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Demon Girls & Boys

von

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Einsam und verlassen

Einsam und verlassen

 

 

 

Genervt verschränkte Jack die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den heruntergekommenen Putz des noch heruntergekommeneren Hauses. Er hatte sowas von gar keinen Bock auf diesen Auftrag.

Okay, genau genommen hatte er nie Bock auf irgendwelche Aufträge von Mars. Doch das war eher eine Form der Grund-Genervtheit. Wie wenn man sich jeden Morgen aus dem Bett quälte und zur Arbeit, zur Schule oder in die Uni musste. Doch dieser Auftrag, der war was Anderes. Das war kein ätzendes sich Aufraffen um zu tun was getan werden muss. Nein, dieses Mal fühlte er sich wirklich unwohl dabei. Regelrecht schuldig.

Jack schaute die bröckelnde Fassade hinauf zu den Fenstern des Mehrfamilienhauses, das sich nicht von den restlichen Wohnblöcken dieses Viertels zu unterscheiden vermochte. Alles sah gleich aus. Schmutzig grau, heruntergekommen und verarmt. Die Straße war mit so vielen Schlaglöchern versehen, dass man schon einen Geländewagen bräuchte um hier Auto fahren zu können.

Umso mehr fehl am Platz wirkte die dunkle Limousine, die just in dem Moment um eine Ecke bog und direkt vor Jack am Straßenrand parkte.

Mehrere Passanten betrachteten das Spektakel neugierig. Wahrscheinlich sahen viele zum ersten Mal in ihrem Leben so ein Monstrum und schwärmten insgeheim von dem Reichtum, über welchen der Besitzer zu verfügen schien.

Während sich Jack darüber Gedanken machte, wie unhandlich so ein riesiges Ding eigentlich war -insbesondere im Vergleich zu seinen Motorrädern, die er so liebte- stiegen fünf in schwarz gekleidete Schränke mit Sonnenbrillen aus. Vier von ihnen machten sich an die Arbeit die Gaffer aus dem Weg zu räumen, der fünfte kam auf Jack zu.

„Zeig mir deinen Ausweis.“, wies er ihn auf Damisch mit stark russischem Akzent an. Der extrem badass klang.

Jack hielt den Portalring mit dem orangenen Edelstein hoch, welchen nur er aufgrund der Erd-Energie benutzen konnte. „Dimitri, du kennst mich. Warum sollte ich mich ausweisen müssen?“

„Nicht diskutieren. Ausweis zeigen.“

„Jaa, jaa.“ Jack verdrehte die Augen und holte sein Portemonnaie heraus, um Dimitri den Ausweis zu geben. „Du weißt schon, dass sich sowas viel leichter fälschen ließe als dieser Ring hier?“

Dimitri war wohl nicht sonderlich zu Smalltalk aufgelegt. Die Nase rümpfend gab er Jack den Ausweis wieder und kehrte zur Limousine zurück, um seinem Herrn die Tür zu öffnen.

Unter den aus der Entfernung zuschauenden Bewohnern brach ein angeregtes Murmeln aus. Und natürlich trat niemand geringeres als der verehrte Roland persönlich aus dem Auto.

Während die Menge jubelte und gleichzeitig vor dem ‚einzig wahren und alleinigen Herrscher‘ in die Knie ging, nutzte Jack die Gelegenheit den Diktator dieser ärmlichen Region genauer unter die Lupe zu nehmen. Er hatte ihn zwar schon häufiger getroffen, aber meist nur flüchtig. Und eigentlich wollte Jack mit dem Typen auch nichts zu tun haben. Dennoch musste er sich eingestehen, dass sich der ‚einzig wahre und alleinige Herrscher‘ ziemlich gut gehalten hatte für seine 55 Jahre. Man konnte ihn durchaus als attraktiv betrachten und Jack wusste, dass dieser Typ extrem charismatisch war. Nicht umsonst wurde er von diesen Leuten hier gerade vergöttert, obwohl er sie in absoluter Armut leben ließ. Und trotzdem… Ein Bild von Eagles und Carstens Vater schoss durch Jacks Kopf. An Chief kam er nicht ran.

„Sei gegrüßt, junger Mann. Ich nehme an du wurdest von ihm entsandt?“, vergewisserte sich der Herrscher mit einem ähnlichen Akzent auf Damisch, wie Dimitri zuvor.

Jack nickte und deutete eine Verneigung an, während er sich fragte, wie Janine es geschafft hatte akzentfrei Damisch sprechen zu lernen.

Roland nickte und wies seine Leibwächter an ihm zu folgen. Flankiert von diesen Riesen gingen sie die Treppe des Gebäudes hoch, wo man sich bei einigen Stufen locker das Genick brechen könnte, wenn man nicht richtig aufpasste.

Jack verzog das Gesicht. Unter solchen Bedingungen musste Janine aufwachsen?

„Kennst du das Fräulein, von dem uns berichtet wurde?“, erkundigte sich Roland.

„Nein, nie von ihr gehört.“, log Jack und verfluchte diese Situation aufs Neue. Er hatte weder Mars noch sonst wem auch nur ein Fünkchen über die anderen Dämonenbesitzer erzählt. Das war auch nie nötig gewesen, denn Mars hatte seine eigenen Leute um an diese Informationen zu kommen.

Roland zeigte Jack ein Foto, welches eine der Lehrerinnen der Coeur-Academy heimlich von den Magier-Mädchen gemacht hatte. „Es ist die kleine Blonde, nicht wahr?“

„Angeblich.“

Ja, Mars hatte seine Kontakte. Am Ende waren nur noch zwei aller Dämonenbesitzer für ihn unbekannt gewesen. Der neue Besitzer des Farblosen Drachen, von dem bisher niemand einen Plan hatte, was oder wer das war. Und… Janine.

Die einzige Information, die Sultana bei ihrer Folter nicht hatte verschweigen können. Ausgerechnet diese!

