Die Götter hassen mich von Lycc ================================================================================ Kapitel 25: Teilerfolge ----------------------- In immer schneller werdenden Spiralen schraubten sich die beiden Paratei in den Himmel und durchbrachen schließlich die Wolkendecke. Ohnezahn hatte sich selbstverständlich nicht an Hicks' Bitte gehalten und es ruhig angehen lassen, sondern war sofort in den Steilflug übergegangen. Er hatte es zu sehr vermisst, zu fliegen, also gab es für ihn kein Halten mehr, sobald er und Hicks die Arena verlassen hatten. Ohnezahn hatte ihm nicht mal die Zeit gelassen, seine Weste abzulegen und seine Gestalt zu wechseln, also hatte Hicks seinen Nachtschatten mühsam einholen müssen. Nun verwirbelten sie vergnügt die Wolken, umflogen die Bergkuppen im Norden der Insel und verschafften sich von der Luft aus einen Überblick über Platon. Die Insel ähnelte in Größe und Tektonik Berk, aber sie lag viel nördlicher und hatte dementsprechend eine etwas andere Flora und ein kühleres Klima. Die Höhe und der nahende Winter tat sein übriges und so war Hicks völlig durchgefroren, als sie ihren Flug endlich beendeten und am Dorfrand landeten. Fröstelnd rieb er seine steif gefrorenen Finger aneinander und versuchte erfolglos sie wieder aufzuwärmen. Schließlich nahm Ohnezahn sie kurzentschlossen in seine Hände, von denen plötzlich ein schwaches, blauviolettes Glühen ausging. „Was...“ Verwirrt sah Hicks zu seinem Paratei hoch und baute die mentale Verbindung zu ihm auf. Stolz erklärte der ihm, dass es sich dabei wohl um sein Drachenfeuer handelte, das er seit dem Angriff der Verbannten endlich bewusst aufrufen konnte. Zu mehr als einem schwachen Glühen brachte er es zwar noch nicht, aber immerhin bedeutete das, dass er auch mit einem menschlichen Paratei seine Fähigkeiten entwickeln konnte. Bewundernd betrachtete Hicks das bläuliche Licht, das sachte seine Finger wärmte, und erinnerte sich wieder an die Plasmakugeln, mit denen Ohnezahn ihn damals vor Alvin gerettet hatte. „Du bist wirklich unglaublich. Und ich hab nicht mal meine eigenen Klauen unter Kontrolle.“ Etwas unglücklich schaute Hicks auf seine Fingerkuppen in Ohnezahns Händen, doch der ließ ihm diese trüben Gedanken nicht so einfach durchgehen und leckte aufmunternd über seine Wange. „Danke, du hast ja recht. Genau darum gehen wir ja schließlich zum Training.“ Das Training – Hicks hatte den Widerwillen ob seines Aufschubs in Malas Augen deutlich erkennen können, aber er hätte Ohnezahn jetzt unter keinen Umständen und mit keinem Mittel der Welt am Boden halten können und das wollte er auch gar nicht. Hicks konnte seine Sehnsucht nach dem Himmel gut nachvollziehen, schließlich empfand er genauso. Aber nachdem sie beide nun diesem Verlangen gefrönt hatten, sollten sie wohl endlich zur Arena zurückkehren und sich in Malas strenge Lehre begeben. Kurz ließ er sich noch von Ohnezahns Zuwendung beruhigen, dann machten sie sich wieder auf den Weg zur Arena. Mala erwartete die beiden Ausreißer bereits und wies Hicks ohne weitere Umschweife in eine spezielle Atemtechnik ein, die ihm helfen sollte seine Konzentration zu steigern und seinen Körper durch Willenskraft zum Ausbilden der Klauen zu zwingen. Ohnezahn wurde indes von Heidrun und Astrid in ihr Training eingebunden, damit er Hicks mit seiner Ungeduld oder seinem