Dein rettendes Lachen von stardustrose ================================================================================ Kapitel 5: Nachhilfe -------------------- Als ich aufwachte, ging es mir bedeutend besser als noch am Vortag. Meine Schmerzen waren weg, und anscheinend war auch das Fieber verschwunden. Es war noch ziemlich früh am Morgen. Ich setzte mich auf und streckte mich, um die Verspannungen in meinem Körper loszuwerden. Kurz zuckte ich zusammen, denn ich hörte die Stimme von Jadens Mutter im Flur, die meinen Namen rief. Ich musste mich vermutlich erst einmal daran gewöhnen, dass sie den Schlüssel meines Vaters hatte. Ein leises Klopfen war an der Tür meines Zimmers zu hören, und ich bat sie herein. Meine Stimme klang noch immer heiser und kratzig. Sie kam rein und lächelte mir entgegen. „Du siehst schon wieder viel besser aus, Yusei!“ „Ich fühle mich auch schon besser, danke für Alles.“ „Ach was, das ist doch selbstverständlich. Schließlich bin ich eine alte Freundin von Hakase und habe ihm versprochen, nach dem Rechten zu sehen.“ Verstehe, sie ist also die Bekannte, die ihm den Job im Krankenhaus verschafft hat. Ich gab einen belustigten Laut von mir. Irgendwie hatte ich das schon geahnt. Sie untersuchte mich noch einmal und nachdem sie fertig war, durchbrach ich die Stille. „Frau Yuki?“ Sie sah auf. „Hatten wir uns nicht auf Naomi geeinigt?“ Nein, ehrlich gesagt, hat nur sie sich darauf geeinigt. Sie lachte und setzte sich auf die Bettkante. „Du wirst dich daran gewöhnen, Yusei. Mich wirst du so schnell nicht los.“ Ich schmunzelte. Die Aussicht war wirklich schön, die nächsten Wochen nicht immer allein sein zu müssen, auch wenn ich mir ständig das Gegenteil einredete. „Na schön. Naomi?“ Es fühlte sich so seltsam an, sie beim Vornamen zu nennen! „Wie geht es meinem Vater?“ Sie strich mir kurz durchs Haar und lächelte. „Der wird schon wieder, glaub mir. Im Krankenhaus wird ihm geholfen, und wenn du ihn ab und zu besuchst, wird er schneller wieder gesund. Ich weiß, wie hart es für euch beide ist, und du kannst jeder Zeit zu mir oder meinem Mann kommen, wenn du dich schlecht fühlst.“ Ich schloss kurz die Augen und senkte den Kopf. Meine Hände krallten sich fester in meine Decke. Das waren wirklich die Worte einer liebevollen Mutter. Jaden und Alexis hatten großes Glück sie zu haben. Plötzlich spürte ich, wie sie ihre Arme um mich legte, und mich fest an sich drückte. Ich riss die Augen auf, und bemerkte erst jetzt, dass sie tränenverschleiert waren. Ich schluchzte und wollte die Tränen unterdrücken. „Halt dich nicht zurück. Wenn du deine Gefühle rauslässt, geht es dir besser, glaub mir“ sagte sie leise. Aber ich will sie nicht rauslassen! Ich will nicht, dass sie mich einholen! Ich will diese Angst nicht wieder fühlen! Am liebsten würde ich gar nichts mehr spüren… Sanft beendete sie die Umarmung, hielt mich an den Schultern und sah mir direkt in die Augen. Sie seufzte. „Irgendwann wirst du dich deinen Gefühlen stellen müssen, oder du gehst daran zu Grunde, wie dein Vater.“ Das waren harte Worte, aber vielleicht hatte sie recht. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und brachte ein halbherziges Lächeln zustande. „Mag sein, aber noch bin ich dafür nicht bereit.