Kritisch betrachtete Roland das Foto. „Sie hat es also unbemerkt über die Grenze geschafft und besucht nun die Coeur-Academy. Sehr interessant.“

Es verwirrte Jack, wie wenig überrascht der Diktator wirkte, dass jemand aus seinem Volk so mir nichts dir nichts die Grenze hatte passieren können.

„Ein hübsches Ding…“, murmelte Roland vor sich hin. Der lüsterne Blick, mit welchem er das Bild anschaute ließ Jack die Galle hochkommen und gleichzeitig mit den Bauchkrämpfen kämpfte er gegen den Drang an, diesem Typen seine Metallklauen in die Eier zu rammen. Warum musste ausgerechnet sowas der Herrscher über Janines Region sein?! Warum mussten solche Leute überhaupt existieren?!

Jack atmete tief durch. Er konnte den Kerl nicht einfach so kastrieren, so sehr er auch wollte. Stattdessen gab er der Steinplatte, auf die Roland soeben seinen Fuß setzen wollte, einen kleinen Ruck. Nur einen kleinen. Was dafür sorgte, dass der ‚einzig wahre und alleinige Herrscher‘ einzig wahr und alleine auf die Fresse flog.

Jack unterdrückte das Lachen, während die Leibwächter übertrieben besorgt ihrem Gebieter auf die Beine halfen. Zwar beteuerte dieser es sei nichts passiert, doch Jack stellte schadenfroh fest, dass der Typ die restlichen Stufen hinauf humpeln musste.

Eine feste Hand packte ihn an der Schulter. „Ich warne dich Junge, keine faulen Tricks.“, zischte Dimitri ihm mit diesem Hammer Akzent ins Ohr. Damisch mit deutschem Akzent klang einfach scheiße. Aber dieser russische…

Jack hob eine Augenbraue. „Was für faule Tricks? Was kann ich dafür, dass nicht genug Geld da ist und die Leute sich nicht um ihre Treppenhäuser kümmern können?“

Dimitri grummelte irgendetwas Unverständliches auf Russisch -was auch mega geil klang- und ließ Jacks Schulter endlich los.

Derweil hatten sie die Zieletage erreicht und einer der Leibwächter klopfte gegen die Tür. Irgendetwas wurde von innen gerufen und kurz darauf wurde sie von einer Frau geöffnet, der erstmal alle Farbe aus dem Gesicht wich. Was auch nicht verwunderlich war, immerhin hatte sie auch extrem hohen Besuch.

„E-einzig wahrer und a-alleiniger Herrscher…“, brachte sie keuchend hervor und ging hastig auf die Knie, sobald sie realisiert hatte wer das war.

„Guten Tag, gnädige Frau. Dürfen wir eintreten?“ Natürlich war das eine notorische Frage und als die Frau ihr „selbstverständlich“ gab, schloss der letzte Leibwächter bereits die Tür hinter sich.

„K-kommen Sie doch in die Küche, ich… verzeiht, es ist nicht…“, druckste sie weiterhin unbeholfen.

Das war nicht nur Nervosität, stellte Jack fest. Das war Angst. Er konnte fühlen, wie die Frau am gesamten Leib zitterte. Er spürte ihren rasenden Herzschlag. Ahnte sie schon, was den ‚einzig wahren und alleinigen Herrscher‘ ausgerechnet hierher verschlagen könnte?

Dieser schaute sich in der kleinen Küche um. „Ist Ihre bezaubernde Tochter außer Haus, gnädige Frau?“

Während Jack überlegte, ob er ein plötzliches Loch unter den Füßen des Diktators auch auf die Qualitätsmängel dieses Hauses schieben könnte, antwortete Janines Adoptivmutter stotternd: „N-nein, also ich meine, j-ja, ‚einzig wahrer und alleiniger Herrscher‘. Sie- sie ist in der Schu-schule.“

„Wie bedauerlich. Wann kommt sie denn wieder?“

„I-ich weiß es nicht…“

Jack nagte an der Unterlippe und wandte sich den Fotos auf dem Kachelofen zu. Was für eine scheiß Situation. Und er mittendrin.

Auch Roland schien sich für die Fotos zu interessieren. Es waren zwei an der Zahl. Auf dem Familienbild auf der linken Seite befanden sich fünf Personen, auf dem rechts nur noch drei. Wobei nur eine Person auf dem rechten Bild auch auf dem linken wiederzufinden war.

Mitfühlend betrachtete Jack die kleine Janine auf den beiden Bildern. Kein Wunder, dass sie in Wahrheit einen so taffen Charakter hatte. Man brauchte schon einiges an Stärke um das zu verkraften, was sie hatte erleben müssen.

„Das ist die Familie Betz, nicht wahr?“, vergewisserte sich Roland und tippte auf das linke Bild. Irritiert blickte Jack auf, während Janines Adoptivmutter die Aussage betreten bestätigte.

Woher zum Henker weiß er das?

Missbilligend schüttelte Roland den Kopf. „Das arme Mädchen. Sie hatte wohl nie eine Chance, wohlbehütet aufzuwachsen.“

Jack runzelte die Stirn. „Wovon redest du?“

Nun nahm Roland das rechte Bild in die Hand und hielt es ihrer Adoptivmutter entgegen. „Was hast du ihr erzählt, als dein Mann, der gute Aurelius Bo, verstorben ist?“

Woher kennt er seinen Namen? Jack wurde immer unwohler.

„K-Karystma.“

Der Diktator nickte wissend und nahm das Bild mit den fünf Personen. „Und ich vermute, ihre leiblichen Eltern und die große Schwester sind auch an Karystma verstorben?“

„J-ja…“

„Was ist mit dem großen Bruder?“

„A-auch…“

Bei Rolands Lachen bildete sich auf Jacks Armen eine Gänsehaut. Er war schon immer in seiner Gegenwart extrem angespannt gewesen. Verabscheute ihn, fürchtete sich gar ein bisschen vor dem Typen. Doch dieses Lachen… Es war beinahe so einschüchternd wie das des Purpurnen Phönix. In ihm schwankte beinahe genauso viel Mordlust mit. Und doch klang es viel grausamer. Denn es kam von einem Menschen. Jemandem, der Seinesgleichen erfrieren und verhungern ließ. Der sich am Tod anderer Menschen ergötzte.

