Brandnarben von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Wieder verharre ich eine Weile, ohne mich zu bewegen. Betrachte das Feuer, konzentriere mich auf seinen Anblick, seinen Geruch. Dann, nach einer Zeitspanne, die ich nicht zu benennen vermag, nehme ich den nächsten Zettel. Er zeigt etwas, von dem ich vermute, dass es eine Katze sein soll, zumindest weisen die kleinen, spitzen Ohren und der Schwanz darauf hin. Der Rest jedoch ist auf grausame Weise deformiert, verdreht, hat irgendwie etwas Surreales an sich. Der Kopf ist in einem unnatürlichen Winkel vom Rumpf abgeknickt, die linke Augenhöhle leer. Der Kiefer hängt herab, scheint bloß noch von Hautfetzen gehalten zu werden, und Blutfäden hängen herunter und tropfen zu Boden. Überhaupt ist da überall Blut. Das hellgraue Fell ist voll davon, aber augenscheinlich ist es nur Blut, keine Wunden. Doch wahrscheinlich werden diese einfach von dem langen Haar verdeckt. Ich kann mich nicht daran erinnern, von diesem Tier geträumt zu haben, was nichts bedeuten muss; an die meisten Dinge kann ich mich eine halbe Stunde nach dem Erwachen nicht mehr erinnern. Was jedoch immer bleibt, ist die Angst. Das Gefühl, dass im Schlaf etwas Grauenhaftes geschehen ist. Auch jetzt spüre ich die Angst. Der Anblick der Zeichnung reicht aus, um sie zurückkommen zu lassen. Und ich glaube, ich weiß, wer diese Katze ist, beziehungsweise was die Vorlage meines Unterbewusstseins für das war, was auch immer in meinem Traum passiert ist. Bis ich fünf oder sechs war hatte die Familie, die neben und wohnte, eine graue Katze. Sie stromerte ständig durch die Nachbarschaft, und wenn man in ihre Nähe kam, machte sie einen Buckel und fauchte. Mom meinte einmal, dass die Nachbarin ihr erzählt hatte, dass die Katze – ich glaube, sie hieß Snowball, obwohl sie überhaupt nicht aussah wie Schnee – sich nicht einmal von ihren Besitzern streicheln ließ, sondern aggressiv wurde. Ich hatte keine Angst vor Snowball. Ich ließ sie einfach in Ruhe. Ich mochte es selbst nicht sonderlich, angefasst zu werden, also konnte ich sie verstehen. Aber diese Zeichnung von ihr macht mir Angst. Nicht wegen dem Blut oder den verdrehten Körperteilen. Ich habe Schlimmeres gesehen. Sondern wegen dem, wofür es steht. Was immer das auch sein mag. Auch Snowball brennt. Die Flammen fressen sich durch das Papier, lecken über meine Haut. Ich sehe ihnen zu, und dabei frage ich mich, was damals aus Snowball geworden ist. Ich glaube, sie wurde überfahren. Ja, ich meine, mich zu erinnern, dass die Tochter der Nachbarn, mit der ich zur Schule ging, deren Namen ich aber im Gegensatz zu dem der Katze nicht mehr weiß, einmal im Unterricht davon erzählt hat. Das tut mir leid für Snowball… Aber ihr Bild muss trotzdem brennen. Es folgt das gleiche Spiel wie vorher. Eine Weile des reglosen Dasitzens, die Hand im kühlen Wasser. Dann der Griff zum nächsten Blatt. Ich werfe einen Blick darauf und merke sofort, wie sich alles in mir verkrampft. Wieder kann ich nicht sagen, was mit diesem Motiv in meinem Traum geschehen ist, aber das spielt auch keine große Rolle; denn in diesem Fall wäre es vollkommen gleichgültig, ob es sich um eine Zeichnung handelt oder ein Foto oder ein wirkliches Objekt. Und dabei würde ein Außenstehender dieses Bild hier wohl für das Harmloseste von allen halten. Ja, es wahrscheinlich sogar schön finden. Auf dem Papier sind zwei Schmetterlingsflügel zu sehen. Kein Raupenkörper in der Mitte, bloß die Flügel. Ausgerissen. Ich spüre die Übelkeit, die in mir hochkriecht, und das Zittern, das meinen gesamten Körper ergriffen hat. Schnell halte ich das Blatt von mir weg, über das Feuer. Sehe zu, wie es brennt, sich in Asche und Glut verwandelt… aber die Angst bleibt. Ich kann jetzt die Stimmen hören, die Worte eines mir fremden Kindes auf dem Spielplatz, auf den mein Vater manchmal mit mir gegangen war. Das Kind – ich kannte seinen Namen nicht, obwohl ich mich erinnere, dass wir manchmal gemeinsam auf den Baum am Rande des Spielplatzes geklettert sind und so getan haben, als wären wir Katzen – kam damals auf mich zu gerannt, vollkommen aufgeregt und wild mit den Armen fuchtelnd. „Komm mit, ich muss dir was zeigen!“, rief es. „Das ist echt cool!