Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [21.08.2011 – X12 – Scouts] --------------------------- Natürlich hatte Murphy etwas herausgefunden, doch das meiste bestätigte nur, was auch sie bereits gehört hatte. Ja, sie hatten einen Typen – dieselbe Beschreibung, die auch Pakhet bekommen hatte – gesehen, der Mädchen Angebote gemacht hatte, wenn sie für jemanden anderes arbeiten würden. Ja, angeblich arbeitete dieser Typ in einer kleinen Gang. Die Information war neu, passte aber zu der Autoentführung. Ja, sie bedrohten auch Mädchen, versuchten sie notfalls auch mit anderen Mitteln dazu zu bringen, mitzukommen. Sie zweifelte, dass sie hier mehr erfahren würden, überlegte zu gehen. Sie hatten noch immer keine konkrete Spur. Wäre ihnen nicht die Zeit davon gelaufen, um das Mädchen zu finden, wäre sie gegangen. Aber die Zeit lief und sie hasste den Gedanken daran. Also blieb sie in der haltlosen Hoffnung, dass sie vielleicht doch den Scout zu sehen bekam. Sie würde mitgehen, das hatte sie beschlossen. Die meisten würden Probleme haben, sie festzuhalten, allein, weil sie keine Kraft von einer Frau erwarteten. Die Tatsache, dass sie dank der Prothese leichter aus Fesseln und Handschellen entkam, spielte ihr dabei ebenfalls zu. Dennoch. Langsam leerte sich der Club. Einige unermüdlichen feierten, tanzten weiter. Viele von ihnen sicher unter Drogen. Sie wartete. Vielleicht sah sie einen Scout. Vielleicht sah sie noch jemanden. „Willst du nicht langsam nach Hause, Pearl, Süße“, meinte Jake, der braunhaarige Barkeep. Sie drehte sich ihm zu. Langsam hatte sie das Gefühl, dass sie einen vorläufigen Hörschaden von der lauten Musik hatte. „Nein. Ich warte noch ein wenig. Der Umsatz heute war echt nicht gut.“ „Verstehe schon“, meinte er. Er goss einen neuen Drink ein, reichte ihn ihr. „Auf's Haus.“ „Danke“, erwiderte sie, zwinkerte. Sie fühlte sich albern. Wahrscheinlich übertrieb sie mit den Klischees. Doch Klischees waren einfacher, als die Alternative und die meisten dachten sich nichts dabei. Sie trank den Rum – es war wieder Rum – als sich jemand neben ihr auf den Barhocker schob. „Na, was machst du denn so spät noch hier, Sweetheart?“, meinte eine tiefe Männerstimme. Sie wandte sich ihm zu, schenkte ihm einen – wie sie hoffte – mitleidigserregenden Blick. „Ich bin ganz einsam.“ Sie wollte nach Haus. Sie wollte unter eine Dusche. Sie hatte keinen Bock mehr auf den Scheiß. „Ach je, du Arme“, meinte der Mann. Er war Mitte zwanzig, hatte gestyltes, blondes Haar, war gebräunt, gut gebaut. Er schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. „Soll ich dir ein wenig Gesellschaft leisten?“ „Ich weiß ja nicht“, erwiderte sie, bemüht so naiv wie möglich zu klingen. „Kannst du dir das denn erlauben?“ „Na, na, na.“ Er wedelte mit dem Finger. „Da beschwerst du dich erst, einsam zu sein, und willst dann auch noch Geld dafür, Gesellschaft zu bekommen?“ „Ich bin halt auch ein armes Mädchen.“ Sie bemühte sich um Rehaugen. „Ich brauche das Geld ja.“ „Ach je, und da soll ich mich erbarmen?“, meinte er. Er lachte, lächelte. Dann beugte er sich zu ihr, sprach leiser. „Ich sage dir was. Ich gebe dir fünftausend, wenn du für den Rest der Nacht mit mir in ein Hotel kommst.“ Bingo. Das war eine übliche Taktik. Gut, es war auch, was der ein oder andere Tourist machte, doch die Hoffnung starb zuletzt. Sie schenkte ihm ein zuckriges Lächeln, musterte ihn mit großen Augen. „So viel?