Die Götter hassen mich von Lycc ================================================================================ Kapitel 7: Verräter ------------------- Als er am Abend wieder zuhause ankam, schürte Haudrauf bereits das Feuer und sah nachdenklich in die Flammen. Möglichst unbemerkt versuchte Hicks sich an im vorbei zu schleichen, doch das erfahrene Oberhaupt bemerkte ihn sofort. „Hicks, warte. Ich muss mit dir reden.“ „Ich auch, Vater.“ Hicks würde seinem Vater nicht alles, was er erlebt hatte, direkt auf die Nase binden, aber er wollte sich vortasten und sehen, wie offen Haudrauf einer Zusammenarbeit mit den Drachen gegenüberstand und ob es ratsam wäre, ihm von seiner neuen Gabe, mit Drachen kommunizieren zu können, zu erzählen. Doch aus Respekt ließ er seinem Vater den Vortritt. „Wir unternehmen noch eine Reise bevor das Eis einsetzt. Wir brauchen mehr Ressourcen für das, was eventuell auf uns zukommt. Morgen früh geht’s los. Und bis dahin hab ich eine Aufgabe für dich. Grobian hat seine neuen Drachenfallen überprüft und weißt du was er gefunden hat?“ „Einen Drachen?“, versuchte Hicks unschuldig zu klingen und ahnte schon worauf das Ganze hinauslief. „Das hier.“ Haudrauf hielt ihm ein Stück des fremdartigen Seils hin, das Hicks durchgetrennt hatte, als Ohnezahn sich vor zwei Wochen in die Falle geraten war. Die Schnittfläche war deutlich in den Fasern des Stricks zu erkennen. „Wir haben einen Verräter auf Berk. Irgendwer hat die Fallen sabotiert und uns dadurch alle in Gefahr gebracht. Ich will, dass du Grobian hilfst die Fallen zu reparieren und neu aufzustellen. Wir müssen gewappnet sein, wenn sich die Drachen so nah ans Dorf wagen. Und ich will, dass du Ausschau nach möglichen Saboteuren hältst. Wir können nicht an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen.“ Hicks spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug und er immer kurzatmiger wurde. „Aber Vater, das mit dem Seil-“ „Hicks, ich hab jetzt keine Zeit für deine Widerrede.“ In Hicks stieg Panik auf. Er wusste nicht, was schlimmer war – die Wahrheit oder die Geschichte, die sein Vater sich zusammengereimt hatte. Er wollte erneut widersprechen um ihm eine Lüge aufzutischen, die etwas harmloser als die aktuellen Optionen war, doch er spürte plötzlich, dass seine aufsteigende Panik noch von etwas anderem begleitet wurde. Hicks konnte fühlen, wie seine Schulterblätter unangenehm zu wandern begannen und seine Knochen langsam ihre Positionen änderten. „Ich weiß nicht, wem ich auf Berk noch trauen kann. Grobian und du sind die einzigen Ausnahmen, also muss ich mich auf dich verlassen können. Ist das klar?“ „Ja, Vater“, bestätigte Hicks eilig, um weg zu kommen, bevor die schwarzen Flügel aus seinem Rücken brachen. „Gut. Pass auf dich auf, mein Sohn. Und trainiere hart.“ Mit diesen Worten wandte Haudrauf sich wieder dem Feuer und seinen Gedanken zu, während Hicks so schnell seine Beine ihn trugen die Treppe in sein Zimmer erklomm. Kaum war er allein, hörte er seine Tunika erneut zerreißen und seine Flügel stießen schmerzhaft gegen einen der niedrigen Deckenbalken. Frustriert seufzte Hicks und ließ sich auf den Boden sinken. Er wechselte also die Gestalt, wenn er in Panik geriet. Klasse. Das machte die ganze Sache nicht unbedingt einfacher. Von dem Problem mit der „Sabotage“ mal ganz zu schweigen. Und in der ganzen Aufregung hatte er seinen Vater auch nicht fragen können, was er mit den 'zwei Fronten' gemeint hatte. Stand ihnen etwas wirklich ein Kampf bevor? Aber drüber würde Hicks sich später Sorgen machen. Jetzt musste er sich erstmal um sich selbst kümmern. Zu seiner freudigen Überraschung hatte es dieses mal nicht annähend so sehr wehgetan, wie beim ersten mal, aber das Gefühl war trotzdem befremdlich und extrem unangenehm. Einige male atmete er tief durch um seinen Herzschlag und seinen Geist zu beruhigen, dann stellte er sich, wie schon zuvor in der Bucht, seine Rückverwandlung bildlich vor. Doch da schwirrten einfach zu viele Gedanken in seinem Kopf