzten Jahren in Erfahrung bringen konnte. Ich möchte noch erwähnen, dass er zu uns gekommen ist und nach einer Kooperation gebeten hat. Daher sehen wir derzeit noch keinen Grund um ihm kein Vertrauen entgegen zu bringen, dennoch haben wir die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Er war…früher für das MI6 tätig und…“ Der Ältere sah zu Shuichi. „Wo ist er?“, wollte Akai wissen. „Agent Akai…“, fing James ruhig an. „Sie dürfen nicht…“ „Wo ist er?“ Shuichi stand auf. „Sagen Sie es mir.“ „Verhörzimmer 3. Aber Sie sollten sich erst einmal beruhigen.“ Sofort drehte sich Shuichi um und marschierte aus dem Büro. „Shu…“ Jodie blickte ihm irritiert nach. „Warte auf mich“, fügte sie hinzu und folgte ihrem Partner. Auch James machte sich auf Weg und schüttelte den Kopf. Eigentlich hätte er es besser wissen müssen und trotzdem hatte er diesen Fehler gemacht. Doch welche andere Wahl hatte er? Würde Shuichi erfahren, dass sich sein Vater beim FBI befand, würde er mit ihm reden wollen. So ließ er das Schicksal seinen Lauf nehmen. Als Akai am Verhörzimmer ankam, riss er die Tür auf und starrte die Person die am Tisch saß an. Der Mann trug Handschellen, die mit dem Tisch verbunden waren und blickte seinen Gegenüber an. „Wer sind Sie?“, wollte Shuichi wissen. Tsutomu lächelte. „Ich habe bereits gehört, dass du jetzt für das FBI arbeitest. Eigentlich nahm ich immer an, du würdest vielleicht zum MI6 gehen, wie deine Mutter und ich. Oder du würdest einen anderen Berufsweg wählen, einen…weniger gefährlichen. Nach all der Zeit ist es schön, dich wiederzusehen, Shuichi. Es freut mich zu sehen, was für ein Mann du doch geworden bist.“ Akai ging zu ihm, packte ihn am Kragen und riss ihn nach oben. „Wer sind Sie?“, fragte er erneut. „Shu…“ Jodie kam zu ihm und zerrte an seiner Hand. „Lass ihn los.“ Tsutomu blickte zu Jodie und lächelte ein weiteres Mal. „Sie sind wohl seine Partnerin.“ Der FBI Agent verengte die Augen. „Lass sie in Ruhe“, zischte er und stieß Jodie zeitgleich zur Seite. „Sag mir lieber, was für ein Spiel hier gespielt wird. Wer bist du? Sharon oder Chris? Oder gibt es noch jemanden, der die Verkleidung so perfekt beherrscht. Und dann sagst du mir, warum du so aussehen musst, wie mein…“ „Wie dein Vater?“, fragte Tsutomu. „Das ist einfach erklärt. Weil ich dein Vater bin, Shuichi.“ Irritiert sah Jodie zu Tsutomu. „Vater? Das ist dein Vater?“ Mittlerweile kam auch James im Raum an. „Agent Akai, lassen Sie ihn los.“ Shuichi knurrte. „Agent Akai, ich möchte mich nur ungern wiederholen.“ „Auf Ihre eigene Verantwortung“, zischte der Agent und stieß Tsutomu zurück, sodass dieser wieder auf seinem Stuhl landete. „Meine Identität wird sehr bald bestätigt werden, Shuichi.“ „Das stimmt“, kam es von James. „Wir haben ihm Blut abgenommen und lassen die Fingerabdrücke überprüfen. Machen Sie sich keine Sorgen, Agent Akai, wir werden schon sehr bald wissen, ob es sich bei diesem Mann um Ihren Vater handelt oder nicht. Solange er kooperieren will, werden wir ihn befragen und für alle Informationen dankbar sein, die wir bekommen. Ich dachte mir bereits, dass Sie während der Befragung dabei sein wollen, deswegen habe ich von Anfang an mit offenen Karten gespielt.“ Ein weiterer Agent kam in den Raum. „Agent Black?“ „Ja?“, James blickte zu diesem. „Es gibt etwas, das Sie wissen sollten.“ Der Mann kam näher und flüsterte seinem Vorgesetzten etwas ins Ohr. James weitete die Augen. „Was? Das darf nicht wahr sein. Ich komme sofort.“ Er sah sofort zu Shuichi und Jodie. „Sie bleiben hier und stellen nichts an. Jodie, pass auf, dass er keinen Unsinn anstellt“, sagte er und ging mit dem Agenten aus dem Verhörzimmer. Jodie war irritiert. „Was wohl passiert ist?“ „Hast du was damit zu tun?