“ „Ja“, hauchte er verführerisch. Er beugte sich rüber, flüsterte ihr ins Ohr. „Was sagst du, Süße.“ Sie tat, als würde sie kurz, aber wirklich nur kurz überlegen. „Okay.“ Sie lächelte breit und sprang auf. Ja, sie übertrieb eindeutig, doch ihn störte es nicht. Hatte er es so nötig oder war es eine Falle? Er hielt ihr die Hand hin. „Dann komm mal, Kleine.“ Als sie seine Hand nahm – und ihm am liebsten eine reingehauen hätte – sah er sie an. „Wie heißt du eigentlich?“ „Pearl“, flötete sie. „Und du?“ „Ryan“, antwortete er. „Hi, Ryan.“ Wieder lächelte sie. Sie flehte innerlich, dass er ein Scout war. Ansonsten würde sie ihm im Hotelzimmer wohl einen der Darts in den Nacken hauen. Sie hatte auf mehr von diesem Spiel an diesem Abend keine Lust mehr. Noch einmal wandte sie sich der Bar zu, winkte Jake zu, während ihre Augen nach Heidenstein und Murphy suchten. Sie fand die beiden an einem Tisch, zusammen mit zwei der anderen Mädchen, in ein Gespräch vertieft. Heidenstein sah kurz zu ihr, wirkte alarmiert und sie hatte keine Möglichkeit ihm ein Okay zu geben, ohne aufzufallen. Jake beobachtete sie noch immer. Also folgte sie „Ryan“ aus dem Laden heraus auf die Straße. Sie war froh, dass sie Alkohol sehr gut vertrug, denn ansonsten wäre sie wohl nicht mehr fähig gewesen, auf den Schuhen zu laufen. Ryan war – dank der Schuhe – etwas kleiner als sie, schenkte dem jedoch keine Beachtung. Er hielt noch immer ihre Hand. Etwas zu fest. Vielleicht war es ein „gutes Zeichen“ dafür, dass sie Recht hatte. Sie hoffte einfach darauf. Sie folgte ihm. „Wohin gehen wir denn?“, flötete sie. „Zu meinem Wagen“, erwiderte er. Eine Falle? Hoffentlich war es eine Falle. Abgesehen davon, dass sie jetzt keine Lust hatte, noch in ein Hotel zu fahren, hoffte sie einfach, ihm eine reinhauen zu können. Der Abend hatte gereicht, als dass sich einiger Frust bei ihr angestaut hatte. Als er sie in eine Gasse führte, wurde ihr klar, dass es wirklich eine Falle war. Hier standen drei andere Typen. Einer hatte eine Pistole, ein anderer einen Baseballschläger, der dritte eine Machete. Ein Ein-Mal-Eins der hiesigen Straßenwaffen also. „Bitte, tut mir nichts“, flötete sie, tat ängstlich und blickte sich um. Sie suchte nach den besten Methoden, die vier schnellstmöglich auszuschalten. Als erstes würde sie ihre Schuhe loswerden. Dann musste sie den mit der Pistole entwaffnen. Die anderen waren weniger das Problem. Sie könnte die Schlaufe der Handtasche als Schlinge verwenden. „Jetzt hör mit dem Schauspiel auf“, meinte eine weitere Stimme hinter ihr. Sie sah sich um. Am liebsten hätte sie „Jackpot“ gerufen, als sie einen jungen Mann erkannte, der genau den Beschreibungen des Typen, mit dem Dené angeblich verschwunden war, entsprach. Auch er hatte eine Pistole, was weniger gut war. „Was für ein Schauspiel?“ Sie tat unschuldig. „Du hast nach uns gefragt“, meinte Ryan, packte sie unsanft an der Schulter und schubste sie in Richtung der nächsten Wand. Er hatte ein Taschenmesser in der Hand. Sie ließ es geschehen. Zum einen, da sie beim Rückwärtsstolpern ihre Schuhe „aus Versehen“ verlieren konnte, zum anderen, da er sie, solange er so nahe stand, vor Schüssen schützte. „Ich weiß nicht wovon ihr redet“, antwortete sie. Sie ließ die gekünstelte Stimme sein, sprach normal, jedoch weiterhin abwehrend. Sie schaute dem Typen in die Augen. „Lass mich los.“ „Hat Tutu dich auf uns angesetzt?