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Kapitel 9

Kaptel 9

 

 

Langsame Schritte wecken mich auf. Ich blinzele den Schlaf aus meinen Augen und starre zur Decke. Wo bin ich? Victor hat mich nach Hause bringen lassen, oder?

Als ich meinen Kopf zur Seite drehe, stoppt beinahe mein Herz. Victor steht direkt vor meinem Bett. Vor Schreck will ich aufspringen, aber er drückt mich zurück in die Matratze und küsst mich stürmisch. Zwar stemme ich mich gegen seine Brust, aber er nimmt meine Handgelenke und verbindet sie mit seiner Krawatte am Bettgestell. Dabei lässt er mir keine Zeit zum Sprechen, weil seine Lippen unnachgiebig von meinen kosten.

»Ich will dich. Jetzt«, raunt der Mafiaboss, als er sich stöhnend von mir löst. Danach reißt er seine Hose auf und zieht sie sich von den Beinen. Sie fliegt zu Boden. Der Gürtel klirrt.

»W-Was…?«, flüstere ich. Es hat keinen Sinn mit den Handgelenken zu ruckeln – sie lösen sich nicht. Auf einmal spreizt Victor meine Beine. Ich keuche erschrocken. Dann lehnt er sich vor und fängt mich in seinem Kuss ein. Ein Schauer krabbelt mir über den Rücken. Sein erregtes Glied liegt direkt auf meinem. Die große Beule zuckt ungeduldig. Sie lässt mein Blut tiefer fließen.

»Victor, ich will nicht…!«, stöhne ich erregt in unseren Kuss.

»Spiel nicht immer den unschuldigen Unnahbaren. Ich werde jetzt meinen Schwanz in seinen süßen, kleinen Hintern schieben und es dir hart besorgen«, haucht Victor an mein Ohr, während er sich von seiner Unterhose befreit.

Ich hebe meinen Kopf, um an ihm herunterzublicken, dann weiten sich meine Augen, als sie auf sein voll steifes Glied treffen, dessen Spitze schon feucht glänzt. »Das ist zu groß! Das wird nicht passen!«

Victor küsst mich abermals. Seine Zunge dringt in mich ein und drängt meine zurück. Sie ist rau, wie seine Hände und ebenso stark. Dann streichelt er über meinen Schritt und beginnt in zu massieren. Ich winde mich unter dem kribbelnden Gefühl.

»Ich werde dir keine Zeit zum Nachdenken geben. Du wirst nur noch mich spüren, wie ich dich vollkommen ausfülle und in dir komme«, raunt Victor ein weiteres Mal in mein Ohr. Es ist so heiß. Unsere Körper glühen. 

»Ah! Victor… Ja, bitte!«, jammere ich auf einmal, weil ich seine Hand an meinem Glied kaum mehr ertrage. »Gib es mir! Ich will mehr.«

»So ist’s gut…« Victor küsst mich ein letztes Mal. Er leckt sich über die Lippen. »Aber hast du denn auch deine Reifen aufgepumpt?«  

Dösig schlage ich meine Lieder auf. »Was?«

»Du vernachlässigst das Fahrrad, stimmst? Dabei fährt es schon fast nicht mehr gerade. Willst du einen Unfall bauen?«

»Wovon sprichst du…?«

»Geschweige denn von dem Staub auf deinen Regalen. Wie lange putzt du nicht mehr?«

»Ich hatte letztens keine Zeit…«, wispere ich völlig verwirrt unter dem halbnackten Mafiaboss festgebunden, der auf einmal einen Wischmopp und ein Kehrblech hält.

Victor verengt die Augen – ein sexy Blick. »Lass uns Weichspüler kaufen gehen. Ich besorg’s dir… also die Putzlappen.«

 

Ich atme zittrig aus, als ich die Augen öffne und mich im klapprigen Metallbett aufsetze. Schnell sehe ich mich um, aber von Victor fehlt jede Spur… oder vom Wischmopp…

»Das war nur ein Traum…«, flüstere ich mit Herzrasen. Ich streiche mir durchs Gesicht, während ich erröte. »Mir ist nicht mehr zu helfen… Was habe ich da geredet… Was habe ich da nur geträumt?«