“, wollte Shuichi von Tsutomu wissen. „Nein, zumindest weiß ich nichts“, antwortete der Ältere wahrheitsgemäß. „Schau bitte nicht so skeptisch. Ich bin auf eure Seite und möchte mit dem FBI teilen, was ich weiß. Danach hoffe ich, zurück zum MI6 zu dürfen, falls sie mich noch in ihren Reihen haben wollen.“ „Das werden wir sehen“, murmelte Akai. Es dauerte nicht lange bis James wieder in seinem Büro war. Er setzte sich an den Schreibtisch und entsperrte seinen Computer. Sofort rief er die aktuellen Pressemitteilungen auf. Die Schauspielerin Sharon Vineyard ist heute Morgen nach langer Krankheit verstorben… „Das darf nicht…“, murmelte der FBI Agent. Er schluckte und schloss die Augen. „Das kann einfach nicht…“ Und er wusste, dass es nun zu viele Zufälle waren, die sich aneinander reihten. Kapitel 19: Tsutomu ------------------- Mit verschränkten Armen vor der Brust beobachtete Shuichi die Person die vorgab sein Vater zu sein. Während sich Jodie gegenüber von Tsutomu gesetzt hatte, hatte er die Wand bevorzugt und sich gegen diese gelehnt. Seinen Blick hatte er die ganze Zeit über nicht von dem Mann abgewendet und am liebsten wäre er ihm an die Gurgel gegangen. Leider konnte er Jodie bisher sehr gut einschätzen und wusste, dass sie dazwischen gehen würde. Ging er die Sache zu unbedacht an, würde Jodie verletzt werden und dann würde er vom FBI sicherlich suspendiert werden. Kam es hart auf hart würde man ihn nicht nur für seine Handlung rügen, sondern ihn auch von den weiteren Ermittlungen gegen die Organisation fernhalten. Und das konnte er auf gar keinen Fall zulassen. Zahlreiche Gedanken schossen dem jungen Agenten durch den Kopf. Handelte es sich bei dem Mann tatsächlich um seinen Vater, der so viele Jahre verschollen war? Oder war es einfach nur ein Schauspieler, der in dessen Rolle schlüpfte? Und wenn es sein Vater war, was war ihm die letzten Jahre passiert? Konnte er ihm überhaupt noch vertrauen? Was wenn sein Vater mittlerweile ein Verräter war und nur die Gunst der Stunde nutzte? Er hatte gewusst, dass Mary damals ihr drittes gemeinsames Kind unter ihrem Herzen trug und doch hatte er kein einziges Mal versucht mit seiner Familie in Kontakt zu treten. Selbst jetzt führte ihn sein erster Weg zum FBI und nicht zum Telefon um Mary zu erreichen. Konnte es tatsächlich sein? Hatte Shuichi sein Ziel erreicht? Akai verachtete sich für die Gedanken die er wegen seinem Vater hegte. Aber wahrscheinlich wäre es bei seiner Mutter und seinem Bruder ähnlich. Mary, die zum MI6 gehörte, würde Tsutomu sicherlich auch nicht sofort mit offenen Armen empfangen. Und auch Shukichi würde Fragen stellen. Nur Masumi – die er kaum kannte – konnte er nicht einschätzen. Doch möglicherweise hatte sie den gleichen Dickkopf und die gleiche Neugier geerbt, wie der Rest der Akai-Familie. Aber vielleicht wollte er auch einfach nur das Schlechte sehen und war nicht dazu bereit seinem Vater zu verzeihen. Dennoch hoffte ein kleiner Teil in ihm, dass der Mann sein Vater war. Dank des FBIs würde er die Antwort in einigen Stunden kennen. „Du kannst mir ruhig all deine Fragen stellen“, begann Tsutomu ruhig. „Ich werde alles wahrheitsgemäß beantworten.“ Shuichi verengte die Augen. „Ich nahm zwar an, dass wir auf Black warten würden, aber gut. Ich stelle die gleiche Frage wie zuvor. Wer bist du?“ „Tsutomu Akai.“ „Was ist in den letzten Jahren passiert? Wo warst du?“ „Shu!“ Jodie sah ihn missmutig an. „Wir sollten mit der Befragung warten.“ „Schon gut“, kam es von Tsutomu. „Er hat alles Recht der Welt mir diese Fragen zu stellen. Außerdem…habe ich den Großteil dem FBI bereits beantwortet. Ich denke nicht, dass Ihre Kollegen und Vorgesetzten etwas dagegen haben werden, wenn ich jetzt mit Ihnen Beiden rede. Sie dürfen selbstverständlich auch Fragen stellen, wenn Sie möchten.