[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 61: Vol. 3 - "Bodere" Arc: Die Grenze von Diesseits und Jenseits ------------------------------------------------------------------------ Elvis: Heute geht das Jahr vorrüber. Als meine Eltern am Morgen dann zurück kamen, war etwas anders. Das Auto war kaputt und sie kamen mit dem Zug her. Irgendetwas sagt mir, dass der Verlust unseres Autos meine Mutter nicht so kaltlässt wie sie möchte, dass es rüberkommt, fein nach dem Motto, "Unfälle passieren, passt schon.". Irgendwas liegt in der Luft und offensichtlich bin ich der Einzige, der es riechen kann. Zumindest lässt Taiyo es sich nicht anmerken. Irgendwas scheint sich gelöst zu haben. Sie wirken unbefangener, freier so als wären sie wirklich ein normales Ehepaar und gleichzeitig irgendwie geistesabwesend, und zwar alle beide. Doch darüber denke ich lieber nicht zu intensiv nach, denn auch Chika hat wieder diesen Blick angenommen, der mir sagt, dass sie mir etwas Wichtiges sagen will, wenn wir allein sind, nur wir beide. Nur waren wir diese Ferien ja nicht sonderlich oft allein. Feiertage eben. Jetzt sitzen wir alle, wieder in der Wohnung meiner Eltern, vor dem Fernseher und sehen dabei zu wie irgendwelche Leute auf rutschigen Treppen ausrutschen und dabei ihre Konkurenz mitreißen. Normalerweise bin ich ein ziemlich belustigter Sadist, was diese Sendung angeht, aber irgendwie bin ich wieder mit den Gedanken woanders. Wenig später gehe ich in mein Zimmer zurück, Chika hinterher. Ich weiß nicht, wieso ich gegangen bin, aber vielleicht wollte ich einfach, dass sie mir folgt. "Sag mal, Ellie, bedrückt dich vielleicht etwas?", will sie wissen und ich halte in der Mitte des Zimmers inne. Ich setze mich aufs Bett und seufze, ich muss erst nachdenken, was ich ihr von allem, was mich bedrückt, wirklich sagen möchte. Es gibt genug Dinge, die für die Ohren keiner bestimmt sind. "Meine Eltern, ich... ich weiß nicht, wie sie zueinander stehen, nach der Sache mit dem Autokino und dass wir nun kein Auto mehr haben, ich weiß nicht, das alles hat einen echt seltsamen Beigeschmack für mich, ich... denke an meinen leiblichen Vater, der ihnen jetzt dabei zusieht, wie sie glücklich sind, ohne ihn.", kommt nun einfach alles raus. Es ist immer wieder erstaunlich, wie ehrlich ich in Chikas Anwesenheit sein kann, das ist bei sonst keinem so. "Verstehe, du hast Angst, dass die Zukunft sich mit der Vergangenheit beißt und damit die Gegenwart ins Wanken gerät, stimmt's?", goldrichtig, Chika, du bist schlauer als du glaubst. Ich sehe wieder zu ihr um und sehe, wie sie die Tür schließt. "Kann ich dir denn nicht irgendwie in deiner Trauer helfen?", fragt sie mitfühlend. "Ich bin nicht traurig, es... ich weiß einfach nicht, was ich fühle, aber... nein, ich glaube, da kann man gerade nichts machen.", bedaure ich und wie aus dem nichts springt sie mir vor die Beine und sieht mich vom Boden aus an. Das erschreckt mich. Sie sieht mich gebannt an und ich überlege, ob ich nicht vielleicht doch noch etwas anderes sage. Ihr gestehen soll, dass ich sie mit Akira betrogen habe. Und nicht sagen kann, dass es nie wieder vorkommt, weil ich für Erinnerungen weitergehen würde als ich zugebe. "Shun-sama und Setsuna-sama schaffen das, ich bin sicher!", meint sie felsenfest überzeugt. "Die beiden sind unglaublich, sie sind stark, du musst einfach darauf vertrauen, dass ihr euch gegenseitig die Angst vor der Zukunft nehmen könnt, Ellie!", lautet ihre Devise. Je