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Die Götter hassen mich

von

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Ehrgeiz

Hicks seufzte erleichtert. Es war alles gut gegangen, seine Freunde und die Drachen verstanden sich gut, keiner war an Panik verfallen und Hicks hatte es mit Ohnezahns Hilfe irgendwie geschafft die ganze Zeit seine Flügel unter Kontrolle zu halten.

Jedes mal, wenn sich einer der Drachen in die Lüfte erhoben hatte, war in Hicks die Sehnsucht nach dem Himmel größer geworden und er hatte sich aktiv gegen die Verwandlung wehren müssen. Aber jetzt waren alle anderen weg und nur noch Hicks und Ohnezahn standen in der Bucht.

Vorfreudig zog er seine Weste aus und ertrug das unangenehme Gefühl, als seine Knochen sich verschoben und seine Verwandlung sich mit dem üblichen dumpfen Schmerz vollzog. Sofort spürte Hicks den Widerstand, den seine Schwingen im Wind erzeugten. Er warf einen vielsagenden Blick zu Ohnezahn und ohne ein weiteres Wort stießen sie sich beide vom Boden ab und stiegen mit kräftigen Flügelschlägen in den abendlichen Himmel.

Hicks hatte schnell dazugelernt und beherrschte seine Flügel inzwischen recht passabel. In rasanten Spiralen umflogen er und Ohnezahn einander, glitten dicht an den Steilklippen des Krähenkliffs vorbei und manövrierten geschickt durch die hohen Felsen im Küstenbereich. Die frische Abendluft war angenehm kühl und wirkte nahezu berauschend.
 

Als Hicks nach einer Weile wieder in der Bucht landete, war all die Anspannung des Tages von ihm abgefallen und er faltete seine Flügel zufrieden ein Stück weit zusammen.

„Hicks? Bist du das?“ Erschrocken er zusammen und sah Astrid mit fassungslosem Blick im roten Licht der untergehenden Sonne am Eingang der Bucht stehen. „Was...“

„Astrid! Warum ist du denn wieder hier?“

„Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, weil du ewig nicht zurückgekommen bist. Was ist passiert? Wieso bist du... “ Geschlagen ließ Hicks sich auf den Boden sinken und schlug die Hände vors Gesicht.

„So solltest du mich eigentlich nicht sehen.“ Aufmunternd kniete sich Ohnezahn neben ihn und berührte leicht seine Schulter. „Das ist die Nebenwirkung, die Johann in seiner Geschichte erwähnt hatte. Ich wollte nicht, dass mich jemand so sieht und für einen Freak oder ein Monster hält, oder Angst vor mir bekommt.“ Zielsicher kam Astrid auf ihn zu und setzte sich demonstrativ vor ihn.

„Für wen hältst du mich denn? Wir Hoffersons haben vor nichts Angst, und schon gar nicht vor einem abgebrochenen Wikinger wie dir.“ Verwirrt sah Hicks wieder zu ihr hoch und in den blauen Augen spiegelte sich tatsächlich nicht der kleinste Anflug von Furcht.

Prüfend besah sich Astrid den verwandelten Hicks.

Auf den ersten Blick konnte man ihn wirklich mit einem Nachtschatten verwechseln, aber da sie einen echten Nachtschatten-Hybriden als Vergleichsmaterial zur Verfügung hatte, fielen ihr beim zweiten Blick sofort etliche Unterschiede auf.

Von Hicks' menschlichen Augen und falsch-farbigen Haaren mal abgesehen, fehlten Hicks auch die Klauen an den Fingerspitzen und die flachen Stacheln, die sich bei Ohnezahn die gesamte Elle entlangzogen.

Auf Hicks' Haut zeichneten sich, soweit Astrid das beurteilen konnte, nur an den Schläfen und am Nacken subtil schwarze Schuppen ab, während sie bei Ohnezahn fast das gesamte Gesicht umrahmten, sich großflächig über seinen Hals und Schultern erstreckten und sich sogar ein Stück weit entlang seiner Wangenknochen zogen.

Und das waren nur die Unterschiede, die Astrid in der schummerigen Abendsonne ausmachen konnte.

„Sag mal“, versuchte sie das Thema zu wechseln, damit Hicks sich etwas wohler fühlte. „Wie fühlt es sich an zu fliegen?“ Hicks Augen begannen zu leuchten und er setzte sich ganz unwillkürlich etwas gerader auf.

„Es ist das schönste und gleichzeitig beängstigenste Gefühl, das du dir vorstellen kannst.

