Common Ground von DuchessOfBoredom ================================================================================ Kapitel 22: Is it any wonder? ----------------------------- In Setos Manteltasche blieb es still, als nahezu zeitgleich überall im Bus die Telefone pingten und vibrierten. Schnell erkannte er an den Gesprächen, dass anscheinend das Klassenfoto herumgesendet worden war. Unzählige „Oh, mein Gott!“s und „Seht mal, wie“s wurden ausgetauscht, über die Seto nur den Kopf schütteln konnte. Schließlich reaktivierte er seine Kopfhörer, um die so anstrengenden wie belanglosen Konversationen seiner Mitschüler einmal mehr auszublenden. Selbst wenn er sein echtes Smartphone dabei gehabt hätte (statt eines praktisch funktionslosen, das nur so aussah), hätte er das Foto nicht erhalten, schlicht und ergreifend, weil er nicht Teil dieses Gruppenchats war. Davon mal abgesehen: Warum sollte er sich ausgerechnet an diesen äußerst unangenehmen Moment erinnern wollen?! Seto hatte durchaus sorgfältig darauf geachtet, wo Devlin und der Rest der Chaostruppe herumwuselten und ursprünglich hatte jemand anderes an ihrem Platz gestanden, sodass er es für ungefährlich befunden hatte, sich ganz hinten links aufzustellen und damit etwas Abstand zur Klasse halten zu können. Dann war jedoch praktisch in letzter Sekunde noch einmal hin- und hergetauscht worden und ehe er sich’s versah, war Devlin genau vor ihm gewesen. Sein Wunsch, auf Abstand zu bleiben, war dadurch nicht gerade kleiner, jedoch von Kobayashi-sensei unerbittlich vereitelt worden; ihrer Aufforderung nicht Folge zu leisten, wäre viel zu auffällig gewesen. So hatte er sich gezwungenermaßen aus nächster Nähe noch einmal mit allem auseinandersetzen müssen, was seine Hormone verrücktspielen ließ: Der frische Duft von Devlins Shampoo war ihm in die Nase gestiegen, er hätte seine Hand nur ein paar Zentimeter ausstrecken müssen, um die weichen, schwarz-glänzenden Haare zu berühren, sich nur ein kleines Stück hinunterbeugen müssen, um wie letzte Nacht Dukes Hals und Nacken entlang zu küssen und vielleicht noch einmal die hingerissenen Laute zu hören, die Duke dabei von sich gegeben hatte. So schnell, wie sie über ihn gekommen war, hatte er die Phantasie auch wieder hinuntergeschluckt, spätestens als Frau Kobayashi im Stile eines gehetzten Baby-Nilpferds angelaufen gekommen war, um sich zur Gruppe zu stellen. Ob Devlin seine Nähe umgekehrt wenigstens genauso aus dem Konzept gebracht hatte? Gleich. Sein Verstand, schon immer sein bester Ratgeber, sagte ihm ohnehin ganz eindeutig, was zu tun war: Er musste die Sache ein für allemal beenden und zwar so schnell wie möglich, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. Es machte nur Ärger und Umstände und lenkte ihn von allem ab, was wirklich wichtig war. Auch wenn sein innerer Mr. Hyde anscheinend nicht müde wurde, seine eigene unzweideutige Meinung zu den passendsten und unpassendsten Zeitpunkten einzustreuen, er würde ihm keine weitere Beachtung schenken. Endlich bog der Bus in die Auffahrt der Jugendherberge ein und kam ein Stück vor dem Eingang zum Stehen. „Also dann, meine Herrschaften, wir sehen uns wie gewohnt um 18 Uhr zum Abendessen! Bis dahin haben Sie Freizeit und können tun, was Sie möchten. In einem zivilisierten Rahmen, versteht sich!“, gab Frau Kobayashi den restlichen Nachmittag frei, bevor der Fahrer die Türen öffnete und alle aus dem Bus hinausströmten. Während seine Freunde sich schon langsam in Richtung Herberge in Bewegung setzten, blieb Duke noch einen Moment stehen und kramte in der kleinen Vordertasche seines Rucksacks. Mit einem klimpernden Geräusch zog er den Zimmerschlüssel heraus, schloss den Reißverschluss und wollte gerade den Rucksack wieder nach hinten schwingen, um seinen Freunden zu folgen, da fror er mitten in seiner Bewegung ein. Er musste nicht aufsehen, um zu wissen, wer vor ihm stand. Der Duft allein genügte. Als er mit bebendem Herzen den Blick hob, begegnete er blauen Augen, die ihn auffordernd ansahen und bemerkte die geöffnete Hand, die ihm entgegengestreckt wurde. Duke brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, dann hielt er Seto den Schlüssel hin. Schon schloss der Brünette die Hand darum, doch irgendetwas hielt Duke davon ab, den Metallring loszulassen. Die blauen Augen schienen einmal mehr direkt in ihn hineinzusehen und seine Hand begann leicht zu kribbeln, als würde durch das Metall des Schlüssels ein schwacher Strom fließen – und das obwohl sich ihre Finger nicht einmal direkt berührten, sondern mindestens einen Zentimeter voneinander entfernt waren. Da verengten sich die Augen des Brünetten und er zog noch etwas stärker an dem Schlüssel, sodass Duke ihn schließlich mit leichtem Widerwillen freigab. Ohne eine weitere Reaktion drehte Seto sich um und ging zügigen Schrittes in Richtung Haus. Mit einem leisen Seufzen sah Duke ihm nach, bevor er sich ebenfalls in Bewegung setzte und dabei versuchte, das auf einmal wieder sehr reale Gefühl der Beklemmung abzuschütteln. Was auch immer das gerade zu bedeuten gehabt hatte (und die Frage war gar nicht mal nur auf Kaiba bezogen), sie mussten definitiv miteinander reden. Dringend. Im Gehen zog er kurz sein Handy hervor. Bis 18 Uhr waren es noch etwas mehr als anderthalb Stunden. Das war doch eine, wenn nicht sogar die Gelegenheit! Er musste nicht bis zehn warten; er konnte jetzt gleich Gewissheit haben, wenn er es nur schaffte, sich von den anderen loszueisen … „Sorry Leute, ich musste noch schnell den Schlüssel raussuchen.