Die Götter hassen mich von Lycc ================================================================================ Kapitel 1: Perspektivwechsel ---------------------------- Hicks' Leben war eine Qual. Es war quasi eine endlose Aneinanderreihung von Katastrophen, und jedes mal, wenn er versuchte eine davon wieder gut zu machen, verursachte er 3 neue. Dabei hatte das Dorf auch ohne Hicks' Einmischung schon mehr als genug Probleme. Denn schon vor der Errichtung des Dorfes beherbergte die Insel Drachen in etlichen Größen, Farben, Arten und Ausprägungen. Einige von ihnen konnten frei zwischen einer menschenähnlichen Hybrid-Form und der Gestalt eines vollwertigen Drachens wechseln. Andere schienen in einer der beiden Formen festzustecken. Im Allgemeinen galten die vollwertigen Drachen, als die größere Bedrohung. Sie waren wahre Naturgewalten und in Körperkraft, Größe und Tödlichkeit nicht mit einem Menschen zu vergleichen. Die Hybride hingegen waren kleiner, schwächer und in den meisten Fällen weniger zerstörungswütig. Allerdings waren sie auch schneller und wendiger, was es nahezu unmöglich machte, sie zu fangen oder einzusperren. Ihre Körper waren menschlich, doch an vielen Stellen wurde ihre Haut von farbigen Schuppen abgelöst. Sie besaßen die für ihre jeweilige Rasse typischen Flügel, Klauen und Zähne, und auch ihren Schwanz behielten die Hybride. Optisch erschienen sie wie eine Mischung aus Mensch und Drache, doch ihr Verhalten war zweifelsfrei das eines Drachens. Denn eines hatten die beide Arten gemeinsam: Sie waren instinktgesteuerte Bestien, die einem Menschen in jeder Hinsicht physisch überlegen und entsprechend gefährlich waren. So hatte es Hicks beigebracht bekommen und so zeichnete es sich auch bei jedem Kampf ab, der zwischen Wikingern und Drachen stattfand. Dementsprechend war es alles andere als verwunderlich, dass das Töten von Drachen die größte Quelle für Ruhm und Anerkennung war. Hicks wollte beides, hatte jedoch weder das eine noch das andere. Bei seinem letzten Versuch sich hilfreich in einen Kampf einzubringen hatte er es geschafft einen der Hybride, der über ihrem Dorf flog, mit einer seiner selbstkonstruierten Erfindungen vom Himmel zu schießen. Doch wie Hicks es inzwischen gewohnt war, hatte es niemand gesehen und selbstverständlich glaubte ihm auch niemand. Seine Suche nach der Absturzstelle hatte sich zwar als erfolgreich erwiesen, aber der Drache war natürlich längst verschwunden gewesen. Missmutig drehte Hicks das Stück Seil zwischen den Fingern, dass er von der Absturzstelle mitgenommen hatte. Es klebte Blut daran. Das Blut eines Drachen. Hicks hatte es behalten und bewahrte es nun als Erinnerungsstück und Beweis dafür, dass auch er es schaffen konnte eine dieser geflügelten Bestien zu verwunden. Auf dem Boden war noch mehr Blut gewesen und Hicks überlegte, ob er den Drachen wohl schwer verletzt hatte, oder ob es für ihn nur ein Kratzer war. Drachen waren robust und widerstandsfähig – dass hatte Hicks auf die harte Tour beim Training in der Arena lernen müssen – also lebte er vermutlich noch. Doch das half Hicks jetzt auch nicht weiter. „Ich werd´s tun. Ich werde da raus gehen und einen Drachen jagen und ich komme nicht eher zurück ins Dorf bis ich einen erlegt habe“, postulierte er mit mehr Selbstvertrauen als er eigentlich besaß und legte das blutige Seil bei Seite. Beherzt griff er sich seine Tasche, die er bereits für die Reise gepackt hatte, und machte sich auf den Weg. Es war so früh am Morgen, dass Hicks ohne Probleme ungesehen aus dem Dorf schleichen konnte. Niemand wusste von seinem Plan und es war auch besser wenn niemand davon erfuhr. Er hatte seine Rolle als 'lausigster Wikinger, den Berk je gesehen hat' – wie sein Vater es nicht zu selten ausdrückte – mehr als satt. Also wollte er entweder siegreich oder gar nicht zurückkommen. Aber wie schon so oft, machten die Götter Hicks auch hierbei einen Strich durch die Rechnung. Er hatte sich auf den beschwerlichen Weg auf einen der Berge in der Nähe des Dorfes gemacht, in der Hoffnung in einer der vielen Höhlen auf einen Drachen zu treffen, dem er sich stellen konnte. Doch kaum war er weit genug gegangen, um nicht mehr umkehren zu können, schlug plötzlich das Wetter um. In besorgniserregender Geschwindigkeit braute sich am Himmel ein Unwetter zusammen. Der Wind wurde zunehmend kräftiger und dunkle Wolken türmten drohend sich über Hicks auf. Umkehren war keine Option. Selbst wenn er den ganzen Weg bergab rannte, würde er es vor Sonnenuntergang nicht mehr ins Dorf zurück schaffen. Er würde sich nachts im Wald verlaufen und bei dem aktuellen Wetter könnte er auch nicht im Freien campieren. Angestrengt kniff er die Augen gegen den peitschenden Wind zusammen, der bereits kalte Regentropfen mit sich trug. 