Common Ground von DuchessOfBoredom ================================================================================ Kapitel 14: Sitting on the sidelines. (Is way more interesting.) ---------------------------------------------------------------- Ein vertrautes Klimpergeräusch und ein schrilles Bimmeln ertönten um sechs Uhr dreißig zur gleichen Zeit aus zwei im Takt vibrierenden Smartphones. Reflexhaft schnell griff Seto zu seinem Handy und stoppte den Wecker; aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie sein schwarzhaariger Zimmergenosse auf der anderen Bettseite es ihm gleichtat, wenn auch etwas träger. Anstatt wie sonst sofort aufzustehen, ließ Seto sich noch einmal für einen kurzen Moment auf das Kissen zurücksinken. „Morgen!“, sprach ihn der Schwarzhaarige vorsichtig von der Seite an. „Darf ich heute zur Abwechslung mal zuerst ins Bad?“ Leidenschaftslos erwiderte Seto den bittenden Blick aus den grünen Augen und seufzte. „Von mir aus.“ „Danke!“ Mit einem zufriedenen Lächeln stand Duke auf, schnappte sich seine Sachen und verschwand im Badezimmer, während Seto allein im Bett zurückblieb. Mit beiden Händen rieb sich der Brünette über das Gesicht und atmete einmal gedehnt aus. Was zur Hölle machte er hier bloß? Eigentlich war er schon seit etwa zehn Minuten wach gewesen, aber anstatt wie sonst umgehend aufzustehen (Devlin hatte diesmal ja sogar seinen eigenen Wecker gehabt), war er einfach liegen geblieben. Und warum? Weil Devlin neben ihm im Schlaf ein Geräusch von sich gegeben und damit seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, mit dem Ergebnis, dass Seto die komplette Zeit bis zum Weckerklingeln damit verbracht ihn anzusehen … sonst nichts. Knapp zehn Minuten seiner kostbaren Lebenszeit hatte er damit verschwendet, einem anderen Menschen beim Schlafen zuzusehen! In seinem aktuellen Zustand hätte es allerdings zugegebenermaßen auch höchster Kraftanstrengung bedurft, um sich von dem Anblick zu lösen. Der Schwarzhaarige hatte auf dem Rücken gelegen, das Gesicht vollkommen entspannt und leicht in Setos Richtung gedreht, die Decke auf Bauchhöhe, locker festgehalten durch seine rechte Hand, die linke lag locker neben seinem Körper. Sein hellgraues Schlaf-T-Shirt hatte die Bräune seiner Haut noch etwas intensiver hervorgehoben und sanft die Muskulatur seines Oberkörpers umspielt. Eine dünne schwarze Haarsträhne war gerade so in sein Gesicht gefallen, dass er sie beinahe im Mund gehabt hätte und Seto hatte den starken Impuls unterdrücken müssen, sie ihm vorsichtig aus dem Gesicht zu streichen, wie er es bei seinem Bruder und dessen langen, schwarzen Haaren so häufig tat. Dann hatten zum Glück die beiden Wecker geklingelt und seine Selbstkontrolle notdürftig wiederhergestellt. Er entließ einen tiefen Seufzer und starrte an die Decke. Wie sollte das noch weitergehen?! Devlin war immerhin (neben ihm selbst) der größte Mädchenschwarm der Schule, wobei im Unterschied zu ihm der Schwarzhaarige auch noch alles andere als abgeneigt war, die Früchte dieses Rufs davonzutragen. (Das unscheinbare, stechende Gefühl das bei diesem Gedanken fast automatisch in seiner Brust aufstieg, schob er sofort wieder beiseite.) Für ihn persönlich bedeutete es im Grunde keinen Unterschied, ob er nun eine hormonelle Schwäche für einen Mann oder eine Frau entwickelte; es handelte sich schlicht um ein generelles Ärgernis. Eine Vorliebe für das männliche Geschlecht erklärte aber immerhin, warum er noch nie ein irgendwie geartetes, tieferes Interesse für Mädchen oder deren körperliche Attribute verspürt hatte und warum ihn ihre Verehrung und ihre Annäherungsversuche in der Schule so