“, entschuldigte er sich, als er bei seinen Freunden ankam, die vor der Herberge auf ihn gewartet hatten. Tea winkte lächelnd ab. „Kein Problem. Wir waren gerade dabei zu klären, was wir bis zum Abendessen machen.“ Perfekt! Genau hier musste er einhaken. Denk nach, Duke, denk nach! Ryou zuckte mit den Schultern. „Furchtbar viele Möglichkeiten haben wir ja nicht. Gehen wir in den Gemeinschaftsraum?“ Tristan nickte. „Ja, lasst uns unsere Sachen hochbringen und dann ne Runde Billard spielen oder so.“ „Ich glaub, ich bin raus, ich werd mich bis zum Abendessen noch ein bisschen ausruhen.“ Duke war selbst ein wenig überrascht, wie schnell und selbstverständlich ihm diese Ausrede über die Lippen kam. Sicher, es war auch ein Glücksspiel, barg speziell dieser Vorwand doch das Risiko, einmal mehr die Nachfrage zu provozieren, was denn nun eigentlich mit dem Zimmer nicht stimmte, aber hey, er war nun mal eine Spielernatur und etwas Glaubhafteres weit und breit nicht in Sicht. Zu seinem Glück fragte Tea nicht noch einmal nach, sondern legte ihm verständnisvoll die Hand auf die Schulter. „Klingt nach einer guten Idee, wenn du schon so eine schlechte Nacht hattest. Du siehst auch ziemlich erledigt aus.“ „Willst du bei uns pennen?“, fragte Joey und Duke zog verwundert die Augenbrauen hoch. „Warum sollte ich?“ „Du willst echt freiwillig länger als nötig bei dem reichen Pinkel sein?!“ Oh oh, machte er sich jetzt doch verdächtig? Dukes Hände wurden ein wenig schwitzig, während Joey weitersprach. „Ich meine nur, am Ende erstickt er dich doch noch mit einem Kissen, so angepisst, wie er vorhin geklungen hat.“ Mit einem Kopfschütteln und der größten Selbstverständlichkeit, die er aufzubringen imstande war, versuchte Duke seinem Freund den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Ich muss doch eh mein Zeug ins Zimmer schaffen. Da kann ich mich auch gleich ne Runde auf meinem eigenen Bett hinhauen. Und ich weiß, du kannst dir das nicht vorstellen, aber mit Kaiba zu koexistieren, ist gar nicht so unmöglich, wie du denkst.“ Auch wenn Koexistenz für das, was er vorhatte, natürlich die Untertreibung des Jahrhunderts war. „Na gut, wie du meinst, war nur ein Angebot.“, erwiderte Joey schulterzuckend und zusammen gingen sie hinein. Wirklich, das war es schon?! Duke konnte sein Glück kaum fassen. Die Bahn schien damit tatsächlich frei für das Gespräch, vor dem er sich den Tag über erfolgreich gedrückt hatte! Je näher sie den Zimmern kamen, desto mehr wurde ihm allerdings auch wieder schmerzlich bewusst, warum eigentlich. Als die Zimmertür hinter den Jungs zugefallen war und Duke draußen nur noch gedämpftes Gemurmel hören konnte, hatte er beinahe das Gefühl ein Déjà-Vu zu erleben. Wieder blieb er allein auf dem Gang zurück. Wieder schritt er langsam weiter nach hinten zu seinem eigenen Zimmer, immer noch auf der Suche nach einem Haken, weil es fast zu leicht gewesen war. Aber vermutlich war das Gespräch selbst schon der größte Haken an der ganzen Sache. Die geänderten Umstände und Vorzeichen schienen seinen Körper schon länger nicht mehr zu interessieren, die weihnachtsähnliche Vorfreude von vorhin war verflogen und hatte einer Nervosität Platz gemacht, die sich noch wesentlich schlimmer anfühlte als gestern. Seine Magengegend schien eine einzige Achterbahn zu sein, deren diverse Loopings sich ganz nahe an seinem Herz in die Luft schraubten, sein gesamtes Inneres fühlte sich an wie ein einziger Freizeitpark. Kaiba Land, schoss es ihm in bitterer Selbstironie durch den Kopf und beinahe hätte er gelacht. Seit gestern Nacht hatten Kaiba und er kein einziges Wort gewechselt. Was würde er jetzt zu hören bekommen? Würde er Kaiba überzeugen müssen – überzeugen können – es zu versuchen? (Was auch immer es genau war …) Seine Hand lag schon auf dem Türgriff, doch er zögerte noch. Ein letzter tiefer Atemzug, dann überwand er sich und drückte die Klinke hinunter. Seto stand am Fenster und drehte sich nicht um, als er hörte, wie die Tür geöffnet, gleich darauf geschlossen und der Schlüssel ein Mal im Schloss herumgedreht wurde. Ein Rucksack wurde auf den Boden geworfen, Kleidung schabte an der Tür entlang, als Devlin sich anscheinend daran anlehnte. Kurz war Seto überrascht, dass der Schwarzhaarige bereits jetzt ins Zimmer kam und offensichtlich auch beabsichtigte zu bleiben, aber im Grunde spielte es keine Rolle. Seine Entscheidung war unumstößlich und die nächste Gelegenheit, es zu beenden (was auch immer es überhaupt gewesen war), dann eben bereits jetzt. So betrachtet musste er Devlin eigentlich sogar dankbar sein. Im ersten Moment konnte Duke nur eine dunkle Silhouette im Gegenlicht der langsam untergehenden Sonne erkennen und es dauerte ein paar Sekunden, bis die Umrisse klarer wurden. Kaiba sah mit hinter dem Rücken verschränkten Händen stoisch aus dem Fenster und man brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie er in derselben Haltung in seinem Büro am Fenster stand und auf Domino und seine kleinen, unbedeutenden Bewohner hinabblickte, bevor er einem Geschäftspartner oder Angestellten schlechte Neuigkeiten eröffnete. Er musste den ersten Schritt machen – nur dann würde er überhaupt eine Chance haben. „Ich ahne schon, was du sagen willst, Kaiba, aber … bevor du das tust, hör mich wenigstens kurz an.“ Keine Bitte, sondern eine Forderung. Skeptisch verschränkte Seto die Arme vor der Brust, drehte sich zu dem Schwarzhaarigen um und wurde mit grünen Augen konfrontiert, die seinen Blick fest und entschlossen erwiderten. Devlin schien einen ebenso klaren Standpunkt zu haben wie er selbst. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Egal. Er würde sich nicht umstimmen lassen. Die Hände in den Hosentaschen vergraben stieß Duke sich von der Tür ab und trat ein Stück in den Raum hinein. „Ich weiß, das letzte Nacht kam unerwartet und war im Nachhinein auch ziemlich … merkwürdig. Aber du musst zugeben, bis zu der Sache mit Kobayashi-sensei war es einfach …“, er biss sich kurz auf die Unterlippe und zuckte dann mit den Schultern, „… unglaublich.“ Ein vorsichtiges Lächeln umspielte seine Lippen, denn ihm entging keineswegs, wie Kaiba bei seinem letzten Wort für einen winzigen Moment die Augen schloss. „Ich habe heute den ganzen Tag darüber nachgedacht und ich finde wirklich, wir soll-“ „Halt die Klappe!“ Augenblicklich verstummte Duke und musste unwillkürlich schlucken, als der Brünette vom Fenster weg- und langsam auf ihn zutrat. Seine Lungen schienen das Atmen verlernt zu haben und sein Herz hämmerte von innen wie wild gegen seinen Brustkorb. Kaiba kam immer näher, die Brust des Brünetten hob und senkte sich in ebenso schneller Frequenz wie seine und auch in seinem Atem lag ein kaum hörbares Zittern. Die blauen Augen fesselten Duke an Ort und Stelle, wenngleich der sonst so kühle Ausdruck darin fehlte. Schließlich stand Kaiba genau vor ihm, nahe genug, dass er die Wärme des anderen Körpers selbst durch den Stoff ihrer Kleidung spüren konnte. In einer schnellen, fließenden Bewegung legte sich Kaibas Hand in seinen Nacken und zog ihn zu sich. Noch bevor Duke ganz begriffen hatte, legten sich weiche Lippen auf seine und reflexhaft erwiderte er den Kuss. Wie um sich der Realität all dessen zu versichern, wanderte seine rechte Hand zur Brust des Brünetten und vergrub sich in dem weichen Stoff des dunkelblauen Wollpullovers. Nein, das hier war kein Traum und die Erkenntnis ließ ihn den Druck und die Bewegungen seiner Lippen noch intensivieren. Kaiba sollte – musste! – einfach alles verstehen, was er ihm mit Worten allein ohnehin niemals hätte sagen können. Ihre gemeinsame Sprache schien im Moment eine zu sein, die besser ohne Worte auskam. Die Jacke fiel mit einem leisen Rascheln zu Boden, nachdem Seto sie dem Schwarzhaarigen noch im Kuss von den Schultern geschoben hatte. Wer er war, wo er war, was vorher gewesen war und was später sein würde, das alles spielte jetzt keine Rolle. Sie waren allein. Endlich. Keine Frau Kobayashi, kein Kindergarten. Nur er und Devlin, dessen leuchtende, grüne Augen und warmes Lächeln seine vermeintliche Gewissheit hatten dahinbröckeln lassen wie eine Sandburg im Platzregen. Wie sich die Arme des Schwarzhaarigen um seinen Nacken schlangen und die Finger sich in seinen Haaren vergruben – einfach alles daran war richtig. Seto schloss seine Arme fest um Dukes Taille, so als würde er sonst jede Sekunde verschwinden. Seine rechte Hand wanderte weiter nach oben und wurde erst an der Kapuze des Hoodies gestoppt. Unwillkürlich entfuhr ihm ein leises Murren, woraufhin sich die Lippen des Jüngeren an seinen zu einem amüsierten Grinsen verzogen, dann löste er sich von ihm und zog den schwarzen Pullover aus. Dass sich dabei das Haarband gleich mit verabschiedete, schien Devlin nicht im Geringsten zu kümmern. Einmal aus der Umarmung entwichen, nutzte der Schwarzhaarige die Gelegenheit, noch schnell aus seinen Schuhen zu schlüpfen und sie von sich zu kicken, irgendwo in die grobe Nähe seiner Tasche. Dann endlich gab er Setos Drängen nach und ließ sich von ihm zurück in einen weiteren, verlangenden Kuss ziehen. Jede Sekunde, in der diese Lippen nicht geküsst wurden, grenzte an Verschwendung! So strich Seto fordernd mit der Zunge darüber und konnte seine Befriedigung kaum verbergen, als ihm bereitwillig Einlass gewährt wurde. Als würde er von einer Welle überspült, wurde Duke immer weiter nach hinten geschoben, bis er zum zweiten Mal binnen weniger Minuten die Tür im Rücken hatte. Es war anders als gestern. Tausendmal besser. Gestern war es spontan und aus einer unklaren Situation heraus geschehen. Heute wusste Duke, dass er es wirklich, wirklich wollte, mehr, als alles andere, und ließ sich in diesem Bewusstsein ganz von der Ekstase mitreißen. Ein intensiver Hauch des so wohl vertrauten Duftes stieg ihm in die Nase, ließ ihn den Kontakt ihrer Lippen unterbrechen und sich stattdessen Kaibas Hals widmen, auf der Suche nach dem Ursprung dessen, was ihm schon seit Tagen verlässlich die Sinne vernebelte. Die Hitze, der aufgeregte Puls unter seinen Lippen in Verbindung mit dem Duft berauschten ihn und schließlich erreichte er sein Ziel: An Kaibas offenem Hemdkragen, dort wo sein Schlüsselbein begann, schmeckte er eine leicht bittere, alkoholische Note. Kurz ließ Duke seine Zunge über diese so wichtige Stelle gleiten und als der Brünette daraufhin scharf die Luft einzog, konnte Duke sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Spätestens jetzt war alles klar: Es war nie um das Parfüm an sich gegangen. Erst die Kombination mit Kaiba – seinem Körper, seinem eigenem Duft – machte es so unwiderstehlich. Überrascht zuckte er zusammen, als sich dessen Hände unter sein Shirt schoben, allerdings ohne sich dort lange aufzuhalten. Aufreizend langsam zog der Brünette das Kleidungsstück Zentimeter um Zentimeter nach oben und ließ ihn dabei nicht eine Sekunde aus den Augen. Oh ja, da gefiel jemandem eindeutig, was er sah und Stück für Stück weiter freilegte! Kurz biss sich Duke auf die Unterlippe, dann schloss er die Augen und konzentrierte sich ganz darauf, wie die schlanken Finger und der Stoff des Shirts sanft über