[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 123: Vol. 5 - Rückkehr einer Legende, die niemals stirbt ---------------------------------------------------------------- Akira: Heute ist die Abschlusszeremonie. Wir haben dieses Schuljahr wirklich überlebt. Ich bin tatsächlich weiter am Leben. Krass. Ich weiß nicht, wie die Zukunft aussieht. Ich habe ehrlich gesagt ein wenig Angst vor ihr, weil so vieles in der Vergangenheit zerbrochen wurde und sich nicht mehr wiederherstellen lässt. Meine Mutter liegt unter der Erde begraben und mit meinem Vater konnte ich auch nicht über mehr sprechen als über das Ende, welches in meinen Augen der einzig wahre Weg ist. Das von mir geschriebene Ende, bei dem alle Beteiligten glücklich sein werden, auch wenn manche von ihnen nicht mehr da sind. Akane-san ist unwideruflich tot. Ich werde sie nie wieder sehen. Nicht in diesem Leben. Ich denke immer noch an sie. Ich werde immer an sie denken. Sie war eine wundervolle Frau. Ich denke, ein Teil von mir hat sie irgendwo wirklich geliebt, wenn auch auf andere Weise. Auf meine Weise. Ich habe sie so sehr geliebt. Ich bin mit Freuden in ihrer Liebe ertrunken. Ich ließ mich davon einlullen und ich war... glücklich. Es gab Hoffnung für mich und die setzte ich auf sie. Auf das Leben in ihrem Bauch, von dem ich viel zu spät erfahren habe. Verdammt, ich werde niemals drüber hinwegkommen. Ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie es wäre, wäre ich in jener Nacht stark genug gewesen, um sie zu retten. Auch wenn ich es versuche, es geht nicht. Es tut so weh an sie zu denken. Es tut so weh, daran zu denken, sie verloren zu haben. Sie und Kind, das wir beinahe zusammen gehabt hätten. Mein eigenes Fleisch und Blut. Das ist ein Schmerz, den ich mit niemandem teilen kann. Niemand würde mich verstehen, wenn ich sagen würde, wie schrecklich ich mich dabei fühle, einen verfickten Teil meiner Selbst verloren zu haben. Und obwohl es so wehtut, denke ich weiter an sie und lasse es einfach nicht ruhen. Lasse es nicht gut sein. Trauere weiter um sie. Um ihr Lächeln.  Um ihre Freundlichkeit. Um ihre Tollpatschigkeit. Um den schwarzen Haaransatz inmitten der rot gefärbten Mähne. Um das Violett ihrer Augen. Um Ihre Stimme. Um Ihre Schwäche für Romanzen. Niemals werde ich irgendwas dergleichen vergessen können. Niemals werde ich Akane-san vergessen können.  Ich werde Akane-san nie wieder in ihrer kleinen Wohnung antreffen können und trotzdem sind die Erinnerungen an sie so allgegenwärtig.   "Sei nicht traurig, weil es vorbei ist. Sei froh, dass es passiert ist.", wer das gesagt hat, weiß ich nicht mehr, aber das ist nicht der Punkt.   Ich bin traurig, weil es vorbei ist. So sehr, dass ich keine Ahnung habe, ob es besser wäre, wenn das alles nie passiert wäre oder ob es gut so ist, dass alles so gekommen ist. Je mehr man liebt, desto schlimmer ist es, wenn es vorbei ist. Man fragt sich, ob das alles es am Ende überhaupt wert war. Man wiegt das Schöne und das Schmerzhafte auf einer Waage ab, die einem auch keine hilfreiche Antwort geben kann. Liebe ist Schmerz, Schmerz ist Liebe und egal wie wenig Sinn das auf den ersten Blick ergibt, davon bin ich seltsam stark überzeugt. Zu lieben heißt, auch mal zu leiden, zu leiden heißt, dass man auch lieben kann. Es leidet immer der Teil von einem, der liebt.   Ich habe Akane-san geliebt. Ich habe auch meine leibliche Mutter geliebt. Ich habe, und das am allerheftigsten, Kyocchi geliebt.   Auch, wenn es aussichtslos war, ist und bleiben wird, - nein, gerade deshalb - muss ich diesen Weg gehen. Ich werde ihn noch ein letztes Mal sehen. Ich will ihn noch ein letztes Mal sehen. Ich sehe sie ein letztes Mal, meine große Liebe. Bevor ich für immer von der Bildfläche verschwinde. Bevor ich mich nur daran erinnern kann, wie sich seine seidig schwarzen Haare unter meinen Händen angefühlt haben. 'Du bist ein Idiot, Akira.', hallt sein Lieblingsspruch für mich in meinem Kopf wider.   'Nicht nur irgendeiner.', denke ich mir als Antwort aus. 'Ich bin dein Idiot.'   Ich schmunzle und dabei mein Herz bricht ein weiteres Mal. Reißt noch ein klein wenig mehr ein, so unscheinbar, dass es fast gar nicht passiert. Das geht mir näher als ich zugeben kann. Alter, ich meine, ein verficktes Loch in meiner Brust zu spüren. Doch fast perfekt getimt, spüre ich Sanaes zarte Stimme in meinem Ohr.   "Akira, und du hast auch wirklich alles?", will Sanae wissen. Ich nehme ihre Hand und lächle. Es ist gemein von mir, dass ich fast vergessen habe, dass sie da ist. Dass sie für mich da ist.   "Ich habe mehr als genug." Elvis: Der erste Ort, den ich sehen will, nachdem ich so lange der Schule ferngeblieben bin, ist das Klassenzimmer der 3-6. Nicht nur, weil mir beim Gedanken, diesen Vollärschen von Klassenkameraden über den Weg zu laufen ganz komisch wird. Und nachdem ein Messer, dessen Besitzer jetzt nicht namentlich genannt werden darf - du verdammte Hobelschlunze - meinem Innenleben einen unerwünschten Besuch abgestattet hat, findet mein Magen nichts dergleichen komisch genug, um sich nicht einmal umzudrehen. Mir ist jetzt schon schlecht, dabei ist doch überhaupt keiner in der Nähe. Vielleicht spielt da auch das Wissen mit, dass wir diesen Ort, wenn all das hier vorüber ist, nie wieder betreten werden, ebenfalls in meine Übelkeit mit ein. So schrecklich mein letzter Aufenthalt hier auch gewesen ist, das ist immer noch der Ort, an dem ich drei Jahre meines Lebens verbracht habe. Trotz dessen, dass ich einfach nur Elvis' Leben an seiner Stelle fortgeführt habe, nun ist alles anders. Es fühlt sich anders an. Ich fühle mich anders an. Ich habe meine Erinnerungen zurück und bin viel... reaktiver als vor all dem. Entsprechend empfinde ich etwas Neues. Ein neues Gefühl, welches ich mit diesem Gebäude in Verbindung bringe. Wehmut. Ich bin glücklich, aber auch traurig, hier zu sein und all diesen Reize in diesem Raum ausgesetzt zu sein.   "Ist alles in Ordnung, Ellie? Tut dir irgendwas weh?", möchte Chika wissen, die die ganze Zeit hier war. Sowohl das Jahr über als auch als sie mich bis hierhin begleitet hat.   "Ach, es geht schon. Danke.", sage ich und schenke ihr ein kleines Lächeln, woraufhin sie ebenfalls lächelt.   "Dann lass uns mal aufmachen.", schlage ich vor, doch ehe ich den Türgriff auch nur streife, höre ich schnelle Schritte und ein ebenso schnelles Keuchen. Ich drehe mich um und auf dem Boden liegt die Sportleiche von Barutani.   "B-Barutani-san, was ist denn mit dir passiert?!", quiekt Chika ganz erschrocken und erschrickt noch mehr, als diese ein wenig zu flott wieder auf den Beinen ist und uns scharf ansieht. Doch Schärfe in ihrem Blick durchweicht in dem Moment, in dem sich mein Blick und der ihre flüchtig begegnen.    Ihre Augen füllen sich mit Tränen, die sie sofort wieder wegzuwischen vermag. "Du bist also wirklich zurückgekehrt, Kyokei-kun.", sagt sie und ihre Stimme klingt fester als erwartet. Ihr Blick ist wieder fest. Du bist stark, Barutani.   "Es tut mir leid, dass ich dich nicht besuchen kam. Es tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe, dir in irgendeiner Weise von Nutzen gewesen zu sein, als man gegen dich war. Da ist so viel, wofür es sich zu entschuldigen lohnt, aber dann bin ich bis Weihnachten nicht fertig. Was ich eigentlich sagen will... Entschuldige. Und danke. Und...", jetzt bricht ihre starke Stimme aber doch und ich weiß nicht, ob ich ihr folgen kann oder nicht. Sie wischt sich erneut Tränen aus dem Gesicht, nur um wieder einen starken Blick aufzusetzen.   "Lebewohl.", sagt sie und kämpft ganz unauffällig erneut mit den Tränen. "Lebe auch du wohl, Failman-san.",   "Dir ebenfalls... Lebwohl.", erwidere ich nach einer kurzen peinlichen Stille. "Lebwohl, Yoshiko Barutani und danke. Fürs Verteidigen.", daraufhin strahlen ihre Augen und ihre Wangen röten sich, ehe sie mit beiden Handflächen in ihr Gesicht klatscht.   Dann lächelt sie und rennt schneller weg als Chika in Episode 1.   "Da werden Erinnerungen wach, nicht wahr?", versuche ich Chika an jenen schicksalhaften Moment zu erinnern.   Erst begreift sie nicht, worauf ich hinauswill, dann schnappt sie nach Luft und sieht mich mit aufgerissenen Augen an.   "Und wie, Ellie. Und wie!", haucht sie und ich spiele mit dem Gedanken, sie daran zu erinnern, dass sie blinzeln soll.   "Wir haben uns das erste Mal geküsst. Noch ein wenig warten und das ist unser Kuss-Jubiläum.", fällt mir auf.   "Dann sind wir nur leider Gottes nicht mehr hier und dürfen auch nicht rein. Irgendwie schade, es nicht so feiern zu können.", Chikas Wangen füllen sich spielerisch mit Luft.   "Ach, das ist schon in Ordnung.", finde ich. "Vielleicht können wir so nicht feiern. Aber jetzt können wir etwas anderes ähnlich feiern.", wieder schaffe ich es, meine Freundin zu verwirren.   "Was feiern wir beide neben dem Schulabschluss?", ich spüre, sie kommt sich herzlich dumm vor.   "Das kann vieles sein. Unsere Rückkehr an die Chinobara Oberschule. Die Rückkehr der Vergangenheit, die wir teilen. Die Rückkehr unserer unschuldigen Zweisamkeit außerhalb des Krankenhauses. Es kann alles sein, Chika. Alles, was es wert ist, gefeiert zu werden.",   Das Gold in ihren Augen meliert wieder mit den Sonnenstrahlen, die in den Flur fallen. Chika strahlt über meine Worte und nimmt mein Gesicht in ihre Hände.   "Du hast keine Ahnung, wie schön ich dieses Alles-Rückkehr-Jubiläum finde, das wir gerade haben.",   "Ach wirklich? Ich meine zu wissen, wie es noch schöner werden kann.", lasse ich sie wissen und schnappe sanft nach ihren Lippen.   Chika zu küssen macht immer Spaß. Es ist schön. Alles gerade ist so schön.   Als wir uns wieder voneinander lösen strahlt Chika weiter.   "Dann lass uns mal da weitermachen, wo wir eben aufgehört haben.", versuche ich noch einmal, in diesen Raum reinzukommen. Chika nickt fröhlich.   Zusammen legen wir unsere Finger in die Türöffnung und ziehen sie ebenfalls zusammen auf. Noch nie habe ich diese Tür so  sanft geöffnet.   Wir betreten den Raum ebenso sanft, als würde er in die Luft gehen, wären wir auch nur eine Spur zu gelassen und leichtfertig.   "Das weckt ebenfalls Erinnerungen, was, Ellie?", fragt sie mich und lächelt ihr süßes Lächeln.   "In der Tat, das tut es.", mein Blick fällt auf die letzte Reihe. Ich nähere mich meinem Tisch und fahre mit der Hand über die Tischplatte.   Die Beleidigungen und Todesdrohungen sind unkenntlich gemacht worden. Da es sich wohl nicht so gut mit einem herkömmlichen Schwamm und Wasser hat wegmachen lassen, griff die verantwortliche Person anscheinend zu ziemlich aggressiven Chemikalien. Jetzt ist der arme Tisch ganz hässlich. Ich hoffe, die Schule entsorgt ihn. Ansonsten bekomme ich Mitleid mit meinem Nachgänger. Die arme Sau fände das definitiv nicht lustig.   "Hey, Ellie, schau mal, wie cool das ist!", reißt mich Chika aus den Gedanken und ich hebe wieder den Blick in ihre Richtung.   Als ich das tue und die Tafel ansehe, prangt ein Schriftzug auf ihr, welcher Chikas Existenz manifestiert.   "Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweizer   "Ich bin beeindruckt, Chika. Das sind ziemlich bedeutsame Worte, wenn man bedenkt, dass dir dieses Zitat aus dem Nichts eingefallen ist.", gebe ich anerkennend meinen Kommentar dazu ab. Chika grinst schelmisch.   "Na komm, mach doch auch. Was auch immer du gerade fühlst, lass es raus. Wer auch immer das hier sieht oder nicht sieht, auch wenn hier sauergemacht wird, diese Worte sind geschrieben worden. Sie werden immer geschrieben worden sein."   "Eine Art indirekte Unsterblichkeit im Raum-Zeit-Kontinuum? Weil wir es in der Zeitlinie der Existenz getan haben und so dementsprechend als Vergangenheit allgegenwertig sind, auch wenn niemand das weiß?", versuche ich, ihre Intention dahinter zu erraten.   "Genau!", du bist die Einzige, der ich so etwas Verrücktes erzählen kann.   Ich humple also zur Tafel und Chika drückt mir das mickrige Stück Kreide in die Hand. Ich halte vor der grünen Leinwand inne und denke scharf nach. Was will ich dem Universum entgegenschreien? Was will ich getan haben? Was will ich gesagt haben? Was ist meine Spur in der Timeline der Existenz?   Erinnerungen durchfluten meinen Körper.   Erinnerungen an die Existenz. An den Schmerz, an die Freude, an den Frust, an den Schock. An alles, was zur Existenz gehört. Als wäre allein das Haften von Knochen auf Fleisch schon eine Schwerstarbeit.   Was habe ich gesehen?  Was habe ich gehört? Was wurde mir beigebracht? Was habe ich gefühlt?   Ich will eine Spur hinterlassen. Man soll wissen, dass ich hier gewesen bin. Ich will mich manifestieren. Ich will nicht vergessen werden. Nicht so, wie ich sie vergessen habe. Ich werde gewesen sein. Ich, Elvis Kyokei, ich... ich...   Und mit dem letzten vollendeten Hiragana* habe ich es geschafft. Ich habe meine Existenz manifestiert. Es ist albern, es scheint unbedeutend, aber ich fühle mich toll.   "Ich bin hier."**   Dann lache ich. Ich lache aus vollem Herzen. Daraufhin lacht auch Chika. Ich fühle mich erleichtert. Mir schießen Tränen in die Augen, so gut fühle ich mich. Die Erleichterung, nicht einfach nur zu tun, was ich als Platzhalter nun einmal tun muss. Die Erleichterung, aber auch nicht einfach leer zu sein. Die Erleichterung, tatsächlich zu mir selbst gefunden zu haben. All diese Erleichterungen erfüllen mich und lassen mich lachen. Es ist schön hier.   "Wie schön, dass es dir besser geht, mein lieber Kyokei-san.", höre ich aus dem nichts Kaishi hinter mir, der wieder seine Hand auf meine Schulter platziert hat, wie er es immer tut, wenn er mir zeigt, dass ich nicht allein bin.    Ich erschrecke zu Tode, als er das macht.   "Herrschaft noch mal, wo kommst du denn jetzt auf einmal her, Kaishi?!",   "Ach, von zu Hause. Wir haben ja schließlich noch ein wenig Zeit, bis die Abschlusszeremonie beginnt.", Kaishi lacht und fährt mir durch die Haare.   "Und schau mal, wer noch alles gekommen ist, um dich zu sehen.", referiert er mit einer Augenbewegung auf das andere Ende des Raums. Und ich bin sprachlos über diesen Anblick. Sie alle sind da.   "Leute, ihr... aber wie?", mir fehlen die Worte.   "Mal ehrlich, Elvis. Wenn jener einfach nur seinen eigenen Film fahren würde wie du, wären wir ganz sicher nicht hier. Wir haben nach dir gesucht, ist doch logisch! Und Barutani gefragt, die mich arme Sau um ein Haar überrannt hätte. Also echt.",   "Ach, ich bin sicher, du hättest Kyo-kun auch ohne Baru-chan gefunden, so wie du an ihm hängst. Sechser Sinn und so.", lacht Uchihara.   "Ach, halt doch die Fresse.", brummt Hanako mit geröteten Wangen und wendet den Blick ab.   Shuichiro verkneift sich ein Lachen, Akira versucht dasselbe und versagt dabei.   "Kyokei-chan.", Shuichiro wischt sich die Tränen aus den Augen und sieht mich an. "Glückwunsch!",   Mir fällt wieder ein, wieso wir eigentlich in der Schule sind. "Danke. Glückwunsch auch an dich, Shuichiro. An euch alle.", lasse ich durch die Runde gehen.   Uchihara fallen Chikas und meine Manifestationen auf der Tafel auf. Sie grinst erst das Gekritzel und dann uns beide an.    "Wenn ihr so freundlich wärt, ich muss das auch ausprobieren.", Uchihara grinst uns an, greift nach einem anderen Stück Kreide und schreibt auf, was auch immer sie aufschreiben will. Als sie fertig ist grinst sie uns erneut entgegen.   "Ich will die Selene zu jemandes Endymion sein."   "Für die Zukunft. Und weil ich es kann.", untermalt sie und hält das Stück Kreide auf offener Handfläche und mit ausgestecktem Arm in die Runde.   "Wer ist der Nächste?", fordert sie den weiteren Schreiber grinsend auf.   "Dann bin ich mal so frei!", fühlt sich Shuichiro berufen und greift nach dem Stück Kreide. Jetzt ist er es, der schreibt, was auch immer er schreiben möchte. Bei ihm steht:   "Wenn Call of Duty 'Ruf der Pflicht' heißt, besteht meine Pflicht aus essen, schlafen, zocken."   "Ich meine, kommt schon, ich werd' einfach LetsPlayer. Macht sicher Spaß!",   "Und fett macht es auch noch.", ergänzt Kaishi belustigt, woraufhin Shuichiro rot anläuft.   "Manno, ich bin nicht fett, das ist nur Babyspeck! Seit... siebzehn Jahren.", Akira lacht sich schlapp.   "Oh, Mann, Shuichiro, ich weiß jetzt schon, wessen zurückgebliebene Kommentare ich am meisten vermissen werde.", seufzt Akira und nimmt dem Riesenbaby die Kreide aus der Hand.   "Schicksal ist eine Bitch, aber ich bin ihr motherfucking Zuhälter.",   "Was zur Hölle soll das denn heißen? Bist du Vollzeit-Idiot oder was?", versteht Hanako nicht.   "Das wirst du verstehen, wenn du älter bist, Hanazawa.", winkt er ab.   "Ich bin älter als du!", schnauzt sie und klaut ihm die Kreide.   "Am Ende der letzten Staffel soll geklatscht werden, weil der Cast dieser Show sein Bestes gab.",   "Pah, was du kannst, kann ich ebenfalls!", knirscht Hanako, auch wenn sie dabei unpassend zufrieden aussieht.   "Hier bitte, Kazukawa-kun. Wenn Elvis und Chika schon an der Reihe gewesen sind, bist du der Letzte von uns.", fällt ihr ein und sie gibt Kaishi die Kreide, die es braucht, um sich auszudrücken.   Dieser lässt sich nicht lumpen und macht sich sofort an die Arbeit.   "Des Menschen Herz ist wie Quecksilber, jetzt da, bald anderswo, heute so, morgen anders gesinnt." - Martin Luther   "Ich halte mich einfach an Failman-san. Nur ein Zitat wäre ja irgendwie schade.",    "Kaishi-kun, ich bin so gerührt!", haucht Chika und ich fahre ihr kopfschüttelnd durch die Haare. Diese verrückte Nuss.   Eine Weile sind wir alle sieben ganz still. Niemand wagt, etwas zu sagen. Wir haben unsere Spuren hier hinterlassen, jetzt gibt es nichts mehr, was wir noch tun können. Hier waren wir also. Im Klassenzimmer der 3-6. Unsere Geschichte, nein, unsere Geschichten, werden immer hier sein wie abgestandene Luft. Ich glaube, jeder Anwesende ist sich dem bewusst. Wir werden alle mehr oder weniger getrennte Wege gehen. Wir tun, was alle Klassenkameraden am Ende der Schulzeit tun. Wir graduieren. Die Schwere in den Herzen aller hüllt auch mich ein und verbietet mir, auch nur irgendwas zu sagen. "Wir müssen zur Zeremonie." "Wir kommen zu spät." Würde ich irgendwas dergleichen sagen, wäre es vorbei. Unsere Zeit zusammen hier. Unsere Gegenwart. Niemand ist bereit dafür, niemand wird je dafür bereit sein, aber ich beiße in den sauren Apfel - in den vergifteten Apfel -, als ich sage: "Lasst uns gehen. Die Zeremonie beginnt gleich."   ***   Und nun sitzen wir hier, in der Sporthalle, darauf wartend, aufgerufen zu werden und sich die eine oder andere Anekdote des einen oder anderen Abschlussklässlers anzuhören. Schöne "Oh mein Gott, es ist Kyokei-kun! Und Failman-san!", entfährt es einem Mitschüler als er uns beide die Sporthalle betreten sieht. "Ellie!", schreckt Chika auf, als ich plötzlich auf dem Boden liege. Urplötzlich bin ich umarmt worden. "Barutani?Könntest du bitte-...", sofort lässt sie mich wieder los, verbeugt sich und rennt mit hochrotem Kopf davon. "H-hey! Barutani! Was ist mit ihr?", verstehe ich nicht. "Ach, Kyokei. Du bist doch endblöd.", höre ich Asahina seufzen, der sich ebenfalls zur Traube dazugesellt. "Die Olle steht auf dich!", hilft er mir auf die Sprünge. Und als er mir aufhilft, kann ich nicht mehr als mich über seine komische Hilfsbereitschaft zu wundern. "Asahina, was-", "Schnauze. Es ist ja nicht so, dass ich deinetwegen irgendwie netter zu Leuten sein will... Arsch.", brummt er. "Sieh an, der gute Asahina hat es ja doch noch geschafft. Und ich dachte, dir werden vom Mobbing-Business niemals die Schlüpfer voll!", lacht Yamato über die Situation, woraufhin Asahinas Wangen noch roter werden als Taiyos Haare. "W-weißt du was, Yamato? Fick dich! Von allen Nebencharakteren dieser Serie bist du der mit Abstand nervigste!", keift Asahina und macht auf dem Absatz kehrt. "Pah, ich geh dann mal! Bin eh nur gekommen, um auf Herr Verschwindibus zu warten. Der Ehrenrunden-Squad hat hier heute eh nichts verloren...", hört man ihn noch grummeln, ehe er komplett verschwindet. Ich unterdrücke ein Grinsen und schaue mich in der Menge nach meinen Leuten um. Heute ist ein ganz besonderer Tag. Einer, den wir alle nicht vergessen werden. Dass ich meine Schuluniform überhaupt noch anziehen würde, hätte ich nicht gedacht. Ich wusste nicht mal, ob mir der Schulabschluss nach allem überhaupt möglich ist. Schließlich habe ich ziemlich lang im Krankenhaus gechillt und dort alles unter Beobachtung gemacht. Ich habe einen Notendurchschnitt von 91 Punkten, ich bin ziemlich zufrieden. Chika ist ebenfalls zufrieden, auch wenn sie mit ihren 73 Punkten ein wenig geschmollt hat, dass ich so viel besser bin als sie. Na ja, wie auch immer, heute werden wir vielleicht in die Geschichte eingehen, wenn auch nur für uns allein. "Ich bin froh, dass du es hierher geschafft hast, Kyokei-san.", höre ich Kaishi, der wieder seine Hand auf meine Schulter platziert hat, wie er es immer tut, wenn er mir zeigt, dass ich nicht allein bin. "Ich bin auch froh! Heute sind wir endlich fertig mit der Schule und können krasses Zeug machen! Ich werde jetzt offiziell zertifizierter Fortnite-YouTuber!", kommt nun auch Shuichiro, der wieder, anders als ich, ohne Krücken gehen kann, wenn auch schwer. Vermutlich versucht er es gerade aus, ohne es wirklich zu dürfen. Ob er das getan hat, um für heute besonders gut auszusehen? Hach, Shuichiro, dieser Kerl ist einfach nicht von dieser Welt.   So sind wir einfach, die Gang. Eine absolutes generische Auswahl an Charakter-Klischees und zugleich unvergleichliche Freunde, ohne die ich einfach nicht leben kann. Aber wo ist denn eigentlich Akira? Ich erblicke ihn irgendwo in der Ecke der Sporthalle mit Uchihara-san reden. Sie scheinen wirklich vertieft zu sein. Was die gerade wohl am besprechen sind? Doch ehe ich länger drüber nachdenken kann, hat die Zeremonie bereits begonnen. Der gravierende Moment im frühen März, der Moment, auf den der ganze Jahrgang das ganze Jahr gewartet hat. Als alle Platz genommen haben, muss ich stets daran denken, dass auch ich ziemlich gleich sogar etwas sagen muss, wenn ich mein Zeugnis erstmal bekommen habe. Verflixt, was, wenn ich mich verhasple? Scheiße, ich habe wirklich absolut nichts auswendig gelernt, was ich da oben sagen werde! Im Krankenhaus waren es bloß irgendwelche Stichwörter, die ich mir aus dem Hut gezaubert und aufgeschrieben habe. Ich habe nicht mal einen Hut! Die Mützen-Masche gehört meinem Bruder, ich dagegen trage weder etwas auf dem Kopf noch fühle ich mich danach, der großen Masse etwas Cooles, Kluges oder Witziges mitzuteilen! Ich werde es so verbocken! Ich kann mich nur gerade so auf die Reden der anderen konzentrieren. Ich spüre eine Hand in der meinen. "Es wird alles gut, Ellie schafft das!", flüstert Chika, die meine Hand genommen hat, als sie meine Nervosität bemerkt hat. Ich lächle schüchtern