vollkommen kalt ließen. Aber dass es für ihn selbst keine Rolle spielte, bedeutete freilich noch lange nicht, dass das für andere auch galt. Er war sich völlig im Klaren darüber, dass ihn diese Art von Vorliebe, wenn sie herauskam, vor größere … Herausforderungen stellen würde. Da er jedoch nicht vorhatte, sie exzessiv und erst recht nicht öffentlich auszuleben – Herrgott, für den Moment sah sein Plan vor, sie überhaupt nicht auszuleben! – blieb ihm einfach nur zu hoffen, dass er diese temporäre Verirrung nach der Rückkehr in die Normalität so schnell wie möglich wieder vergessen und hinter sich lassen konnte. Und bis dahin … ja, bis dahin was? Ein Wort: Schadensbegrenzung. Er musste eventuelle Ausfälle so unauffällig und kurz wie möglich halten. Verhindern ließen sie sich ja anscheinend ohnehin nicht. Verfluchte Biologie! Als er hörte, wie der Schlüssel im Schloss der Badtür herumgedreht wurde, erwachte Seto schlagartig aus seinen Grübeleien und setzte sich schnell im Bett auf. Devlin trat mit seinen Schlafklamotten in der Hand hinaus, gekleidet in seine üblichen engen schwarzen Jeans und ein rotes T-Shirt passend zu seinem Haarband. Als Seto sich seinerseits über seinen Koffer beugte, um passende Kleidung für den Tag herauszusuchen, fiel ihm auf, dass er eigentlich überhaupt keine Ahnung hatte, was für heute auf dem Programm stand. Frau Kobayashi schien nichts gesagt zu haben, sonst wüsste er es doch… Leicht genervt ob seiner Wissenslücke wandte er sich widerstrebend an Duke, der sich gerade seinen Anhänger um den Hals hängte: „Hat Kobayashi-sensei angekündigt, was heute gemacht wird?“ Der Schwarzhaarige lachte kurz auf: „Ich wollte es dir ja vorgestern Abend erzählen, aber du hast mir überaus glaubhaft versichert, dass es dich nicht interessiert.“ Seto rollte nur mit den Augen und sah Duke kalt an. „Jetzt interessiert es mich. Also rede!“ Mit einem amüsierten Schmunzeln kam Duke der wenig freundlich geäußerten Aufforderung nach: „So genau weiß ich es auch noch nicht. Keiner von uns. Noch nicht mal Kobayashi-sensei selbst. Sie hat sich mit dem Lehrer dieser Privatschulklasse angelegt, die vorgestern angereist ist. Long story short: Jetzt müssen wir in einer Art improvisierten Olympiade gegen die antreten. Die Disziplinen werden noch bestimmt.“ Duke hatte offenbar den Ausdruck auf Setos Gesicht richtig gelesen, als er mit einem breiten Grinsen fortfuhr: „Mich musst du nicht so angucken, Kaiba, manchmal denke ich auch, dass ich ein Irrenhaus und keine Schule besuche!“ Das entlockte Seto unfreiwillig ein kurzes Schmunzeln und schnell beugte er sich wieder über seinen Koffer. Nun, mit einem weißen Hemd konnte er wohl erst einmal nichts verkehrt machen, er konnte sich ja immer noch umziehen, wenn die aktuell noch unklaren Umstände später andere Kleidung erforderlich machten. Als er alles beisammen hatte, machte er sich schließlich ebenfalls auf ins Badezimmer. Im Frühstücksraum war es um einiges enger geworden, seit vorgestern die andere Klasse angekommen war. Trotz allem hatte Seto noch immer einen Tisch für sich alleine und war dankbar dafür. Bewusst genoss er jeden einzelnen Schluck des mittelmäßigen Kaffees, um sich innerlich für den Tag zu wappnen. Nach den vorangegangenen Tagen zu schließen, konnte es eigentlich nicht besser, sondern nur noch intellektuell grausamer, chaotischer und sinnloser werden; die Liste negativer Adjektive ließ sich im Grunde beliebig fortsetzen. Während die Schüler aßen, marschierte Frau Kobayashi mit einem Klemmbrett in der Hand an den Tisch von Herrn Takeda, dem Klassenlehrer der Privatschulklasse, ließ es extra stark auf die Tischplatte knallen