Man gleitet einfach völlig frei durch den Himmel. Am Tag kann man seinen Schatten über die Wiesen wandern sehen und nachts glaubt man jeden Moment in ein Meer aus Sternen einzutauchen. Unter mir wird Berk immer kleiner, neben mir ziehen die Klippen und Felsen in halsbrecherischer Geschwindigkeit vorbei.

Die Fingerspitzen werden langsam taub von der Kälte, die Feuchtigkeit der Wolken sammelt sich in Haaren und Kleidung, der Wind peitscht einem gnadenlos ins Gesicht. Man ist dem Himmel völlig ausgeliefert und fühlt sich trotzdem als könnte nichts einen zurückhalten. Es ist, als wäre man... schwerelos und gleichzeitig in freiem Fall.

Es ist unvergleichlich.“

Während er sprach, war sein Blick ganz unwillkürlich in den Himmel abgeglitten und Astrid konnte deutlich erkennen, wie seine Flügelspitzen immer wieder leicht zuckten. Vielleicht hatte Hicks ja doch etwas mehr von einem Drachen als nur vage dessen Aussehen.
 

Für den folgenden Morgen hatte Haudrauf alle Bewohner Berks in die große Halle beordert, um die Entscheidungen des Rats bezüglich der neusten Entwicklungen zu verkünden.

Als Hicks durch die massiven Flügeltüren trat, herrschte in der Halle bereits reges Treiben. Noch immer warfen einige Wikinger mit Beschuldigungen und Theorien um sich, während andere um ihr Überleben und das Fortbestehen des Dorfes bangten.

Hicks gesellte sich zu Astrid und den anderen, die grade wild über ihre weitere Ausbildung spekulierten. Ihr Basis-Training als Rekruten war zwar abgeschlossen – auch wenn die Abschlussprüfung durch Hicks' und Astrids kleinen Eingriff ausfiel – aber sie waren noch immer unerfahren im offenen Feld. Und wenn Alvin wirklich zum Schlag gegen Berk ausholte, dann mussten sie unbedingt besser werden und durften ihr Training auf keinen Fall vernachlässigen.

Das allgemeine Gemurmel verstummte sofort, als Haudraufs durchdringende Stimme die lärmenden Wikinger zur Ruhe rief.

„Ich weiß, wir bewegen uns auf unsichere Zeiten zu und ihr alle wollt wissen, ob wir auf Berk noch immer sicher sind. Ich will euch nicht belügen, denn auch ich weiß nicht, wie es in Zukunft um unsere Insel sehen wird.“ Leise erhoben sich wieder besorgte Stimmen, die Haudrauf beim Weitersprechen mühelos übertönte.

„Wir haben einen Verräter unter uns, der noch immer unerkannt unsere Fallen sabotiert und wilde Drachen auf das Dorf loslässt. Alvin überfällt die umliegenden Inseln und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auch uns ins Visier nehmen wird.

Doch wenn dieser Tag kommt, werden wir vorbereitet sein und ihm einen Empfang bereiten, denn er sein Lebtag nicht mehr vergessen wird.

Mit dem heutigen Tag beginnen wir mit dem Bau von Verteidigungsanlagen rund um die Anlegestellen. Wir werden Spähboote auf seiner Route platzieren und sichere Wege für die Evakuation vorbereiten, sollte Alvin uns doch überrennen.

Wir sind nicht nur Wikinger – wir sind Wikinger von Berk. Die sturköpfigsten und unbeugsamsten Männer und Frauen, die je unter der Sonne segelten.“ Kampfesmutiger Jubel pflichtete Haudrauf bei und ließ alle Berkianer motiviert an die Arbeit gehen, um Berk auf das Schlimmste vorzubereiten.

Die Rekruten überlegten noch, wie sie sich am besten einbringen konnten, als Haudrauf zu ihrer kleinen Runde stieß.

„Wir sind kampfbereit“, verkündete Astrid mit ihrer Axt in der Hand und der Rest der Truppe stimmte ihr lautstark zu.

„Alvin wird sein blaues Wunder erleben, wenn er auf mich – den unvergleichlichen Rotzbakke trifft. Sag mir nur, wo er ist und ich werde -“

„Ihr werdet die Evakuierung leiten und überwachen, wenn es soweit ist“, unterbrach Haudrauf jäh den jugendlichen Enthusiasmus.

„Was?“ Astrids Gesichtszüge entgleisten. „Aber wir können kämpfen. Die Verbannten sind uns zahlenmäßig überlegen, du brauchst jede Axt, die du kriegen kannst.“

„Ich brauche euch vor allem als letzte Verteidigung, sollte Berk wirklich fallen.

