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Demon Girls & Boys

von

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Geister der Vergangenheit

Geister der Vergangenheit

 

 

 

Knapp, das war wohl der treffendste Ausdruck. Knapper als knapp.

Kito und Johannes hatten sich erst noch staunend in diesem prächtigen Raum umgeschaut, jeden Zentimeter ganz genau erkundet wie als wären sie in der Schatzkammer des Schlosses gelandet. Doch dann hatte Kito mit ihren Dryaden-Sinnen eine Gefahr wahrgenommen. Eine Atmosphäre, die sich ihnen näherte, so unheimlich, dass es ihr fast unmöglich gewesen war sich in Bewegung zu setzen.

Gerade so hatte sie es geschafft zu Johannes zu rennen und einen Illusionszauber um sie herum zu erschaffen, als auch schon weiter entfernt eine Tür in die Angeln fiel. Und noch eine. Und noch eine. Und noch eine.

Und dann hatte er den Raum betreten. Der Junge mit dem roten Auge, in dessen Herz sich eine ganz andere Gestalt befand. Begleitet von einem Unterweltler. Obwohl der Illusionszauber ihre Existenz vollständig vor den Eintretenden verbarg, wichen Kito und Johannes etwas zurück, näher an die Wand. Versteckt unter einem niedrigen Tisch, der sie eigentlich gar nicht verstecken könnte.

„Wie ist die Lage?“, fragte der Junge mit einer Stimme, die nicht zu seinem Aussehen passte.

„Die vierte Legion hat Kara ohne große Verluste erreicht. Die dritte hatte bisher die Oberhand und konnte bereits in Sandcastle einmarschieren, doch ich habe vor einigen Minuten erfahren, dass ein Magier aufgetaucht ist, der in kürzester Zeit duzende von ihnen besiegt hat. Scheint ein Nomade zu sein.“, berichtete der Zombie mit einer überschwänglich unterwürfigen Geste.

Der blonde Junge knirschte mit den Zähnen. „Und Lumière?“

„Von der Legion, die sich auf die verschiedenen Spalte aufgeteilt hat, habe ich seitdem nichts mehr gehört.“

„Er hat ihnen also tatsächlich die Positionen aller Spalte genannt.“ Missbilligend setzte er sich aufs rötlich und golden verzierte Kanapee und lehnte sich zurück. Dennoch stahl sich ein schwaches Lächeln von seinen Lippen. „Er ist zu mehr imstande als er es sich zutraut… Wenn er nur will.“

„Mein Meister… Glaubt Ihr immer noch, dass er zurückkehren wird?“, fragte der Zombie, kleinlaut und verängstigt, als wüsste er, dass er so eine Frage eigentlich nicht stellen sollte.

Bei dem dämonischen Blick gefror Kito das Blut in den Adern. Noch eingeschüchterter war der Zombie, der eine hastige, unbeholfene Entschuldigung stammelte.

Mars atmete geräuschvoll aus und schaltete einen großen Apparat an, auf welchem sich ein Bild von Leid und Zerstörung nach dem anderen zeigte. Ein sardonisches Lächeln breitete sich aus. Ein Blick, welcher noch weniger zu diesem Gesicht passte als die Stimme. „Sieh dir diese Feiglinge an. Wie sie panisch herumrennen, wie ein aufgescheuchter Haufen Insekten. Obwohl sie vor kurzem erst noch großspurig demonstriert und sich für ihren Verstand und Mut gefeiert haben.“ Er wandte sich wieder dem Zombie zu. „Lukas ist so ein Feigling, so ein Insekt. Für ihn ist Loyalität nur solange von Bedeutung, bis Angst und Panik ihn einen anderen Weg rennen lassen. Kaum trifft er auf eine Wand, wechselt er die Richtung. Immer und immer wieder, ohne zu bemerken, dass es keinen Ausweg gibt. Wenn du zweifeln möchtest, dann an ihm. An den Insekten.“

Das rote Auge leuchtete auf, eine purpurn wabernde Atmosphäre breitete sich aus. Ein schmerzliches, gurgelndes Geräusch erstand, als sie den Zombie erreichte und er zu Boden sackte. Er begann Blut zu husten.

Entsetzt beobachteten die Kinder, wie er sich die Kehle hielt als bekäme er keine Luft. Und doch quoll mehr und mehr Blut aus seinem Rachen. Ein zuckender, würgender Todeskampf, den er nur verlieren konnte. Und wenige Minuten später auch verlor.

Bei der Zufriedenheit und Verachtung, mit welcher der Dämon den Leichnam betrachtete, merkte Kito wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Ein deutliches Zeichen von Angst. Bei der Vorstellung was passieren könnte, wenn er sie entdecken würde, begann sie schwach zu zittern.

Kito schloss die Augen und konzentrierte sich mehrere Atemzüge lang darauf, ihren Körper nach und nach wieder zu Ruhe kommen zu lassen.

Zum Glück waren sie in Sicherheit. Zum Glück konnte selbst dieser Dämon nicht durchschauen, was sich hinter Illusionen verbarg. Denn auch er betrachtete die Welt momentan mit irdischen Augen.

 

~*~

 

Es brauchte eine Weile, bis sich Laura von ihrem Gefühlsausbruch zu erholen verstand. Benni wusste, dass Tränen nicht nur aus Trauer fließen konnten. Dennoch kam ihm der Gedanke, dass ihr erstes Wiedersehen nach all der Zeit dadurch genauso war, wie der Abschied vor über drei Monaten.

Er richtete sich auf und überließ Laura und ihre Gefühle ihren Geschwistern, um sich Ariane zuzuwenden. Diese schien nach wie vor so verwirrt ihn nicht berühren zu können, dass sie es noch mehrmals versuchte und dabei immer wieder durch seine Schulter hindurchgriff. Selbst ein versuchter Faustschlag ging ins Leere. Beschämt lachte Ariane auf und kratzte sich am Hinterkopf. „Sorry, keine Chance. Bin wohl zu oberflächlich.“

„Wir denken einfach zu viel nach.“, entgegnete Benni, amüsiert von dem leichten Hauch Sarkasmus. Er selbst hatte bei den vorigen Kämpfen große Schwierigkeiten gehabt, bis er endlich dazu in der Lage war, den ‚Geist‘ der Unterweltler zu treffen.