und schrecke auf, als urplötzlich mein Name aufgerufen wird. "Wird schon schief gehen.", murmle ich grinsend, als ich mit zittrigem Knie und leicht beschämtem Krückengang den Weg auf die Bühne finde. Als ich mit einer Hand das Zeugnis dankend entgegen nehme, sehe ich auf die Menge. Alle Blicke sind auf mich fokussiert. Ich schlucke kurz und atme. Dann stehe ich vor dem Mikrofon. "Hi. Mittlerweile ist es sicher kein Geheimnis, dass in letzter Zeit viele Dinge, unschöne Dinge im Bezug auf mich in der Klasse und außerhalb vorgefallen sind. Ich entschuldige mich hierfür. Das Leben ist nicht in schwarz und weiß unterteilt sagt man, und vermutlich bin ich das beste Beispiel dafür, wer die Grauzone als Ausrede missbraucht. Aber das Grau kann man waschen, wie ich ebenfalls erkannt habe. Dinge können nicht immer rückgängig gemacht oder repariert werden, es gibt Dinge, mit den muss man einfach leben. Dinge wie eigene Fehler, falsche Entscheidungen oder die graue Spirale der Ewigkeit. Aber das ist okay, denn hier sind mir auch viele gute Dinge widerfahren, die ich auch jetzt, nachdem ich mehrmals abgestürzt bin, nie vergessen werde. Es war eine schöne Zeit mit meinen treuen besten Freunden, Lehrer, denen ich dankbar bin und meiner Freundin, Chika Failman. Danke dir, dass du an meiner Seite bist und mich nicht aufgabst, als ich das tat. Danke an alle Beteiligten, Lehrer, Mitschüler, für die drei unvergesslichen Jahre an der Blutrosenoberschule, in denen ich lernen durfte, was wirklich wichtig ist." Dass mir das einfach spontan eingefallen ist. Uff. Es ist still, dann kriege ich tosenden Beifall. "Go, Elvis! Go, Elvis!", "Das ist unser Sohn!", ich bin etwas peinlich berührt, als ich Taiyo und meine Eltern da jubeln höre. Doch während ich abgehe, winke ich und sage: "Das ist meine Familie!". Nachdem alle ihre Zeugnisse erhalten haben, gibt es wohl noch ein kleines Extra. Angeblich soll das alle Schüler an die Zeit der Oberschule erinnern, ehe sie sich in alle Himmelsrichtungen verstreuen. Plötzlich erhebt sich Hanako aus ihrem Sitz und geht zur Bühne. "Liebe Schülerinnen und Schüler, ehe ihr alle euren Weg geht, wird es noch eine bewegende Darbietung einer Schülerin geben, die mich bat, all ihren hier anwesenden Freunden, noch ein Lied mitzugeben. Lauscht nun den Tönen unserer geschätzten Hanako Hanazawa aus der Klasse 3-6.", kündigt Katsuoka-sensei an. Dann erklingt das Lied "Ich bitte dich um Flügel". "Ich hege einen Wunsch, so lange, ich wünsch es mir, erfüllte er sich jetzt, hätt' ich nun ein Paar Flügel. Bitte lass ihn wahr werden, meinen Wunsch von gefederten Weiß auf meinem Rücken, um zu fliegen wie ein Vogel! Hoch am Himmel will ich sein, von ganz unten winzig klein, fliegen, frei sein und nie mehr wein'. Breit ich meine Flügel aus, bleibt die Traurigkeit dann aus, Ich steige nun ins Blau empor, wie nie zuvor~" Auch Hanako erntet ein begeistertes Publikum und ist mehr als gerührt, dass dieses ihren Gesang so feiert. Damit ist die Zeremonie beendet, draußen lachen und heulen die meisten. Auch ich muss mir am großen Ende die eine oder andere Träne verdrücken. Wir haben es also wirklich geschafft. Gerade plaudern wir, die ganz aus dem Main-Cast meines Lebens, Chika, Kaishi, Shuichiro, Chika und Hanako, über die Dinge, die wir planen zu tun, als Shuichiro plötzlich auffällt, dass Uchihara-san und Akira sich reichlich Zeit damit lassen, uns beizuwohnen.   "Wo sind eigentlich Akira-chan und Uchihara-san?", wundert er sich.   "Die beiden lassen sich wirklich alle Zeit der Welt. Ziemlich unverschämt meines Erachtens nach.", brummt Kaishi.   "Nicht aufregen, Kaishi-kun. Die beiden kommen bestimmt jeden Moment. Außerdem sind wir doch erst seit fünfzehn Minuten hier draußen oder so.", beschwichtigt ihn Chika.   "Ich denke, ich sehe mal nach. Ich traue Akira nicht zu, zu verschwinden, ohne episch Tschüss zu sagen.", gebe ich meinen Senf dazu und mache mich so schnell es mit einem Bein geht auf den Weg.   "Kyokei-chan, warte! Du kannst uns doch nicht auch noch verlassen!", ruft mir Shuichiro nach, aber ich humple weiter den Weg, der von der Schule wegführt.   *** Der Weg erscheint schmerzhaft lang. Dann endlich sehe ich ihn. Er steht einfach da und sieht sich melodramatisch die Aussicht von hier auf Windstillhausen an. Seine weißen Haare wehen dabei traurig im Wind. Noch nie hat der Anblick eines Rückens mich so viel Trauer spüren lassen.   "Warte, Akira, die Party ist doch noch gar nicht vorbei!", versuche ich, ihn aufzuhalten, wobei auch immer.   