Amigo del alma von Vampyrsoul (Boston Boys 5) ================================================================================ Kapitel 21: El Camino de la Libertad ------------------------------------ »Die Balustrade der Orgelempore wird von vier Holzcherubin gesäumt, die im achtzehnten Jahrhundert von Thomas Gruchy gespendet wurden. Er war Freibeuter und hat sie vermutlich von einem französischen Schiff gekapert, über die Tunnel, die bis heute unter dem Nordend verlaufen, in die Stadt geschmuggelt und dann an die Kirche verschenkt.« Interessiert sah ich auf das rote Backsteingebäude, an dem wir vorbeiliefen. Zuerst war ich skeptisch, als Mat vorschlug, mit ihm in die Stadt zu fahren, wenn ich nichts anderes vorhatte. Schließlich würde es unangenehme Fragen aufwerfen, wenn ich mit ihm gesehen wurde. Auch wenn er offiziell nichts getan hatte, seine Reputation war nicht gerade positiv und im Laufe der Zeit hatte sich auch mein Verdacht bestätigt: Er wurde nur aus Angst vor seinem Anwalt in Ruhe gelassen. Mittlerweile verstand ich auch warum. Ich hatte den Mann einmal im Gerichtssaal erlebt und war mehr als froh, dass er in dem Fall auf der Seite des Gesetzes stand. Der Kerl war so gut, vermutlich hätte er auch noch einen Freispruch erwirken können, wenn sein Klient vor den Augen der Jury ein Kind gefressen hätte. Mit dem wollte sich niemand anlegen. Letztendlich stellte es sich als Glücksfall heraus, mir von dem Punk die Stadt zeigen zu lassen. Er kannte nicht nur viele historische Fakten, sondern hatte auch allgemein viel zu erzählen. Allein in den letzten eineinhalb Stunden, die wir dem Freedom Trail vom Boston Common bis zur Old North Church gefolgt waren, hatte ich mehr über ihn erfahren als in den ganzen letzten Monaten. Jede Straße, jedes Gebäude, jeder einzelne Stein – ja, die ganze Stadt – schien einen Teil seiner Erinnerungen zu tragen. Und dennoch brach er häufig den ein oder anderen Satz ab, ließ ihn unbeendet und wandte sich einem neuen Thema zu. Er schien noch immer mehr zu verbergen als preiszugeben, überlegte sich sehr genau, woran er mich teilhaben ließ. Doch mir stand es nicht zu, nachzubohren. Ich sollte mich geehrt fühlen, dass er überhaupt so viel erzählte, so viel klärte, was mir bisher nur aus Andeutungen bewusst war. Dass er dabei dennoch vieles verschwieg, war nur natürlich. Mittlerweile hatten wir die Straße überquert und liefen auf der anderen Seite weiter der roten Markierung auf dem Bürgersteig nach. Da trotz des eher grausigen Wetters durchaus einige Touristen unterwegs waren, konnte ich mir gut vorstellen, wie anstrengend es sein musste, dem Weg zur Hauptreisezeit zu folgen. Rechts tauchte plötzlich mitten zwischen den Wohnhäusern ein Friedhof auf, der nur noch dank der Grabsteine als solcher zu erkennen war. Offenbar wurde dort schon lange niemand mehr beerdigt, dennoch wirkte es vollkommen unpassend. Eine grüne Wiese, verziert mit den aufrechten Steintafeln, nur mit dem roten Backstein, der überall in der Stadt verbaut war, vom Gehweg getrennt. »Das ist der Copp’s Hill Burying Ground«, erklärte Mat. »Er wird schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr benutzt, steht aber mittlerweile unter Schutz, weil hier einige wichtige historische Persönlichkeiten begraben liegen, wie zum Beispiel Prince Hall und Phyllis Wheatley.« »Prince Hall? Das war doch der Schwarze Freimaurer, oder?« Mit dem zweiten Namen konnte ich gerade nichts anfangen. »Ja genau. Auf dem Friedhof gibt es auch ein Denkmal, das können wir uns ja ein anderes Mal anschauen.« Mat deutete auf das Schild neben dem Eingangstor, das den Zutritt für Hunde verbot. Auch wenn Chico anfangs überhaupt erst der Grund gewesen war, warum Mat mich zu dem Ausflug hatte überreden können, störte er nun doch ein wenig. Ich hätte gern die ein oder andere Kirche auch von innen gesehen, doch durch den Hund ging das leider nicht. Ich fand es nicht fair, ihn davor anzubinden, zumal ich es mit den ganzen Touristen auch für eine schlechte Idee hielt. Also musste ich mir das für ein anderes Mal aufheben. Vielleicht wieder gemeinsam mit Mat. »Gibt es hier in der Stadt eigentlich noch mehr über die Freimaurer zu sehen? Soweit ich weiß, hat es hier doch eine ganze Menge gegeben.