“, fragte er. Die Art wie er das Messer hielt, verriet ihn als Streetthug. Er hatte keine richtige Kampfausbildung genossen. Tat nur dasselbe, wie alle anderen auch. Sie lächelte ihn an. „Nein. Tutu hat keine Ahnung wer ich bin oder das ich überhaupt hier bin.“ Das war nur die halbe Wahrheit da „Pearl“ sehr wohl durch Smith angekündigt war. „Dann sollte es wohl besser dabei bleiben.“ Er hielt das Messer an ihr Gesicht, nicht an ihre Kehle. Wohl, weil hübsche Mädchen sich vor Narben im Gesicht fürchteten, es damit auch schwerer war, aus Versehen zu töten. „Willst du mich bedrohen?“, fragte sie. „Wonach sieht es denn aus?“, fragte der Typ, der wahrscheinlich Dené mitgenommen hatte. „Geh zur Seite, Ry, ich mach das.“ Uh, ein ganz starker Typ. Sie seufzte. Also anders. „Kann mir einer sagen, wohin ihr Candy gebracht habt?“ Die fünf hielten inne. „Wer?“ Also hatten sie nicht mitbekommen, dass sie speziell nach Dené gefragt hatte. „Candy“, antwortete sie. „Dené Bekker.“ Die fünf tauschten Blicke und Pakhet seufzte noch einmal. Einer von ihnen würde schon reden. Sie hatte auf die ganze Sache wirklich keine Lust mehr. Also ging sie zum Angriff über – mit der Methode, die bei der Nähe und ohne Stahlkappenschuhe am effektivsten war: Sie griff nach Ryans Schultern und rammte ihm ihr Knie in den Schritt. Als er sich instinktiv vorbeugte, setzte sie mit einem Kniestoß in den Solarplexus nach. Dann warf sie ihn in Richtung des einen mit der Pistole bewaffneten Typen, sprang hinterher und ließ die Handtasche von ihrer Schulter gleiten. Instinktiv versuchte der Bewaffnete Ryan aufzufangen, um nicht selbst umgeworfen zu werden. Sie nutzte das, sprang an Ryans Rechter vorbei und bekam die Hand des Manns mit der Schlaufe zu fassen. Mithilfe der Schlaufe, zog sie die Hand nach oben, überstreckte den Arm, nahm ihn schließlich in einen Hebel. Dann hatte sie ihn die Waffe abgenommen. Sie wechselte die Waffe in die Linke, während sie mit der Rechten die Darts aus dem Stoff des Kleides hervorzog. Sie jagte dem ehemaligen Schützen den ersten Dart in den Nacken, den zweiten Ryan, der sich gerade aufrappelte. Jetzt schoss ihr Hauptverdächtiger auf sie, zielte jedoch zu hoch. Instinkt, erneut. Seine Kumpanen waren bei ihr und er war wahrscheinlich kein guter Schütze. Derweil kam Mr Machete auf sie zu, versuchte zuzuhauen. Was glaubte er denn? Wenn er sie mit dem Ding erwischte, konnte er sie nicht mehr befragen und das war doch ihr Ziel, oder? Sie duckte sich, sprang dann gegen ihn, ihn bei der Hüfte packend. Ganz wie bei einem Tackle im Rugby. Wenn sie schon etwas über die Sportart wegen Crash gelernt hatte. Nun ging sie in einem Judo-Wurf über, landete mit ihm auf dem Boden, als der Kerl mit dem Baseballschläger nach ihr schlug. Sie rollte sich zur Seite und er traf seinen Kollegen. Ein Schmerzenschrei und einiges an Fluchen folgte. Sie nutzte die Gelegenheit. Dart Nummer drei landete im Nacken des Typen mit dem Baseballschläger und sie trat auf die Hand mit der Machete, kickte diese dann weg. Derweil fiel Mr Pistolenschütze um. „Hey, was ist mit ihm los!“, rief ihr Hauptverdächtiger. Sie lächelte ihn an. „Das kann ich dir gleich zeigen.