und stützte sich raumgreifend und dominant mit beiden Händen vor dem Mann auf dem Tisch ab. Der Lehrer erwiderte ihren herausfordernden Blick fest und entschlossen, erhob sich kurz und bot ihr den Platz gegenüber an. Gemeinsam und notdürftig freundlich beugten sie sich über ihre Listen mit potentiellen Disziplinen für den Wettbewerb und gingen sie Eintrag für Eintrag durch. Hier und da kam eine kurze Diskussion auf, die aber ganz in Frau Kobayashsis Sinne zivilisiert blieb. Immer wieder rissen sie kleine Zettel, beschrieben und falteten sie und warfen sie schlussendlich in das große Glas, das Herr Takeda zum Zwecke der Auslosung bereits besorgt hatte. Schließlich waren sie damit fertig und standen auf. Frau Kobayashi klatschte mehrmals laut und kraftvoll in die Hände, um die Schüler zum Schweigen zu bringen und begann: „Meine Damen und Herren, bevor Sie das Frühstück beenden, wollen wir die Gelegenheit nutzen, noch einmal zu erklären, was heute passieren wird. Takeda-san und meine Wenigkeit haben uns vorgestern Abend … geeinigt, heute einen kleinen, nicht nur sportlichen Wettbewerb zwischen unseren beiden Klassen abzuhalten, wenn wir schon einmal gemeinsam hier sind. Denn nur eine Klasse kann besser sein als die andere und es ist natürlich vollkommen klar, welche das sein wird!“ Hier räusperte sich Herr Takeda auffallend laut und Frau Kobayashi schob wie so oft ihre Brille nach oben, um sich wieder zu fokussieren. „Nun, wie dem auch sei, der Wettbewerb wird aus fünf Disziplinen bestehen, die wir heute hoffentlich alle schaffen werden, sodass es am Ende des Tages einen eindeutigen Sieger geben sollte. Sie hatten alle die Möglichkeit, Disziplinen beizutragen, und diese haben wir neben eigenen Ideen ebenfalls berücksichtigt. Alle relevanten Vorschläge haben wir gerade eben zusammengetragen und auf Lose geschrieben, die sich jetzt in diesem Glas befinden, woraus wir die Disziplinen zufällig ziehen werden.“ Sie hielt das Glas demonstrativ in die Höhe und Herr Takeda übernahm das Wort. „Die spezifischen Regeln für jede Disziplin vereinbaren wir nach dem Ziehen. In dieser Zeit werden Sie jeweils die Gelegenheit haben sich vorzubereiten und gegebenenfalls umzuziehen. Nun denn, ich denke, damit ist das wichtigste geklärt und wir können die ersten beiden Disziplinen ermitteln. Ich lasse Ihnen den Vortritt, Teuerste!“ Sein verächtlicher Blick strafte seine versöhnlichen Worte Lügen. Frau Kobayashi erwiderte die „Freundlichkeit“ nur mit einem zuckersüßen, eindeutig falschen Lächeln und griff in das Glas, wo sie die Zettel noch einmal wild durchmischte, bevor sie nacheinander zwei Stück herauszog. „Erinnert das Ganze noch jemanden an Harry Potter Teil Vier? Ich jedenfalls bekomme hier ziemliche Feuerkelch-Vibes!“, kommentierte Joey, bevor Tea ihn mit einem leicht aggressiven „Schhh!“ zum Schweigen brachte. Selbst Seto erwartete, wenn auch nicht sonderlich gespannt, das Ergebnis, das gleich verkündet werden würde, wenn Frau Kobayashi die beiden Zettel aufgefaltet hatte. „Die ersten beiden Disziplinen des Tages werden sein…“, sie ließ eine künstliche Pause, um die Spannung noch ein wenig in die Höhe zu treiben, „Tischtennis und … Orientierungslauf!“ Hatten sich bei der Verkündung der ersten Disziplin noch viele Gesichter im Speisesaal aufgehellt, wandelten sich die Blicke bei Nummer Zwei in allseitige Ratlosigkeit und Kopfschütteln. Ohne darauf einzugehen, ergriff wieder Herr Takeda das Wort: „Nun denn, wie angekündigt werden Kobayashi-san und ich jetzt die Regeln und einen Zeitplan ausarbeiten. Es ist jetzt, Moment…“, er sah auf seine Armbanduhr, „kurz vor acht. Ich würde also sagen, wir treffen uns um zehn vor halb neun alle gemeinsam draußen an den Tischtennisplatten. Bis gleich, meine Damen und Herren, nutzen Sie die Zeit, sich entsprechend vorzubereiten und überlegen Sie sich vielleicht schon einmal, wer am besten spielen sollte!