“ Sie akzeptierte meine Entscheidung und verließ kurz den Raum, ehe sie ein paar Minuten später mit einer dampfenden Schüssel zurückkam. Es duftete wirklich gut. „Die ist nach dem Rezept meiner Mutter. Iss auf, dann geht es dir gleich besser. Ich muss jetzt ins Krankenhaus fahren, aber wenn du noch was brauchst, ruf mich an. Ich lege dir meine Nummer auf den Tisch.“ Sie nahm einen kleinen Zettel und platzierte ihn neben meinen Laptop, dann verabschiedete sie sich und ging. Ich sah auf die volle Suppenschüssel in meiner Hand und musste schmunzeln. Sie war wirklich sehr nett. Kein Wunder, dass ich Jaden so gut leiden kann. Wieder dachte ich an diese kastanienbraunen Augen, und sein Lachen hallte in meinen Ohren. Vielleicht mochte ich ihn sogar mehr als ich zugeben würde. * Die Sicht von Jaden * Den ganzen Tag schon lief ich mit einem dicken Grinsen im Gesicht herum. Nicht nur, dass meine Mutter sagte es würde Yusei wieder besser gehen. Für meine Hilfe gestern hatte sie mir erlaubt heute am Fußballtraining teilzunehmen. Alexis sagte zwar sie würde sich für mich freuen, aber sie war traurig und wütend darüber, den Schauspielklub heute sausen lassen zu müssen. Nach der Schule rannte ich sofort zu den Umkleiden. Ich konnte es kaum erwarten endlich wieder zu spielen. Am Platz angekommen, war meine Mannschaft überrascht mich zu sehen. „Hey, Jaden, dachte du hättest Fußballverbot!“ sagte Crow und grinste. „Meine Mutter hat mir das Training heute erlaubt!“ sagte ich fröhlich. Jim kam auf mich zu und schlug mir freundschaftlich gegen die Schulter. „Klasse! Dann wird das Ganze ja entspannter als am Mittwoch!“ Ich grinste ihn an. „Kannst du vergessen, Jim!“ Jim sah enttäuscht aus, da kam Aster auf ihn zu und lachte. „Oh Gott, dein Blick ist fantastisch! Ich hab dir doch gesagt, Jaden will jetzt Ernst machen!“ Ich nickte. „Aster hat Recht! Wir haben nicht mal mehr drei Wochen bis zum ersten Qualifikationsspiel. Wir haben zwar einen Ersatz für Leo, aber wir sind aktuell so schlecht, dass selbst Sensei Ushio uns abgeschrieben hat.“ „Klasse Motivationsrede, Kapitän“ sagte Jack sarkastisch, wenn auch mit einem belustigten Unterton. Ich ignorierte ihn gekonnt und fuhr weiter aus. „Wir werden denen zeigen, dass wir die Regionals auch aus eigener Kraft rocken werden! Aber dafür müsst ihr endlich euren Arsch hochbekommen! Also, wer zieht mit?“ Die entschlossenen Gesichter meiner Mannschaft waren Antwort genug. „Na schön, ich hab von Jim gehört, dass Yusei euch ein paar Übungen auferlegt hat. Könnt ihr mir eure Fortschritte zeigen?“ Beim Namen unseres neuen Stürmers verzog unser Torwart Hiroshi das Gesicht als hätte er auf eine Zitrone gebissen. Er war im ersten Jahrgang der Oberstufe und ziemlich groß für sein Alter. Ich nahm ihn kurz beiseite, während der Rest ein paar Aufwärmrunden lief. „Was ist denn los?“ fragte ich ihn. Er senkte den Blick. „Naja, er hat mich vorgestern ziemlich durch die Mangel genommen.“ Ich sah ihn verwirrt an. „Wieso?“ „Er sagte, wenn ich weiterhin Angst vor dem Ball hätte, dann sollte ich das mit dem Fußball lassen.“ Es tat mir zwar Leid für Hiroshi, aber ich konnte nicht anders als lauthals zu lachen. Das brachte mir natürlich einen zornigen Blick ein. Als ich mich wieder im Griff hatte, fragte ich ihn was Yusei noch gesagt hätte. Er überlegte. „Naja, ich soll erstmal die Ballaufnahme richtig üben.“ Scheint logisch. Dadurch bekommt er ein Gefühl für den Ball, ohne dass er in einer Affengeschwindigkeit auf ihn zufliegt. „Und hast du geübt?