Rescue me von Evi1990 (When a dragon saves a puppy - Seto x Joey) ================================================================================ Kapitel 22: Rescue me... from my love for you --------------------------------------------- Genau eine Woche später wurde das Urteil gegen seinen Vater gefällt. Der Gerichtsprozess hatte an Joeys Nerven gezehrt und er war heilfroh, dass es nach dem heutigen Tage zumindest erst mal ein jähes Ende finden würde. Vielleicht würde er dann endlich mit allem abschließen können, wenn sein Vater seine gerechte Strafe erhalten hatte und antreten würde.   Tatsächlich bekam er sogar die Höchststrafe, die für ein solches Vergehen vorgesehen war, nämlich fünf Jahre Gefängnis. Als der Richter dieses Urteil verkündet hatte, war sein Dad wütend aufgesprungen und hatte seinem Unmut darüber Luft gemacht. Hatte den Richter förmlich angeschrien und ihm Beleidigungen an den Kopf geworfen, und Joey kam nicht umhin sich zu fragen, wie dämlich sein Dad war. Glaubte der ältere Mann tatsächlich, dass er damit seine Strafe mindern konnte? Er machte sich absolut lächerlich und schien es nicht mal zu merken. Der Richter sah das wohl ähnlich wie der Blonde, hatte ihn mehrfach zur Ruhe ermahnt, damit er das Urteil vollständig verkünden konnte, aber das hatte seinen Dad herzlich wenig interessiert.   Nachdem der Richter es dann doch geschafft hatte, gegen das Brüllen seines Vaters das komplette Urteil zu verlesen, wurde dieser aus dem Verhandlungssaal entfernt – in Handschellen. Das gab Joey eine wahnsinnige Genugtuung – er war frei, konnte sein Leben nach Belieben gestalten, während sein Vater die nächsten Jahre hinter Gittern verbringen würde. Endlich war der Tag gekommen, an dem er für all das bestraft wurde, was er ihm jemals angetan hatte. Zwar schickte ihm sein Dad hasserfüllte Blicke, schrie ihm sogar ein letztes Mal entgegen, was für ein abartiger Bastard von Sohn er war, aber all das prallte nun an Joey ab. Noch vor einer Woche, als das Gericht zusammen gekommen war, um über seinen Fall zu verhandeln, da hatte es ihn tief berührt, bewegt, dass er niemals die Liebe seines Vaters haben würde. Aber durch seine Freunde und nicht zuletzt auch durch Seto hatte er gelernt, dass er gut auf eine ‚Liebe‘ verzichten konnte, die ihn zu einem Leben in Sklaverei verdonnern würde, in dem er seinem Dad vollkommen untertan war.   Und als sein Dad da so aus dem Saal abgeführt wurde, da verabschiedete er sich innerlich von ihm. Ab heute würde er keinen Vater mehr haben, wenn er ihn denn überhaupt jemals gehabt hatte. Vielleicht war er ein richtiger Dad gewesen, als seine Eltern noch zusammen gewesen waren, aber er hatte es nicht geschafft, diese Vorbildfunktion aufrecht zu erhalten, nachdem sie sich getrennt hatten. Eigentlich hatte er sich immer nur gewünscht, einen Vater zu haben, zu dem er aufsehen konnte. Der mit ihm Fußball spielte, über die Mathehausaufgaben grübelte, ihn bei seinem ersten Liebeskummer in den Arm nahm und ihm sagte, dass alles gut werden würde. Aber nichts davon ist auch nur im Entferntesten eingetreten, ganz im Gegenteil. Und doch – trotz alledem fiel Joey der Abschied von seinem Vater schwer, weil es auch bedeutete, dass all die Hoffnungen, all die Wünsche, die er unbewusst über die Jahre aufgebaut hatte, nun vollkommen verpuffen und für immer unerfüllt bleiben würden. Er würde niemals einen Vater haben, denn der Mann, der gerade abgeführt wurde, konnte sich höchstens Erzeuger schimpfen. Ein richtiger Dad war er nie gewesen.   