Aufmerksamkeitsbedürfnis nicht ablenkte. Es hatte zwar einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, aber letzten Endes vertraute Hicks Astrid seinen Paratei an. Während sein Nachtschatten also von den beiden kampfaffienen Wikingerinnen in Schach gehalten wurde, saß Hicks nun duldsam im Schneidersitz auf dem kalten Arenaboden und spielte geistig auf Malas Anweisung hin immer wieder das Bild seiner aus den Fingerkuppen brechenden Krallen ab. Doch das Einzige, was er nach nunmehr einer Stunde damit erreichte, war, dass seine Beine einschliefen und unangenehm zu kribbeln begannen. Die anderen Rekruten machten gerade Pause und tuschelten unverschämt laut über Hicks' erfolglose Bemühungen. Wie sollte er sich denn auch konzentrieren, wenn ein ganzes Dutzend Jugendlicher sich das Maul über ihn zerriss? „Die Pause ist vorbei. Ausgangshaltung einnehmen“, wies Mala ihre Schüler an und ließ Hicks damit erschrocken zusammenfahren. Reflexartig schützte er seine Ohren mit den Händen und kniff die Augen zusammen, denn Malas Stimme war so klar und laut gewesen, als hätte sie ihm direkt ins Ohr geschrien. „Hicks, alles okay?“ Besorgt musterten Astrids wache Augen ihn und auch Ohnezahn saß plötzlich wieder an seiner Seite und berührte beruhigend seine Schulter. „Ja. Alles okay. Hab mich nur erschreckt.“ Unglücklich sah er auf seine Finger hinunter. „Ich krieg´s einfach nicht hin. Mala meinte, dass bisher jeder ihrer Schüler auf diese Weise zumindest irgendwas von seinen Fähigkeiten wachrufen konnte, aber bei mir tut sich gar nichts.“ „Vielleicht sind die Klauen einfach nicht dein Ding. Du bist ja eher weniger der Typ, der Probleme mit Gewalt löst. Du bist gut mit deinen Flügeln und in der Drachen-Sprache. Vielleicht solltest du dich lieber darauf konzentrieren.“ „Aber ich hab die Klauen. Das weiß ich ganz genau. Auf Berk konnte ich sie einsetzen und so den Verbannten entkommen, aber seitdem rühren sie sich nicht mehr.“ Unschlüssig betrachtete Astrid ihren trübsinnigen Freund am Boden und beschloss, das Ganze selbst in die Hand zu nehmen. Malas Lehren in allen Ehren, aber das hier war ein Problem, das einer intuitiven und schnellen Lösung bedurfte. Eben eine Lösung auf Berk-Art. „Steh auf.“ „Was?“ „Als du deine Krallen gegen Alvin eingesetzt hast, hast du dich vorher auch nicht eine halbe Ewigkeit lang in die Ecke gesetzt und dich darauf konzentriert. Du hast gekämpft, sie gebraucht und dann waren sie da, oder nicht?“ „Schon, aber -“ „Na dann machen wir das jetzt genauso. Disziplin und Gehorsam waren noch nie deine Art, also steh auf und trainiere mit mir.“ Hicks wollte ihr widersprechen, doch Astrid zog ihn einfach auf die Füße und nahm ihm den Langstab ab, den er auf dem Weg in die Arenamitte aufgelesen hatte. „Den brauchst du nicht. Du sollst ja schließlich deine eigenen Waffen benutzen.“ „Aber -“ Und schon musste Hicks seine Beschwerde unterbrechen, um Astrids erstem Angriff auszuweichen. „Jetzt warte doch mal.“ „Zwing mich dazu, wenn du kannst.