Rescue me von Evi1990 (When a dragon saves a puppy - Seto x Joey) ================================================================================ Kapitel 27: Rescue me... from planning our future (Part 1) ---------------------------------------------------------- „Waaaaaaaah!“ Mokuba und Joey schauten zusammen auf die Zeitung, die Seto ihnen vor die Nase hielt, und kamen aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Sie ließen sofort von ihrem Frühstück ab und der Blonde riss Seto die Seite aus der Hand. Sie überflogen den Text, der weniger eine objektive journalistische Berichterstattung als vielmehr ein Kommentar zu den vorangegangenen Ereignissen war. Gut, das war nur logisch, immerhin war dieser im Klatsch-Teil der Zeitung veröffentlicht worden – dass Seto da überhaupt einen Blick reingeworfen hatte, erstaunte Joey immens, aber auf diesen Gedanken konnte er sich nicht weiter fokussieren, als sein Blick weiter über die Seite glitt. Das Bild über dem Beitrag zeigte Seto und ihn – wie sie gemeinsam Hand in Hand den Konferenzsaal des Hotels verließen, in der die Pressekonferenz stattgefunden hatte. Ungeduldig begann er nun, auch den Text in Gänze zu lesen.   ‚Seto Kaiba, CEO der KaibaCorp, verkündete gestern Abend in einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz seine Beziehung zu seinem Klassenkameraden Joey Wheeler. Dass beide auch außerhalb der Schule Umgang miteinander pflegten, war bereits in den letzten Monaten publik geworden, da Mr. Kaiba in einen Gerichtsprozess bezüglich Mr. Wheelers Vater involviert gewesen war. Dieser wurde wegen Körperverletzung an seinem Sohn zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, die er zu diesem Zeitpunkt absitzt.   Dennoch überraschte diese Ankündigung zunächst alle anwesenden Journalisten, da Mr. Kaiba eher als verschlossen und unnahbar sowie als kalter Geschäftsmann gilt. Über sein Privatleben war bisher wenig nach außen gedrungen.   Dass Mr. Kaiba sich entgegen diesen Tatsachen dazu entschlossen hatte, der Öffentlichkeit diese Mitteilung zu machen, führte zu reichlich Erstaunen im Saal. Das löste sich aber spätestens zu dem Zeitpunkt auf, als Mr. Wheeler zu Wort kam, der ebenfalls an der Pressekonferenz teilgenommen hatte.   Zu Beginn kamen den Medienvertretern schnell Zweifel, ob dieser nicht doch nur an dem reichen Vermögen des CEO interessiert wäre. Eine solche Frage zu beantworten, kann sich schnell als schwierige Herausforderung entpuppen, insbesondere, wenn man wenig Erfahrung mit der Presse hat, so wie es bei Mr. Wheeler der Fall ist.   Es konnte allerdings schnell festgestellt werden, dass Mr. Wheeler ein sehr warmherziger, offener Mensch ist, der nicht davor zurückschreckte, diese Frage ehrlich und geradeheraus zu beantworten. So, wie er die Beziehung zu Mr. Kaiba geschildert hatte, blieb kein Zweifel offen, dass hier wahre Liebe im Spiel ist. Mr. Wheeler hat es in seinen Ausführungen spielend leicht geschafft, die perfekte Balance zu finden zwischen der Preisgabe von Details und dennoch notwendiger Diskretion. Mit viel Witz und Humor war es ihm gelungen, die Menge von sich und der Beziehung zu Mr. Kaiba zu überzeugen. Er hat die Anwesenden an seinen Emotionen teilhaben lassen und durch sein absolut authentisches Auftreten dafür gesorgt, dass das Publikum ihnen begeistert zujubelte und viel Glück für die Zukunft wünschte, als sie die Konferenz beendet und Hand in Hand den Saal verlassen haben.   Dadurch, dass so wenig aus dem persönlichen Leben des Seto Kaiba bekannt ist, ist es schwer zu beurteilen, inwiefern diese Beziehung Bestand haben kann. Wenn man jedoch Mr. Kaiba während Mr. Wheelers Monolog beobachtet hat, so war deutlich zu sehen, dass auch dieser dieselben Gefühle aufbrachte. Man sagt ja außerdem: Gegensätze ziehen sich an, und wenn das so ist, dann können wir uns gut vorstellen, dass die Zukunft viel Positives für die beiden bereit hält. Dass Mr. Wheeler es geschafft hat, das Herz eines Mannes zu erobern, der zuweilen als eiskalter Tyrann beschrieben wird, der niemanden wirklich an sich ran lässt, zeugt zumindest davon, dass nichts diese Beziehung so schnell erschüttern kann.   Wir von der Domino Post wünschen Mr. Kaiba und Mr. Wheeler in jedem Fall alles Glück der Welt. Auf dass ihre Liebe auf eine lange Zukunft blicken kann.‘   „Mokuba! Ich bin so glücklich! Ich möchte weinen!“, rief Joey laut und beschallte damit das gesamte Esszimmer, nachdem er den Text immer und immer wieder gelesen hatte, und da kullerten ihm auch schon zahlreich die Tränen über die Wangen. Auch der Kleinere konnte die Tränen nicht zurückhalten und nickte energisch, während sie beide noch immer jeweils mit einer Hand das Zeitungspapier fest im Griff hatten.   „Sie lieben dich, Joey!“, schluchzte Mokuba auf. Joey bewegte seinen Kopf immer wieder hektisch von oben nach unten und spürte, wie seine Wangen glühten. Er hatte ja im Vorhinein mit so ziemlich allem gerechnet, aber dass er sich nach der Pressekonferenz eine Lobeshymne auf sich anhören durfte, das hatte er tatsächlich nicht zu den realistischen Optionen gezählt. Ja, er hatte sogar das Gefühl, dass er Seto die Hauptrolle weggeschnappt hatte. Erleichterung machte sich in ihm breit und die ganze Anspannung, die er noch vor der Bekanntgabe ihrer Beziehung gespürt hatte, war mit einem Mal verflogen.   