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Amigo del alma

Boston Boys 5
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
CN:
Krieg
Missbrauch Schutzbefohlener
Tod von Kindern Komplett anzeigen

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Secretos

Mat kuschelte sich an mich, doch ich rutschte weg. Ich wollte gerade nicht kuscheln. Ich war müde und wollte schlafen. Da er jedoch ein wenig murrte, legte ich ihm als Kompromiss meine Hand auf den Bauch. Mehr Körperkontakt war mir fürs Schlafen zu warm.

»Bist du wütend auf mich?«, fragte er leise.

Ich stöhnte genervt. »Nein. Ich bin einfach nur müde.«

»Okay, dann ist ja gut«, murmelte er und wollte mir den Rücken zudrehen.

Doch ich hielt ihn fest und zog ihn an mich, bis ich den Arm um ihn legen konnte. Jetzt hatte ich sowieso keine Ruhe mehr. »Mat, was ist los?«

Er rutschte noch ein wenig näher an mich heran und legte seine Stirn gegen meine Brust. »Roger meinte, du könntest ein paar meiner Sprüche in den falschen Hals bekommen haben.«

Wow, das hätte ich gerade ihm ja nicht zugetraut. Immerhin hatte er nicht einmal bemerkt, dass er seinem Mann Angst machte. Er war irgendwann sogar so weit gegangen, diesem Chico in einem unbeobachteten Moment einfach auf den Schoß zu setzen. Erst als ich mich mal alleine mit dem Blonden unterhalten hatte, traute er sich, dem Hund kurz über den Kopf zu streicheln. Bis dahin hatte ihm niemand gesagt, dass Chico fast täglich bei Mat war, sodass er schon lange hätte bemerken müssen, wenn er wirklich allergisch auf ihn reagierte. Damit klärte sich aber für mich auch, warum er solche höllische Angst hatte. Wenn ich befürchten müsste, dass mich der Kontakt zu einem Hund umbrachte, hätte ich mich sicher nicht anders verhalten.

Merkwürdig also, dass ausgerechnet sein aufgedrehter Freund bemerkt hatte, dass es mich teilweise sehr störte, dass er und Mat sehr offensiv miteinander schäkerten und keinen Hehl daraus machten, was zwischen ihnen gewesen war.

»Es fällt mir nicht so leicht, zu akzeptieren, dass er mit dir geschlafen hat und ihr so locker darüber redet. Da werde ich ein wenig eifersüchtig.«

»Möchtest du, dass ich den Kontakt zu ihnen abbreche?«

Verwirrt versuchte ich, seinen Blick im Halbdunkel zu erkennen. War das eine ernstgemeinte Frage? Es war doch mehr als deutlich geworden, wie wichtig ihm diese beiden Männer waren. Er war ihnen gegenüber so viel offener gewesen, als bei jeder anderen Person, mit der ich ihn bisher erlebt hatte. »Nein! Es ist zwar irgendwie komisch, aber sie sind deine Freunde. Ich werd mich wohl an den Gedanken gewöhnen müssen.«

»Das ist gut. Sonst hätte ich dich nämlich bitten müssen, zu gehen«, erwiderte er vollkommen ernst. »Ich werde für dich keinen Kontakt zu meinen Freunden abbrechen.«

»Nein, keine Sorge, das werde ich nicht von dir verlangen. Ich bin zwar ›ein heißblütiger Latino‹ und durchaus etwas eifersüchtig, aber Kontrollzwang liegt mir nicht.« Ich massierte sanft seinen Nacken.

Er drückte den Kopf dichter gegen meine Brust und nickte. Seine Hand legte er vorsichtig auf meine Narbe und streichelte darüber.

Ich hatte gehofft, dass damit alles geklärt war, doch noch immer hing die Atmosphäre des Unausgesprochenen in der Luft. »Hast du sonst noch etwas, worüber du reden möchtest?«

»Viel zu viel«, murmelte er und drückte sich noch ein Stück dichter an mich.