“ Während Duke unten blieb, sich weiter mit seinen Freunden unterhielt und sie sich alle noch in Ruhe einen Orangensaft gönnten (keiner von ihnen hielt es für nötig, sich für Tischtennis umzukleiden), ging Seto noch einmal hoch. Ebenfalls nicht, um sich umzuziehen (dass er bei diesem lächerlichen Spiel keinesfalls mitspielen würde, stand vollkommen außer Frage – nur über seine Leiche), sondern, um seine Tasche mit dem Block zu holen. Er schätzte, dass diese Runde mindestens eine Stunde dauern würde und in einer Stunde konnte er einiges erreichen, wenn er konzentriert arbeitete. Dennoch musste er sich um 08:20 Uhr, so wie alle anderen Schüler auch, gezwungenermaßen erst einmal mit um die Tischtennisplatten versammeln, hielt aber wie gewohnt einen guten Meter Abstand vom Rest. Die Morgensonne stieg gerade über die Bäume, während gute vierzig Schüler mehr oder weniger interessiert lauschten, wie die Lehrer die Regeln und das Spielsystem erläuterten. „Also“, begann Herr Takeda, „wir haben uns auf folgenden Modus verständigt, der hoffentlich Ihre Fähigkeiten umfassend auf die Probe stellen wird: Es gibt drei Tischtennisplatten. Auf jeder Platte werden zwei Runden gespielt. In der ersten Runde Einzel, in der zweiten Runde Doppel, sodass also aus jeder Klasse insgesamt neun Personen spielen werden. Jede Klasse kann dabei selbst bestimmen, wer das sein wird, es darf aber jeder nur ein Mal teilnehmen, also entweder beim Einzel oder beim Doppel. Ansonsten gelten die normalen Tischtennis-Regeln, die Ihnen vertraut sein dürften. Welches Team am Ende mehr Spiele gewonnen hat, gewinnt auch diese Disziplin. Falls es am Ende zu einem Unentschieden kommen sollte, bestimmen wir den Sieger in einer finalen Runde mit allen Spielern im Rundlauf-Modus…auch bekannt als Chinesisch.“ Bei dieser Ankündigung klatschten einige Schüler auf beiden Seiten aufgeregt in die Hände. Frau Kobayashi fuhr fort: „Nun denn, Sie haben jetzt fünf Minuten Zeit, um sich zu einigen, wer jeweils antreten wird. Los gehts!“ Vorsorglich entfernte Seto sich noch ein Stück mehr von den anderen, nicht, dass doch noch jemand so lebensmüde sein würde, ihn zu fragen, ob er spielte. Vom Kindergarten nahmen, wie er trotzdem mitbekam, immerhin vier Leute teil: Bakura und Gardner jeweils im Einzel, Taylor und Muto beim Doppel. Wenn er richtig gehört hatte, war die Argumentation des Letzteren aber weniger sein besonderes Können mit Schläger und Plastikball, sondern eher die Tatsache, dass er nicht wusste, was noch kam und lieber hier mitmachte, um „es weg zu haben“. Denn, wie Seto nur zu gut wusste: Wenn eines nicht zu Mutos Stärken zählte, dann war es „richtiger“ Sport, allen voran Ballsport. Als die Spiele begannen und er somit endlich final aus dem Schneider war, setzte sich Seto weit abseits aller anderen gebannt zuschauenden Schüler beider Seiten ins Gras, holte schon fast gewohnheitsmäßig den Block aus seiner Tasche und begann zu arbeiten. Nach etwa zehn Minuten bemerkte er, wie sich jemand von hinten näherte. Er drehte sich kurz um und erkannte Duke, der in seinem Rücken stehen blieb, die Hände locker in den Hosentaschen vergraben, und ihm einen Moment lang interessiert über die Schulter sah. Offenbar interpretierte er Setos ausbleibenden Protest als implizite Erlaubnis und ließ sich mit einem warmen Lächeln auf den Lippen kurzerhand im Schneidersitz neben ihm ins Gras sinken. Setos Herzschlag beschleunigte sich augenblicklich. Ach, verdammt! Wie sollte man denn so seine Selbstbeherrschung aufrecht erhalten? Was musste dieser Typ auch so ein … Gesicht haben! „Was verbesserst du jetzt noch?