Roland nahm die Pistole aus seinem Gürtel. „Du weißt, wie Rebellen sterben. Oder, meine Liebe?“

Mit einem betretenen Schweigen nickte Janines Adoptivmutter. Doch Jack konnte seinen Mund nicht mehr halten. „Rebellen?“

Roland nickte. „Rebellen.“ Er zeigte mit dem Pistolenlauf auf Janines Adoptivvater. „Aurelius Bo. Eigentlich ein freundlicher und sehr gebildeter Mann. Doch leider hat er seinen Intellekt nicht in den Dienst des Staates gestellt und stattdessen für die Abtrünnigen gefälschte Papiere besorgt und Informationen zukommen lassen.“ Nun zeigte er auf Janines leibliche Eltern. „Diese hier waren nicht ganz so gemäßigte Personen. Jakov und Jelena Betz gehörten zu den meistgesuchten Rebellen der Nation. Wie ich Magier doch hasse. Ihre Tochter Jana, eine Kampfkünstlerin, war sogar noch aufmüpfiger. Sie müsste vierzehn gewesen sein, als wir sie letztlich gefangen und hingerichtet haben. Nur diese beiden…“ Sein Lauf wanderte weiter zu Janine, die die Hand ihres älteren Bruders hielt und schüchtern in die Kamera lächelte. „Die beiden waren noch zu klein, um irgendetwas angestellt haben zu können. Dennoch, bei so einer Familie wollten wir auf Nummer sicher gehen.“

Jack betrachtete den Diktator kritisch und erst als er durchatmete merkte er, dass er all die Zeit die Luft angehalten hatte. „Inwiefern?“

„Wir ließen sie vergiften.“

Was?!

Roland nahm von seinem schockierten Ton keine Notiz und zuckte lediglich mit den Schultern. „Das Gift wirkte zwar langsam, war aber 100% tödlich. Daher hatten wir es nie für nötig gehalten zu überprüfen, ob sie wirklich gestorben sind. Aber natürlich ist die Besitzerin der Herrscherin des Giftes immun gegen ihre eigene Macht.“

„Ihr- ihr habt… Also ist keiner dieser Personen wirklich an Karystma gestorben?“

Erneut lachte Roland und wieder wurde Jack übel davon. „Was bist du so blass, Junge? Ich hatte mir mal die Liste deiner Opfer angeschaut und war schwer beeindruckt.“

„Aber…“

Roland schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf Jacks Schulter. „Im Endeffekt sind wir doch alle Mörder, Kind. Jeder einzelne von uns. Sowohl die Staatstreuen, als auch die Rebellen. Du, ich, die Familie Betz, … Wir alle töten Leute, um an unser Ziel zu kommen. In Wahrheit sind wir alle gleich.“

Jack schluckte den widerlichen Geschmack in seinem Mund runter und schlug Rolands Hand weg. „Wag es nicht dich mit mir und Janines Familie in einen Topf zu werfen.“

Herausfordernd lächelte der Diktator ihn an. „Und wieso nicht?“

„Weil du ein pädophiler Drecksack bist.“, zischte Jack zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Dimitri gab ein paar bedrohliche russische Worte von sich und wollte auf Jack losstürmen, welcher gerne dazu bereit war ihm die Rübe zu polieren.

Doch Roland hob beschwichtigend die Hände. „Aber, aber, meine Herren. Wir wollen doch nicht hier im Haus der gnädigen Frau einen Streit anfangen.“

Dimitri murmelte eine russische Entschuldigung und auch Jack versuchte seinen Ärger herunterzuschlucken. Was nicht wirklich gelang.

Also hatte man Janine all die Zeit nur erzählt, dass ihre gesamte Familie an Karystma verstorben war. Weil man ihr die brutalere Wahrheit verschweigen wollte… Und noch dazu wäre Janine selbst… Wäre sie nicht die Besitzerin der Gelben Tarantel…

Jacks Beine fühlten sich wie Pudding, sodass er sich gegen den Kachelofen lehnen musste, dessen Kacheln unangenehm kalt waren. Er schaute zu Janines Adoptivmutter rüber, die da einsam und verloren am Küchentisch stand, wahrscheinlich mit den Gedanken bei ihrer Ziehtochter und der ansonsten bereits verstorbenen Familie. Daher war Jack umso verwirrter, als sie seinen Blick erwiderte, ganz leicht den Kopf senkte und ihm ein schwaches, wissendes Lächeln zuwarf.

„Ich hätte da eine Frage an Sie, gnädige Frau.“, riss Roland die Aufmerksamkeit wieder zu sich, während sich Jack noch fragte, was das Lächeln zu bedeuten hatte.

„Ja, ‚einzig wahrer und alleiniger Herrscher‘?“ Ihre Stimme klang auf einmal nicht mehr so nervös und verängstigt, wie Jack überrascht feststellte.

„Wie hat es Ihre Adoptivtochter geschafft, die Grenzen zu überqueren, um auf die Coeur-Academy zu kommen?“

„W-was… wie… Wie meinen Sie das, mein Herr?“

Rolands Miene verfinsterte sich. „Frau Annalena Bo, ich weiß von zuverlässigen Quellen, dass ihr Mündel außerhalb unseres geliebten Staates zur Schule geht. Nun möchte ich von Ihnen wissen, wie es dazu kommen konnte?“

Wenn Janines Adoptivmutter etwas darauf antworten wollte, so konnte sie es nicht. Diese plötzliche Frage hatte sie wohl so überrascht, dass ihr alle Worte zu fehlen schienen.

„Frau Annalena Bo, wie soll ich Ihr Schweigen deuten?“, hakte Roland nach, dessen Geduld anscheinend aufgebraucht war.

