Brandnarben von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Es ist noch immer alles weiß, als ich erwache. Alles ist wie vorher – zu hell, zu schmerzhaft. Aber jetzt bin ich ruhig… kein rasender Puls, keine Panik. Bloß eine seltsame Gleichgültigkeit… Ich will mich aufrichten, mich umsehen. Habe immer noch keine Ahnung, wo ich hier bin… Mein Vorhaben wird abrupt gestoppt. Etwas drückt gegen meinen Bauch und meine Schulter, hält mich unten. Mein nächster Impuls ist, zu ertasten, was es ist, das mich festhält, doch auch das ist nicht möglich. Meine Arme sind ebenso fixiert wie der Rest meines Körpers… „Ah, Mr. Wells! Sie sind wach!“ Die Stimme überrascht mich und lässt mich zusammenzucken. Ich drehe den Kopf in die Richtung, aus der sie gekommen ist – immerhin dazu bin ich in der Lage – und erblicke einen Mann, der gerade dabei ist, das Kissen eines dort stehenden Bettes zu beziehen. Er lächelt mir zu und unterbricht seine Arbeit. Während er auf mich zukommt, fragt er: „Wissen Sie, wo Sie sind?“ Automatisch schüttele ich den Kopf, während mein Gehirn sich mit der Frage beschäftigt, wieso dieser Typ mich mit Nachnamen anspricht. Nicht, dass das sonderlich wichtig wäre in diesem Moment, aber es ist einfach so ungewohnt, dass es mich noch zusätzlich verunsichert… als gäbe es nicht bereits genügend verwirrende Dinge. „Verstehe“, unterbricht der Mann meine Gedanken. Er steht nun neben mir, blickt auf mich herab. Ich mag diese Situation nicht; wie ich hier liege und nichts tun, mich kaum bewegen kann, während irgendein Fremder mich anstarrt… Ich sollte wieder panisch werden. Doch irgendwie scheint alles in mir, jede Empfindung, dumpf, wie betäubt. Da ist keine Panik, und auch kein anderes Gefühl. Der Mann spricht nun weiter, und es dauert einige Augenblicke, bis ich den Sinn hinter seinen Worten begreife. „Sie sind in einer Klinik. Im Red Hill Asylum, um genau zu sein. Keine Sorge, es ist soweit alles in Ordnung. Ihre Eltern haben einen Krankenwagen gerufen, und die haben Sie hierhergebracht, weil…“ „Das sind nicht meine Eltern.“ Ich spreche diese Worte aus, ohne darüber nachzudenken. So, wie es jedes Mal tue, wenn jemand diese Aussage tätigt. Der Gesichtsausdruck des Mannes zeigt ernsthafte Verwirrung. „Ach so?“, fragt er. „Aber in den Unterlagen steht, dass Mr. Wells…“ Ich unterbreche ihn, zerre währenddessen leicht an dem, was meine Arme fixiert und unten hält. „Okay, ja… biologisch ist er mein Vater! Aber er hat sich nie um mich gekümmert, bis… ihm praktisch nichts anderes übrig blieb!“ Bis meine richtigen Eltern ermordet wurden, und das Gericht und seine Frau ihn nötigten, mich aufzunehmen, füge ich in Gedanken hinzu, doch das spreche ich nicht laut aus. Warum sollte ich? Der Mann nickt, als verstünde er genau, wovon ich rede. „Ah. Okay. Jedenfalls…“ Er scheint einen Moment zu brauchen, um sich neu zu ordnen. „Sie sind jetzt hier in der Klinik. Sie waren extrem panisch, und darum mussten Sie sediert…ruhiggestellt werden. Und darum sind Sie auch am Bett fixiert, wir mussten sicherstellen, dass Sie sich selbst nicht noch mehr Schaden zufügen. Aber jetzt sind Sie ja ruhig, also gebe ich gleich Bescheid, dass man Sie losmachen kann.