“, erkundigte sich Duke, beugte sich noch etwas weiter zu ihm und studierte die aufgeschlagene Zeichnung genauer. Die hauchzarte Berührung ihrer Oberarme nahm Seto geradezu überdeutlich wahr und unternahm nicht einmal den Versuch den unfreiwilligen Körperkontakt zu beenden. Wenn das nicht zeigte, dass er im Grunde krank war, was dann? Ausgehend von seinem Arm begann es von Neuem in seinem ganzen Körper zu kribbeln und wieder fiel es ihm schwer zu entscheiden, ob er das nun angenehm oder unangenehm finden sollte. Derart abgelenkt musste er sich kurz räuspern, bevor er in hoffentlich gewohnt sachlicher Manier antwortete: „Das Würfeln. Du warst gestern noch nicht überzeugt, also probiere ich noch ein paar Alternativen aus.“ „Alles klar. Sag Bescheid, wenn eine davon spruchreif ist.“ „Werde ich.“ Seto atmete einmal leise gedehnt aus. Er wollte das Gespräch noch nicht wieder abreißen lassen und nickte in Richtung der Tischtennisplatten. „Du spielst nicht?“ Duke lachte einmal bitter auf und schüttelte den Kopf. „Tischtennis war noch nie eine meiner Stärken. In den Kreisen, in denen ich aufgewachsen bin, hatten die Familien eher selten einen Grill und eine Tischtennisplatte herumstehen. Macht sich so schlecht im gepflegten, englischen Landschaftsgarten hinter einer Villa.“ Seto hörte interessiert zu und versuchte, das Informationshäppchen, das er gerade erhalten hatte, einzuordnen. Stimmt, Devlin musste ebenfalls in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen sein. Soweit er wusste, gehörte seinem Vater ein größeres Unternehmen in Amerika. Wenn er sich recht entsann, war er dem Mann sogar schon einmal in seinen ersten Monaten bei Gozaburo auf einer jener unsäglichen Dinnerparties begegnet, bei denen er herumgezeigt worden war, wie dessen neuestes, possierliches und ach-so-kluges Haustier. Anstatt einer verbalen Antwort erwiderte er Dukes Blick nur wissend. „Glücklicherweise bin ich schon seit einigen Jahren komplett aus dieser Welt raus, aber um meine Tischtennis-Skills aufzubessern, hat mir bisher leider die Zeit gefehlt.“ Jetzt lachte Devlin immerhin wieder, was Seto wesentlich besser gefiel – diese leichte Bitterkeit von eben passte einfach nicht zu ihm. „Du finanzierst dich komplett selbst?“, fragte Seto fast automatisch weiter, bevor ihm einfiel, dass er Devlin mit der Frage eventuell zu nahe trat. Aber, beruhigte er sich, der Schwarzhaarige musste ja nicht antworten, wenn er nicht wollte. „Mhm.“, bestätigte Duke, „Hauptsächlich mit den Einnahmen aus dem Laden, aber ich beziehe auch ein kleines Gehalt von Industrial Illusions für die Weiterentwicklung von DDM … und dazu natürlich noch die Gewinnbeteiligung an den Einnahmen.“ Er ließ eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. „Reich werde ich damit zum jetzigen Zeitpunkt aber auch nicht. Das meiste von dem, was ich verdiene, investiere ich direkt wieder in den Laden.“ Dann hoben sich seine Mundwinkel zu einem Grinsen und ein freches Funkeln schlich sich in seine grünen Augen. „Gerade zum Beispiel spare ich für eine neue Duell-Arena eines namhaften Herstellers und, falls du es noch nicht wusstest, die sind nicht gerade billig!“ Das brachte nun auch Seto zum Schmunzeln. „Hast du etwas an meiner Preispolitik auszusetzen? Die beste Qualität kostet nun mal.“ „Weiß ich doch!