Amigo del alma von Vampyrsoul (Boston Boys 5) ================================================================================ Kapitel 36: ICE --------------- Leider bestand Alfonso darauf, von seiner Mutter ins Bett gebracht zu werden, daher blieben irgendwann nur noch Lázaro und ich übrig. Amüsiert hörte ich seinen Arbeitsgeschichten zu. Als Tierarzt erlebte er immer wieder die unmöglichsten Situationen mit Tieren und Haltern. Gerade erzählte er von einem Kälbchen, als mein Handy klingelte. Ich zögerte, zog es dann jedoch hervor, um wenigstens nachzusehen, wer es war. Annehmen wollte ich den Anruf jedoch nicht. Der Bildschirm zeigte die Großaufnahme einer Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger. Mat? Was zur Hölle wollte er? Er wusste doch, dass ich bei meiner Familie war. »Tut mir leid, ich muss da rangehen«, entschuldigte ich mich und stand bereits auf. Noch während ich den Raum verließ, nahm ich das Telefonat an. Er war nicht der Typ, der einfach nur aus Sehnsucht anrief. Es musste etwas passiert sein! »Was ist los?« »Guten Abend, Massachusetts General Hospital, Doktor Phillips hier. Spreche ich mit Eloy Meléndez?« Mein Herz setzte für einen Moment aus, nur um mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Schnell bestätigte ich seine Frage. »Sie sind als Mister Mathew Watkins’ ›ICE‹-Kontakt eingetragen. Haben Sie einen Moment Zeit, mir einige Fragen zu beantworten?« »Ja, natürlich. Einen Augenblick bitte.« Mat hatte mich als seinen Notfallkontakt ins Handy eingetragen? Wann und warum hatte er mir nichts davon gesagt? Ich riss mich zusammen und hastete die Treppen nach oben. Im Gästezimmer schlug ich die Tür hinter mir zu. Nachdem ich einmal tief durchgeatmet hatte, fragte ich: »Wie kann ich Ihnen helfen?« »Sind bei Mister Watkins Vorerkrankungen bekannt? Wenn ja, können Sie Angaben zur Medikation machen?«, fragte mich der Arzt. Ich nannte ihm die Medikamente, die Mat nahm und zu welchen Zeiten. Im Laufe der Monate hatte ich mir das unweigerlich gemerkt, zumal mich Mat einmal zu seinem Schwerpunktarzt mitgeschleppt hatte, um zu besprechen, ob man die Dosis nicht erhöhen oder eine andere Therapie versuchen könnte. Viel hatte ich dabei nicht verstanden, dafür reichte meine Kenntnis nicht aus. Erst später hatte er mir erklärt, dass die meisten HIV-Positiven so eingestellt waren, dass eine Ansteckung unmöglich war. Leider gab es bei ihm verschiedene Komplikationen, die die Einnahme bestimmter Medikamente verhinderten, sodass es bei ihm nicht gelang. Mehrmals hatte ich ihm versichern müssen, dass es für mich in Ordnung war, dass es für ihn keine Therapie gab, die das für uns möglich machte und die er vertrug, bis er es mir geglaubt hatte. Mir war es nicht egal, dass er krank war, aber ich wollte nicht, dass er sich wegen mir schlecht damit fühlte. Ich hatte ihn so kennengelernt und es akzeptiert. Er musste sich für mich nichts zumuten, was über seine Grenzen ging. Dann passten wir eben weiterhin auf, das war okay. »Darf ich fragen, was passiert ist?«, fragte ich, nachdem ich dem Arzt alles gesagt hatte, was ich über Mats Krankenakte wusste und er keine Rückfragen mehr hatte. »Mister Watkins wurde mit akuter Atemnot eingeliefert. Die Untersuchungen zur Ursache laufen noch. Mehr kann und darf ich ihnen nicht sagen.« »Danke. Einen schönen Abend noch«, verabschiedete ich mich. Ob er sich ebenfalls verabschiedete, hörte ich nicht mehr, denn sobald ich aufgelegt hatte, entglitt das Telefon meinen zitternden Fingern. Mat war im Krankenhaus! Wegen akuter Atemnot. Das ... Ich legte die Hände vor Mund und Nase und atmete in den Hohlraum. Ich musste zu ihm! Eilig zog ich meine Tasche unter dem Schreibtisch hervor und warf die wenigen Dinge hinein, die ich bisher ausgepackt hatte. Laptop! Wo war mein Laptop? Ich entdeckte ihn auf dem Tisch und warf ihn oben auf. Jetzt hatte ich alles, oder? Es klopfte an der Tür und kurz darauf trat Noemí ein. Sie warf einen kurzen Blick auf mich, dann auf die Tasche. »Eloy? Ist alles in Ordnung? Lázaro hat gesagt, du hättest einen Anruf bekommen und wärst dann hier hochgestürmt.