[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 55: Vol. 3 - "Bodere" Arc: Die Geschichte einer anderen Welt Teil 1 --------------------------------------------------------------------------- "Ich bin hier, weil ich nicht schlafen kann. Ich mache das oft, weißt du?", ihre Stimme klingt zittrig, als wäre sie nicht wirklich anwesend, als wäre ihr Körper nur noch eine Hülle, eine Marionette gesteuert von einer fremden Person. Diese Seite meiner Mutter habe ich zuvor noch nicht gesehen. Schließlich war ich entweder noch ein Kind, das nachts nie das Zimmer verließ oder ein fünfzehnjähriger Amnesie-Patient, der allein mit seinem Bruder weit weg von den Eltern lebt. "Aha.", unbeeindruckt hole ich mir ebenfalls eine Tasse und fülle sie mit Tee, vielleicht bekomme ich dann ja doch noch die Antworten auf die Fragen, die ich noch nicht einmal zu bilden geschafft habe. Ich weiß noch nicht mal, was ich an all dem nicht verstehe. "Kann es sein, dass die Geschichte mit Keita noch etwas tiefer geht?", komme ich gleich zur Sache. Die Augen meiner Mutter weiten sich und sie verschluckt sich fast an ihrem Tee. Das heißt dann wohl Ja. "Ich kam nicht dazu, dir zu sagen, was noch vorher, vor unserer Hochzeit, unserem Erwachsenenleben geschehen ist, weil du doch nur wissen wolltest, wer wirklich dein Vater ist. Ich wollte es dir noch sagen, aber... du warst so aufgelöst in dem Moment, während du es gelesen hast,... sahst du aus, als würdest du nie wieder zu mir zurückkehren wollen. Ich... Ich hatte Angst. Angst, dass wenn du merkst, dass es noch mehr in der Vergangenheit gibt, dass zu schrecklich ist um wahr zu sein, du vielleicht wieder etwas tust, dass dich umbringen könnte. Ich... wollte dich nicht auch noch verlieren, das... hielt ich nicht aus.", sie weint nicht, es klingt so erstickt als wenn ihr die Luft zum Atmen fehle, aber sie widersteht dem Druck in ihrem Inneren. "Verstehe.", meine ich. "Du hast Angst, dass ich mich vor lauter Schock umbringe? Ich habe mich nach drei Jahren wieder daran erinnern können, das habe ich vergessen zu erwähnen, ich weiß jetzt, wieso ich im Krankenhaus lag und alles vergessen habe. Du hast keinen Grund mehr, mir etwas vorzuenthalten, Mama. Sei einfach ehrlich.", beruhige ich sie und nehme auf einen Schluck. "Okay. Du erfährst gleich alles über meine Familiengeschichte und meine Zeit in der Oberstufe. Die Zeit, in der dein Vater und ich uns kennengelernt haben, es gibt Dinge aus der Vergangenheit die dauern noch immer bis in unsere Gegenwart hinein an, es ist besser, wenn ich es dir sage, bevor du dich erneut von mir und der Menschheit hintergangen fühlst.", kündigt sie an und trinkt die Tasse auf Ex leer. "Seit ich denken konnte, war ich immer das hübsche niedliche Mädchen, das aber wenn es in einer Beziehung wirklich drauf ankam, eine Enttäuschung war. Erst waren sie fasziniert von meiner Niedlichkeit, wie sie immer zu sagen pflegten, doch dann wurde ihnen meine Naivität und fehlende Willenskraft doch zuwider. Ich war ihnen nicht stark genug und wurde schlussendlich nur noch die unantastbare Schönheit aus dem zweiten Jahr. Jeder spielte mit mir, weil ich nicht gut genug für eine Beziehung aber hübsch genug für einen Flirt war. Es war ein Segen und ein Fluch gleichzeitig, eine Hassliebe. Ich wusste nicht mehr wohin mit mir, keiner schien es mit mir aushalten zu können, noch nicht einmal meine eigene Familie. Von