Common Ground von DuchessOfBoredom ================================================================================ Kapitel 27: No need to argue. (Anymore.) ---------------------------------------- „Was war das denn?!“ Joeys verwunderte Frage weckte Duke aus seiner Erstarrung. Seine Augen verengten sich, er trat auf den Blonden zu und funkelte ihn an. „Du!“ Sein Atem zitterte, seine Stimme bebte und mit jedem Wort schubste er Joey ein Stück weiter nach hinten. „Du bist der größte, gigantischste, unfassbarste Vollidiot, den es …“ „Whoa, stopp mal!“, unterbrach Joey energisch seine Tirade. Genau im richtigen Moment, als Duke zum nächsten Schubs ansetzte, umfasste der Blonde seine Handgelenke und hielt sie in festem Griff gefangen. „Willst du uns vielleicht endlich mal erklären, was hier eigentlich los ist, Mann?!“ In einem reflexhaften Versuch sich zu befreien, ballte Duke die Hände zu Fäusten, doch er musste schnell einsehen, dass Joey ihm in körperlicher Hinsicht zweifellos überlegen war und – vermutlich aus Erfahrung – genau wusste, wie er seine geradezu lächerlichen Versuche, ihm noch irgendwie weh zu tun, unterbinden konnte. Er ließ die Schultern sinken und löste die Anspannung seiner Muskeln, um Joey zu bedeuten, dass sein Widerstand gebrochen war. Zögernd und noch immer ein wenig skeptisch dreinschauend entließ der Blonde ihn aus der Fesselung. Mit einem abgrundtiefen Seufzen sank Duke auf eine der Steinbänke um die Feuerstelle nieder. Tea und Yugi kamen sofort neben ihn, die anderen hockten sich vor ihm ins Gras. Ihnen in die Augen zu sehen, brachte Duke nicht über sich, sondern starrte einfach weiter auf seine Füße. Noch lag kein Vorwurf in ihren fragenden Blicken, aber das würde sich mit Sicherheit gleich ändern. Ursprünglich hatte er ihnen erst später alles erzählen wollen, in ein paar Tagen vielleicht, wenn sein Spiel definitiv nicht mehr auf der Kippe stand, aber das konnte er jetzt wohl vergessen. Er sah Joey vor sich – oder wenigstens dessen Oberschenkel und Knie – und die Frage verließ wie von allein seinen Mund, kraftlos und leise: „Wie bist du an den Block gekommen, Joey?“ Es war das einzige Puzzleteil in der ganzen beschissenen Geschichte, das ihm noch fehlte. „Öhm…naja, …“, stammelte der Blonde los und kratzte sich mit einer Hand am Kopf, „Ich wollte vorhin nur nochmal für kleine Joeys und dann runtergehen. Auf dem Gang bin ich fast in Kaiba gerannt – oder eher er in mich. Wir haben uns ganz kurz … ‚unterhalten’, dann ist er runter und ich aufs Klo. Ich dachte: ‚Eigentlich ganz gut, dass er nicht da ist!‘, weil ich eh nochmal mit dir reden wollte – mich entschuldigen wegen heute Mittag und …“, er hielt kurz inne und sah zur Seite, „… wegen letzter Nacht. Aber als ich bei euch geklopft hab und reingekommen bin, warst du auch nicht da. Der Block … lag da eben einfach so und ich hatte ja noch eine kleine Rechnung mit Kaiba offen, also …“ Duke schnaubte leise und nickte. „Verstehe.“ Dass Joey sich eigentlich hatte entschuldigen wollen, machte die Sache auf eine traurige Weise noch komischer. Ironie des Schicksals und so. „Also: Warum war Kaiba denn jetzt nicht sauer, dass seine Arbeit im Feuer gelandet ist?“, fragte Tea mit leichter Ungeduld in der Stimme, „Auch wenn deine Aktion natürlich trotzdem voll daneben war, Joey!“ „Ja ja.“, winkte der Gescholtene ab. Duke hatte die Hände neben sich aufgestützt, lehnte sich etwas nach vorne und schloss seine Finger fest um die Kante der Bank. Dann mal los. „Weil der Inhalt des Blocks für ihn weit weniger wichtig ist – war – als für mich.“ „Hä?“ Tristans Stirn legte sich in Falten. „Kaiba hat nicht einfach nur gearbeitet, er hat für mich gearbeitet … gewissermaßen.“ Noch immer sah Duke in ratlose Gesichter. Offensichtlich musste er weiter ausholen. „Wisst ihr noch, als ich kurz vor der Abfahrt diesen Anruf bekommen habe?“ Allgemeines Nicken, doch in Tristans Augen trat ein leicht kritischer Ausdruck. „Der, von dem du behauptet hast, er wäre nicht so wichtig gewesen.“ „Und nichts Schlimmes.“, fügte Ryou hinzu. Duke massierte sich die Stirn. „Ja, das war … so nicht ganz richtig. Ich wollte euch nicht beunruhigen, ihr solltet doch die Klassenfahrt genießen können.“ „Und um was ging es denn da nun?“, bohrte Tea unnachgiebig weiter. „Es war Max … Pegasus. Er hat mir mitgeteilt, dass Dungeon Dice Monsters sich in letzter Zeit sehr schlecht verkauft hat und dass, wenn ich nächste Woche nicht mit einem guten Plan vor dem Vorstand stehe, die Auflage stark verkleinert oder das Spiel vielleicht sogar ganz eingestellt wird.“ „Oh, Duke!“ Tea schlug eine Hand vor den Mund und strich ihm gleich darauf mit der anderen über den Rücken, wie sie es schon heute Mittag getan hatte, Yugi legte die Hand auf sein Knie. „Wie furchtbar! Dabei ist es doch so gut!“ Ryou nickte nur zustimmend, während Tristan sich etwas aufrichtete und seine Schulter drückte. „Sorry, Mann!“ Joey blieb als Einziger still und schien nur darauf zu warten, dass er fortfuhr. „Jedenfalls bin ich am Montag auf dem Weg zum Museum durch das Gespräch über Duel Disks – dank Joey, um genau zu sein – auf die Idee gekommen, dass es so etwas für mein Spiel noch nicht gibt. Es war die perfekte Lösung für mein Problem.“ „Und dafür musstest du Kaiba einspannen.