Ich seufzte. Musste das gerade jetzt sein? Ich musste morgen früh wieder raus.

Ich wollte ihm gerade vorschlagen, das am nächsten Tag zu diskutieren, als ich eine feuchte Spur spürte, die der Schwerkraft von der Narbe aus folgte. Also schluckte ich es herunter und fragte stattdessen: »Was liegt dir auf dem Herzen?«

»Roger meinte, ich würde dich verlieren, wenn ich dich weiter so behandel.«

Ein leises Knurren entrang sich meiner Kehle. »So ein Unsinn! Das hat er doch nicht zu entscheiden!«

»Es ist dir also egal, dass ich dir nichts über mich verrate?« Er hob leicht den Kopf.

Das war eine schwere Frage. Ich nahm mir etwas Zeit, darüber nachzudenken. »Ich glaub, bei einigen Sachen bin ich ganz froh, wenn ich sie nicht genauer weiß. Aber im Grunde hätte ich nichts dagegen, wenn ich etwas mehr über dich wüsste. Ich werde dich aber auch nicht dazu zwingen, mir etwas zu erzählen.«

»Und wenn dir das, was ich erzählen würde, nicht gefällt?«

Ich seufzte erneut und schob ihn an den Schultern etwas weg. »Mat, ich kenn dich gut genug, um zu wissen, dass du sicher nicht viel Gutes zu erzählen hast. Meinst du, ich wäre hier, wenn es mich stören würde?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, Toby und Roger würden sich von mir abwenden, wenn sie alles wüssten. Und Peter auch.«

Der letzte Teil ließ mich doch zögern. Bisher hatte ich aus seinen Erzählungen immer angenommen, dass sein Bruder ihn bei allem begleitet hatte.

Mat schien mein Zögern zu bemerken und drehte mir den Rücken zu.

Vorsichtig legte ich den Arm um ihn und rutschte heran. »Du könntest es versuchen. Erzähl mir das Schlimmste, von dem du glaubst, dass dich dafür alle verlassen würden. Und ich erzähle dir das Schlimmste, was ich erlebt habe.«

Er drehte sich wieder zu mir. »Und inwiefern garantiert mir das, dass du nicht einfach wegrennst?«

»Ich verspreche es. Ich werde hierbleiben. Danach entscheiden wir, ob wir mehr wissen wollen.«

Er seufzte tief und nickte dann. »Du musst mir versprechen, dass Peter das niemals – unter keinen Umständen! – erfährt. Egal, was passiert: Er – und jeder andere – darf das niemals erfahren.«

»Ist gut.« Ich hatte keine Ahnung, warum ich es seinem Bruder jemals sagen sollte. Daher war es nicht schwer, das zu versprechen.

Mat haderte noch einen Augenblick, dann drückte er sich von mir ab, schaltete das Licht an und setzte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Ernst sah er zu mir herunter und patschte sich leicht auf den Oberschenkel. »Magst du herkommen?«

Ich folgte der Aufforderung und legte meinen Kopf dort ab. Dennoch rollte ich mich auf den Rücken, um ihn ansehen zu können.

Er wanderte eine Weile mit den Fingern über meine Rippen, bevor er tief Luft holte. »Peter glaubt, dass ich unserem Pflegevater zufällig begegnet bin und er uns aus reiner Nächstenliebe geholfen hat. Das stimmt aber nicht ganz. Ich hatte ihn ein paar Mal bei den älteren Jungs gesehen und wusste, dass er richtig viel Kohle hat. Er hatte mich auch schon angesprochen und sein Interesse bekundet, aber hat dann doch einen Rückzieher gemacht, als er mitbekommen hat, dass ich minderjährig war. Das war ihm zu heiß. Als ich den halb bewusstlosen Peter durch das Viertel geschleppt habe und ihn gesehen hab, hab ich ihn angefleht, uns zu helfen. Ich hab ihm gesagt, dass er alles bekommt, was er will, wenn er meinen Bruder rettet. Ich hab dann währenddessen das Bewusstsein verloren. Keine Ahnung, was das für ein Teufelszeug war, was wir uns da gespritzt haben, ich hab das nie herausgefunden. Als ich im Krankenhaus wieder zu mir gekommen bin, wollten wir fliehen, doch Chris hat uns abgefangen. Er musste nicht einmal etwas sagen, es war klar, dass er das Angebot angenommen hatte. Da er Peter gerettet hatte, blieb mir also nichts anderes übrig, als zu seinen Bedingungen zustimmen.«