“ Unbarmherzig nutzte Astrid jeden von Hicks' Schwachpunkten aus und rächte sich insgeheim ein wenig für die Schmach, die Hicks ihr in Berks Drachenarena beigebracht hatte. Sie hatte ihm seinen Betrug beim Training noch immer nicht so recht verziehen und bewies ihm nun in aller Härte, dass sie die bessere Kämpferin war und in der kurzen Zeit hier auf Platon bereits so einiges von Mala und Heidrun gelernt hatte. Astrid brachte Hicks immer wieder kleine Niederlagen bei und machte ihn schmerzhaft auf seine Fehler aufmerksam, doch Hicks ließ sich nicht unterkriegen. Er wurde zunehmend sicherer im Umgang mit seinen zusätzlichen Gliedmaßen, aber ihm fehlte trotzdem eine Waffe. Zweimal konnte er Astrid mit seinen Flügeln aus dem Gleichgewicht bringen, doch dank dem Training gegen Ohnezahn, fand sie ihre Balance sehr zügig wieder. Ohnezahn beobachte die Szene etwas ratlos. Er hatte Astrids Worte und Idee zwar verstanden, aber er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Astrid war eine Freundin und würde Hicks nicht ernsthaft verletzen, aber gleichzeitig widerstrebte es ihm, sie seinen Paratei einfach zu diesem Kampf zwingen zu lassen. Ohnezahn wollte ihn beschützen, aber dabei würde Hicks nichts lernen und der Zwischenfall mit den Verbannten hatte ihm gezeigt wie wichtig es war, dass Hicks im Notfall auf sich selbst aufpassen konnte. Auch Mala besah sich die eigenwillige Herangehensweise der beiden jungen Berkianer skeptisch. Sie lehrte ihren Schülern stets Kontrolle und Disziplin, damit sie gegen ihre Ängste bestehen konnten. Die Verwandlung in einen Paratei veränderte das eigene Leben für immer und viele Menschen ließen sich von ihrer Angst vor den Drachen, ihren neuen Fähigkeiten und Aussehen und der Veränderung im Allgemeinen übermannen. Daher war es unglaublich wichtig für diese jungen Paratei, von Mala Kontrolle und Selbstbeherrschung zu lernen. Bei Hicks schien das trotz deiner Unerfahrenheit anders zu sein. Er hatte den vermutlich schwierigsten und gefährlichsten Paratei von allen hier in der Arena, aber Angst machte ihm das ganz offensichtlich nicht. Die Parallelen zu ihrer Anführerin und Mentorin Valka waren unverkennbar, und erneut bedauerte Mala, dass sie nicht deren Weisheit und Empathie besaß, die Hicks vermutlich viel hilfreicher wären. „Mala?“, riss Heidruns flüsternde Stimme und schelmisches Grinsen sie aus ihren trüben Überlegungen. „Ich glaube ich habe eine Idee.“ Hicks musste jede seiner Bewegungen mit Bedacht ausführen und durfte Astrid nicht für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen lassen, doch so langsam machte ihm das Ganze fast schon Spaß. Seine Instinkte und Sinne waren durch Malas Atemtechnik geschärft und er hielt sich an ihren Rat, unnötige Bewegungen zu meiden. Und das machte sich bezahlt. Plötzlich tauchte ein graues Paar Flügel hinter Astrid auf und Hicks konnte einen Langstab nach deren Kopf ausholen sehen. Bevor seine Gedanken das Bild überhaupt verarbeiten konnten, griff Hicks in Astrids Oberteil, zog sie zur Seite und fing den massiven Holzstab mit der anderen Hand im Flug ab. „Mala“, quietschte Astrid erschrocken auf. „Was sollte das denn?“ Ein überraschter aber stolzer Ausdruck verdrängte Malas sonst so eiserne Miene, und auch Astrid und Hicks sahen endlich, was Mala mit ihrem unvermittelten Angriff hatten bewirken wollen. „Du scheinst tatsächlich nur im Notfall auf Gewalt zurückzugreifen, Hicks. Dieser Charakterzug mag für einen Wikinger eher ungewöhnlich sein, aber er ziert dich.“ Fasziniert sah Hicks auf seine linke Hand, aus deren Fingerspitzen die dunklen Klauen ragten. „Entschuldigung“, schaltete auch Heidrun sich nun ein. „Das war meine Idee. Ich dachte nur, gegen Astrid würdest du deine Krallen eh nicht einsetzen. Wenn überhaupt, dann nur für sie.