Um nicht weiter über dieses überaus peinliche Wirrwarr von Traumfetzen nachdenken zu müssen, konzentriere ich mich darauf, dass mein Handy schon kurz nach fünf Uhr anzeigt und ich somit viel zu spät dran bin. Deshalb schlage ich die löchrige Decke beiseite und haste durch das Wohnzimmer, in dem sich die Tapete bereits von der Wand löst. Im Badezimmer mit meiner zerplatzten Toilette und den aufgekratzten, gelblich schimmernden Fliesen krame ich meine Arbeitskleidung vom Wäscheberg. Ich schnappe meine Geldbörse von der ratternden Waschmaschinen, die als eigenes Erdbeben dokumentiert werden müsste. Dann katapultiere ich sie durch den Flur und knapp am Rucksack vorbei. Anschließend stehe ich zähneputzend unter der Dusche und trockne dabei schon meine eine Körperhälfte ab. Obwohl Dusche definiert werden sollte. Das Ding in meiner Wohnung war eher ein Wasserhahn an der betonierten Wand, eingekesselt zwischen zwei zerknitterten Vorhängen mit kleinen Fischen darauf gekritzelt.

Als ich mit anziehen fertig bin und einen letzten Blick in meine Wohnung werfe, ruft mein Nachbar von oben: »Bist du wieder da, Miststück? Es war so ruhig ohne dich! Geh und stirb in einer Gasse!«

Das habe ich ganz dolle vermisst, schießt es mir lippenkräuselnd durch den Kopf. Ich nehme mir einen Augenblick Zeit um durchzuatmen. Warum kommt mir alles auf einmal so fremd vor?Doch damit beschäftige ich mich nicht weiter. Stattdessen renne ich raus zum Fahrrad. Ich habe zwar das meiste meines Traums bereits vergessen, aber irgendeine Erinnerung rüttelt mich, wenn ich einen intuitiven Blick zu den Reifen werfe, die mal aufgepumpt werden könnten.

Doch ich schwinge mich gleich auf meinen gutes, altes Klappergestell und fahre los. Die gleiche aufgesprungene Straße hinunter, die gleichen Graffiti-besprühten Mauerstücke entlang, die gleichen Bandengrüppchen passierend, die mit Drogen dealen – Der Weg den ich jeden Tag zur Arbeit nehme. Obwohl ich gerade mal das Wochenende weg war, kommt es mir vor, als sei ich von einer unvergesslichen Reise wiedergekehrt. 

Alles ist irgendwie neu. Anders. Seltsam. Falsch. 

Nachdem Victors Yacht gestern angelegt hat, brachten mich Adrian und Elliot zurück zu meiner Wohnung, ohne dass ich Victor noch einmal gesehen hätte. Sie gaben mir sogar das Smartphone, das ich gekauft hatte. Danach war ich rücklings ins Bett gefallen und eingeschlafen. Jetzt wieder zur Arbeit zu fahren, hat einen unbekannten Beigeschmack, den ich nicht einordnen kann.

 

»Was für eine anstrengende Schicht.« Courtney fällt ins fleckige Sofa unseres überfüllten Pausenraums. Obwohl dieser maximal fünfzehn Quadratmeter umfasst, quetschen sich acht unserer Kollegen hier mit rein – Nicht zu vergessen sind der Getränkeautomat und die Reinigungswagen. Da hilft nicht mal das süffige Landschaftsgemälde an der beschmierten Wand, das sowas wie Platz suggerieren soll. Courtney reicht mir eine Limonadendose. Dankend nehme ich an und seufze: »Ich fühle mich, als hätte ich ein jahrelanges Workout absolviert.«

Sie grinst. »Hast du das ganze Wochenende die Beine hochgelegt? Dann ist es kein Wunder, wenn du erstmal wieder reinkommen musst.«

»Eher im Gegenteil«, sage ich, nehme einen Schluck von der Limonade und beobachte eine Kollegin, die am Getränkeautomaten steht. Man munkelt, das Ding habe schon mehr Jahrzehnte auf dem Buckel, als das Hotel selbst. Deswegen verschluckt es gerne mal die hart erarbeiteten Münzen, ohne dafür Trinken auszuwerfen. 

»Ich war mal eben in der Villa eines Mafiaboss eingesperrt, bis er mich auf seine Yacht nahm, wo ich beinahe ermordet worden wäre«, erkläre ich in dem Wissen, sie würde mich sowieso nicht ernst nehmen.