“, gab Duke kichernd zurück. „Außerdem habe ich immer noch die leise Hoffnung, dass ich mich irgendwann mal durch irgendetwas für einen Rabatt qualifiziere…“ Setos Augenbrauen wanderten nach oben und er sah Duke nüchtern an. „Nun, mit mir zu reden wäre zum Beispiel ein Anfang. Und weitaus aussichtsreicher als bloßes Hoffen.“ „Ach, das wäre doch viel zu naheliegend!“, lachte der Schwarzhaarige mit einem Kopfschütteln, lehnte sich entspannt zurück und blickte für einen Moment versonnen in die Ferne über die Baumkronen hinweg. Seto jedoch sah ihn von der Seite unverwandt an, bis die grünen Augen endlich seinen Blick erwiderten. „Im Ernst, Devlin: Liefere mir gute Argumente und ich bin der Letzte, der ablehnt!“ Duke schaute kurz ein wenig ungläubig, bevor er zögernd nickte: „Okay, ich mache mir mal Gedanken und komme wieder auf dich zu.“ „Tu das!“ Duke antwortete nichts weiter, sondern blieb einfach still neben ihm sitzen. Wie gestern auf dem Weg zurück zur Brücke war das Schweigen jedoch alles andere als unangenehm, wie Seto zu seinem Erstaunen feststellte. Wie sie so beieinander saßen – er weiter zeichnend, Devlin wechselnd ihm und aus der Ferne den Tischtennisspielern zusehend – erschien ihm so selbstverständlich und … einfach. Ganz so, als müsste es so sein. Wäre es nach ihm gegangen, hätte es noch eine ganze Weile einfach so weitergehen können. Für Setos Geschmack viel zu schnell hörte man jedoch schon bald laute Freudenschreie aus Richtung der Tischtennisplatten, die zweifelsfrei vermittelten, dass die Privatschüler gewonnen und sie verloren hatten. Sie sahen, wie die Doppel-Spieler Tristan und Yugi leicht geknickt zu den anderen zurückkehrten und Duke nahm es zum Anlass, sich wieder zu erheben. Seto kam nicht umhin, das leichte Bedauern zu bemerken, dass er darüber empfand. „Na dann, bis später, Kaiba! Und danke für dein Angebot! Ich komme definitiv darauf zurück!“ Noch einmal warf Duke ihm eines seiner entwaffnenden Lächeln zu, winkte kurz und drehte sich schließlich um, um zurück zu den anderen zu gehen. Einen kurzen Moment blieb Seto noch sitzen und atmete ein paar mal tief durch, um seinen noch immer leicht erhöhten Puls zu beruhigen. Dann packte er Block und Stift wieder in seine Tasche, stand ebenfalls auf und ging wieder zur Klasse, um zu hören, wie es weitergehen sollte. Herr Takeda sah gerade, umringt von seinen Schülern, mit einem zufriedenen Lächeln auf Frau Kobayashi hinab: „Nun, meine Teuerste, ich würde sagen, ein klarer Sieg für die bessere Klasse, aber vielleicht haben Sie ja in einer anderen Disziplin mehr Chancen.“ Frau Kobayashi kochte innerlich vor Wut, sagte aber nichts, vermutlich aus der Befürchtung heraus, dass nichts von dem, was sie gerne äußern würde, als ‚zivilisiert‘ durchgehen würde. Herr Takeda hingegen sah mit gerunzelter Stirn geschäftsmäßig auf seine Uhr. „Nun, für den Orientierungslauf ist eigentlich alles bereits vorbereitet. Ich muss nur noch ein paar mehr Kopien der Karte anfertigen. Ich würde also sagen, Sie alle haben jetzt eine Viertelstunde Zeit, um kurz Pause zu machen und sich Sportsachen anzuziehen, denn die werden Sie jetzt brauchen – und zwar alle, denn die gute Nachricht ist: Beim Orientierungslauf werden Sie alle mitmachen!“ Über das unmotivierte Stöhnen der Schüler ging er achtlos hinweg. „Wir treffen uns also pünktlich um 09:45 Uhr dort vorne am Waldrand. Bis gleich!“ Mit einem kurzen Augenrollen wandte sich Seto zur Herberge, um nach oben ins Zimmer zu gehen und sich umzuziehen. Frau Kobayashi hatte sie vor der Fahrt angewiesen, vorsorglich Sportsachen einzupacken, falls eine Planänderung sportliche Aktivitäten erforderlich machen sollte – wie es ja nun auch gekommen war. Gerade hatte er die Tasche neben dem Bett abgestellt, da betrat auch Duke kopfschüttelnd den Raum. „Tze und ich hatte gehofft, wir würden die Sportsachen nicht brauchen! Naja, ich würde mich nochmal kurz frisch machen und mich gleich im Bad umziehen, wenn das okay für dich ist.