Und trotz dieses Anflugs von Schmerz überwog in Joey doch ein viel stärkeres Gefühl – Erleichterung. Nicht nur, weil er die Höchststrafe erhalten hatte und nun für alles büßen würde, was passiert war. Joey erkannte außerdem, dass er niemals wie sein Dad werden würde. In letzter Zeit war dieser Gedanke immer häufiger aufgetaucht und hatte sich hartnäckig in seinem Kopf eingenistet. Denn auch der Blonde schreckte in der Vergangenheit vor roher Gewalt nicht zurück, vermutlich würde er das noch immer nicht, das kam ganz auf den individuellen Fall an. Er würde alles tun, um diejenigen zu beschützen, die ihm wichtig waren, dafür war ihm so ziemlich jedes Mittel recht, sofern es sich um ein einigermaßen Legales handelte. Was er allerdings niemals tun würde, wäre genau diese Menschen ernsthaft zu verletzen, die er so sehr mochte und mehr als alles in seinem Leben brauchte. Und das war der große Unterschied zwischen ihnen beiden, der, der Joey zu einem menschlichen Wesen machte, dem andere etwas bedeuteten, und seinen Dad im Vergleich dazu regelrecht animalisch werden ließ. Der Blonde erinnerte sich auch immer wieder an die Worte, die Seto ihm nun schon so oft gesagt hatte: Jeder entschied selbst über sein Leben. Und Joey hatte beschlossen, dass er niemals so werden würde wie dieses Tier von Vater, dem er nun keinen Platz mehr in seinem Leben einräumen würde.   Als sein Dad abgeführt wurde, konnte er Seto wütend schnaufen hören, der auf dem Stuhl neben Joey saß. Der Blonde analysierte ihn genau und konnte dabei feststellen, wie der Brünette von einer Wut eingenommen wurde, die doch sonst eher Joey befiel. Er sah, wie Seto die Hände zu Fäusten ballte und seine Atmung sich beschleunigte. Joey amüsierte sich ein wenig darüber, fühlte es sich doch an, als hätten sie die Rollen getauscht. Und als Seto ihm einen Blick zuwarf und das leichte Lächeln auf Joeys Lippen erkannte, da schien ihm das auch bewusst zu werden. Sie saßen in der hintersten Reihe im Raum, und dennoch wusste Joey, dass jede Berührung auch ein Risiko war, aber er konnte es nicht verhindern, dass eine seiner Hände sanft die Oberschenkel des Mannes berührte, der ihn gerettet hatte – auf jede erdenkliche Art und Weise. Setos Augenfarbe veränderte sich ein wenig aufgrund der Berührung und er konnte eine Sehnsucht aufblitzen sehen, der sie beide in diesem Augenblick nicht würden nachgeben können. Joey löste die leichte Berührung wieder, ohne dass jemand anderes auch nur im Ansatz etwas davon mitbekommen hätte, und intensivierte sein Lächeln noch für seinen Drachen, der für ihn die Welt bedeutete.   Und nun stand er hier, am Ufer eines Flusses, gemeinsam mit Seto und seinen Freunden, die ebenfalls bei der Urteilsverkündung dabei gewesen waren, und beobachtete, wie die rosafarbenen Blüten der Kirschbäume die Wege und das Wasser gänzlich vereinnahmten. Sie waren direkt im Anschluss an den Gerichtstermin zum Kirschblütenfest aufgebrochen. Die Bäume standen mittlerweile in voller Blüte und ihre Blätter wurden vom seichten Luftstrom in alle Himmelsrichtungen verteilt. Um Joeys Nase wehte ein sanfter, warmer Wind, und die Sonnenstrahlen kitzelten ihn im Gesicht. Es war wärmer geworden und keine einzige Wolke mehr am Himmel zu sehen, und es war so, als ob alles, was ihm vorher die Sicht vernebelt hatte, mit einem Mal wie weggeblasen war. Es fiel ihm wieder leichter, sich zu konzentrieren, und er hatte eine Ruhe in sich selbst gefunden, wie er es noch vor wenigen Monaten kaum für möglich gehalten hätte.   Joey hob seinen Blick und kam nun gänzlich zurück in die Realität. Der Weg war von beiden Seiten gesäumt von den verschiedensten Ständen mit vielerlei Leckereien. Er konnte Tristan in der Ferne vergnügt quieken hören, während Téa und Yugi neben ihm belustigt darüber kicherten. Sein Drache stand links von ihm und war ihm nicht von der Seite gewichen, seit sie das Gerichtsgebäude verlassen hatten, und Joey kam nicht umhin zu glauben, dass es genau so sein musste. Joey wusste, sein Platz war genau dort und er würde es niemals anders haben wollen.   