« »Mein Kumpel ... er ... Das Krankenhaus hat angerufen, er wurde mit Atemnot eingeliefert. Scheinbar kann er nicht einmal selbst Auskunft geben«, stotterte ich herunter. Erneut schlug ich die Hände vors Gesicht. Noemí kam zu mir und strich über meinen Oberarm. »Kann ich euer Auto haben? Ihr könnt es morgen mit Lázaro vom Flughafen holen.« »Eloy, setz dich hin und beruhig dich erstmal.« Vorsichtig dirigierte sie mich auf das Bett. »So kannst du nicht fahren.« »Aber ich muss zum Flughafen!«, insistierte ich und sprang auf. Sanft drückte sie mich zurück. »Du bekommst jetzt keinen Flug mehr. Wir fahren dich morgen früh. Aber bitte beruhig dich erstmal. Dein Kumpel hat nichts davon, wenn du in die nächste Leitplanke fährst.« Scheiße! Sie hatte recht. Aber ich musste doch zu ihm! Noemí legte den Arm um mich und zog mich leicht an sich. »Es wird alles gut. Hast du deinen Laptop mit? Lass uns einen Flug raussuchen und gleich buchen.« Ja, das war eine gute Idee. So langsam setzte auch bei mir das rationale Denken wieder ein. Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange, murmelte ein »Danke« und holte den Laptop wieder aus der Tasche. Gemeinsam fanden wir einen Flug in den frühen Morgenstunden. Sie versprach, das mit Jonathan abzuklären und mich dann persönlich zu fahren. Mir traute sie es in meinem Zustand nicht zu. Vermutlich war das die richtige Entscheidung. »Ich geh dann gleich ins Bett«, verabschiedete sie sich. »Du solltest dasselbe tun. Und verabschiede dich schon mal von Lázaro. Morgen werden wir das sicher nicht mehr schaffen.« Ich nickte und tat wie mir geheißen. Zum Glück fragte er nicht weiter nach, sondern verabschiedete sich nur herzlich. Ich versprach, ihn anzurufen, sobald alles geklärt war. Bis dahin hatte ich sicher auch eine gute Ausrede gefunden, die rechtfertigte, am 70. Geburtstag meines Vaters im Morgengrauen ohne Verabschiedung zu verschwinden.   »Eloy? Darf ich dich etwas fragen?« Ich schreckte aus dem Halbschlaf auf und nickte. Natürlich hatte ich in der kurzen Nacht kein Auge zugetan, weshalb ich immer wieder während der Fahrt wegschlief. »Ich weiß nicht, ob ich dich das wirklich fragen sollte ... Sei mir also bitte nicht böse, wenn es nicht so ist ... Ist dieser Mann wirklich nur dein Kumpel?« »Wie kommst du darauf?« Ich war zu müde, um ihr vehement zu widersprechen. Dennoch wollte ich wissen, was sie darauf gebracht hatte. Ich musste sichergehen, dass sonst niemand diesen Rückschluss zog. Sie sah kurz zu mir und lächelte, dann konzentrierte sie sich wieder auf die Straße. »Eloy, du vergisst wohl, dass du mein großer Bruder bist. Und ich deine kleine, nervige Schwester, die dir überallhin gefolgt ist.« Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es wurde direkt von einem Gähnen abgelöst. Nicht nur die Sorge war schuld an meiner Schlaflosigkeit. Mir hatte auch das leise, rasselnde Pfeifen gefehlt, dass Mat im Schlaf von sich gab. Und das hatte natürlich direkt zu Selbstvorwürfen geführt. Ich hätte ihn viel früher drängen müssen, zum Arzt zu gehen. »Das beantwortet meine Frage nicht.« »Ich hatte schon lange den Verdacht, dass du und Pablo nicht nur Freunde wart. Und«, sie kaute nervös an ihrer Lippe herum, »ich hab mit Esther gesprochen. Bitte, sei ihr nicht böse! Sie hat sich schreckliche Vorwürfe gemacht und musste mit jemandem reden. Ich bin sicher, sie hat es sonst niemandem erzählt.« Ich seufzte erschlagen und lehnte die Stirn gegen die Scheibe. Gerade meine Familie hatte es doch nicht erfahren sollen. Doch nun ließ es sich zumindest bei Noemí nicht mehr ändern. »Bitte sag es niemandem.