Ihr werdet die Kinder, Alten und Kranken noch vor Ausbruch der Kämpfe in Sicherheit bringen und dafür sorgen, dass sie auch sicher bleiben.“

„Aber-“

„Habe ich mich klar ausgedrückt?“

„Ja, Haudrauf.“ „Ja, Vater.“ Unisono antworteten die 6 Teenager und das Oberhaupt nickte zufrieden.

„Euer Training wird unterbrochen bis die Gefahr vorüber ist. Grobian wird in der Schmiede gebraucht, also werdet ihr allein trainieren und euch in Form halten.

Hicks? Du wirst dich ihnen anschließen und dich erstmal von der Schmiede fernhalten. Ich will nicht, dass du Grobian ablenkst oder ihm noch mehr Arbeit machst, als er eh schon hat.“

Ehe Hicks etwas erwidern konnte, wandte Haudrauf sich bereits Kotzbakke zu, der sich freiwillig für die Bemannung und Organisation der Patrouillenboote meldete und die Details mit dem Oberhaupt klären wollte.
 

„Aaaaarg! Das ist nicht fair. Wir sind genauso gut, wie jeder andere im Dorf, und trotzdem sollen wir uns verstecken wie kleine Kinder. Wir sollten da draußen mit den anderen kämpfen!“ Aufgebracht machte Astrid ihrem Ärger Luft, während sie und die anderen zur Bucht liefen.

„Wir Jorgensons verstecken uns nicht! Das sollte Haudrauf eigentlich klar sein“, stimmte Rotzbakke lautstark mit ein und schlug mit der Hand einen Ast weg, der sofort zurückschnellte und ihn im Gesicht traf.

„Vielleicht hat Haudrauf ja Recht. Keiner von uns hat tatsächlich schon mal einen echten Kampf gekämpft. In der Arena hatten wir immer Grobian und -“, versuchte Fischbein die Gruppe etwas zu beschwichtigen, doch Raffnus fiel ihm wie üblich ins Wort.

„Haudrauf sollte uns auf Alvin loslassen“, fing sie an und ihr Bruder führte ihren Gedanken fort.

„Ganz richtig, Schwester. Keine Heimtücke hilft ihm gegen die geballte Zerstörungskraft von Thorston-“ „Und Thorston!“
 

Als die sechs endlich den Eingang der Bucht erreichten brummte Hicks bereits der Schädel. Der ganze Lärm half ihm nicht unbedingt dabei an einer Lösung zu arbeiten und wenn er ehrlich zu sich selbst war, glaubte er auch nicht daran tatsächlich eine zu finden.

Das unzufriedene Gezeter verstummte erst, als alle ihre Drachen begrüßten.

Geschlagen ließ Hicks seine Stirn gegen Ohnezahns Schulter sinken. Er war müde und hatte Kopfschmerzen. Grade als er begonnen hatte sich Hoffnungen zu machen, wurde auf Berk der Ausnahmezustand ausgerufen. Seine Pechsträhne schien wirklich nicht abzureißen.

Wie auf Stichwort hörte er hinter sich, wie Astrid wieder missmutig zu fluchen anfing. Und als wäre eine aufgebrachte Astrid nicht schon genug, ließ sich Sturmpfeil ganz unwillkürlich von ihr anstecken.

„Wisst ihr was?“, platzte die blonde Wikingerin schließlich heraus. „Dann tun wir eben genau das, was Haudrauf gesagt hat. Wir trainieren selbst!“ Fragend sahen sie alle an. „Wie schwer kann es sein gegen Alvins Männer zu bestehen, wenn man mit Drachen geübt hat?

Wer den Stacheln eines Nadders ausweichen kann, für den sollten doch auch ein paar Pfeile kein Problem darstellen.“

„Astrid, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, ergriff Hicks nun zum ersten mal das Wort.

„Wieso nicht? Du wolltest uns doch eh was über Drachen beibringen. Dann können wir das doch auch gleich üben.

Außerdem ist es besser, als nur untätig rum zu sitzen und darauf zu warten, dass Alvin angreift.“ Dagegen konnte Hicks nichts einwenden, auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass es durchaus einen Unterschied machte, ob man einen Drachen oder einen Menschen als Gegner hatte. Andererseits waren Geschwindigkeit, Kraft, Reflexe und Ausdauer in beiden Fällen wichtig, also wäre ihr Training durchaus sinnvoll. Seufzend gab Hicks sich geschlagen und willigte ein ihren Drachen diese Idee verständlich zu machen.

Für ihn war es wenig überraschend, dass Sturmpfeil sofort dazu bereit war. Für sie war es weniger Training, sondern eher ein Spiel, dass hatte Hicks schon damals in der Arena über sie gelernt. Und auch die anderen Drachen sahen es ganz ähnlich wie die junge Nadder.