Als er Seto kurz auflachen hörte, hob er seinen Kopf und sah, wie er fokussiert, aber mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, auf sein Handy starrte. Dann schaute er auf und sah Joey direkt in die Augen, sein Blick war selbstbewusst und vielleicht auch ein kleines bisschen selbstgefällig.   „Joey, weißt du noch, als du gesagt hast, du hättest Angst, das Ganze könnte dafür sorgen, dass meine Firma darunter leidet?“ Joey nickte, seine Augen neugierig auf Seto gerichtet. Der Braunhaarige legte das Handy auf den Tisch, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste, als er erklärte: „Tja, ich hab‘ gerade die Zahlen von heute Morgen gecheckt. Es sieht so aus, als wenn ich 30% mehr Bestellungen reinbekommen habe im Vergleich zu einem durchschnittlichen anderen Tag – und es ist gerade mal sieben Uhr morgens.“   Joey riss erstaunt die Augen weit auf. Das zu hören, machte ihn nur noch glücklicher. Er hatte wirklich Angst gehabt, dass es Seto schaden könnte, und er wäre definitiv gewillt gewesen, es für immer ihr Geheimnis sein zu lassen, aber es war der Brünette gewesen, der dann schlussendlich darauf bestanden hatte, es trotz aller Risiken zu verkünden. Und Joey musste jetzt feststellen, dass ihn sein Instinkt nicht getäuscht hatte. Er war wirklich ein herausragender Geschäftsmann, das musste der Blonde ihm lassen, und er nahm sich vor, Seto in solchen Dingen in Zukunft stärker zu vertrauen. Er führte diese Firma jetzt schon einige Jahre und konnte es am besten einschätzen, und er hatte sich ja auch wirklich gut vorbereitet, das hatten sie beide. Und am Ende hatte es sich gelohnt – und das wohl offenbar nicht nur aus emotionaler Sicht.   Seto, der ihm bisher gegenüber gesessen hatte, nahm jetzt auf dem Stuhl neben ihm Platz. Er nahm eine von Joeys Händen in seine und führte sie an seine Lippen, dann sagte er: „Siehst du, es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Ganz im Gegenteil, statt mir zu schaden, bist du vielmehr zu meinem Goldjungen geworden, und ich finde, dieser Begriff passt in vielerlei Hinsicht perfekt zu dir.“ Joey war ihm nun ganz nah und konnte beobachten, wie Setos Augen immer unruhiger wurden, wie als wenn ein heftiger Sturm über dem Meer aufziehen würde, und wäre Mokuba jetzt nicht im Raum, würde er wohl über ihn herfallen, aber er versuchte, sich so gut es ging zu beherrschen.   Also gab er ihm nur einen flüchtigen Kuss auf den Mund und konnte genau erkennen, dass Seto das eigentlich auch nicht ausreichte, aber sie für mehr einen besseren Zeitpunkt abpassen müssten. Noch immer hielt er eine seiner Hände fest, während er seine zweite Hand nun an Joeys Wange führte und sie zärtlich streichelte. Joey entfuhr ein wohliger Seufzer und er drückte sich der Berührung noch mehr entgegen, während er Seto stumm und glücklich anlächelte und dieser es erwiderte.   Irgendwann kam Joey dann wieder in der Realität an, weil es eine Frage gab, die sie bisher noch nicht geklärt hatten. „Und was machen wir jetzt? Ich meine, wie verhalten wir uns in der Öffentlichkeit? Wir müssen uns zwar nicht mehr verstecken, aber... ich weiß nicht, es fällt mir schwer, mir genau vorzustellen, wie wir jetzt miteinander umgehen sollen.“   Seto nickte zustimmend und schien einen Moment in Gedanken. „Gute Frage, und so richtig eine Antwort habe ich darauf nicht, was vor allem daran liegt, dass ich in so einer Situation auch noch nie war.“   Als sich beide zunächst wieder in Schweigen hüllten, klinkte sich Mokuba plötzlich in die Konversation ein, und während er sich langsam wieder über sein Frühstück hermachte, sagte er: „Warum entscheidet ihr das nicht spontan? Ich glaube nicht, dass ihr das jetzt bis ins kleinste Detail durchplanen könnt. Schaut doch einfach, wie und womit ihr euch wohlfühlt, und dann seht ihr weiter.“   Joey sah ihn erstaunt an und kam nicht zum ersten Mal zu dem Entschluss, dass Mokuba erwachsener war, als er aussah oder sein Alter es vermuten ließ. Joey erinnerte sich, dass er vor der Pressekonferenz die Befürchtung gehabt hatte, dass Mokuba ebenfalls zu Schaden kommen könnte und ihm Karriereperspektiven verwehrt bleiben könnten, musste jetzt aber feststellen, dass diese Sorge wirklich unbegründet gewesen war. Wie Seto schon gesagt hatte, Mokuba war sehr schlau, und er stand ja erst kurz vor seinem 14. Geburtstag – wer wusste schon, wie er sich noch entwickeln und wie intelligent er dann erst sein würde, sobald er Setos Alter erreicht hatte. Joey seufzte auf – er wohnte hier wirklich mit zwei absoluten Wunderkindern zusammen.   Erst, als er Setos Hand auf seinem Oberschenkel spürte, entfloh er seiner Gedankenwelt wieder und sah ihm in die Augen, die mittlerweile wieder etwas sanfter und ruhiger geworden waren. „Mokuba hat recht, finde ich. Wir werden es schon wissen, wenn es so weit ist“, erklärte Seto. Joey stimmte nickend zu und erwiderte: „Klingt gut. Wir sollten langsam los, oder?