“ Er nickte. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. „Na, dann zeig mir das nach deinen zwei Runden.“ Das Training verlief wirklich ziemlich gut. Was auch immer Yusei mit meinem Team gemacht hatte, es hatte funktioniert. Ich konnte, im Vergleich zu Montag, eine deutliche Verbesserung sehen. Als ich die Mannschaft für ein kleines Probespiel in zwei Teams aufteilte, hörte ich eine nur allzu bekannte Stimme hinter mir. „Wenn das mal nicht das schlechteste Fußballteam ganz Japans ist!“ Nicht der Typ schon wieder. Genervt drehte ich mich um und sah in die stahlgrauen Augen meines Gegenübers. „Tanaka. Was willst du hier, du gehst nicht auf diese Schule!“ Ich konnte den Kerl nicht ausstehen. Er ging auf die Bei-Tan Schule im Norden der Stadt, und war dummerweise ein verdammt guter Spieler, was er bei wirklich jedem Freundschaftsspiel zwischen den Schulen auf seine arrogante Art unter Beweis stellte. „Nicht so feindselig! Ich wollte nur einem alten Freund Hallo sagen und ihn um ein kleines Spiel bitten.“ „Und verrätst du mir auch, warum ich das annehmen sollte?“ Er lachte süffisant. „Hast du dir die Spielaufstellung für die Regionalmeisterschaftsqualifikation angesehen? Wir haben überhaupt nicht die Möglichkeit, euch in den Boden zu stampfen!“ Die Aufstellung war schon draußen? Es wäre Sensei Ushios Aufgabe gewesen sie mir auszuhändigen. Auf den Kerl kann man sich echt nicht verlassen! „Wann und wo?“ fragte Jack und blitzte Tanaka wütend an. Der Typ und sein verdammter Stolz. „Auf dem Trainingsplatz im Park, hier in der Nähe, Sonntag 12 Uhr ist Anpfiff. Wenn ihr nicht kommt, sehe ich es als Beweis, dass ihr nicht den Mumm habt euch mit uns zu messen! Also, bis dann.“ Mit einem süffisanten Grinsen ging dieser aufgeblasene Schnösel erhobenen Hauptes vom Gelände. Ich drehte mich zu Jack. „Sag mal, was sollte das denn?“ „Ach, komm schon! Eine Revanche war längst überfällig. Sieh es als zusätzliches Training.“ Ich sah ihn verärgert an. Beim letzten Mal hatten die Kerle uns 17:2 fertig gemacht, und das war erst ein halbes Jahr her. Plötzlich fiel mir etwas viel Hinderlicheres ein. „Sag mal, ist dir bewusst, dass ich noch immer Hausarrest habe? Wie soll ich mich bitte aus dem Haus schleichen, wenn meine Eltern beide einen freien Tag haben?“ „Du hast es doch heute auch zum Training geschafft, also.“ „Ja, aber das ist was anderes!“ Crow legte mir eine Hand auf die Schulter. „Hey, vielleicht verstehen sie das. Ansonsten helfe ich dir beim Ausbruch!“ Ein breites Grinsen legte sich auf sein Gesicht, und auch, wenn mir nicht danach war, musste ich über so viel Zuversicht lächeln. „Wir beenden erstmal das Training, dann sehen wir weiter“ Gesagt, getan. Wegen Jacks übereilter Zusage triezte ich das Team bis zur Erschöpfung. In der Umkleide fiel Crow ein weiteres Problem ein. „Weiß eigentlich jemand, ob unser Stürmer bis dahin wieder gesund ist? Alexis meinte, er liegt mit einer fetten Erkältung im Bett. Wir können nicht nur mit zehn Leuten antreten!“ Verdammt, er hat Recht! So, wie Yusei gestern aussah, war ich nicht sicher, ob er bis Sonntag wieder fit wäre. „Ich kann ihn ja mal fragen“ sagte ich in Gedanken. Jack sah mich verwundert an. „Hast du Kontakt zu ihm?