Irritiert bemerkte Jack Schritte im Treppenhaus. Schritte, die er wiedererkannte. Er warf erst einen verunsicherten Blick in Richtung Tür, dann zu Annalena. Auch diese schien zu merken, dass da jemand kam.

„Du weißt, wie Rebellen sterben. Oder, meine Liebe?“, wiederholte er seine Worte und entsicherte seine Pistole.

Ein eiskalter Schauder überkam Jack, zeitgleich mit grausamer Erkenntnis. Genau in dem Moment hörten sie einen Schlüssel in der Tür, gefolgt von den Worten einer lieben, fröhlichen Stimme: „Annalena! Ich bin Zuhause!“

Erneut warf Annalena Jack dieses wissende Lächeln zu. „Pass auf sie auf.“

Aus den Augenwinkeln sah er, wie Roland den Abzug betätigte. Er brauchte nur einen Augenblick um zu reagieren. Sein „Nein!“ wurde von dem Schuss der Pistole übertönt. Jack stieß den Diktator zur Seite und riss ihm die Waffe aus der Hand. Hoffte, schnell genug reagiert zu haben. Doch der Augenblick war zu lang.

Schwer atmend sah er wie Janines Adoptivmutter neben dem Tisch lag. Blut sickerte aus der Schusswunde zwischen ihren Augen, doch diese waren geschlossen. Als schliefe sie nur.

Einen Moment lang rührte sich nichts. Jack konnte nur seinen eigenen Atem und das Ticken der Küchenuhr hören.

Dann, plötzlich, kam aus dem Flur ein verunsichertes „Annalena?“.

Die Schritte näherten sich der Küche. Jack kniff die Augen zusammen. Komm nicht näher…

„Bist du da-“ Der Rest von Janines Frage brach ab, stattdessen hörte Jack eine Tasche auf den Boden fallen. „A-Annalena?“

Ohne es zu wollen spürte Jack das Zittern, das von Janines zierlichem Körper ausging. Ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern, als sie sich neben ihre Adoptivmutter kniete, vorsichtig ihre Schulter berührte und fragte: „Mama?“

Jacks Herz zog sich bei diesem Ton qualvoll zusammen, die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst, während eine Flut von Erinnerungen über ihn hineinbrach.

In Janine schienen sich Unglauben mit Tatsachen zu bekriegen, während Angst und Panik zunahmen. „Mama, was hast du?!“ Gleichzeitig mit ihrer, meinte Jack auch seine eigene Stimme hören zu können. „Mama, mach die Augen auf!“ Der Ton wurde flehentlicher. Verzweifelter. „Bitte! Wach auf!“ Ein Schluchzen drang aus ihrer Kehle. „Mama!!!“

Jack riss sich aus dem Erinnerungsstrudel und zwang sich, die Augen zu öffnen. Vorsichtig ging er auf Janine zu, die sich weinend und schreiend an den Leichnam ihrer Adoptivmutter klammerte.

„Janine…“

Sie wischte sich über die Augen und schaute sich um. Erst jetzt schien sie die Anwesenheit der anderen überhaupt zu bemerken. Jack wusste nicht wieso, doch er wollte bei dem Anblick ihres verzweifelten, traurigen und komplett hoffnungslosen Gesichtsausdrucks am liebsten selbst direkt losheulen. Warum ausgerechnet Janine? Hatte sie nicht schon genug gelitten?!

„J-Jack… Was…“, versuchte sie zu fragen, doch ihr Zittern und Schluchzen machten es unmöglich, zu sprechen.

Da fiel ihr Blick auf die Pistole. In den falschen Händen.

Ihre Augen weiteten sich vor Erkenntnis.

„W-wieso?“

Unglauben.

„Nein, das ist nicht… Ich… Ich habe nicht…“

Und Hass.

„Du hast sie umgebracht…“

„Nein, Janine! Das verstehst du falsch! Ich wollte ihr-“

„Du hast sie umgebracht!“

„Glaub mir, ich wollte nur-“ Jack versuchte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter zu legen, doch Janine stieß sie weg. „Fass mich nicht an! Du hast sie ermordet! Du bist ein Mörder!!!“

Wieder rannen Tränen über ihre Wangen, während Jacks Verzweiflung wuchs. „Ich habe sie nicht ermordet!“

„Erst Eagles und Carstens Vater und jetzt meine Mutter!!! Macht dir das spaß?! Bist du nun glücklich?!?!“

„Janine, wirklich! Ich-“

„Verschwinde!!!“ Noch während Janine das schrie klammerte sie sich wieder an Annalenas Körper. Weinte und schluchzte, rief ihren Namen und flehte sie an zurückzukommen. Sie nicht alleine zu lassen.

Bei dem Gefühlschaos in seinem Inneren war es Jack unmöglich, auch nur einen einzigen klaren Gedanken fassen zu können. Was sollte er jetzt tun? Er konnte sie nicht einfach in den Arm nehmen, so sehr er es auch wollte. Und tröstende Worte wären wirkungslos. Bedeutungslos.

Janine hielt nun ihn für den Mörder ihrer Adoptivmutter. Sie dachte, er habe ihr die letzte Person ihrer Familie genommen, die noch übrig war. Jegliche Hilfe von ihm würde sie nur von sich weisen.

Genau. Von ihm.

Jack blieb die Luft in der Kehle stecken, als er sah wie sich Roland neben Janine kniete, einen Arm um ihre zitternden Schultern legte und beruhigend auf sie einredete. „Es ist alles gut, meine Liebe. Alles gut.“

Noch während Jack die zitternden Hände zu Fäusten ballen wollte fiel ihm auf, dass er immer noch die Pistole des Diktators in der Hand hielt. „Halt dich fern von ihr!“

Roland warf ihm einen eindringlichen Blick zu. „Es ist besser du gehst nun, junger Mann.“

„Ich sagte halt dich-“

„Sei still!“, schrie Janine plötzlich und hielt sich die Ohren zu. „Sei still und verschwinde!“

Roland tätschelte ihren Oberarm. „Es ist alles gut, meine Liebe. Der junge Mann wird dich nicht weiter belästigen. Komm, wir bringen dich erst einmal hier raus.“

„Aber Mama…“

„Wir kümmern uns um sie, keine Sorge.“

Schniefend wischte sich Janine über die Augen und nickte. Vorsichtig beugte sie sich über ihre Adoptivmutter und strich ihr einige Strähnen aus dem Gesicht. „Ich… ich weiß, dass du es nie leicht hattest… Deshalb… Danke, dass ich… trotzdem… deine Tochter werden durfte…“

Erneut begann Janine zu schluchzen, während sich Jack auf die Unterlippe biss.

