Zum Inhalt der Seite

Die Götter hassen mich

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Reisegruppe Wolkenspringer

Hicks' Flügel und Rücken brannten höllisch. Sie flogen bereits gut den halben Tag und legten nur sehr kurze, sporadische Pausen ein. Seine Muskeln waren einer derart langen Dauerbelastung einfach noch nicht gewachsen, und so musste er sich ununterbrochen zusammenreißen, um das Tempo der Gruppe zu halten und sie nicht auszubremsen.

Ohnezahn warf ihm immer wieder besorgte Blicke von der Seite zu, aber Hicks wollte die anderen nicht zur Landung zwingen, nur weil er sich überschätzt hatte. Außerdem befanden sie sich mitten über dem offenen Meer und es war keine Insel in ihrer direkten Nähe.

„Na Hicks. Du schwächelst doch nicht etwa?“ Rotzbakke hatte ganz offensichtlich seinen Spaß, aber er musste ja auch nicht selbst fliegen, sondern sich nur von Hakenzahn tragen lassen. Hicks hatte keine Kraft übrig, um Rotzbakke die Meinung zu geigen, also ließ er dessen Schadenfreude einfach über sich ergehen und richtete den Blick stur nach vorn.

Ohnezahn konnte sich das Elend nicht mehr mitansehen und schloss eilig zu Wolkenspringer auf, um ihn um einen Gefallen zu bitten, den er ihm in jüngeren Jahren oft gewehrt hatte.

Hicks konnte beobachten, wie Wolkenspringer etwas mehr an Höhe gewann als der Rest der Gruppe, um genügend Platz um sich herum zu gewinnen.

Das Kunststück, das der Sturmbrecher nun vollführte, bewies Hicks mal wieder, wie beeindruckend und faszinierend Drachen und ihre Fähigkeiten waren. Ohne großartig an Geschwindigkeit oder Höhe zu verlieren wechselte er mitten im Flug von der Hybrid-Form in seine vollwertige Drachengestalt. Mühelos ließ er sich wieder auf eine Höhe mit dem Rest der Gruppe fallen und übernahm erneut die Führung.

Ohnezahn bedeutete Hicks zu ihnen aufzuschließen, und der biss die Zähne zusammen und nahm an Kraft zusammen, was sein Körper noch hergab, obwohl seine Muskelfasern sich anfühlten, als könnten sie jeden Augenblick zerreißen.

Natürlich hätte Wolkenspringer auch auf ihn warten können, aber so leicht würde er es dem jungen Paratei nicht machen. Es war sein eigener Fehler gewesen, seine Fähigkeiten zu überschätzen, also würde er ihm keinen allzu einfachen Ausweg liefern, sondern ihn an seine Grenzen zwingen. Nur so konnte er den Menschen dazu bringen über sich hinauszuwachsen.
 

Als Hicks es fast bis zu Wolkenspringer geschafft hatte, führte Ohnezahn ihm vor, was er zu tun hatte. Geschickt passte er den richtigen Moment zwischen den Flügelschlägen des Sturmbrechers ab und landete sicher auf dessen Rücken.

Bange starrte Hicks die zwei Flügelpaare an, die sich in gegensätzlichem Rhythmus unermüdlich auf und ab bewegten und sich bei jedem Schlag fast an den Spitzen berührten. Hicks würde rechtzeitig seine eigenen Flügel einfalten und nur durch den übrigen Schwung die restliche Distanz überwinden müssen, um nicht mit Wolkenspringers Schwingen zu kollidieren.

Warum mussten ihn nicht nur die Götter, Grobian und sein Vater ständig auf die Probe stellen, sondern jetzt auch noch Wolkenspringer? Aber er hatte keine Wahl.

Ein paar Sekunden lang beobachtete er noch die Schläge der zwei Flügelpaare, um ein Gefühl für das richtige Timing zu bekommen. Dann atmete er einmal tief durch, nahm Schwung und versuchte die Flugbahn zu imitieren, die Ohnezahn ihm vorgeführt hatte.

Und tatsächlich schaffte es Hicks an den Schwingen vorbei ohne sie auch nur zu streifen, allerdings hatte er aus Angst die Distanz nicht überwinden zu können und abzustürzen, zu viel Schwung genommen und stolperte nun unkontrolliert über Wolkenspringers Rücken. Doch Ohnezahn fing ihn zuverlässig auf und half ihm auf dem fliegenden Drachen seine Balance zu halten.