“, fragte er und deutete auf die Badtür. Seto zuckte nur mit den Schultern. „So lange ich gleich auch nochmal ganz kurz rein kann…“ „Na klar!“ Mit diesen Worten verschwand der Schwarzhaarige mit seinen Sportklamotten im Badezimmer. Seto nutzte die Zeit, und zog sich direkt im Zimmer um: Sein Hemd ersetzte er durch ein blaues atmungsaktives Shirt und seine graue Jeans durch eine lange, schwarze, etwas enger anliegende Laufhose. An diesem kindischen Wettbewerb hatte er zwar keinerlei Interesse, aber gegen ein wenig körperliche Ausarbeitung, vor allem in Laufform, hatte er nicht viel einzuwenden. In letzter Zeit hatte er es durch den ganzen Stress vor dem Release der neuen Duel Disk-Generation nicht mehr geschafft, seine Jogging-Routine aufrecht zu erhalten. Als letztes zog er sich seine Laufschuhe an und war damit im Grunde fast bereit, als nur wenige Sekunden später Duke wieder aus dem Badezimmer kam, seinerseits gekleidet in ein dunkelgrünes Sportshirt, das ausnehmend gut zur Farbe seiner Augen passte (ein Gedanke, für den sich Seto am liebsten geohrfeigt hätte, als er ihm bewusst wurde), eine schwarze, kurze Hose sowie ebenfalls Sportschuhe. Schnell zwang Seto sich wieder zur Konzentration und verschwand wie angekündigt noch einmal kurz im Badezimmer. Als er wieder hinauskam, schnappten sie sich beide noch ihre Wasserflaschen, traten aus dem Zimmer und Duke schloss hinter ihnen ab. „Kannst du den Schlüssel nehmen, Kaiba? Meine Hose hat leider keine verschließbaren Taschen und es wäre doch ziemlich schlecht, wenn der verloren ginge.“ „Klar.“ Als Duke ihm die Schlüssel in die Hand legte, strichen die Fingerspitzen des Schwarzhaarigen für den Bruchteil einer Sekunde über Setos Handfläche. Ihn überlief unwillkürlich ein Schauer, denn, wenn er es nicht besser wüsste, hätte er schwören können, die Berührung sei beabsichtigt gewesen. In dieser Sekunde traten weiter vorne auf dem Gang Dukes Freunde ebenfalls umgezogen aus ihren Zimmern, sodass der Schwarzhaarige noch einmal die Hand zum Gruß hob und sich kurz angebunden verabschiedete: „Danke, Kaiba, und bis gleich!“ Mit diesen Worten lief er schnellen Schrittes zum Rest des Kindergartens. „Ja, bis … gleich!“, stieß Seto mit leichter Verspätung und noch immer einigermaßen irritiert aus, doch der Schwarzhaarige hatte seine Antwort vermutlich schon gar nicht mehr gehört. Gedankenverloren sah Seto ihm nach, wie er von Yugi und den anderen lächelnd begrüßt und sofort in ihre angeregte Unterhaltung einbezogen wurde. Als sei er aus einer temporären Versteinerung erwacht, setzte Seto sich nun ebenfalls in Bewegung und folgte wie mechanisch seinen anderen Mitschülern wieder hinaus auf das Freigelände. Konnte es wirklich sein, dass Devlin ihn mit Absicht berührt hatte – eben gerade und vielleicht auch schon vorhin beim Ansehen der Zeichnung? Falls ja, könnte das bedeuten, dass Devlin vielleicht auch … Sein Herzschlag beschleunigte sich einmal mehr und ein Flattern erfüllte seine Magengegend. Nein, absolut unmöglich! Devlin hatte keinerlei Grund dazu. Einerseits war da immer noch Setos nach wie vor unterkühltes und problematisches Verhältnis zum Rest des Kindergartens, das wohl immer zwischen ihnen stehen würde, und zweitens und viel entscheidender natürlich die schlichte Tatsache, dass kaum jemand so eindeutig und zweifelsfrei auf Mädchen stand wie Devlin. Allerdings lächelte Devlin ihn immer wieder auf diese ganz bestimmte Art und