Bei dem Kampf gegen Eagle hatte er den Eindruck gehabt chancenlos zu sein? Bei den Trainingskämpfen gegen Benni fühlte er sich machtlos? Bei der einstigen Konfrontation mit Carsten dachte er dem Untergang geweiht zu sein? Jetzt wurde er eines Besseren belehrt. Das war wahre Machtlosigkeit. Hier hatte er keine Chance zu gewinnen. Und selbst der Weltuntergang wirkte harmlos im Vergleich dazu. Zu beobachten, wie der pädophile Drecksack Janine auf die Beine half. Wie er ihr ekelhaft sanft eine Strähne aus dem Gesicht strich und ihr ein Taschentuch reichte. Und wie Jack all das nicht verhindern konnte. Weil sie nicht auf ihn hören würde. Weil sie ihn für den Mörder ihrer Adoptivmutter hielt.

Roland wandte sich an seinen Hauptleibwächter. „Dimitri, sorge bitte dafür, dass der junge Mann dem Fräulein nicht zu nahe kommt. Und… kümmere dich anschließend um die gnädige Frau.“

Dimitri gab ein russisches „Jawohl“ von sich und baute sich zwischen Jack und Roland mit Janine auf. Der Kerl war wahrlich ein Schrank.

Noch während der Diktator mit seinen restlichen Leibwächtern und Janine die Küche verließ, versuchte Jack erneut an Janines Verstand zu appellieren. „Janine, erinnere dich daran, was ich dir über den Typen mal erzählt habe!“

Aber natürlich kam keine Reaktion von ihr. Hatte sie überhaupt realisiert wer dieser Mann war, der ihr eben gerade ‚helfen‘ wollte?

Kurz darauf fiel die Tür in die Angeln. Während Jack alle Flüche von sich gab, derer er in seiner Muttersprache mächtig war, kramte Dimitri in seiner Tasche herum bis er offensichtlich gefunden hatte wonach er suchte.

Zum Vorschein kamen zwei silbern glänzende Ringe, über eine Metallkette miteinander verbunden.

„Umdrehen.“, wies Dimitri ihn an und packte seinen Arm.

„Du willst mir nicht ernsthaft Handschellen anlegen, oder?“

„Auf jetzt.“

Geräuschvoll atmete Jack aus. „Ich hab dich eigentlich immer gemocht, aber jetzt hast du’s bei mir verkackt.“ Grob befreite er sich aus Dimitris Griff und rammte dem Hünen gezielt sein Knie in die Eier. Was direkt den gewünschten Effekt hatte. Mit einem schrillen Schmerzenslaut sackte der Schrank auf den Boden.

Jack bewegte den Kopf nach links und rechts und knackste mit dem Nacken. „Sei froh, dass es nur deine Kronjuwelen sind. Hättest du mir die Dinger angelegt wäre noch viel mehr nicht mehr brauchbar gewesen.“

Aus dem Fenster hörte Jack ein losfahrendes Auto und er konnte nur noch aus dem vierten Stock beobachten, wie die dunkle Limousine um die Ecke bog und verschwand.

Erneut fluchte er und warf die verdammte Pistole in die Ecke, die er bis eben immer noch in der Hand gehalten hatte. Scheiß Ding.

Mit einem bedrückten Seufzen ging er zu der Leiche von Janines Adoptivmutter rüber und kniete sich neben sie. „Wird wohl schwerer als gedacht, auf sie aufzupassen…“

Noch bevor wieder Erinnerungen über ihn hereinbrechen konnten, schüttelte Jack den Kopf und richtete sich abrupt auf. „Aber ich tu, was ich kann.“

Er sandte Erd-Energie in den orangenen Stein vom Ring seines rechten Mittelfingers, welcher das Portal zurück in die Unterwelt öffnete und winkte Dimitri noch einmal zu. „Ich sagte doch, dass du mich eher mit diesem Ding hättest identifizieren sollen.“

 

In Mars‘ Unterweltschloss angekommen war der Herrscher der Zerstörung auch direkt Jacks erste Anlaufstelle.

„Du kannst sie doch nicht einfach mit dem Typen mitfahren lassen. Sie hätte jederzeit die Gelegenheit zu fliehen.“, versuchte Jack möglichst ruhig und sachlich zu argumentieren.

Mars zuckte mit den Schultern. „Ich denke nicht, dass sie in ihrer momentanen Situation dazu imstande ist.“

„Ja, aber… Und wenn doch? Wir sollten auf Nummer Sicher gehen und sie direkt hierher bringen.“

Mars trank einen Schluck von seinem Rotwein und betrachtete Jack amüsiert. „Sag, warum stört es dich so, dass Roland sie erst zu seinem Anwesen bringt?“

„Weil das nicht der Auftrag war.“

„Mein Auftrag lautete das Mädchen ausfindig zu machen und lebend hierher zu bringen. Über welchen Weg und mit welchen Mitteln ist mir vollkommen gleich. Die meisten freuen sich darüber, dass meine Aufträge so frei formuliert sind. Frag Benedict, er kann davon inzwischen wohl ein Lied singen.“, erwiderte Mars belustigt.

„Aber…“ Shit. Mars würde er wohl nicht mit logischen Argumenten zu Handeln bringen. Es wäre auch zu schön gewesen.

Der Dämon stellte das Rotweinglas auf dem goldenen Beistelltisch ab und winkte Jack zu sich rüber. Zögernd folgte er der Anweisung.