Erschöpft und noch immer etwas verängstigt von seinem unfreiwilligen Kunststück setzte Hicks sich auf Wolkenspringers Rücken und versuchte seinen rasenden Herzschlag wieder zu beruhigen, der hämmernd gegen seinen Brustkorb trommelte.

Ohnezahn ging neben ihm in die Hocke und schmiegte sich aufmunternd an ihn. Hicks konnte über ihre Verbindung spüren, wie stolz sein Paratei auf ihn war, und ein Schmunzeln stahl sich unwillkürlich auf seine Lippen. Dankbar drückte er ihn an sich und kraulte seinem Nachtschatten kurz den Nacken.

Nachdem sich Ohnezahn davon überzeugt hatte, dass es Hicks gut ging, ließ er seine gespaltene Zunge einmal zärtlich über dessen Wange gleiten, bevor er sich nach hinten vom Rücken des Sturmbrechers fallen ließ und seine Flügel im Sturz entfaltete um weiterzufliegen.

Hicks hoffte inständig, dass Wolkenspringer ihm diese Tortur ersparen und ihn am Boden von seinem Rücken entlassen würde, aber erstmal war er einfach nur froh darüber seine müden Flügel ausruhen zu können.

„Danke.“ Hicks konnte zwar grade keinen Blickkontakt und daher keine Verbindung mit Wolkenspringer aufbauen, aber er setzte darauf, dass er ähnlich wie Ohnezahn auch einfache Begriffe menschlicher Sprache verstand.
 

Die Nacht verbrachte ihre eigenartige Reisegruppe auf einer kleinen, unbesiedelten Insel, auf der noch keiner der jungen Wikinger je gewesen war. Sie lag zwar nur einen Tagesflug entfernt von Berk, aber mit einem Schiff hätten sie vermutlich mindestens dreimal so lange gebraucht.

Tatsächlich hatte Wolkenspringer darauf verzichtet Hicks im Flug „absteigen“ zu lassen und so saßen nun die sechs Wikinger und sieben Drachen unter dem Blätterdach der Bäume, die nahe der Küste wuchsen.

„Verdammt, tut mir der Hintern weh“, jammerte Rotzbakke in einer Tour und zum Leidwesen aller Anwesenden stimmten die Zwillinge in sein Gezeter mit ein.

„Na Rotzbakke. Du schwächelst doch nicht etwa“, wiederholte Astrid provokant die Worte, die Rotzbakke zuvor Hicks an den Kopf geworfen hatte, und sorgte so für allgemeines Gelächter.

Viel mehr bekam Hicks von dem Abend auch nicht mehr mit. Wolkenspringer hatte ihn zwar ein gutes Stück weit getragen, aber das änderte nichts daran, dass Hicks sich zuvor völlig verausgabt hatte. Folglich schlief er schon in Ohnezahns Schoß ein, während sie noch ums Lagerfeuer saßen und Taffnuss eine seiner berüchtigten Gruselgeschichten erzählte.

Schützend faltete der Nachtschatten seine Flügel um den schlafenden Hicks und schmiegte sich liebevoll an dessen Kopf. Es war der erste lange Flug über das offene Meer für ihn gewesen und sein Mensch hatte sich wirklich gut geschlagen – vor allem wenn man bedachte, dass er noch vor wenigen Monaten überhaupt nicht fliegen konnte.

Am Morgen versorgte Ohnezahn wie üblich Hicks' Wunde, die sich zwar bereits zu schließen begann – nicht zuletzt auch dank der unermüdlichen Fürsorge seines Paratei – aber eben noch lange nicht verheilt war.

Hicks störte sich inzwischen kein bisschen mehr an dieser Prozedur und genoss sie insgeheim sogar ein wenig. Es kam immerhin nicht grade häufig in seinem Leben vor, dass sich jemand so hingebungsvoll um ihn kümmerte.

„Seid ihr beide denn bald mal fertig? Platon wird nicht einfach von allein zu uns schwimmen.“ Genervt verdrehte Hicks die Augen und verfluchte stumm Rotzbakkes loses Mundwerk, aber er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und würdigte ihn keines Blickes, zumal der Rest der Gruppe auch noch nicht abflugbereit war.

Nachdem alle ihre Sachen zusammengepackt und sich in die Luft geschwungen hatten, übernahm Wolkenspringer wieder die Führung und führte sie zielsicher über die Route, die er mehrfach im Jahr selbst immer wieder zurücklegte.