aufrichtiger ihre Worte sind, desto mehr tun die Schuldgefühle in meinem Herzen weh. Es brennt und ich habe Angst, daran zu ersticken, es ist nicht auszuhalten. Ich... ich bin so ein Mistkerl. Wieso habe ich nicht die Eier, ihr die Wahrheit zu sagen? Was mache ich eigentlich hier? "Ach, Chika... Du bist echt der Wahnsinn, weißt du das?", bemerke ich leise und mustere ihr Gesicht. Sie sieht nach wie vor besorgt aus um mich. "Ich kann immer noch nicht glauben, dass du dich in jemanden wie mich verliebt hast. Du bist immer nett zu mir, gibst mich nicht auf und tust alles, was in deiner Macht steht, damit ich mich wieder erinnere, egal wie unmöglich es scheint. Du warst es, die mich aus meinem leeren, trostlosen Alltag gerettet hat. Du hast mich wissen lassen, dass die Welt mehr bietet, als Menschen, die ich sowieso schon kenne und Dinge, die ich sowieso schon gesehen habe. Durch dich waren die Menschen in meinem Umfeld mehr als ein Haufen seelenloser NPCs, die für mich nicht weiter von Bedeutung sind. Ich endlich mehr in ihnen sehen als Mittel zum Zweck. Dank dir habe ich angefangen, mich aufrichtig für andere zu interessieren und nicht nur für mich zu leben. Du hast mir mehr gegeben, als ich jemals zurückgeben könnte. Dabei... verdiene ich dich doch überhaupt nicht!", Tränen rollen mir die Wangen runter und ich kann nichts dagegen tun. Die Schuld macht mich platt wie Dios Roadroller. Es tut so unglaublich weh. Chika fackelt nicht lange, als sie mich in die Arme schließt und ich mit meiner tröstenden Freundin an meiner Brust, auf der Matratze lande. Ich heule den ganzen Schmerz und die Schuldgefühle aus mir raus, während Chika auf mir liegt und nichts sagt. "Ellie... nicht weinen, bitte... Bitte sag' doch so etwas nicht. Natürlich machst du Fehler, vielleicht habe ich Erinnerungen an dich, in denen ich tief verletzt wurde, aber dennoch bist du... das Beste, was mir in meinem kümmerlichen Leben passiert ist. Der Grund, weshalb ich lebe, bist du. Ich war eine lange Zeit sehr traurig, ich hatte mir alle Welt zum Feind gemacht. Meine Familie und jeden, der von den Vorfällen wusste, die allein meine Schuld waren. Der Einzige, den ich hatte, auf den ich zählen konnte, Ellie, das warst du. Deshalb sag sowas nicht, verliere nicht den Mut. Sei nicht so gemein zu dir. Egal was kommt, egal was in der Vergangenheit, die du vergessen hast, vorgefallen ist. Egal, ob du dich vielleicht nie wieder an mich erinnern wirst. Ich bleibe für immer und ewig an deiner Seite, Ellie.", versucht sie mich aufzubauen. "Bis dass der Tod uns scheidet.", flüstert sie fast unhörbar leise, sodass ich es wohl nicht hätte mitkriegen sollen. Aber das eben doch nicht überhört zu haben, lässt mich fast selbst dran glauben. "Chika?", "Ja? Was gibt's?", "Musst du sterben?", Als ich das ausspreche, höre ich, wie sich ihr Herz überschlägt. "Müssen wir nicht alle irgendwann sterben?", flüstert sie kichernd. "Schon, aber nicht mit achtzehn, Chika-", "Soll ich dir was erzählen?", unterbricht sie mich. Ich will wirklich wissen, wie es um Chikas Lebenserwartung steht. Aber was sie mir vielleicht gleich erzählen wird, scheint für sie ebenfalls von essenzieller Wichtigkeit zu sein. Das spüre ich. Das sehe ich in ihrem Blick. Ich werde nachher darauf zurückgreifen müssen. "Ich denke, es ist besser, wenn ich dir irgendwann erzähle, was ich alles erlebt habe, mein Leben, von dem du immernoch nichts weißt, weil ich nie etwas erzählt habe. Warum ich allein lebe. Wieso alles so ist