„Jack, du weißt, dass du ehrlich mit mir sein kannst. Du gehörst zu den wenigen, nein, du bist gar der einzige, der hier nicht darauf achten muss, was er sagen sollte. Der frei sprechen kann, was er denkt. Also, was ist?“

Jack versuchte zu einer Erklärung anzusetzen, doch kein Ton kam über seine Lippen.

Mars richtete sich auf und strich Jack über die Wange. „Du hast Gefühle für die Kleine. Ist es nicht so?“

„Ich…“ Jack atmete aus und erwiderte den bedrohlichen und zugleich auch irgendwie zuneigungsvollen Blick des Dämons. „Ich will nur nicht, dass sie in den Händen dieses pädophilen Arschlochs ist. Wer weiß, was für kranke Ideen in seinem Kopf herumgeistern.“

Mars nickte wissend und nahm wieder auf seinem Kanapee platz. „Erinnerst du dich an das Abkommen was wir hatten, als du hier aufgenommen wurdest?“

„Wie könnte ich das vergessen?“

Auf Mars auffordernden Blick hin erwiderte Jack schließlich: „Ich soll alle Aufträge von dir erfolgreich und ohne sie zu hinterfragen abschließen. Dafür bekomme ich Geld und sonstige Sachen, um ein halbwegs normales Leben führen zu können.“

Mars nickte. „Du hattest eine schwere Zeit und aufgrund dessen habe ich darüber hinweggeschaut, dass du mir am Anfang mehr Ärger als Nutzen gebracht hast.“

„Und gerade bringe ich dir auch mehr Ärger als Nutzen?“ Irgendwie fühlte sich Jack bei dieser Frage unwohl. Wenn ja, was würde Mars dann mit ihm machen? Er hatte sich tatsächlich viele Fehler erlauben dürfen. Und hatte häufig genug in der Angst gelebt, dass der Dämon ihn zurückschicken würde. Wieder eingesperrt. Wieder in Ketten. Wieder-

Mars schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin äußerst zufrieden mit dir. Ich mache mir nur Sorgen.“

Jack runzelte die Stirn. „Sorgen?“

„Diese Gefühle, die du für das Mädchen hast. Und du kannst nicht leugnen, inzwischen freundschaftliche Gefühle für Benedict entwickelt zu haben. Ist es nicht so?“

Zögernd nickte Jack. Worauf wollte er hinaus?

„Ich habe an dir immer geschätzt, dass du ein ruhiger, logischer Mensch bist. So wie die Maschinen, die du so magst. Du bekommst eine Aufgabe, überlegst dir die beste Lösung und erledigst sie. Kein ‚aber‘, kein ‚was wäre wenn‘, nichts. Diese neuen Gefühle hindern dich daran. Du fängst an nachzudenken.“

Freudlos lachte Jack auf. „Und Benni beschwerte sich erst letztens, dass ich zu wenig nachdenke.“

Mars zuckte mit den Schultern. „So viel wie der nachdenkt ist für ihn ja auch alles andere zu wenig. Aber verstehst du worauf ich hinaus möchte? Du kannst nicht meine Aufträge ohne zu hinterfragen abschließen, wenn du anfängst darüber nachzudenken.“

Jack versuchte den Kloß im Hals herunterzuschlucken. In diesem Fall würde er das Abkommen nicht mehr einhalten können… Mars würde ihn wieder…

„Möchtest du, dass es so weit kommt?“

Wie betäubt schüttelte Jack mit dem Kopf.

Erneut richtete sich Mars auf und legte eine Hand auf seine Schulter. „Ich auch nicht. Also vergiss das auch ja nicht.“

Dieses Mal brachte Jack lediglich ein Nicken zustande.

Nicht zurück. Alles, bloß nicht wieder dahin zurück.

Und trotzdem… „Und… Janine?“

Mars lachte auf und klopfte Jack noch einmal kurz auf die Schulter, ehe er sich wieder hinsetzte. „Die Kleine hat’s dir ganz schön angetan, kann das sein?“ Kichernd zuckte er mit den Schultern. „Hauptsache sie kommt hier her. Wie, ist mir egal. Du kannst sie eskortieren, wenn du magst und sie nicht länger mit Roland alleine lassen möchtest.“

„Aber sie…“

„Du kannst dir auch gerne Hilfe holen. Er sollte zwar nicht in die Nähe der anderen Dämonenverbundenen kommen, aber solange du aufpasst, dass es im Rahmen der Mission ist und er nur mit ihr in Kontakt kommt, will ich drüber hinwegsehen.“

Jack atmete auf. Auf genau diese Worte hatte er gehofft. Mehr wollte er gar nicht.

„Danke, ich werde dich nicht enttäuschen.“ Nach einer schnellen Verneigung eilte er aus Mars‘ Gemächern. Rannte die Gänge entlang, eine Abzweigung nach der nächsten, bis er in der Trainingshalle ankam, deren Tür er schwungvoll aufriss.

„Du musst sofort mitkommen, ich brauche deine Hilfe.“, keuchte Jack lediglich.

Kritisch blickte Benni zu ihm rüber, der nach japanischer Manier einen schwarzen Hakama und Gi für sein Training trug. Wie auch immer er in seinem momentanen Zustand trainieren konnte. Die gebrochene Nase hatte Jack zwar behandeln können und Bennis Wunden verheilten deutlich besser als die eines Dämonenverbundenen oder gar eines normalen Menschen, sahen aber immer noch grauenhaft aus. Mehrere Blutergüsse zierten sein Gesicht und besonders das linke Auge hatte eine unangenehme Blaufärbung. „Ist etwas passiert?“

„Ja, also…“ Jacks Blick fiel auf das Trainingskatana, was Benni in der Hand hielt. Erinnerte sich an die letzte Auseinandersetzung als er so eine Waffe in der Hand gehalten hatte. Und an den Grund dieser Auseinandersetzung. „Aber… Du solltest mir besser erstmal dein Schwert geben.“

Bennis Blick verdüsterte sich. Er hatte die Andeutung verstanden. „Wer?“

„Gib mir erst das Katana.“, drängte Jack ihn, immer unruhiger werdend. Die Zeit lief ihnen davon und jetzt musste er auch noch aufpassen, dass Benni seine Drohung nicht doch plötzlich in die Tat umsetzte? Beschissener konnte es nicht mehr werden.