“ Tsutomu blickte wieder zu seinem Sohn. „Du weißt ja mittlerweile, dass deine Mutter und ich für das MI6 in England arbeiten. Genau wie das FBI sind auch wir irgendwann auf die Organisation aufmerksam geworden, allerdings sind wir Ihnen erst vor etwa 16 Jahren wirklich nah gekommen. Eigentlich hatten Mary und ich überlegt, dass wir mit den gefährlichen Fällen aufhören, immerhin war unser drittes Kind unterwegs, aber wir wollten zumindest noch dieses eine Thema abschließen. Ich bin einer Spur nach Amerika gefolgt und traf dort einen alten Bekannten. Er hatte zwar nichts mit der Organisation zu tun, kam ihnen aber zufällig in die Quere und wurde ermordet. Dann musste ich einfach weiter ermitteln, doch ich wusste, dass es noch gefährlicher werden würde und habe deiner Mutter die Anweisung gegeben, mit euch unterzutauchen. Leider haben sie bemerkt, dass ich gegen sie ermittel und bin ihnen dann in die Falle gegangen. Als sie schließlich herausgefunden haben, dass ich für das MI6 arbeite, haben sie alles versucht um über mich an weitere Informationen zu kommen. Wie ich mittlerweile weiß, waren sie damals noch nicht in England tätig, daher wollten sie das MI6 infiltrieren. Ich bin so lange standhaft geblieben wie es ging, auch wenn sie meine Familie gegen mich verwendet haben. Es dauerte zwar lange, aber da du immer noch meinen Nachnamen trugst, konnten sie dich finden und versuchten mich damit unter Druck zu setzen, sowohl körperlich als auch seelisch. Durch meine Ausbildung, meine Erfahrung und meine Ziele konnte ich das alles überstehen. Anfangs habe ich sie mit Lügen auf falsche Fährten angesetzt, aber – und dafür schäme ich mich - irgendwann musste ich ihnen Teile der Wahrheit sagen. Positiv für mich war, dass die Zeit weiterging und ich nicht mehr über alles informiert gewesen bin. Und nicht zu vergessen, habe ich auch erfahren, was aus meiner Frau und meinen Kindern wurde. Während meiner Zeit in ihrer Gefangenschaft konnte ich so tun, als hätte ich gar nichts von ihren Plänen mitbekommen.“ „Sie wurden gefoltert?“, wollte Jodie leise wissen. Tsutomu nickte. „Das wurde ich. Aber machen Sie sich keine Sorgen deswegen, ich komm damit klar. Und mittlerweile geht es mir, zumindest körperlich wieder gut.“ „Was hast du in Erfahrung bringen können?“ „Shu!“, kam es von Jodie. „Hast du deinem Vater eigentlich zugehört? Er wurde über Jahre von der Organisation gefoltert und dich scheint es gar nicht zu interessieren.“ „Natürlich habe ich zugehört“, antwortete Shuichi ruhig. „Ich stimme zu, dass Folter schrecklich ist und wenn sich die Identität meines Vaters bestätigt, werde ich mich auch um ihn kümmern.“ Jodie seufzte leise auf. „Es würde nicht schaden, wenn du schon vorher Mitgefühl zeigen würdest.“ „Kann sein, aber ich muss objektiv bleiben.“ „Mein Sohn hat Recht“, entgegnete Tsutomu. „Wenn man weiß, wie die Organisation tickt, muss man mit allem rechnen. Sie können sehr trickreich sein. Außerdem darf man die Schauspielerin in ihren Reihen nicht vergessen. Sie kann in jede Rolle schlüpfen und nahezu jedermann um den Finger wickeln. Außerdem ist nicht bekannt wem sie diese Verkleidungskunst beigebracht hat.“ „Mit Schauspielerin meinst du Sharon Vineyard?“, wollte Shuichi wissen. Tsutomu nickte. „Am Anfang war sie dort, aber dann wurde sie von ihrer Tochter Chris abgelöst.“ Akai verengte die Augen. „Das heißt also, dass Chris Vineyard tatsächlich auch zu ihnen gehört…“ Er sah zu Jodie. „Jetzt wissen wir also, dass das alles mit dir kein Zufall war.“ „Ja“, murmelte Jodie leise. „Okay, erzähl weiter. Was hast du in der Zeit alles in Erfahrung bringen können?“ „Sie haben sich vermehrt darüber unterhalten, dass du, mein Sohn, zum FBI gegangen bist und mein Verschwinden aufklären willst. Sie konnten zudem davon ausgehen, dass du früher oder später auch gegen sie ermitteln würdest. Daher haben sie darauf geachtet, dass du nicht einfach so auf ihre Spur kommst. Außerdem habe ich gehört, dass sie sich Sorgen wegen der Tochter eines Agenten machen. Einen Namen weiß ich nicht, allerdings soll sie noch nicht so lange für das FBI arbeiten.