seine Haut glitten und in Verbindung mit der kühlen Luft eine leichte Gänsehaut entstehen ließen, dazu auf Kaibas schweren Atem, der sich mit seinem eigenen vermischte. Schließlich wurde das Shirt über seinen Kopf und seine Arme gezogen und landete, ebenso achtlos wie zuvor die Jacke, auf dem Boden neben ihnen. Kraftvoll fasste ihn Kaiba um die Hüften, um sich wieder enger an ihn zu ziehen und Duke keuchte leise in den Kuss hinein, konnte er doch jetzt nur zu genau fühlen, dass der Brünette ihn mindestens so sehr wollte wie umgekehrt. So wunderbar weich und warm sich der Kaschmirpullover auch auf seiner nackten Brust anfühlte, bedeutete es jedoch im Umkehrschluss, dass Kaiba noch immer viel zu viel Kleidung anhatte. Ganz gezielt wanderten Dukes Hände an ihm nach vorne, schoben den Pullover etwas hoch und zogen dem Brünetten das Hemd aus der Hose. Die Beschaffenheit und Menge des textilen Materials behinderten ihn jedoch in seinem weiteren Erkundungsdrang. Scheinbar hatte Kaiba das auch bemerkt, denn dessen Mundwinkel zuckten kurz an seinen Lippen nach oben, bevor er sich endlich des Pullovers entledigte und Duke beginnen konnte, genussvoll nacheinander jeden einzelnen Knopf des verbliebenen Kleidungsstücks zu öffnen. Spannung und Amüsement blitzten in den blauen Augen auf, die jeden seiner Handgriffe genau beobachteten. Als die Seiten des Hemdes auseinanderfielen und den Blick auf den schlanken, muskulösen Oberkörper darunter freigaben, schob Duke den Brünetten ein Stück von sich, trat von der Tür weg und betrachtete für einen Moment voller Stolz sein Werk: Leicht zerzauste haselnussbraune Haare, tiefblaue, von Lust verschleierte Augen, ein Hemd, das nurmehr lose auf Kaibas Schultern hing. Ein halb benommenes Lächeln schlich sich auf Dukes Gesicht und ein warmes Kribbeln breitete sich von seinem Herzen in seinen gesamten Körper aus. Hätte man ihm früher gesagt, wie ungemein befriedigend es war, Seto Kaibas sonst so wohlgeordnetes Äußeres durcheinanderzubringen, er hätte schon viel eher damit angefangen. Dieser Anblick – dieser Kaiba – gehörte ganz allein ihm. Ihm war es erlaubt worden, hinter die Fassade zu sehen, eine Seite des Brünetten freizulegen, die der restlichen Welt verborgen blieb. Duke trat wieder auf ihn zu und ihm gefiel die Aufmerksamkeit, mit der erneut jede seiner Bewegungen verfolgt wurde, ob nun aus Vorsicht oder – wesentlich besser – Erregung und Neugier. Mit federleichten Bewegungen schob er das Hemd von den Schultern des Brünetten und sah noch aus dem Augenwinkel, wie es auf dem Boden halb auf seinem eigenen weinroten T-Shirt zu liegen kam. Sanft umfasste Kaiba sein Gesicht mit beiden Händen und ließ sie noch im Kuss weiter über seinen Hals zu seinen Schultern wandern, um ihn mit sanftem Druck in Richtung Bett zu bugsieren. Duke drohte einmal mehr in den Augen seines Gegenübers zu versinken, als dieser ihren Kuss löste und ihm mit wenigen behutsamen Handgriffen das Haargummi aus den Haaren zog. Widerstandslos ließ er es geschehen. Kaiba hatte ihn schon einmal so gesehen und würde – zumindest auf absehbare Zeit – auch der einzige bleiben, der ihn so sehen durfte. Sacht, beinahe schwelgerisch ließ der Brünette seine Hand durch die gesamte Länge seiner Haare gleiten und Duke musste die Augen schließen, um nicht von Gefühlen überschwemmt zu werden. Wie lange hatte er das schon nicht mehr gespürt?! Der Kontext war zwar ein völlig anderer gewesen, trotzdem lag in dieser Geste eine zärtliche Vertrautheit, von der er nicht einmal geahnt hatte, wie sehr er sie all die Jahre vermisst hatte. Mit einem leichten Schubs wurde er rücklings auf das Bett befördert, robbte sich nach hinten und streckte die Hand aus, um Kaiba zu bedeuten, dass er nicht gewillt war, hier lange auf ihn zu verzichten. Der kam der Aufforderung offenbar nur zu gerne nach, ließ sich ebenfalls auf das Bett sinken und schloss zu ihm auf. Dukes Atem beschleunigte sich, als sich Kaibas Hände auf dem Weg genussvoll über seinen Oberkörper tasteten und dabei auch den Clown-Anhänger streiften, um den er sich bis jetzt überhaupt nicht gekümmert hatte. Für einen kurzen Moment nahm der Brünette das Schmuckstück in die Hand und betrachtete es, dann zog er es Duke vorsichtig ab und legte es auf seinen Nachttisch. Fast war es, als würde mit dem Anhänger auch jedes ablenkende Detail seiner Identität abgestreift: Duke Devlin, den Spieledesigner und Besitzer des Black Clown, gab es hier nicht mehr. Hier und jetzt war er nur noch Duke. Unter Kaibas wachsamem Blick setzte er sich auf, erwiderte die Geste ebenso bedächtig mit dessen Anhänger und sah den jungen Mann, der ihm gegenüber mit nacktem Oberkörper auf dem Bett kniete, für ein paar Sekunden einfach nur an. Das war nicht mehr Seto Kaiba, der die kolossale Verantwortung für ein Milliardenunternehmen und seinen kleinen Bruder trug. Das hier war einfach nur Seto. War es Rache für die Sache mit den Schuhen vorhin, dass Kaiba – Seto – ihn ausgerechnet jetzt ebenfalls kurz warten ließ, um auch noch seine Uhr abzumachen und auf das Nachtschränkchen zu legen? Kaum waren dessen Hände wieder frei, ließ Duke voller Ungeduld seine Hand einmal mehr durch Setos Haare gleiten und nahm endlich wieder seinen Mund in Besitz. Noch währenddessen beugte er sich etwas nach oben, um die Hose des Brünetten zu erreichen und mit wenigen, geübten Handgriffen Gürtel, Knopf und Reißverschluss zu öffnen. Ab jetzt galt es, wachsam zu sein und noch genauer auf jede kleine Regung seines Gegenübers zu achten. Mit vorsichtigen Bewegungen begann Duke, über