« Mat zuckte überfragt mit den Schultern. »Tut mir leid, damit hab ich mich nicht befasst. Aber ich denke schon, dass man noch das ein oder andere sehen kann, müsste man mal im Internet suchen. Ich weiß nur, dass die meisten der Tunnel auch von ihnen benutzt wurden.« »Wofür sind die überhaupt da?« In dem halben Jahr, das ich nun schon in Boston lebte, hatte ich noch nie von so etwas gehört. Das war das erste Mal. »Die wurden früher von Schmugglern benutzt, um an den Steuereintreibern vorbeizukommen. Hast du mal vom Brinks-Raub gehört?« Ich überlegte kurz, dann fiel es mir wieder ein und ich nickte. »Vermutlich haben die auch die Tunnel genutzt, um zu entkommen. Es gibt so gut wie keinen Keller im Nordend, der keinen Zugang hat, die meisten sind aber mittlerweile zugemauert oder eingestürzt.« »Die meisten?«, fragte ich skeptisch nach. »Die meisten«, bestätigte er, ohne weiter darauf einzugehen. Das war klar genug, um zu erkennen, dass er nicht mehr darüber erzählen würde. Dennoch machte mich das natürlich umso neugieriger, was es damit auf sich hatte. Wir liefen durch eine unscheinbare Gegend den Hügel hinab, vorbei an einem Parkhaus, hinter dem wir an einer großen, vielbefahrenen Straße nach links abbogen. Hier musste ich Chico deutlich enger nehmen, da ich befürchtete, dass ihn die Hektik mit den vielen Leuten und dem Verkehr zu viel werden könnte. Hoffentlich mussten wir dem nicht zu lange folgen. Leider wurde mir der Wunsch nicht erfüllt. Nach der Hauptverkehrsstraße mussten wir den Charles River über die Charlstown Bridge überqueren. Nun wurde Chico wirklich unruhig. Durch die Metallkonstruktion war es schon für meine Ohren sehr laut, ich wollte nicht wissen, wie es für ihn sein musste. Daher war ich auch heilfroh, als wir am anderen Ende ankamen. Mat deutete auf das Gebäude direkt neben uns. »Wollen wir etwas essen? Wir können uns draußen hinsetzen.« Skeptisch sah ich auf die Stühle und Tische, die in einer Einbuchtung in der Kurve standen, dann auf das Namensschild und schüttelte den Kopf. Das sah mir ein wenig nach Kette aus. »Mexikanisch kann ich dir sicher deutlich besser machen.« »Du willst für mich kochen?« Breit grinste er mich an. Ich zuckte mit den Schultern. »Warum nicht. Lass uns auf dem Rückweg noch eben einkaufen gehen, dann zauber ich uns richtig gute selbstgemachte Tortillas.« »Ich nehm dich beim Wort«, drohte er scherzhaft und deutete über die Straße auf einen Park. »Lass uns trotzdem kurz da rübergehen. Ich brauche eine Pause und Chico freut sich sicher auch, mal vom Asphalt runterzukommen.« Sofort willigte ich ein. Mat war schon auf der Brücke immer langsamer geworden und keuchte deutlich mehr als noch zum Anfang unserer Tour. Bereits kurz vor der Old North Church hatten wir an einem Brunnen eine Rast eingelegt und etwas von dem Wasser getrunken, das ich im Rucksack mit mir führte. Auch diesmal gab es wieder einen Brunnen, den Chico sofort nutzte, um ebenfalls seinen Durst zu stillen. Da er rassebedingt kaum hechelte, war es manchmal schwer, einzuschätzen, wie durstig er war. »Ich geh uns dort drüben ein Eis holen. Wünsche?« Während Mat sich auf einer Bank niedergelassen hatte, hatte ich neben dem Mexikaner ein Eiscafé entdeckt. »Ich komm mit.« Er wollte sich bereits erheben, doch ich drückte ihn zurück. »Ich schaff das schon allein. Bleib du hier sitzen und schau nach Chico. Ruht euch etwas aus.« Kurz murrte er, gab mir dann aber wenigstens eine vernünftige Antwort: »Zitrone oder etwas anderes fruchtig-saures.« Ich drückte ihm Chicos Leine in die Hand und machte mich dann wieder auf den Weg zurück über die Kreuzung, um ihm ein Fruchteis und mir ganz klassisch Schoko- und Vanilleeis zu besorgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)