meinen Eltern wurde ich stets geliebt und umsorgt, sie waren stolz auf eine solch... hübsche und in der Schule so erfolgreiche Tochter, sagten sie, aber es fühlte sich nie so an, als ob ich es tatsächlich verdient hatte, dafür bekannt zu sein. Ich lebte in den Tag hinein und versuchte, niemanden zur Last zu fallen. Denn selbst wenn es sonst niemanden gab, der krankhaften Neid oder Hass auf mich verspürte, gab es jemanden, dem war ich mehr als jeder andere Mensch auf dieser Welt zuwider. Dieser jemand war meine große Schwester Shizuku Shizuhara. Meine Eltern schimpfen dauern mit ihr, sie war schlecht in der Schule und selbst ich, die ein Jahr unter ihr war, hatte gesehen, wie unbeliebt sie wirklich war. Sie war völlig kaputt, nur ich wusste, wie Onee-sama wirklich fühlte und dafür hasste sie mich. Im einen Moment war sie so nett und lustig, hatte mir liebevoll die Haare gekämmt und im nächsten war ich die Erste, die ihren Zorn zu spüren bekam, sie schrie mich an, drohte mir, tat mir weh und ich ließ alles über mich ergehen. Das war nicht meine Schwester, diese beiden Seiten widersprachen sich so offensichtlich, dass ich nicht wusste, wer von ihnen ihrer wahren Natur entsprach. Ich liebte die nette Onee-sama, die mir sagte, dass ich so bleiben solle wie ich war und dass sie mich beschützte, wenn mir jemals einer blöd käme, aber ich hatte genauso Angst vor ihrer anderen Seite, die vor Neid auf mich fast platzte und mich am liebsten tot sehen würde. Meine Eltern schimpfen deshalb mit ihr, schlugen sie genauso, wie meine Schwester mich, ich ertrug es nicht, so oft nicht, spielte mit, wenn es hieß, wir hätten uns vertragen. In der Schule tat sie so als würde sie mich nicht kennen, auch wenn unsere Gegensätze in der Schule unterschwellig bekannt waren und das nichts brachte. Mich liebten sie, sie hassen sie, ich wurde schön genannt, sie hässlich, ich konnte mich nie für sie einsetzen! Die arme Onee-sama hatte niemand anderen als mich und doch war ich nicht mutig genug, um für sie einzustehen! Ich verfiel der Depression, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich mit all dem fertig werden sollte, ich wollte mich verletzen, mich übergeben, doch ich hatte zu große Angst, der Außenwelt eine Veränderung innerhalb meiner Psyche äußerlich an den Tag zu legen, erwischt zu werden, mich verstecken zu müssen, ich wollte, dass alles beim Alten blieb und gleichzeitig konnte ich das Alte einfach nicht ertragen. In meiner dunkelsten Stunde trat Keita Kyokei in mein Leben. Der Halbamerikaner, über den ich in meinem Tagebuch schrieb. Er war im dritten Jahr und in der Klasse meiner Schwester, zu Hause hatte sie sich über ihn lustig gemacht, weil seine Noten Japanisch nicht so gut waren wie die vom Rest. Anfangst nahm er noch keine Notiz von mir, wir waren uns zu dem Zeitpunkt noch nicht über den Weg gelaufen. An jenem Tag saß ich allein auf einer Bank auf dem Dach der Schule, als wie aus dem Nichts jemand neben mir Platz nahm. Du kannst dir bestimmt denken von wem ich rede. Er hatte nichts zu essen bei sich und tat auch sonst nichts, was einem für den Rest der Pause beschäftigen konnte, er saß einfach da und starrte in die Luft. Irgendwie wusste ich ja, dass unsere Stände zu weit voneinander entfernt waren, als dass es normal wäre, mit ihm zu reden, aber weil er, selbst wenn es nur flüchtig war, auf mein Brot glotzte, dachte ich doch ans Handeln. Er starrte immernoch auf mein Brot. Ziemlich oft und sehr intensiv für die wenigen Sekunden, in denen er es mit dem einen Auge betrachtete. 