herum. Er konnte sich beim besten Willen nicht konzentrieren und so saß er nun in der Gestalt eines Hybriden inmitten eines Dorfes voller drachentötender Wikinger, unter einem Dach mit dem Oberhaupt. Es half nichts. Er brauchte seinen Paratei. Er brauchte Ohnezahn. Vorsichtig lugte er aus seinem Dachfenster und konnte niemanden entdecken. Also faltete er seine Flügel eng den Körper und schlüpfte durch das Fenster nach draußen. Eigentlich machte er das öfter und war recht geschickt darin, aber in seiner ungewohnten Hybrid-Form war es mehr ein Stürzen als ein Springen und entsprechend fiel auch seine Landung aus. Verstohlen blickte er sich um, aber niemand schien ihn bemerkt zu haben, also rannte Hicks so schnell er konnte durch die Schatten des Dorfes und schaffte es tatsächlich ungesehen bis in den Wald. Aber nun hatte er ein ganz anderes Problem. Er musste irgendwie seinen Weg bis zur Bucht finden und es war bereits stockfinster. Unsicher stolperte Hicks in die Richtung, in der er sein Ziel vermutete. Immer wieder blieb er mit den Flügeln im Gestrüpp hängen, stieß gegen tiefhängende Äste oder stürzte über vereinzelte Steine. Es wurde zunehmend kälter und Hicks war sich inzwischen absolut sicher, dass er sich hoffnungslos verlaufen hatte. Müde, frustriert und übersät mit Kratzern und blauen Flecken ließ er sich auf den Boden sinken, zog die Beine eng an den Körper, stürzte den Kopf auf die Knie und begann zu weinen. Das war einfach alles zu viel. So viel Pech konnte ein einzelner Mensch doch gar nicht haben. Er wollte nur noch nach Hause und in sein Bett, oder noch besser zu Ohnezahn. Und als hätte Hicks ihn beschworen, blitzen ihn plötzlich aus der Dunkelheit zwei giftgrüne Augen entgegen. Hastig kam deren Besitzer näher und Hicks fiel seinem Paratei erleichtert um den Hals. Ohnezahn hatte jemanden lautstark in seiner Nähe durch das Unterholz brechen hören und hatte nur nachsehen wollen, wer für den Krach verantwortlich war. Nun hüllte er seinen aufgelösten Paratei in seine Flügel ein und schmiegte sich tröstend an ihn. Hicks war tatsächlich in die richtige Richtung gelaufen. Unterwegs hatte er vermutlich etliche Umwege genommen, aber er war nur wenige Schritte vom Eingang der Bucht zusammengebrochen. Behutsam führte Ohnezahn ihn in ihre Höhle und wärmte den durchgefrorenen Jungen unter seinen Flügeln auf. Hicks sank erschöpft in den Armen seines Paratei zusammen. Er hatte keine Ahnung, wie lange er durch den Wald geirrt war, oder wie viele Schrammen er sich dabei geholt hatte. Er wusste nur, dass er jetzt in Sicherheit war. Als Hicks die Augen wieder öffnete, war ein eine Weile verwirrt. Es war hell, dabei hatte er sich doch nur kurz ausruhen und beruhigen wollen, damit er seine Gestalt wechseln und unbemerkt in sein Zimmer zurück schleichen konnte. Doch allem Anschein nach war er eingeschlafen und nun stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Resigniert stieß er einen Seufzer aus. Sein Vater war bestimmt bereits aufgebrochen und er hatte sich nicht vernünftig von ihm verabschieden können. Das gab garantiert Ärger bei seiner Rückkehr, aber fürs erste schon er den Gedanken beiseite. Er hatte heute nicht nur die Verabschiedung seines Vaters auf dem Plan, sondern auch noch seinen Dienst in der Schmiede. Vorsichtig drehte Hicks sich zur Seite und sah Ohnezahn an. Der Hybrid lag dicht an ihn gekuschelt neben ihm, hatte die Arme um ihn geschlungen und seinen Flügel ein gutes Stück weit über ihn gelegt. Hicks spürte Ohnezahns Atem an seiner Wange und für einen kleinen Moment vergaß er die ganzen Katastrophen, die noch auf ihn warteten. Leider musste er dann doch irgendwann aufstehen und weckte Ohnezahn dabei zwangsläufig auf. „Tut mir leid, mein Freund. Aber ich muss wirklich los. Wenn ich nicht bald wieder im Dorf bin, kommen die mich noch suchen. Hilfst du mir?