Benni schien die für Jack untypische Ungeduld zu merken. Daher verzichtete er wohl auf weitere Diskussionen, steckte das Schwert weg und reichte es ihm.

Jack atmete tief durch. „Janines Adoptivmutter.“

„Annalena?“

„Du kennst sie?“

Benni nickte und fuhr sich durch die weißblonden Haare. „Warum?“

Jack senkte den Blick und versuchte das Bild auszublenden, wie Janine weinend über den Körper ihrer Adoptivmutter gekrümmt war. „Ich bin mir nicht ganz sicher… Allem Anschein nach gehörte sie wie der Rest der Familie zu einer Gruppe Widerstandskämpfern…“

Doch auf Bennis fragenden Blick hin schüttelte Jack den Kopf. Zwang sich zurück in die Gegenwart. „Erklär ich dir nachher. Die Kurzfassung ist: Roland hat Annalena erschossen und Janine denkt, dass ich es war. Und deshalb ist sie jetzt ausgerechnet mit diesem Kinderschänder auf dem Weg zu seinem Anwesen, während der Wichser wahrscheinlich schon die perversesten Fantasien hat.“

Benni stieß einen japanischen Fluch aus. „Und auf dich hört sie nicht, da sie dich für den Mörder ihrer Mutter hält.“

Bedrückt nickte Jack. Er hatte es schon häufiger geschafft zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Doch an diesem Missverständnis kam nichts ran. Und dann auch noch ausgerechnet Janine…

„Ich… hatte gehofft, dass sie eher Trost bei dir suchen würde, als bei dem Arschloch. Immerhin kennt ihr euch und seid in gewisser Weise miteinander befreundet.“, erklärte Jack.

Benni nickte. Doch Jack entging nicht, dass er trotz allem zögerte. Er konnte sich schon denken, wieso.

„Mars hat sein okay gegeben. Solange du Janine hierher bringst und nur zu ihr Kontakt hast drückt er ein Auge zu.“

Ein weiteres Nicken und schon hatte Benni mit dem schwarzen Stein seines eigenen Portalringes einen Weg in die Oberwelt geschaffen, der ganz in der Nähe des Anwesens war.

Während sie auf den prunkvollen Palast des Diktators zuliefen fragte Jack: „Du glaubst mir einfach so, dass ich sie nicht getötet habe?“

„Du hast keinen Grund zu lügen.“

„Na ja… Es gibt immer Gründe zu lügen.“

Benni zuckte mit den Schultern. „Außerdem meintest du sie wurde erschossen. Und du würdest nicht mal bei einem Meter Entfernung treffen.“

„Sehr schmeichelhaft.“ Bedrückt atmete Jack aus und stellte verbissen fest, dass die Limousine bereits auf ihrem Parkplatz stand.

Sie traten in das weiße Gebäude, was mit seinem Reichtum und Prunk wohl versuchte mit Mars‘ Gemächern zu konkurrieren. Was fanden die Leute so toll an dem ganzen Müll?

Sie gingen die mit rotem Teppich bedeckte, riesige Treppe nach oben und beachteten die Bediensteten gar nicht, die sie versuchten aufzuhalten.

Benni hatte wohl auch keinen Nerv für Diskussionen. Als die Leibwächter vor der Tür zum Salon ihn aufhalten wollten, schaltete er sie ohne mit der Wimper zu zucken mit seiner Finsternis-Energie aus.

Jack hielt sich jedoch zurück als Benni die Tür öffnete und eintrat. Es war wohl besser, wenn Janine ihn vorerst nicht zu Gesicht bekam.

„Was willst du hier?!“, hörte Jack einen weiteren Leibwächter rufen.

Das nächste was zu hören war, war Janines schwache Stimme. „B-Benni?“

Jack spürte, wie sie vom Sofa aufstand, auf Benni zu rannte und sich schluchzend in seine Arme warf.

Genau diese Reaktion hatte sich Jack erhofft. Erleichtert atmete er auf und lehnte sich gegen die Wand neben der Tür. Es war nichts weiter passiert. Sie hatten es noch rechtzeitig geschafft.

Er schloss die Augen und ‚beobachtete‘ mithilfe seiner Erd-Energie, wie Benni zögernd und leicht unbeholfen die Umarmung erwiderte, während sich Janine bitter weinend an seinen Gi klammerte und anscheinend keine Hemmungen mehr hatte, ihren gesamten Schmerz herauszuschreien.

Erneut zog sich Jacks Herz unfassbar schmerzhaft zusammen, während er tatenlos miterleben musste, wie Janine ihrem Leid ausgesetzt war. Wie er in gewisser Weise sogar der Verursacher dieses Leids war. Er hatte Annalena nicht retten können. Er hatte zu lange gebraucht um zu reagieren. … Mal wieder.

Jack atmete zitternd durch und lauschte der alles andere als erfreuten Stimme des Diktators: „Du hast hier nichts verloren, Junge.“

„Janine genauso wenig.“, erwiderte Benni und schien sich instinktiv etwas zwischen Janine und das Arschloch zu stellen.

Roland äußerte etwas Verärgertes auf Russisch, woraufhin Benni in derselben Sprache irgendwas antwortete. Jack hatte zwar keine Ahnung worüber sie da redeten, doch bei dem bedrohlichen Unterton in Bennis Stimme, in dem immer diese eisige Kälte mitschwang, wusste selbst Jack, dass man nun besser nichts in seinen Augen Falsches machen sollte.

Dessen schien sich auch Roland bewusst, der seinem Überlebensinstinkt folgend jegliche Diskussion aufgab, sich demonstrativ aufrichtete und zusammen mit seinen Leibwächtern aus dem Zimmer rauschte.