Ich nähere mich ihm und greife völlig außer Atem seine Schulter. Als er sich zu mir umdreht, sieht er wehmütig aus. Er sieht mich melancholisch an, aus Augen, die so grau sind wie der bewölkte Himmel. Der gleiche Himmel wie an dem Tag, an dem er nicht an meiner Seite war, als ich ihn am meisten brauchte...   "Kyocchi, du hast doch meinetwegen ein Bein verloren, oder?", fängt er wieder damit an.   "Was willst du damit sagen? Es ist doch wieder dran. Das ist nicht deine Schuld gewesen. Ich bin davongelaufen. Ich habe dir schlussendlich zuerst wehgetan. Nach Strich und Faden habe ich dich benutzt, um nicht jemandem zu verfallen, dem ich insgeheim eigentlich verfallen bin. Du hast gefälligst nicht so schuldbewusst zu gucken, hast du verstanden? Jetzt komm und bleib!", rede ich ihm das aus, aber es sieht nicht so aus, als ob das was bewirkt.   "Du bist echt lieb, Kyocchi. Ich bin froh, dass ich dein bester Freund sein durfte.", flüstert er und ein paar Kirschblüten fliegen an uns vorbei. Der Wind trägt sie fort, sie verrotten wenig später. Der Kirschblütenregen ist nie von Dauer, weil auch der Frühling nicht von Dauer ist. Dann gibt es neue Kirschblüten, während die alten nie wieder zurückkehren.    "Ich bin nicht lieb. Ich verdiene es nicht einmal, dass du mich bei diesem Spitznamen nennst.", knirsche ich. Akira lächelt gequält.   "Glaub mir, du verdienst jeden niedlichen Spitznamen der Welt, Alter.", vor seinen Augen ist der allseits bekannte Nebelvorhang, der ihn aussehen lässt, als wäre er nicht ganz bei sich.   "Du bist doch verrückt.", daraufhin lacht er leise.   "Ich war glücklich, dass du es warst, Kyocchi. Ich bin auch jetzt glücklich, dass du es bist. Ich werde immer glücklich sein, dass du es gewesen bist.", mir schwant nichts Gutes bei dem unterschwelligen Ton, der in seinen Worten mitschwingt.   "Ich werde vielleicht nicht zurückkehren.", ich hätte es wissen müssen. Nein, ich wusste es bereits.   "Wieso das denn? Warum solltest du das nicht? Was ist denn überhaupt los, Akira? Du bist die ganze Zeit so... seltsam.", dass alles passt mir nicht. Diese ganze Situation ist wie eine Tablette, die zu breit ist, um meinen Hals zu passieren und zudem noch viel zu bitter ist.   "Vielleicht bin ich das. Aber du musst ohne mich weitermachen, Kumpel. Wir wissen beide, das ist das Beste für uns beide.", was zur Hölle redest du da?    "Was soll das denn schon wieder heißen? Das Beste für uns beide? Dass ich nicht lache, das ist doch lächerlich! Ich will nichts davon hören! Nichts davon, wie du abhaust, jetzt, wo alles perfekt sein könnte. Hör auf, mich so anzusehen, als ob das hier wirklich das Ende vom Ende wäre! Ich will nicht, dass es das Ende ist! Und du willst das auch nicht! Ich sehe dir doch an, dass du nicht wirklich gehen willst! Mir egal, ob ich unsere Freundschaft erst später zu schätzen gewusst habe und die Gefühle anderer Menschen verstanden, aber... nicht mal ich habe verdient, so zurückgelassen zu werden!", keife ich und meine Augäpfel brennen.   "Kyocchi, bitte. Mach es mir doch nicht so schwer.", murmelt er und senkt den Blick.   "Natürlich mache ich es dir schwer! Ich bin dein Freund, Akira! Und auch du bist mein Freund. Das hast du mir immer gesagt. Hast du eine Vorstellung davon, wie das alles gerade auf mich wirkt? Nach so einer grauenvollen Nacht wieder mit allen zusammenzufinden hat mich wirklich glücklich gemacht. Zu glauben, dass jetzt, wo ich dich durch die Erinnerungen nun vollständig kennengelernt habe, wir einander wieder eine Chance geben könnten, hat mich wirklich glücklich gemacht. Wie kannst du erwarten, dass ich dich nach all dem einfach so gehen lassen kann? Andere Frage, wieso ist es für dich denn so leicht? Mich und alle anderen einfach so zu verlassen? Hast du in mir überhaupt jemals wirklich einen Freund gesehen? Hast du mich überhaupt jemals geliebt, wie du meintest?! Ist das alles, was ich dir jemals bedeutet habe, Akira?!", werfe ich ihm an den Kopf.   "Das stimmt nicht, Kyocchi. Du weißt, dass das nicht stimmt.", widerspricht er leise.   "Dann sag mir... wenigstens, wieso du gehen musst. Wieso du mich so kaltherzig wegwerfen musst. Wieso kannst du nicht einfach wieder der Akira sein, den ich gekannt habe? Mein bester Freund Akira.", will ich wissen.   "Weil unser Weg in keinem Universum der gleiche geblieben wäre. Egal, wie ich dir nach deinem Verschwinden begegnet wäre, es wäre auf diesen Punkt hinausgelaufen. Ich hätte in keiner dieser alternativen Realitäten die Kaltherzigkeit besessen, die Fresse zu halten, immer wäre ich irgendwann mit der Sprache rausgerückt. Es hätte immer damit geendet, dass ich den Verstand verloren und dich gekränkt hätte. Dich erneut zerstört hätte. Ich habe geglaubt, mit dem Wechsel auf die Oberschule und dir, der sich an nichts erinnern kann, würden sich meine Sünden in Luft auslösen. Daran wollte ich wirklich glauben. Ich wollte daran glauben, dass es möglich wäre, noch ein zweites Mal dein Freund zu sein. Ich lag falsch, Kyocchi. Ich lag so unglaublich daneben. So sehr, dass es wehtut. Es brennt, mein Gott. Bitte sei doch vernünftig. Sei noch ein bisschen sanft zu mir. Mach es nicht noch schlimmer, in denen du die Tatsachen verleugnest." murmelt er fast klanglos. Ich senke den Blick. Mir sind alle akzeptablen Worte für Abschiede wie weggeblasen.   "Mistkerl. Ich hasse dich.", flüstere ich nur.   Und kaum habe ich das ausgesprochen, spüre ich wieder seine Lippen auf meinen. Es kommt so plötzlich, dass ich mich fragen muss, ob ich mir das nur einbilde. Mir seine Dummheiten einbilde, damit es für mich so aussieht, als ob noch viele weitere Dummheiten auf diese folgen würden. Aber das hier ist echt. Akira ist echt. Was angebracht wäre, wäre ihn von mir zu schieben, weil ich eine Freundin habe und sie liebe. Und das stimmt, ich liebe sie. Ich liebe sie und ich will sie in diesem Leben noch viel öfter küssen als jetzt. Doch der Kuss hier, den ich mit Akira habe, der ist so... anders als der aller bisher. Er rammt mir nicht die Zunge in den Hals, um mir seine Lust aufzuzwingen. Er fährt mir nicht in die Hose, um mich zu verführen. Ich habe das Gefühl, als wäre Akira zum ersten Mal nicht einfach nur geil oder verzweifelt im Bezug auf mich. Akira ist, er ist einfach nur... zärtlich. Er ist lieb. So sanft war es zwischen uns noch nie. In seiner Berührung liegt... Abschied. Reue. Zuneigung. Trauer.   Akira ist traurig. Er ist verletzt. Dieser Junge sieht keinen anderen Ausweg und genauso wenig sehe ich einen. Das hier passiert nur, weil er genau weiß, dass es nicht mehr passieren wird. Dass dies unser letzter Kuss ist solange wir leben. Und darüber hinaus. Die Berührung unserer Lippen versiegelt das mit uns, lässt es ausklingen, lässt es enden. Dass man uns sehen könnte, dass Chika uns sehen könnte, dass alles macht mir Angst. Aber würde ich zurücktreten und ihm ins Gesicht sehen anstatt die Augen zu schließen, würde es so schrecklich wehtun. Weil er mich liebt. Und weil es endet. Das hier ist der allseits bekannte Kiss of Death.   "Ich hab dich lieb, Kyocchi.", teilt er mir mit, als er sich von mir löst.   "Ich liebe dich.", und fährt mir ein letztes Mal durch die Haare.   "Lebwohl, mein Freund. Und danke für alles.", sind seine letzten Worte an mich.   Dann höre ich, wie sich seine Schritte von mir entfernen. Sie werden immer leise, bis ich ihn nicht mehr laufen hören kann. Wenn ich meinen Blick hebe, werde ich ihn vermutlich auch nicht mehr sehen. Nie wieder.   *** "Ellie, ist alles in Ordnung?", fragt mich Chika, die plötzlich hinter mir steht.   "J-ja, alles bestens. Lass uns zurück zu den anderen gehen.", schlage ich vor.   "Du hast gefunden, wonach du gesucht hast, oder?", will sie etwas geistesabwesend wissen.   "Das habe ich.", flüstere ich.   "Das freut mich.", teilt sie mir mit.   "Du hast hart gekämpft, stolzer Krieger.", murmelt sie.   Ich streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht.   "Du aber auch.", daraufhin lächeln wir etwas traurig und gehen schlussendlich wirklich.   Auch wenn ich in Gedanken immer noch an Ort und Stelle stehe. Ob auch Akira vorhat, zu einer Erinnerung zu werden wie mein Vater? Ob ich ihn jemals wiedersehe? Das eben war wirklich ein Abschied, oder? Der letzte Tag. Er will gehen. Ich lasse ihn gehen. Vielleicht hat er Recht und es ist das Beste. Wenn wir getrennte Wege gehen. Wenn ich vergesse, wie sich seine Lippen auf meinen angefühlt haben. Wenn ich vergesse, wie ich mich parallel beinahe in ihn verliebt hätte und damit erneut verletzt worden wäre. Ich vergesse es nicht. Akira ist mein bester Freund und das ändert sich nie. Niemals. Ich denke daran zurück. Dass ich unsere Freundschaft viel mehr habe beschützen wollen und sie gerettet hätte, würde man mir den Wunsch gewähren, in die Zeit zurückzukehren, um noch einmal mit ihm befreundet zu sein. 'Ich danke dir.', das war es, was ich ihm sagen wollte. Das war es, was ich ihm bis zuletzt aber nicht sagen konnte. Jetzt bereue ich, diese Chance verpasst zu haben. Wie in dem Lied, die Vorahnung, die der Winter mir gab. Das war unser letzter Tag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)