den Stoff der schwarzen, enganliegenden Boxershorts zu massieren, die er freigelegt hatte, und ein Schauer überlief ihn, als er ein leises Stöhnen aus Setos Mund vernahm. Der Kontakt ihrer Lippen brach ab und Duke hielt alarmiert in seinem Tun inne, doch der Brünette zog sich nicht zurück. Stattdessen drückte er seine erhitzte Wange fest an Dukes, vergrub seine Hand in den schwarzen Haaren und bedeutete ihm mit einer dezenten Bewegung seiner Hüfte unzweifelhaft, weiterzumachen. Der schwere, heiße Atem an Dukes Hals und seinem Ohr ging unter dem sanften Druck seiner Hand immer mehr zu einem erregten Keuchen über. Setos Oberschenkel presste sich zwischen seine Beine, streifte dabei auch – bewusst oder nicht – seinen Schritt und auch ihm entfuhr ein leises Stöhnen. Unvermittelt verstummten darauf die lustvollen Laute an seinem Ohr und wieder hielt er inne, ohne jedoch seine Hand zurückzuziehen. Der Brünette hob leicht den Kopf, um ihn anzusehen; Erregung schimmerte in den blauen Augen, aber auch etwas, das er nicht von Kaiba kannte, sondern das ganz Seto sein musste: etwas echtes, rohes … – Verunsicherung. Über ihm hob und senkte sich Setos Brust im Rhythmus seines schnellen Atems und die Stimme des Brünetten klang ungewohnt tief und rau, als er kaum hörbar in die Stille fragte: „Hast du schon mal …?“ „Nicht … so. Du?“, hauchte Duke atemlos zurück. Das minimale Kopfschütteln, das folgte, war ihm Antwort genug. Jedes zusätzliche Wort konnte eines zu viel sein, hatte das Potential den Moment zu zerstören, alles zu real werden zu lassen. Dasselbe würde allerdings auch geschehen, wenn diese Stille noch länger andauerte. Wenn es weitergehen sollte, musste jetzt etwas passieren. Unerwartet schnell wurde Seto überrumpelt und Duke saß auf ihm, ein verwegenes Lächeln auf den Lippen und die Enge in Setos Schritt nahm unweigerlich noch einmal zu. „Ich für meinen Teil bin auch ganz gut im Improvisieren!“, wisperte Duke ihm verführerisch ins Ohr, rutschte etwas weiter nach unten und schob ihm die Hose ein Stück von den Hüften, um sich mehr Handlungsspielraum zu verschaffen. Sein Herz drohte jetzt schon jeden Moment aus seinem Brustkorb auszubrechen, trotzdem stützte sich Seto auf die Ellenbogen und beobachtete vollkommen versunken und mit einer geradezu außerkörperlichen Faszination jede von Dukes Bewegungen. Aufreizend, fast quälend langsam wanderten die Finger des Schwarzhaarigen über den Bund seiner schwarzen Shorts, bevor er von einer Sekunde auf die nächste seine Hand hineingleiten ließ. Das war zu viel. Seto atmete scharf ein, warf den Kopf in den Nacken und ließ sich wieder auf die Matratze fallen. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf mahnte, dass er gerade nicht viel mehr als Wachs in Dukes Händen war, aber nichts konnte ihm jetzt egaler sein. Als der Schwarzhaarige seine Hand nur wenig später wieder zurückzog, konnte Seto nur knapp einen enttäuschten Laut unterdrücken. Duke kam wieder nach oben, um sich einen kurzen Kuss von Setos Lippen zu stehlen – immerhin war der letzte schon mehrere Minuten her –, nur um sogleich von Neuem wieder abzutauchen. Auf dem Weg ließ er sich Zeit, immerhin gab es da noch einige Stellen, die bis jetzt ungerechtfertigterweise viel weniger seiner Aufmerksamkeit erhalten hatten, als sie es eigentlich verdient hatten: Setos Schlüsselbein, seine Brustwarzen, sein Bauchnabel. Gott, wie hatte er das alles bis jetzt nur verpassen können?! Dass Kaiba verdammt gut aussah, hatte er schon immer gewusst, aber er hatte es noch nicht gewusst. Wieder am Bund der Shorts angekommen zog er mit der Zunge eine feuchte Spur über die zarte, empfindliche Haut dort, ließ seine Lippen noch für einen Moment darüber schweben und lauschte genau auf den Atem des Brünetten, um ganz bewusst wahrzunehmen und zu genießen, wie er sich schlagartig intensivierte, als seine Hände die Shorts Stück für Stück nach unten zogen. Setos Hand krallte sich in die Bettdecke und ihm entfuhr ein abgehacktes Stöhnen, als Dukes Mund noch ein Stück weiter nach unten wanderte. Er versank ganz in dem Gefühl, ließ sich treiben, gab sich für einen Moment ganz der Illusion hin, dass das niemals aufhören könnte. Sein Körper allerdings sendete andere Signale und der kleine Teil von ihm, der zumindest noch zu so etwas ähnlichem wie Denken in der Lage war, warnte, dass, wenn Duke so weitermachte, er es nicht mehr lange aushalten würde. So brachte ihn der letzte Rest seiner völlig betäubten bewussten Wahrnehmung dazu sich wieder ein wenig aufzurichten, seine Hand nach unten zu bewegen und sanft über die schwarzen Haare zu streichen. Duke hielt augenblicklich inne und sah zu ihm auf, die grünen Augen lustverschleiert und absolut göttlich. Offensichtlich hatte der Schwarzhaarige verstanden und schob sich wieder nach oben, Seto beugte sich ihm jedoch schon auf halbem Wege entgegen und nahm seinen Mund rücksichtslos und voller Leidenschaft wieder in Besitz. Bereitwillig fügte sich Duke und überließ nun anscheinend ihm die Oberhand, auch wenn Seto sich noch nicht ganz sicher war, was genau er eigentlich als nächstes vorhatte. Egal. Er würde schon sehen, was sein Körper tat. Durch eine geschickte Verlagerung seines Gewichtes vertauschte Seto ihre Positionen und war nun wieder über Duke. Mit einer Entschiedenheit, von der Seto nicht wusste, woher er sie in dieser für ihn so fremden und neuen Situation eigentlich nahm, schob er eine Hand unter den Körper des Schwarzhaarigen und bedeutete ihm damit, sich umzudrehen. Die grünen Augen funkelten gespannt, als Duke der stummen