Courtney prustet, wobei ihr das Getränk über die Lippen läuft. Sie winkt ein Taschentuch zu sich heran, welches ich ihr schmunzeln vom angrenzenden Tisch reiche. Dann wischt sie sich das orangene Getränk von der Bluse. »Du bist lustig drauf heute. Zu viele Filme gesehen?«

»Ich wünschte, es wäre so…«

»Wir haben schon lange nichts miteinander gemacht, seit du bei mir ausgezogen bist. Hast du nicht Lust mal ins Kino zu gehen oder so? Wir können auch was essen«, schlägt Courtney vor, fläzt sich nach hinten und winkt unserem einen Kollegen zu, als er sich verabschiedet.

»Ich habe erstmal mächtig die Nase voll von Unternehmungen«, stöhne ich. Counter macht eine Schmollippe, weshalb ich schnell anfüge: »Sei mir nicht böse. Bitte, ja? Ich mache das auch wieder gut, versprochen.«

»Kann es sein, dass du die Nacht rumgestreunt bist?«, fragt sie und zieht die Augenbrauen anzüglich hoch.

»So bin ich doch nicht drauf, das weißt du.«

»Na, wenn es das nicht ist… Sag bloß, du hast ne’ Freundin.«

Ich beiße mir auf die Lippe. Soll ich ihr davon erzählen? Wie wird sie reagieren? Sie ist älter und erfahrener als ich. Vielleicht weiß sie Rat. Ich muss ja nicht gleich alles ausplaudern, nur das Wichtigste. Scheu werfe ich einen Blick rüber zu Courtney.

»Liege ich richtig?«

Ich beuge mich zu ihrem Ohr, um zu flüstern: »Was ich jetzt erzähle, bleibt unter uns, ok?« Sie nickt hastig. Dann seufze ich. »Erstmal sollte ich vielleicht… Also, ähm… Weißt du, ich stehe nicht so auf Frauen…«

Sie zuckt zurück und macht eine Schnute wie ein Kugelfisch. Dann grinst sie hämisch. »Also hat dir ’nen heißer Kerl den Kopf verdreht?«

»So ist das nicht«, wehre ich mich und laufe rot an. »Das ist ein wenig komplex. Also da ist so ein Mann… der ist echt unfassbar reich und attraktiv. Aber der will nur… naja, der will eigentlich nur Sex mit mir haben.«

»Also eine Freundschaft Plus?«, schlussfolgert Courtney vollkommen gelassen, während ich mich an meine Dose klammere und ihr aus Scham nicht ins Geschieht sehen kann.

»Er kauft mir alles was ich will und lässt mich in seinem riesigen Anwesen schlafen. Die Villa ist supermodern mit richtig viel Mamor, Regenduschen… und einem Pool. Er besitzt sogar… äh… eigene Bodyguards.«

»Das ist ja der Wahnsinn!«, kreischt Courtney, wodurch die anderen zu uns sehen. Ertappt zieht sie die Schultern ein und flüstert: »Das ist ja geiler als eine Sechs im Lotto!«

»M-Meinst du?« Unsicher morkele ich an dem Papier um meine Dose. »Ich weiß nicht wie er sein Geld verdient… Vielleicht ist das was Illegales oder so…« Es ist nicht gelogen, immerhin habe ich keinen Schimmer, woher Victors Geld eigentlich stammt und was sein Clan macht.

»Süßer« Courtney fasst mich bei den Schulter und fängt meinen Blick ein. »Ich hab dich zwar aus der Obdachlosigkeit geholt und würde dir eine scheuern, wenn du was Kriminelles anfängst. Aber mir klingt das eher nach einem reichen Typen, der auf dich steht. Wovor hast du Angst? Du bist jung und quicklebendig, warum lässt du dich nicht mal darauf ein? Deinen Erzählungen nach würdest du mit einem sexy Kerl rummachen, der dir gleichzeitig die Welt vor den Füßen ausbreitet. Und du willst es doch bestimmt auch mal ausprobieren, oder?«

Ich bin gerade dabei mir eine Antwort zu überlegen, da ruft es plötzlich aus dem Türrahmen: »Jesse?« Cole sieht erwartungsvoll zu mir und wenn ich aufstehe, um zu ihm zu treten, meint er: »Komm mal mit«

Na einem verabschiedenden Nicken zu Courtney folge ich meinem Chef. Wir gehen in sein kleines Büro mit dem giftgrünen Teppichboden, wo ich schlucke, wenn ich die Tür hinter mir schließe. Es ist nie gut, mit diesem ekligen Typen alleine zu sein.