“ Und als sie sich auf den Weg zur Limousine machten, wurde Joey dennoch das unsichere Gefühl nicht los, das sich in seinen Körper eingenistet hatte.   Die Fahrt verlief mehr oder weniger still, und trotz der Tatsache, dass Setos letzte Worte ziemlich sicher und stark geklungen hatten, machte sich eine angespannte Atmosphäre im Wagen breit. Als sie vor der Schule anhielten, blieben sie noch für einen kurzen Moment sitzen. Joey wandte sich Seto zu, der ein wenig die Stirn in Falten gelegt hatte, und Joey kam nicht umhin sich zu fragen, was dem Größeren wohl gerade durch den Kopf ging.   Seufzend brach Joey als Erster das Schweigen. „Meinst... du... es wissen schon alle?“, stotterte er, und wieder überkam ihn ein bedrohliches Gefühl vor dem, was ihnen jetzt unmittelbar bevorstand. Er konnte sehen, wie seine Worte Seto irgendwie aufschreckten, so als wäre er total in seinen Tagträumen versunken gewesen. Doch kaum erwiderte er Joeys Blick, setzte er wieder dieses selbstsichere Lächeln auf, und die Stärke, die er ausstrahlte, könnte Joey jetzt auch gut gebrauchen. Seto straffte sich, dann sagte er: „Finden wir’s raus.“   Und mit diesen Worten stieg Joey aus – und bemerkte sofort, wie sich kleine Grüppchen aus Schülern bildeten, die hemmungslos tuschelten und flüsterten. Es war nicht schwer zu erkennen, was gerade ihr Gesprächsthema Nummer eins war.   Für einen Augenblick war er so geschockt, dass er noch immer vor dem Wagen stand und sich kaum bewegen konnte. Ihm wurde plötzlich heiß und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. So viel dazu, dass sie schon wüssten, wie sie sich verhalten sollten, wenn es erst mal so weit war. Es war eher das Gegenteil der Fall – Joey hatte nicht den Hauch einer Idee, was er jetzt machen sollte. Die zusätzlichen Sicherheitskräfte, die Seto nach Bekanntgabe ihrer Beziehung angeheuert hatte, nahm er nur dezent im Hintergrund wahr. Aber vermutlich verstärkten diese die Neugierde ihrer Mitschüler sogar noch und packten sie in noch höherem Ausmaß ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit.   Mit fast schon zu lässigen Schritten lief Seto um das Auto herum, stellte sich neben Joey und verschränkte die Arme vor dem Körper, während er sich mit dem Rücken an den Wagen lehnte. Er scannte die Umgebung genau mit seinen Augen und kam dann zu dem offensichtlichen Schluss: „Tja, sieht so aus, als hätten die News schon die Runde gemacht.“   Wie konnte er dabei nur so ruhig bleiben? Normalerweise war es für Joey kein Problem, im Mittelpunkt zu stehen, in vielen Fällen genoss er es sogar, aber in diesem speziellen Fall war es ihm tatsächlich ziemlich unangenehm. Und das lag nicht daran, dass es ihm peinlich war, mit Seto zusammen zu sein. Aber woran lag es denn eigentlich dann? Wenn er jetzt so zurückdachte, da wurde ihm klar, dass er sich doch genau genommen sehr auf diese Situation gefreut hatte, wenn das Versteckspiel endlich ein Ende haben würde.   Hatte er Angst vor den Meinungen der anderen Schüler? Hm, nein, das war es nicht unbedingt. Es hatte ihn noch nie so richtig interessiert, was andere von ihm hielten, zumindest nicht, wenn es nicht seine eigenen Freunde waren, und die wussten ja schon etwas länger Bescheid.   Oder war es einfach nur, weil es so eine neue Situation war, die er noch nie erlebt hatte? Wie, wenn man das erste Mal Achterbahn fuhr, oder die Aufregung vor der allerersten Klausur? Schon eher, aber er hatte das Gefühl, auch das traf es noch nicht so richtig. Als wenn noch eine entscheidende Variable in dieser Gleichung fehlen würde.   Er stieß einen lauten Seufzer aus. Warum nur war die Person, die ihn an den Rand des Wahnsinns brachte, nur so oft er selbst? Dann blickte er neben sich, auf Seto, dessen Blick noch immer starr auf den Schulvorplatz gerichtet war. Dann fiel Joey auf, welcher Faktor in der Formel noch fehlte.   Joey wurde das Gefühl nicht los, dass es in ihren bisherigen Überlegungen weniger darum gegangen war, wie sie sich verhalten wollten als vielmehr, wie sie sich verhalten sollten. Die Komponente, die Joey also zusätzlich einschüchterte, war offensichtlich der Mann neben ihm, der ihm doch sonst immer so viel Sicherheit vermittelte. Die wichtige Frage war jetzt: Wie viel würde Seto zulassen wollen? Immerhin hatte er es bisher tunlichst vermieden, auch nur irgendwelche Gefühlsregungen in der Öffentlichkeit zu zeigen – wobei er da einen gewaltigen Schritt gemacht hatte, als er sich während der Pressekonferenz offen zu Joey bekannt hatte.   Und überhaupt, was wollte er eigentlich selbst? Würde er ihn berühren wollen, während alle Augen auf sie gerichtet waren? Würde er ihn küssen, auch wenn er sich sicher war, dabei beobachtet zu werden? Er hatte das Gefühl, sich im Kreis zu drehen, immerhin zielten doch auch diese Fragen wieder nur darauf ab, wie das auf andere wirken würde.   Er atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Es lief alles auf die eine Frage hinaus, die er sich zunächst selbst beantworten musste, bevor er auch nur einen Schritt in Richtung einer möglichen Lösung machen konnte: Was würde ihn selbst glücklich machen?   