Aufforderung nachkam. Mit der Hand strich Seto einmal sanft über den schönen Rücken, dann legte er erneut den Arm um Duke und zog ihn nach oben, sodass sie hintereinander auf dem Bett knieten. Jeder Quadratzentimeter von Setos Brust schien Duke zu berühren, warme Haut auf warmer Haut, trotzdem hätte er den Jüngeren noch näher, noch enger an sich gezogen, wenn er gekonnt hätte. Sanft strich er die langen, schwarzen Haare ein wenig beiseite, küsste Dukes Hals und Nacken, so wie er es sich schon heute Nachmittag kurz vorgestellt hatte und ließ seine Hände genussvoll und langsam über dessen Schultern und Arme nach unten wandern. Seine Finger machten sich nun auch an Dukes Gürtel und Hose zu schaffen und der Schwarzhaarige atmete beinahe erlöst aus, als beides geöffnet war. Noch einmal ließ Seto seine Hände sanft über Dukes Oberkörper gleiten, dann zogen sie ebenfalls die gerade geöffneten Hosen inklusive der dunkelgrauen Boxershorts ein Stück nach unten. Wahrscheinlich funktionierte das Ganze eigentlich etwas anders, aber darum scherte Seto sich jetzt nicht. Was in diesem Moment passierte, war wichtiger als jedes Richtig oder Falsch. Ihr Atem ging stoßweise, vermischte sich, wurde zu einem einzigen. Seine rechte Hand kümmerte sich ganz um Duke, und jedes leise, halb unterdrückte, kehlige Stöhnen des Schwarzhaarigen machte Seto nicht nur unmissverständlich deutlich, dass er das Richtige tat, sondern steigerte auch seine eigene Erregung immer weiter, zusätzlich zu den rhythmischen Bewegungen seiner Hüfte. Die reale Welt um ihn herum – das Bett, die Wand, das Zimmer – verschwamm immer mehr vor seinen Augen. Auch sein eigenes Keuchen konnte er irgendwann nicht länger unterdrücken, das Fieber, die Ekstase mussten sich irgendwie Bahn brechen. Plötzlich griff der Schwarzhaarige nach Setos linker Hand, die ihn an der Schulter gehalten hatte, und presste sie fest auf seine Brust, sodass Seto Dukes rasendes Herz fühlen konnte, wie es von innen gegen seinen Brustkorb hämmerte. Die Umklammerung verstärkte sich in dem Maße wie seine Bewegungen immer schneller, ihr Atem immer abgehackter wurde. Daraufhin löste Seto seine Hand ein wenig und ganz wie von selbst verschränkten sich ihre Finger, so als könnte der andere sich sonst in der nächsten Sekunde in Luft auflösen und sich alles nur als surrealer Traum entpuppen. Im Hochgefühl schmolzen ihre Körper ineinander und Seto verlor jegliches Gefühl dafür, wo er anfing und Duke aufhörte. Alles, was er in diesem Augenblick fühlte, dachte, lebte, innen und außen, war Duke, und nur Duke. Der Schwarzhaarige richtete sich noch etwas weiter auf, ließ seinen Kopf nach hinten gegen seine Schulter fallen und krallte seine Finger in Setos Nackenhaare. Setos Lippen pressten sich in einem beinahe verzweifelten Kuss an Dukes Hals, um sein eigenes Aufstöhnen zu dämpfen, als sie nur um Sekunden versetzt zum Höhepunkt kamen. Vollkommen außer Atem ließ sich der Schwarzhaarige rücklings auf das Bett fallen und Seto sank nicht minder erschöpft halb auf ihn nieder, mit dem Kopf genau zwischen Dukes Hals und Schulter, wo er mit jedem seiner tiefen Atemzüge den wundervollen Duft der pechschwarzen Haare in sich aufnehmen konnte. Seine rechte Hand ruhte auf Dukes Oberkörper und gedankenverloren strich er mit dem Daumen hin und her, so als könne er allein dadurch das Pochen von Dukes Herz sowie das noch immer schnelle Heben und Senken seiner Brust beruhigen. Seto schloss die Augen, als Arme sich um ihn schlossen, eine Hand sich in seinen Nackenhaaren vergrub und Duke gedankenverloren seinen Hinterkopf kraulte. Langsam ließ der Rausch nach, kamen ihre aufgewühlten Körper ein wenig zur Ruhe. Schließlich löste Seto sich aus der Umarmung und rollte sich nach rechts auf seine Seite des Bettes ohne dabei jedoch den Blick von Duke zu lösen, auf dessen Lippen ein seliges, fast verträumtes Lächeln lag. Als der Schwarzhaarige Setos Blick erwiderte, sich zu ihm drehte und entspannt den Kopf auf seiner Hand aufstützte, blitzten die grünen Augen amüsiert und gleichzeitig voller Wärme und Zärtlichkeit auf. „Also so langsam sollten wir wirklich mal anfangen darüber zu reden, wie …“ Mitten im Satz erstarb sein Lächeln, er starrte an Seto vorbei und seine Augen weiteten sich. „Scheiße!“ Irritiert drehte auch Seto den Kopf und folgte Dukes entsetztem Blick, der, wie er erkannte, auf die Uhr auf seinem Nachttisch gerichtet war. Im selben Moment, als der Schwarzhaarige es aussprach, dämmerte es auch ihm. „Das Abendessen! Es hat schon vor zwanzig Minuten angefangen!“ Verdammt! Die viel zu weiche Matratze vibrierte leicht, als Seto seine rechte Faust mit voller Kraft auf sie schlug. Mit der anderen Hand fuhr er sich über die Stirn und durch die Haare. Duke hatte sich aufgesetzt und – im Unterschied zu ihm – sofort begonnen praktisch zu denken. „Wir können unmöglich zusammen runtergehen, das wäre zu auffällig!“ Seto sah ihn nur an, sagte nichts und ließ ihn fortfahren. „Am besten gehst du zuerst, ich werde einen Moment länger brauchen als du, um mich fertig zu machen.