»Ich weiß nicht, wie du die in der Chefetage dazu gebracht hast, aber dein Urlaub nächste Woche wurde genehmigt.« Cole wirft Unterlagen auf seinen Eichenholz-Schreibtisch. Dann lehnt er sich lässig dagegen.

»Welcher Urlaub?«, frage ich und überwinde den Abstand, damit ich den Zettel in meine Hand nehmen kann, auf dem mein Urlaub unterschrieben wurde. Ich runzle die Stirn.

»Du musst doch wissen, wann du Urlaub beantragst«, schnaubt Cole. Auf einmal spüre ich etwas meinen Rücken streicheln. Seine Hand über dem zarte Stoff meines schneeweißen Hemds legt sich an meine Haut wie ein Brenneisen. »Hast wohl mit deinen Äuglein geklimpert. Man kann sich auch hochvögeln, wenn’s mit arbeiten nicht klappt, was?«

Schaudernd mache ich einen so großen Schritt nach hinten, dass mir beinahe die Hose reißt. Coles Hand findet zu meinem Gesicht, aber ich schlage sie weg. Er tritt einen Schritt näher. Ich weiche einen Schritt zurück. Trotzdem macht er den Abstand wieder gut. In gleichem Tempo schreite ich nach hinten, bis ich an die Wand stoße. Dann finden Coles Hände neben meinen Kopf an die Wand.

Victor macht das auch immer, schießt es mir mit einem Mal durch meine Gedanken. Doch diesmal werden meine Hände nicht vor Aufregung nass und meine Lippen nicht vor Erwartungen trocken. Cole grinst hämisch. Wieso finde ich es nicht bei Victor abstoßend…

Meine Tagträume werden dadurch unterbrochen, dass mich Cole plötzlich küsst. Ich presse die Lippen im Ekel zusammen. Doch ich stoße Cole so schwungvoll von mir, dass er nach hinten auf seine faltenlose Anzugshose fällt. Danach berühre ich meine Lippen mit den Zeigefingern, als würde sie ein Film aus Schmutz und Schlamm überziehen. Ich verziehe das Gesicht und mache auf dem Absatz kehrt, um blindlings aus dem Gebäude zu stürmen. Erst beim Fahrrad atme ich tief durch und lasse meine zitternden Finger über meine pochende Stirn streichen.

Dann suche ich stampfend und schnaubend die Straße ab. Denn ich will das Chaos in mir gerade nicht stoppen. Zudem habe ich eine Ahnung, was dieses Schreiben von meinen Vorgesetzten zu bedeuten hat. Tatsächlich finde ich nach wenigen Metern, wonach ich suche.

»Hey!«, rufe ich laut zu Adrian und Elliot, die vor dem Zaun eines Hauses geparkt haben und miteinander erzählen. Überrascht drehen sie sich zu mir.

So klar, dass Victor mich nicht in Ruhe lassen kann, denke ich, verdränge völlig, was gerade in Coles Büro geschehen ist und bleibe vor den Beiden stehen, Es war so klar…!

»Mr Carter«, begrüßt Adrian.

Ich überspringe die Höflichkeiten, drücke ihm das zerknüllte Papier in die Hand. »Könnt ihr mir das erklären? Ich habe niemals Urlaub beantragt. War das euer toller Boss? Hat er sich jetzt auch noch in meinen Beruf eingeschlichen?«

Adrians Augen fliegen die Zeilen entlang, während Elliot genervt faucht: »Jeder andere Mensch wäre froh über seinen Urlaub. Du bist echt undankbar, du kleiner Hosenscheißer.«

»Also war Victor es?« Ich schüttle den Kopf. »Ich kann es nicht fassen. Was soll das? Warum schikaniert er mich?«

Adrian gibt mir die Urlaubsbescheinigung zurück. »Ich bin mir sicher, es war nicht die Absicht des Bosses Sie zu kränken. Unser Auftrag ist nur, Sie zu überwachen und nächste Woche Montag zu ihm zu bringen.«

»Was will er bloß von mir…?«, hauche ich schwach und lasse die Schultern hängen. Ein schmerzhaftes Ziehen nimmt meine Augen ein. »Warum tut er das…?«

 

Eine Nacht vergeht… 

Eine weitere Nacht verabschiedet sich hämisch winkend von mir…

Ich liege immerzu mit offenen Augen in meinem Bett und kann nicht abschalten, während die Woche im Eiltempo an mir vorbeizieht.

Diese Situation gab es schonmal – bei meiner Entführung. Auch da haben mich Adrian und Elliot auf Schritt und Tritt verfolgt. 

Sie stehen vor dem Hotel, ganze sechs Stunden lang, bis meine Schicht vorbei ist. Sie fahren mir hinterher, wenn ich einkaufen will und schauen mir danach in die Einkaufstüten. Sie stehen nachts vor meiner Wohnung, die sich wie ein Gefängnis aus Glas anfühlt. Und sogar auf Toilette, wenn ich einfach nur mal für mich sein will, habe ich das Gefühl überwacht zu werden. Zwar suche ich meine eigene Wohnung sogar nach Wanzen und Kameras ab, aber da sind keine… oder zumindest finde ich sie nicht.

Sieben Tage kämpfe ich mich durch wüste Beschimpfungen meines lieben Nachbars. Ich setze mich den sexuellen Übergriffen von Cole aus, der mir nach dem letzten Mal immer näher kommt. Selbst wenn Kollegen dabei sind, schreckt er nicht zurück, einen Spruch abzulassen. Dann sind da Adrian und Elliot – Sie tun mir nichts, aber durch ihre Aufsicht stehe ich unter Strom, als würde ich in mit meinen Steckdosen unter die Dusche steigen. 

Und ich frage mich, was ich tun soll.

Gibt es eine Zukunft für mich?, denke ich nach, als ich Sonntagabend im Van gekauert sitze, der mich zu Victor bringen soll. Immer weiter rutsche ich im Sitz herunter. Bald fallen mir die Augen zu. Draußen ist es schon dunkel. Die Lichter der Straßenlaternen scheinen bedingt zu uns. Auf dem Sitz neben mir steht mein brauner Reisekoffer. Er ist mit Kaffeeflecken und rot-blauen Nähten versehen, weil ich ihn vom Flohmarkt habe. Dennoch ist er von mir gänzlich unbenutzt. Wann sollte ich auch die Zeit und das Geld zu Reisen haben? Wie soll es ab jetzt weitergehen? Ich habe mir ein Märchenwunder gewünscht, aber mein Leben ist ein Schutthaufen. Wenn es so weitergeht, wird sich nie etwas ändern.

Wir biegen an der Kreuzung zum alten Rathaus ab. Ein kleiner Supermarkt erregt meine Aufmerksamkeit. Und ehe ich mich versehe, frage ich hauchend an Adrian gewandt: »Können wir hier kurz halten?«

»Das ist ein Spaß, Mr Carter?«, erwidert dieser, wodurch mir bewusst wird, dass direkt neben dem grün leuchtenden Billig-Supermarkt ein Polizeirevier steht.

»Ich meine den Laden… wollte nur was holen…«, murmele ich peinlich berührt. Ich beobachte, wie sich Adrian und Elliot abschätzige Blicke zuwerfen. »Wirklich nur eine Kleinigkeit. Was soll ich schon anstellen, wenn ihr mich bewacht?«

Tatsächlich halten wir auf den beinahe leeren Parkplatz. Nach kurzem Versichern an meine beiden Aufpasser, dass ich nicht lange brauchen würde, husche ich durch die Drehtür ins Geschäft und streife die Regale entlang. Erst die Ecke mit dem Kleinkram, dann zum Tiefkühler und zu den Knabberrein. So ganz weiß ich nicht, wonach ich suche, aber ich habe das Bedürfnis, nicht mit leeren Händen bei Victor zu erscheinen.

Egal was er angestellt hat… Er hat mir das Leben gerettet. Darüber kann ich nicht einfach hinwegsehen, denke ich, lasse meine Hand über das zerschrammte Aluminiumregal streichen und bleibe vor den Süßigkeiten stehen. Alles voll mit Karies – Bonbons, Kaugummis, Lutscher, Schokoladentafeln. Ich hoffe, er versteht das nicht als Zusage für sein Angebot… Mal schauen, was soll man einem milliarden-schweren Mafiaboss, der absolut alles besitzt, schenken?