Weise an, kam ihm näher und zuckte nicht zurück, wenn er ihn mal versehentlich(?!) berührte … Nein, nein, nein! Rational war es vollkommen ausgeschlossen, dass Devlin seine Gefühle (Nein!) … seine temporäre hormonelle Dysbalance (Viel besser!) jemals erwiderte. Was aber natürlich nicht bedeutete, dass er sich nicht vielleicht einmal ausnahmsweise für einen kurzen Moment der irrationalen Hoffnung hingeben könnte. Vielleicht musste er auf dieser Klassenfahrt tatsächlich einmal zeitweise vor seinem eigenen Körper kapitulieren und sich einfach darauf einlassen. Vielleicht konnte er dann aus der Erfahrung lernen und weitere derartige Situationen (Gott bewahre!) erfolgreicher abwenden… Am Waldrand angekommen, ließ er seinen neuerlichen Jekyll und Hyde-Moment endlich hinter sich und erwartete mit allen anderen Schülern die Erklärung der nun bevorstehenden zweiten Disziplin dieses kindischen, kleinen Wettbewerbs. Da es sich hier um eine Disziplin handelte, die von Herrn Takeda beigesteuert worden war, war es nur logisch, dass nun auch er Ablauf und Inhalt erläuterte: „Also meine Damen und Herren, beim Orientierungslauf geht es darum, möglichst schnell eine durch bestimmte Kontrollpunkte im Gelände festgelegte Strecke abseits der normalen Wege abzulaufen. Zur namensgebenden Orientierung stehen Ihnen dabei nur Karte und Kompass zur Verfügung. Die Strecke habe ich bereits gestern vorbereitet, denn das hätte ich mit meinen Schülern auch ohne diesen amüsanten Wettbewerb heute oder morgen gemacht. Die Strecke besteht aus zehn Kontrollpunkten, die Sie der Reihenfolge nach ablaufen müssen. An jeder Station habe ich einen Stempel befestigt, mit dem Sie auf der Karte markieren können, dass Sie den Punkt erreicht haben. Von der Karte habe ich ein paar mehr Abzüge angefertigt, allerdings verfügen wir nicht über genügend Kompasse, weshalb Sie das Ganze in Zweierteams bewältigen werden. Die Zusammenstellungen werden wir gleich im jeweiligen Klassenverband auslosen. Da Sie natürlich nicht einfach Ihren Mitschülern nachlaufen sollen, werden die Teams mit entsprechendem Zeitversatz starten. Welche Klasse zuerst mit der in Summe niedrigsten Zeit und allerhöchstens zehn fehlenden Stempeln wieder da ist, hat diese Disziplin gewonnen. Da Sie allesamt junge und fitte Menschen sind, sollten Sie den Parcour eigentlich in etwa anderthalb Stunden bewältigen können.“ Er blickte aufmerksam durch die Menge der Schüler. „Gibt es bis hierhin Fragen?“ Hier und da wurden Köpfe geschüttelt. „Gut, dann sammeln Sie sich jetzt in Ihrem jeweiligen Klassenverband und losen Sie die Teams aus! Wir sind eine gerade Anzahl von Schülern, sodass es problemlos aufgehen sollte.“ Frau Kobayashi hatte genau wie ihr männliches Pendant ein kleineres Glas vorbereitet, das Zettel mit den Namen ihrer sämtlichen Schüler enthielt. „Also meine Damen und Herren, ich werde jetzt der Einfachheit halber immer zwei Zettel ziehen, und Sie werden das Ergebnis ohne Diskussion akzeptieren, haben wir uns verstanden?“ Allseits lustloses Nicken. Seto hoffte drauf, dass Fortuna wie schon bei der Zimmerbelegung auf seiner Seite sein und nicht der Worst, sondern der Best Case eintreten würde. In letzterem bekam er Devlin zugeteilt, den gefühlt einzigen wirklich kompetenten Menschen auf dieser Klassenfahrt, mit dem dieser kleine Querfeldeinlauf zumindest den Hauch einer Chance hatte, eine einigermaßen erträgliche Angelegenheit zu werden. Doch selbst wenn es nicht so kam, war eigentlich alles besser als der Worst Case, der natürlich nur eines sein konnte … „Seto Kaiba und … Joey Wheeler.“ Genau das. 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