'Ich muss eine Höhle finden, in der ich den Sturm abwarten kann. Das ist meine einzige Chance.' Innerlich verfluchte er sich für seine Leichtsinnigkeit, während er sich dicht an die felsige Klippe presste um auf dem schmalen Pfad nicht den Halt zu verlieren. Als Hicks endlich den Eingang zu einer rettenden Höhle erreichte, war er vom Scheitel bis zu den Schuhsolen völlig durchnässt. Geschlagen und abgekämpft ließ er sich auf den kalten Steinboden fallen und sah raus in den weiter anschwellenden Sturm. Hier würde er wohl so schnell nicht mehr wegkommen. Wenn er Pech hatte, löste der Regen einen Erdrutsch aus und blockierte ihm den Rückweg, aber darüber würde er sich den Kopf zerbrechen wenn es soweit war. Fürs erste saß er hier fest. Resigniert begann er damit seine triefende Kleidung auszuwringen, als er plötzlich hörte, wie hinter ihm etwas über den Höhlenboden schrammte. Das Geräusch war leise, aber es hallte in dem steinernen Gewölbe wider und war dadurch trotz des prasselnden Regens deutlich zu hören. Erschrocken fuhr er herum und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die undurchdringliche Finsternis der Höhle. Unvermittelt durchzuckte ein Blitz den Himmel und tauschte die Höhle für den Bruchteil einer Sekunde in gleißendes Licht. Die Götter mussten ihn wirklich hassen. Natürlich war Hicks nicht nur in eine Höhle gestolpert, in der bereits ein Drache Schutz vor dem Unwetter suchte, nein es musste sich dabei auch noch um einen verdammten Nachtschatten handeln. Diese Drachen waren zwar selten aber auch ausgesprochen schnell und clever, was sie zu mehr als gefährlichen Gegnern machte. Nur Wenige hatten je einen von ihnen zu Gesicht bekommen und lang genug überlebt um davon zu berichten. Erkennen konnte Hicks ihn trotzdem in nur einem Wimpernschlag, denn Nachtschatten waren die einzigen schwarzen Drachen in der gesamten bekannten Welt. Dunkelheit legte sich wieder wie ein Schleier über die Höhle und verschlang die Silhouette des Hybriden. Nur seine stechend grünen Augen konnte Hicks noch erahnen, während er sich mit angehaltenem Atem dicht an die Wand presste. Doch nichts passierte. Der unausweichliche Tod ließ auf sich warten. Mehrere Minuten starrten sich beide Parteien nur regungslos an, bis Hicks schließlich an der Wand hinabrutschte und sich auf den Boden setzte. Seine Beine waren von dem langen Aufstiege müde, er war völlig durchnässt und durchgefroren und er konnte beim besten Willen nicht noch länger stehen. Sein Körper war einfach am Ende. Plötzlich erregte eine weitere Silhouette ihrer beider Aufmerksamkeit. Sie flog durch den Sturm und steuerte mit hoher Geschwindigkeit die Höhle an. Ein Flüsternder Tod wie Hicks aus dem markanten Flugstil schließen konnte. Doch noch ehe er wegen dieses Umstands in Panik verfallen konnte, bemerkte er eine schnelle Bewegung in seinem Augenwinkel. Jetzt war es soweit. Jetzt würde er sterben. Der Nachtschatten-Hybrid sprang ihn unvermittelt an, riss ihn zu Boden und drücke ihn gewaltsam runter. Hicks wollte schreien und versuchte intuitiv sich gegen seinen übermächtigen Gegner zur Wehr zu setzen, doch der Hybrid drückte ihm seine Hand auf den Mund und nahm ihm durch sein Körpergewicht jede Bewegungsfreiheit. Bestimmend zog der Drache ihn in die Schatten der Höhle und verbarg sie beide eilig unter seinen schwarzen Flügeln. Im nächsten Moment landete der Flüsternde Tod nur wenige Schritte von ihnen entfernt in der Höhle. In aller Ruhe schüttelte er den Regen ab und schien die beiden Eindringlinge gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Erst jetzt verstand Hicks, was hier vor sich ging und hörte auf sich zu wehren. Flüsternde Tode verbrachten den Großteil ihres Lebens unter der Erde. Sie waren fast blind und verließen sich daher zur Orientierung hauptsächlich auf ihr Gehör und ihren Geruchssinn. Beides war durch den starken Wolkenbruch getrübt und verborgen unter den schwarzen Schwingen des Nachtschattens, waren sie im Dunkeln so gut wie unsichtbar. Wenn keiner von ihnen einen Laut von sich gab, würde der Flüsternde Tod sie nicht bemerken. Also blieb Hicks totenstill, während er zwischen dem kalten Stein und dem warmem Körper des Hybriden eingeklemmt wurde. Nur