Rescue me von Evi1990 (When a dragon saves a puppy - Seto x Joey) ================================================================================ Kapitel 21: Rescue me... from injustice --------------------------------------- “Verdammt!” Fluchend gab Joey auf. Diese dämliche Krawatte wollte einfach nicht so, wie er wollte. Nicht, dass er in seinem Leben schon viele Krawatten gebunden hätte, aber heute kam auch noch die Nervosität dazu. Eigentlich war es ein recht schöner Tag - es war mittlerweile Ende März, und auch wenn die Temperaturen noch immer nicht über 15 Grad hinausgingen, so wurden doch zumindest die Regentage weniger. Außerdem säumten Kirschblüten die Wege und wurden durch den Wind in alle Richtungen geweht.   Joey liebte diese Zeit des Jahres. Eigentlich. Denn heute würde er ihn wiedersehen und er wusste nicht, was das mit ihm machen würde. Würde er wütend werden, ihm auf offener Straße eins überbraten wollen, sich rächen wollen für das, was er ihm vor ein paar Wochen, ach, sein ganzes Leben lang angetan hatte? Würde er weinen müssen, weil es ihn emotional so bewegte? Oder würde er wieder in eine Leere verfallen, die dazu führen würde, dass er vor Gericht kein Wort rausbrachte?   “Lass mich das machen, Hündchen.” Plötzlich war Seto neben ihm aufgetaucht, der seine Frustration offenbar ganz deutlich erkannt hatte. Mit geschickten Handbewegungen band er die Krawatte so, wie sie sitzen sollte, während Joey wie ein trotziges Kind vor sich hin glotzte, weil er es nicht selbst geschafft hatte. Als Seto fertig war, betrachtete er sein Werk zufrieden und schenkte dem Blonden ein sanftes Lächeln. Joey seufzte, denn er wusste, noch würde er das sehen können, weil sie hier immerhin in seinem Apartment und daher allein waren, aber er war sich sicher, kaum hätten sie einen Schritt hieraus gemacht, wäre er wieder der kalte, unnahbare Kaiba, den er allen vorspielte. Dabei brauchte er ihn heute mehr denn je an seiner Seite.   Der Braunhaarige hob sein Kinn an und sah ihm zärtlich in die Augen. “Rede mit mir, Joey. Bist du nervös?” Joey sah ihm für einen Moment in seine wunderschönen, eisblauen Augen, bevor er seinen Kopf an seine Brust legte und erwiderte: “Ja, bin ich. Ich hab’ Angst davor, ihm zu begegnen. Ich wollte ihn in meinem Leben nie wiedersehen, Seto.”   Er spürte, wie Setos kräftige Arme sich um ihn schlangen, und sein gleichmäßiger Atem beruhigte ihn auf magische Weise. “Du weißt, du kannst die Aussage immer noch verweigern, weil er ein Familienmitglied ist, und dann lassen wir das die Anwälte klären.”   Joey schnappte sich Setos Hände und löste sich wieder ein wenig von ihm, um ihm in die Augen sehen zu können. “Aber was würde das bringen? Ich renne nicht weg, nicht mehr. Ich kann nicht mein ganzes Leben lang unter seiner Macht stehen. Genug ist genug, und wenn ich helfen kann, dass er seine gerechte Strafe bekommt, dann tue ich alles, was nötig ist.”   Seto legte ihm eine Hand auf seine Wange, dann strich er ihm zärtlich durchs Haar und sagte mit verklärtem Blick: “Du bist so stark, mein Hündchen. Ich habe dir das schon ganz oft gesagt, aber ich bin wirklich stolz auf dich.” Er gab dem Blonden einen liebevollen Kuss auf die Stirn und zog ihn noch mal ganz nah an sich, und Joey sog seinen Duft ein und versuchte, ihn abzuspeichern, um sich daran erinnern zu können, wenn es nachher schwierig werden sollte.   Seufzend beendete Joey den Körperkontakt erneut. “Sollen wir langsam los? Es wird Zeit.” Seto nickte. “Und denk daran, ich bin immer da. Wenn du deine Aussage machst, werde ich nicht im Raum sein dürfen, aber ich bin in Gedanken bei dir, hörst du? Du darfst nicht für eine Sekunde denken, dass du allein bist, denn das bist du nicht.” Mit diesen Worten flogen die Schmetterlinge, die es sich zu tausenden in seinem Magen bequem gemacht hatten, los und verteilten das Glücksgefühl darüber, dass sein Drache nur ihm gehörte, überall in seinem Körper.   Als sie aus der Limousine stiegen und vor dem Gerichtsgebäude ankamen, musste Joey blinzeln. Es war ein sehr sonniger Tag und er konnte die Kirschblüten überall durch die Luft fliegen sehen. Eigentlich würde er jetzt viel lieber auf einem der vielen Kirschblütenfeste sein, die ihm eine Abwechslung vom Alltag bieten könnten, aber nun musste er sich zunächst auf das konzentrieren, was ihm unmittelbar bevorstand. Und er wusste, das würde keine leichte Aufgabe werden.   Plötzlich nahm er Blitzlichtgewitter wahr und eine nicht zu überschauende Masse an Menschen kam auf Seto, der mittlerweile neben ihm stand, und ihn zu. Sie riefen alle durcheinander und Joey hatte große Probleme damit, zu verstehen, was hier überhaupt vor sich ging, aber er bemerkte, dass es wohl Journalisten waren. Klar, immerhin stand er hier neben Seto Kaiba, und wenn der in einen Gerichtsprozess verwickelt war, würde das eben für Aufsehen sorgen. Seto stellte sich ein wenig vor ihn - um ihn zu schützen? Dann wechselte er Blicke mit Roland, und sofort tauchten um sie herum Sicherheitsleute auf, die sie von den aggressiven Pressevertretern abschirmten, sodass sie sich nun endlich den Weg in Richtung Gerichtsgebäude bahnen konnten.   