“, vervollständigte Ryou seinen Gedankengang. „Mhm. Ich wusste ja, dass er keinen Laptop und nichts dabei hat, darum habe ich im Museum den Block gekauft und ihm gegeben, nachdem er zugestimmt hat. Seitdem hat er für mich diese Duel Disk entworfen.“ „Also war der Block niemals für Serenity, sondern von Anfang an für ihn.“, schlussfolgerte Joey und Duke nickte. Teas Augenbrauen zogen sich zusammen. „Aber warum dann die …“ „… Dinos?!“, beendete Duke ihre Frage. „Ich sag dir warum: Ich fand es witzig!“ Er spuckte das letzte Wort voller Bitterkeit aus. Seine Augen brannten. „Glaubt mir, wenn ich euch sage, dass der kurze Gag beim Auspacken es definitiv nicht wert war.“ „Aber Moment mal!“ Tristans Blick wurde misstrauisch. „Heißt das, Kaiba hast du von deiner Misere erzählt und uns nicht?!“ Duke schüttelte den Kopf. „Ich hab befürchtet, dass er dann direkt ablehnt, weil es nicht profitabel sein könnte. Er hat es auch eben erst erfahren und … war darum nicht besonders gut auf mich zu sprechen.“ Nicht nur deshalb, aber das war nun wirklich allein ihre Sache und ging die anderen absolut nichts an. Sein Herz krampfte sich zusammen. Yugi lächelte ermutigend und drückte sein Knie etwas fester. „Naja, wir lassen ihn sich erstmal beruhigen und dann fragen wir, ob er die Zeichnungen nochmal …“ „Hast du mir nicht zugehört, Yugi?!“, fuhr Duke ihm aufgebracht ins Wort, stoppte sich aber sogleich wieder, als er sah, wie die anderen erschrocken zusammenzuckten. „Sorry.“ Seufzend schüttelte er den Kopf. „Keine Chance. Angesichts der wirklichen Umstände wird er es nicht machen, das hat er mir schon gesagt.“ Joey stand auf und begann unruhig auf- und abzulaufen, die Hand mit dem Block in die Hüfte gestemmt; mit der anderen fuhr er sich über den Mund und das Kinn. „Was für ne abgefuckte Scheiße, Alter!“, fluchte er und Duke kniff die Augen zusammen. Joeys Wut auf ihn war nur zu verständlich. Umso überraschter war er, als er das leichte Zittern in dessen Stimme wahrnahm. „Hätte ich das gewusst, ich hätte doch niemals …!“ Joey beendete den Satz nicht, sondern schluckte nur und trat wieder zu ihm. „Gibt’s irgendwas, was ich tun kann?“ „Was wir tun können?“, ergänzte Tristan. Schwerfällig erhob sich Duke und schüttelte den Kopf. „Nein. Ich glaube, ich muss einfach erstmal ein bisschen allein sein. Darf … ich in euer Zimmer?“ „Klar doch!“ Joey kramte sofort in seiner Hosentasche und gab ihm den Schlüssel. „Danke. … Ach, Joey, eine Sache gibt es.“ „Alles, Mann!“ „Halt dich um Gottes Willen von Kaiba fern!“ Joeys Augen verengten sich kurz, dann jedoch nickte er widerwillig. Dabei fiel sein Blick auf den Block. Sichtlich zerknirscht überreichte er ihn Duke und sah ihm dabei tief in die Augen. „Es tut mir so leid, Mann!“ „Ich weiß.“, erwiderte Duke mit einem traurigen Lächeln, klopfte ihm leicht auf den Oberarm und ging davon. Kaum war die Zimmertür hinter Seto zugefallen, lehnte er sich noch einmal daran an, schloss die Augen und atmete gelöst aus. Er war wieder er selbst. Zum ersten Mal seit Tagen. Wheelers Irritation angesichts seiner Ungerührtheit, Devlins glasiger Blick ins Feuer, die langsame Realisation, dass er zu spät gekommen war … Ein zufriedenes Lächeln huschte über seine Lippen. Mit dem Verlust der Entwürfe war Devlins hohes Poker innerhalb von wenigen Sekunden zu einem Nullsummenspiel geworden. Niemand von ihnen hatte irgendetwas gewonnen, niemandes Lage hatte sich verbessert, von seiner eigenen Genugtuung vielleicht einmal abgesehen. Beide, Devlin und Wheeler, hatten nur bekommen, was sie verdienten: Devlin hatte die Entwürfe verloren, die er sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und blanker Ausnutzung erschlichen hatte, und Wheeler würde als Strafe für jede einzelne seiner kleineren und größeren Dreistigkeiten der letzten Tage – ach, der letzten Jahre! – heute Nacht mit dem Wissen einschlafen, dass er durch seine Dummheit und seine vorlaute Klappe den Lebenstraum seines Freundes zerstört hatte. Es war mit Abstand das Beste, was aus dieser ganzen verfahrenen Situation noch herauszuholen gewesen war. Die Ungereimtheiten im Raum fielen ihm sofort auf, als er die Augen wieder öffnete und sich umsah. Seine Seite des Bettes war in Unordnung gebracht worden, ebenso wie die von Devlin, dessen Rucksack und Reisetasche weit offen standen. Alarmiert trat Seto weiter in den Raum, nur um auch die beiden Hälften seines Koffers sowie seine Tasche offen und unzweifelhaft durchwühlt vorzufinden. Was zur …? Schau mal, was ich hier habe, Kaiba! Natürlich, irgendwie musste Wheeler ja an den Block gekommen sein! Der Köter hatte ihm schaden wollen und sich im Recht geglaubt. Nicht einmal vor Devlins Sachen hatten seine dreckigen Pfoten Halt gemacht. Aber halt. Würde Wheeler wirklich heimlich die Sachen seiner eigenen Freunde durchsuchen, nur um ihm etwas heimzuzahlen? Das verstieß doch sicher gegen mindestens dreißig der ungeschriebenen Regeln und Werte in Mutos kleinem Freundschaftsmanifest … Am Ende war noch Devlin selbst für dieses Chaos verantwortlich. Kopfschüttelnd ging Seto in die Hocke und prüfte die Inhalte seines Koffers und seiner Tasche. Allesamt noch vollzählig vorhanden. Nun, dann war es im Grunde müßig, sich weiter den Kopf über den Täter zu zerbrechen. Mit einigen schnellen Handgriffen brachte er seine Sachen wieder in Ordnung, nahm sich seine Schlafkleidung, schlug sein Bett auf und ging ins Badezimmer. Mit schnellen Schritten ließ Duke den Lichtkreis des Lagerfeuers hinter sich und lief durch die Dunkelheit in Richtung der Herberge. Kurz vor der Tür des Gebäudes drang ein entferntes Kichern an sein Ohr und ließ ihn innehalten. „Es kann gar nicht sein, dass du mich dort schon mal gesehen hast! Bei diesem Lehrer-Kongress war ich nicht, das muss jemand anders gewesen sein.