“ „Hast du mitbekommen, warum sie es auf die Agentin abgesehen haben?“, wollte Shuichi wissen. Tsutomu sah zu ihm. „Wie ich gehört habe, haben sie Sorge, dass der Agent seiner Tochter etwas hinterlassen hat, dass sie zu Fall bringen könnte. Was genau das ist, kann ich euch aber auch nicht sagen.“ Shuichi sah wieder zu Jodie. „Wie wir es uns gedacht haben…“ „Moment? Sie ist die Agentin?“ Jodie nickte. „Mein Vater hat vor etwa 20 Jahren gegen die Organisation ermittelt und wurde dann getötet“, erklärte sie. „Ich war damals noch sehr jung und weil ich mich verletzt habe, sind meine Mutter und ich mit dem Leben davon gekommen. Seitdem war das FBI immer irgendwie in meine Nähe und haben auf mich aufgepasst. Allerdings hat sich die Organisation nie bei mir blicken lassen. Wenn mir mein Vater etwas hinterlassen hat, hätten sie es doch schon finden können.“ „Dazu kann ich leider nichts sagen. Es wäre möglich, dass Ihr Vater gewisse Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat.“ „Mhm…“, murmelte Shuichi. „Möglich, dass du erst mit gewissem Alter an die Informationen kommst. Daher sollten wir warten, was die Befragung deiner Mutter ergibt.“ „Ja“, gab Jodie von sich. „Allerdings sind mir das immer noch ein paar zu viele Zufälle“, entgegnete der Agent. „Das ist alles sehr merkwürdig. Vielleicht war auch deine Flucht geplant und sie spielen auch in diesem Moment mit uns.“ „Das kann ich natürlich nicht ausschließen“, antwortete Tsutomu. „Es ist allerdings sicher, dass sie nach mir suchen. Und nein, ich trage keine Wanzen oder andere Abhörgeräte bei mir. Das wurde hier bereits überprüft.“ „Ich verstehe.“ James kam wieder in den Raum. „Entschuldigung. Aber wie ich sehe, habt ihr bereits miteinander gesprochen.“ Akai nickte und fasste das Gespräch zusammen. „Mhm…das gleiche hat uns Ihr Vater auch erzählt“, sprach James und sah zu Jodie. „Ich habe deine Mutter bereits informiert. Sie ist auf dem Weg zu uns.“ „Danke“, entgegnete Jodie. „Was ist vorhin eigentlich passiert? Du bist raus gestürmt, als hättest du einen Geist gesehen.“ James seufzte. „Wir beobachten bereits seit längerem Sharon Vineyard, damit wir bereit sind, sollte sich eine Spur zur Organisation ergeben. Bis vor wenigen Stunden dachten wir auch, dass wir ihnen einen Schritt weiter sind und zumindest Chris Vineyard herlocken können. Allerdings haben sich die Umstände nun geändert“, erzählte James. „In den Medien wird vom Tod der Schauspielerin Sharon Vineyard berichtet.“ Jodie weitete schockiert die Augen. „Was? Nein…das kann nicht…“ „Ich habe unser Team bereits darauf angesetzt. Sie prüfen, ob die Nachricht auch wirklich der Wahrheit entspricht. Wenn ich ehrlich bin, gehe ich davon aus, dass wir keine andere Information dazu erhalten werden.“ „Was für ein weiterer Zufall“, murmelte Shuichi und schloss die Augen. „Gerade dann, wenn wir Chris ins Büro eingeladen haben. Durch ihn wissen wir aber bereits, dass Chris mit der Organisation in Verbindung steht. Es ist nur eine Frage der Zeit bis wir mehr darüber herausfinden.“ Black runzelte die Stirn. „Bevor ich das Büro verlassen habe, rief der Manager von Chris an. Er hat das Treffen für heute abgesagt.“ „Eine verständliche Reaktion.“ Shuichi dachte nach. „Sie ist als Schauspielerin ein Profi. Wir können davon ausgehen, dass sie die Szenen für den Film zu Ende dreht.“ „Die Möglichkeit besteht, allerdings glaube ich nicht, dass die Beiden hierherkommen werden. In Anbetracht der nächsten Vorkehrungen wegen der Beerdigung wird Chris sehr stark im Fokus der Medien stehen. Gut möglich, dass die Organisation selbst einen Leibwächter stellt.“ James blickte zu Jodie. „Vermutlich wollte sie auch testen, ob du von diesen Informationen weißt, weswegen sie dir die Geschichte mit dem familiären Hintergrund erzählt hat.