Gemeinsam mit der Gruppe schlenderten sie die Wege entlang, vorbei an Alleen von Kirschbäumen, und im Hintergrund konnten sie das Wasser des Flusses leicht rauschen hören. Es war ein wunderschöner Tag, der Joey darauf hoffen ließ, dass ihn in seinem Leben noch so viel Positives erwarten würde. Und wenn nicht, wusste er, dass der Mann mit den faszinierenden eisblauen Augen neben ihm da sein und seine Hand halten würde, wenn auch nur metaphorisch, und mit ihm alles durchstehen würde. Der Blonde war nicht so naiv zu glauben, dass das Leben ihn von nun an nur noch mit seinen schönen Seiten beglücken würde. Es würden noch viele Hindernisse und Stolpersteine auf ihn warten, die es zu überwinden galt. Aber er hatte einfach das absolut sichere Gefühl, dass nichts davon ihn mehr zu Boden zwingen könnte, solange Seto an seiner Seite war.   In diesem Moment blickte er zum Braunhaarigen hoch. Sein Blick war fokussiert nach vorn gerichtet und Joey erheiterte es noch immer sehr, wie unwohl er sich in einer Gruppe mit seinen Freunden fühlte. Yugi hatte ihm vor ein paar Tagen von seinem Gespräch mit Seto berichtet, als er ihm eröffnet hatte, er wäre jetzt Teil dieser Gruppe. Joey hatte noch im selben Augenblick den Schluck Tee ausgespuckt, den er gerade versucht hatte, zu trinken, und konnte sich ein schallendes Lachen nicht verkneifen. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, wie Seto darauf reagiert haben musste, und jetzt gerade merkte Joey, wie sehr der Brünette auf der Hut war. Was Yugi nicht verstanden hatte, war, dass man einen Seto Kaiba nicht zu etwas drängen oder ihn einfach zu einem Teil von etwas werden lassen konnte, nur, weil man es für sinnvoll oder notwendig hielt. Seto musste das selbst entscheiden, das wusste Joey mittlerweile genau. Natürlich würde Seto sich von logischen Argumenten überzeugen lassen können, aber Freundschaft war für ihn eben nicht so nachvollziehbar wie für Joey, Tristan, Téa und Yugi. Dennoch würde der Blonde versuchen, ihn zu einem Teil der Gruppe werden zu lassen, vielleicht würde es ja doch irgendwann gelingen, egal wie sehr sich Seto auch dagegen sträubte.   In just diesem Augenblick wehte ihnen ein leichter Wind ins Gesicht und Joey beobachtete, wie einzelne Strähnen erst aus und dann wieder in Setos Stirn gepustet wurden. Der Brünette schloss für den Bruchteil einer Sekunde die Augen, so als ob er die sanfte Berührung der Luft auf seiner Haut genoss und das Gefühl in sich aufsaugen wollte. Etwas an dieser Situation fühlte sich sinnlich für Joey an und die Sehnsucht, die weiche Haut von Setos Wangen zu berühren, wuchs ins Unermessliche. Er konnte seine Augen einfach nicht abwenden und musste schlucken. Setos Mund war leicht geöffnet, nur die äußersten Ränder seiner Lippen berührten sich noch flüchtig. Joey biss sich behutsam auf die Unterlippe, um dem Drang, ihn auf der Stelle zu küssen, zu entkommen.   „Du starrst mich an, Hündchen“, stellte der Brünette fest, und Joeys Blick, zuvor verklärt und benebelt, glitt nun von Setos Lippen zu seinen Augen, die noch immer nach vorn gerichtet waren.   Joey stieß einen Seufzer aus. „Ich weiß, tut mir leid, ich kann manchmal einfach nicht anders.“   Seto erwiderte nichts darauf, quittierte das ausschließlich mit einem verhalten angedeuteten Lächeln, und Joey wusste, dass Seto wohl ab und zu dasselbe Schicksal ereilte.   „Hey, Leute!“, hörte er Téa neben sich rufen. „Da hinten wäre doch ein super Platz für unser Picknick, oder?“ Joey folgte ihrem ausgestreckten Arm in die Richtung, in die sie zeigte und erkannte eine große Wiese, die scheinbar zu einem Park gehörte. Der Ort war ein wenig höher als der Weg, auf dem sie gerade liefen, sodass sie noch immer einen tollen Blick über den Fluss haben würden. Er musste Téa zustimmen – der Platz war perfekt!   