“ Es war Frau Kobayashi, die entlang des Gebäudes mit dem Handy am Ohr auf und ab lief und anscheinend angeregt telefonierte. „Ach, du bist ein Charmeur!“ Unwillkürlich verzog er das Gesicht. Himmel, Herr Takeda war doch kaum zwölf Stunden weg! Die beiden schienen es ja kaum mehr ohne einander auszuhalten. Natürlich hatte sie da von dem ganzen Trubel am Lagerfeuer nichts mitbekommen und damit zielgenau die eine Gelegenheit verpasst, bei der die Erfüllung ihrer Aufsichtspflicht einen wirklichen Unterschied gemacht hätte! Mit einem genervten Augenrollen betrat er die Herberge, stieg geistesabwesend die Treppen nach oben und fand sich schneller als erwartet vor der Zimmertür der Jungs wieder, als hätte jemand nur einmal mit dem Finger geschnippt. Unweigerlich wanderte sein Blick noch einmal nach rechts zu seinem eigentlichen Zimmer. Da hinten, hinter der Tür mit der Nummer 21, war Kaiba. Der seinen Traum zerstört und noch nicht einmal die Eier in der Hose gehabt hatte, es selbst zu machen! Nein, er hatte Joey als Werkzeug seiner Rache missbraucht, den er dafür noch nicht mal aktiv manipulieren musste! Einfach nichts zu sagen hatte schon ausgereicht, und das, obwohl er ganz genau gewusst hatte, was für ihn, Duke, auf dem Spiel stand – im wahrsten Sinne des Wortes. Und warum das alles? Wegen eines vermeintlichen Betrugs, den er sich einredete, weil er ein Feigling war und Angst vor der Wahrheit hatte! Das Blut in Dukes Adern pulsierte schnell und heiß. Eigentlich sollte er jetzt da hinter gehen, die Tür aufstoßen und … Aber nein. Was würde es nützen? Leise seufzend ließ er die Schultern sinken, schüttelte den Kopf und schloss die Tür zu dem Viererzimmer auf. Kaiba anzubrüllen und ihm mit etwas (okay, eher sehr viel) Glück eine reinzuhauen, würde die Wut nicht lindern, ganz im Gegenteil. Sie würden sich weiter im Kreis drehen, um die immer gleichen Vorwürfe, weil Kaiba ein rachsüchtiger, nachtragender Sturkopf war und er selbst ebenfalls nicht im Traum daran dachte, nur noch einen Zentimeter weiter nachzugeben. Warum auch? Außer der Lüge über den Hintergrund seiner Anfrage, zu der er offen und ehrlich stand, hatte er sich nichts vorzuwerfen! Und die Entwürfe würde ihm das auch nicht zurückbringen. Genauso wenig wie das … Andere. Im krassen Unterschied zum hell erleuchteten Gang war es im Zimmer stockfinster. Seine Hand tastete nach dem Lichtschalter, verharrte kurz darauf, dann ließ er sie unverrichteter Dinge wieder sinken und schloss die Tür hinter sich. Es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er die Gegenstände im Raum zumindest schemenhaft erkennen konnte. Sein erster Impuls trug ihn zu Tristans Bett. Den Block warf er achtlos auf den Tisch, zog Schuhe und Jacke aus, erklomm die Leiter und ließ sich, so wie er war, bäuchlings auf die dünne Matratze des Hochbetts fallen. Langsam ließ die Taubheit nach, sodass es den Eindrücken der letzten Minuten endlich gelang, den Damm aus Wut und Stolz zu durchbrechen, der sie bis eben noch im Zaum gehalten hatte, und ungehindert in seinen Kopf zu strömen. Die schiere Panik in seinem Herzen, als er zum Feuer rannte. Seine Finger um Joeys Handgelenk, fest, unnachgiebig. Das plötzliche Gefühl zu ersticken, als er langsam realisierte, dass Joeys Hand leer war. Die Seiten im Feuer, wie sie verkohlten, immer kleiner wurden, sich in Luft und stobende Funken auflösten. Die Erkenntnis, dass es sein Spiel war, das da gerade verbrannte. Sein Traum. Heißer Schmerz, der sich augenblicklich in seine Haut und sein Herz zu fressen schien, als würde ein Teil von ihm selbst gemeinsam mit den Seiten verbrennen. Kaibas ausgelassene Freude angesichts seiner Erschütterung, seines Entsetzens. Dieses hässliche, süffisante Grinsen, als er sich den Schlüssel hatte geben lassen. Er schlug mit der flachen Hand gegen das Holz der Bettumgrenzung. Er hatte doch keine Wahl gehabt, verdammt! Warum begriff Kaiba das denn nicht?! Ich bin mir sicher, euer Freund Devlin hier wird euch das nur zu gerne erläutern. Seine Finger krallten sich fest in Tristans Kissen. Dieser hinterhältige Mistkerl! … wenn es dein jämmerliches Spiel dann noch gibt. Dieses miese Arschloch! … mit deiner kleinen Narben-Geschichte hast du mich tatsächlich eingewickelt, Devlin! Bravo! Dieser dreckige Bastard! … sie gehört zu dir, sie hat dich zu dem gemacht, der du heute bist. Dieser … Haben … sie dich eigentlich gefragt, was heute wirklich los war? Dieser … Hast du schon mal …? Es war zu viel. Einfach viel zu viel. Seine Augen füllten sich mit heißen Tränen, die sich unaufhaltsam einen Weg über seine Wangen nach unten suchten. Immer stärkere Beben ließen seinen Brustkorb erzittern und zwangen ihn schließlich seinen letzten Widerstand aufzugeben. Er vergrub sein Gesicht in Tristans Kissen, um das Geräusch seines Schluchzens wenigstens ein bisschen zu dämpfen und ließ es einfach geschehen. Wann er eingeschlafen war, völlig erschöpft und zusammengekrümmt auf der Seite liegend, wusste er nicht. Diffuse Geräusche drangen gedämpft an sein Ohr und wurden nur langsam klarer. Menschen kamen ins Zimmer. „Duke?