« Sie legte kurz die Hand auf mein Knie. »Keine Sorge, das wirst du schon selbst machen müssen. Seit wann weißt du eigentlich, dass du auf Männer stehst?« Ich zuckte mit den Schultern. So genau konnte ich das auch nicht sagen. »Spätestens seit der Army. Vorher dachte ich, das mit Pablo wäre ein Einzelfall und es würde vorbeigehen.« Eine Weile starrte Noemí schweigend auf die Straße und ich hoffe schon fast, dass die Fragen ein Ende hatten. Doch dann ging es weiter: »Warum hast du Esther dann überhaupt geheiratet? Oder bist du bi?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Ich habe zumindest noch keine Frau getroffen, an der ich das gleiche Interesse hatte wie an Männern.« »Und warum dann Esther?« Ich zuckte erneut mit den Schultern. Konnte sie sich das nicht selbst beantworten? »Ich wollte normal sein. Ich konnte sie gut leiden und sie wollte unbedingt heiraten. Hätte ich ihr das ausschlagen sollen? Ich hab gehofft, dass ich irgendwann lerne, sie zu lieben.« »Ja, hättest du. Oder es ihr zumindest sagen, als du gemerkt hast, dass du sie nicht lieben kannst.« Das brachte mich zum Schmunzeln. »Ich hab es bis zum Schluss versucht.« Mit schreckgeweiteten Augen sah sie mich an. »Du würdest das also wieder machen?« »Nein. Ich musste mittlerweile einsehen, dass das, was ich mit Maria hatte, nicht im Geringsten etwas mit Liebe zu tun hatte. Maximal sehr starke freundschaftliche Gefühle.« Langsam nickte sie. »Und dieser Mann? Ist er dein Freund?« »Ich weiß es nicht.« Ich lehnte den Kopf nach hinten gegen die Nackenstütze und seufzte. »Aber ihr liebt euch?« »Ich hab mich verliebt, ja. Aber er nicht.« »Oh, Eloy. Warum tust du dir das an?« Besorgt sah sie zu mir. »Weil es kompliziert ist. Er fühlt dennoch etwas für mich.« Ich hatte es dabei belassen wollen, doch ihr nächster Satz stand ihr regelrecht auf der Stirn geschrieben. »Nein, das ist keine verliebte Einbildung. Er hat es selbst gesagt. Und Mat ist niemand, der lügt.« Die Sorgenfalte stand noch immer auf ihrer Stirn. Die konnte ich ihr wohl nicht nehmen. Ich hatte auch meine Zeit gebraucht, bis ich es verstanden hatte. Und sie kannte ihn nicht. Sie konnte nicht wissen, dass er zu der Sorte Mensch gehörte, der mir knallhart ins Gesicht gesagt hätte, dass er kein Interesse an mir hatte. »Du bist also glücklich mit ihm?« »Meistens. Wenn er mir nicht gerade wieder auf die Nerven geht«, antwortete ich schmunzelnd. »Na, das kannst du gebrauchen.« Auch sie grinste leicht. »Dann ist gut. Ich hoffe, das bleibt so und er wird bald wieder gesund. Wirst du ihn uns irgendwann vorstellen? Ich meine, es wäre schön, zu wissen, wer er ist, wenn dich wer im Dienst abknallt.« Ich zwickte sie leicht in die Seite. »Vielleicht irgendwann. Und nur, wenn er es will.« »Schade. Du scheinst doch seine Familie auch zu kennen.« »Nicht absichtlich. Ich glaube nicht, dass er sie mir freiwillig vorgestellt hätte. Aber ich werde ihn fragen.« »Tu das. Ansonsten mach ich es, wenn ihr nochmal Hilfe mit den Kindern braucht.« »Okay.« Ich konnte mir sogar vorstellen, dass er wirklich darauf einging, wenn er merkte, dass meine Familie es ernst meinte. Manchmal war er schwer einzuschätzen. Insgeheim hoffte ich dennoch, dass es nicht so weit kam. Der Gedanke, meine Familie könnte davon erfahren, war noch immer unangenehm. »Aber bitte sag vorerst Mutter und Vater nichts davon.« »Keine Sorge, ich behalte dein Geheimnis für mich. Dennoch bin ich mir sicher, dass auch sie sich freuen, wenn sie es erfahren. Es wird nur eine Weile dauern, bis sie sich an den Gedanken gewöhnt haben.« Nicht im Geringsten überzeugt nickte ich. Vater konnte nicht akzeptieren, dass ich in Boston glücklich war. Wie sollte er tolerieren, dass dieses Glück mit einem Mann zusammenhing? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)