wie es ist.", leitet sie ein und rutscht wieder von mir ab. "Ich habe wie all unsere Freunde in Windstillhausen gelebt. Jedoch sollte ich bald erfahren, dass mehr hinter mir selbst steckte, als angenommen. Dass ich keine normale Schülerin war, eine normale Tochter, geschweige denn ein normaler Mensch. Ich dachte immer, das ist jetzt eben so, Chika Failman, das bin ich. Der Nachname klingt überhaupt nicht japanisch, das war immer das Erste, was den Menschen um mich herum aufgefallen war. Es gab ein paar böse Kinder mit Englischkenntnissen, die sich darüber lustig machten, dass das Wort "Fail", also "Versagen" in meinem Namen Failman beinhaltet war. Das tat etwas weh.", Chika lacht, macht dann eine Pause und betrachtet ihre Füße und meine. Es fällt ihr sichtlich schwer, darüber zu reden. "Na ja, auf jeden Fall... Meine Eltern, sie meinten immer, sie wüssten es besser, egal, was ich tat, mein Vater erkannte meine Bemühungen niemals an und meine Mutter schwieg. Ich musste erstmal auf eine Grundschule für Sonderfälle, die sich nicht in das System einfügen können. Ich war die Klassenbeste. Die Lehrer sahen das, denn ich hatte alles gegeben, um ihnen Perfektion zu zeigen. Ich gehöre nicht hierher, holt mich raus, dachte ich und gab alles, um sie davon zu überzeugen. Die Lehrer wollten mich dann nicht mehr auf dieser Schule, an der ich doch so fehl am Platz war, haben, ich wurde weggeschickt, aber auf eine normale Grundschule und das freute mich. Aber meine Eltern haben alles getan, damit ich nicht in die nächste Klasse versetzt wurde und die erste musste ich wiederholen. Dafür hasste ich sie. Meine Muter hat sie nie für mich eingesetzt und mein Vater nie an mich geglaubt. Freunde hatte ich auch keine und ich hatte niemand anderen als mich selbst. Mich konnte ich auch nicht leiden. In einem Streit mit meinem Vater nach der Schule, bin ich weggerannt. Ich wollte nur noch weg, ich hasste es, wie er sich mir immer in den Weg stellte, dabei wollte ich doch nur ein normales Leben führen und anerkannt werden. An diesem Tag, an jenem schicksalhaften Regentag, traf ich dich, aber ich bin sicher, dass du dich daran erinnern wirst. Selbst wenn ich mich an jedes Wort erinnere, ich kann nicht. Doch unsere Wege trennten sich wieder und ich war wieder allein. Mein Vater hatte eine Stelle im Ausland, Philadelphia, dort, wo meine Mutter herkommt und ich verbrachte meine Zeit, die restliche Schulzeit dort. Ich war sehr traurig und kurz vorm Aufgeben. Ich dachte, ich könnte niemals mehr zurück und müsste vergessen, wer mich zum Leben und Kämpfen brachte.", sie sieht mich wieder an. "Doch dann war ich dir im Traum begegnet. Es war der gleiche Ort in Windstillhausen. Das entfachte meine Hoffnung erneut. Dann, in der Mittelstufe, mit fünfzehn, kämpfte ich darum, wieder nach Japan zurückzukehren, um dich zu finden. Wie durch ein Wunder kam es Stress auf der Arbeit meines Vater, er wurde gefeuert und wir flogen zurück, weil wir keinen Grund hatten, länger dort zu bleiben. Und so kehrte ich zurück nach Windstillhausen. Mir war egal, dass ich erst im letzten Jahr der Mittelschule wieder dorthin zurückkehrte, wenn ich dich nur sehen konnte. Das tat ich dann auch und ich war glücklicher denn je. Aber... ich hatte Probleme in der Schule, weil ich den Großteil in Philly verbrachte und fast nur Englisch sprach, ich stürzte notentechnisch sehr oft ab und war oft den Tränen nahe vor Verzweiflung, dennoch wollte ich nicht zurück, weil du doch hier warst. Ich