'Wenn du willst, kannst du den Rest haben!', bot ich an, ein wenig zu laut, denn ich war ziemlich schüchtern, auch wenn ich wusste, dass es welche gab, die es auf meinen Beziehungsstatus abgesehen hatten und noch nicht wussten, dass ich nicht fähig war, ihnen zu geben, wonach sie suchten. Er sah mich mit aufgerissenen überraschten Augen an, ehe er erwiderte: 'Ich darf wirklich den Rest essen, bist du sicher?'. Er war irgendwie ganz aus dem Häuschen, so untypisch für eine so cool aussehende Person der Beliebtheit. Ich nickte schnell und überreichte es ihm. Er schlang es viel zu schnell runter. 'Und das hast du selbst gemacht?', fragte er, den letzten Bissen noch runterschluckend. Wieder nickte ich. Im selben Moment dachte ich daran, dass ich die Brote immer sowohl für mich als auch für Onee-sama belegte, daran, dass auch sie dieses Brot aß. 'Die sind echt mega, vielen Dank, Brotmädchen!', bedankte er sich, wuschelte mir durchs Haar und verschwand wieder. Ich vergaß nie, wie ich mich nach dieser Geste fühlte. Ich wusste weder, wie er hieß noch kannte ich ihn, aber irgendetwas sagte mir, dass er besonders sei. Vielleicht machte er das auch bei anderen Mädchen, ich wusste es nicht, aber selbst wenn ich für ihn momentan nur eine Fremde namens Brotmädchen war, war er zumindest für mich jemand, der zu den Vertrauten gehörte. Doch was dachte ich? Ich hatte ihm doch nur die Hälfte meines Brotes anvertraut, mehr hatte ich im Grunde gar nicht getan, dachte ich und war beschämt über mich selbst, wie einfältig ich mich fühlte, so über ihn nachzudenken. Der nächste Tag brach an und mir viel ein, dass meine Schwester ihr Bento in der Küche gelassen hatte, irgendwie war sie ganz seltsam drauf, als wolle sie so schnell wie möglich das Haus verlassen. Ich bemerkte es und weil ich mir letztens bei ihren Testergebnissen, die zusammen mit meinen auf dem Esstisch lagen, die Klasse gemerkt hatte, wusste ich, wo ich hingehen musste. Ich rannte fast genauso schnell zur Schule wie sie, gefrühstückt hatte ich aber dennoch. Vor ihrem Klassenzimmer angekommen, im Versuch, nicht zu außer Atem zu klingen, kam ich rein und wollte Onee-sama gerade rufen, da hätte ich wohl kaum meinen Ohren getraut. 'Brotmädchen?', hörte ich durch die Lautstärke der anderen Schüler, doch die verstummten wie auf Kommando, anscheinend hatte dieser Junge hier das Sagen. Ich zuckte zusammen und mir fiel beinahe die Brotdose aus den Händen. 'Kyokei, kennst du die Schnecke etwa?', fragte einer, den ich als einen seiner Kumpels deutete und der boxste dem Jungen von gestern in die Seite. 'Kann man so sagen, ich behaupte lieber mal nichts Falsches, ich kenne sie erst seit gestern.', erklärt er grinsend. 'Komm doch mal rüber, Brotmädchen, nicht so schüchtern!', rief er mich auf und ich war unfähig, die Ruhe zu bewahren. 'Ich... ich kann nicht so lange bleiben, ich... bin nur aus einem bestimmten Grund hier!", antwortete ich und es kostete etliche Selbstüberwindung, um dieses Angebot abzulehnen. Meine Schwester drehte sich zu mir, ungewöhnlich für ihre Verhältnisse, mich stets zu ignorieren und wider meiner Erwartung und kam näher. 'Setsuna-chan? Was zur Hölle machst du hier?', wollte sie in einem abwertenden Ton von mir wissen. Ich bekam es wieder mit der Angst zu tun und streckte ihr einfach die Brotdose entgegen. 