Entsprechend erschrocken war er bei Lauras Umarmung gewesen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn sofort würde berühren können. Benni wandte sich um. Ohne es zu merken huschte ein schwaches Lächeln über seine Lippen, als er Laura betrachtete und sich an ihren festen Griff erinnerte, der ihm viel mehr mitgeteilt hatte als ihre wirren, unverständlichen Worte. Eigentlich war es nicht überraschend…

„Na ja, Übung macht den Meister. Irgendwann schaffe ich es hoffentlich noch, deine Seele zu berühren. Wie auch immer man sich sowas vorstellen soll.“, meinte Ariane seufzend und klopfte ihm durch die Schulter.

Eufelia-Sensei wandte sich ihnen zu. „Ihr müsst euch auf die Suche nach den anderen Dämonenverbundenen begeben.“

Ariane verzog das Gesicht und nickte. „Ich will nicht wissen, was dem Rest passiert sein könnte, wenn wir schon… dort gelandet sind.“

„Besonders, weil dieser komische Gestaltwandler-Schwarzmagier-Vogel es ja wirklich auf Carsten abgesehen zu haben scheint…“ Laura wischte sich über die Augen und mühte sich mit Hilfe ihrer Geschwister auf die Beine.

Luciano nickte. „Besser ist das. Wir werden uns auch aufteilen. Einige kümmern sich um die restlichen Unterweltler hier, die anderen helfen euch.“

Arianes Mimik zeigte deutliche Verwirrung, während sie die restlichen Geister betrachtete. „Du meintest ja, dass alle hier wegen Mars‘ Zerstörungs-Energie im Prinzip mit vom Bann gefangen gehalten wurden aber… Warum sind das so viele, wenn er doch selbst gebannt war?“

„Eine gute Frage.“ Leonhard seufzte. „Die Antwort gehört zu einer der Folgen des Magischen Krieges. Es war nicht nur so, dass er seine Zerstörungs-Energie über ganz Rutoké ausgeweitet hatte, weshalb die Vegetation vermutlich nur langsam wieder an Kraft gewinnt. Es ist auch… Man könnte sagen, die Überreste dieser Zerstörungs-Energie sind nach wie vor vorhanden.“

Bei Arianes fragendem Blick hin antwortete Benni: „Es ist das Karystma.“

„Was?“, hauchte Laura und wäre wohl in die Knie gesackt, wenn Lucia nicht bereits den Arm um sie gelegt hätte.

Auch Ariane schaute ihn mit Unglauben an, doch allmählich verstand sie. „Karystma nistet sich in einem Organ ein und…“

„Zerstört dieses, exakt.“, bestätigte Leonhard.

Zitternd atmete Ariane aus. „Sind… denn alle mit Karystma hier?“

„Unter uns befinden sich nur noch die antik Begabten.“, antwortete er. „Es scheint als würde den ‚normalen‘ irdischen Wesen die Kraft fehlen, für eine längere Zeit nach dem Tod im Reich der Lebenden zu verweilen.“

Sie senkte den Blick. „Ach so…“

Benni ahnte schon, was sie vermutet oder eher insgeheim gehofft hatte. Schließlich war auch ihre Mutter einst an Karystma verstorben.

„Wobei manche dieser Leute hier auch Bewohner Rutokés sind, die durch bestimmte Kreaturen den Tod fanden, welche in gewissem Sinne auch Zerstörungs-Energie in sich tragen.“, ergänzte Leonhard.

„Etwa diese Monster in den Geheimgängen, von denen Jack erzählt hatte?!“, entfuhr es Laura schockiert.

„Ich hoffe, niemand von uns ist ausgerechnet dort gelandet…“, murmelte Ariane.

Benni atmete aus. Bei ihrem Glück…

Die beiden Mädchen tauschten einen Blick aus, der etwas Ähnliches sagte wie seine Gedanken.

Ebenso Eufelia-Senseis Seufzen. „Ihr solltet euch beeilen.“

Nervös spielte Laura mit ihrem Kreuzanhänger und nickte, als Leonhard darauf aufmerksam wurde. „Coeur? Ich meine… gehörte diese Kette nicht meiner Verlobten?“

„Hä?“, war Lauras einzige Antwort.

„Sie hatte sie an Benedict vererbt.“, erklärte dafür Eufelia-Sensei. „Und dieser hatte wohl irgendwann beschlossen sie an Laura weiter zu geben.“

Leonhard lachte auf. „Ach, so ist das also. Na dann ist sie ja in den besten Händen.“ Er seufzte. „Meine hatte ich damals während der Flucht aus dem Dryaden-Versteck verloren…“

Benni befürchtete schon zu wissen, was jetzt kam als er die Kette aus dem Ausschnitt seines T-Shirts zog. „Diese hier?“

Ungläubig starrte Leonhard ihn an. „Woher…“

„Ich… ich hatte sie als Kind mal in Obakemori gefunden…“, meinte Laura kleinlaut. „Ich fand sie so hübsch und da dachte ich das wäre ein tolles Geburtstagsgeschenk für Benni.“

Leonhards deutlichem Grinsen nach zu urteilen, hatte er überhaupt kein Problem damit, dass Laura seine damalige Kette im Prinzip seinem Nachfahren geschenkt hatte.

„Wobei Mars sie abgelegt hat.“, meinte Benni und sofort trübte sich Lauras Blick. Aufheiternd strich er ihr über die Wange. „Aber die prägendste Phase war wohl jene, in welcher ich sie getragen hatte.“

Das sorgte zumindest für ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen, während Ariane aufstöhnte. „Diese ganze Geistergeschichte kommt einfach nicht an mich ran, das ist mir viel zu irrational.“ Wie zur Bestätigung schlug ihr Versuch erneut fehl, Benni auf die Schulter zu klopfen.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich darüber bin, nicht mehr als einziger denken zu müssen ich wäre verrückt.“, erwiderte dieser, was Ariane auflachen ließ.

Benni hob den Blick. Aus der Entfernung nahm er viele Stimmen und Schritte wahr, die in ihre Richtung eilten. Ebenso Gerüche, die auch Ariane auffielen. „Die Unterweltler scheinen uns doch gefolgt zu sein.“

Luciano nickte. „Wir kümmern uns drum.“

Er und Lucia drückten ihre Schwester an sich, woraufhin Laura schluchzte. „Danke, dass ich euch noch einmal sehen durfte…“

Lucia verstärkte ihren Griff. „Du schaffst das, Laura. Du bist stark. Vergiss das nicht. Vergiss das niemals.“

Schwach nickte sie, erneut brachten die Tränen ihren Atem zum Zittern.

Luciano warf noch einmal einen Blick auf Benni, ein knappes Nicken begleitet von einem leichten Lächeln, ehe sich die Geschwister endgültig von Laura verabschiedeten, um sich der Bedrohung entgegenzustellen.