Ich haderte. Sollte ich wirklich ... Ich streichelte über seinen Oberschenkel und fragte vorsichtig: »Was waren seine Bedingungen?«

Mat schnaufte. »Das ist das Schlimmste daran: Letztendlich hätte uns nichts Besseres passieren können. Er eröffnete mir in einer ruhigen Minute, dass er mein Angebot gerne langfristig nutzen wollte. Er hätte sich bereits erkundigt und es wäre kein Problem, uns bei sich aufzunehmen, ganz offiziell. Wir sollten bei ihm leben, zur Schule gehen, unsere Ausbildung machen. Das gesamte Geld, das er für unsere Pflege bekam, würde er uns zur Verfügung stellen.«

»Wo war der Haken?«, fragte ich bang. Das klang bisher nicht nach etwas, was der Bruder nicht erfahren durfte.

»Sobald ich achtzehn war, musste ich ihm zur Verfügung stehen«, antwortete Mat, nachdem er eine Weile in die Leere gestarrt hatte. »Da er mir in einem Nebensatz eröffnete, dass er uns hatte testen lassen und ich HIV-positiv war, blieb mir gar nichts anderes übrig. Ich hatte bereits Jungs daran krepieren sehen. Ich wusste, sobald ich die ersten Anzeichen zeigte, würde ich keine Freier mehr finden. Außerdem wäre Peter dann allein gewesen. Ich fragte mich zwar, was er davon hätte, da ich davon ausging, eh nicht so lange zu leben, aber ich hab zugestimmt.«

Ich musste unweigerlich schmunzeln. Auch er konnte nicht anders und schüttelte leicht grinsend den Kopf. Offensichtlich hatte er doch so lange überlebt.

Dann sah er mich erwartungsvoll an. Er war fertig. Doch es gab noch eine Sache, die ich loswerden wollte: »Ich glaube nicht, dass dein Bruder dich dafür verurteilen würde, das Angebot angenommen zu haben.«

»Nicht dafür. Aber weil ich es ihm nicht gesagt habe. Er vergöttert Chris. Für ihn war er der Vater, den er nie hatte. Chris hat ihn immer unterstützt und auch sein Talent erkannt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er auch zu mir ein ähnliches Verhältnis gehabt, aber ich konnte nie unsere Abmachung vergessen.«

»Hat er sie eingefordert?« Ich glaubte zwar nicht daran, hoffte aber, dass er es sich anders überlegt hatte.

Doch Mat nickte. »Er hat mich nie gezwungen, falls es das ist, was du befürchtest. Aber ja.«

Einerseits war ich erleichtert, dass er Mat zumindest nicht körperlich gezwungen hatte, andererseits war mir klar, dass das auch gar nicht nötig war. Die Not eines jungen Mannes so dermaßen auszunutzen, war genauso schlimm. Welche andere Wahl, als seinem Teil der Abmachung nachzukommen, hätte Mat denn gehabt?