“ Ich spürte, wie meine Wangen anfingen zu glühen als ich an gestern zurückdachte. Da fiel mir ein, dass ich seine Nummer gar nicht hatte. Ich würde meine Mutter fragen müssen, sobald ich den Hausarrest angesprochen hätte. Oder ich frage Alexis nach seiner E-Mail. „Jaden?“ Ach ja, ich war ihm immer noch eine Antwort schuldig. „Meine Schwester hat seine Mail Adresse, ich werde ihm mal schreiben.“ Auf dem Heimweg wurde ich von Aster mitgenommen, der von seinem Bruder abgeholt wurde. Er wohnte nur ein paar Häuser weiter. Als ich zu Hause ankam, stellte ich fest, dass meine Eltern allem Anschein nach noch nicht da waren. Ich klopfte an Alexis Zimmertür und, ohne eine Antwort abzuwarten, trat ich ein. Sie saß am Schreibtisch und telefonierte. Ohne ihr Telefonat zu beenden, warf sie mir einen bösen Blick zu und scheuchte mich mit einer Handbewegung wieder raus. Ach, verdammt, das war wohl nichts. Na schön, ein guter Zeitpunkt sich endlich mal an diese dämlichen Aufgaben von Sensei Flannigan zu setzen. Ich verstand rein gar nichts. Oh man, ich hasse Mathe. Nach einer halben Stunde hatte ich keine Lust mehr, klappte motivationslos das Heft zu und lief in die Küche. In diesem Moment schloss meine Mutter die Tür auf. „Ah, Jaden, könntest du mir mit den Einkäufen helfen?“ Ich nickte und lief zum Auto, um mir ein paar Tüten zu schnappen. „Danke, mein Spatz. Stell sie doch bitte auf den Tisch. Meine Güte, ist das schon spät geworden. Ich muss noch mal los, ich wollte noch schnell nach Yusei sehen.“ „Apropos Yusei …“ setzte ich an, denn das war meine Gelegenheit sie wegen seiner Nummer und dem Spiel am Sonntag anzusprechen. „Ich wollte ihn noch was fragen. Wir haben am Sonntag ein Freundschaftsspiel gegen die Bei-Tan Oberschule und ich wollte ihn informieren, weil er ja unser neuer Stürmer ist.“ „Diesen Sonntag?“ fragte sie und zog eine Augenbraue nach oben. Einen kleinen Hoffnungsschimmer hatte ich ja, dass sie es einfach vergessen würde, aber das konnte ich wohl vergessen. Geknickt sah ich zu Boden. „Ich weiß. Der Hausarrest. Aber ich wollte zumindest Yusei fragen. Ohne ihn hätte mein Team sonst nur neun Spieler, und dann würden sie definitiv verlieren.“ Ein leises Kichern ließ mich wieder aufblicken. Macht sie sich über mich lustig? „Und du wolltest mich nicht zufällig fragen, ob du an dem Spiel teilnehmen darfst, oder?“ Wieso durchschaut sie mich eigentlich immer sofort? Sie schien zu überlegen. Mein Hoffnungsschimmer kehrte zurück. „Na schön, nur für das Spiel.“ Innerlich machte ich schon Freudensprünge, wäre da nicht dieses kleine Wörtchen gewesen, dass sie als nächstes sagte „Aber, …“ Natürlich. Irgendein Haken musste ja dabei sein. „Da ich heute noch einiges zu erledigen habe, müsstest du für mich mit dem Fahrrad zu Yusei fahren und nach ihm sehen, in Ordnung?“ Ich grinste. Mit der Bedingung konnte ich durchaus leben. Ich fiel ihr mit einem „Danke!“ um den Hals und wollte schon schnell zur Garage laufen, wo mein Fahrrad stand. „Warte noch kurz!“ rief mir meine Mutter hinterher. Sie kam auf mich zu und hielt mir einen Umschlag hin. „Könntest du ihm das hier geben? Der ist von seinem Vater.“ Ich steckte den Brief in die Innentasche meiner Jacke und nickte. Dann betrat Alexis den Raum, die anscheinend endlich fertig mit ihrem Telefonat war. „Fährst du zu Yusei?“ fragte sie. Sie hat wohl den Rest des Gesprächs mitbekommen. Ich nickte. „Warte, dann gebe ich dir noch die Mitschriften vom Unterricht mit den er verpasst hat.