“ Mit einem abwesenden Nicken stand Seto auf, zog seine Hose wieder hoch, sammelte seine verstreuten Sachen ein und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, ins Badezimmer. Statt sich umgehend und mit der gebotenen Eile wieder herzurichten, verharrte Seto für einen Moment vor dem Waschbecken. Er drehte den Wasserhahn auf und warf sich kaltes Wasser ins Gesicht. Ein Mal. Zwei Mal. Drei Mal. Ohne sich abzutrocknen, stützte er die Hände links und rechts auf das kalte, weiße Porzellan und sah sich im Spiegel an. Sein Atem zitterte, sein Herz schlug noch immer rasend schnell. Sein Körper und sein Geist waren ein einziges Schlachtfeld, auf dem sich seine Hormone wie wild austobten. Er fühlte sich wacher als nach seinem fünften Kaffee, aufgeputscht und euphorisch, wie nach einem im ausverkauften Stadion gewonnenen Duell, irgendwie … glücklich, wie wenn Mokuba lachte (aber anders), und nicht zuletzt verwirrt. Vor allem verwirrt. Ratlos. Zwei Empfindungen, für die er keine Vergleiche hatte, weil es nur äußerst wenige Dinge gab oder in seinem Leben gegeben hatte, die er nicht verstand. Aber was hier gerade passiert war, war mit Sicherheit eines davon. Aus dem Spiegel blickte ihm ein junger Mann entgegen, mit noch immer leicht tropfendem, vom eiskalten Wasser etwas geröteten Gesicht, der sich gerade eben auf eine Weise mit jemand anderem geteilt – und damit auch mitgeteilt – hatte, die er bis vor wenigen Tagen noch ganz entschieden aus seinem Leben ausgeklammert hatte. War das noch er? War das noch Seto Kaiba? Nichts und niemand hatte ihn auf eine solche Situation vorbereitet, weder die Schule noch seine rigorose Ausbildung unter Gozaburo. Was hier passiert war, widersprach allem, was er je gelernt hatte, schon allein deshalb, weil es so absolut irrational gewesen war! Er war absolut irrational gewesen! Kaum zwei Stunden war es her, da hatte er noch einen genauen Plan gehabt, den er dann im Bruchteil einer Sekunde, beim Blick in diese viel zu ausdrucksvollen, grünen Augen einfach so über den Haufen geworfen hatte. Wer versicherte ihm, dass das nicht wieder vorkommen würde? Niemand konnte das, er selbst am allerwenigsten. Stets hatte er die Kontrolle gehabt, wenn schon nicht über die Welt um sich und die anderen Menschen darin, so doch wenigstens über sich selbst. Jederzeit. Ausgerechnet diese Kontrolle war ihm im Laufe der letzten Tage immer weiter entglitten, oder – viel schlimmer noch – war vielleicht von Anfang an nur eine Illusion gewesen. Die Erkenntnis traf ihn hart und trotz allem irgendwie plötzlich: Er hatte keine Kontrolle. Er war machtlos. Ausgeliefert. Seinen Gefühlen, seinen Hormonen und – am allerschlimmsten – einem anderen Menschen. Seine Brust begann sich zuzuschnüren, seine Hände krampften sich auf der Suche nach mehr Halt noch fester um den Rand des Waschbeckens, kalter Schweiß brach ihm aus und sein Herz hämmerte immer lauter und schneller gegen seinen Brustkorb. Leichte Übelkeit stieg in ihm hoch, während sein Blick nervös durch den Raum mäanderte, sein Atem wurde immer flacher und abgehackter. Sein Bild im Spiegel verschwamm, stattdessen tauchten immer mehr kleine Punkte in der Luft vor ihm auf. Schließlich blieb sein Blick an seiner Waschtasche hängen, die ihn wie ein rettender Anker aus seiner Gedankenspirale zurück in die Realität holte. Das Abendessen. Anziehen. Haare kämmen. Fertig machen. Langsam beruhigten sich sein Atem und sein Herzschlag wieder, er löste sich vom Waschbecken und griff mit noch immer leicht zitternden Fingern nach seinem Hemd. Nur wenige Minuten später kam Seto wieder angezogen und gekämmt aus dem Bad und hoffte, dass nach außen keine Spur seines inneren Tumultes zu erahnen war. Auch Duke stand nun vom Bett auf, die Hose hatte er bereits wieder hochgezogen, aber noch immer geöffnet. Als der Schwarzhaarige genau auf ihn zuhielt, blieb Seto wie angewurzelt stehen. Fast genau vor Setos Füßen beugte Duke sich nach unten und hob sein T-Shirt auf, dann stand er tatsächlich genau vor ihm und sah ihn schon wieder mit diesem Lächeln an, das Setos Gedanken mit sofortiger Wirkung jeder Sachlichkeit beraubte. „Wir reden später?“, drang Dukes sanfte Stimme wie durch Watte an seine Ohren. Seto nickte nur und Duke ging weiter an ihm vorbei Richtung Bad. Er hatte schon die Tür geöffnet und das Licht angeschaltet, da drehte er sich noch einmal um. „Achso, falls die anderen fragen: Ich hab vorhin gesagt, ich müsste mich noch ein wenig hinlegen. Schlecht geschlafen und so.“ Wieder nickte Seto mechanisch, dann erwachte er aus seiner Starre, wandte sich der Zimmertüre zu und hatte die Hand schon auf die Klinke gelegt, als … „Kaiba?“ Für eine Millisekunde kniff Seto die Augen zusammen. Ohne es wirklich zu wollen, sah er noch einmal zu Duke. In den grünen Augen lag eine unfassbare Wärme und auf Dukes Lippen einmal mehr jenes atemberaubende Lächeln. „Das war Wahnsinn!“ Unwillkürlich zuckten Setos Mundwinkel ein paar Millimeter nach oben, Weite erfüllte seine Brust und der Schwarm Insekten in seiner Magengegend kehrte zurück und schien ausgelassen auseinander zu stieben. Als Seto die Zimmertür hinter sich zuzog, war die Welt einen winzigen Moment lang vollkommen in Ordnung. Die Euphorie hielt noch ungefähr bis zum Ende des Ganges an, danach ließ sie mit jedem weiteren Meter, den er sich von dem Zimmer entfernte, jeder Treppenstufe, die er hinabstieg, rapide nach, bis sie schließlich vor der Tür des Speisesaals komplett versiegt und er wieder ganz in seinem gewohnt kühlen und nüchternen Selbst angekommen war. Kaum hatte er den Saal betreten, überkam ihn das Gefühl, dass alle Augenpaare im Raum sich gleichzeitig auf ihn richteten. Mit Sicherheit war das keine reine Einbildung, immerhin war er eine knappe halbe Stunde zu spät gekommen, aber normalerweise hätte es ihm weitaus weniger ausgemacht. Angestarrt zu werden war etwas, das er gewohnt war, manchmal sogar genoss. Aber dieses Mal war es anders, unangenehmer, ging viel tiefer als sonst. So als könnte jeder hier in ihn hineinschauen und damit unweigerlich auch