“, hörte er eine Stimme leise fragen, „Schläfst du?“ Ach ja, er war ja bei Yugi. Er hatte keine Kraft sich zu bewegen, zu sprechen, mit irgendjemandem in irgendeiner Form zu interagieren. Also: Ja, er schlief. Dankbar nahm er zur Kenntnis, dass die anderen sich nur flüsternd unterhielten und das Licht ausgeschaltet ließen. Die Wuseligkeit dauerte ein paar Minuten an, immer wieder ging die Tür auf und zu, erhellte ein Lichtkegel aus dem Gang den Raum ganz leicht, wenn jemand ins Gemeinschaftsbad ging, um sich umzuziehen und die Zähne zu putzen. Ihm war vollkommen bewusst, dass er noch immer Tristans Bett okkupierte, aber die Vorstellung, rüberzugehen und sich in sein eigenes Bett zu legen – zu Kaiba! – oder überhaupt aufzustehen, lähmte ihn und ließ ihn regungslos an Ort und Stelle verharren. Irgendwann ging die Tür nicht mehr länger auf und zu, stattdessen wurde flüsternd beratschlagt und schließlich hörte er Joey leise – vermutlich zu Tristan – sagen: „Komm halt mit zu mir rüber.“ Kissen wurden aufgeschüttelt, Decken raschelten, auf dem anderen Hochbett ruckelte es noch ein wenig, dann kehrte endlich wieder Ruhe ein und Duke dämmerte erneut weg. Wie von selbst fiel Setos Blick auf die leere, rechte Bettseite, als er sein Kissen aufschüttelte. Devlin würde hier und heute wohl nicht mehr auftauchen. Verständlicherweise. Der Schwarzhaarige würde nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen, das hatte er äußerst erfolgreich sichergestellt, und das beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Gewissermaßen als letzte Amtshandlung verstaute er seine vom Feuer verrauchten Sachen, dann legte er sich hin, deckte sich zu und löschte das Licht. Zum ersten Mal wieder allein und ungestört schlafen! Endlich! Nach einigen Minuten drehte er sich seiner Gewohnheit folgend auf die andere Seite. Trotz seiner unbestreitbaren Müdigkeit fühlten sich seine Lider nicht schwer genug an, um seine Augen nachhaltig geschlossen zu halten. Die dunklen Umrisse von Dukes Kissen und Decke erschienen vor ihm, als er kurz blinzelte, dann verschwanden sie wieder. Er zog die Bettdecke noch ein Stückchen höher und presste seine Augenlider zu. Vergeblich. Wieder sah er die leere Bettseite vor sich. Ein Ziehen in seiner Brust. Es gefällt dir, dass da jemand neben dir liegt. Einfach nur lächerlich! Er gab keinen Deut auf Wheelers betrunkene Küchentisch-Psychologie! Energisch drehte er sich zurück auf die andere Seite, auch wenn es eigentlich nicht die war, auf der er für gewöhnlich einzuschlafen pflegte. Er zwang sich zu ruhigen, tiefen Atemzügen und nach einigen quälend langen Minuten gab sein Körper den angestrengten Bemühungen endlich nach. Als Seto das nächste Mal erwachte, herrschte noch tiefe Dunkelheit. Hatte er überhaupt richtig geschlafen? Viel mehr als wirre Träume und unruhiges Hin- und Herwerfen konnte es seiner Erschöpfung nach zu urteilen eigentlich nicht gewesen sein. Schwerfällig griff er nach seiner Armbanduhr auf dem Nachttisch und musste die Augen ein wenig zusammenkneifen, um die schwach leuchtenden Zeiger erkennen zu können. Halb drei. Mit einem leisen, genervten Stöhnen legte er die Uhr zurück und starrte an die Decke. Stille. Außer seinem eigenen Atem war nichts zu hören. Er war noch immer allein. Vorsichtig tastend streckte er seinen linken Arm aus, bis hinüber auf die andere Bettseite. Ganz von selbst glitt seine Hand Zentimeter für Zentimeter weiter nach oben, wie um sich zu überzeugen, dass da wirklich niemand unter der Decke lag. Nahe des Kopfkissens spürte er auf einmal ein anderes Material unter seinen Fingerspitzen: Dünner, weicher. Er musste es nicht sehen, um zu wissen, dass es ein T-Shirt war. Devlins T-Shirt. Das hellgraue, das er, bis auf letzte Nacht, immer zum Schlafen getragen hatte. Aufregung und ein dezentes Kribbeln erfassten seinen Körper, als sich seine Hand in den leichten Stoff grub. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er konnte nicht aufhören, das Shirt zu berühren, musste es wieder und wieder durch seine Finger gleiten lassen. Es war wie ein Zwang. Die Frage, was er hier eigentlich tat, regte sich leise in seinem Hinterkopf. Nun, er war allein, es war dunkel, seine Augen schon längst wieder geschlossen. Im Schlaf taten Menschen eben seltsame Dinge. Bedächtig drehte er sich auf die linke Seite, ignorierte dabei die deutliche Regung in seiner Körpermitte und zog seine Hand samt T-Shirt langsam näher zu sich heran. Das Shirt fühlte sich kühl an – zu kühl –, ließ ihn die angenehme Wärme des Körpers vermissen, den es normalerweise umhüllte. Unter seiner eigenen Decke kam die Wärme langsam zurück. Sein Atem zitterte. Begierig erkundete auch seine rechte Hand den weichen Stoff, so als sei ihr die ganze Zeit etwas vorenthalten worden. Plötzlich der Hauch eines vertrauten Geruchs. Flattern in seiner Brust. Wie ferngesteuert brachte er das Shirt näher an sein Gesicht und atmete tiefer