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Brandnarben

von

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Ich hatte erwartet, wieder Angst zu empfinden. Ein Gefühl von Furcht, vielleicht nicht so stark ausgeprägt wie zuvor beim Anblick der Schmetterlingsflügel - tote Schmetterlingsflügel, wispert die Stimme in meinem Kopf - aber ausreichend, um meinen Herzschlag zu beschleunigen, mich stärker zum Zittern zu bringen.

Da ist auch Angst, doch sie ist hintergründig, dumpf. Wird überschattet von etwas, was weitaus deutlicher ist, und ganz und gar nicht zu den Dingen passt, die ich bisher bei diesem Unterfangen empfunden habe…

Freude. Gemischt mit Zuneigung.

Es ist das Motiv des Bildes, das diese Empfindungen in mir auslöst, und obwohl ich weiß, dass ich regelmäßig von diesem träume, bin ich doch überrascht, es hier zu sehen. Kann mich nicht daran erinnern, es jemals aufgemalt zu haben…

Die Zeichnung ist eine von Mika.

Mika war die Bordercollie-Hündin, die wir hatten, als ich ein Kind war. Sie war älter als ich, ich bin mit ihr aufgewachsen, habe sie damals als meine beste Freundin betrachtet. Habe ihr alles erzählt, was mir durch den Kopf ging, meine Zeit viel lieber mit ihr verbracht als mit anderen Kindern.

Manchmal, wenn ich nachts aufwachte und nicht mehr einschlafen konnte, weil ich aus irgendeinem irrationalen Grund der Überzeugung war, dass irgendetwas in den Schatten des Zimmers lauerte, bereit, seine Klauen nach mir auszustrecken und mich zu packen, stand ich auf und ging nach unten ins Wohnzimmer. Meine Eltern fanden mich häufiger morgens dort, zusammengerollt auf Mikas Schlafkissen, die Hündin neben mir mit der Schnauze auf meiner Seite.

„Sie passt auf, dass du keine Alpträume hast“, sagte Dad einmal, und tatsächlich kann ich mich nicht daran erinnern, in Mikas Gegenwart jemals schlecht geträumt zu haben.

Ja. Zu ihren Lebzeiten habe ich niemals etwas Schlechtes mit Mika verbunden.

Und dann, an einem schönen, warmen Junimorgen, als ich gerade sechs Jahre alt war, kroch sie unter die Treppe unserer Veranda und starb.

Wir haben lange nach ihr gesucht. Sie gerufen, sind die Straßen abgelaufen, haben die Nachbarn befragt.

Vielleicht habe ich damals auch an Snowball gedacht, gehofft, dass Mika nicht auch überfahren wurde.

Nun, das wurde sie nicht. Sie ist einfach eingeschlafen.

Erst gegen Abend fand meine Mutter ihren Leichnam.

Mika sah genau so aus wie immer, wenn sie schlief, die Schnauze auf den Vorderpfoten, die Hinterbeine ausgestreckt. Ganz normal.

Aber sie würde nie wieder aufwachen.

Ich war so unfassbar wütend damals. Habe nicht verstanden, wie sie mich einfach allein lassen konnte, und dann auch noch so, ohne jeden Abschied.

Es hatte keine Vorwarnung gegeben, keine Hinweise darauf, dass es ihr schlecht ging, überhaupt nichts.

Sie war einfach plötzlich weg. Und ich war nicht in der Lage, zu verstehen, warum.

Ich war nicht lange wütend, ziemlich schnell gewann die Trauer die Oberhand. Und das war auch der Zeitpunkt, an dem ich Mika das erste Mal in meinem Traum auf meinem Bett sitzen sah.

Vor dem Tod meiner Eltern waren diese Träume einfach nur angenehm. Ein Wiedersehen, auf das ich mich freute und das ich herbeiwünschte, bei dem Mika sich auf meinen Beinen zusammenrollte oder sich neben mich legte oder einfach am Fußende sitzend verharrte und mich beobachtete.

Als würde sie über mich wachen. Wie früher.

Nach dem Brand aber veränderten sich diese Träume.