“ „Da komm ich gerade nicht mit“, entgegnete Jodie. „Wenn dir dein Vater tatsächlich etwas hinterlassen hat, was du erst mit einem bestimmten Alter erhältst und davon weißt, wäre deine Reaktion auf die potentielle Schwesternschaft eine andere. Vermutlich hätte Chris erwartet, dass du mit Das wollte er mir also mitteilen oder so etwas in der Art, reagierst. Das denken Sie doch, nicht wahr, Agent Black?“ James nickte. „Mhm…verstehe…sie wollten also nur meine Reaktion testen.“ Jodie seufzte. „Und ich bin darauf reingefallen.“ „Ich weiß zwar nicht worum es geht, aber Sie sollten sich keine Vorwürfe machen. Es gibt kaum jemanden der der Schauspielerin nicht auf den Leim geht.“ „Die Frage ist nur, was sie jetzt vor haben. Weil wir noch nicht gewusst haben, dass Chris auch für die Organisation tätig ist, haben wir sie unfreiwillig gewarnt und ihnen eine Chance gegeben wieder unterzutauchen.“ Shuichi sah zu seinem Vater. „Es wird das Beste sein, wenn du erst einmal in unserem Sicherheitsgewahrsam bleibst, zumindest solange bis wir wissen, wie du uns am besten unterstützen kannst. Da Chris eine Person des öffentlichen Interesses ist, sollten wir sie weiter beobachten.“ Black nickte. „In der nächsten Zeit wird sie sich um die Beerdigung ihrer Mutter kümmern. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese auch im Medienrummel stattfinden wird. Wir müssen nur auf die Zeit danach vorbereitet sein und sie nicht aus den Augen lassen.“ Tsutomu seufzte leise auf. „Es wird nicht reichen. Ihr seid nur in Amerika tätig, aber ich glaube nicht, dass hier ihr Hauptstandort ist.“ „Was meinst du damit?“ „Während meiner Gefangenschaft konnte ich ihre Mitglieder immer wieder auf Japanisch reden hören. Ich könnte mir vorstellen, dass sie dort sind.“ „Mhm…“, gab Black von sich. „Wir haben schon damals gewusst, dass Sharon Vineyard öfters nach Japan flog, allerdings lag das an ihrer Ausbildung und ihrer Freundschaft zu einigen anderen Schauspielern.“ „Japan“, murmelte Shuichi. Kapitel 20: Japan ----------------- Mit eher gemischten Gefühlen stieg Angela aus dem Fahrstuhl. James hatte sie bei ihrem kurzen Telefonat lediglich darum gebeten, so schnell wie möglich in sein Büro zu kommen. Aber was wollte er mit ihr besprechen? Ging es um Jodie? War ihrer Tochter etwas passiert? Obwohl Angela es nicht wusste, versuchte sie ruhig zu bleiben. Sie kannte ihren Lebensgefährten und er kannte ihre Sorgen, wenn es um Jodie ging. Aus diesem Grund wusste sie, dass er anders gehandelt hätte, wenn etwas im Argen lag. Da war sie sich sicher. Trotzdem war sein Verhalten komisch. Schweigend ging sie den Gang entlang, bis sie an der Bürotür ihres Freundes stand. Angela atmete tief durch und klopfte an. Als keine Antwort kam, öffnete sie zaghaft die Tür und lugte in den Raum. Das Büro war leer und die Krankenschwester seufzte leise auf. Gerade als sie zum Warten ins Zimmer gehen wollte, wurde sie von einem Agenten angesprochen. „Kann ich Ihnen helfen?“ Angela drehte sich um. „Agent Black wollte mich sprechen, aber er ist nicht in seinem Büro.“ Der Agent nickte verstehend. „Ich bringe Sie am besten in einen unserer Konferenzräume und hole Agent Black“, entgegnete er. „Hier entlang, bitte“, fügte er hinzu und wies auf den Gang. Die Krankenschwester folgte dem Agenten und als sie um die Ecke bogen, erblickte sie bereits James. Doch er war nicht alleine. Neben ihm standen Jodie, ein fremder Mann und Tsutomu. Tsu…tomu? Aber was machte er beim FBI? Als Jodie ihre Mutter sah, ging sie zu dieser und umarmte sie zur Begrüßung. „Hallo Mom, schön, dass du gekommen bist.“ Angela lächelte. „Es klang am Telefon sehr dringend.“ Sie wies mit dem Kopf zur Gruppe um James. „Geht es um den Mann da?“ Jodie blickte nach hinten. „Mhm? Nein, das ist nur…der Vater meines…Partners…“ Die Krankenschwester war überrascht. „Das ist…der Vater deines Partners?