“ Bis heute weiß ich nicht, was an dem, was ich zu sehen bekam, bitteschön voll cool gewesen sein soll. Ich weiß auch nicht, was ich erwartet hatte, zu sehen – vielleicht so etwas wie das filigrane Vogelskelett, das ich einmal in komplettem Zustand neben der Veranda unseres Farmhauses gefunden hatte. Das wäre cool gewesen! Wobei sich darüber vermutlich auch streiten lässt. Jedenfalls, ich weiß nicht, was ich damals auf dem Spielplatz erwartet habe, vorzufinden, aber ich war neugierig. Folgte dem Kind zu einer flachen Regentonne, die zu einer Art kleinem Wasserpark gehörte, und ließ mir zeigen, was es derart faszinierend fand. „Schau mal!“, rief es enthusiastisch, und deutete auf etwas, das in der Mitte des Fasses schwamm. „Ein toter Schmetterlingsflügel!“ Bis heute habe ich keine Ahnung, was genau an dieser Situation mich so sehr geprägt hat. Vielleicht war es einfach der Anblick, oder aber die Gedanken, die ich mir im Nachhinein machte, darüber, was bitteschön mit dem Rest des Tieres passiert war. Möglicherweise war es aber auch die Formulierung. Ein toter Schmetterlingsflügel. Als hätte der Flügel ein Eigenleben gehabt, wäre ein eigenständiger Organismus gewesen, der unabhängig vom Körper agieren konnte und womöglich noch eine Zeit lang zuckend im Wasser um sein Leben gekämpft hatte… Schnell halte ich mir eine Hand vor den Mund und beginne, zu würgen. Beinahe st0ße ich den Kochtopf um, als ich mich zusammenkrümme und nach Luft ringe, versuche, die Übelkeit zurückzudrängen, mein rasendes, stolperndes Herz zu beruhigen. Das Bild ist längst verbrannt, doch die Worte bleiben. Hallen durch meinen Kopf, immer und immer wieder. Toter Schmetterlingsflügel. Toter Schmetterlingsflügel. Toter Schmetterlingsflügel. Und dazu die Erinnerung an dieses falsche Auge im bunten Muster, das ich wohl niemals mehr vergessen werde. Wie eingefroren sitze ich da, betrachte das Feuer. Die Flammen werden schwächer, drohen, zu erlöschen. Haben das Papier im Topf beinahe vollständig aufgefressen. Das ist okay. Ich habe noch mehr Zeitungen. Und noch zwei Streichhölzer. Als ich schließlich wieder fähig bin, mich zu bewegen, ist das Feuer aus. Ich nehme den Topf, stehe auf. Schwanke einen Moment lang, spüre, wie mein Kreislauf absackt. Schwärze breiter sich vor meinen Augen aus, mein Körper kribbelt, und einen Augenblick lang habe ich das sichere Gefühl, dass meine Beine unter mir wegknicken und ich stürzen werde. Sehe bereits vor mir, wie ich auf dem Boden aufschlage, bei meinem Glück in einer Position, in der ich mir mindestens etwas verstauche, wenn nicht Schlimmeres, strecke instinktiv meine Arme aus, um mich abzufangen… Dann schwindet das Gefühl wieder. Die Umgebung gewinnt an Klarheit zurück, das Schwindelgefühl verblasst. Alles in Ordnung. Alles gut. Die Asche verschwindet im Papierkorb neben meinem Schreibtisch. Kurz mustere ich den grau- schwarzen Haufen, dann wende ich mich ab. Zurück zu den Zeichnungen, zurück zu den Streichhölzern. Das nächste Knäuel zusammengeknüllter Zeitungen landet im Topf. Wieder zittern meine Hände, als ich die Schachtel nehme, doch bei Weitem nicht mehr so stark wie vorhin. Dieses Mal brauche ich nur zwei Versuche, bis es brennt. Es hat irgendwie etwas Routiniertes, das alles. Ein festgelegter Ablauf, dem ich einfach folge, ohne darüber nachzudenken. Ich muss nicht nachdenken. Es ergibt sich einfach. Die Zeitungen brennen, der Geruch von Rauch hüllt mich ein, und ich verspüre das drängende Bedürfnis, meinen Arm tief hinein in die Flammen zu halten, zuzusehen, wie sie über meine Haut streicheln, sie umhüllen, und sie verfärbt zurücklassen, ohne dass ich etwas davon spüre… Der Gedanke ist unfassbar verlockend. Mein rechter Arm ist seit damals ohnehin wie ein Fremdkörper für mich, es wäre wohl kaum mehr ein Unterschied, ob ich ihn brennen sehe oder das Papier. Bloß, dass brennende Haut unangenehmer riecht. Dennoch tue ich es nicht. Nicht aufgrund eines Selbsterhaltungstriebs oder dergleichen, ich bezweifle manchmal, dass ich so etwas überhaupt besitze. Aber ein verbrannter Arm ist schwierig zu verstecken, und noch schwieriger zu erklären. Also nehme ich bloß die nächste Zeichnung und sehe sie an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)