Am imposanten Gebäude, das vollständig aus Marmor zu bestehen schien, angekommen, trafen sie auf Joeys Freunde, die sich ebenfalls ziemlich rausgeputzt hatten und ihn lächelnd begrüßten. “Hey, Alter, alles klar?”, fragte Tristan als Erster, und auch wenn sie alle fröhlich aussahen, konnte Joey dennoch einen Anflug von Sorge in ihren Augen erkennen. “Bis jetzt ja”, antwortete der Blonde zögerlich und setzte ein schiefes Grinsen auf. Seto stand direkt neben ihm, was ihm ein wenig mehr Kraft gab. Seitdem sie es seinen Freunden gesagt hatten, hielt er nicht mehr so viel Abstand, wenn sie in der Gruppe standen, aber immer noch genug, damit niemand anderes Fragen stellte. Aber es war ein Fortschritt, über den Joey sehr glücklich war, und das davon ausgehende Glücksgefühl würde er heute festhalten wollen, weil er wusste, er würde es brauchen.   “Mr. Kaiba, Mr. Wheeler”, wurden sie dann von der Seite angesprochen, und Seto gab dem älteren, grauhaarigen Mann die Hand. Joey hatte ihn bisher nur ein Mal getroffen, seinen Anwalt, um die Details für die Verhandlung durchzusprechen. Allerdings war auch bei diesem Treffen Seto dabei gewesen.   “Mr. Wheeler, es ist alles so, wie wir besprochen haben. Zuerst werden Sie vernommen, dann die Zeugen, erst zum Schluss Ihr Vater. Sie werden während der gesamten Verhandlung anwesend sein, die Zeugen dürfen nur unabhängig voneinander im Saal sein, und auch nicht während Ihrer Befragung oder der Ihres Vaters.” Als er offenbar Joeys Unsicherheit bemerkte, ergänzte er: “Es wird alles gut gehen, Mr. Wheeler. Ich mache das hier schon sehr lange, das sieht man vermutlich an den wenigen Haaren, die mir überhaupt noch geblieben sind, und ich kann mittlerweile gut einschätzen, wie ein Fall ausgehen wird. Und bei diesem hier sehe ich ehrlich gesagt keine Anzeichen dafür, dass was schief geht. Neben all Ihren Zeugenaussagen gibt es ja auch noch den Arztbericht, und tatsächlich hat eine Verkehrskamera an einer nahe gelegenen Ampel den Vorfall aufgezeichnet. Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen Letzteres bisher vorenthalten habe, aber ich habe die Aufnahmen selbst erst vor etwa zwei Tagen sehen dürfen, aber seien Sie versichert, man erkennt genug. So einfach kommt er uns nicht davon.” Mit einem fast freundschaftlichen Klopfer auf den Rücken verabschiedete sich sein Anwalt, und Joey versuchte, ein freundliches Lächeln aufzusetzen und nickte ihm zu, als er sich ins Gebäude bewegte. Dennoch - seine Unsicherheit blieb, auch wenn ihn die Beweislage eigentlich beruhigen sollte.   Aus einem Impuls heraus drehte Joey sich um - und da sah er ihn auf das Gebäude zukommen. Er sah nicht ganz so heruntergekommen aus, wie er ihn in Erinnerung hatte, und er hatte sogar einen Anzug an, wo auch immer er den aufgetrieben hatte. Der Anwalt seines Dads sah deutlich jünger aus als der, den Seto ihm selbst besorgt hatte, und irgendwas daran erleichterte ihn. Und plötzlich trafen sich ihre Augen, als sie an ihnen vorbei ins Gericht gingen - und Joey konnte all den Hass sehen, den sein Dad in seinen Blick legte, all die Verachtung spüren, denn mehr hatte dieser nicht für seinen Sohn übrig, so schien es zumindest. Joey wollte ihm keine Macht mehr über sich geben, ihm zeigen, dass er keine Kontrolle mehr über ihn hatte und dass er nun seine gerechte Strafe für all das bekommen würde, was er ihm angetan hatte, aber dennoch wurden seine Knie weich. Es war wie ein Automatismus, dem er sich nicht entziehen konnte, und gerade, als er das Gefühl hatte, er würde fallen, legte ihm Seto seinen Arm über die Hüfte, um ihn zu stützen. Joey wusste, welches Risiko er damit einging, und er war unheimlich dankbar dafür, dass er jetzt einfach bei ihm war.   “Alles in Ordnung, Hündchen. Er kann dir nichts mehr tun.” Setos Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber der Blonde konnte es dennoch genau wahrnehmen. Ihm war nach Weinen zumute und er wollte flüchten, ganz weit weg rennen, aber er wusste, das würde es nicht besser machen. Vermutlich würden die Geister der Vergangenheit ihn dann sogar noch länger belagern. Nein, er musste sich dem stellen und musste auf das vertrauen, was sein Anwalt ihm gerade gesagt hatte. Und während auch sie das Gerichtsgebäude betraten, legte ihm Seto, ganz leicht nur, die Hand auf den Rücken, und diese Berührung brannte noch unter seiner Kleidung, als er seine Freunde hinter sich ließ und allein mit seinem Anwalt in den Verhandlungssaal trat.   ~~~~   Seto wurde langsam unruhig. Er wusste, er wäre der erste Zeuge, der aufgerufen werden würde, und die Verhandlung hatte schon vor etwa 30 Minuten begonnen. Er hatte es nicht zeigen wollen, wollte für Joey stark sein, aber er hatte Angst davor, was dieser Tag mit seinem Hündchen machen würde. Aber egal, was es war, er würde bei ihm sein, was immer kommen mochte, und ihn immer unterstützen. Dennoch hoffte er, dass das Loch, in das er zu fallen drohte, nicht zu tief sein würde, und das Seil, dass er ihm zuwerfen würde, lang genug wäre, um ihn da raus zu holen.   Dann öffnete sich endlich die Tür und ein Gerichtsdiener rief ihn in den Saal. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet, als er den großen Raum betrat - nur Joey drehte sich nicht zu ihm um, und das machte Seto nervös. Er ging an den Stuhlreihen vorbei, die vorrangig für die Presse reserviert waren, bis er vorne im Saal angekommen war. Und als er an Joeys Tisch vorbei ging, an dem er zusammen mit seinem Anwalt saß, versuchte er, einen Blick auf ihn zu werfen, aber seine Augen waren nach unten gerichtet, auf seine gefalteten Hände direkt vor ihm auf dem Tisch. Was würde er dafür geben, ihn jetzt berühren und umarmen zu können, um ihm die Kraft zu geben, die er benötigte. Stattdessen ging er noch ein Stück weiter nach vorn, wo ein Tisch mit Stuhl aufgebaut war, an denen die Befragungen der Zeugen offensichtlich stattfanden.   Er nahm Platz, und sofort wurde er vom Richter angesprochen. “Bitte nennen Sie uns Ihren vollständigen Namen fürs Protokoll.”   “Seto Kaiba.”   “Vielen Dank, dass Sie heute hergekommen sind, Mr. Kaiba. Bevor wir die Befragung beginnen, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie die Wahrheit sagen müssen. Sollten Sie lügen, kann das strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Haben Sie das verstanden?”   “Natürlich.”   “Gut, dann beginnen wir. In welcher Beziehung stehen Sie zum Angeklagten?”   “In keiner.” Das war ein wenig gelogen - in seinen Gedanken hatte er diesen Mann schon ungefähr eine Million Mal umgebracht, auf alle erdenklichen Arten und Weisen, aber das war sicherlich nicht das, was der Richter jetzt von ihm hören wollte.   “Und ihr Verhältnis zum Kläger?”   “Wir sind befreundet, euer Ehren.” Das hatte er mit Joey vorher so abgesprochen - sollte er das gefragt werden, würde er so antworten, wie er es gerade getan hatte. Er musste ein Lächeln unterdrücken, als er sich daran erinnerte, was er noch zu Joey sagte, als sie das ausgemacht hatten - dass er sich einfach vorstellen sollte, er würde stattdessen sagen, dass er zu ihm gehörte, und nur zu ihm. Aber das war jetzt nicht der passende Ort dafür, und schon gar nicht die passende Zeit, um das auszuplaudern.   “Bitte schildern Sie uns die Ereignisse, wegen derer wir heute hier sind, aus Ihrer Sicht.”   “Selbstverständlich. An besagtem Abend saß ich in meiner Firma und habe noch spät gearbeitet. Dann erhielt ich einen Anruf von Jo… Mr. Wheeler. Er wirkte durcheinander und hat nicht viel gesagt, dann übernahm Yugi Muto, ein Freund von Mr. Wheeler, das Telefonat und bat mich, zu ihnen zu kommen. Sie waren nicht weit weg, etwa zwei Querstraßen von meiner Firma, und ich hatte mich sofort auf den Weg gemacht. Als ich ankam, waren neben Mr. Wheeler und Mr. Muto auch noch seine Freunde Tristan Taylor und Téa Gardner anwesend. Sie erklärten mir, dass sie ihn so in der Seitengasse, in der er gegen die Wand gelehnt lag, gefunden hatten, etwa fünf Minuten, bevor ich eingetroffen war. Mr. Taylor hatte bereits einen Krankenwagen gerufen. Ich habe Mr. Wheelers Wunden von Nahem begutachtet und konnte feststellen, dass er einige Verletzungen im Gesicht hatte und seine Kleidung zerrissen war. Er sagte mir, dass es sein Vater gewesen war. Als der Krankenwagen ankam, bin ich mit ihm ins Krankenhaus gefahren, wo seine Wunden versorgt wurden. Dort hat er mir auch erklärt, was genau passiert war, nämlich dass er auf dem Weg von seinem Job in einem Café von seinem betrunkenen Vater angefallen und verletzt worden war. Er durfte nach der Nacht wieder nach Hause und wir sind gemeinsam ins Polizeirevier gefahren, um direkt seine Aussage aufnehmen zu lassen.”   “Vielen Dank, Mr. Kaiba. Mr. Wheeler hat uns bereits verraten, dass er im Moment wohnhaft bei Ihnen ist. Können Sie mir sagen, wie es dazu gekommen ist?”   Seto musste tief durchatmen - auch das hatten sie besprochen, weil klar war, dass diese Frage aufkommen würde. Er konnte sich noch erinnern, dass sie darüber gestritten hatten, weil Joey nicht wollte, dass sie die ganze Wahrheit erzählten, aber Seto hatte ihm versichert, dass sie es mussten - wenn sie sich ein Lügenkonstrukt bauen würden, würde das früher oder später zusammenbrechen und könnte dazu führen, dass sein Vater nicht die Strafe erhielt, die er erhalten sollte. Außerdem müssten sie nicht unbedingt was von ihrem Deal erzählen, nur warum er überhaupt bei ihm wohnte. Das würde ja eher noch zur Schuld des Vaters beitragen, und auch wenn Joey so seine Probleme damit hatte, so hatte er am Ende doch eingewilligt.   “Kurz und knapp gesagt: Mr. Wheeler wollte sich das Leben nehmen. Später erklärte er mir, dass sein Vater der Hauptgrund dafür gewesen war. Seine Freunde haben mich um Hilfe gebeten und ich habe Mr. Wheeler davor bewahrt, von einem Hochhaus in den Tod zu springen, und habe ihm angeboten, bei mir und meinem Bruder zu wohnen, damit er aus dieser Umgebung rauskommt.”   Er konnte Joey in diesem Moment zwar nicht sehen, aber er konnte sich vorstellen, wie es ihm gerade gehen musste, mit dem Mann in einem Raum, der ihn fast dazu getrieben hatte, sein eigenes Leben auszulöschen. Schon wieder stieg die Wut in Seto auf, und er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht aufzuspringen und diesem Widerling ins Gesicht zu schreien, was für ein abartiges Monster er war. Nein, das würde nicht helfen, ganz im Gegenteil, also versuchte, sich selbst zu beruhigen, indem er langsam ein- und ausatmete.   “In Ordnung, Mr. Kaiba. Ich möchte jetzt beiden Seiten noch die Gelegenheit geben, weitere Fragen zu stellen. Wir beginnen mit dem Anwalt des Klägers. Haben Sie weitere Fragen an Mr. Kaiba?”   “Die meisten Fragen wurden bereits gestellt”, begann Joeys Anwalt, “aber eine letzte Frage hätte ich noch: Mr. Kaiba, warum haben Sie Mr. Wheeler geglaubt, dass es sein Vater gewesen war? Hätte es nicht auch einfach jemand anders sein können, und Mr. Wheeler wollte es seinem Vater in die Schuhe schieben?”   Kaum hörbar schnaufte Seto auf. Er musste sich ermahnen, nicht an die Decke zu gehen, der Anwalt machte hier nur seinen Job, und der Braunhaarige kannte ihn aus anderen gemeinsamen Fällen, die allerdings meist seine Firma betrafen, mittlerweile so gut, dass er wusste, dass er exzellent darin war. Außerdem hatte er ihn schon vorgewarnt, dass er diese Frage stellen würde – um sowohl seine als auch Joeys Glaubwürdigkeit zu erhöhen.   “Berechtigte Frage”, begann Seto und versuchte, so gut es ging, die Ruhe zu bewahren. “Allerdings habe ich seinen Vater bereits selbst in Aktion erlebt. Ich habe Mr. Wheeler damals, kurz nachdem er zu uns gekommen war, nach Hause begleitet, damit er ein paar Sachen holen konnte. Sein Vater war betrunken und hatte versucht, sowohl mich als auch Mr. Wheeler anzugreifen. Wir konnten ihn einigermaßen in Schach halten, weil wir zu zweit waren, aber dieser Vorfall hat mir gezeigt, dass er durchaus mehr Schaden verursachen kann, wenn jemand allein mit ihm ist. Selbst, wenn er ziemlich betrunken ist.”   Joeys Anwalt nickte ihm zu. “Danke, keine weiteren Fragen.”   Nun war der Anwalt der Gegenseite an der Reihe und hatte offensichtlich erhebliche Schwierigkeiten mit dieser Verantwortung. Nervös blätterte er in seinen Unterlagen - als ob er da die Frage finden würde, die seinem Mandanten hier den Arsch retten würde. Lächerlich, mehr konnte Seto darüber nicht denken. Er hatte keine Chance, und dass er gerade in erheblichen Schwierigkeiten war, diesen Prozess entschieden für sich zu gewinnen, schien ihm wohl bewusst zu sein.   Dennoch wagte er den Sprung nach vorn, wenn auch nur zaghaft, als er mit leiser Stimme stammelte: “Äh, also… Mr. Kaiba, warum haben Sie Mr. Wheeler überhaupt geholfen? Soweit ich gehört habe, ist es ja nun kein gut gehütetes Geheimnis, dass Sie beide sich nicht gut verstehen.”   Was, das war alles, was er zu bieten hatte? Seto kam nicht umhin sich zu fragen, wie dieser Versager es überhaupt geschafft hatte, eine Anwaltslizenz zu erlangen. Aber ihm sollte es recht sein, würde es seinem Hündchen den Prozess doch nur erleichtern.   Seto überlegte kurz, wie er es genau ausdrücken wollte, dann begann er erneut zu sprechen. “Das stimmt, früher war das tatsächlich so. Aber wir sind eben auch erwachsen geworden, haben angefangen, normal miteinander zu kommunizieren, und haben uns angefreundet. Das habe ich ja vorhin schon erwähnt.”   Der Braunhaarige konnte ein dezentes, amüsiertes Zucken seiner Mundwinkel kaum verhindern, als er sah, wie der Anwalt von Wheeler Senior noch immer beträchtlich damit zu kämpfen hatte, eine einigermaßen funktionierende Strategie auszuarbeiten, um diesen Prozess hier zu gewinnen. Dass er das gar nicht konnte, war ihm scheinbar nicht bewusst, auch wenn er es verzweifelt versuchte. Außerdem - Seto hatte schon ganz andere Kämpfe ausgefochten, und in dieser langen Liste war dieser hier noch mit der einfachste.   Da ergriff der Staatsanwalt plötzlich das Wort. “Sehen Sie denn etwas Verwerfliches daran, Herr Anwalt? Ist es denn nicht normal, dass sich Freunde untereinander helfen?”   “Nein, nein, äh… ich…”, stotterte der Anwalt des Angeklagten. Setos Blick glitt nun zum Richter im Saal, der augenscheinlich auch schon mehr als genervt von der Inkompetenz des besagten Anwalts war, und fassungslos den Kopf schüttelte. “Haben Sie denn noch weitere Fragen, Herr Anwalt?”, fragte der Richter gereizt.   “Äh, nein, keine weiteren Fragen.”   “Gut, dann können Sie gehen, vielen Dank für Ihre Aussage, Mr. Kaiba.”   Als Seto sich von seinem Platz erhob, konnte er noch immer gar nicht fassen, wie einfach das gewesen war. Doch als er sich dann umdrehte, wurde ihm plötzlich wieder bewusst, dass es nicht für jeden im Saal so einfach sein würde, egal, wie unfähig der Anwalt auch sein mochte. Seto drehte sich um, und just in dem Moment blickte auch Joey nach oben. Der Braunhaarige konnte die leicht geröteten Augen im Gesicht des Blonden sehen, und für einen Moment übernahm die Sorge um Joey all seine Gedanken. Doch als er ihm, wenn auch nur für eine Millisekunde, richtig in die Augen sah, konnte er die Zuneigung und Wärme sehen, die er sonst auch darin entdecken konnte. Er wollte ihn so gern umarmen, ihm deutlich machen, dass er in Gedanken bei ihm war, aber er wusste, das hier war der falsche Ort. Er nickte ihm daher nur kurz zu, was Joey erwiderte, sein Blick war wissend. Und Seto war froh darüber, dass sie es nicht verlernt hatten, über Blicke zu kommunizieren. Sie hatten es sich in einer Zeit angewöhnt, als sie mit Worten noch nicht gut umgehen konnten, aber das hatte sich verändert. Wie so vieles anderes auch, aber Seto würde es gar nicht anders haben wollen.   Als Seto aus dem Verhandlungssaal hinaus trat, wurde Yugi reingerufen, und er gesellte sich zum Rest des ‘Kindergartens’, wenn auch widerwillig.   Nach und nach wurden alle reingerufen, um ebenfalls befragt zu werden. Der jeweils verbleibende Rest der Gruppe wartete draußen im Flur. Joeys Freunde saßen zumeist auf einer Bank direkt vor dem Verhandlungssaal, aber Seto konnte nicht. Er war einfach zu unruhig, um auch nur eine Minute still sitzen zu können.   Als dann alle dran waren, wusste Seto, dass es so weit war und Joeys Dad nun befragt werden würde. Das machte ihn nervös - würde er etwas sagen, dass Joey aus der Fassung brachte? Wie würde Joey es verkraften, ihn nur sprechen zu hören? Er hatte ja sehen können, was es mit ihm machte, wenn er nur im selben Raum wie dieser Bastard von Vater war. Je mehr Zeit verging, desto angespannter wurde er. Niemand aus der Gruppe sagte etwas, jeder hing seinen Gedanken nach, und zumindest Setos Gedanken kreisten augenblicklich ausschließlich um sein Hündchen, dem er so gern beistehen wollte, aber nicht konnte, zumindest nicht physisch.   Ungeduldig blickte er auf sein Handy - es war jetzt fast eine Stunde her, seitdem Gardner als letzte Zeugin zur Gruppe zurückgekehrt war. Was zum Teufel gab es denn noch so viel zu besprechen? Alle Beweise sprachen gegen Joeys Vater, und spätestens mit dem Video war ja wohl alles klar. Was brauchten die denn da drin so lange?   Doch gerade, als er das Gefühl bekam, es kaum noch auszuhalten, öffnete sich die Tür zum Verhandlungssaal und die ersten Journalisten strömten raus. Noch bevor sie ihn belagern konnten, wurden sie von seinem Sicherheitspersonal abgeschirmt und Setos Augen suchten den Raum nach seinem blonden Wirbelwind ab. Dieser stand gerade von seinem Platz auf und war kurzzeitig noch mit dem Rücken zu ihm gewandt, bis er sich umdrehte. Seto konnte nicht so richtig einschätzen, wie Joey sich fühlte - er sah kraftlos aus, war leichenblass, und je näher er auf ihn zukam, desto glanzloser wirkten seine Augen auf ihn. Wie in Zeitlupe kam er auf die Gruppe zu, und als er bei ihnen angekommen war, atmete er hörbar aus, so als ob er die ganze Zeit die Luft angehalten hätte.   “Ich…”, sagte er, doch dann brachen alle Dämme, die ersten Tränen kullerten seine Wangen hinab und er fing an zu schluchzen. Seto wollte ihm beruhigend die Hand auf den Rücken legen, aber Joey hatte andere Pläne, rannte die Gänge entlang und dann in eine Toilette hinein. Sofort rannte Seto ihm hinterher, gefolgt von Joeys Freunden, und als sie den Toilettenraum betraten, fand der Braunhaarige den Kleineren auf dem Boden hockend vor, und sein verzweifeltes Weinen brachte ihn fast um den Verstand.   Da öffnete sich die Tür erneut hinter ihnen, offensichtlich wollte jemand - berechtigterweise - diese Toilette benutzen, doch noch bevor Seto daraufhin etwas sagen konnte, kam ihm Taylor zuvor. “Hier ist besetzt!”, schrie er und zog die Tür kraftvoll zu.   Taylor sah zur Gruppe, sein Blick ernst, aber fest entschlossen, bevor er sagte: “Ich passe hier auf. Kümmert ihr euch um Joey.”   Als er wusste, dass niemand sie sehen würde, der nichts von ihrer Beziehung wissen durfte, rannte er mit schnellen Schritten auf Joey zu, setzte sich zu ihm auf den Boden und zog ihn in seine Arme, streichelte ihm behutsam über den Rücken und ließ die Tränen in sein Jackett einziehen.   