Der letzte Sieg von BuchTraumFaenger (Böse Vorahnung) ================================================================================ Kapitel 19: 19. Zerrissen ------------------------- Wütend rüttelte Xia an den Gitterstäben. „Verdammt!“ Der Käfig, in dem sie sich zusammen mit Sheng und der Wahrsagerin befand, stand in einem abgelegenen Raum. Nur ihre Mutter war nicht mehr bei ihnen. Sie trat nochmal gegen die Stäbe, dann wandte sie sich entrüstet ab. „Lass doch“, meinte Sheng, der sich auf dem Boden des Käfigs niedergelassen hatte. „Das bringt uns jetzt auch nichts.“ „Du willst doch auch hier raus, oder etwa nicht?!“, fuhr seine Schwester ihn an. Sheng hob die Augenbrauen und verkrampfte sich in seinem Schneidersitz. „Du hat es doch selber gehört“, mahnte ihr Bruder sie ruhig. „Sollten wir versuchen auszubrechen, dann tun sie Mutter noch etwas an.“ Seufzend lehnte Xia mit dem Rücken gegen die Gitterstäbe. „Was wird er nur mit ihr anstellen?“ Sheng atmete einmal tief ein und aus. „Umbringen eher weniger. Dafür ist sie eine viel zu gute Geisel für ihn.“ Das Mädchen sank zu Boden. „Du denkst also auch, dass wir nicht gut wären?“ Ihr Bruder sah sie überrascht an. „Was meinst du damit?“ Xia setzte sich auf und starrte an die Decke durch die Stäbe. „Dass er Mutter lieber mag als uns.“ „Wieso stellst du dir überhaupt so eine Frage?“ „Hast du dich das noch nie gefragt?“ Sheng schwieg und wollte das Thema wechseln, weshalb sein Blick zur Wahrsagerin wanderte, die in einer Ecke des Käfigs saß und etwas im Huf hin und her schwenkte. „Was ist das?“, fragte er neugierig. Die Ziege hielt das kleine Objekt etwas höher. Es war eine blaue Feder. „Woher hast du die?“ „Sie ist mir in der vergangenen Nacht vom Wind zu mir geweht worden“, antwortete sie ruhig, was Xia nur ein Schnauben entlockte. „Jetzt hat er auch schon Federausfall? Verschon mich bloß damit!“ Wütend schnappte sie sich die blaue Feder, warf sie zu Boden und trat einmal drauf. Seelenruhig sah die Wahrsagerin sie an. „Du hasst ihn, nicht wahr?“ Xia drückte mit dem Fuß noch mehr auf die Feder. Dann wandte sie sich einfach ab, verschränkte die Flügel und stierte durch die Gitterstäbe. Nachdenklich hob die Wahrsagerin die blaue Feder wieder auf, die von Xia völlig zerzaust worden war. Sheng beobachtete wie die Ziege die Federkiele wieder gerade strich. Dann wanderte sein Blick wieder zu seiner Schwester, die sich innerlich zu quälen schien. „Ich weiß, wozu er in der Lage ist“, platzte es aus ihr heraus. „Wann immer er konnte, hatte er sie schikaniert. In der Nacht schloss er sie in ihrem Zimmer ein. Er selber schloss auch seine eigene Zimmertür ab. Sogar uns schloss er ein. Wenn er üble Laune hatte, dann ließ er seine Wut an ihr aus.“ Sie umarmte sich selber. „Ich will gar nicht daran denken, was er jetzt in seiner Wut macht.“ Sheng erhob sich von seinem Sitzplatz, ging auf sie zu und streichelte über ihre Schultern. „Soweit wird es bestimmt nicht kommen.“ Sie schob seine Flügel weg. „Das kannst du gar nicht wissen.“ Ihr Bruder seufzte, doch dann drehte er sie um, sodass sie ihm ins Gesicht schaute. „Das wird nicht passieren“, sagte er eindringlich. „Weil er es nicht zulassen wird.“ „Du meinst Vater?“ Sie senkte den Blick. „Was soll er schon tun können?“ Entschlossen fasste Sheng sie an den Schultern. „Er wird kommen. Glaub mir, er wird kommen.“ Xia stieß ein Schluchzen aus. „Ich will es ja glauben, aber ich hab Angst.“ Schnell umarmte er sie, bevor sie ins Weinen ausbrauch. Er selber wusste sich auch keinen Rat, weshalb er sie nur über den Rücken streichelte. Die Wahrsagerin beobachtete die beiden mit betrübtem Blick, dann wanderte ihr Blick wieder auf die blaue Feder in ihrem Huf. Shen öffnete die Augen. Es war ihm, als würde etwas nach ihm rufen. Oder bildete er es sich nur ein? Er rieb sich über seine wunden Füße. Er hatte den ganzen Weg über keine Pause eingelegt. Jetzt stand er auf einem Hügel. In der Mittagssonne erstrahlte die Stadt Gongmen in ihrem Glanz. Der weiße Pfau seufzte wehmütig. Dieser Anblick erinnerte ihn an damals, als er das erste Mal nach seiner Verbannung wieder zurückgekehrt war. Es war eine Ansammlung aus gemischten Gefühlen. Er kam als Feldherr zurück, mit großen Plänen und einer Wut, die er kaum bändigen konnte. Heute war es das Gegenteil. Er war weder erfolgreich gewesen, noch hatte er einen Plan. Er wusste nur, dass er sie da rausbekommen wollte. Die Frage war nur wie. Xiang war nicht so dumm und würde sie ihm freiwillig zurückgeben. Er musste damit rechnen, dass er mehr als nur seine Familie bedrohen wollte. Das war für ihn kein Spiel mehr. Shen ließ seinen Blick über der Stadt schweifen. Der Palastturm war bis auf knapp ein Drittel wiederaufgebaut worden. Ansonsten hatte sich an der Stadt nichts verändert. Bis auf eines, was seine Aufmerksamkeit erregte. Ein paar leichte Rauchsäulen stiegen über einem Teil der Stadt empor, was mehr als ungewöhnlich war. Um kein Risiko einzugehen, besorgte er sich einen alten langen Mantel, der ihm sogar bis über die Schwanzfedern reichte, und schlich sich in die Nähe, wo der Qualm in den Himmel aufstieg. Dort liefen ihm immer wieder ein paar Stadtleute entgegen, die entweder damit beschäftigt waren Trümmer zu beseitigen oder Verletzte zu bergen. Alle standen noch so unter Schock, dass niemand Shen Beachtung schenkte oder fragte, was er als Fremder hier zu suchen hatte. Der weiße Pfau verbarg sein Gesicht tief in den dunklen Mantel und hielt ein Schaf an, dass an ihm vorbeigerannt kam. „Was ist hier passiert?“, erkundigte er sich. „Alle Häuser sind eingekracht“, japste das Schaf völlig panisch. „Sie sollten besser von hier verschwinden, Fremder! Es geht das Gerücht um, dass die ganze Stadt in die Luft gehen könnte!“ Damit lief es einfach davon. Aber dies genügte Shen völlig, um den Ernst der Lage zu verstehen und zu erahnen, was der blaue Pfau ausgeheckt hatte. Shen entfernte sich etwas von der Unglücksstelle, setzte sich auf eine Holzbank und dachte angestrengt nach. Blindlings in die Falle zu laufen wäre verkehrt. Er musste einen Schritt vorausplanen und er wusste auch schon, was er zu tun hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)