“ Sie verschwand in ihrem Zimmer und kam kurz darauf wieder zurück, um mir einen kleinen Stapel Hefte in die Hand zu drücken. Jetzt muss ich wohl doch meine Tasche holen. Grummelig ging ich in mein Zimmer, legte die Hefte auf meine Aufgaben, und suchte meine Tasche. Als ich sie gefunden hatte, nahm ich den Stapel auf meinem Tisch und packte alles ein, um endlich losfahren zu können. Ich verabschiedete mich, ging endlich in die Garage und trat in die Pedale. Zwar war ich nur einmal bei ihm, aber ich kannte diese Gegend auswendig, weil wir hier schon wohnten, solange ich zurückdenken konnte. An seinem Haus angekommen, stellte ich das Fahrrad an der Wand ab, und betätigte die Klingel neben der Tür. Überraschenderweise öffnete er mir nur einen Augenblick später. Ich blickte in zwei verwirrte, tiefblaue Augen. „Jaden?“ fragte er verdutzt. Ich grinste. „Hey, kann ich reinkommen?“ Etwas überfordert trat er einen Schritt beiseite und ließ mich rein. „Was machst du denn hier?“ fragte er während er die Tür schloss. „Freust du dich gar nicht, mich zu sehen?“ fragte ich neckisch, woraufhin sein Gesicht etwas röter wurde. Ob er noch Fieber hat? Doch dann legte er ein sanftes Lächeln auf, das mein Herz wieder schneller schlagen ließ. „Doch sicher, ich habe nur nicht damit gerechnet.“ Er ging durch die Küche, in das angrenzende Wohnzimmer. Ich zog die Schuhe aus und lief ihm nach. Erst jetzt bemerkte ich, dass er immer noch etwas heiser war. Vielleicht ist er bis Sonntag noch gar nicht fit genug für das Spiel. Als wir im Wohnzimmer ankamen, lief leise der Fernseher. Er setzte sich im Schneidersitz auf das große Sofa und legte eine dünne Decke über seine Schultern. Dann drehte er seinen Kopf wieder zu mir. „Willst du dich nicht setzen?“ „Hm? Ach so, ja.“ Ich stellte meine Tasche ab, setzte mich neben ihn und sah auf den Fernseher. Es lief ein Mitschnitt von einem Konzert. Man sah eine brünette Frau an einem Flügel sitzen. „Du stehst auf Klaviermusik?“ fragte ich und sah ihn an. Sein Blick ruhte anscheinend schon die ganze Zeit auf mir, denn er bemerkte jetzt erst, dass der Fernseher lief. Schnell nahm er die Fernbedienung und stellte das Gerät aus. Etwas verwundert über diese Reaktion musterte ich ihn. „Ist dir das peinlich?“ riet ich ins Blaue. Er schüttelte nur den Kopf. „Nein, ich bin nur gern allein, wenn ich mir solche Konzerte ansehe.“ Seltsam. „Hat deine Mutter dich gebeten, nach mir zu sehen?“ fragte er plötzlich. „Ja, zum Teil. Ich wollte dich aber auch was fragen.“ Neugierig ruhten seine schönen, blauen Augen auf mir und warteten darauf, dass ich weitersprach. „Naja, wir haben am Sonntag ein Freundschaftsspiel im Park. Wobei, Freundschaftsspiel passt nicht ganz, es ist mehr eine Revanche. Jedenfalls wollte ich fragen, ob du dabei wärst, aber wenn es dir nicht gut geht, verstehe ich das.“ „Okay.“ Etwas perplex starrte ich ihn an. „Bist du dir sicher? Ich meine, du klingst noch nicht wirklich gesund, und ich will nicht, dass es dir dann wieder schlechter geht.“ Er schüttelte belustigt den Kopf. „Nein, mir geht es soweit wieder gut. Ich bin sicher, bis Sonntag bin ich wieder fit. Außerdem fehlt euch ohne mich ein Spieler. Du müsstest mir nur sagen, wo dieser Park ist und wann genau ich da sein soll.