Für einen Moment saßen sie nur so da, Joeys Schluchzen hallte im Raum wider, und Seto hatte das Gefühl, dass sein Herz gleich platzen würde. Er wollte ihm so gern helfen, aber er wusste nicht, wie. Wollte reden, und auch wenn ihm das einigermaßen gelang, wenn Joeys Familie dabei war, so war es mit dem ‘Kindergarten’ im Raum doch schon schwieriger. Er war genervt von sich selbst - warum kümmerte er sich jetzt darum, was der ‘Kindergarten’ dachte? Nichts war wichtiger als Joey, und außerdem wussten seine Freunde ja Bescheid. Er musste jetzt, verdammt noch mal, über seinen eigenen Schatten springen und ihm helfen, denn er wusste - allein würde der Blonde da nicht so einfach rausfinden.   Also legte er eine Hand an Joeys Wange und hob sein Kinn etwas an, sodass er ihm in die verweinten Augen sehen konnte, was ihm einen erneuten Stich ins Herz verpasste. “Joey, rede mit mir. Bitte…”, flehte er.   “Seto… er… er…”, versuchte es der Blonde, aber er atmete immer noch so heftig, dass er es nicht schaffte, viele Wörter über seine Lippen gleiten zu lassen. Seto war schon wieder mittelmäßig überfordert - mit Joeys überwältigenden Emotionen, mit seinen eigenen Gefühlen, mit der Tatsache, dass er sich krass überwinden musste, weil seine Freunde hier waren, aber auch, weil er nicht wusste, was los war. Sein ganzer Kopf war ein einziges Chaos.   “Joey”, hörte er Yugi von der Seite sagen. Er stand nah genug, damit Joey ihn hören und wahrnehmen konnte, aber dennoch mit gebührendem Abstand, so als ob er die ‘Intimität’ der beiden nicht stören wollte. “Versuch, ruhig ein- und auszuatmen. Ganz langsam. Genau, so ist es gut, ein und aus.”   Das schien tatsächlich zu funktionieren. Seto spürte, wie Joeys Muskeln sich ein wenig entspannten, und er würde es niemals laut aussprechen, aber er war für Yugis Hinweis dankbar. Joey hob den Kopf an und sah Seto nun in die Augen, nahm seine Hände und drückte sie, während er seinen Tränen weiter freien Lauf ließ.   “Seto, er… er hat versucht, es zu leugnen. Hat gesagt, er wäre das nicht gewesen, und dass ich ihm da was anhängen wollen würde.” Der Blonde pausierte und Seto strich ihm ein paar Tränen von den Wangen. Er hatte das Gefühl, da würde gleich ein ‘Aber’ folgen, also ließ er ihm die Zeit, die er brauchte, um sich zu sammeln.   Für einen kurzen Augenblick schloss Joey seine Augen, und als er sie wieder öffnete, konnte Seto all den Schmerz sehen, den Joey gerade fühlen musste, und er fühlte ihn mit ihm. Jede Faser seines Körpers tat weh. Dann sagte Joey: “Und dann haben sie die Aufnahmen gezeigt. Das war so offensichtlich er, dass selbst er es nicht mehr leugnen konnte. Und dann…”   Bevor der Blonde weiterreden konnte, sackte er weinend in sich zusammen, doch Seto durfte ihn nicht fallen lassen, musste ihn davor bewahren, die Dunkelheit zu umarmen. Joey musste bei ihm bleiben, komme, was da wolle.   Er nahm seinen Kopf nun zwischen beide Hände und versuchte ihm so, Stabilität und Sicherheit zu geben, den Mut, weiterzusprechen. “Was ist dann passiert, mein Hündchen?”, fragte er, und dass er ihn gerade mit seinem Kosenamen ansprach, auch wenn der ‘Kindergarten’ das vielleicht hören konnte, musste jetzt einfach egal sein. Sanft strich er ihn mit einem Daumen über die Wange und rutschte noch näher an ihn ran.   Seto konnte sehen, wie viel Mühe es den Kleineren kostete, die Worte in seinem Kopf auszusprechen, und wieder einmal bewunderte er ihn für seine Stärke, als er ihn sagen hörte: “Und dann ist er zum Angriff übergegangen. Hat gesagt, ich hätte es doch nicht anders verdient. Ich hätte ihn im Stich gelassen, wodurch er seine Wohnung verloren hat. Er… er hat gesagt, er hasst mich, dass ich nicht mehr sein Sohn wäre. Ich…”   Setos Verzweiflung schlug in pure Wut um. Wie kann dieser missratene Drecksack so von seinem Hündchen sprechen? Sein Zorn gab ihm jetzt offenbar den Mut, offener zu sprechen als er es bis hierhin geschafft hatte. Er blendete alles aus, weil er dafür sorgen musste, dass der Blonde nicht anfing, zu glauben, was sein idiotischer Vater da von sich gab.   “Joey, sieh mich an”, erklärte er, und der Blonde hob erneut seinen Blick, den er zunächst wieder gesenkt hatte. “Nichts, was er da gesagt hat, entspricht auch nur ein bisschen der Wahrheit. Nicht mal im Ansatz. Du hast mehr als genug für ihn getan, obwohl er davon nichts, aber auch gar nichts verdient hatte. Du bist so viel besser als er, Joey. Glaub mir, was er da von sich gegeben hat, sagt mehr über ihn selbst aus als über dich.”   Joeys Griff an seinem Ärmel verstärkte sich noch, als er erwiderte: “Aber Seto, wie kann er mich hassen? Habe ich mich nicht gut genug verhalten? Habe ich nicht alles für ihn getan? Habe ich als Sohn versagt?”   Das war es also, was ihn so mitnahm. Dass er Joey nicht mehr als Sohn erachtete. Seto konnte das zwar nur bedingt nachvollziehen, aber ein wenig verstehen konnte er es schon. Joey hatte in den letzten Jahren alles gemacht, um Anerkennung von seinem Vater zu bekommen, die ihm aber immer verwehrt wurde. Plötzlich erinnerte sich der Braunhaarige wieder daran, was Mokuba zu ihm gesagt hatte, als all das seinen Anfang nahm: dass Joey im Grunde einfach nur geliebt werden wollte. Er hatte immer die Liebe zu seinem Vater gesucht, und der heutige Tag hatte ihm den finalen Dolchstoß gegeben, gezeigt, dass all seine Hoffnungen völlig umsonst gewesen waren.   “Joey, das darfst du nicht glauben”, sagte Seto, und ein Hauch Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. “Du hast mehr getan, als du hättest tun müssen. Du darfst dir hier keine Schuld zuweisen. Du warst ein viel besserer Sohn, als er es jemals verdient hätte, aber er war nie der Vater, der er hätte sein müssen. Er hätte für dich da sein müssen, nicht andersherum.”   “Er hat recht, Joey”, übernahm Yugi erneut das Wort, und er konnte Gardner aus dem Augenwinkel heftig nicken sehen. Sie hatte sich bisher nicht in die Konversation eingemischt, aber es würde vermutlich auch nicht unbedingt helfen, wenn jetzt plötzlich alle auf Joey einredeten. Dennoch - Yugis Worte verfehlten auch dieses Mal ihre Wirkung nicht, und eigentlich hätte Seto eifersüchtig sein müssen, dass er es mit seinen Worten nicht geschafft hatte, diesen Effekt auszulösen, aber das stimmte so ja nicht. Immerhin bestätigte Yugi nur das, was Seto gerade gesagt hatte, und vielleicht half es Joey einfach, dieselbe Aussage von mehreren Menschen zu hören. Im Endeffekt war es auch egal - wichtig war, dass es ihm wieder besser ging, und Seto würde alles dafür tun, dass er es schaffte. Und wenn er dafür die Hilfe von Yugi oder den Anderen in Anspruch nehmen musste, dann war es eben so.   Als Seto Joey wieder intensiv in die Augen blickte, konnte er sehen, wie er sich ein wenig beruhigte, zwar sehr langsam, aber auch kleine Schritte waren Bewegungen in die richtige Richtung. Langsam versiegten seine Tränen, und Seto strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn, als er sagte: “Du bist ein guter Mensch, Joey. Ich weiß selbst, wie es ist, wenn die Familie auseinandergerissen wird, aber du darfst nicht vergessen, dass er vermutlich nie wirklich Familie war. Aber du hast deine Mum und Serenity, die dir immer zur Seite stehen werden. Außerdem hast du zusätzlich eine neue Familie - mich und Mokuba. Vielleicht werden wir alle das Loch nicht vollständig stopfen können, dass dein Dad hinterlässt, aber Joey, ich werde es versuchen, solange du mich lässt.”   Joeys Blick wurde weicher, seine Augen weiteten sich ein wenig - vermutlich war er genauso überrascht wie Seto selbst, dass er diese Worte in Anwesenheit seiner Freunde laut ausgesprochen hatte. Seto spürte Joeys Hand an seiner Wange, bevor er sagte: “Seto, ich…” Der Braunhaarige gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und zog seinen Kopf an seine Brust, umarmte ihn innig. “Ich weiß, mein Hündchen, ich weiß. Vergiss niemals, dass ich immer bei dir sein werde. Wir schaffen das zusammen, okay?”   Und als er an seiner Brust das Nicken des Blonden wahrnehmen konnte, machte sich plötzlich Erleichterung in ihm breit. Er konnte spüren, wie Joey langsam wieder er selbst wurde, und fühlte, wie er seine Umarmung erwiderte, als er seine eigenen Arme um Setos Körper schlang.   Stumm saßen sie einige Minuten so da, auch der ‘Kindergarten’ machte keinen Mucks und ließ ihnen ihren Moment in Frieden. Joey löste sich als Erster wieder, und Seto war erstaunt, ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen sehen zu können. Er wirkte noch immer kraftlos und erschöpft, aber wer wäre das nach so einem Tag nicht?   “Danke, Seto. Ohne dich wäre ich verloren.” Der Braunhaarige konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. “Nein, ich denke, es ist eher anders herum.” In Joeys Blick lag so viel Verbundenheit, dass es ihm einen wohligen Schauer über den Rücken bescherte, und das Lächeln beider Männer intensivierte sich noch mal ein wenig.   “Besser?”, fragte Seto und konnte Joey nicken sehen. “Ja. Lass uns von hier verschwinden.” Seto stand auf und streckte Joey seine Hand hin, die er dankend annahm. Schon wieder überkam Seto ein Déjà-Vu, als er Joey offenbar mit einem My zu viel Kraft hochzog und dieser an seiner Brust landete. Es erinnerte ihn an ihr ‘Date’ - auch wenn sie es damals niemals so genannt hätten - im Sportraum der Villa, und dieser Gedanke schenkte ihm eine erneute Gänsehaut, die sich auf seinem ganzen Körper ausbreitete.   Joey gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange, dann löste er sich von ihm, ohne das selige Lächeln zu verlieren. Seto fand es wunderbar, dass er ihn erneut aus der Dunkelheit befreien konnte, wenn auch nicht ganz ohne Hilfe. Nun merkte er, wie kräftezehrend dieser Tag auch für ihn selbst gewesen war. Daher sagte er: “Wollt ihr schon mal rausgehen? Ich komme gleich nach.” Joey war zwar verwundert, akzeptierte aber seinen Wunsch nach einem kurzen Moment Ruhe - immerhin war klar, dass da draußen wieder eine Horde an Journalisten auf ihn warten würde. Bevor er sich dem stellte, musste er kurz mal durchatmen.   