Wochenende in Manitoba von Vampyrsoul ================================================================================ Kapitel 3: ----------- »Oh mein Gott, ihr seid so toll!«, schrie Abby und sprang aus dem Auto, noch bevor ich richtig eingeparkt hatte. Schon seitdem wir die kanadische Grenze überquert hatten, gab es für sie kein Halten mehr. Die ganze Zeit hibbelte sie aufgeregt auf der Rückbank herum und erklärte immer wieder, wie sehr sie sich freute. Ich bewunderte, dass Steve das so lange stoisch ertragen hatte und sich trotzdem auf den Verkehr konzentrieren konnte. Für mich war schon die letzte Stunde anstrengend gewesen. Aus dem Haus, vor dem wir parkten, kamen drei Personen. Es war schon wieder länger her, dass sie sie zuletzt gesehen hatte, doch sie hatten sich kaum verändert. Was mir auffiel, war, dass Channing sich scheinbar die Haare geschoren hatte, während die von Ryan schon wieder so lang waren, dass sie sich auf seinem Kopf kräuselten. Ich fand das süß, aber ihn störte es in der Regel gewaltig. Gail hatte mir mal erklärt, dass es daran lag, dass viele Schwarze Menschen von klein auf erzogen wurden, ihre Haare nicht natürlich zu tragen. Auch sie hatte lange gebraucht, bis sie sich mit ihren abgefunden hatte. Kurz nachdem ich sie kennengelernt hatte, hatte sie sogar eine Phase, in der sie versuchte, ihre Haut zu bleichen. Mittlerweile war sie zum Glück schon lange von dieser Idee weg. Sobald Abby bei der Tür ankam, fiel sie allen voller Freude um den Hals. Mit einem breiten Grinsen folgte Gail ihrer Freundin. Steve blieb noch einen Moment sitzen, während ich weiter verzweifelt versuchte, in die Lücke zwischen Channings und Summers Wagen zu kommen. »Wow, ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir so viele sind.« »Ist das denn schlimm?« Das wäre natürlich schade, wenn es ihm wirklich zu viele neue Leute waren. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es ihn störte. »Nein, schon gut. Es wird sicher lustig.« Er lächelte mich an und stieg aus, nachdem das Auto auch beim dritten Versuch noch immer nicht richtig in die Lücke passen wollte. Eilig folgte ich ihm. Für den Moment störte das Auto am Straßenrand nicht und Gail konnte mit so großen Fahrzeugen deutlich besser umgehen als ich. Sie würde es mit Freude umparken. Die drei Personen musterten Steve neugierig. Ryan begrüßte mich zuerst, indem er mich kräftig in den Arm nahm. »Izzy! Schön dich wiederzusehen. Und wen hast du da mitgebracht? Ist das dein neuer Freund?« Er ließ mich los und hielt Steve die Hand hin. »Hi, ich bin Ryan und benutzte er als Pronomen.« Tja, damit sollte wohl klar sein, dass es nicht ausgeschlossen war, dass ich auf Steve stand. »Die beiden sind nicht zusammen«, stellte Gail für mich klar, als sie ihren Freund umarmte. Gern hätte ich Steves Reaktion mitbekommen, doch Summer sprang währenddessen an mir hoch und klammerte sich an mich. »Hallo Bubi, lange nicht gesehen.« »Hallo Wirbelwind, ich freu mich auch, dich zu sehen.« Ich drückte sie fest an mich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Channing stellte sich in der Zeit ebenfalls bei Steve vor: »Hi. Mach dir keine Illusionen, dass du das Schlimmste überstanden hast, nur weil du die Autofahrt mit den dreien überlebt hast. Es wird noch schlimmer. Ich bin Channing, Pronomen: le.« Da mich das kleine Monster wieder losgelassen hatte, bekam ich diesmal auch Steves Antwort mit: »Danke, es war wirklich nicht so schlimm. Ich mag die drei. Ach so: Ich bin Steve, er.« Diesmal klang er schon deutlich sicherer, sein Pronomen mitanzugeben, als noch in Rapid City. Er schien schnell zu lernen und sich anzupassen. Das gefiel mir. Summer wandte sich nun auch an ihn. »Hi. Ich bin Summer und für mich kannst du sie benutzen.« »Hallo.« Er winkte ihr leicht verlegen zu. »Weiterhin Steve und er.« Channing grinste, bevor le uns aufforderte: »Holt mal eure Sachen, dann können wir euch eure Zimmer zeigen.