“, wiederholte sie fragend. „Kennt ihr euch?“, wollte Jodie irritiert wissen. „Flüchtig“, antwortete Angela. „Ich hab ihn…einige Zeit gepflegt.“ „Ach so“, murmelte Jodie. „Er war also Patient im Krankenhaus“, fügte sie hinzu, doch Angela korrigierte sie nicht. „Möchtest du ihm Hallo sagen?“ Die Krankenschwester schüttelte den Kopf. Oder war ihr Geheimnis nun doch bekannt geworden? Wussten sie, dass sie Tsutomu angefahren und sich anschließend um ihn gekümmert hatte? Wussten sie, dass sie die Polizei nicht informierte? Zwar hatte Angela durch ihren Mann und James mitbekommen, dass das FBI gerne mal auf diese Art und Weise Zeugen oder Täter gegeneinander ausspielte, aber sie glaubte nicht daran, dass man es auch bei ihr tat. „James wollte mit mir sprechen, ich…“ Jodie nickte verstehend. „Hat er dir gesagt, worum es geht?“ „Nein“, antwortete Angela. „Er meinte nur, dass ich so schnell wie möglich herkommen soll.“ „Verstehe“, kam es nachdenklich von Jodie. „Komm, wir gehen in den Konferenzraum“, fügte sie hinzu und öffnete die Tür zu einem Raum. „Nimm doch schon Platz. Möchtest du etwas Trinken oder Essen?“ Angela ging in den Raum und setzte sich auf einen der Stühle. „Ich brauche nichts.“ „Ich schau wo James bleibt. Es dauert nicht lange“, sagte Jodie und ging wieder raus. Sie schloss die Tür zum Konferenzraum und lehnte sich gegen diese. Anschließend atmete sie tief durch, ehe sie zu James ging. „Dann haben wir geklärt, wie es nun weiter geht“, entgegnete James ruhig. „Agent Akai, Sie werden Ihren Vater nach unten begleiten und den Rest mit ihm klären.“ „Muss ich ja wohl…“, gab Akai von sich und blickte zu Jodie. „Deine Mutter ist da, richtig?“ „Ja, sie ist jetzt bereit um mit uns zu reden.“ „In Ordnung“, nickte Black. „Akai, ich verlass mich auf Sie.“ „Verstanden…auch wenn ich gerne bei dem Gespräch mit Jodies Mutter dabei wäre…“, sagte Shuichi und sah zu Tsutomu. „Gehen wir.“ Jodie sah den Beiden nach. „Sollen wir nicht auf ihn warten?“ „Das wird nicht nötig sein“, fing James an. „Ich möchte Angela ungern dem Stress aussetzen, dass sie sich wie in einem Verhör vorkommt. Es ist besser, wenn sie nur mit dir und mir redet.“ „Wie du möchtest“, fing Jodie an. „Mom ist in Konferenzraum drei und wartet auf uns“, fügte sie hinzu und ging zu dem Zimmer. James öffnete die Tür und ging rein. „Hallo Angela. Danke, dass du so schnell gekommen bist.“ Die Krankenschwester lächelte. „Natürlich. Du hast dich am Telefon angehört, als sei es wichtig.“ Sowohl Jodie als auch James setzten sich. „Angela, es geht um deinen Mann.“ Sofort schluckte die Ältere und biss sich auf die Unterlippe. „Was…wollt ihr wissen?“ Jodie erkannte, wie schwer es ihrer Mutter fiel über ihren Mann zu sprechen. Besonders in dieser Umgebung. „Wir haben uns gefragt, ob Dad…als ob Dad mir etwas hinterlassen hat. Und damit meine ich nicht das Erbe, sondern etwas, was ich noch nicht bekommen habe…und von dem ich nichts weiß.“ Automatisch griff Angela an ihre Halskette. „Mom?“ „Angela, wenn es etwas gibt, was du weißt, musst du es uns sagen. Bitte.“ Die Krankenschwester blickte zur Seite. „Mom, bitte. Es ist wirklich wichtig. Ich muss die Wahrheit wissen. Hat Dad etwas hinterlassen?“ Langsam zog Angela ihre Kette vom Hals und sah auf diese in ihrer Hand. „Dein Vater hat gewusst, dass seine Arbeit sehr gefährlich ist. Schon immer. Bei seinem letzten Fall aber machte er sich noch mehr Sorgen als sonst. Deswegen hat er…ein paar Vorkehrungen getroffen und…“ „Und?“ „Er hatte Angst, dass sein Vermächtnis in die falschen Hände gelangen würde, deswegen hat er…hat er…einige Daten und Unterlagen auf einem USB-Stick gesichert.“ James sah sie fragend an. „Wir haben keinen USB-Stick in seinem Büro oder bei seinem Anwalt vorfinden können.