Gemeinsam mit Gardner und Taylor verließ der Blonde die Toilette - nur Yugi rührte sich nicht von der Stelle. Seto lehnte sich mit dem Rücken gegen die kühle, weiß geflieste Wand und schloss für einen kurzen Moment die Augen, atmete tief ein und aus.   “Du magst ihn sehr, oder, Kaiba?” Seto sah zu dem Kleineren mit den bunten Haaren rüber und versuchte mit aller Macht, seine typische Kaiba-Maske aufzulegen, aber er hatte den Verdacht, dass es ihm nur mittelmäßig gelang. Dieser Tag hatte ihn mehr Energie gekostet, als er es sich gewünscht hätte.   Er drehte seinen Blick wieder von Yugi weg - er versuchte angestrengt, dagegen anzukämpfen, aber er wusste, es war hoffnungslos. Also nickte er zaghaft, sein Gesichtsausdruck blieb aber ernst. Er hörte Yugi freundlich lachen, und gerade als er ihm als Antwort darauf einen vernichtenden Kaiba-Blick zuwerfen wollte, kam ihm Yugi zuvor, indem er erneut sprach. “Das hat man wirklich gesehen. Ehrlich, als ihr uns eröffnet habt, ihr wärt zusammen, habe ich es wirklich nicht glauben können. Ich meine, ihr wart wohl immer die größten Streithähne, die ich je gekannt habe.” Erneut musste Yugi lachen.    Er hatte auf jeden Fall recht mit dem, was er sagte. “Es hat sich so viel verändert, seit ich den wahren Joey kenne.” Verdammt, hatte er das gerade laut gesagt? Yugis Gesichtsausdruck nach zu urteilen wohl schon. Yugi erwiderte seufzend: “Kaiba, du brauchst dich nicht schlecht zu fühlen, wenn du sowas laut aussprichst. Jetzt schau doch nicht so verblüfft, das habe ich dir genau angesehen. Wir sind Joeys beste Freunde, und es ist eigentlich auch ziemlich egal, warum ihr zusammen seid oder wie das gekommen ist. Wichtig ist, dass er glücklich ist. Okay, klar, heute sah er nicht wahnsinnig fröhlich aus, aus nachvollziehbaren Gründen, aber ohne dich wäre er nicht aus diesem Loch rausgekommen, da bin ich mir sicher. Und ich habe doch gesehen, wie er dich anschaut. Was auch immer du für ihn empfindest, er fühlt es auch für dich, das war klar zu sehen. Und ob du das jetzt hören willst oder nicht: Joeys Freunde sind auch unsere Freunde. Du kannst uns vertrauen, wir sind auf deiner Seite. Auf eurer. Du bist jetzt auch ein Teil dieser Gruppe.”   Yugi konnte sich ein Grinsen offenbar nicht verkneifen, als er Setos schockierten Gesichtsausdruck betrachtete. “Ja, dass dich das aus der Fassung bringen würde, habe ich mir fast schon gedacht. Ich geh’ dann schon mal zu den Anderen, du kannst ja dann nachkommen, wenn du dich wieder gefangen hast.” Yugi winkte ihm noch ein Mal kurz zu, dann war er verschwunden - und hinterließ einen mehr als verwirrten Seto Kaiba.   Okay, nochmal von vorne: Er war jetzt Teil des ‘Kindergartens’? Das konnte ja wohl nur ein schlechter Scherz sein. Er würde niemals Teil der Gummibärenbande werden wollen. Diese Gruppe bestand immerhin aus nichts als Versagern - okay, gut, wenn man mal von Joey absah. Na ja, und Yugis Erfolge in Duel Monsters waren auch unbestreitbar. Argh, nein, er durfte sich von den scheinbar netten Worten des Kleineren nicht einfach so einlullen lassen! Er war immerhin Seto Kaiba, war CEO einer international erfolgreichen Spiele-Firma und stand damit deutlich über diesem kleinen Karnevalsverein! Er konnte nur hoffen, dass Joey jetzt nicht auch auf die glorreiche Idee kam, ihn krampfhaft in diese Gruppe Spinner integrieren zu wollen. Für Joey würde er so ziemlich alles tun, aber das war dann doch eher ein Hardlimit.   Aber da war noch etwas anderes, das Yugi gesagt hatte, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging: Fühlte sein Hündchen genauso für ihn? Liebte er ihn? Und wie konnte er rausfinden, ob dem so war? Er konnte ihn ja schlecht einfach so fragen. Oder? Vielleicht würde es helfen, wenn er es ihm nochmal sagen würde? Aber was, wenn Yugi sich irrte? Machte sich Seto dann nicht zum absoluten Volldeppen, wenn Joey noch nicht so weit war?   Es war doch alles zum Mäusemelken! Und wie absurd diese Situation war: Er stand hier, in einer Toilette, in der er noch vor wenigen Minuten versuchte, sein Hündchen zu beruhigen, während er mit ihm auf den kalten Fliesen des Bodens saß. Das hatte zwar gut geklappt, aber am Ende durfte er sich dann die wirklich arg abstrusen Gedanken von Yugi anhören, dem er jetzt dafür danken konnte, dass er noch immer hier stand und sich den Kopf darüber zerbrach, ob Joey für ihn dasselbe empfand.   Seufzend stieß er sich von der Wand ab. Es half nichts, er würde einfach erstmal abwarten, was passieren würde. Irgendwann würde ihm schon eine Blitzidee kommen, er war immerhin Seto Kaiba. Und bis dahin würde er einfach dafür sorgen, dass es seinem Hündchen wieder besser ging. Mit diesen Gedanken verließ er den Toilettenraum und machte sich auf die Suche nach dem ‘Kindergarten’, bei denen er auch das Hündchen vermutete, nach dem er so süchtig war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)