ein. Alles war wieder da: Die Wärme und das Verlangen in den grünen Augen, das Gefühl der weichen, warmen Haut und der festen Muskeln unter seinen Fingerspitzen, der Geschmack der zarten Lippen, das verführerische Lächeln … Ich für meinen Teil bin auch ganz gut im Improvisieren! Ein leichtes Pochen in seiner Lendengegend, angenehm, fordernd. Was um alles …? Voller Entsetzen, so als sei er gerade aus einer unfreiwilligen Hypnose erwacht, riss er die Augen auf. Überstürzt befreite er seine Arme aus der Bettdecke und warf das T-Shirt blindlings von sich, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob es tatsächlich in der Nähe von Dukes Tasche oder einfach irgendwo auf dem Boden landete. Das Beben in seiner Brust war hartnäckig und wollte auch Minuten, nachdem er sich wieder weggedreht und geradezu gewaltsam die Augen geschlossen hatte, nicht nachlassen. Ich wollte nichts mehr als sofort hierher zurückkommen … … – zu dir zurückkommen – … Ach ja?! Wenn er es wirklich so sehr gewollt hatte, warum hatte er es dann nicht einfach getan?! Seine dummen kleinen Freunde konnten nicht für alle seine schlechten Entscheidungen herhalten! Nein, so war das nicht! Das mit uns hatte damit rein gar nichts zu tun! Setos linke Hand krallte sich noch fester in die Bettdecke. Diese ach-so-entsetzte Reaktion! Wirklich eine schauspielerische Glanzleistung! Da war nicht nur eine körperliche Verbindung zwischen uns, da war mehr! Du hast mich verstanden, Kaiba! Wirklich verstanden! Wie er einfach den Spieß umgedreht und auf einmal so getan hatte, als sei er der Enttäuschte! Was für ein erbärmliches Manöver, um von der eigenen Schuld abzulenken! Was ich dir vorgestern über mich erzählt habe, alles, was ich seitdem getan und gesagt habe, war echt – zu einhundert Prozent! Einhundert Prozent, von wegen! Wie konnte Devlin allen Ernstes erwarten, dass er ihm das abnahm? Nach allem, was nur Minuten vorher enthüllt worden war! Nein, Devlin konnte noch so verletzt und enttäuscht und beleidigt tun, das änderte nichts an den Tatsachen: Er hatte ihn belogen und ausgenutzt, um sein im Scheitern begriffenes Spiel zu retten. Nichts davon war echt gewesen! Alles nur Strategie und kühle Berechnung! Wie immer. … Eine bleierne Schwere legte sich um sein Herz und mit ihr kam endlich auch der Schlaf. Langsam schlug Duke seine schweren Augenlider auf und blinzelte gegen das spärliche Licht des beginnenden Tages. Um ihn herum war es still, nur Joeys leises Schnarchen und Tristans geräuschvolles Atmen waren zu hören. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht. Tatsächlich hatten sich beide in Joeys Bett gequetscht und sich anscheinend, von ein paar überlappenden Gliedmaßen abgesehen, trotz der Enge ganz gut eingerichtet.Vorsichtig richtete er sich ein wenig auf, um nicht mit dem Kopf an die Zimmerdecke zu stoßen und griff in die Tasche seines Pullovers nach seinem Telefon. 06:35 Uhr. Kaiba dürfte also bereits wach sein. Er würde ihm nicht ewig aus dem Weg gehen können, mindestens einmal musste er noch nach drüben, um seine Sachen zu holen. Seinen verschwitzten Klamotten und dem belegten Gefühl in seinem Mund nach zu urteilen, waren Zähneputzen und eine Dusche auf jeden Fall absolut notwendig. Bevorzugt im Gemeinschaftsbad. So leise wie er konnte, stieg Duke vom Hochbett herunter, nahm den Block vom Tisch und ließ ihn sanft in den Papierkorb gleiten, damit das Rascheln der Tüte die anderen nicht weckte. Dann griff er sich seine Schuhe und seine Jacke und schlich beinahe geräuschlos aus dem Zimmer. Er würde Kaiba einfach ignorieren. Nur schnell die Sachen schnappen und dann sofort wieder raus! Vorsichtig öffnete er die Tür ihres Zimmers und linste hinein. Das Brummen der Badlüftung ließ ihn erleichtert aufatmen. Flink huschte er in den Raum und stopfte alle seine herumliegenden Sachen irgendwie in den Rucksack und die Reisetasche: Seine Sportsachen, die noch über dem linken der beiden Stühle hingen, seine Turnschuhe, das graue Schlafshirt, das irgendwie auf dem Boden gelandet war (vielleicht, als er so hektisch das Bett durchsucht hatte?) sein Handy-Ladegerät, das noch in der Steckdose gesteckt hatte. Notdürftig schloss er alle Reißverschlüsse, schwang den Rucksack über eine Schulter, die Reisetasche über die andere und war schon auf dem Weg, das Zimmer wieder zu verlassen, als die Badtür entriegelt wurde. „Meinst du nicht, du brauchst noch die hier?“ Die Stimme ließ ihn an Ort und Stelle festfrieren. Langsam wandte er sich um und begegnete blauen Augen, in denen ein spöttisches Blitzen lag. Kaiba lehnte am Türrahmen der Badezimmertür, die Haare ungekämmt und noch leicht feucht, ein süffisantes Lächeln auf den Lippen, sein Hemd nur zur Hälfte zugeknöpft und noch nicht in die Hose gesteckt. Hitze stieg in Duke auf und sein Herzschlag beschleunigte sich. Er hätte kaum sagen können, was größer war: Sein Hass auf Kaiba und dessen ekelhafte Selbstgefälligkeit oder sein Hass auf sich selbst für das subtile Kribbeln der Erregung, das der Anblick trotz allem in seinem Unterleib auslöste. Das Baumeln der Waschtasche in den Fingern des Brünetten weckte ihn schließlich aus seiner kurzen Trance. Ohne sein Gepäck noch einmal abzulegen trat Duke mit funkelndem Blick auf Kaiba zu, riss ihm den Kulturbeutel aus