“ Vielleicht war sie etwas zu selbstsicher, aber verdammt, es fühlte sich nach diesem Abend nur zu gut an, ihre Wut an ihnen auslassen zu können. Allerdings hatte sie dabei vergessen, dass Mr Machete noch immer unter den Lebenden weilte und offenbar noch ein Taschenmesser als Ersatz hatte. „Hör auf uns zu verarschen, Bitch“, zischte er voller Wut. Er griff sie beim Zopf, zog sie nach hinten. Es tat weh. da sie die Perücke mit Nadeln und Haarnetz befestigt hatte – bis die Perücke nachgab und samt Haarnetz von ihrem Kopf rutschte. Auch wenn er damit hätte rechnen müssen, war er überrascht. Sie rammte ihm ihren rechten Arm in die Seite, drehte sich um, als er schon zu Boden ging. Einige Millisekunden vergingen, ehe sie die Gestalt hinter ihrem Hauptverdächtigen sah, der sie fassungslos anstarrte. „Fuck“, fluchte er. Er drehte sich um und schrie im nächsten Moment auf, als eine weitere Gestalt erschien und ihm seitlich in die Seite schlug. Elektrizität zuckte und er klappte zusammen. Murphy klatschte in die Hände. „Ah, viel besser. Arschloch.“ „Ich hoffe er ist noch ansprechbar“, murmelte Pakhet, lächelte aber, ehe sie sich durch das kurze Haar strich, um es wieder halbwegs zu richten. Die Perücke hatte es platt gedrückt. „Hey“, meinte sie dann zu den beiden. „Da seid ihr ja.“ „Ist das der Typ?“, fragte Murphy, der offenbar eins und eins zusammenzählte. Sie lächelte, trat zu ihnen hinüber und hob den Typen am Kragen auf. „Lass es uns heraus finden.“ Der Kerl war halb ohnmächtig. Seine Augen flackerten. Sie sah zu Murphy. „Was hast du mit ihm gemacht?“ „Elektro-Zauber“, meinte der Junge stolz. „Das war meine Bezahlung für  …“ Er verstummte, grinste. „Äh. Ja.“ Sie zählte alles zusammen. Das Ding, dass sie aus der Anderswelt geholt hatte. Wahrscheinlich war das der Grund, warum er es gebraucht hatte. Hatte er einen Mentor? Nun, andere Prioritäten. Sie drückte ihren Zeugen gegen die nächste Wand, gab ihm eine Ohrfeige. „Aufwachen, Bruder“, meinte sie hart. Noch eine Ohrfeige. Konnte nicht schaden. Sie war sich recht sicher, dass er genug getan hatte, um es zu verdienen. „Hey, aufwachen.“ Langsam fokussierte sich sein Blick. Er hustete, hatte sich zuvor wahrscheinlich an seiner Spucke verschlug. Dann wurde er sich seiner Situation bewusst und starrte sie sicher zwei Sekunden lang an an. „Fuck!“, rief er aus. Seine Augen weiteten sich. Er strampelte mit den Beinen, die gerade so nicht den Boden berührte. Bei so etwas war ihre Größe von Vorteil. „Hey, sag mal“, begann Murphy, doch Pakhet schenkte ihm einen Blick. „Ist das nicht eher meine Methode?“, fragte sie ihn. Er zuckte mit den Schultern, trat zurück. „Wie du meinst.“ Damit fixierte sie den Typen an, hielt ihn mit dem linken Arm fest. Diese Prothese war weniger stark, wie der gröbere Arm, reichte aber noch immer, um ihn gegen die Wand zu drücken. „Also“, begann sie, kam aber nicht weiter. „Du bist die Iron Bitch!“, stieß er aus. Verdutzt sah sie ihn an. „Was?“ „Ich habe den Kampf gegen Crash gesehen! Du bist die Iron Bitch!“ Noch immer verstand sie nicht ganz, bis Murphy auflachte. Dann erst fielen die Teile an ihre Plätze. Der Kampf gegen Crash. „Iron Bitch“ war der Arenaname, mit dem Murphy sie angemeldet hatte. „Weißt du, warum ich hier bin?“, fragte sie, griff noch etwas fester zu. „Das Mädchen“, stotterte er, seine Stimme mindestens eine Oktave höher als zuvor. „Das Mädchen, das ich letzte Woche  …“ „Ja, ja, genau das“, meinte sie. „Wo ist sie? Wo hast du sie hingebracht? Wo ist sie jetzt?“ „Im Casino“, hauchte er ergeben. „Bitte, ich sag alles. Nur, bitte  …“ Noch immer lachte Murphy. Natürlich, er fand die Situation äußerst amüsant. Sie fragte sich warum. Weil sein Name hängen geblieben war oder weil der Typ so eine Angst vor ihr hatte. Es war am Ende egal. Hauptsache, sie bekamen die Information. Hauptsache, sie konnten Dené finden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)