« Wir taten, wie uns geheißen, und betraten gemeinsam das Haus. Ich war im Gegensatz zu Gail und Abby noch nie dort gewesen und sah mich daher genauso neugierig um wie Steve. Das Wohnzimmer mit der offenen Küche war riesig und an den Esstisch passten ohne Probleme zehn Personen. Durch die Glasfront in Richtung Terrasse hatte man einen guten Ausblick auf einen ebenso großen Garten. Oberhalb des gewaltigen Zimmers befand sich ein Balkon, der etwa die Hälfte der Breite einnahm und auf dem ein Kickertisch und eine Tischtennisplatte zu sehen waren. »Wir hatten dich wohl etwas falsch verstanden«, wandte sich Ryan an mich, sobald alle durch die Tür waren. »Wir dachten, ihr seid zusammen, darum haben wir euch zusammen im Gästezimmer im ersten Stock eingeplant. Ist das trotzdem in Ordnung?« »Sonst kann auch einer von euch in das Gästezimmer hier unten. Allerdings hat das nur ein WC und muss das Bad im zweiten Stock mitbenutzen«, bot Channing an. Gail grinste gehässig und fiel lir ins Wort: »Oder Izzy kommt mit nach ganz oben.« Ich erschauderte bei dem Gedanken. Ich mochte die fünf, aber mit ihnen auf einem Stockwerk schlafen, war gleichbedeutend mit kein Auge zubekommen. Es war schon schlimm genug, wenn Abby in der WG zu Besuch war, beziehungsweise früher noch öfter Ryan und Channing bei uns gewesen waren. Channing schien den Ton nicht zu bemerken. »Ja klar, das geht auch. Gail wollte sowieso bei Ryan und mir schlafen, so weit ich weiß. Du müsstest dir dann das Bad mit Summer und Abby teilen.« »Wirklich lieb gemeint«, schlug ich das Angebot aus. »Aber ich hab keine Ohropax mit.« »Du bist aber auch empfindlich«, neckte Summer. »Nein, ich kenne euch nur sehr gut, meine Liebe.« Da sie sich nicht wehren konnte, wuschelte ich ihr durch die langen, dunkeln Haare. »Also von mir aus ist es okay, wenn wir uns ein Zimmer teilen.« Ich sah zu Steve. »Dir ist aber auch niemand böse, wenn du lieber allein schläfst. Ich kann dir nur sagen, dass du dann unten definitiv besser dran bist. Gerade Channing, Ryan und Gail kommen mitten in der Nacht auf die dollsten Ideen.« »Ein Mal!«, kam es sofort empört von Ryan, der die Arme vor der Brust verschränkte. »Einmal zu viel!« Ehrlich, wer kam mitten in der Nacht auf die Idee, man könnte ja mal ein paar Turnübungen machen! Steve biss sich leicht auf die Unterlippe, sah mich einen Moment verschämt an. »Wenn das für dich in Ordnung geht, dann können wir uns gern das Zimmer teilen.« »Sehr gern.« Um ihm seine Nervosität zu nehmen, lächelte ich ihn offen an. »Dann kommt mal mit.« Ryan ging voran die Treppen rauf. Im ersten Stock blieb er stehen und lotste Steve und mich zu einem Zimmer, während Channing die drei Frauen mit nach oben nahm. Der Raum war, genau wie das Wohnzimmer, schlicht und funktional eingerichtet. Im hinteren Bereich befand sich ein Wandschrank, der noch leer schien, der Rest des Raumes wurde von einem großen Bett dominiert. Immerhin musste Steve keine Angst haben, dass ich ihm im Schlaf zu nahe kam. Ich warf meine Tasche auf das Bett, Steves landete daneben. »Lasst euch beim Auspacken ruhig Zeit, das Essen dauert noch gut eine Stunde. Fühlt euch einfach wie zu Hause. Das Haus steht euch offen.« Damit verabschiedete sich Ryan und zog die Tür hinter sich etwas ran. Ich ließ mich mit einem gewaltigen Seufzer nach hinten auf das Bett fallen. Die Fahrt war anstrengend, auch wenn Steve die zweite Hälfte allein übernommen hatte. Für den Rückweg nahm ich mir vor, mich regelmäßig mit ihm abzuwechseln. Erschrocken sah ich auf, als plötzlich ein zweiter Körper neben mir landete. Steve hatte sich ebenfalls einfach fallenlassen und sah nun mit einem leichten Grinsen zu mir. »Wollen wir wirklich auspacken oder lieber ein Schläfchen halten?« »Kurz hinlegen klingt gut, aber ich würde dennoch gern vorher auspacken.« Obwohl er noch gut zehn Zentimeter von mir entfernt lag, war er mir ungewohnt nah. Einerseits wollte ich das ausnutzen, andererseits verwirrte es mich. »Hast recht.« Er sprang auf, schnappte sich seine Tasche und packte aus. Ich verfuhr mit meinen Sachen ebenso. Nach fünf Minuten waren wir fertig und er fragte: »Hast du dir schon das Bad angeschaut?« Ich verneinte und folgte ihm. Wie erwartet kam das Bad ebenfalls recht schmucklos daher. Dennoch war alles Nötige vorhanden: zwei Waschbecken, eine Wanne mit Duschvorhang und ein WC, sowie genug Ablagen für alles. »Das linke ist meins!