“ Während die drei jungen Frauen in angeregte Theorien und Diskussionen verfielen, starrte Hicks nur weiterhin auf seine Hand, denn die Klauen waren nicht die einzige Veränderung. Anzeichen schwarzer Schuppen zierten seinen Handrücken und unter den langen Ärmeln seiner Tunika fühlte er kleine, flache Stacheln, die sich seinen Unterarm entlangzogen. Interessiert betrachtete auch Ohnezahn die Teilverwandlung seines Paratei. Vorsichtig nahm er Hicks' Hand und fuhr die Krallen und Stacheln mit den Fingern nach. Schließlich fuhr er seine eigenen Klauen aus und Hicks legte ihre Handflächen aneinander. Ihre Hände waren fast identisch – Hicks' teilverwandelter Arm unterschied sich wirklich nur geringfügig von dem eines echten Nachtschatten-Hybriden. In Hicks löste diese Erkenntnis gemischte Gefühle aus, aber Ohnezahn schien sich darüber zu freuen. Er umschloss Hicks linke Hand mit seinen beiden eigenen und stieß ihn aufmunternd mit dem Kopf an. Hicks hatte sein Ziel erreicht – er hatte endlich die Klauen, die er seit Tagen haben wollte, und im Eifer des Gefechts war ihm sogar der Schmerz dieser Verwandlung entgangen. Kontrolle hatte er allerdings nicht darüber. Er brauchte Ohnezahns Hilfe, um seinen Arm zurückzuverwandeln, und selbst gemeinsam mit seinem Paratei war das noch immer eine kräftezehrende und schmerzhafte Angelegenheit. Warum musste seine Gabe nur so schrecklich wehtun? Tröstend schmiegte Ohnezahn sich an seine Wange und ließ Hicks über ihre mentale Verbindung wissen, wie stolz er auf ihn war. Abends im Bett ließ Hicks die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren, während Ohnezahn bereits auf seiner Brust eingeschlafen war. Der Flug, seine Teilverwandlung, die Instinkte im Kampf – vielleicht hatte Hicks inzwischen ja wirklich mehr von einem Drachen als er bisher angenommen hatte. Mala hatte ihm erklärt, dass nichts einen Nachtschatten-Schwarm ersetzen konnte, also lag es vielleicht ja daran, dass Hicks sich nur bei Ohnezahn so richtig wohlfühlte. Natürlich waren sie Paratei und dadurch so wie so an einander gebunden, aber ihr Verhalten zueinander war doch anders als bei jedem anderen Paratei-Paar, das er bisher hier auf Platon getroffen hatte. Dabei hatte Hicks so sehr gehofft, auf Platon endlich dazuzugehören und nicht mehr der ewige Außenseiter und Sonderling zu sein. Unter seiner Hand begann Ohnezahn sich zu regen und wurde sofort auf Hicks' trübe Stimmung aufmerksam. „Vor dir kann ich wohl nichts verbergen, was?“ Aufmunternd schmiegte Ohnezahn sich an seine Wange und baute dann eine mentale Verbindung mit ihm auf. Und tatsächlich konnte er die Gefühle seines Paratei ausgesprochen gut nachvollziehen. Ihm selbst ging es genauso – Sturmpfeil, Wolkenspringer und die Anderen waren zwar wichtig für ihn, aber als Nachtschatten war er trotzdem immer etwas anders und keiner von ihnen konnte das verstehen. Für Hicks war es das Gleiche – er hatte Freunde, Familie und nun auch andere menschliche Paratei gefunden, aber so ganz verstehen konnte ihn nur Ohnezahn. Müde legten die beiden Paratei die Stirn aneinander und genossen einfach nur die Anwesenheit des jeweils anderen. Sie verstanden einander und damit waren sie schon nicht mehr allein – was wollten sie mehr? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)