sehen, was gerade passiert war. Natürlich war das Unsinn, trotzdem fiel es ihm ungewöhnlich schwer, das Gefühl abzuschütteln. Die meisten seiner Mitschüler wandten sich bereits wieder ihrem Essen und ihren Gesprächen zu, Frau Kobayashi saß mit Herrn Takeda am Tisch und schien mit ihm schon seit geraumer Zeit in eine intensive Unterhaltung vertieft zu sein, was der Hauptgrund dafür sein mochte, dass ihr noch nicht aufgefallen war, dass zwei ihrer Schüler, darunter wieder einmal Seto, gefehlt hatten. So sehr er auf das romantische Intermezzo der beiden Lehrer gestern Abend hätte verzichten können, aber unter den gegebenen Umständen musste Seto dafür mehr als dankbar sein. In dem Wunsch unangenehme Nachfragen weiterhin zu vermeiden ging er zielstrebig in Richtung der Essensausgabe, geradewegs am Tisch von Dukes Freunden vorbei, die er ignorierte, wie er es am liebsten zu tun pflegte, wenn er nicht durch etwas oder jemanden daran gehindert wurde. „Hey, Eisklotz!“ Ohne sich umzudrehen, blieb Seto stehen. Natürlich, es wäre ja auch zu schön gewesen! „Wo ist Duke?“ Kurz schloss Seto die Augen, bevor er so kurz und sachlich wie möglich antwortete: „Kommt gleich.“ „Warum so spät?“ Ein leicht herausfordernder Unterton lag in der Frage, der Seto nun doch veranlasste sich umzudrehen und Joey anzusehen. Musste er sich jetzt allen Ernstes von dem Köter verhören lassen? „Mein Gott, Wheeler, er ist weggepennt, was dachtest du denn?!“ „Was weiß ich?! Du hättest ihn auch mit deinem Kissen erstickt haben können, weil er dich irgendwie genervt hat. Dir traue ich alles zu.“ Seto entfuhr ein kurzes Schnauben. Voller Geringschätzung funkelte er Joey an, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Sicher, und ich bin auch nur deshalb zu spät, weil ich bis eben noch im Wald war, um Devlins Leiche zu verscharren. Warum gehst du mit deiner Superspürnase nicht gleich los und versuchst sie zu finden?“ Joey verzog nur sein Gesicht. „Haha, wirklich sehr witzig!“ Dann allerdings hellte sich sein Blick auf und er neigte fragend den Kopf. „Aber ein guter Punkt, den du da ansprichst: Warum bist du denn eigentlich zu spät?“ Verdammt, ärgerte sich Seto, diese Frage hatte er gerade ja regelrecht provoziert. Offensichtlich war er noch immer nicht wieder ganz auf der Höhe. „Ich muss mich nicht rechtfertigen, Köter, und schon gar nicht vor dir! Aber da du es so unbedingt wissen willst: Ich habe erst gearbeitet, dann gelesen und dabei nicht permanent auf die Uhr gesehen.“ Joeys Augenbrauen wanderten skeptisch nach oben. „Soso, gelesen?“ Warum hatte er auf einmal das Gefühl in eine Ecke gedrängt zu werden? Vom Köter, noch dazu? Reflexartig holte Seto zum Gegenangriff aus. „Das ist für gewöhnlich das, was man mit Büchern tut. Du kennst sie vielleicht eher als Untersetzer oder Türstopper.“ „Ich kann lesen, Arschloch!“ „Wirklich? Ich war eigentlich bisher immer davon ausgegangen, dass der arme Muto und sein Großvater sich vor jedem Turnier mit dir hinsetzen und dir alle deine Karten erklären.“ Wut loderte in Joeys Augen auf und ruckartig erhob er sich, sodass sein Stuhl laut knarzte und beinahe umfiel. Schon fasste ihn Tristan am Arm und auch seine anderen Freunde machten sich bereit einzugreifen. „Leute, entspannt euch, was ist denn hier los?“ Duke hatte die Lage sofort erkannt, als er den Speisesaal betreten hatte und war zu Joey geeilt, um ihn von einer Dummheit abzuhalten, die auch für ihn selbst nur negative Auswirkungen haben konnte. „Hey, da bist du ja endlich, Mann!“, wurde er von ebendiesem begrüßt, als wäre nichts. In Kaibas blauen Augen hingegen lag noch immer ein wütendes Funkeln, das sich, genau wie sein eisiger Tonfall, schmerzhaft in Duke hineinschnitt. „Könntest du deinen kleinen Wachhund hier bitte von deiner körperlichen Unversehrtheit überzeugen und dann endlich an die Leine nehmen?! Ein Maulkorb wäre auch nicht unangebracht!“ Joey knuffte Duke daraufhin nur lachend mit dem Ellenbogen in die Seite. „Ach, kümmer’ dich nicht weiter drum, ich wollte doch nur sichergehen, dass der böse, reiche Mann dir nichts angetan hat!“ Duke verdrehte nur die Augen und seufzte. „Sehr lustig, Joey!“ Dessen breites Grinsen erstarb augenblicklich, als er den ernsten Ausdruck in Dukes Augen erkannte. Mit zusammengezogenen Brauen konnte Duke nur noch zusehen, wie Kaiba einmal entnervt schnaubte und sich mit einem letzten Kopfschütteln entfernte. Über diese Sache würde bei ihrem Gespräch später mit Sicherheit noch zu reden sein und die Vorstellung gefiel Duke ganz und gar nicht. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Yugi mit sorgenvoller Stimme, während Duke sich auf den freien Platz neben Joey setzte und sich zu einem minimalen Lächeln zwang. Den Zwischenfall gerade nicht weiter zu thematisieren und das Gespräch wieder in unverfängliche Bahnen zu lenken, erschien Duke für den Moment am klügsten. „Ja, warum sollte es das nicht sein? Ausgeruht bin ich jetzt auf jeden Fall.“ „Sehr gut,“, warf Tristan ein und klopfte ihm auf den Rücken, „dann musst du nur noch ordentlich reinhauen! Du brauchst doch noch Grundlage im Magen für unseren großen Party-Abend!“ Duke nickte nur gedankenverloren und erhob sich, um sich etwas zu Essen zu holen, solange es noch ging. Erst auf dem Weg zur Durchreiche schienen die Worte sein Gehirn tatsächlich zu erreichen. Party-Abend?! Was für ein …?! Na, die bechern wohl heute auf jeden Fall noch ein bisschen! Ja, im Gegensatz zu uns! Hey, wir sind doch dann morgen dran, schon vergessen? Fuck! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)