“ Panisch. Ruhiggestellt. Fixiert, sich selbst Schaden zufügen. Ich verstehe diese Begriffe, und doch kommen sie nicht wirklich bei mir an. Scheinen nichts mit mir zu tun zu haben, als wäre ich bloß ein unbeteiligter Beobachter, der einen Film schaut oder ein Buch liest. Aber das bin ich nicht. Ich bin der, der hier liegt, auf diesem Bett in dieser Klinik, dieser Psychiatrie, wie mir mittlerweile klar ist. Und das bloß, weil meine ‚Eltern‘ früher nach Hause gekommen sind. Es war doch alles gut… Der Mann sagt noch etwas, aber ich höre ihm nicht mehr zu. Lasse meinen Blick wieder zur Decke wandern, beobachte die weißen Platten. Allmählich kommt das Gefühl zurück in meine Arme; ich spüre Schmerz, nicht bloß solchen, der von Verbrennungen kommt. Aber das ist egal. Alles ist egal. Ich bin gefangen in dieser Welt, die ich si nicht will, nicht ertrage, und die einzige Möglichkeit, wie ich ihr entkommen kann, wird mir immer wieder aufs Neue genommen. Sie verstehen es nicht, und das wollen sie auch gar nicht. Sie hören mir nie zu, wenn ich reden will, blocken das Gespräch immer ab. Glauben, dass das das Beste für mich wäre. Aber sie haben keine Ahnung. Es schmerzt, jeden Tag aufs Neue ein Leben zu leben, das ich so nicht wollte. Allein zu sein mit meinen Gedanken, der Wut, der Angst. Niemand da, der mir zuhört, der einmal etwas anderes sagt als „Das wird schon“. Wie soll irgendetwas werden, wenn ich seit Jahren wie eingefroren bin? Lebt man überhaupt, wenn sich nie etwas ändert und man sich immer bloß gleich fühlt? Leer. Erstarrt. Ich bekomme mit, wie weitere Leute in den Raum kommen. Die Fixierungen meines Körpers werden gelöst, sodass ich mich endlich wieder frei bewegen kann, mich aufrichten, umsehen. Aber das will ich gar nicht mehr. Es ist egal, wie es hier aussieht, oder wo genau ich bin. Was ändert das schon? Jemand spricht mich an, redet mit mir. Ich schenke dem keine Beachtung, starre einfach weiter an die Decke. Irgendwann, wie viel später genau weiß ich nicht, wird es wieder still. Aber auch das ist egal. Ich bin ohnehin nicht wirklich hier. Nach weiterer undefinierbarer Zeit, die verstrichen ist, drehe ich den Kopf zur Seite und hebe meinen linken Arm. Der Unterarm und die Handfläche sind mit Verbänden umwickelt, unter denen ein dumpfer Schmerz poch. Auch an den unbedeckten Stellen Haut sehe ich Kratzer, die teilweise wirklich tief wirken, und Bissspuren. Ein Anblick, der mich weder erschreckt noch überrascht. Es ist nicht das erste Mal. Das passiert einfach manchmal; wenn ich aus einem Alptraum erwache oder in der Schule Panik bekomme und mich auf dem Klo verstecke. Manchmal auch einfach so. Oder eben wie dieses Mal, wenn man mich aus der einzigen Situation herausreißt, in der ich glücklich bin. Mich lebendig fühle. Ich könnte wohl besser damit umgehen, wenn meine ‚Eltern‘ sich wirklich um mich sorgen würden. Wenn sie mir dabei helfen würden, dass es mir besser geht, dass ich besser mit all dem umgehen kann. Wenn sie es zumindest versuchen würden. Aber das tun sie nicht, das tun sie nie. Sie wollen bloß, dass ich funktioniere. Dass ich das Kind bin, das sie immer wollten, aber selbst nicht bekommen konnten. Das mag übertrieben klingen, aber ich weiß, dass es so ist. Ich habe sie reden gehört. Abends, im Wohnzimmer. Sie haben gesagt, dass ich schwierig wäre. Als wäre das etwas Überraschendes. Der Rat des Arztes, mich von Feuer fernzuhalten, war der einzige, den sie übernommen haben, obwohl er noch so viele mehr gegeben hatte. Keine weitere Therapie, denn was bringt schon ein solches Psycho-Gerede wenn man sich auch an ‚das Universum‘ wenden kann? Keine Unterhaltungen über das Geschehene. Über meine Alpträume, meine Ängste. Immer bloß dieselbe Aussage: „Das wird schon irgendwann.“ Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen, und nichts ist geworden. Es wird bloß schlimmer. Und ich habe keine Ahnung, wie lange ich das noch aushalten kann. Und wofür überhaupt. Seufzend lehne ich mich zurück, lasse meinen Arm sinken und schließe die Augen. Es ist alles so anstrengend. So sinnlos. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)