“ „Er hat den Stick auch nicht in seinem Büro oder bei seinem Anwalt gelagert“, gab Angela von sich. „Wie ich bereits sagte, er hatte Angst, dass die Daten in die falschen Hände gelangen würden. Daher hat er mir…den Stick gegeben und…ich habe auf ihn aufgepasst.“ Sie legte ihre Kette auf den Tisch. Jodie betrachtete das Kreuz. „Das Kreuz ist ein USB-Stick?“, wollte Jodie wissen und nahm die Kette an sich. Die Krankenschwester nickte. „Für den Fall, dass ihm etwas passieren würde, sollte ich dir den Stick geben, sobald du alt genug bist oder…selbst beim FBI arbeitest. Dein Vater kannte dich schon damals sehr gut. Er wusste, wenn er im Einsatz sein Leben verlieren würde, würdest du versuchen in seine Fußstapfen zu treten. Deswegen hat er…dir sein Vermächtnis überlassen. Bitte entschuldige, dass ich dir den Stick nicht schon viel eher gegeben habe.“ „Hast du dir die Daten angesehen?“, wollte James wissen. „Ich habe es damals mehrfach versucht, aber die Dateien sind mit einem Passwort gesichert. Egal was ich eingetippt habe, ich konnte die Unterlagen nicht einsehen. Deswegen habe ich mich auch vor dem Inhalt gefürchtet. Andererseits war ich auch froh, dass ich den Inhalt nicht kannte, denn womöglich hätte ich dann nicht mehr in Ruhe schlafen können.“ James nahm Jodie die Kette ab und betrachtete diese. „Wir haben Spezialisten. Sie kümmern sich um die Entschlüsselung.“ Zehn Tage später saßen sie zusammen im Konferenzraum: James, Jodie, Shuichi und Tsutomu. Vor ihnen lagen mehrere Akten mit Gesprächsnotizen, Aufzeichnungen, alten Fällen über die Organisation, Zeitleisten und Informationen über Sharon und Chris Vineyard. Zudem hatten die Tage zuvor mehrere Gespräche und Untersuchungen stattgefunden. Erfreut blickte James in die Runde. „Ich bin froh, dass wir Ihre Identität bestätigen konnten, Agent Akai…“ James kratzte sich ein wenig verlegen an der Wange. „Ihre Namen könnten die nächste Zeit zu Verwechslungsgefahr führen.“ „Schon gut, Agent Black, wir wissen, wen von uns Sie ansprechen“, begann Tsutomu. „Ich bin ebenfalls froh, dass es nun keinen Zweifel mehr an meiner Identität gibt.“ Er sah zu seinem Sohn. „Und dass ich meinen Sohn nach all der Zeit wiedergesehen habe und jetzt auch noch zusammen mit dem FBI gegen die Organisation ermitteln kann. Allerdings…benötige ich für Letzteres Ihre Unterstützung.“ „Wie meinst du das?“, wollte Shuichi wissen. „Solange meine Identität nicht bestätigt gewesen ist, konnte ich mich nicht beim MI6 melden. Außerdem wollte ich das nicht zwischen Tür und Angel machen und…ich möchte meine Familie wiedersehen.“ Shuichi nickte verstehend. „Mutter lebt immer noch in England. Wenn du zurück zum MI6 gehst, kannst du sie sicher treffen. Dann wirst du auch Masumi kennenlernen. Shukichi lebt in Tokyo. Du solltest aber nicht versuchen, dorthin zu fliegen.“ „Ein Agententeam wird Sie unterstützen, wenn Sie mit dem MI6 in Kontakt treten. Wenn es notwendig ist, werden wir Sie nach England begleiten“, fügte Black hinzu. „Danke. Und was haben Sie wegen der Organisation vor?“ „Wir konnten mittlerweile die Daten vom USB-Stick meines Vaters sichten“, begann Jodie. „Allerdings gehen wir davon aus, dass es nicht die kompletten Unterlagen zur Organisation sind. Dennoch hat er uns einige nützliche Hinweise hinterlassen und wir wissen jetzt, dass wir Japan mehr in den Fokus nehmen müssen. Außerdem hat sich Chris Vineyard dazu entschieden für eine Weile in Japan zu leben. Vermutlich wird sie dort in den Diensten der Organisation stehen und für sie arbeiten.“ „Oh“, murmelte Tsutomu. „Dann konnten Sie auf der Beerdigung ihrer Mutter keine Hinweise finden?“ Jodie seufzte. „Obwohl es mir schwer fiel, bin ich zur Beerdigung gegangen und habe ihr mein Beileid ausgedrückt. Die anschließende Trauerfeier fand im kleinsten Kreis stand. Dort ist sie uns aber leider entwischt. Anfangs dachten wir nur, dass sie sich zurückgezogen hat, doch ein paar Tage später erhielten wir die Meldung, dass sie in Japan ist.