“ Erfreut sprang ich auf. „Großartig! 12 Uhr ist Anpfiff, ich hol dich etwa eine halbe Stunde vorher ab, der Park ist in der Nähe der Schule. Meine Mutter hat für die Zeit des Spiels auch meinen Hausarrest aufgehoben! Ach so, da fällt mir was ein.“ Ich kramte in der Innentasche meiner Jacke nach dem Brief und überreichte ihn Yusei. Zögerlich nahm er ihn entgegen. „Was ist das?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Meine Mutter meinte nur, der wäre von deinem Vater und ich soll ihn dir geben.“ Er musterte mich skeptisch, dann öffnete er den Brief. Während er ihn las, setzte ich mich wieder neben ihn auf das Sofa und beobachtete sein Gesicht. Ich wusste ja, dass das ein empfindliches Thema war. Was auch immer in diesem Brief stand, irgendwas bedrückte ihn. „Alles in Ordnung?“ fragte ich ihn deshalb. Er faltete das Stück Papier und legte es auf dem niedrigen Tisch ab, währenddessen antwortete er schlicht mit einem zustimmenden Laut. Stille durchzog den Raum, doch ich wollte nicht, dass er sich wieder in seine Gedanken zurückzog. Deswegen versuchte ich das Thema zu wechseln. „Alexis hat mir übrigens ihre Mitschriften für dich mitgegeben.“ Damit riss ich ihn anscheinend aus seinen trüben Gedanken und lächelte. Schnell nahm ich mir meine Tasche und reichte ihm den Stapel Hefte in meiner Hand. Er nahm sie entgegen und sah sie sich durch, doch ich wunderte mich warum er plötzlich schmunzelte. „Bist du sicher, dass das dazu gehört?“ fragte er mich belustigt und hielt eines der Hefte hoch. Ich verzog das Gesicht. „Nein, das sind meine blöden Mathe Hausaufgaben, die sind wohl dazwischen gerutscht.“ „Kein Mathe-Fan?“ fragte er, doch die Antwort kannte er vermutlich schon, denn ich machte noch immer ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter. „Jetzt mal ehrlich! Wer auch immer sich diese blöde Vektor-Rechnung ausgedacht hat, gehört gesteinigt! Mit zwei Dimensionen kam ich ja irgendwann klar, aber Berechnung im dreidimensionalen Raum?! Ernsthaft? Wer denkt sich denn so einen Blödsinn aus?“ Er lachte. Es war ein wirklich schönes Lachen, dass mir ein wohliges Gefühl bescherte. Eigentlich hätte ich jetzt sauer sein sollen, aber ich hatte ihn noch nie wirklich lachen gehört und war froh, dass er nicht mehr so deprimiert war. Unwillkürlich lächelte ich ebenfalls, trotzdem musste ich mich etwas echauffierten. „Was gibt’s denn da zu lachen? Verstehst du den Blödsinn?“ „Soll ich es dir erklären?“ fragte er nur und schenkte mir ein wirklich schönes Lächeln. Gut, mit der Antwort hatte ich jetzt nicht gerechnet, und auch nicht mit der Hitze, die mir wieder ins Gesicht schoss. Ob das an ihm lag, oder daran, dass ich mich angesteckt haben könnte, wusste ich nicht. Ich wandte den Blick ab. „Naja, wenn du willst… Aber ich bin wirklich schlecht in dem Fach.“ „Schlag deine Aufgaben schon mal auf, ich hol noch ein paar Sachen“ sagte er und verließ den Raum. Ich befolgte seine Aufforderung und sah mich danach noch etwas im Raum um. Wie in den anderen Zimmern auch, war hier nichts Persönliches zu finden. Hier stand nichts, was etwas über die Bewohner des Hauses ausgesagt hätte. Keine Bilder, keine Andenken irgendwelcher Reisen, keine Dekoration, die den Raum wohnlicher gemacht hätte. Klar, sie waren erst hergezogen, aber soweit ich weiß, war das schon zwei Wochen her, und im Haus waren stellenweise