eine Sache verstand er hierbei noch nicht: Warum half ihm der Drache? Er hätte sich genauso gut allein verstecken und Hicks dem Flüsternden Tod überlassen können. Stattdessen beschütze er ihn. Oder hatte er nur gefürchtet, Hicks könnte die Aufmerksamkeit des Flüsternden Tods auch auf den Hybriden lenken? Der besagte Drache verzog sich nun endlich tiefer in die Höhle und war bald außer Hörweite. Sofort richtete sich der schwarze Hybrid auf und stellte eilig den alten Abstand zwischen ihnen wieder her. Erneut konnte Hicks nur noch die grünen Augen erkennen, die ihn neugierig aus der Dunkelheit heraus musterten. Sie hatten beide nicht vor diese Höhle während des Sturms zu verlassen. Der Drache hatte eine weitaus größere Spannweite als der Flüsternde Tod, was ihm das Fliegen bei derartigen Windböen unmöglich machte, und Hicks würde von den Wassermassen, die die Klippen hinab und über die Wege flossen, einfach mitgerissen werden. Allerdings hatten auch beide nicht vor dem anderen etwas anzutun. Hicks hatte dieses Vorhaben aufgegeben und der Nachtschatten hatte ihm eindrucksvoll bewiesen, dass er keinen Kampf suchte. Also richteten sich beide Parteien auf ihrer jeweiligen Seite der Höhle darauf ein dort die Nacht zu verbringen. Für Hicks gestaltete sich das allerdings schwierig. Seine Kleidung, sein Gepäck und er selbst waren noch immer vollkommen durchnässt und es wurde zunehmend kälter in der Höhle. Natürlich hätte er sich tiefer in die Höhle zurückziehen können, um dem Wind, der sich im Eingang verfing, zu entgehen, doch er würde keinen Schritt tiefer in Richtung des Flüsternden Tods setzten. Also zog er die Beine eng an den Körper und rollte sich zusammen. Aber es half alles nichts. Er fror bitterlich, konnte seine Finger nicht mehr spüren und seine Zähne klapperten so laut, dass er fürchtete einen der beiden Drachen damit zu wecken. Und diese Sorge schien nicht unberechtigt zu sein. Im Licht eines weiteren Blitzes beobachte er, wie der Hybrid sich in einer geschmeidigen Bewegung vom Boden erhob und auf ihn zukam. Angst und Erschöpfung lähmten Hicks' Körper und in seiner Hilflosigkeit konnte er nichts anderes tun als die Augen zuzukneifen und auf einen schmerzlosen Tod hoffen. Doch erneut bewies der Drache, dass nicht alles, was Hicks gelernt und sich so gewissenhaft eingeprägt hatte, der Wahrheit entsprach. Zumindest dieses spezielle Exemplar schien kein blutrünstiges Monster zu sein. Ganz im Gegenteil – er hatte in der kurzen Zeit, die Hicks ihn nun beobachten konnte, mehr Verstand und Gemeinschaftssinn bewiesen als viele Wikinger aus seinem Dorf. Hicks spürte, wie der nasse Wind nachließ und etwas neben ihm Wärme ausstrahlte. Als er die Augen öffnete, waren die grünen Reptilienaugen des Hybriden nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt und beobachteten ihn neugierig. Reflexartig hielt Hicks erneut den Atem an. Diese Augen – irgendetwas an ihnen kam Hicks seltsam vertraut vor, fast als würde er in einen Spiegel blicken. Der Drache hatte sich zu ihm gelegt und schütze ihn mit einem seiner robusten Flügel vor der Kälte. Von so einem Verhalten hatte Hicks noch nie gehört, aber in diesem Moment war es ihm auch vollkommen gleich. Zaghaft rückte er ein Stückchen näher an die Wärmequelle neben sich heran und nur wenig später übermannte ihn schließlich die Erschöpfung und er sank in einen traumlosen Schlaf. Sonnenlicht kitzelte Hicks' Nase und holte ihn aus dem Schlaf. Orientierungslos blickte er sich in der leeren Höhle um und streckte seine Glieder. Er war ganz allein. Der Drache war verschwunden, oder hatte er das alles nur geträumt? Noch etwas neben der Spur schüttelte er seine Schläfrigkeit ab und sammelte sein Gepäck zusammen. Seine Tasche musste aufgegangen und umgekippt sein, denn ein Teil des Inhalts lag verstreut davor. „Seltsam“, murmelte Hicks vor sich hin, während er alles wieder ordentlich zusammenpackte. Sein Messer und das kleine Handbeil, das er aus der Arena mitgenommen hatte, fehlten und waren nirgends zu sehen. Darüber würde er sich später Gedanken machen. Erstmal musste er einen sicheren Weg zurück ins Dorf finden. Er hatte sich zwar geschworen nicht ohne den Kopf eines Drachens zurückzukehren, doch die Geschehnisse des letzten Abends hatten ihm klargemacht, dass er doch mehr an seinem kläglichen Leben hing, als ihm bewusst gewesen war. Mit einem resignierten Seufzer schulterte er seine Tasche und machte sich auf den Heimweg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)