Als er auf dem Gang Jack erblickte, warf er ihm nur eine unfreundliche russische Beleidigung entgegen, die Jack ohnehin nicht verstand und mit einem erhobenen Mittelfinger erwiderte.

Erst als der Typ mit seinem Gefolge hinter der nächsten Ecke verschwunden war merkte Jack, wie die gesamte Anspannung seinen Körper verließ. Wie er kaum mehr die Kraft hatte auf seinen eigenen Beinen zu stehen. Vorsichtig ließ er sich auf den Boden gleiten und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Zimmer hinter ihm.

Ohne dass Benni nachfragen musste, begann Janine schluchzend die Situation zu erklären. Sie redete wie ein Wasserfall und ebenso rannen immer mehr und mehr Tränen über ihre Wangen. Meist hörte Benni einfach nur schweigend zu. Nur als sie von Jack selbst erzählte versuchte er, das Missverständnis aufzuklären. Doch seine Worte erreichten sie nicht. Janine war immer noch viel zu durcheinander und aufgewühlt, um auch nur halbwegs klar denken zu können.

So aufgewühlt, dass sie ohne es zu merken in ihre Muttersprache abdriftete und Jack gar kein Wort mehr verstehen konnte. Da war es umso praktischer, dass sich Benni nun um sie kümmern musste, dessen Russisch zwar ziemlich eingerostet aber immer noch vorhanden war.

Es dauerte ganze zwei Stunden, die sie so verbrachten. Janine war am Reden und Weinen, komplett fertig mit sich und der Welt. Benni hörte ihr ruhig zu und versuchte soweit es ihm möglich war Trost zu spenden. Und Jack saß da im Flur, schweigend, und warf jeder Person einen warnenden Blick zu, die in seinem Blickfeld auftauchte und dem Raum zu nahe zu kommen drohte.

Innerhalb dieser Zeit kam Jack nicht drum herum nachzugeben und in seinen eigenen Erinnerungen zu versinken. Die Schreie. Die toten grünen Augen. Das Meer an Blut, dass sich mit ihren kupferroten Haaren vermischte. Der Gestank und die Übelkeit. Verzweiflung. Einsamkeit. Hoffnungslosigkeit. Und nicht zuletzt der Zorn. Der Zorn, der ihm eine nie dagewesene Macht verlieh, die alles vernichten konnte. Die ihn vernichten konnte.

Jack schreckte hoch, als er Benni plötzlich wieder auf Damisch reden hörte: „Wir sollten uns langsam auf den Weg machen.“

„Wo… bringst du mich jetzt…?“, schluchzte Janine, der Rest wurde zu einem verängstigten Flüstern, „Zu… Mars?“

„Ich wünschte, es gäbe eine andere Möglichkeit… Aber…“

Jack merkte, wie Janine schwach mit dem Kopf schüttelte. „Ich weiß, es ist wegen… Laura und Carsten. Sie… vermissen dich sehr.“

Benni schien nichts darauf erwidern zu können, doch das ‚Ich sie auch.‘ lag trotzdem spürbar in der Luft, während er Janine auf die Beine half. „Kannst du gehen?“

Janine brachte ein leichtes Nicken zustande.

Während Benni sie zu den anderen in den Kerker der Unterwelt begleitete, folge Jack ihnen lautlos, damit Janine seine Anwesenheit nicht würde bemerken können.

Sie ließ sich ohne Widerworte auf einem Bett in einer Einzelzelle nieder. Momentan schien ihr alles egal. Selbst, dass sie nun eine Gefangene ihres Feindes war. Nichts zählte mehr. Nichts hatte mehr Bedeutung. Das einzige was sie wahrnahm war die Einsamkeit. Verloren und allein. Niemand, der sie auffangen konnte. Der ihr Licht in der Finsternis war.

Und so froh und dankbar sie auch über Bennis Anwesenheit war, er schaffte es nur einen verschwindend geringen Teil des Leids von ihr zu nehmen.

Verbissen schaute Jack auf Bennis Trainingsschwert, das er immer noch in der Hand hielt. Im Endeffekt steht man mit seinem Leid eben alleine da. Im Endeffekt ist die Hoffnung auch nur eine kleine Kerze, die bei dem schwächsten Windhauch ausgepustet werden kann.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Regina_Regenbogen
2020-10-10T17:56:15+00:00 10.10.2020 19:56
Oh mein Gott! Das war so schrecklich. Und dass Janine jetzt auch noch denkt, Jack hätte das getan. Jack tut mir so leid! Das war so ein bedrückendes Kapitel. :'(((( Und weil der Böse eben ein Mensch ist, ist es noch schlimmer, weil es so real ist, da es echt solche Leute gibt. :((((
Und natürlich tut mir Janine leid. Zum Glück konnte Jack Benni zu Hilfe holen.
Ich finde, die Beziehung zwischen Jack und Mars auch sehr interessant, dass Mars ihm auch eine verquere elterliche Güte zeigt, die richtig unheimlich ist. Ich bin auch gespannt, noch mehr über Jacks Vergangenheit zu erfahren.
Aber jetzt muss ich erst mal meine Nerven beruhigen. :'D
Antwort von:  RukaHimenoshi
10.10.2020 21:25
Das tut mir leid, ich hatte schon befürchtet, dass dir dieses Kapitel nicht wirklich "gefallen" wird. :(
Das Schreiben war auch alles andere als angenehm, da der Böse hier halt wirklich einfach ein Mensch ist, der auf Macht aus ist und ansonsten nichts seine Taten rechtfertigen kann. Da ist einem der übernatürliche Herrscher der Zerstörung doch lieber. ^^"
Es freut mich aber, dass Jacks und Mars' Beziehung genau so rüber kommt, wie ich es auch gehofft habe. :D
Antwort von:  Regina_Regenbogen
11.10.2020 11:13
Braucht dir nicht leid tun. Es hat ja genau den Effekt, den es haben soll.:)


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