der Hand und stopfte ihn ebenfalls in die halboffene Reisetasche. Ohne ein Wort machte er auf dem Absatz kehrt und ließ die Tür mit einem lauten Knall hinter sich ins Schloss fallen. Zum Glück war das Gemeinschaftsbad leer, als Duke mit Sack und Pack dort einfiel und diese Tatsache ließ ihn erleichtert aufatmen. Nichts konnte er jetzt weniger gebrauchen als dumme Nachfragen, warum er sein gesamtes Gepäck mit sich herumschleppte. Frisch geduscht, eingekleidet und mit sauberen Zähnen hielt er sich nur wenige Minuten später wenigstens für einigermaßen präsentabel, packte seine Sachen etwas ordentlicher zusammen und stieg die Treppen hinunter zum Speisesaal. Auch hier war um diese Zeit noch niemand. Gewohnheitsmäßig ging er zu dem Tisch, an dem sie bis jetzt immer gesessen hatten, und ließ Tasche und Rucksack einfach lustlos auf den Boden fallen. Die Küchenfrau hatte ihn bereits erspäht und den Kaffee parat, als er an die Durchreiche trat. „Na, Sie wollen den Bus aber auf keinen Fall verpassen, was?!“ Mehr als ein gequältes Lächeln brachte er als Reaktion auf ihre amüsierte Bemerkung nicht zustande, nahm schweigend den Kaffee entgegen und kehrte an den Tisch zurück. Schwerfällig sank er auf den Stuhl, ohne die Hand vom Henkel der Kaffeetasse zu lösen. Das heiße, glatte Porzellan in seiner Hand ankerte ihn im Jetzt und bewahrte seine Gedanken davor, zu weit abzuschweifen. Es war vollkommen still, nur das Rauschen des Regens, der in der Nacht begonnen hatte, drang leise durch eines der angekippten Fenster. Duke schloss die Augen, atmete tief ein und aus und genoss die Ruhe. Kurz hallte die Frage durch seinen Kopf, wie es nun weitergehen sollte, war sie doch das sprichwörtliche Damoklesschwert, das nun über ihm hing. Mit einem tiefen Seufzen nahm er einen ersten Schluck Kaffee. Der bittere Geschmack und der vertraute Duft beruhigten ihn, gaben ihm das subtile Gefühl von Kontrolle, auch wenn er nur zu gut wusste, dass es eine Illusion war. Setos Augen verharrten noch einen Moment auf der Zimmertür, dann schüttelte er leicht amüsiert den Kopf und ging zurück ins Badezimmer. Herrlich, Devlins genervter Gesichtsausdruck, sein hasserfüllter Blick! Wie hätte er sich das nehmen lassen können, zumal Devlin seine Waschtasche ja tatsächlich brauchen würde und er keine Lust gehabt hatte darauf zu warten, bis der Schwarzhaarige ihn aus eigenem Antrieb stören würde. Das leichte Schmunzeln erstarb, als er vor den Spiegel trat. Er wich seinem Blick aus, konzentrierte sich ganz darauf, sein Hemd zuzuknöpfen, es in die Hose zu stecken und seine Haare zu kämmen. Als er fertig war, warf er den Kamm in die Waschtasche, verschloss letztere und verließ das Bad, um sie wegzupacken. Noch einmal ließ er seinen Blick kontrollierend durch den Raum schweifen. Offensichtlich waren alle seine Sachen verstaut. Routiniert schloss er den Koffer, stellte ihn auf die Rollen und hing seinen Mantel darüber. Regen trommelte leise auf das Fensterbrett und an die Scheiben und für ein paar Sekunden verlor er sich in dem undurchdringlichen Grau des Himmels, gegen das sich die fast nackten Zweige des Baumes vor dem Fenster deutlich abhoben. Schließlich nahm er einen tiefen Atemzug, ließ sich auf der Bettkante nieder und legte seine Uhr und den Anhänger um, sodass nur noch ein Gegenstand auf dem Nachttisch übrig blieb. Achja. Seufzend erhob er sich, nahm das Buch mit sich und verließ das Zimmer. Auf dem Weg hinunter in den Speisesaal machte er im Gemeinschaftsraum Halt. Selten hatte er ein Buch mit so viel Befriedigung ins Regal zurückgestellt. So sehr er sich in den letzten Tagen auch hin und wieder mit Jekyll hatte identifizieren können (das war nicht zu leugnen), so dankbar war er, dass seine Geschichte ein anderes Ende genommen hatte. Im Gegensatz zu Jekyll hatte er widerstanden, hatte sich zurückgekämpft, war wieder ganz er selbst. Gut, Devlin hatte es ihm auch nicht besonders schwer gemacht, aber dennoch. Und wenn er erst wieder zu Hause war, seinen Alltag wieder hatte und vor allem sein eigenes Bett, in dem er alleine schlief und keine Kleidungsstücke von anderen Leuten finden würde, die ihn dazu brachten, fragwürdige Dinge zu tun, dann würde diese ganze Episode Stück für Stück verblassen. Wie Stevensons kleine Geschichte hier würde er sie vergessen, hoffentlich eher früher als später. Mit einem letzten abfälligen Schnauben wandte Seto sich ab und verließ den Raum. Das Quietschen der Speisesaal-Tür riss Duke aus seinen leeren Gedanken. Vorbei war die Ruhe, jetzt ging das Gewusel los. Doch es folgten nur ein paar Schritte, kein Geschnatter, noch nicht einmal ein gedämpftes Gespräch. Verwundert öffnete er die Augen und sah sich um. Natürlich. Kaiba stand an der Durchreiche und bekam ebenfalls einen Becher Kaffee in die Hand gedrückt. Glaubst du etwa, du bist der Einzige hier, der morgens nicht ohne Kaffee auskommt? Seine Augen folgten dem Brünetten unauffällig, so lange bis er aus seinem Blickfeld verschwand und sich an seinen Stammplatz in der hintersten Ecke des Raumes setzte. Eine plötzliche Unruhe überkam ihn, gegen die auch ein neuerlicher Schluck Kaffee nicht viel auszurichten vermochte. Das Gefühl, dass Kaiba in seinem Rücken saß, sein Blick ihn von hinten durchbohrte, wurde immer stärker, aber