„Ihr werdet es schaffen, davon bin ich überzeugt.“ Leonhard zwinkerte Laura nochmal zu, die sich lächelnd die Tränen aus den Augen wischte.

Auch er und Eufelia machten sich auf den Weg.

Ein schmerzhaftes Ziehen breitete sich in Bennis Brust aus, als er sah, wie sie ihm den Rücken kehrte. Für einen Moment befürchtete er, die Stimme zu verlieren. Ein kurzes Zögern. Doch schließlich… „Sensei?“

Irritiert drehte sie sich um. „Ist noch etwas?“

Benni wollte zu einer Antwort ansetzen, konnte es jedoch nicht in Worte fassen. Da war noch etwas gewesen, was er ihr mitteilen wollte. Irgendetwas! Aber irgendwie war nun alles aus seinem Kopf entschwunden.

Er bekam am Rande mit, wie Leonhard meinte er kümmere sich schon einmal um die Gruppen und ihnen zum Abschied zuwinkte.

„Benedict?“, erkundigte sich Eufelia und trat zu ihm. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie klein seine Lehrmeisterin eigentlich war. Sogar kleiner als Laura. All die Zeit hatte sie immer so groß gewirkt. Als er ein Kind war sowieso, aber auch als Mittelschüler. Sie schien immer so unerreichbar und doch…

Benni spürte, wie seine Hände zu zittern begannen. Er wollte ihr doch noch irgendetwas sagen. Irgendwas, was er bereut hatte nicht damals schon gesagt zu haben. … Was war das nochmal gewesen? Warum fiel es ihm in genau dem Moment nicht ein, als er diese eine letzte Gelegenheit bekam?

„Was ist?“ Eufelia-Sensei legte eine Hand auf seine Schulter.

Der Schmerz in seinem Herzen wurde stärker, das Luftholen eine Zumutung. Ohne zu realisieren was er tat, umarmte er sie. „Danke für alles…“

Er spürte die Überraschung, das Zögern, bevor sie die Umarmung schließlich erwiderte.  Es dauerte einen Moment, Bennis Atem ging ungewohnt zittrig und er verstärkte seinen Griff gar noch einmal, bis er schließlich glaubte sie loslassen zu können.

Eufelia schaute zu ihm hoch, ein warmes, um nicht zu sagen mütterliches Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie ihm mit dem Daumen über die Wange strich. Sie erwiderte sonst nichts, kein ‚Leb wohl‘ oder ‚Du schaffst das‘. Doch das schien auch nicht nötig. Im Gegenteil, es hätte eher fehl am Platz gewirkt.

Diese eine Geste, mehr brauchte es nicht, ehe sie sich abwandte und den anderen folgte.

Benni blinzelte. Seine Augen brannten und erst jetzt merkte er, wie etwas Nasses über seine Wangen lief.

Laura trat zögernd neben ihn. Er spürte, wie sie ihre Finger mit seinen verschränkte. „Wir sollten auch gehen…“, meinte sie vorsichtig.

Benni nickte und wischte sich mit der Handfläche die Tränen aus den Augen.

 

~*~

 

„Ha! Wer ist hier nun eingerostet?!“

Florian verdrehte die Augen, während Konrad sich zufrieden grinsend streckte. Sie befanden sich mitten im Hauptquartier des Feindes und trotzdem war sich der Vampir nicht zu schade, einen Witz nach dem anderen zu reißen. Kein Wunder, dass er Jack direkt sympathisch gefunden hatte.

Und dennoch musste Florian bei Konrads Kommentar lächeln. Das war durchaus ein Vorteil an der Einstellung dieser beiden. Sie heiterten damit die Stimmung auf. Und wenn ihnen mal nicht zum Spaßen war, dann wusste man direkt über den Ernst der Lage Bescheid.

So begab sich Florian direkt in eine kampfbereite Position, als Konrad kritisch die Stirn in Falten legte und sich auf ihre Umgebung konzentrierte. „Wer…“

„Ich habe es doch gesagt, da sind zwei von ihnen!“

Als einige Gestalten um die Ecke bogen, wollte er bereits zu einem Angriffszauber ansetzen, doch Konrad hielt ihn zurück. „Wer seid ihr?“

Irritiert betrachtete Florian diese Personen. Sie schienen Menschen zu sein, angeführt von einer Indigonerin. Und dennoch wirkten diese Leute nicht wirklich wie… Menschen.

Die Indigonerin trat vor. „Ein Vampir und ein Elb? Dann müsst ihr Konrad und Florian sein.“

Moment einmal. Noch irritierter schauten die beiden genauer hin. Diese lila Augen, diese Ähnlichkeit mit Carsten… „Sisika?!“

Die Angesprochene grinste. „Ach wie schön, mein guter Ruf eilt mir also voraus.“

Kritisch betrachtete Florian sie. Konnten sie tatsächlich davon ausgehen, gerade mit Eagles und Carstens verstorbener Mutter zu reden? Oder… „Ist das schon wieder nur ein Trick, Gestaltwandler?“

Empört stemmte Sisika die Hände in die Hüften. „Was soll denn plötzlich dieser unfreundliche Ton?! Wir rennen und teleportieren uns hier durch das ganze Schloss, um euch zu helfen und das ist der Dank dafür?! Na wunderbar. Glaubt mir, ich hätte auch viel lieber meine beiden Jungs getroffen als euch beide, aber man kann sich im Leben nun mal nicht alles aussuchen. Also hört auf zu meckern.“

Konrad und Florian tauschten einen kurzen Blick aus. Die Enttäuschung, dass sie beide nicht Eagle und Carsten waren, war so deutlich herauszuhören, dass es nie und nimmer gespielt sein könnte. Aber dennoch mussten sie Vorsicht walten lassen. Schließlich war es deutlich wahrscheinlicher, dass der Gestaltwandler sie in die Irre führen wollte, als irgendwie plötzlich auf eine Art Geist zu treffen.

Konrad kam da wohl eine Idee. „Entschuldige diese seltsame Bitte, Sisika, aber… Könntest du mal deinen linken Ärmel hochkrempeln, sodass ich deine Schulter sehen kann?“

Sisikas Blick nach zu urteilen war sie sich nicht sicher, ob sie ihrer Gruppe helfen oder doch lieber die Seiten wechseln wollte. Aber schließlich gab sie sich geschlagen. Mit einem demonstrativ genervten Seufzen krempelte sie den Ärmel hoch und da war, wie erwartet, nichts.