immer noch viele Umzugskartons zu finden. Zugegeben, er hatte vermutlich anderes im Kopf als die Einrichtung des Hauses. Immerhin kam der Umzug plötzlich, dann die Sache mit seinem Vater und jetzt seine Krankheit. Das Geräusch von Schritten riss mich aus meinen Überlegungen, und Yusei betrat den Raum. Beladen mit ein paar Stiften, einem Lineal, Zetteln und einem Taschenrechner. Er nahm wieder neben mir Platz und sah sich die Aufgaben durch. „Na schön, es ist eigentlich ganz einfach, wenn man den Dreh raushat. Schau“ sagte er und deutete auf ein paar Zahlen. „Das sind die Punkte, die du hast. Jetzt musst sie im Koordinatensystem eintragen. Dann musst du nur noch den Abstand berechnen. Aber dazu kommen wir später, trag erstmal die vier Punkte ein. Die Zahlen beschreiben die Lage der Punkte im Raum. Die Erste X, die Zweite Y und die Dritte Z.“ Wer auch immer auf die saublöde Idee kam, Mathe mit Buchstaben zu bombardieren, war echt bekloppt. Aber zumindest verstand ich den ersten Teil. Doch schon beim System zeichnen hörte ich einen belustigten Laut von rechts. „Nein, der Winkel ist falsch, schau“ Er rückte das Lineal zurecht und berührte dabei sanft meine Hand. Sofort stellte sich wieder dieses wilde Herzklopfen bei mir ein und meine Hände wurden schwitzig. Hab ich mich doch angesteckt? Aber als ich zu Hause war, ging es mir noch gut. Ich fühlte mich nur so, wenn Yusei in meiner Nähe war. „Jaden?“ Ich traute mich nicht aufzusehen, denn mein Gesicht war sicher rot von der Hitze. „Hm?“ sagte ich nur und empfand meine Stimme als unnatürlich hoch. „Du musst schon den Strich ziehen.“ Strich? Welcher Strich? Ach ja, die letzte Achse. Ich setzte den Bleistift an und führte ihn über das Blatt, dann nahm er seine Hand wieder zurück. Leider verging dadurch nicht das Herzklopfen. Ich versuchte mich zu konzentrieren und die Aufgabe zu erledigen, aber es wollte mir einfach nicht gelingen. „Schau mal, XY ist hier, und wenn du im 45 Grad Winkel nach oben gehst, hast du deinen Punkt“ versuchte er mir auf die Sprünge zu helfen. Dabei kam er mir schon wieder ganz nah. Meine Güte, ist das warm hier drin! Irgendwann hatte ich es endlich geschafft alles einzutragen, aber jetzt kam er mir mit irgendwelchen Formeln und langsam wurde mir schwindelig. Er bewies wirklich eine Engelsgeduld und erklärte mir jeden Schritt mehrmals, ehe ich es wirklich verstanden hatte. So gingen wir Aufgabe für Aufgabe durch und trotz der Tatsache, dass ich so unkonzentriert war, hatte es irgendwann Klick gemacht. Bei dem letzten Rechenproblem klingelte das Haustelefon und Yusei stand auf. Innerlich war ich dankbar dafür, dass seine Nähe mich nicht mehr so ablenkte, aber irgendwie fehlte jetzt etwas. „Fudo?“ meldete er sich. „Ah, Hallo… Ja, er ist da… Nein, wir haben nur die Zeit bei seinen Hausaufgaben vergessen.“ Yusei musste kurz das Telefon etwas von seinem Ohr weghalten. Anscheinend war sein Gesprächspartner sehr laut. Den Gesprächsfetzen nach zu urteilen sicher meine Mutter und wie ich sie kenne, hat sie sich eben totgelacht, als er sagte ich mache meine Hausaufgaben. Typisch. „Ja, ich sag ihm Bescheid… Das Gleiche, Tschüss.“ Damit legte er auf und kam wieder auf das Sofa. „Lass mich raten. Meine Mutter.“ Er versuchte, etwas erfolglos, ein Lachen zu unterdrücken. Ich konnte nicht anders und musste ebenfalls grinsen. „Ja, sie hat anscheinend versucht dich zu erreichen, aber dein Handy war aus.