Also machte sich die Gruppe gesammelt auf den Weg dahin. Sie breiteten ihre Decken unter den voll in Blüte stehenden Kirschbäumen aus, und schon rieselten die ersten rosa Blätter auf sie hinab. Joey genoss dieses Gefühl, das das in ihm auslöste, und legte sich mit dem Rücken auf eine der Decken. Er schloss kurz die Augen, genoss den Duft der Kirschbäume und ein beseeltes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er stützte seinen Kopf mit seinen Händen ab und sah nach oben, wo er Seto bemerkte, der sich neben ihn gesetzt hatte. Die Sonnenstrahlen berührten zart sein Gesicht und ließen seine perfekte Haut erstrahlen, genauso wie seine Augen, die durch das Licht eine Nuance heller wurden. Joey musste den Blick abwenden, als die Sonne ihn plötzlich mitten in die Augen traf und blendete, aber er speicherte dieses göttliche Bild von seinem Drachen in Gedanken ab, brannte es in seinen Kopf ein, auf dass er es nie vergessen möge.   Als alle Anderen ihr mitgebrachtes Essen auspackten, setzte sich auch der Blonde wieder auf und kramte die Behälter hervor, in die sie ihr vorbereitetes Essen getan hatten. Ein winziges Lächeln überkam ihn, als ihn die Erinnerung an die Zubereitung einholte. Mokuba hatte ihm unbedingt helfen wollen, während Seto nur ausdruckslos daneben gestanden hatte. Joey wusste, dass Seto es niemals zugeben würde, weil er ja immer so vehement behauptete, er würde alles können, aber wenn man mal ehrlich war – kochen konnte der Größere nicht. Joey hatte da schon etwas mehr Übung, und er war auch gar nicht so schlecht darin. Er bereitete verschiedene Bento zu, mit Reiskugeln, zu Oktopussen geschnitzte Würstchen, süßem und herzhaftem Omelett, gebratenem Lachs und viel Gemüse – Vitamine waren schließlich wichtig!   Die Freunde platzierten ihre Mitbringsel in der Mitte der Decken und Joey lief schon das Wasser im Munde zusammen, doch bevor er sich auf das leckere Buffet stürzen konnte, erhob Yugi die Stimme.   „Hey, Joey, bevor wir anfangen, wollte ich nur noch kurz was loswerden.“   Neugierig schaute er den Kleineren mit den bunten Haaren an, auch alle anderen Augenpaare waren erwartungsvoll auf ihn gerichtet, dann sprach dieser weiter. „Ich wollte eigentlich nur kurz sagen, dass du echt unheimlich stolz auf dich sein kannst. Wirklich, wie du das durchgestanden hast, das war echt enorm, Joey. Das hast du richtig gut gemacht.“   Auch wenn Yugis Ton ein bisschen was davon hatte, wie man mit einem Grundschüler sprechen würde, so berührte es Joey doch. Er sah seine Freunde zustimmend nicken und empfand tiefe Dankbarkeit dafür, sie als Weggefährten in seinem Leben zu wissen.   Verlegen legte er eine Hand an seinen Hinterkopf und grinste. „Ach was, das war doch gar nichts. Außerdem musste ich das ja nicht alleine durchstehen. Ehrlich, Leute, ohne euch hätte ich das wahrscheinlich nicht gepackt. Also danke, dass ihr mir da durchgeholfen habt.“   Tristan verschränkte die Arme vor der Brust und setzte ein angriffslustiges Lächeln auf. „Mann, Alter, wie kitschig das klingt. Hat der Eisklotz da dich jetzt so richtig schön weich gespült, ja?“   Der Blonde fletschte die Zähne, erhob sich mit einem Ruck und ging zielstrebig auf Tristan zu. Er packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich hoch, dann rief er: „Sag das noch mal, du Idiot! Wer ist hier weich gespült, hä?“   Sofort wurden sie von Yugi und Téa auseinandergerissen, auch wenn beide noch immer versuchten, sich zu befreien und aufeinander loszugehen. Wenige Augenblicke später lachte Tristan laut auf und ging in den Verteidigungsmodus über. „Schon gut, Joey, hat ja keiner gesagt, dass das was Schlechtes ist. Solange du glücklich bist.“ Mit einem Schulterzucken und leicht verlegen setzte sich Tristan wieder auf seine vier Buchstaben.   „Aha, und wer ist jetzt hier der Weichgespülte von uns beiden?