Irritiert betrachtete Florian ihn. „Und?“

„Ja. Und? Bist du nun zufrieden?“ Sisika krempelte den Ärmel wieder runter.

Konrad lachte auf und nickte. „Ja, bin ich. Danke. Du bist eindeutig nicht der Gestaltwandler.“

„Natürlich nicht!“

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte Florian.

„Weil der Gestaltwandler ein Schwarzmagier ist. Und Carsten hat es doch vorhin selbst gesagt. Abgesehen von der Augenfarbe kann er das Mal des Schwarzen Löwen und das Zeichen des Schwarzmagiers ebenso wenig verbergen. Und ich bezweifle, dass sich das mit ‚Übung‘ ändern lässt.“

„Na wenn du meinst…“ Überzeugt war Florian trotzdem nicht, schließlich gab es auch andere Wege solche Zeichen zu verbergen. Aber gleichzeitig kannte er Konrads gute Intuition und er war sich sicher, dass der Vampir diesen ‚Beweis‘ nur ihm zuliebe gefordert hatte. Er selbst schien bereits davon überzeugt, dass es die echte Sisika war.

Was dennoch verwirrte. Immerhin… Eigentlich war sie tot!

Geräuschvoll atmete Sisika aus, dennoch lächelte sie als sie meinte: „Keine Sorge, Bennis Freundin und… diese andere, die Süße mit den Sommersprossen, haben uns alles erzählt.“

Florian horchte auf. „Ihr habt Laura und Ariane getroffen?! Warum sind sie nicht-“

„Komm runter, den beiden geht es den Umständen entsprechend gut. Sie sind mit Benni los und suchen auch nach den anderen.“

„… Benni?“ Es war weder zu überhören noch zu übersehen, wie Konrad bei dieser Mitteilung gegen seine Gefühle ankämpfen musste.

Auch auf Florians Lippen zeichnete sich ein schwaches, erleichtertes Lächeln ab. Er hatte es also tatsächlich geschafft, sich irgendwie von Mars‘ Einfluss zu befreien. Eigentlich hätte man sich das bei seinem Sturkopf auch denken können.

Während sie sich mit Sisika und ihren Begleitern auf den Weg machten, erfuhren Konrad und Florian alles über die gegebene Situation.

Nach einer Weile nahmen sie plötzlich den Einsatz von Energie wahr. Feuer-Energie.

„Das könnte Öznur sein.“, vermutete Konrad.

Florian nickte. Eine weitere Möglichkeit wäre aber auch Ria. Schließlich konnte sie als ehemalige Besitzerin des Roten Fuchses dank ihrer Dämonenform nach wie vor Feuer-Energie verwenden.

Kurz darauf nahmen wohl auch Konrads Vampirsinne etwas wahr. Und so wie sich der Blick des Vampirs von Unglauben zu Sorge wandelte, wurde Florian direkt mulmig. Automatisch beschleunigten sie ihre Schritte und als er in der Ferne Kampflärm hörte, rannten sie bereits.

„Wie viele von denen gibt es denn noch?! Wir sind doch schon hier durchgemäht!“, kommentierte Sisika wenig erfreut, als sie auf die ersten Unterweltlerleichen trafen.

„Na ja, Mars hatte viel Zeit und die Lebenserwartung von Unterweltlern ist von allen irdischen Lebewesen auch noch am höchsten.“, erwiderte Konrad.

„So ein Scheiß, diese Wichser!“, rief Eagles Mutter aus.

Konrad warf ihr einen wenig erfreuten Blick zu. „Was soll das denn? Ich bin selbst im Prinzip ein Unterweltler, der einfach nur in der Oberwelt lebt.“

„Selbst schuld, wenn du dich mit denen identifizierst.“, erwiderte sie.

„Hey! Ich möchte mal anmerken, dass nicht alle Unterweltler böse und auf Mars‘ Seite sind! Die Eltern meiner Verlobten leben zum Beispiel auch nach wie vor in der Unterwelt!“

Florian verdrehte die Augen und ignorierte diese Diskussion. Konrad war schon immer recht empfindlich bei Kommentaren, die irgendwie diskriminierend gegenüber Vampiren schienen. Auch, wenn er es meistens nicht so sehr zeigte.

Als sie um die nächste Ecke sprinteten, löste es sich zumindest von selbst. Direkt ließ Florian schneidende Wassersicheln auf einige Werwölfe los, die ihr Ankommen bereits gemerkt hatten. Einer konnte dem ausweichen und griff Florian mit seinen Klauen an. Doch der Elb hatte schon seine Zwillingsschwerter gezogen und schlitzte ihm die Brust auf, als auch Konrad und Sisika ihre ersten Angriffszauber sprachen.

Im Prinzip nun an zwei Fronten kämpfend, war die Meute Unterweltler innerhalb kürzester Zeit besiegt und wie insgeheim vermutet war es Ria, die auf der anderen Seite stand und ihnen zur Begrüßung zunickte. Aber auch Eagle hatte gegen die Unterweltler gekämpft und…

Als Konrad bereits zu ihnen rannte erkannte nun auch Florian den Grund seiner Sorge.

„Was ist passiert?“, fragte er, während der Vampir sich bereits zu Öznur kniete, die bewusstlos an der Wand lehnte und etwas von Jannik gestützt wurde.

Ria erklärte knapp was vorgefallen war und schloss mit: „Sie hat zu viel Blut verloren. Keine Ahnung, wie lange sie noch durchgehalten hätte.“

Konrad erwiderte nichts darauf. Stattdessen legte er die Hand auf die Bisswunde an ihrem Hals und schloss die Augen. Ein petrolfarbenes Leuchten umspielte wabernd seinen Körper und Florian spürte die Blut-Energie. Zwar gab Öznur einen schwachen Ton von sich, doch das Bewusstsein erlangte sie nicht zurück.

Florian seufzte. Das Mädchen hatte wirklich Glück im Unglück gehabt, dass erst zufällig Ria und dann auch noch Konrad in der Nähe waren. Ansonsten hätte das böse enden können. Und zwar nicht nur für sie alleine.

Ria wies derweil auf ihre geisterhaften Begleiter. „Wer sind die?“

Dieses Mal erklärte Florian kurz die Umstände: „Verstorbene, die allem Anschein nach durch einen Nebeneffekt vom damaligen Bann ebenfalls in der tiefsten Schlucht gefangen waren. Sie-“

„… Mutter?“

Die tiefe aber doch schwache Stimme brachte Florian zum Schweigen. Er beobachtete, wie Eagle zögernd einen Schritt vor ging. Unglauben zeichnete sich auf den sonst eher harten Gesichtszügen des Indigoners ab.