Er stellte sich vor, wie sie sich auf den Weg zur Klasse machten, so wie immer, ohne sich zu berühren, Seto ein paar Schritte hinter ihm und seinen Freunden. Das wäre wahrscheinlich die sicherste Variante, aber irgendwas daran machte ihn traurig. Es war alles so nervenaufreibend gewesen, die Pressekonferenz und auch deren Vorbereitung, und das alles nur, um dann wieder zu alten Mustern zurückzukehren? Nein, das war auf jeden Fall nicht, was er wollte.   Der nächste Gedanke, der ihm kam, war im Prinzip das komplette Gegenteil davon. Er handelte davon, wie Seto ihn mitten auf dem Weg küsste, aber es war nicht nur eine einfache, zärtliche, flüchtige Berührung, nein, es war ein richtiger Kuss, voller Leidenschaft und Verlangen nach mehr. Einer, bei dem Joey die gewaltige Hitze in sich aufkommen spürte, bei dem ihre Zungen wild umeinander tanzten und sich ihre Körper heftig aneinanderdrückten, während Setos Hände nicht schnell genug unter sein T-Shirt wandern konnten.   Joey blieb kurzzeitig die Luft weg, dann schnaufte er auf, die Augen noch immer geschlossen. Diese Idee hatte was, und irgendwie fand er die Vorstellung, seine Mitschüler damit zu schocken, auch unheimlich witzig. Aber nein, das wäre wohl ein bisschen zu viel des Guten. Es musste ein guter Mittelweg zwischen den beiden Gedankengängen sein, so viel stand auf jeden Fall schon mal fest.   „Hey, wollt ihr da einpennen, oder was?“ Als er Tristans laute Stimme hörte, öffnete Joey abrupt seine Augen und kam wieder in der Realität an. Er sah zu Seto rüber, der augenscheinlich auch in Gedanken abgedriftet war.   „Wie lange stehen wir hier schon, Seto?“   „Keine Ahnung, vermutlich länger, als wir sollten“, antwortete der Braunhaarige grinsend, und auch Joey musste schmunzeln. Wenigstens teilten sie dasselbe Schicksal.   Er beobachtete, wie Seto aufseufzte – und dann die Initiative ergriff. Er nahm seine Hand und sein Blick war ein wenig unsicher, doch dann verschränkte er ihre Finger ineinander und festigte seinen Händedruck. Er drehte sich jetzt mit seiner Vorderseite zu Joey und lächelte zaghaft. Joey bemerkte, wie er ein wenig im Gesicht errötete und er konnte einfach spüren, wie Seto sich gerade exakt dieselben Fragen gestellt hatte. Und das hier war das Ergebnis, das war offensichtlich, was ihn glücklich machte. Es war perfekt, genau der Mittelweg, nach dem Joey gesucht hatte, zumindest für jetzt. Es gab ihm wieder ein wenig den Mut zurück, der ihm so gefehlt hatte. Es war, als wären sie zu einer Einheit verschmolzen, an deren harter Schale die noch immer unaufhörlichen Blicke der anderen Schüler einfach abprallen würden.   Und als auch Joey seinen Händedruck verstärkte, da lächelte Seto noch ein bisschen mehr und er konnte die Sehnsucht in seinen Augen sehen, ihn noch mehr zu berühren. Und wer wusste schon, ob das von jetzt an nicht sogar möglich wäre? Sie hatten einen guten Startpunkt gefunden, der ihnen beiden ein Grundgerüst gab, auf dem sie aufbauen konnten, und gab ihnen eine Ruhe, nicht sofort entscheiden zu müssen, wie viel sich für sie richtig anfühlte. Sie hatten genug Zeit, das rauszufinden.   „Bereit?“, fragte Seto, und Joey nickte. „Bereit, wenn du es bist“, antwortete er, und als sie die ersten Schritte in Richtung von Joeys Freunden machten, um mit ihnen ins Schulgebäude zu gehen, da fühlte es sich für den Blonden auch so an, als wenn sie nun die Tür zu einer Zukunft öffneten, in der nichts sie mehr trennen konnte.   Natürlich wurden sie den ganzen Tag von neugierigen Blicken verfolgt, aber irgendwie hatte Joey sich da schneller dran gewöhnt, als er noch vor wenigen Stunden für möglich gehalten hätte. Angesprochen wurden sie darauf zumindest nicht, auch seine Freunde hatten dazu noch kein Wort gesagt, aber sie waren in der Früh auch so spät dran gewesen, dass sich bisher kaum eine Möglichkeit für ein längeres Gespräch ergeben hatte. Er wusste, das wäre sicherlich etwas für die Mittagspause, in der sie auch die notwendige Ruhe haben würden, das zu besprechen.   Als die Schulklingel dann endlich die große Pause ankündigte und sich alle Schüler in Richtung Kantine machten, trödelte Joey rum und war mit seinen Freunden und Seto einer der Letzten, die das Klassenzimmer verließen. Und gerade, als die Gruppe aus dem Raum trat, da konnte er Mitsuki direkt gegenüber an den Schließfächern stehen sehen. Seto trat neben ihn und nahm wieder seine Hand. Joey musste kurz auflachen – er konnte es genau in seinem Gesicht ablesen, dass er hier gerade sein Revier markierte, und das fand er zugleich amüsant wie idiotisch. Wie der Brünette auf die Idee kam, er würde ihn mal eben durch ein Mädchen ersetzen, mit dem er in seinem Leben kaum Worte gewechselt hatte, war ihm wirklich mehr als schleierhaft. Und dennoch – er genoss diese Geste auch, mochte dieses Signal an alles und jeden, das zeigte, zu wem er gehörte.   „Hey, geht doch schon mal vor, ich komme gleich nach“, sagte er an seine Freunde gerichtet, und als Seto keine Anstalten machte, sich auch nur einen einzigen Zentimeter von ihm wegzubewegen, ergänzte er: „Du auch, Seto.