“ „Sie ist uns leider entkommen, dabei hatten wir sie die ganze Zeit im Visier“, murmelte James. „Da sich Chris Vineyard in Japan befindet, Agent Starling in seinen Unterlagen ebenfalls auf Japan hinwies und auch Sie, Agent Akai, in der Gefangenschaft mit Japan konfrontiert wurden, führt uns unser nächster Schritt dorthin.“ „Das FBI hat allerdings keine Befugnisse in Japan“, warf Shuichi ein und verschränkte die Arme. „Die Organisation würde nur darauf warten, dass wir einen Fehler machen und schon sind wir es, die hinter Gittern laden.“ „Ich weiß“, nickte Black. „Deswegen müssen wir bei den Ermittlungen auch vorsichtig sein. Wir stellen mehrere Teams zusammen und werden von Japan aus weiter ermitteln. Unsere japanisch sprechenden Agenten sind bereits darüber informiert.“ Shuichi verengte die Augen. Scheinbar hatte man ihn vergessen. „Ich komme ebenfalls mit“, gab Jodie von sich. Akai schmunzelte. „Genau das gleiche wollte ich auch sagen.“ James seufzte. „Die Organisation kennt Ihre Gesichter.“ „Umso besser“, fing Shuichi an. „Dann wissen sie, dass wir ihnen auf der Spur sind und sie im Visier haben. Also warum nicht? Jagen wir doch die Jäger.“ „Mhm…“ „Agent Black, ich denke, Sie wissen, dass Sie Jodie und mich nicht so einfach von diesem Fall abziehen können. Sie könnten höchstens damit argumentieren, dass Jodie kein japanisch spricht.“ „Shu!“ Tsutomu kicherte. „Du sollst James keine Gründe liefern, warum ich in New York bleiben soll.“ „Schon gut“, fing der Agent an. „Du kannst japanisch lernen. Es wird zwar dauern, aber es gibt viele Kurse und wenn wir eh die meiste Zeit über verdeckt agieren müssen, bleibst du im Hotel oder versuchst es mit englisch. Viele Japaner verstehen zumindest Schulniveau. Irgendwie habe ich keinen Zweifel daran, dass du dich schon irgendwie verständigen wirst. Im Notfall bring ich dir japanisch bei.“ Jodie lächelte. „Oder du bist mein wandelnder Übersetzer.“ Sie sah zu James. „Da hörst du es, James. Und nach allem was passiert ist, kannst du uns sowieso nicht so einfach von den Ermittlungen ausschließen. Du kannst es gerne versuchen, aber im Notfall reisen Shu und ich als Zivilisten nach Japan. Ich hab gehört, dass Japan ein schöner Urlaubsort ist und Shu wollte mir schon immer mal Tokyo zeigen, nicht wahr? Dann könnte ich auch seinen Bruder kennenlernen und wir schauen uns noch ein paar andere Gegenden an.“ Akai nickte. „Drei Wochen Urlaub reichen zu Beginn“, entgegnete er. „Vielleicht könnten wir sogar verlängern oder wir müssen uns krank melden. Wenn ein Erdbeben oder Tsunami in der Zeit auftritt, können wir nicht sofort wieder nach New York fliegen.“ James seufzte. „Schon gut, schon gut. Ich hab euch ja verstanden“, sagte er. „Und irgendwie hab ich mit dieser Reaktion auch gerechnet. Nun ja, nach allem was ich über euch weiß, wäre es auch verwunderlich, würdet ihr ganz anders reagieren. Zum Glück hab ich bereits mit den Vorgesetzten gesprochen.“ „Das heißt?“, wollte Jodie wissen. „Das heißt, dass euer Einsatz in Japan genehmigt ist. Aber bitte vergesst eines nicht: Mit dem was wir tun, verstoßen wir gegen das geltende Recht. Wenn wir erwischt werden, wir das FBI versuchen alles zu leugnen und euch im Notfall als Sündenbock benutzen. Eure Karriere könnt ihr dann vergessen. Allerdings bleibt uns nichts anderes übrig als dieses Risiko einzugehen und wenn wir erfolgreich sind…“ „Dann müssen wir den Ruhm der japanischen Polizei oder der Sicherheitspolizei überlassen“, entgegnete Shuichi. „Damit komm ich klar.“ „Beim FBI hingegen wird man wissen, wer in Wahrheit für den Fall der Organisation gesorgt hat. Während des Auslandseinsatzes werde ich eure Kontaktperson sein. Seid ihr mit den Bedingungen einverstanden?“ „Ja“, nickte Jodie. Shuichi lächelte. „Ebenfalls. Fliegen wir so schnell wie möglich nach Japan.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)