Sisika lächelte sanft. „Hallo, mein kleiner Wirbelwind.“

Man konnte deutlich hören wie sein Atem zu zittern begann, als Eagle fragte: „Was… was machst du hier?“

„Na ja, wenn ich schon mehr als 16 Jahre an diesem Ort eingesperrt war, wollte ich zumindest die Gelegenheit nutzen und schauen, was so aus dir geworden ist.“, antwortete sie schulterzuckend und trat zu ihm.

Ihr Versuch sich cool zu geben obwohl die Tränen in ihren Augen glänzten, erinnerte automatisch an Eagle. Welcher genau das nicht tat. Viel zu viel war die vergangene Zeit geschehen. Viel zu häufig war er gezwungen gewesen Stärke zu zeigen und seine Gefühle hinten an zu stellen. Viel zu sehr hatte man genau das von ihm erwartet. Viel zu stark hatte ausgerechnet er selbst sich unter Druck gesetzt.

Und so war es nicht verwunderlich, dass Eagle in die Knie sackte, zitternd und bebend. Es überraschte niemanden, als er die Macht über seine Gefühle verlor. Als er vor ihnen allen in Tränen ausbrach.

Niemanden, außer Sisika. Verwirrt kniete sie sich zu ihrem Sohn. „Was ist denn, mein Schatz?“

Eagle konnte nicht antworten. Als sie ihre Hand auf seine Wange legte und einige der Tränen wegstrich wurde das Schluchzen umso heftiger. Er zog seine Mutter an sich, klammerte sich an sie.

„Hey, mein Wirbelwind, das ist doch kein Grund direkt zu weinen.“, meinte sie, konnte aber selbst ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. „Schließlich musst du doch stark sein, wenn du mal der Häuptling wirst.“

„Bin ich schon…“, erwiderte Eagle schwach, zitternd.

Sisikas Augen weiteten sich vor Schock. Ungläubig strich sie ihm über die kurzen Haare, brauchte einen Moment, um wahrhaftig verstehen zu können. Und zog ihren Sohn schließlich in eine feste Umarmung.

 

~*~

 

Finsternis. Das erste, was er wahrnahm. Nichts als absolute Schwärze. Erst danach begannen seine Sinne zu ihm zurückzukehren.

Träge versuchte Carsten die schweren Augenlider zu öffnen, spürte kalten Stein unter sich. Sein Kopf schmerzte höllisch, ebenso der Rest seines Körpers. Er versuchte einzuatmen, doch da war irgendetwas, was ihm das Luftholen erschwerte. Seine Sicht war nach wie vor verschwommen, die Umgebung nicht erkennbar.

Panik kroch in ihm hoch, als er auch nach weiteren Versuchen nicht wirklich einatmen konnte. Als irgendetwas ihn daran hinderte, richtig einatmen zu können. Sein Herz begann zu rasen, der gepresste Atem beschleunigte sich.

Trotz der Schmerzen versuchte er die Arme zu heben, zerrte an irgendwas, was ihn komplett bewegungsunfähig machte. Noch nicht einmal einen Finger konnte er krümmen.

Instinktiv wollte Carsten um Hilfe rufen, versuchte etwas zu schreien, aber nur ein heiserer Laut drang nach außen.

„Schhh, alles ist gut. Du brauchst keine Angst zu haben.“

Bei der beruhigenden Stimme in seinem Kopf wurde Carstens Befreiungsversuch schwächer, die Angst jedoch blieb. Wer…

Nach wie vor noch etwas undeutlich, tauchte jemand in seinem Blickfeld auf. Eine junge Frau, etwa in seinem Alter. Bunte Federn waren in ihre langen, schwarzen Haare geflochten, die Haut hatte einen ähnlichen Ton wie seine eigene. Ihre violetten Augen besaßen ein magisches Funkeln, als sie ihn sanft anlächelte.

Er wollte sie fragen wer sie war, doch nicht nur das Atmen wurde ihm erschwert. Reden konnte er überhaupt nicht.

„Elster.“, antwortete sie, ohne die Lippen zu bewegen. Sie schien sich über Telepathie mit ihm zu unterhalten. Carsten betrachtete sie verwirrt. Elster?

Ihr Blick wurde mitfühlend. „Entschuldige, ich musste dich knebeln, ansonsten hättest du sofort wieder Magie verwendet.“

Allmählich realisierte Carsten, warum er sich nicht bewegen konnte.

Wer bist du?, fragte er, ohne diesen Gedanken aussprechen zu können.

„Ich bin wie du.“, antwortete sie, wenig zufriedenstellend. „Auch mich hatte man als Kind eingesperrt, versucht mich im Käfig zu halten und mir die Flügel zu stutzen. Aber ich konnte ihnen entkommen. Ich konnte fliehen und erkennen, wer ich in Wahrheit bin. Wer wir in Wahrheit sind.“

Zitternd atmete Carsten aus. Hatte Lissi mit ihrer Vermutung also recht? Du meinst wir sind… Gestaltwandler?

Elster zuckte mit den Schultern. „Gestaltwandler, Metamorph-Magier, Druiden, … Es gibt viele Bezeichnungen für uns. Die Legenden ergötzen sich an diesen mystischen Kreaturen. Doch statt uns die Bewunderung entgegenzubringen wie es die Geschichten taten, werden wir von den Menschen unterdrückt und eingesperrt. Und viel schlimmer noch: Wir werden von unserem eigenen Volk unterdrückt und eingesperrt. Unsere wahre Macht wird uns verschwiegen und vorenthalten.“

Das Gestaltwandeln?, schoss es ihm durch den Kopf.

Unerwarteterweise verneinte Elster. „Das ist ein Nebeneffekt. Ein kleiner Zaubertrick, den jeder von uns seit Kindesbeinen an beherrscht. Nein, ich meine die wahre Macht.“

Was für eine wahre Macht?

„Nun… die wahre Macht halt. Die Fähigkeit, die Wahrheit zu sehen. So etwas wie der Blick ins Innere eines Wesens, in sein Herz, seine Seele. Und… noch so viel mehr.“ Sie lächelte ihn entschuldigend an. „Verzeih, es ist schwer zu beschreiben. So etwas versteht man nur, wenn man es selbst sieht.“

Ein eisiger Schauer überkam Carsten, als er meinte ihre Andeutung zu verstehen. Er erinnerte sich daran, dass Koja mal etwas von Fähigkeiten erzählt hatte, die sich über ein Schwarzmagie-Ritual erwecken ließen. Ich glaube… ich glaube nicht, dass ich das will…

„Das versucht dir dein Verstand einzureden. Aber tief in deinem Herzen-“

Nein, wirklich! Ich will das nicht!, versuchte er ihr zu widersprechen. Er wollte diese Kräfte nicht. Er hatte noch nicht einmal ein Schwarzmagier werden wollen! Nicht auch noch so etwas! Instinktiv zog Carsten wieder an seinen Magiefesseln, doch natürlich brachte das nichts. Er konnte sich nicht befreien. Nicht mit bloßer Körperkraft und schon gar nicht mit Magie. Dafür hatte Elster gesorgt.