'Hey, Shizuhara, sei nicht so gemein zu ihr, das Ding fängt deinetwegen noch an zu heulen!', meinte derselbe, den ich einfach mal Schneckentyp nannte. 'Halt die Fresse, Yamada, niemand hat dich nach deiner Meinung gefragt!', keifte sie und der Rest der Klasse starrte einfach nur auf mich, Onee-sama und den frechen Schüler Yamada. 'Hey, beruhig dich, Shizuhara, das Brotmädchen wollte doch nur mal vorbeikommen und Hallo sagen, da brauchst du sie doch nicht so anzumachen.', sagte Keita, den ich früher noch Kyokei-kun nannte und wusste nicht, ob das Necken oder Zurechtweisen war. 'Halt doch die Klappe, du Besserwisser, das ach so süße Brotmädchen ist nämlich eine miese Verräterin!', schimpfe sie über mich und ich entschied mich dafür, es einfach auf den Tisch zu legen. 'Onee-sama, lass es. Kyokei-kun hat dir nichts getan.', versuchte ich damals, sie wirklich zu besänftigen, heulte aber wirklich fast los. 'Sie nennt dich Onee-sama und bringt dir Essen vorbei, Mensch, so kannst du doch keine Verehrerin behandeln, Shizuhara.', wies sie dieser Yamada zurecht. 'Halt endlich dein Maul, Yamada, ich will doch keinen Inzest, du Arsch!', nun kochte sie nur noch mehr und in mir breitete sich immer mehr der Fluchtinstinkt aus. 'Inzest? Shizuhara, willst du damit sagen, dass du Vogelscheuche die Schwester dieser Schönheit bist?', trieb es ein weiterer Schüler zu weit und und es wurde still in Raum, der Lehrer stand schon längst im Raum und guckte die Klasse mit einem vernichtenden Blick àla 'Können wir jetzt mal mit dem Unterricht beginnen?' an. Jetzt explodierte ich wirklich. 'Wenn noch einmal irgendwer sowas über meine Schwester sagt... bringe ich mich um!', brüllte ich und verließ das Klassenzimmer. Ich wollte nicht hören, wie stark die Gegensätze meiner Schwester und mir waren, ich wollte einfach nur ein normales Leben mit einer Schwester, auf die nicht alle herabsahen. Mir war ganz schlecht vor Wut und Trauer, mir wurde klar, wie satt ich es hatte, so ausgeliefert zu sein. Obwohl kein weiteres Wort über meine Schwester gefallen war, rannte ich hoch zum Dach der Schule, so schnell ich konnte. Ich kletterte über die Mauer und blickte, als etliche Gefühle in mir verebbten, auf den Betonboden hinab, der mir mit hoher Wahrscheinlichkeit das Genick brechen und mich töten würde, falls ich tatsächlich springen würde.", in der spannendsten Stelle hört meine Mutter einfach auf zu erzählen, wieder lastet ihr Blick auf der Kerze und ich bin noch immer gefesselt von der Geschichte, die mir bislang verschwiegen wurde. Ob sie dasselbe Schicksal erlitt, wie ich es getan habe? Ist sie ebenfalls vom Schuldach gesprungen? "Was ist dann passiert? Bist du da wirklich runtergesprungen?", frage ich und obwohl ich weiß, dass meine Mutter überlebt hat, kriecht Panik in mir hoch. "Genau genommen bin ich es. Aber ich wurde gerettet.", antwortet sie. Gerettet also. Wie genau, bevor dich ins Nichts stürzt und der Verzweiflung erliegst oder nachdem du vor deinen Problemen nicht weglaufen konntest, verletzt bist und dich alle Welt im Stich gelassen hat? Was ist mit den Menschen der zweiten Kategorie? Weil ich dazugehöre, zwinge ich mich, nicht darüber nachzudenken. Die Vergangenheit kann man nicht ändern und die Zukunft jagt einem einfach nur Angst ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)