“ Er legte seinen finsteren Kaiba-Blick auf, mit dem er Mitsuki bedachte und Joey stellte sich nun zwischen sie beide, sodass er ihn anschauen musste. Er würde es nicht laut aussprechen müssen, damit Seto verstand, dass sein Verhalten absolut unangebracht war. Mitsuki hatte letzte Woche wirklich ihren kompletten Mut aufgebracht, um ihn nach dem Schulball zu fragen, und er war es ihr schuldig, ihr eine angemessene Antwort zu geben, auch wenn mehr als offensichtlich war, wie diese ausfallen würde.   Seto seufzte und wollte widerwillig seine Hand von Joeys lösen, doch Joey griff noch mal nach ihr und drückte sie fest. Der Braunhaarige hatte gerade zu verstehen gegeben, zu wem Joey gehörte, indem er seine Hand genommen hatte, und nun wollte Joey ihm genau dasselbe Zeichen geben. Er sollte sich zu keiner Sekunde sorgen müssen, dass er mal nicht mehr an seiner Seite stehen würde. Denn das würde nicht passieren. Niemals.   Joey löste ihre Hände, als Seto ihm ein winziges Lächeln schenkte und offenbar verstanden hatte, was er sagen wollte. Es machte ihn immer noch glücklich zu sehen, wie sie es schafften, etwas zu sagen, auch wenn sie gar nichts sagten. Sie hatten diese magische Verbindung aufgebaut, die er noch nie zuvor gespürt hatte, und er wusste, so jemanden würde es auf dieser Welt kein zweites Mal geben. Innerlich musste er lachen – für den Rest der Welt konnte er auch nur schwer hoffen, dass es keinen zweiten Seto Kaiba gab, es reichte schon einer, der versuchte, alles und jeden mit seinem eiskalten Blick kleinzukriegen.   Als auch Seto sich in Richtung Kantine bewegte, schaute er ihm noch für eine Sekunde nach, dann drehte er sich zu Mitsuki um und schenkte ihr ein freundliches Lächeln. „Sollen wir noch mal ins Klassenzimmer gehen? Da ist es vielleicht ein bisschen ruhiger.“ Sie hatte schon wieder Schwierigkeiten, ihn direkt anzusehen, aber trotz dessen konnte er sehen, wie ihr ganzes Gesicht rot wie eine Tomate war. Außerdem sah sie verletzt aus. Er ließ sie zuerst zurück in den Raum gehen und konnte nicht verhindern, sich schlecht zu fühlen, auch wenn er nichts falsch gemacht hatte. Aber dennoch – er hatte nie jemandem weh tun wollen, und ihre Gefühle schienen tatsächlich aufrichtig zu sein. Nur dass er sie eben nicht erwiderte.   Joey schloss die Tür hinter sich, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und steckte die Hände in die Hosentaschen. Mitsuki hatte sich ans Fenster gestellt und sah raus, so als ob sie draußen etwas ganz Wichtiges beobachten würde. Die Stimmung war unbehaglich und keiner von beiden schien so richtig zu wissen, was er sagen sollte. Doch dann brach Mitsuki das Schweigen, und ohne sich zu ihm zu drehen, sagte sie: „Ich habe die Pressekonferenz gesehen.“   Joey wusste nicht so richtig, was er darauf erwidern sollte. Er war noch nie in die Situation gekommen, jemanden zurückweisen zu müssen und es jetzt zu tun, fühlte sich, gelinde gesagt, nicht gut an. Aber ihm blieb nun mal nichts anderes übrig.   Und gerade, als er seinen Mund öffnen und etwas sagen wollte, drehte sie sich zu ihm um – und lächelte? Joeys Verwirrung stand ihm vermutlich ausdrucksstark ins Gesicht geschrieben, was sie sogar laut lachen ließ.   „Hör zu, Joey“, begann sie, „hätte ich das zwischen euch gewusst, dann hätte ich dich natürlich nicht gefragt. Tut mir leid, dass ich dich in so eine blöde Situation gebracht habe.“   Joey erwiderte ihr Lächeln und schüttelte den Kopf. „Hast du nicht, mach dir keine Sorgen. Selbst wenn ich gewollte hätte, hätte ich es dir letzte Woche noch nicht sagen können. Also wäre meine Antwort zu der Zeit wohl noch unzufriedenstellender gewesen.“ Er atmete ein Mal hörbar auf, dann ging er ein paar Schritte auf sie zu. „Tut mir leid, Mitsuki, aber ich kann nicht mit dir auf den Schulball gehen.“   Sie nickte, verlor ihr Lächeln aber nicht, und Joey konnte sehen, dass es tatsächlich echt war. „Das habe ich mir schon gedacht. Ganz ehrlich, ich war echt überrascht. Du und Kaiba, hm?“ Daraufhin brachen sie beide in Gelächter aus.   Joey wischte einige wenige Lachtränen aus den Augen, bevor Mitsuki erneut sprach. „Aber hey, ich wünsche mir, das, was ihr habt, irgendwann auch mal zu finden. Was du bei der Pressekonferenz gesagt hast... so eine Liebeserklärung wünscht sich wohl jeder mal im Leben. Und auch jetzt gerade im Schulflur – man merkt echt, wie ihr zusammen gewachsen seid. Als wärt ihr seelenverwandt.“   So hatte es Joey noch gar nicht betrachtet, aber er musste ihr zustimmen. Er verstand Seto blind, und er umgekehrt ihn.   „Mitsuki, ich wünsche dir, dass du so jemanden mal findest. Dieser jemand bin nur leider nicht ich. Wenn du die Pressekonferenz gesehen hast, dann weißt du, dass es für mich immer nur ihn geben wird. Es tut mir echt leid, dass ich...“   Doch da hob sie abwehrend die Hände und unterbrach ihn. „Kein Grund, dich zu entschuldigen, Joey. Wirklich, es ist alles gut.“   Lächelnd nickten sie sich beide zu, und er war froh, dass es so reibungslos ablief und er sich jetzt nicht vorwerfen musste, ein Mädchen zum Weinen gebracht zu haben. Er war erstaunt, dass sie das so mit Fassung nahm, wo sie vor wenigen Minuten doch noch so eingeschüchtert gewirkt hatte. Aber vielleicht hatte es auch einfach geholfen, dass sie sich in einen ruhigen Raum zurückgezogen hatten, unbeobachtet von anderen. Er konnte sich kaum vorstellen, dass eine Zurückweisung inmitten anderer Schüler wahnsinnig einfach zu ertragen gewesen wäre, auch wenn er das Glück hatte, das wohl niemals selbst erleben zu müssen.   „Gehst du auch in die Kantine? Begleitest du mich noch dahin?“, fragte Joey, und schon setzte sie sich in Bewegung. Der Blonde war erleichtert, dass sie das so schnell klären konnten, und auf dem Weg zum Essen unterhielten sie sich noch ganz locker über Schulkram, was ihn noch mehr entspannte. Als sie die Kantine betraten, winkte er ihr zum Abschied zu, ihre Wege trennten sich und Joey setzte sich zu Seto und seinen Freunden an ihren üblichen Platz.   „Und, wie hat sie’s aufgenommen?“, fragte Tristan ihn, kaum dass er sich hingesetzt hatte. Joey seufzte, konnte aber auch ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken. „Ganz gut eigentlich. Auf jeden Fall besser, als ich gedacht hätte.“ Seto, der direkt neben ihm saß, versprühte trotz der Tatsache, dass er Mitsuki gerade einen fetten Korb gegeben hatte, noch immer eine dunkle Aura. Belustigt stieß er Seto in die Seite. „Jetzt hör schon auf, so ein Miesepeter zu sein. Oder bist du etwa eifersüchtig, dass ich hier derjenige von uns beiden bin, der noch andere Verehrer hat?“   Als Antwort schnaufte Seto nur auf und widmete sich wieder seinem Essen, was Joey und den Rest der Gruppe laut auflachen ließ.   „Aber die Pressekonferenz war ja echt krass! Du hast überhaupt nicht nervös ausgesehen, Joey!“, rief Tristan fast schon bewundernd, kaum dass sich die Gruppe wieder beruhigt hatte. Joey grinste bis über beide Ohren, als er antwortete: „Ja, oder? War das nicht einfach richtig genial von mir, wie ich das hingekriegt habe?“   „Mmmmm-hm“, murmelte Seto gedehnt von rechts, den Blick weiter auf das Essen vor ihm gerichtet, und irgendwas an dessen Tonfall provozierte Joey. Der Blonde knurrte, bevor er sich zu ihm drehte und antwortete: „Was denn? War es so außergewöhnlich, dass ich vorher nervös war? Ich hab’ eben nicht so viel Übung mit der Presse wie du, du arroganter Saftsack! Und überhaupt, war ja nicht so, dass ich nur wegen mir angespannt, falls du dich erinnerst. Und als es dann drauf ankam, war ich ja wohl das Selbstbewusstsein in Person!“   Joey funkelte ihn wütend an, und als Seto seine Augen ganz leicht in seine Richtung drehte, da konnte er sie amüsiert glänzen sehen. Es war ganz offensichtlich, dass er ihn einfach nur hatte provozieren wollen, und er war ihm direkt in die Falle getappt. Als er das sah, schüttelte Joey den Kopf und musste ein bisschen über sich selbst lachen. Seto hatte einfach noch immer Spaß daran, ihn so vor seinen Freunden zu reizen – und irgendwie brauchte Joey das auch. Wenn sie allein waren, war es ganz anders zwischen ihnen, und dann, in der Gruppe, da entwickelte sich eine ganz eigene Dynamik, so als wären sie immer noch die Erzfeinde von damals. Eigentlich sollte Joey das stören, aber irgendwie gab es ihm auch das Gefühl von Normalität. Klar, ihre Beziehung hatten sie jetzt öffentlich gemacht, aber das bedeutete ja nicht, dass sie sich jetzt zwangsläufig komplett anders verhalten müssten.    Und außerdem – er fand es berauschend zu wissen, dass Seto die Seite, die er an den Tag legte, wenn sie allein waren, nicht jedem zeigte. Die Seite, die Joey immer wieder – mit Worten oder Gesten – signalisierte, wie sehr er ihn liebte. Natürlich nahm er die Zeichen auch wahr, wenn sie in der Öffentlichkeit waren, seien es die flüchtigen Berührungen oder die Blicke, die sie sich zuwarfen – aber es war eben deutlich subtiler. Und dennoch – Joey wusste immer genau, wie er sie zu deuten hatte. Und von nun an müssten sie ja auch nicht mehr ganz so unterschwellig sein, und dieser Gedanke ließ sein Herz nun doch ein bisschen hüpfen.   Joey seufzte auf. Er ließ sich trotzdem viel zu leicht von ihm provozieren – vielleicht sollte er sich eine gute Gegenstrategie überlegen? Irgendwas, was Seto mal total aus den Socken hauen würde? Ein winziges Grinsen legte sich auf seine Lippen und er nahm sich vor, einen Plan auszuhecken, um Seto in solchen Momenten auch mal aus der Reserve zu locken. Sein Ehrgeiz war geweckt.   Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als er Yugi sagen hörte: „Ist doch total normal, dass man vor so was Lampenfieber hat, Joey. Ich fand jedenfalls auch, dass du das echt souverän gemeistert hast. Und falls du doch aufgeregt warst, hat man es dir zumindest nicht angemerkt.“ Er sah, wie alle seine Freunde bestätigend nickten.    „Ja, und was du gesagt hast, war so schön, Joey“, ergänzte Téa und stützte ihren Kopf auf ihre Arme, und wenn Joey es nicht besser wüsste, hätte er fast so was wie Herzchen in ihren Augen erkannt. Joey errötete leicht und lächelte schief, wurde ein wenig unsicher und wusste nicht so recht, was er darauf erwidern sollte. Es stimmte, alles, was er gesagt hatte, war wahr, und er hatte einfach den Worten seines Herzens freien Lauf gelassen. So emotional hatte er bisher noch über nichts und niemanden gesprochen, schon mal gar nicht, wenn Fernsehkameras auf ihn gerichtet waren. Aber er hatte nicht anders gekonnt, die Worte waren einfach so aus ihm herausgeflossen. Selbst wenn er sich hätte zurücknehmen wollen, geschafft hätte er das vermutlich nicht.   