„Crow…“, setzte sie an. „Kennst du nicht auch dieses Gefühl? Diesen Wunsch nach Freiheit, tief verborgen in deinem Herzen?“

Ich bin frei.

„Bist du dir da sicher?“

Carsten wollte mit ‚Ja, natürlich.‘ antworten, doch noch bevor sich dieser Gedanke überhaupt bilden konnte, geriet er ins Straucheln. Kamen Zweifel in ihm hoch.

Welche Elster sofort bemerkte. „Ich verstehe, wie du dich fühlst. Sehr gut sogar. Auch ich hatte ihn damals, diesen unterbewussten Wunsch nach Freiheit. Und doch glaubte auch ich, frei zu sein. Aber es gibt immer irgendwas, was einen in Ketten legt. Ketten, die man gar nicht wirklich bemerkt. Regeln, das Gefühl jemandem verpflichtet zu sein, … All diese Dinge, die uns in unserer Welt festhalten. Wir finden es nicht schlimm, schließlich haben wir uns arrangiert damit zu leben. Aber dennoch tragen wir die Sehnsucht nach Freiheit in unserem Herzen.“

Carsten senkte die Augen, versuchte ihrem Blick auszuweichen, als er sich mit ihren Worten besser identifizieren konnte als ihm lieb war. Schon damals als Kind hatte er die fiktiven Charaktere immer am meisten bewundert, wenn sie sich über Regeln hinweggesetzt hatten. Wie sie die Welt bereisten, ihre eigenen Ziele verfolgten und dabei Gutes taten. Das alles, ohne an irgendwas gebunden zu sein. Der Grund, weshalb er die Piratenbande aus One Piece so geliebt hatte. Weshalb er Benni um seinen rebellischen Charakter beneidete…

Elster lächelte, als habe sie seine Gedanken gelesen. „Die Druiden konnten dem entkommen. Entsprechend ist uns, als ihren Nachfahren, dieser Wunsch in gewissem Sinne in die Wiege gelegt worden. Und wir können das auch.“

Carsten merkte, wie er zu schwanken begann. Dieses Versprechen, diese Zuversicht, … Aber trotzdem… So etwas gibt es nicht ohne einen Preis.

Er kannte diese tückischen Kräfte inzwischen gut genug. Er musste nur an die atemberaubende Macht der Schwarzmagie denken und verspürte bereits das Drängen sie freizusetzen. Nur, um diese unbeschreibliche Stärke wieder erleben zu dürfen, obwohl er sich ihrer Folgen schmerzhaft bewusst war. Er wollte das nicht! Und doch verlangte irgendetwas in ihm danach.

Carstens Kiefer spannte sich an, seine Hände begannen zu zittern.

„Der Preis ist gering im Verhältnis zu dem, was du gewinnen wirst.“, antwortete Elster.

Das würde ich lieber selbst entscheiden.

„Glaube mir, wenn du erst einmal diese Kräfte besitzt-“

Elster, was ist es?!, schrie er sie in Gedanken an, ein Unwohlsein kroch in ihm hoch. Das waren wieder nur so großartige, mächtige Fähigkeiten, bei denen er sich im Nachhinein wünschen würde, sie niemals besessen zu haben. Ganz sicher!

Erneut zerrte Carsten an diesen magischen Fesseln. Wieder konnte er sich kein bisschen rühren.

Ihr Blick wurde ernst. „Wehr dich nicht, mein lieber Bruder. Glaube mir, du willst es auch. Du willst diese Kräfte ebenfalls.“

Nein!!! Eine unbeschreibliche Angst kam in Carsten hoch. Er wehrte sich, kämpfte mit aller Kraft gegen diese Ketten an, verzweifelt und erfolglos. Sie schienen immer fester zu werden, je mehr er sich dagegenstemmte.

„Ich hatte damals dasselbe gesagt. Und jetzt weiß ich, wie falsch ich gelegen hatte.“ Sie kicherte schwach, holte eine der Federn aus ihren Haaren. Mit grausiger Erkenntnis stellte Carsten fest, dass es in Wahrheit eine hauchdünne Klinge war, die weiß-violett schimmerte.

Tränen schossen in seine Augen, ein schwaches, gedämpftes Schluchzen entfuhr ihm.

Elster hob die Feder empor. In der Lichtreflexion erkannte Carsten, dass ihre Augen keine wirklichen Pupillen hatten, sondern nur einen leicht dunkleren Ton besaßen als die Iris selbst. Ein Schaudern durchfuhr ihn, verstärkte seine Befreiungsversuche umso mehr.

Dieses Mal bewegte sie die Lippen, als sie sagte: „Wehr dich nicht.“

Ein unterdrückter Schrei drang aus seiner Kehle. Allein das Licht der Klinge schnitt sich schmerzhaft in seine Augen und auch die Tränen vermochten dieses Brennen nicht zu löschen.

Während Elster ihre andere Hand hob, begann sie den Zauberspruch. Dryadische Worte hallten über ihre Köpfe, versprachen Wahrheit und Grenzenlosigkeit, während sich Elster mit dem Dolch in die emporgehobene Handfläche schnitt.

Carsten schrie weiter, lauter. Wenn ihm seine Magie schon im Stich ließ, dann zumindest das. Er zog und zerrte, sein Herz raste so schnell, als versuche es sich genauso aus seiner Brust zu befreien wie er sich selbst von diesen Fesseln. Schweiß rann ihm über die Stirn, er bekam immer weniger Luft. Ein Leuchten und Strahlen blendete ihn, ohne dass er seinen Blick davor verschließen konnte. In seinen Ohren breitete sich ein unangenehmer Pfeifton aus.

Die Erschöpfung kam durch, die Befreiungsversuche wurden immer kräftezehrender. Sein Körper begann ihn anzuflehen, dass er sich doch einfach damit abfinden solle. Seine Stimme verlor allmählich an Kraft, während der Zauber von Elster immer lauter und mächtiger erschien.