Er strich mit den Fingerspitzen über meine Narbe. »Du bist dran.«

Unweigerlich schmunzelte ich. »Die hat nicht einmal etwas damit zu tun. Die hab ich erst ein paar Tage später erhalten. Willst du die Geschichte trotzdem hören?«

»Dein schlimmstes Erlebnis? Ja. Vor allem, wenn die Narbe nichts damit zu hat.«

»Das war in Somalia. Wir hatten erfahren, dass Rebellen ein Dorf angegriffen hatten. Wir wussten, dass es viele zivile Opfer gab, und wollten, so gut es ging, helfen. Als wir ankamen, berichteten uns einige der Überlebenden, dass sich ein paar Rebellen in einem Haus verschanzt hatten. Sie hatten eine Familie als Geiseln genommen. Wir stürmten das Haus, weil nicht davon auszugehen war, dass die Geiseln noch lebten. Außer den Rebellen hatten wir niemanden gesehen bei der Beobachtung. Die Geiselnehmer leisteten erbitterten Widerstand und wurden erschossen. Wir fanden die Leichen der Familie zusammengepfercht in einem Abstellraum. Alle mit einem Kopfschuss exekutiert. Um sicherzugehen, dass auch wirklich alle Rebellen erledigt waren, suchten ein Kamerad und ich das Haus ab. Offenbar hatten sie eines der Kinder am Leben gelassen. Wir fanden sie schwer verletzt im Keller ...« Meine Stimme brach, als ich an das kleine Mädchen mit dem gelben Haarband dachte. Ich konnte nicht in Worte fassen, was wir dort gesehen hatten. »Sie hat es nicht überlebt.«

»Eloy?« Mat fuhr mir vorsichtig über den Kopf. »Du hast dein bestes versucht. Du konntest es nicht verhindern.«

Ich seufzte. Das wusste ich auch. Dennoch schwirrte mir immer wieder die Frage im Kopf herum, ob wir sie hätten retten können, wenn wir früher eingegriffen hätten. Und gleichzeitig fragte ich mich, ob es nicht vielleicht doch gut war, dass sie nicht mit dem Erlebten leben musste. »Ich bekomm ihr Bild nicht aus dem Kopf. Sie taucht immer wieder dort auf. Es ist besser geworden, aber manchmal erscheint sie mir noch immer im Traum.«

»Es tut mir leid. Ich hätte das nicht so spät am Abend ansprechen sollen.« Mat ließ sich an der Wand hinabgleiten und nahm mich in den Arm.

Ich machte mich daraus los, was ihn schnaufen ließ. »Was ist, fällt dir der Schwanz ab, wenn du das kleine Löffelchen bist?«

Lachend verdrehte ich die Augen. »Nein. Ich will kurz ins Bad. Wenn ich jetzt schlafe, gibt es Albträume.«

»Wollen wir noch eine Weile ins Wohnzimmer und uns einen Film ansehen?«

Der Vorschlag klang gut und ich nahm ihn gerne an. Dann durfte er mich auch gern in den Arm nehmen, wenn er unbedingt wollte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  chaos-kao
2021-02-11T13:12:06+00:00 11.02.2021 14:12
Ein sehr intensives und intimes Kapitel. Ich finde es aber schön, dass die beiden sich einander immer mehr öffnen und auch wenn Mat nicht verliebt ist, so liegt ihm Eloy doch sehr am Herzen. Die beiden passen wie Arsch auf Eimer. Ich hoffe nur, dass sich Mats Zustand nicht all zu bald verschlechtert. Zum einen will ich nicht, dass er stirbt, denn ich mag ihn echt gerne. Und zum anderen wäre dann Eloy wieder daheim und wie man es dreht und wendet, Mat tut ihm gut - und Eloy Mat.
Antwort von:  Vampyrsoul
13.02.2021 12:19
Aww, ich freu mich, dass die Intimität so gut ankommt <3 Das Vertrauen der beiden ineinander ist wirklich groß.
Antwort von:  chaos-kao
17.02.2021 09:13
Gerade noch einmal gelesen und es bleibt trotz sehr ernsten Themas ein absolut wundervolles und sensibel geschriebenes Kapitel.
Antwort von:  Vampyrsoul
20.02.2021 21:05
Du weißt gar nicht, wie glücklich du mich gerade machst <3


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