Da spürte er plötzlich Setos Hand an seinem Oberschenkel und konnte sehen, dass auch sein Blick ein bisschen weicher geworden war, wenngleich er sich sicher war, dass das niemand anders bemerken würde. Für jeden, der ihn nicht so gut kannte wie der Blonde, sah er aus wie immer, und Joeys Herz schlug schneller bei dem Gedanken, dass nur er ihn so sehen konnte, und Seto nur ihn es sehen ließ. Joeys Mundwinkel zogen sich ein wenig in die Höhe und er legte seine Hand auf die des Brünetten. Zunächst streichelte er sie sanft, während sie sich unablässig in die Augen sahen. Seine Haut war ein wenig rau und trocken, und sofort kam Joey der Gedanke, ob er ihm einfach mal eine Handcreme besorgen sollte. Dann bewegte er seine Hand unter die von Seto und schob seine Finger zwischen seine, erhöhte den Druck leicht. Ein warmes Gefühl breitete sich in seinem ganzen Körper aus und er würde ihn jetzt so gern küssen. Ob das ginge? Sie waren schon wieder in ihrer eigenen Welt, in der nichts zu existieren schien, außer sie beide. Setos Augen strahlten pure Sehnsucht aus, und unbewusst waren sie etwas näher aneinander gerutscht. Im Hintergrund konnte Joey wie gedämpft Geräusche wahrnehmen, aber das Einzige, was er klar hören konnte, war Setos Atem. Er war ruhig, hob und senkte seine Brust in absolut gleichmäßigem Rhythmus. Joey spürte jetzt, wie sich auch seine eigene Atmung ihm angepasst hatte, ohne dass er es so richtig gemerkt hatte. Es war, als wären sie eins, das nicht auseinandergerissen werden könnte.   Er wusste nicht genau, wie viel Zeit vergangen war, aber irgendwann kam er wieder in der Realität an, nahm die Geräusche von außen wieder bewusster wahr. Es war jedes Mal wieder atemberaubend, wie viel Macht Seto auf ihn hatte. Gerade noch waren sie mehr oder weniger streitlustig aufeinander losgegangen, und schon im nächsten Moment fühlte er nichts als diese tiefe Liebe, die nun auch jeder andere Mensch auf diesem Planeten sehen durfte.   Joey entwich ein kurzer, glücklicher Seufzer, bevor er ihre Hände wieder voneinander löste, damit er sein Bento rausholen konnte, um endlich auch was zwischen die Zähne zu kriegen. Und gerade, als er den Reißverschluss seiner Tasche öffnete, um die Box herauszuholen, schien Yugi ein neues Gesprächsthema zu beginnen, und es wirkte so, als hätte er damit bewusst gewartet und Seto und ihm diesen Moment Zweisamkeit – wenn man das in der Gruppe denn so nennen konnte – geschenkt.   „Also, wo wir doch vorhin über den Schulabschlussball geredet haben“, sagte Yugi und blickte neugierig in die Runde. „Habt ihr alle schon einen Plan, was ihr nach der Schule machen wollt?“ Noch bevor Joey überhaupt darüber nachdenken konnte, grinste Tristan schon siegessicher – als wenn das hier so eine Art Wettkampf werden würde – und ließ mit vor Stolz geschwellter Brust verlauten: „Also ich steig bei meinem Alten ein. Der hat eine Autowerkstatt und ich hab‘ sowieso schon immer mal ausgeholfen, in den Ferien und so.“   Yugi lächelte ihn freundlich an, als er antwortete: „Das ist ein klasse Plan, Tristan! Ich werde wohl irgendwann in den nächsten Jahren den Laden von meinem Opa übernehmen, wenn er in Rente geht. Das heißt, ich werde ihn nach dem Abschluss in Vollzeit unterstützen und mich darauf vorbereiten.“   Joey sah ihn erstaunt an. „Du willst nicht studieren, Yugi?“ Der Blonde war darüber ziemlich verblüfft, immerhin war Yugi einer der intelligentesten Menschen, die er kannte. Sollte er all das Potenzial, das er hatte, nicht besser nutzen?   „Na ja“, begann der Bunthaarige erneut und legte eine Hand an sein Kinn, während er über Joeys Frage grübelte. „Doch, schon, aber ich will mich, denke ich, erst mal auf den Laden konzentrieren und auch noch mehr Turniere spielen. Vielleicht nehme ich das Studium in ein paar Jahren in Angriff, es läuft mir ja nicht unbedingt weg.“   „Also ich will auf jeden Fall studieren“, sagte Téa und alle Augen richteten sich nun auf sie. Sie seufzte auf und stützte ihren Kopf auf einem Ellenbogen ab. „Ich lerne auch gerade schon für die Aufnahmeprüfungen, die ja noch vor dem Abschlussball anstehen. Das wird echt kein Zuckerschlecken.“   Yugi, der neben ihr saß, klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Das schaffst du schon, Téa. Und wenn du mal Hilfe brauchst, können wir auch gern zusammen lernen. Ich mache die Prüfung zwar nicht, aber manchmal hilft es, wenn man das nicht alleine machen muss.“ Téa lächelte ihn dankbar an und nickte.   „Tja, und was der Eisklotz da drüben machen wird, können wir uns wohl alle denken“, sagte Tristan und blickte Seto abschätzig an. Irgendwas daran machte Joey sauer, und bevor er sich zu angemessener Selbstkontrolle ermahnen konnte, kämpften sich die Worte in seinem Kopf schon wieder wie von selbst den Weg aus seinem Mund.   „Ey, du Idiot, kannst du dir vorstellen, wie hart Seto für seine Firma arbeitet? Er ist oft nicht vor Mitternacht zuhause und schafft es trotzdem, jeden Tag zur Schule zu kommen und von uns allen wohl so ziemlich die besten Noten zu schreiben. Außerdem – kannst du von dir behaupten, so was im Leben schon erreicht zu haben? Weißt du, wie krass erfolgreich seine Firma ist? Es ist doch wohl klar, dass er das nach der Schule nicht einfach aufgeben wird! Du bist echt so...