Im ersten Moment kam wieder der Drang durch, sich irgendwie mit schwarzer Magie zu wehren. Doch es ging nicht. Selbst diese Kraft war machtlos.

Dann kam ein anderes Flehen in ihm hoch. Während der Schrei nur noch ein Schluchzen war, sein Körper endgültig gelähmt von den Ketten, während Elster die Hand umdrehte und das rote Blut begann seine Tränen zu verschlingen, da realisierte er, was er sich eigentlich wünschte. Während eine blutrote Schwärze seine Wahrnehmung übernahm verstand er, wonach er sich trotz allem am meisten sehnte.

Als ein Lichtblitz seine Sicht zerschnitt.

Carsten hörte Elster vor Schmerz aufschreien, während es hinter seinen Augen flimmerte.

„Ihr verdammten-“, kreischte sie, als sie einen Zauber entfesselte.

Trotz der Benommenheit nahm Carsten ein vertrautes Gefühl wahr, als Finsternis-Energie den Angriff absorbierte. Kurz darauf gab Elster wieder einen Schmerzenslaut von sich.

Carsten versuchte zu blinzeln, doch selbst das verhalf ihm nicht zu klarer Sicht. Immer noch war ihm schwarz vor Augen.

„Carsten, ist alles okay?!“, hörte er Lauras besorgte Stimme gedämpft neben sich. Wieder spürte er Finsternis-Energie, als sich nach und nach der schmerzhafte Druck löste, welchen die magischen Ketten in seine Haut gebrannt hatten.

„…Laura?“, fragte er benommen, ohne zu realisieren, dass er wieder reden konnte.

Sein Blick war benebelt und bei dem aufkommenden Schwindel wurde ihm leicht übel, als ihm zwei Armpaare hoch halfen. Carsten taumelte und wäre kraftlos in die Knie gesackt, wenn ihn nicht jemand stützen würde.

„Bring ihn weg, wir kümmern uns um das hier.“ Nur entfernt nahm er Lauras Stimme wahr und bemerkte kaum, wie sie schließlich von ihm abließ.

Er hatte keine Erinnerung mehr daran, wie er schwankend wie ein Betrunkener von dort wegkam. Erst als er kraftlos auf den Boden sackte und eine im Vergleich zu seiner Stirn eiskalte Hand spürte, wurde ihm klar, dass er sich irgendwie bewegt hatte.

„Wie geht’s dir?“

Carsten atmete immer noch zu schwer, um diese Frage beantworten zu können. Etwas Weiches, was wie Stoff erschien, wurde mehrmals vorsichtig über sein Gesicht gewischt. Er selbst hatte bereits vergessen, dass sich dort eigentlich noch das Blut von dem Ritual befand.

„Carsten?“

Dieses Mal legte sie ihre angenehm kalte Hand auf seine Wange. Er blinzelte erneut, ein lichtähnlicher Schein drang durch die verschwommene Finsternis. Es war anstrengend, sich darauf zu konzentrieren. Seine Augen wirkten so ausgetrocknet als wäre ihnen sämtliche Flüssigkeit entzogen worden.

Und doch, diese Stimme… „… Nane?“

„Ein Glück…“ Er hörte Ariane aufatmen. „Wie viele Finger halte ich hoch?“

Erneut versuchte Carsten seine Sicht zu schärfen. Alles schwankte und die Übelkeit brodelte immer noch in seinem Magen. Nur allmählich schaffte er es, schwache Kontraste zu erkennen. „Ich… ähm…Drei?“

„… Okay, das lassen wir zur Ausnahme mal gelten.“ Bedrückt atmete Ariane aus und legte wieder die Hand auf seine Stirn. Er hatte wohl danebengelegen.

„Wer war das? Was hatte die vor?“, erkundigte sich Ariane besorgt.

Entfernt bemerkte Carsten die Kampfgeräusche und fragte sich, wie lange es Laura noch schaffen würde, dieser gestaltwandelnden Schwarzmagierin die Stirn zu bieten.

„Sie… Sie hatte irgendetwas erzählt von… von wahrer Macht und…“, versuchte er zu erklären. Allmählich realisierte Carsten, was eigentlich gerade geschehen war. Was hatte sie vorgehabt? Hatte sie diese Kräfte erwecken wollen?!

Carstens Atem beschleunigte sich. „Sie- sie sprach von Freiheit und einem Preis und- und besonderen Kräften, aber- aber ich wollte nicht und konnte mich nicht wehren, weil-“

Der Schwindel wurde stärker, während die Worte nur so aus ihm heraussprudelten und er gleichzeitig hektisch atmete. Ihm wurde immer unwohler, je mehr er verstand. Je stärker die Gewissheit wurde.

„Carsten, es ist gut. Es ist okay.“, versuchte Ariane ihn zur Ruhe zu bewegen. Er spürte den weichen Stoff ihres Pullis, als sie sich zu ihm vorbeugte und die Arme um ihn legte. Dennoch rang er nach Luft, konnte sich kaum auf diese tröstende Geste einlassen.

Er schluchzte schwach. „Ich will diese Kräfte nicht… Ich…“

„… Hast du sie denn?“, fragte Ariane vorsichtig.

Zögernd schüttelte Carsten den Kopf. „Ich glaube nicht… Sie… das Ritual schien noch nicht zu Ende.“

Ariane atmete hörbar auf. Vorsichtig löste sie die Umarmung, ihr Gesicht blieb aber dennoch ganz nah an dem von Carsten als sie meinte: „Dann ist ja nochmal alles gut gegangen, oder?“

Er nickte stockend. Auch, wenn er nach wie vor nur undeutlich sehen konnte. Fast so als befände er sich in einem sehr dichten Nebel oder bräuchte eine Brille mit sehr starken Gläsern. Eine Erkenntnis, die direkt wieder die Panik in ihm steigen ließ. Warum?! Was war passiert, dass-

„Ich hab Angst, Nane…“, brachte er zitternd hervor, seine Stimme hatte immer noch kaum Kraft. „Der Bann, die schwarze Magie und jetzt auch noch… Das- das wird mir alles zu viel. Ich fühle mich als würde ich darin ertrinken…“

„… Vermutlich tust du das sogar.“, erwiderte Ariane vorsichtig.

Gequält wich Carsten ihrem nur undeutlich erkennbaren Blick aus. Versuchte irgendwie das Schluchzen zu unterdrücken. Nach einigem Zögern legte sie wieder ihre Hand auf seine Wange und drehte sein Gesicht.