natürlich konnte er sich nicht umdrehen, um seinen Eindruck zu überprüfen. Obwohl … noch waren sie allein. Noch könnte er einfach zu Kaiba gehen und mit ihm sprechen. Wie sehr hatte er sich am Tag des Wettbewerbs gewünscht, genau das zu tun?! Einfach rübergehen, sich zu Kaiba setzen, Kaffee mit ihm trinken, weiter so reden, wie am Vormittag und am Abend zuvor: Offen, entspannt, auf Augenhöhe. Sie waren sich so nah gewesen – in mehrfacher Hinsicht –, nun saßen sie hier, in einem ansonsten leeren Saal, viele Meter und Tische voneinander entfernt, und nippten stoisch an ihren Kaffeebechern, jeder für sich. Nein, es war alles gesagt. Wenig später tröpfelten die ersten anderen Schüler herein und erfüllten den Raum mit Gesprächen und dem Klirren von Geschirr, als sie begannen, sich ein letztes Mal am Frühstücksbüffet zu bedienen. „Morgen!“, holte ihn Teas sanfte Stimme in die Realität zurück. Eine gewisse fragende Ratlosigkeit lag in ihren Augen; sie schien noch zu eruieren, wie er sich wohl fühlte und wie sie mit ihm umgehen sollte. Gott, hoffentlich würden sie ihn nicht alle behandeln wie ein rohes Ei! Er hatte ja nun wirklich kein Problem damit, im Mittelpunkt zu stehen, aber doch bitte nicht so! Wie er befürchtet hatte, herrschte auch Minuten nach Ankunft der anderen noch betretenes Schweigen und Duke konnte ihre verstohlenen Blicke geradezu körperlich spüren. Wenn er das Eis nicht brach, würde es ewig so weiter gehen. „Es ist nicht so, dass keiner mehr reden oder lachen darf, nur weil es bei mir gerade nicht so läuft, ich hoffe das wisst ihr!“, begann er lächelnd und sah in das Rund seiner Freunde, „Versteht mich nicht falsch, ich weiß eure Anteilnahme sehr zu schätzen, aber … ihr könnt mir ohnehin nicht helfen. Also lasst euch nicht runterziehen, seid einfach normal! Zu Hause wartet noch genug schlechte Stimmung auf mich.“ „Hast recht.“, stimmte Tristan ihm zu und auch der Rest nickte. „Danke. … Für alles.“ Und er wusste, dass sie genau verstanden hatten, was er meinte: Dass sie ihn nicht verurteilten, weil er sie angelogen hatte, dass sie seine Motive verstanden (im Gegensatz zu anderen Personen in diesem Raum), dass sie einfach für ihn da waren. „Vor allem dafür, dass ihr euch nur wegen mir zusammen in ein Bett gequetscht habt!“, fügte er schließlich mit einem leisen Lachen hinzu, um die betretene Stimmung wieder etwas zu aufzulockern. „Kein Ding, Mann, das war doch das Mindeste!“, gab Joey grinsend zurück. Tristan verschränkte die Arme vor der Brust und sah den Blonden leicht vorwurfsvoll an. „Wenn du dich nicht so breit gemacht hättest, wäre es wesentlich angenehmer gewesen!“ „Ich mich breit gemacht?! Wenn sich jemand breit gemacht hat, dann doch wohl du! Außerdem kannst du nicht behaupten, dass du schlecht geschlafen hättest!“ „Sag das mal meinem Arm, der die ganze Nacht über der Bettkante hing! Ich kann froh sein, dass der nicht einfach abgefallen ist!“ Dukes Mundwinkel wanderten unweigerlich nach oben, ebenso wie die der anderen. Die Diskussion ging noch ein Weilchen so weiter und Duke sog die gelöste Stimmung auf wie ein Schwamm, bis Frau Kobayashi das Signal zum Aufbruch gab. Im Laufschritt brachte Duke seine Sachen zum Bus und half auch Tea und den anderen, damit sie nicht allzu nass wurden. Schließlich waren alles und alle verstaut und Duke saß mit den anderen wie immer in der letzten und vorletzten Reihe des Fahrzeugs. Frau Kobayashi zählte noch einmal durch, fragte zum wiederholten Male, ob auch alle sicher seien, nichts vergessen zu haben, dann setzten sie sich in Bewegung. Die Herberge hinter ihnen wurde immer kleiner, bis sie vollständig aus Dukes Blick entschwand und es die steile, an den Rändern von nassem Herbstlaub bedeckte Waldstraße wieder hinabging. Von seinem Fensterplatz aus nahm er noch einmal die Aussicht über Nagano in sich auf, bis sie das Tal erreichten und auf die Autobahn auffuhren. Als er die letzten Tage noch einmal in seinem Kopf Revue passieren ließ, erschienen sie ihm wie eine turbulente Achterbahnfahrt, inklusive Rückwärtsfahren, einer Passage im Dunkeln und mehreren Loopings. Selten war in seinem Leben in so kurzer Zeit so viel passiert: Spiel am Arsch. Doppelzimmer mit Kaiba. Ehebett. Kaffee. Parfüm. Dino-Block. Schwimmbad. DDM. Spiel gerettet?! Kaiba schlafend. Bank am See. Kaffee. Spiel gerettet! Wettbewerb. Kaffee. Basketball. Kaiba geküsst. Mit Kaiba geschlafen. Party. Fiasko. Wahrheit gesagt. Kaiba verloren. Spiel am Arsch. Nun, es war eine Klassenfahrt, die er mit Sicherheit nicht vergessen würde. Fast alle um ihn herum scrollten durch ihre Smartphones, sahen noch einmal die Fotos der letzten Tage an, verglichen, lachten und amüsierten sich. So fiel es nicht weiter auf, als auch Duke sein Telefon hervorholte und die Foto-App öffnete. Das Klassenfoto war schnell gefunden. Wieder zoomte er hinein, bis nur noch er und Kaiba zu sehen waren. Ein trauriges Lächeln huschte über seine Lippen. Sie sahen gut aus zusammen. Wirklich gut. Wie hatte er nur so naiv sein können zu glauben, dass das funktionieren konnte? Sein Herz wurde schwer, schien ihn nach unten und noch tiefer in den Sitz zu ziehen. Mit einem kaum hörbaren Seufzen schaltete er das Display aus, steckte das Handy zurück in die Tasche seines Pullovers und ließ seinen Kopf gegen die kühle Fensterscheibe sinken. Langsam dämmerte er weg und wachte erst wieder auf, als die Autobahnbeschilderung die ersten bekannten Ortsnamen ankündigte. In der Tat fuhren sie schon kurz darauf von der Autobahn ab und in das ebenso verregnete Domino hinein, wo schon bald die ersten vertrauten Straßen und Gebäude an ihnen vorbeizogen. „Was wirst du eigentlich jetzt tun?