“, brachte Joey grinsend hervor, bevor auch er sich mit einem lauten Rumms zurück auf seinen Platz setzte, direkt neben Seto. Das war offensichtlich das Stichwort, denn seine Freunde machten sich sofort über das gesamte Essen her, nichts blieb mehr an dem Platz, an dem es vorher stand, und Joey musste vergnügt loszuprusten.   Seine Freunde achteten nicht weiter auf ihn und er überließ ihnen das Feld - zumindest vorerst. Er rückte ein Stück näher an Seto heran, sodass sich ihre beiden Hände, auf die sie sich aufstützten, fast schon berühren konnten. Joey hatte solche Sehnsucht nach ihm, vermisste das Gefühl seiner Finger auf seiner eigenen Haut. Seto sah ihn nun an, mit diesem intensiven Blick, der so durchdringend war, dass Joey das Gefühl hatte, er könnte ihm geradewegs in die Seele blicken. Er verlor sich in dem lebhaften Blau seiner Augen und wollte ihm so viel sagen, aber er wusste, er konnte nicht, nicht hier, nicht in aller Öffentlichkeit. Also tat er, was er immer tat, wenn ihm keine andere Möglichkeit blieb, um sein Verlangen nach seinem Drachen zu befriedigen: Er holte sein Handy raus und tippte eine Nachricht, auch wenn er sich ziemlich bescheuert dabei vorkam, saß Seto doch nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Aber es war besser als gar nichts.   ‚Dir möchte ich auch danken, Seto. Ohne dich hätte ich das alles nicht geschafft. Danke, dass du an mich geglaubt hast und mich so weit gebracht hast. Das werde ich dir nie vergessen.‘   Überraschung blitzte in Setos Augen auf, als er die Vibration seines Handys spürte. Trotzdem holte er es sofort heraus und las Joeys Nachricht, und während er sie überflog, konnte der Blonde ihn scharf ausatmen hören. Dann sah er, wie er eine Antwort tippte, und konnte es kaum abwarten. Er war süchtig nach jedem Wort, das er ihm würde geben können, das war eine Tatsache.   ‚Mein Hündchen, ich bin mir sicher, du hättest es auch ohne mich hinbekommen. Du bist so stark. Und natürlich glaube ich an dich, warum sollte ich auch nicht? Ich habe nie an dir gezweifelt und ich werde jetzt nicht damit anfangen.‘   Joeys Herz setzte für eine Sekunde aus. Es war einfach krass, was für eine Wirkung Seto auf ihn hatte, ohne dass er diese Worte laut aussprechen musste.   ‚Vielleicht hätte ich es auch ohne dich gepackt, aber was, wenn ich das nicht will?  Ich brauche dich in meinem Leben, Seto. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, auch nur eine Nacht ohne dich einzuschlafen, oder morgens nicht neben dir aufzuwachen. Ich will dich, mehr als ich jemals irgendetwas gewollt habe.‘   Er hörte den Braunhaarigen leise neben sich aufstöhnen und wagte einen kurzen Blick in seine Augen – sie strahlten so viel Begierde aus, dass Joey Mühe hatte, diesem Blick lange standzuhalten. Nur Sekunden später wandte sich Seto wieder ab, um eine Antwort zu formulieren, und egal, was es auch war, was Joey gleich zu lesen bekommen würde, er wurde schon wieder in diesen Strudel aus Verlangen gezogen, aus dem er nicht würde ausbrechen können, wenn ihn niemand stoppte. Und das störte ihn nicht die Bohne.   ‚Und ich will dich, Joey. Manchmal, da werde ich morgens vor dir wach und kann dich noch ein bisschen beobachten. Du siehst so friedlich aus, wenn du schläfst. Ich kann es dann immer gar nicht glauben, dass ich neben dir aufwachen darf. Dass du gerade mich in deinem Leben haben willst. Und genau in solchen Momenten frage ich mich dann, womit ich dich verdient habe.‘   Joey musste sich ernsthaft zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er spürte, wie ihm schon wieder ein wenig schwindelig wurde. Was machte dieser Drache nur mit ihm? Aber er wollte mehr, noch viel mehr von ihm hören, jedes Wort, jede Silbe in sich aufsaugen und fest in seinem Herzen verschließen. Also versuchte er, eine Antwort zu tippen, die dennoch nur in Ansätzen das ausdrücken konnte, was er für ihn fühlte.   ‚Womit du das verdient hast? Seto, du bist alles für mich. Ohne dich gäbe es mich gar nicht mehr. Ich bin es, der sich diese Frage stellen sollte. Warum rettest du mich, immer und immer und immer wieder? Warum lässt du mich nicht einfach fallen?‘   Joey hielt den Atem an, bis sein Handy erneut aufsummte und eine Erwiderung des Brünetten ankündigte, die er sofort gierig zu lesen begann.   ‚Weil ich mit dir fallen würde, Joey. Und sollte das mal passieren, dann tue ich es, ohne mit der Wimper zu zucken. Weil ich mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen kann, nicht mehr. Du bist es, der mich gerettet hat, vor einem Leben ohne einen wirklichen Sinn. Klar, ich habe meine Firma und Mokuba, und natürlich ist mir das wichtig, ich würde lügen, wenn ich was anderes behaupten würde. Aber wenn ich heute so zurückblicke, da merke ich erst, wie ziellos ich eigentlich durchs Leben gelaufen bin. Von einer Aufgabe zur nächsten, von einer Herausforderung zur anderen. Erst jetzt gibt es etwas, das mir in meinem Leben die Richtung weist, ihm einen eigentlichen Sinn gibt. Und dieser Sinn bist du, Joey.‘   Joey musste seinen Blick von seinen Freunden abwenden, die offensichtlich noch immer allzu sehr damit beschäftigt waren, kurzen Prozess mit ihrem Essen zu machen. Und es war gut, dass niemand auf ihn achtete, weil er die Tränen nun nicht mehr vollständig zurückhalten konnte. Er drehte sich für einen Moment um, wandte seinen Freunden den Rücken zu, setzte sich in einen Schneidersitz, legte sein Handy vor seinen Beinen ab und ließ seinen Tränen für einige Sekunden freien Lauf. Dann hob er seinen Kopf erneut an und blickte Seto in die Augen. Was konnte Joey nur darauf antworten? Die Worte schwirrten ihm chaotisch durch den Kopf und er konnte einfach keine davon greifen, und selbst wenn, nichts davon klang auch nur annähernd so perfekt wie das, was Seto gerade geschrieben hatte.   „Joey...“, hörte er Seto leise neben sich flüstern, und seine Augen sprachen Bände. Nein, Joey durfte nicht aufgeben, er musste zumindest versuchen, ihm das zu geben, was er selbst von ihm so oft erhielt. Also schnappte er sich sein Handy und ließ die Worte fließen.   ‚Ich hab‘ keine Ahnung, was ich darauf antworten soll, Seto. Nichts fühlt sich gut genug an. Ich hab‘ das Gefühl, die Worte, die beschreiben könnten, was ich dir sagen will, was du mir bedeutest, wurden noch gar nicht erfunden. Wie bescheuert eigentlich, ist ja nicht so, als wärst du immer der von uns beiden gewesen, der gut mit Worten konnte, aber vielleicht hat sich das geändert. Wie so vieles anderes auch. Du hast mich verändert, Seto. Ich bin zu einer besseren Version meiner selbst geworden, von der ich nie geglaubt habe, dass sie eigentlich in mir steckt. Aber du hast sie aus mir rausgeholt.‘   Er schickte diese Nachricht ab, hatte aber das Gefühl, noch gar nicht alles gesagt zu haben, was er sagen wollte, und während Seto diese Zeilen überflog, tippte Joey erneut in sein Handy.   ‚Ich will einfach nur bei dir sein. Nirgendwo sonst fühle ich mich wohler. Selbst wenn du nur neben mir läufst oder meine Hand hältst. Gott, Seto, ich will dich jetzt so gern küssen, dich umarmen und dir sagen, wie viel du mir bedeutest. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich dabei versagen würde, weil einfach nichts, was ich sagen könnte, gut genug wäre.‘   Nun drehte sich der Blonde so, dass er Seto direkt gegenübersaß. Alles in ihm wollte ihn anfassen, seine Lippen auf die des Brünetten legen und ihn überall spüren. Seto sah ihn mit verklärtem Blick an, sein Mund leicht geöffnet, und er fuhr gedankenverloren mit seiner Zunge darüber, was Joey sofort den Atem raubte. Er beobachtete, wie Seto sein Handy nahm und kurz stockte, dann aber doch wieder anfing, eine Nachricht zu verfassen.   ‚Das kenne ich gut, Joey. Ich hatte lange Zeit das Gefühl, nichts könnte auch nur im Entferntesten ausdrücken, was ich für dich empfinde. Aber ich glaube, mittlerweile habe ich die Worte gefunden, die es zumindest ein wenig besser zusammenfassen können.‘   Nachdem Joey diese Nachricht gelesen hatte, blickte er auf und betrachtete Seto, der sich ihm jetzt auch zugewandt hatte. Sein Handy lag noch immer in seinen eleganten Händen und Joey konnte Begierde in seinen Augen aufflackern sehen. Er schien mit sich zu ringen, doch dann drückte er den ‚Senden‘-Knopf, ohne den Blick von Joey zu lösen. Zunächst konnte der Blonde sich nicht bewegen, selbst dann noch nicht, als er das Vibrieren seines Telefons in seinen Händen spüren konnte. Joey musste schlucken, wurde plötzlich nervös, doch dann öffnete er die Nachricht auf seinem Handy.   ‚Ich liebe dich, Joey. Mit jeder Faser meines Herzens. Und ich werde jeden Tag meines Lebens damit verbringen, dir das zu beweisen.‘   Joey blieb die Luft weg. Nun hatte er es schwarz auf weiß. Er liebte ihn. Oh Gott, er liebte ihn! Seine Finger fingen an zu zittern und er hatte nicht mehr genügend Kraft, um sein Telefon zu halten. Er hatte kurzzeitig das Gefühl, ohnmächtig zu werden, aber er musste bei vollem Bewusstsein bleiben.   Joey legte eine Hand auf die von Seto. Scheiß drauf, was die anderen Leute denken würden. Er konnte nicht mehr, und er wollte auch nicht mehr. Sehnsüchtig blickte er ihm in diese markant blauen Augen. Ihm fehlten die Worte, weil alle Emotionen auf einmal auf ihn einbrachen, doch dann versuchte er es, auch wenn kaum mehr als ein Flüstern aus ihm rauskam: „Seto... ich... ich... li-“   „Hey, ihr zwei Turteltäubchen! Lust auf einen Verdauungsspaziergang?“ Äh... was...? Verwirrt blickte er zu der Stimme auf, die ihn wohl gerade angesprochen hatte, und bemerkte, dass sie zu Téa gehörte. Er hatte in der letzten halben Stunde die gesamte Welt um sich herum völlig ausgeblendet, war wieder zurück in der Blase, die nur Seto um sie herum errichten konnte, in der nichts zählte außer sie beide. Noch immer wie in Trance fand er langsam in die Realität zurück. Seine Freunde erhoben sich von ihren Plätzen, streckten und reckten sich und fingen an, die Decken und Behälter zusammen zu packen, und Joey stellte fest, dass er das Essen überhaupt nicht angerührt hatte. Wobei er zugeben musste, dass er auch überhaupt keinen Hunger mehr hatte, zumindest nicht auf feste Nahrung. Das Einzige, wonach er sich jetzt verzehrte, war dieser Mann direkt vor ihm, der ihn noch immer unablässig mit seinen Blicken vereinnahmte.   Wie mechanisch erhoben sich nun auch Joey und Seto von ihren Plätzen. Keiner von beiden wusste, was er sagen sollte, und vielleicht gab es auch einfach nichts zu sagen. Aber Joey konnte spüren, wie diese eine Nachricht, diese wenigen Buchstaben und noch weniger Worte, seine ganze Welt verändert hatten.   Noch immer völlig in Gedanken, folgten die beiden der Gruppe im Gleichschritt. Joey hatte seine Hände in seinen Jackentaschen vergraben und Seto tat es ihm gleich, lief nah bei ihm, und Joey konnte seine Präsenz überall in seinem Körper spüren. Die Clique kam an einem der Stände zum Stehen, aber Joey konnte sich überhaupt nicht darauf fokussieren, oder gar dafür interessieren, was ihre Aufmerksamkeit so erregte. Seine Gedanken waren einzig und allein bei dem Braunhaarigen, der es so perfekt beherrschte, ihn um den Verstand zu bringen.   Während die Freunde was auch immer an dem Stand machten, wies Seto ihm mit einer dezenten Kopfbewegung den Weg zu einer Bank. Sie setzten sich, aber Joey wusste noch immer nicht, was er sagen sollte. Sein Blick glitt in die Ferne, beobachtete, wie die Blüten der Kirschbäume sich langsam ihren Weg zum Boden bahnten. Irgendetwas daran fand er unheimlich befriedigend. Und plötzlich sprudelten die Wörter einfach so aus seinem Mund, ohne, dass er groß darüber nachdachte, was er sagte.   „Weißt du noch“, begann er und zog sofort Setos Aufmerksamkeit auf sich, „damals, bei dem Klavierkonzert, als ich meinte, dass Glück vergänglich sei? Die Kirschblüten erinnern mich jetzt sehr daran. Nur wenige Wochen im Jahr stehen sie in voller Blüte, fallen zu Boden und sind schon kurze Zeit danach nicht mehr da. Es ist wie im Leben selbst: Man existiert nur temporär, denn auch das Leben ist vergänglich.“   Mit einem stillen Seufzen drehte Joey seinen Kopf in Setos Richtung, der ihn mit sanftem Blick anschaute. Der Blonde konnte nicht verhindern, dass sich ein glückseliges Lächeln auf seine Lippen legte, als er den warmen Ausdruck seines Drachen erwiderte.   „Und wenn das so ist, sollte man dann nicht das Beste aus der Zeit rausholen, die man hat? Ich für meinen Teil könnte mir nichts Besseres vorstellen, als jeden Tag meines Daseins mit dir zu verbringen. Und wenn man nur einmal lebt, dann will ich mit dir leben.“   Joey erkannte, wie sehr Seto das, was er gesagt hatte, berührte, aber er erwiderte nichts. Dennoch konnte der Blonde genau sehen, dass Seto exakt das Gleiche fühlte wie er, und das machte ihn unheimlich glücklich.   Joeys Herz machte einen Sprung, während sein Blick noch immer auf dem Mann an seiner Seite lag. Er hatte sich immer ausgemalt, wie es wohl wäre, jemanden zu lieben und der Person das dann offen zu gestehen – so, wie Seto es jetzt schon getan hatte, zwei Mal sogar. Er dachte immer, es würde irgendwie Überwindung kosten, würde sich schwer anfühlen, so voller Unsicherheit und Angst, dass Gefühle nicht erwidert werden könnten. Allerdings stellte er fest, dass das genau das Gegenteil von dem war, was er jetzt fühlte. Er fühlte sich leicht und befreit, und unheimlich glücklich. Er machte sich keine Sorgen, aber er wusste ja auch schon, wie Seto fühlte.   Er nahm sich einen Moment Zeit, um in sein eigenes Herz reinzuhorchen. Selbst wenn er versuchen würde, es zu leugnen, es war sowieso offensichtlich – er war verliebt. Seto nahm seine Gedanken ein, in jeder Sekunde, die er existierte. Hatte ihn in seinen schlimmsten Stunden begleitet und nie aufgegeben, so schwer es auch gewesen sein mochte. Hatte ihm die Kraft gegeben, ins Leben zurückzufinden, als er eigentlich schon damit abgeschlossen hatte. Er war das Licht, das die Dunkelheit in ihm verscheuchte, wenn sie wieder überhandnahm. Er reichte ihm seine Hand, wenn er drohte zu fallen. Und er teilte alle glücklichen Momente mit ihm, die es ohne ihn so vermutlich gar nicht geben würde. Ja, er liebte ihn – bedingungslos, endlos, mit Haut und Haar, und das würde bis in alle Ewigkeit so bleiben.   „Hey, schaut mal her, und jetzt Cheeeeeeeeese!“ Verblüfft wandte Joey seinen Blick nach vorne und sah Yugi, wie er ein Bild von ihnen mit seinem Handy schoss. Für einen kurzen Moment war Joey perplex, aber dann fasste er sich wieder und schüttelte grinsend seinen Kopf. Das Timing war heute wirklich ziemlich beschissen, aber er würde mehr als genug Möglichkeiten haben, seinem Drachen zu sagen, wie sehr er ihn liebte. Bevor sie sich erhoben und zurück zur Gruppe stießen, sah Joey Seto noch ein letztes Mal an und legte alle seine Gefühle in diesen einen Blick, und er glaubte, dass der Braunhaarige es verstand. Setos Blick wurde wieder ein wenig weicher und er legte ein dezentes Lächeln auf, das Joey einen endlosen Schwall an Endorphinen durch die Adern pumpte. Seto hatte geschrieben, dass er alles tun würde, um ihm jeden Tag seine Liebe zu beweisen, und Joey fasste denselben Plan. Er würde alles für diesen Menschen tun, der ihn mit nur einem einzigen Augenaufschlag sprachlos machen konnte und der ihm sein Herz gestohlen hatte. Und Joey wollte, dass er es behielt, bis ans Ende ihrer Tage. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)