Es gab und gibt noch immer die, die einfach bloß positiv sind. In denen Mika ist, wie sie immer war, freundlich, sanft und beschützerisch.

Aber dann sind da eben auch die anderen. Die, in denen Mika nichts mehr mit ihrem eigentlich Ich gemeinsam hat.

Manchmal spüre ich plötzlich ihr Gewicht auf mir, blicke in trübe, graue Augen und ein Gesicht, das von Schnitten und eitrigen Wunden überzogen ist, mit einem Maul voller krummer, verfaulter, aber trotzdem messerscharfer Zähne.

Sie schnappt dann nach mir, und ich kann ihren Atem riechen; den Geruch von Tod und Verwesung.

Manchmal stemmt sie ihre Pfoten auf meinen Brustkorb und drückt die Luft aus meiner Lunge. Beugt sich weiter über mich und knurrt, in einer Tonlage, die ich zu ihren Lebzeiten niemals von ihr zu hören bekam.

Und manchmal beißt sie dann zu.

Einmal erwachte ich nach dieser Art von Traum und war noch nicht einmal in der Lage, zu schreien. Konnte bloß ein heiseres Gurgeln hervorbringen, denn Mika hatte mir im Traum die Kehle durchgebissen.

Trotz all dieser alptraumhaften Erlebnisse, die immer und immer wieder passieren, ist die Angst auch nach längerer Betrachtung der Zeichnung von Mika gering. Das Bild wirkt einfach zu friedlich, zu vertraut, auch, wenn einige Dinge darin ihrer Alptraum-Version entsprechen statt ihrer wirklichen Form. Die weißlichen Augen zum Beispiel, die zu glühen scheinen, und das linke Ohr, das in blutigen Fetzen herabhängt.

Trotzdem. Es ist eben Mika.

Zum ersten Mal heute empfinde ich einen gewissen Widerwillen, als ich die Zeichnung über das Feuer halte.

Es ist das Richtige, ja, denn auch ihr Anblick hat mir Angst gemacht, wenn auch nicht so sehr wie die anderen.

Und trotzdem schmerzt es irgendwo.

Nachdem auch ihr Bild zu Asche geworden ist ziehe ich die Hand wieder zurück und schließe die Augen.

So ist es noch leichter, sich vorzustellen, woanders zu sein, an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit.

Das Knacken des Feuers, wenn es den Sauerstoff verbrennt - wie damals, als ich ohne Orientierung im Wohnzimmer erwachte, unfähig zunächst, die Augen zu öffnen. Nichts anderes wahrnahm als die Geräusche und den Geruch… und die Hitze, die mit jeder verstreichenden Sekunde stärker wurde.

Dieses Feuer, hier und heute, kann ich kontrollieren.

Es bewegt sich auf begrenztem Raum, ich habe Wasser da, um es zu löschen, kann es jederzeit beenden, wann immer ich will…

Hätte ich das doch bloß damals gekonnt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Drachenprinz
2021-02-21T14:20:51+00:00 21.02.2021 15:20
Irgendwie hab ich es gar nicht gesehen, als du dieses Kapitel hochgeladen hast. °-° Das Neue lese ich dann auch noch danach!
Aber erst mal hierzu: Das mit dem Hund macht mich ja schon wieder ein bisschen sentimental. ;-; Das stell ich mir total niedlich vor, wie Mika so über Jonny gewacht hat, wenn er bei ihr geschlafen hat! Aber dass sie einfach so ohne Vorwarnung gestorben ist, stell ich mir wiederum auch sehr traumatisch vor. q___q
Diesen Zwiespalt, dass er das Bild verbrennen will, es ihm aber auch so schwerfällt, kann ich auch total nachvollziehen. Ich glaub, ich könnte auch niemals ein Bild von Wendy oder Dante verbrennen oder wegwerfen oder sonst irgendwas, selbst wenn es eine 'albtraumhaftere' Version darstellen würde. D: Aber ich versteh schon, dass er das tut. Mann... Der Arme hat einfach so viel durchgemacht, er tut mir so leid. qwq


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