“ Hicks deutete auf seine Flügel. Dieses mal war es Ohnezahn, der die Hand nach seinem Paratei ausstreckte und ihm behutsam über die Wange strich. Hicks sah an sich herab und verstand, was sein Nachtschatten meinte. Er war von Kopf bis Fuß mit Schrammen und blauen Flecken von den Zweigen und Büschen bedeckt, die er im Dunkeln gestreift hatte. „Mach dir keine Sorgen. Das sind nur Kratzer. Nichts schlimmes.“ Mit Ohnezahns Hilfe schaffte Hicks es wieder in seine normale Gestalt zurück und im Sonnenlicht fand er auch seinen Heimweg ohne Probleme. Es brach ihm zwar das Herz, Ohnezahn schon wieder allein zurückzulassen, aber er hatte einfach keine andere Wahl. Auf dem Weg in die Schmiede hielt Hicks noch schnell an seinem Haus an und zog sich eine Fellweste über seine erneut zerrissene Tunika. Grobian würde ansonsten nur Fragen stellen, auf die Hicks keine Antwort wusste, wenn er ihn schon wieder mit einem unerklärlichen Loch am Rücken sah. „Schön das du auch mal kommst. In deiner Haut will ich nicht stecken, wenn Haudrauf zurückkommt. War stinksauer, dass du trotz seiner Standpauke einfach ausgerissen bist. Und was is n das? Hast dich schonmal warm angezogen für Haudraufs Rückkehr?“ „Mir ist eben kalt“, versuchte Hicks sich für die Weste zu rechtfertigen und erntete nur einen schiefen Blick und hochgezogene Augenbrauen von Grobian. „Kalt? Wir sind hier in ´ner Schmiede. Da gibt es Feuer. Das is meistens heiß, meen Jung.“ „Also, was gibt es zu tun?“, wechselte Hicks schnell das Thema und ließ sich von Grobian eine Axt in die Hand drücken. „Schaft stabilisieren, Klinge schärfen. Und danach kannst du mir mit den Drachenfallen helfen. Du bist doch gut mit so Pfriemelkram. Hast übrigens noch mehr als nur die Abreise deines Vaters verpasst. Kotzbacke ist felsenfest davon überzeugt, dass er gestern nach Sonnenuntergang einen Nachtschatten am Rand des Dorfs gesehen hat.“ Hicks' Herz setzte einen Schlag aus. Das konnte doch gar nicht sein. Ohnezahn war nicht in die Nähe des Dorfes gekommen. „Er schwört bei Odins Barte, dass er beobachten konnte, wie ein Hybrid mit schwarzen Flügeln im Wald verschwunden ist. Ich glaub ja, dass es nur ein anderer Hybrid war und Kotzbacke in der Dunkelheit die Farbe gar nicht erkennen konnte. Wahrscheinlich hat er -“ Doch Hicks hörte ihm schon gar nicht mehr zu. ER war der gesichtete Drache. Kotzbacke hatte Hicks gesehen und ihn für einen Nachtschatten gehalten. Aber wer konnte es ihm verübeln? Von Weitem sah Hicks in seiner Hybriden-Gestalt einem echten Nachtschatten tatsächlich zum Verwechseln ähnlich. „Jedenfalls sollten diese Schätzchen hier das Problem in den Griff kriegen, bevor der Chef wieder zurück ist“, holte Grobian Hicks wieder in die Realität zurück, während er auf die Drachenfallen deutete. Den ganzen Tag verbrachte Hicks in der Schmiede und wartete eigentlich nur darauf, dass Grobian endlich Schluss machte um noch vor Sonnenuntergang die Arena fürs Training vorzubereiten. Morgen war wieder Sturmpfeil dran und Grobian würde eine ganze Weile damit beschäftigt sein, die Hindernisse aufzubauen. Also überließ er Hicks bereits am Nachmittag sich selbst und machte sich auf den Weg. Eilig kramte Hicks seine alten Skizzen und die neuen Notizen vom ersten Testflug hervor und begann die nötigen Materialien zusammenzusammeln. Skeptisch begutachtete er das Metall, dass er beim Prototypen verwendet hatte. Es war zu schwer und zu weich. Er brauchte etwas besseres. Suchend glitt sein Blick durch die Schmiede und blieb schließlich an den Einzelteilen der Drachenfallen hängen, die Grobian von Johann erstanden hatte. Das Metall, aus dem sie gefertigt waren, war robuster und leichter. Hicks könnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn er Bauteile der Fallen einschmolz und für die Prothese verwendete. Er hätte besseres Metall zur Verfügung und könnte dabei auch noch die Fallen unbrauchbar machen, zumindest bis Grobian die fehlenden Teile ersetzen konnte. Sein Vater glaubte eh schon an einen Saboteur auf der Insel, also würde es auch nicht viel mehr Verdacht erregen, wenn ein paar Bauteile aus der Schmiede verschwanden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)