Obwohl er alles nur verschwommen sah, konnte er ihr strahlendes Lächeln deutlich erkennen als Ariane meinte: „Aber dann ist es ja umso besser, dass ich letztes Halbjahr meinen Rettungsschwimmerschein gemacht hab, nicht wahr?“

Vor Überraschung erstarrte Carsten, als er ihre weichen Lippen auf seinen spürte. Und doch spürte er sich aufatmen, merkte wie sich sein Körper langsam entspannte, als er eine Hand in Arianes Haaren vergrub und den Kuss sanft erwiderte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Regina_Regenbogen
2021-09-11T21:10:28+00:00 11.09.2021 23:10
Aaah, ich muss wieder bereits mit Kommentieren anfangen, bevor ich durch bin.
Die Stelle mit Kito und Johannes war erst unheimlich niedlich, weil sie ja noch Kinder sind und dann schrecklich spannend.
🙈 Ich kriege Angst. Mars hat sicher irgendwas Schlimmes im Petto, dass er glaubt, Jack würde wieder zu ihm zurückkommen. 🙈

Ich liebe es übrigens, wie Lissi und Jack sich fast ohne Worte verstehen.

Oooooooooooh, Benniiiiiii!!!! 😭❤❤❤❤❤❤❤ So süß!!!!!! Bennilein!!!!!
Auch geil wie Benni und Ariane Scherze über die Irrationalität machen. 🤣
Eine blöde Frage, wieso sind eigentlich Lauras Geschwister erwachsen als Geister? 🙈
Ich fand es so schön, wie Benni Eufelia als seine Mutter sieht und seine Gefühle versucht auszudrücken. ❤
So, da ich jetzt endlich daheim bin, werde ich den Kommentar zum Rest des Kapitels auch endlich am Laptop schreiben können. 🤣

Antwort von:  Regina_Regenbogen
11.09.2021 23:36
Eagle!!!! Oooooooh!!!! 😭😭😭😭 Der süße, kleine Eagle. Und wie seine Mama ihn "Men kleiner Wirbelwind" nennt. Das ist so süüüüüüüß!!!!! 😭😭😭😭
Und dass du hier noch mal herausgestellt hast, dass Eagle vom Charakter her nach seiner Mutter kommt, während Carsten ihr Aussehen geerbt hat. Das ist so traurig und tragisch. *schnief*
Und dass Sisika ja über nichts Bescheid wissen kann, was sich in den Leben der beiden Kinder abgespielt hat.

Mein Carsten! Oh nein. Du hast das so gut beschrieben, dass da etwas in ihm ist, dem er nicht nachgeben will, aber er sich andererseits nicht dagegen wehren kann. 🙈
Aaaaaaaaaah, dieser wunderbare Cariane Moment! 😭😭😭😭😭😭 Wie sie in diesem Moment einen Scherz machen kann. Das hat er gebraucht! Ariane, du bist wundervoll!!!!! 😭😭😭😭💖💖💖💖💖💖 Ich bin zu überwältigt, um diesem Moment gerecht werden zu können.
Antwort von:  RukaHimenoshi
12.09.2021 17:17
Hahaha ja, ich feiere Kito und Johannes in Kombination einfach auch so sehr. Besonders, weil eben Johannes und Jack diejenigen sind, die das Kind in Kito wecken können 🤣🤣🤣🥰

Hahaha, Lissi und Jack sind wirklich dein absoluter Friendship 😂❤❤❤

Und JAAAAAAA, du siehst nun endlich mal die Benni x Ariane Friendship-Momente!!!!!!!! 😍😍😍😍😍😍😍 Ich hab die zwei ja nie wirklich "freundschaftlich" miteinander interagieren lassen, weil so häufig noch Laura dabei war - anfangs hauptsächlich als Streitpunkt, damit Ariane Benni anmaulen kann. XD Aber dass sie eigentlich richtig gut miteinander auskommen, konnte ich leider nie zeigen und jetzt gibt sich endlich diese Gelegenheit 😭😍😍😍😍

> Eine blöde Frage, wieso sind eigentlich Lauras Geschwister erwachsen als Geister? 🙈
Das wurde im Kapitel zuvor kurz von Leonhard erwähnt: „Wir können unser Aussehen, also das Alter, zwar mit unserer Willenskraft beeinflussen aber für gewöhnlich nehmen Geister jene Gestalt an, in welcher sie am meisten geprägt wurden." Leonhard und Eufelia haben das "prägendste Alter", aber insbesondere Lucia hat ihr Aussehen mit ihrer Willenskraft beeinflusst, damit sie Laura nicht als Vierjährige gegenübertreten muss. XD

> Ich fand es so schön, wie Benni Eufelia als seine Mutter sieht und seine Gefühle versucht auszudrücken. ❤
Hahaha, ist dir eigentlich bewusst, was für eine extreme Bedeutung hinter dieser Szene steckt? 🤣🤣🤣 Das ist das letzte, was Eufelia zu Benni sagt, bevor sie in Feuer und Zerstörung stirbt: „Ich bitte dich, Benedict, erfülle meinen letzten Willen: Lerne, deine Gefühle in den rechten Augenblicken zuzulassen.“
Dass Benni es in dem Moment wirklich schafft, ihr diese Dankbarkeit mitzuteilen, sie umarmt und sie ihn sogar weinen sieht(!!!) war für Eufelia auch gleichzeitig der Moment in dem sie gesehen hat, dass er ihren letzten Willen wirklich erfüllt hat 🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰
Man hatte Benni davor ja sogar nur zweimal weinen sehen: Und zwar in den Dämonenformprüfungen von Laura und Ariane. Jetzt sieht man wirklich zum ersten Mal den "echten" Benni weinen, und es ist aber nicht wegen Laura wie in den Prüfungen, sondern wegen Eufelia und... hach Mist, gleich bringe ich mich selbst wieder zum Weinen... 😭😭😭😅

Und jap, dann bei Eagle gab es noch mehr Gelegenheit zum Heulen XD (Dieses "kleiner Wirbelwind" haut echt rein, oder? 😂😭😂😭😂😭😂😭😂😭😂😭)

Ooooh, ich finde es so süß und schön, wie du bei der ganzen Szene um Carsten ausgerechnet den Cariane-Moment hervor gehoben hast 🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰
Wobei es eigentlich besonders lustig ist, wenn man bedenkt dass ihr Dämon der Weiße Hai ist. Als würde man dem als Rettungsschwimmer begegnen wollen! 🤣🤣🤣🤣 Aber ja, in diesem Moment nimmt sie einfach so eine extreme Rolle als Carstens Licht in der Dunkelheit ein... Hach, ich liebe diese zwei so sehr 🥰🥰🥰🥰


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