Und dieser Ablauf wiederholte sich für die nächsten drei Tage, bis sie die Grenzen ihres Archipels hinter sich ließen und wahrhaftig neues Terrain betraten.
 

Die Schmerzen seines Muskelkaters ignorierend flog Hicks neben Ohnezahn her, als am Horizont die Silhouette der ersten Insel auftauchte, doch Wolkenspringer steuerte sie nicht an. Ganz im Gegenteil – er drehte nach links ab und korrigierte ihre Flugbahn, um sie in sicherem Abstand um diese erste Insel herum zu navigieren.

Verwirrt sah Hicks seinen Paratei an, doch auch der wusste nicht, was Wolkenspringer diesen erheblichen Umweg nehmen ließ. Hätten sie auf diesen verzichten können, wären sie wahrscheinlich noch am gleichen Tag an ihrem Ziel angekommen, aber nun mussten sie mindestens eine weitere Nacht im Freien auf einer kleinen, unbewohnten Insel verbringen.

„Also, warum genau fliegen wir nochmal einen absurd riesigen Bogen um die Insel dahinten?“ Rotzbakke war zwar derjenige, der Hicks die Frage stellte, aber auch alle anderen sahen ihn auffordernd an und erwarteten eine Erklärung von ihm.

Hicks seufzte schwer. Er würde Wolkenspringer fragen müssen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob er eine Antwort bekommen würde. Der Sturmbrecher drückte sich zwar sehr verständlich und umgänglich aus, aber er war auch nicht grade der mitteilsamste Drache, den Hicks kannte, und er wollte es sich nur ungern mit ihm verscherzen.

Den anderen schien das allerdings ziemlich egal zu sein, also rappelte sich Hicks mühevoll wieder vom Boden auf und lief zu Wolkenspringer, der an der Klippe saß und wachsam die Schiffe in der Nähe der Insel im Auge behielt.

Vorsichtig zog Hicks dessen Aufmerksamkeit auf sich und erfragte den Grund ihres Umwegs. Zu seiner Erleichterung nahm Wolkenspringer ihm seine Neugierde keineswegs übel und teilte ohne langes Zögern einige exemplarische Bilder aus seinem Gedächtnis mit Hicks, um ihm sehr schnell sehr deutlich zu zeigen, warum sie die mysteriöse Insel am Horizont so vehement meiden sollten.

Bilder von elitären Männern und Frauen, die Drachen aus dem Himmel schossen, sie einsperrten, verletzten und töteten, durchzuckten Hicks' Kopf und schickten ihm einen unangenehmen Schauer über den Rücken.

Er wusste inzwischen, dass Emotionen und persönliche Ansichten Erinnerungen und die Bilder, die er von Drachen erhielt, beeinflussten und auch verfälschen konnten, aber die Angst, die Wolkenspringers Erinnerungen und mitschwingenden Gefühle in Hicks auslöste, war zweifelsfrei echt.

Die Jäger – das war die Basis der Drachenjäger, von denen Johann die Fallen erstanden hatte, die Grobian dann gekauft und im Wald aufgestellt hatte. Die mörderische Konstruktion, in der Ohnezahn sich damals verfangen hatte, stammte von der Insel dort in der Ferne, auf der nun nach und nach die Feuer entzündet wurden, um die Finsternis der aufziehenden Nacht zu vertreiben.

In stummem Entsetzten haftete Hicks' Blick auf den Lichtern am Horizont und Wolkenspringer schien die Sorge des jungen Paratei zu spüren. Ohne selbst den Blick von der feindlichen Insel zu nehmen legte er einen seiner vier Flügel über Hicks und stieß ihn durch seine schiere Größe dabei am Kopf an.

Erschrocken zuckte Hicks zusammen und sah zu dem Sturmbrecher hoch, doch dessen Augen fixierten unermüdlich die Gefahr in der nahen Ferne.
 

Wolkenspringer hielt die Stellung auf der Klippe, während Hicks zu den anderen zurückkehrte und ihnen berichtete, was er erfahren hatte.

„Das leuchtet total ein. Darum hat auf Berk vorher noch nie jemand etwas von Platon oder den Drachenflüsterern gehört. Die Insel der Jäger schneidet den direkten Weg zu uns ab, darum kamen wir noch nie in Kontakt mit ihnen.“ Astrids Schlussfolgerungen machten Sinn und Hicks konnte beobachten, wie auch in den Augen der anderen so langsam ein Licht aufging.