“   Und noch während Joey sich so in Rage redete, spürte er schon wieder Setos Hand auf seinem Oberschenkel. Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, dass der Braunhaarige ihn zwar nicht direkt ansah, aber sein Blick insgesamt schon wieder – oder immer noch? – ein wenig weicher war.   Joey schnaufte ein Mal laut auf, dann lehnte er sich mit verschränkten Armen zurück an seinen Stuhl und murmelte: „Ist doch wahr.“   Seine Freunde grinsten ihn nur an. Machten die das etwa mit Absicht, weil sie wussten, wie sehr es ihn mittlerweile auf die Palme brachte, wenn man Seto angriff? Den Brünetten schien das wenig zu stören, aber er war Kritik vermutlich einfach auch gewöhnt, das ließ sich wohl nicht vermeiden, wenn man so in der Öffentlichkeit stand. Außerdem machte er keinen Hehl daraus, wie wenig er auf die Meinung anderer Wert legte, schon mal gar nicht auf die des ‚Kindergartens‘ – nur bei Mokuba und Joey schien er eine Ausnahme zu machen.   „Und du willst dann auch nicht studieren, Kaiba?“, fragte Téa und legte den Kopf ein wenig schief. Als Seto sie dann direkt anschaute, war sein Blick schon wieder so kühl geworden, dass die Luft zwischen ihm und Téa förmlich zu gefrieren drohte, aber er ließ die Hand auf Joeys Oberschenkel, bevor er antwortete: „Wozu? Alles, was ich wissen muss, um meine Firma zu führen, weiß ich bereits. Und alles Wissen, was ich in Zukunft benötige, kann ich mir auch so holen. Ein Studium würde mir keinen Mehrwert bieten und wäre sowieso viel zu generalistisch. Zeitverschwendung, sich mit so vielen Dingen zu befassen, die irrelevant für mich sind.“   Joey knabberte an seiner Unterlippe, während er darüber grübelte, was Seto da gerade gesagt hatte. Er hatte nicht unrecht, das musste Joey schon zugeben. Er hatte bisher auch noch gar nicht so richtig einen Gedanken daran verschwendet, was Seto wohl nach der Schule machen würde. Wenn man es genau betrachtete, war es aber eigentlich nur logisch, dass er sich noch stärker auf seine Firma konzentrieren würde. Ein ganz dezentes Lächeln legte sich jetzt auf Joeys Lippen – wenn er jetzt schon so erfolgreich mit seiner Firma war, wie gewinnbringend würde sie dann wohl werden, wenn Seto ihr erst seine gesamte Zeit widmen würde? Es war noch gar nicht so weit, und doch war Joey jetzt schon unsagbar stolz auf ihn. Er schüttelte den Kopf ob des sonderbaren Gefühls.   In diesem Augenblick drehte Seto ihm den Kopf zu, die Hand noch immer an seinem Oberschenkel. Der Brünette blickte ihn neugierig an, als er fragte: „Und du, Joey, was ist mit dir? Willst du studieren?“   Für einen Moment legte sich ein fassungsloses Schweigen über die Gruppe, dann brachen sie gemeinsam in schallendes Gelächter aus, auch Joey selbst, so sehr, dass sie kaum noch Luft bekamen, weil sie so sehr lachen mussten. Dass Joey diese Frage jemals gestellt werden würde, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, und seine Freunde schienen genauso überrascht davon.   Er wischte sich die Lachtränen aus den Augen, bevor er sich Seto zuwandte, um ihm eine Antwort zu geben. Noch immer halb lachend, erklärte er: „Nein, studieren werde ich nicht. Ganz ehrlich, Seto, dass ich den Schulabschluss überhaupt schaffe, grenzt doch schon an ein Wunder. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich die Aufnahmeprüfung für irgendeine Uni auch nur ansatzweise schaffen würde. Und überhaupt – hast du mich in den letzten Wochen oder Monaten auch nur ein einziges Mal wirklich lernen sehen?“   Nun musste auch Seto ein wenig schmunzeln, auch wenn Joey genau erkennen konnte, wie sehr er versuchte, es zu unterdrücken. Dabei würde es Joey jetzt wirklich gern sehen wollen, aber Seto konnte eben nicht so leicht aus seiner Haut heraus, zumindest im Moment noch nicht, auch wenn es durchaus Augenblicke gab, in denen er zugänglicher war, auch wenn sie nicht allein waren. Aber Joey würde ihn auch nicht ‚auf Teufel komm raus‘ ändern wollen.   Als Joey seine Hand wieder auf die von Seto legte, hörte er den Braunhaarigen erneut sprechen: „Und was willst du dann machen?“   Achselzuckend erwiderte Joey: „Ich werde einfach weiterhin im Café arbeiten, dann eben in Vollzeit. Ich hab‘ das schon lose mit meinem Chef besprochen, aber noch nichts unterschrieben. Ich mag meine Arbeit da, gerade den Kontakt mit den Gästen. Und ich könnte mir sowieso nicht vorstellen, den ganzen Tag im Büro oder in der Bibliothek zu sitzen. Da würde ich wahnsinnig werden vor Langeweile oder vielleicht eine Art Lagerkoller kriegen.“   Setos anschließende Reaktion verunsicherte Joey etwas. Der Brünette löste sich von ihm und wandte sich erneut seinem Essen zu, während er in sich hinein grinste, und Joey spürte eine Unruhe in sich aufkommen. Es sah so aus, als hätte der Größere gerade irgendeinen Plan gefasst, und Joey überkam jetzt schon ein schauriges Gefühl bei dem Gedanken, zu erfahren, was genau er im Schilde führte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)