«, verkündete Steve, rannte an mir vorbei und stellte seine Waschtasche demonstrativ auf das dünne Brett, das über dem Waschbecken angebracht war. Ich zuckte mit den Schultern und stellte meine zum anderen Waschbecken. Mir waren beide recht, im Grunde waren sie gleich. »Wollen wir uns dann wirklich noch hinlegen? Wir haben noch Zeit.« »Ich werd mich auf jeden Fall noch etwas ausruhen. So wie ich die anderen kenne, wird es ein langer Abend.« Ich verließ das Bad und zog mir die Jeans aus. Das Shirt konnte ich anbehalten. Als ich kurz aufsah, bemerkte ich, dass Steve mich beobachtete. Um ihn nicht zu verschrecken, wandte ich den Blick wieder ab und verzog mich unter die Decke. Er ging um das Bett herum und machte es sich bequem. »Kann ich heute Abend auf die andere Seite?« Ich drehte mich so, dass ich ihn ansehen konnte. »Ehm, klar. Von mir aus können wir auch jetzt schon tauschen.« Er nickte, erhob sich nur so weit wie nötig und kroch über mich. »Okay, ich wäre auch aufgestanden ...« Ich rutschte etwas weg, da er aber kein Problem mit Nähe zu haben schien, nur so weit, dass ich bequem liegen konnte. »Hat es einen besonderen Grund?« Er legte den Kopf auf das Kopfkissen und hielt sich die Hand vor das linke Auge, das sowieso halb vom Kissen und seinen Haaren verdeckt war. »Ja. Ich kann dich sehen, ohne den Kopf zu heben.« »Oh, ja klar! Sorry. Du siehst auf dem Auge gar nichts, oder?« Ich hatte ein paar Mal mitbekommen, dass er sich vor Dingen erschrak, die von links kamen, und sich das Auge kaum bewegte. Aber ich hatte ihn nie genauer danach gefragt. »Jupp. Wenn du mal was richtig Gruseliges sehen willst, kann ich es ja mal rausnehmen.« Er lachte lauthals, als ich bei dem Gedanken erschauerte. »Aber keine Sorge, ich kann trotzdem normal Autofahren.« »Das hoffe ich doch! Sonst muss ich mir nochmal deinen Führerschein zeigen lassen.« »Später.« Er rückte sich das Kissen noch einmal zurecht und zog die Decke höher. »Kannst du mir das mit Channings Pronomen erklären? Oder soll ich ... ehm, ja, da fängt’s schon an ... Also, soll ich Channing lieber selbst fragen?« Wieder biss er sich verlegen auf die Lippe. »Wie du magst. Du kannst auch lich fragen. Le freut sich sicher darüber.« »Mir ist das ehrlich gesagt etwas peinlich. Also ich kann ... le?« »Lich«, verbesserte ich. »Also ich kann lich nachher genauer fragen, aber kannst du mir das zumindest etwas erklären? Ich mag mich nicht vollkommen blamieren.« »Klar. Aber vorweg: Dir ist niemand böse, wenn du noch Fehler machst bei der Grammatik. Und auch so, wenn du dich mal vertust, dann entschuldige dich einfach kurz und verbesser dich. Mach da bitte kein Drama draus.« »Ja klar.« Er nickte verstehend. »Ich vermute, du hast noch nie mit Neopronomen zutungehabt?« Er schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, das lernst du ganz schnell. Ich find’s übrigens toll, dass du dich auch gleich mit deinem Pronomen vorgestellt hast.« »Danke.« Seine Wangen wurden leicht rot und scheinbar versuchte er, das mit der Decke zu kaschieren. Dabei war das gar nicht nötig. Er sah damit niedlich aus. »Da fällt mir ein: Welche benutzt du?« Er hatte recht. Ich war davon ausgegangen, dass es klar war, immerhin kannten wir uns schon eine Weile. Allerdings hatten wir nie darüber gesprochen. »Er.« »Okay, das kann ich mir merken.« Er grinste. »Kannst du mir dann wenigstens erklären, wie das mit dem Pronomen funktioniert? Alles andere frag ich dann nachher Channing.« Ich nickte und erklärte ihm dann, wie die verschiedenen Formen von le gebildet wurden und nannte ihm auch ein paar Eselsbrücken. Dadurch kamen wir zwar nicht mehr zum Schlafen, aber es zeigte sich, dass Steve eine Menge Fragen hatte, die ich ihm nicht beantworten konnte. Natürlich, ich hatte mich grob mit trans* Themen beschäftigt, aber für einen Teil der Fragen, verwies ich ihn doch lieber auf Channing und Abby. Ich wollte nichts Falsches sagen und wenn er sie beide in einer ruhigen Minute darauf ansprach, ob sie ihm vielleicht ein paar Fragen beantworteten, würde zumindest Channing sicher zusagen. Le war bei sowas ziemlich geduldig und so weit ich das beurteilen konnte, klang das nicht nach Fragen, die Steve nur aus Sensationslust stellte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)