»Sir?«, höre ich, als ich mich gerade für eine Schachtel Pralinen entscheide. Ein Mann tritt neben mich, doch wenn ich die blaue Uniform mustere, erstarren jegliche meiner Muskeln. »Verzeihen Sie die Störung, aber sie sehen sehr blass aus. Geht es Ihnen gut?«

»J-Ja…«, hauche ich schwach und drücke die Pralinen fest an mich.

»Tatsächlich?« Der Polizist zuppelt seine Mütze mit der Marke zurecht. Er deutet nach draußen. »Diese beiden Personen da starren schon die ganze Zeit herüber. Sie sind aus dem verdunkelten Van gestiegen, oder? Sind sie sich sicher, dass alles in Ordnung ist?«

Können uns Adrian und Elliot sehen? Verhalte ich mich verdächtig? Aber ich habe nichts falsch gemacht. Soll ich ihm sagen, dass ich entführt wurde? Werden Adrian und Elliot ihn erschießen? Oder wird er sie sogar erschießen…, rasen meine Gedanken. Schweiß sammelt sich auf meiner Stirn. Als ich über diese wischen möchte, schlottert meine Hand.

»Sie zittern ja. Haben Sie Angst? Werden Sie erpresst?«, redet der Polizist auf mich ein. Ich taumele zurück, schnappe nach Luft.

Was, wenn ich damit durchkomme? Victor wird mir das nicht verzeihen. Dann habe ich die Mafia am Hals, schreit alles in meinem Kopf. Und was, wenn die Polizei siegt? Dann kann ich endlich zurück nach Hause und mein altes Leben führen…

Auf einmal schmerzt mein pochendes Herz. Denn diese Erkenntnis befriedigt mich nicht. Sie tut merkwürdig weh. Ich will nicht in mein altes, schreckliches Leben zurück…

»Sir!« Ich werde bei den Schultern gepackt. 

Mein Kopf wirbelt hoch. Doch ich setzte ein sanftes Lächeln auf. »Haha… Tut mir schrecklich leid… Wissen Sie, meine Großmutter ist gestern verstorben, deshalb stehe ich unter Schock. Der Wagen draußen gehört dem Bestattungsinstitut und diese Männer sind meine… meine… äh, Brüder. Sie haben mich immer im Blick, weil sie befürchten, ich würde zusammenklappen, haha…«

»Mein aufrichtiges Beileid.« Der Polizist nimmt den Hut von seinem Kopf. »Es tut mir leid, Sie gestört zu haben. Bleiben Sie stark und sehen Sie nach vorne. Es kommen bessere Zeiten.«

Ich nicke zum Abschied, dann puste ich die angehaltene Luft aus, wenn er um das Regal abbiegt. Da geht sie, meine einzige Chance, von Victor loszukommen. 

Mein Puls beruhigt sich allmählich, wenn ich an der Kasse bezahle und zu meinen beiden Bewachern laufe. Allerdings werde ich von Elliot sogleich am Kragen meiner Jacke gepackt und gegen das Auto gedrückt.

»Was hast du dem Bullen erzählt. Hä?«, brüllt er mich an.

»Benimm dich!«, mahnt Adrian und zerrt seinen Kumpanen von mir weg. Dann straft er ihn mit bösen Blicken.

Elliot mahlt mit den Zähnen. »Der hat doch sicherlich gepetzt, dieser Hosenscheißer. Ich mach’ dich sowas von kalt, wenn du geplaudert hast. Darauf kannst du wetten.«

Mein Kopf senkt und meine Augen schließen sich erschöpft. Ich kann nur über meine eigene Entscheidung schmunzeln. »Lasst uns weiter. Victor wartet sicherlich schon.«


Nachwort zu diesem Kapitel:
Willkommen zurück!

Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen und ihr seid gespannt auf das nächste!

Da hat sich Jesse also dagegen entschieden, Victor zu verraten…
Eine Entscheidung, die er nicht mehr rückgängig machen kann. Wird er sie bald noch bereuen, wenn er erst beim Boss ankommt? Was genau erhofft er sich davon? Bleibt auf jeden Fall dran! ;)

Liebe Grüße


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