muss zugeben, ganz unschuldig bin ich nicht, schließlich weißt du ja, wie gerne ich im Unterricht schlafe. Aber... es gab etwas, dass mir noch mehr Kummer bereitete als meine Noten in der Schule. Das war das Mädchen, dass meine Eltern adoptierten. Sayaka-", sie bricht ab und ich sehe, wie sich ihre Hand zu einer Faust ballt und sie sich ihre Fingernägel ins Fleisch bohrt. "Du musst mir das nicht erzählen, wenn du nicht willst, ich-", "Es muss aber sein!", meint sie schnell und fährt fort. "Sayaka Tojo war meine neue große Schwester von diesem Tag an, sie ging schon auf die Oberschule und auf den ersten Blick bewunderte sie sehr. Doch das änderte sich schnell, sie entpuppte sich als skrupellosen Psychopatin, der mich nach ihren Wünschen sexuell missbrauchte.", ihre Stimme klingt kalt und fremd, während sie das sagt, so kalt, dass ich mich beinahe erschrecke. "Ich wollte meinen Eltern nicht noch mehr Ärger bereiten, denn ich wusste, weshalb Sayaka hier war. Nur, damit alles aussieht, als wären wir eine normale und gutherzige Familie, die ein Kind adoptierten. Doch die Beziehung meiner Eltern ging je mehr Zeit verging, mehr in die Brüche, und um sie zu retten, hatten sie Sayaka, die die Rolle meiner Schwester übernehmen sollte, hergeholt, in der Hoffnung, dass unsere Familiengemeinschaft vielleicht doch noch wuchs. Aber das ging nach hinten los. Ich wusste, dass meine Mutter in ihrem Büro für sich, beide meiner Eltern hatten eigene, etwas versteckte. Anfangst dachte ich, dass es schon nicht so schlimm sein würde, dass mich die Wahrheit nicht so unwiderruflich zerstören könnte, doch eines Tages, beschloss ich einfach, herumzuschnüffeln, als keiner zu Hause war. Ich fand ein Tagebuch. Das Tagebuch meiner Mutter und obwohl ich wusste, dass ich es nicht durfte, warf ich trotzdem einen Blick rein. Als ich das alles gelesen hatte, wollte ich sterben. Mein Vater war eigentlich gar nicht mein Vater. Ich war... das Ergebnis einer Vergewaltigung.", nun verzagt ihre Stimme komplett, das Flüstern, in dem sie mir das alles mitgeteilt hat, verfliegt und sie senkt ihren leeren Blick den Boden entgegen. Sofort lege ich dem Arm um sie und sage ihr zum x-ten Mal, dass sie es mir nicht sagen muss, aber das will sie gar nicht hören. Sie hebt wieder den Blick und versucht, ihre Tränen zurück zu halten. "Ich habe so getan, als ob ich nichts von all dem wüsste und ließ mich einfach weiter von Sayaka misshandeln. Ich dachte, dass wäre meine persönliche Strafe für alles, weil ich nicht existieren sollte. Doch eines Tages kam alles raus. Ich warf mit allem, was mich verletzt hatte und im Höhepunkt meiner Wut, stieß ich Sayaka vom Gelände der Treppe und brachte sie damit um... Da stand ein Budha, eine ziemlich große Statue, die mein Vater gekauft hatte und Sayaka fiel drauf. Ich hatte sie umgebracht, es gewitterte und überall war Blut auf dem Budha und dem Boden unter ihm. Deshalb habe ich so eine Scheißangst vor ihm. Das war die erste Person, die durch meine Hände starb. Dann rannte ich erneut davon. Und gefunden hatte mich, nachdem ich mir die Hände schmutzig gemacht hatte, kein Geringerer als du. ", lacht sie und ich bin fassungslos darüber, was für eine Last, sie all die Zeit mit sich herumgeschleppt hat. Wieder einmal habe ich keine Ahnung von dem Leben und den Gefühlen anderer. Und noch schlimmer war, dass ich nie danach gefragt habe. Ich wollte gar es nicht wissen. Hosted by Animexx e.V. 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