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Du mußt weitermachen, John!

von

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die ersten Wochen

Die ersten Tage nach Sherlocks Tod waren nicht einmal die schlimmsten.

John war Arzt, und auch wenn Psychologie in seinem Studium der Allgemeinmedizin nur angerissen worden war, wusste er doch zumindest ein wenig Bescheid um die mehrstufigen Phasen der Trauer. Es gehörte dazu, dass es ein paar Tage brauchte, bis man richtig begriff, was geschehen war.

Hinzu kam, dass die ersten Tage hektisch waren. Er wurde überrannt von Journalisten, diesem Pack, die doch an allem irgendwie Schuld waren. Die Polizei nahm ihn in die Mangel, stellte Fragen, wollte wissen ...

Und so kam es, dass er erst nach ein paar Tagen überhaupt zur Ruhe kam.

Und sich bewusst werden konnte, was los war.

Sherlock war tot, und er würde nicht wiederkommen.
 

Als ihn dieses Bewusstsein packte, überrollte ihn die Trauer. Sie kam wie eine große Woge aus Dunkelheit, Angst, aber vor allem Schmerz. Ein solch dumpfer, tiefer Schmerz, der sich auf ihn legte und alles mit einem Mantel aus Schwärze umwob, so dass er das Leben um sich herum nicht mehr mitbekam.

Tagelang, wochenlang saß er in seinem Sessel im Wohnzimmer in der Baker Street, grübelte und gab sich der Verzweiflung hin. Und wenn Mrs. Hudson, die gute Seele des Hauses, ihm nicht hin und wieder ein Tablett mit Tee und ein paar Sandwiches hingestellt hätte, dann hätte er weder gegessen noch getrunken. So tat er es, ganz automatisch, wie man eben atmet. Aber es bedeutete ihm nichts.
 

Er saß dumpf brütend in seinem Sessel. Aß und trank das nötigste, schleppte sich ins Bad, wenn sein Körper das Bedürfnis anmeldete. Schleppte sich in den Sessel zurück, saß dort wieder grübelnd. Wochenlang, in dem selben Hemd, der selben Hose. Mit bloßen Füssen. Ungewaschen, ungepflegt ... es spielte alles keine Rolle mehr.

Er wäre verkommen ohne Mrs. Hudson, die das eines Tages nicht mehr mit ansehen konnte und Mike Stamford anrief.
 

Mike kam und nahm sich der Sache an. Er redete auf John ein, wie auf eine kranke Kuh. Als das alles nichts nützte, zerrte er ihn mit Gewalt von seinem Sessel hoch und schleifte ihn zum Badezimmer. Er schob ihn hinein und schloss die Tür.

John seufzte. Dann ließ er sich zu Boden gleiten. Zum Grübeln brauchte er kein weiches Sofa. Das ging auch auf dem kalten Fliesenboden. War doch sowieso alles egal.

Mike schien das nicht so zu sehen, denn er hämmerte gegen die Tür und drohte, reinzukommen und John eigenhändig auszuziehen und unter die Dusche zu stopfen. Mike war Arzt und ebenfalls beim Militär gewesen, es war also anzunehmen, dass er nicht vor dem Anblick eines nackten Kerls zurückschrecken würde, und daher bestand kein Zweifel, dass er seine Drohung wahr machen würde. Nun, das ging John denn doch gegen den Strich, also rappelte er sich auf, brummte sauer:

„Schon gut!“, entkleidete sich und duschte.
 

Er musste zugeben, dass es gut tat, als das warme Wasser seinen Körper umfloss. Es schien ein wenig von der Dumpfheit wegzuspülen.

Es war angenehm, sich wieder sauber zu fühlen, doch ... andererseits schien es den Schmerz schärfer werden zu lassen.

Als John aus der Dusche trat, putze er die Zähne und machte sein Haar zurecht, das erste mal seit Wochen. Seine Nase kräuselte sich angesichts des Haufens verschwitzter Kleidung, die er bis vorhin noch getragen hatte.

Er schlüpfte in den Bademantel, der am Haken hing.

Es war Sherlocks Bademantel.

Oh Gott.

Es fühlte sich so vertraut an. Es roch so sehr nach Sherlock.

Oh Gott.
 

Dieser Augenblick, als er das erste mal seit Wochen einen etwas klareren Blick besaß, und nun die weiche Seide und der angenehme Duft von Sherlocks Morgenmantel ihn umhüllten, traf ihn wie ein Hammerschlag.

Er brach zusammen und begann, zu weinen.

Es waren die ersten Tränen seit Sherlocks Tod. Bis heute hatte er nicht weinen können, die Verzweiflung hatte ihn so eingehüllt, dass er sich wie abgestorben gefühlt hatte.

Jetzt jedoch liefen die Tränen, erst leise, dann ging das Weinen in ein lautes Schluchzen über. Es tat weh, so weh!

Verdammt noch mal, verdammt verdammt verdammt!
 

Er spürte nur so halb, wie Mike ins Bad kam und freundlich, beruhigend auf ihn einredete. Wie er ihn stützte und ins Wohnzimmer zum Sofa brachte. Wie er ihn zudeckte, bei ihm blieb bis es irgendwie dazu kam, dass John, vermutlich vor lauter Erschöpfung, einschlief.

Er träumte wirres unzusammenhängendes Zeug.

Er spürte im Schlaf, dass Mike noch eine ganze Weile bei ihm blieb.
 

Als er erwachte, stand auf dem Tisch ein Tablett mit Tee und Gebäck. Mrs. Hudson, die Gute.

Daneben lag ein Zettel von Mike.

„Musste zur Arbeit. Aber ich bin für dich da. Ruf an. Jederzeit.“

Und darunter noch mal dick und unterstrichen:

„Jederzeit!“
 

Der Zusammenbruch hatte John wohl aus seiner Lethargie gerissen. Er schaffte es, irgendwie in sein Leben zurück zu kommen. Das änderte zwar nichts daran, dass es noch immer wahnsinnig weh tat. Er noch immer Sherlock vermisste bis zum verrückt werden. Er weiterhin Schuldgefühle allererster katholischer Güte hatte, denn er machte sich Vorwürfe, dass er nicht gemerkte hatte, dass Sherlock die Absicht gehabt hatte, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Was war er nur für ein miserabler Freund gewesen.

Es war nicht wieder gut zu machen, damit würde er den Rest seiner Tage leben müssen. Mit der Gewissheit, dass er als Freund versagt hatte. Nun ja.

Aber zumindest begann John, wieder in eine Art halbwegs funktionierenden Alltag zu finden.

Er betrieb wieder eine ganz normale Körperpflege. Er kaufte ein, er aß, trank, ja er kochte sogar manchmal wieder, wie er es immer für sich und Sherlock getan hatte.
 

Er bekam regelmäßig Weinanfälle, besonders, wenn er etwas tat, was ihn an Sherlock erinnerte. Er erwog, eben wegen der vielen Erinnerungen aus der Baker Street wegzuziehen, aber er brachte es doch nicht fertig, die Wohnung bedeutete ihm einfach zu viel.
 

Nun, die Zeit verrann, und Johns Leben ging irgendwie weiter.

Nun, wirklich „leben“ tat er eigentlich nicht. Man konnte es eher so bezeichnen: Er funktionierte.

Er tat, was man eben so tat. Wie ein Automat, der eben immer die gleichen Bewegungsabläufe ausführte wenn man die entsprechenden Knöpfe drückt.
 

Sherlock jedoch fehlte ihm.

In jeder einzelnen Sekunde seines Daseins.



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