Außerhalb der erdrückenden Mauern und gefährlichen Feindseligkeit der Arena störte sich keiner von ihnen an ein paar Jagdspielen unter Freunden.

Ein leichtes Schmunzeln ließ Hicks' Mundwinkel nach oben zucken. Zum Einen war stolz darauf, sich inzwischen so gut in die Gedankenwelt eines Drachen hineinversetzen zu und dadurch besser mit ihnen sprechen zu können, und zum Anderen amüsierte ihn immer wieder, wie unterschiedlich ein und dieselbe Sache erschien, je nachdem ob man sie aus der Perspektive eines Menschen oder eines Drachen betrachtete.

Für die Wikinger ging es um Training für den Ernstfall, während es für die Drachen ein Spiel mit ihren neuen Freunden war.
 

Schnell zeigte sich, dass die Rekruten trotz ihrer guten Leistungen unter Grobians Führung noch immer unerfahren waren. Die naturbelassene Bucht war ein ganz anderes Tara als die Arena – hier war der Boden uneben, es gab Bäume und Büsche, kein Dach schränkte die Flughöhe der Drachen ein und keine Fessel hielt Sturmpfeil mehr zurück.

Schmerzhaft wurde ihnen allen die Weisheit in Haudraufs Worten bewusst gemacht, aber der Stolz eines Teenagers verbot es ihnen, ihren Fehler einzugestehen. Außerdem hatte sich der Sinn ihres Trainings ja nicht geändert, also würden sie ihren Plan weiterverfolgen.

Hicks kannte Sturmpfeil inzwischen, aber genauso kannte sie ihn, was ihr Verhalten im Training mit ihm beeinflusste und Hicks seine gesamte Konzentration abverlangte, um nicht doch noch von ihr getroffen zu werden.

Astrid hatte sich währenddessen einer weitaus größeren Herausforderung gestellt. Ihr Stolz hatte bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Ohnezahn einen gewaltigen Knacks abbekommen und den wollte sie nun zumindest ein Stück weit bereinigen.

Sie war sich vorgekommen wie eine Anfängerin, als der Hybrid sie so einfach mit zwei simplen Bewegungen entwaffnet und bewegungsunfähig gemacht hatte. Der Nahkampf war ihre stärkste Disziplin und sie würde diese Niederlage nicht so stehen lassen.

Aufmerksam beobachteten ihre blauen Augen jede der geschmeidigen Bewegungen des Nachtschattens, der sie lauernd umkreiste und auf die richtige Gelegenheit für seinen Angriff wartete. Und im Bruchteil einer Sekunde ergriff er diese Gelegenheit und visierte Astrids Kniekehlen an.

Die sprang geistesgegenwärtig außer Reichweite, landete sicher auf beiden Füßen und nutzte den Schwung um sich in Richtung von Ohnezahns Flanke zu drehen. Sie würde kein zweites mal auf den gleichen Trick reinfallen, sondern ging nun selbst zu einem Angriff über, der jedoch jäh am Boden endete, als ein Schwarzer Flügel sie schwungvoll von den Füßen fegte.

Stumm ging Ohnezahn neben ihr in die Hocke und sah die geschlagene Wikingerin prüfend an, bevor er ihr seine Hand anbot um sie wieder auf die Füße zu ziehen.

Er hatte sich diese Geste von Hicks und den anderen Rekruten abgeschaut und allem Anschein nach hatte er sie korrekt kopiert, denn Astrid nahm sein Angebot ohne zu zögern an, klopfte sich den Staub von der Kleidung und ging erneut in Angriffsstellung, um ihr Training fortzusetzen.

Ohnezahn hatte großen Respekt vor ihrem Mut und ihren Fähigkeiten als Kriegerin, aber er hatte in seinem Leben schon so einige Kämpfe gegen Menschen und gegen Drachen bestritten, was die Narben auf seinem Körper zweifelsfrei bewiesen, und er wäre schon längst nicht mehr am Leben, wenn er sich so einfach besiegen lassen würde.

Als Nachtschatten wurde Ohnezahn von den meisten territorial-geprägten Drachen als Bedrohung angesehen und seine Zeit ohne Prothese hatte ihn gezwungen mehr auf seine Umgebung und seinen Körper zurückzugreifen um Konflikte zu lösen, anstatt sich nur auf seine Fähigkeiten im Flug zu verlassen.

Nachtschatten galten nicht umsonst als die gefährlichsten unter den Drachen und Astrid begann langsam zu verstehen, woher diese Annahme rührte.



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