“ „Was?“ ich kramte nach meinem Handy und tatsächlich: Akku leer. Oh je, ich hoffe das gibt keinen Ärger. „Sie sagte, du sollst schnell nach Hause kommen, das Abendessen ist fertig und dein Vater ist auch schon da.“ Ist es wirklich schon so spät? Ich sah Yusei an, und in seinem Lächeln steckte eine unübersehbare Melancholie. Nachvollziehbar. Ich würde zu meinen Eltern und zu meiner Schwester fahren, die schon auf mich warten, aber er würde wieder hier allein sein. Da kam mir eine Idee. „Hey, willst du nicht mitkommen?“ Etwas perplex starrte er mich an und suchte nach einer Antwort, dann schlich sich wieder ein Lächeln auf seine Lippen und er wandte den Blick ab. „Nein, schon gut, geh nur. Ich hab schon gegessen“ sagte er kleinlaut und wurde rot. Das erste Wort, was mir dazu einfiel war einfach: süß. Süß? Wie komm ich denn darauf? Er ist größer als ich, und außerdem ein Mann. Wie zur Hölle komme ich da bitte auf süß? Ich versuchte den Gedanken abzuschütteln. „Bist du sicher? Ich glaube wirklich sie hätten nichts dagegen!“ Er schüttelte den Kopf. „Alles gut, ich muss sowieso noch was für morgen vorbereiten“ sagte er und stand auf, um die Unordnung auf dem Tisch zu bereinigen. „Aber morgen ist doch Samstag, was hast du denn vor?“ fragte ich neugierig. Sofort bereute ich es, den Mund aufgemacht zu haben, denn als ich mich das letzte Mal eingemischt hatte, war er sauer gewesen. Doch meine Sorge war unbegründet. „Ich habe eine Zusage für einen Nebenjob bekommen, und morgen ist mein erster Tag. Ich soll mir aber vorher noch einige Unterlagen durchlesen, die sie mir zugeschickt haben“ beantwortete er meine Frage. Da er ja schon so ehrlich ist, kann ich auch weiterbohren. „Und welcher Nebenjob?“ fragte ich daher mit einem Lächeln. Er sah mich an und erwiderte es. „In einer Werkstatt. Ich werde vermutlich erst bei den Unterlagen anfangen, wie damals in Osaka, aber das stört mich nicht.“ „Ach stimmt, du hast ja dein Motorrad auch selbst gebaut, oder?“ „Na ja, so ähnlich. Ich habe es aus Einzelteilen vom Schrottplatz zusammengebaut. Mein damaliger Chef aber hat viele Teile seiner Räder selbst gebaut, also würde ich sagen, ich habe es nur restauriert. Jetzt solltest du aber los, sonst macht sich deine Mutter noch Sorgen wo du steckst!“ „Hast Recht, aber gib mir vorher noch kurz dein Handy, ja?“ Wieder erntete ich einen verwirrten Blick. „Was willst du denn damit?“ „Wirst du schon sehen“ sagte ich mit einem Grinsen. Er musterte mich skeptisch, kam aber meiner Bitte nach. Ich nahm das Handy entgegen und tippte etwas ein. „So, fertig!“ sagte ich erfreut. „Ich hab dir meine Nummer eingespeichert, dann kannst du mir sagen, wie es war, ja?“ Ich hielt ihm das kleine Gerät entgegen. Als er es wieder an sich nahm, berührten sich unsere Hände abermals und ich bekam eine wohlige Gänsehaut. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, packte ich schnell meine Sachen zusammen und ging zur Haustür. Yusei folgte mir. Zum Abschied hob ich noch die Hand, setzte mich auf mein Fahrrad und fuhr los. Auf dem Heimweg kam mir plötzlich wieder die Erinnerung dieser Berührung unserer Hände in den Kopf. Seine Haut war so weich. Er nahm meine Gedanken den gesamten Heimweg über in Besitz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)