“, riss ihn Yugis leise Stimme aus seinen Gedanken. Sorge sprach aus seinem Blick. Schon die ganze Zeit hatte Duke sich gefragt, wann wohl endlich jemand den Mut aufbringen würde, ihm diese Frage zu stellen. Sein erster Impuls war eine selbstbewusste, aber ausweichende Antwort, ein „Das lass mal meine Sorge sein!“ oder ein „Mir wird schon was einfallen!“, doch in letzter Sekunde hielt er inne. Das hier waren seine Freunde. Was brachte es, ihnen jetzt noch etwas vorzumachen? Besonders nach allem, was ihm genau dieses Verhalten in den vergangenen Tagen eingebracht hatte. So sah er Yugi nur traurig an und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“ „Hm.“ Der Kleinere nickte betrübt, dann lächelte er und sah Duke voller Wärme an. „Dir wird schon was einfallen! Ich glaube an dich! Wir glauben an dich!“ Duke erwiderte darauf nichts, sondern nickte nur. Woher nahm Yugi nur immer diese Zuversicht? Als sie in die Straße zur Schule einbogen, beugte sich Tea auf einmal halb über Yugi und ihn und winkte aus dem Fenster. „Da sind schon meine Eltern!“ Unter leichtem Ächzen zog sie sich wieder zurück und sah zu ihren Sitznachbarn. „Yugi, Ryou, es bleibt dabei, dass ihr mit uns mitfahrt?“ Die beiden Angesprochenen nickten. „Ah, da vorne stehen meine Leute!“, stellte Tristan fest und Joey legte ihm die Hand auf die Schulter. „Danke, dass ihr mich mitnehmt, Alter!“ „Duke, was ist mit dir?“, wandte sich Tristan an ihn, „Du willst doch bei dem Wetter nicht mit dem Fahrrad nach Hause?! Wir haben noch einen Platz im Auto frei. Dann kommst du morgen halt mal mit dem Bus in die Schule!“ Die Vorstellung jetzt noch – auch wenn es nur ein paar Minuten waren – mit Tristan, seinem extrem kumpeligen Vater und seiner stets sonnigen Mutter sowie Joey in einem Auto zu sitzen, bereitete ihm beinahe körperliche Schmerzen. Nein, er hatte sich schon zu sehr mit dem Gedanken angefreundet, gleich durch den strömenden Regen auf seinem Fahrrad nach Hause zu fahren, allein zu sein, seinen Kopf auszuschalten. „Danke für das Angebot, Tris, aber ich nehm das Rad. Das passt schon.“ „Sicher?!“ Tristans Gesicht nach zu urteilen zweifelte er ernstlich an Dukes Verstand. Nun, man musste nur einmal nach draußen sehen und konnte es ihm nicht mehr verübeln. So nickte er noch einmal und Tristan zuckte nur mit den Schultern. „Okay.“ „Aber wenn du dann später krank wirst, sag nicht, wir hätten nicht gefragt!“, fügte Tea mit leicht tadelndem Unterton hinzu, stieß mit ihrem Einwand jedoch auf ebenso taube Ohren. Kaum war der Bus zum Stehen gekommen, wollten alle schon aufspringen, doch Frau Kobayashi hielt sie noch einmal zurück. In einer für den Geschmack ihrer Schüler viel zu langen Schlussansprache bedankte sie sich für die wahrlich wunderschöne Fahrt, zählte noch einmal lang und breit jeden Ausflug und jede Aktivität auf, an die man sich doch bitte noch lange erinnern möge und wünschte allen einen schönen Rest-Sonntag bis man sich ja bereits morgen im Unterricht wiedersehen würde. Der Regen sorgte für Eile beim Verlassen des Busses und ließ keine Zeit für lange Verabschiedungen. Trotzdem wurde Duke das Gefühl nicht los, dass die kurzen Umarmungen unter der Gepäckklappe bei ihm ein wenig länger und fester ausfielen als bei den anderen, bevor sie in die verschiedensten Richtungen entschwanden: Tea, Yugi und Ryou nach links zum Auto von Teas Eltern, Tristan und Joey nach rechts zum Wagen der Taylors. Duke hingegen warf sich seine Tasche um, setzte den Rucksack auf und spazierte ganz ohne Eile zu den Fahrradständern. Sich zu beeilen hatte keinen Sinn, nass würde er ja ohnehin werden. Routiniert öffnete er das Schloss an seinem schwarzen Eingang-Rennrad, das er vor nicht allzu langer Zeit mit roten Lenkergriffen und Felgen so angepasst hatte, dass es seinem Traumrad zumindest ein Stückchen näher kam, wischte notdürftig das Wasser vom Sattel und schob es in Richtung des Schultors. Er wandte den Kopf nach links und rechts, um zu prüfen, ob er gefahrlos aus der Einfahrt fahren konnte, da fiel sein Blick auf eine dunkle Limousine ein Stück weiter vorne an der Straße. Unter einem großen, schwarzen Regenschirm wurde Kaiba von seinem Assistenten in Empfang genommen, der ihm den Koffer abnahm und den Schirm schützend über ihn hielt, bis der Firmenchef im Fond des Wagens saß und die Tür hinter ihm geschlossen worden war. Wie betäubt stand Duke da und sah zu, wie der silberne Koffer in den Kofferraum geladen wurde, der Fahrer einstieg und den Motor anließ. Mit einem letzten, langgezogenen Seufzer schüttelte er den Kopf, schwang sich seiner Beladung zum Trotz in einer fließenden Bewegung auf den Sattel und trat in die Pedale. Schwere, kalte Tropfen klatschten unnachgiebig in sein Gesicht, als er an Tempo gewann und die Limousine ebenso wie die anderen wartenden Autos hinter sich ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)