„Händler Johann kam durch, weil er auch für die Jäger wichtig ist und er nichts mit Drachen zu tun hat“, sponn Fischbein den Gedanken weiter. „Und unsere Leute haben sich nie in diese Richtung vorgewagt, weil die Nebelbank an der Grenze des Inselreichs zu unberechenbar ist, um sie ohne Führung mit Langschiffen zu durchqueren.“

Auffordernd sah Ohnezahn zu Hicks. Dass es um gefährliche Menschen ging, hatte er schon mitbekommen, aber was genau die Wikinger grade besprachen, hatte er nicht erfassen können. Beruhigend strich Hicks seinem Paratei über die Wange, während er ihm übersetzte, was die Gruppe so enthusiastisch am Lagerfeuer besprach. Die Erwähnung der Jäger und der Falle, in die er damals geraten war, machten Ohnezahn sichtlich nervös, also zog Hicks ihn in seine Arme, streichelte ihm zärtlich den Kopf und teilte einige beruhigende Emotionen über ihre Verbindung mit ihm.

Unnötige Kommentare ernteten die beiden Paratei dieses mal keine, denn selbst Rotzbakke hatte mittlerweile einen der Nachteile ihrer Reiserichtung gen Norden zu spüren bekommen – es wurde zunehmend kälter. Dazu kam noch der anstehende Winter, der sich mit großen Schritten nährte, und so verbrachten inzwischen alle Reiter nicht nur die Nacht sondern auch den Abend in direkter Nähe zu ihren Drachen und unter deren Flügeln.

Drachen waren einfach weitaus Kälteresistenter als Menschen, da ihr inneres Feuer sie auf Temperatur hielt. Ansonsten hätten sie als Reptilien auch schlechte Karten in diesen nördlichen Breitengraden gehabt.

Im Fall des Riesenhaften Albtraums war diese Temperatur noch mal ein gutes Stück höher als bei den meisten anderen Arten, denn bekanntermaßen setzten sich diese Drachen ja gern selbst in Brand. Was wiederum – sehr zu Rotzbakkes Leidwesen und dem Vergnügen aller anderen – auch auf Hakenzahn zutraf, der nicht selten seinen Spaß daran hatte, auch seinen Reiter ein wenig anzusengen.
 

Wolkenspringer blieb die gesamte Nacht über an seinem Platz auf der Klippe und ob er überhaupt schlief, bezweifelte Hicks insgeheim. Aber nachdem er einige Eindrücke der schlechten Erfahrungen gesehen hatte, die Wolkenspringer mit der Insel und deren Bewohnern verband, konnte er das auch nachvollziehen. Immerhin hatte bei Ohnezahn schon allein die unangenehme Begegnung mit einer Falle der Jäger ausgereicht, um ihn nervös und unruhig zu machen.

Drachen waren eben nachtragend – eine der wenigen Eigenschaften, die die Wikinger Berks ihren Rekruten korrekt gelehrt hatten.

Gedankenverloren betrachtete Hicks den Sternenhimmel über sich und kraulte Ohnezahn, der sein Gesicht in Hicks' Halsbeuge vergrub, einen Flügel über sie beide ausgebreitet hatte und bereits auf seiner Brust eingeschlafen war.

Wenn sie ihr Tempo hielten, würden sie Platon morgen Abend schon sehen und übermorgen voraussichtlich erreichen können. Zumindest wenn Hicks' Schätzung von dem, was er von Wolkenspringer über ihre Route erfahren hatte, und ihrem bisherigen Reiseverlauf korrekt war.

Endlich würde er sich mit Leuten austauschen können, denen es genauso ging wie ihm und die seine Situation nachvollziehen konnten. Endlich würde er mal kein Außenseiter sein. Endlich konnte er bei jemandem seine Fragen loswerden und lernen besser mit seinen Fähigkeiten umzugehen.

Ganz unwillkürlich wanderte sein Blick zu seinen Fingerspitzen. Seitdem er sich nach Alvins Angriff endlich wieder hatte zurückverwandeln können, waren seine Krallen verschwunden. Selbst in seiner Hybridgestalt konnte er sie beim bester Willen nicht mehr ausfahren, und Hicks verstand nicht wieso.

Im Kampf hatte er es ganz instinktiv gekonnt, aber jetzt bekam er es einfach nicht mehr hin.

Aber das würde er auf der Insel der Flüsterer bestimmt in Erfahrung bringen können – das und vielleicht noch so einiges mehr.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück