Rescue me von Evi1990 (When a dragon saves a puppy - Seto x Joey) ================================================================================ Kapitel 14: Rescue me... from Mokuba ------------------------------------ “Wie lange musst du denn noch arbeiten? Komm endlich ins Bett, Seto.” Joey umarmte seinen Drachen von hinten und küsste ihn zärtlich in den Nacken. Seto hatte vor zwei Stunden gesagt, sich nur noch mal kurz an den Laptop setzen zu wollen, und seitdem saß er da, am Schreibtisch in seinem Schlafzimmer. Es sollte ja nur kurz sein, daher hatte er sich nicht in sein Arbeitszimmer verzogen - tja, soviel dazu.   Wie sie es ausgemacht hatten, verbrachten sie jede Nacht zusammen - mal in Joeys, mal in Setos Apartment. Sie achteten natürlich darauf, dass sie niemand sah oder jemand was von ihrer Abmachung mitbekam, aber sie hatten es die ganzen zwei Wochen, seitdem sie das beschlossen hatten, immer geschafft, auch wenn es sehr spät wurde und es im Zweifel nur hieß, dass sie nebeneinander im Bett schlafen konnten.   Joey sah auf die Uhr auf Setos Laptop - es war schon nach Mitternacht und sie hatten morgen wieder Schule und mussten daher früh raus. Außerdem wurde er ungeduldig, er wartete jetzt schon seit Stunden im Bett seines Drachen auf ihn, und auch wenn er es noch immer total faszinierend fand, Seto beim Arbeiten zuzusehen, so wollte er seine Aufmerksamkeit doch gänzlich für sich haben. Wobei er sich darüber eigentlich nicht beschweren konnte - selbst in der Öffentlichkeit konnte er sich dessen Aufmerksamkeit sicher sein. Natürlich versuchte der Größere es so gut es ging zu verstecken, aber Joey konnte es immer ganz deutlich sehen. Die heimlichen Blicke, die vermeintlich unbeabsichtigten, flüchtigen Berührungen ihrer Hände, wenn sie im Schulgang aneinander vorbei gingen… niemand schöpfte auch nur ansatzweise Verdacht, und irgendwie genoss Joey dieses Geheimnisvolle, auch wenn er sich manchmal wünschte, ihn noch mehr berühren zu können, ihn lächeln zu sehen.   Seto drehte sich seufzend zu ihm um und zog Joey so zu sich, sodass dieser nun auf seinem Schoß saß. Sofort legte der Blonde die Arme um Setos Nacken und zog ihn in einen zärtlichen Kuss. Als sie sich wieder lösten, sagte Seto: “Ich weiß, mein Hündchen, ich hatte nicht damit gerechnet, dass das jetzt noch so lange gehen würde. Ganz ehrlich, ich brauche definitiv einen neuen Personalchef, der jetzige stellt wirklich die größten Dummköpfe ganz Japans ein.” Joey musste leicht lachen und flüsterte ihm dann ins Ohr: “Lass mich dabei sein, wenn du ihn feuerst.” Seto grinste. “Bist du sicher, dass du das willst? Ich weiß nicht, wie toll er das fänd, wenn ich ihn rauswerfe und du dich mir dann sofort an den Hals wirfst.”   “Hm, okay, da hast du auch wieder recht. Nimm es wenigstens auf Video auf, damit ich es mir mit dir zusammen anschauen kann und dann über dich herfallen kann.” Seto zog Joey erneut in einen Kuss, dieses Mal etwas fordernder, und Joey konnte ganz deutlich die Leidenschaft und die Hitze in sich aufsteigen fühlen. Seto löste sich von ihm, strich ihm ein wenig die Haare aus der Stirn, bevor er mit sanfter Stimme sagte: “Zehn Minuten, okay?” Joey legte für einen winzigen Augenblick seinen Kopf auf Setos Schulter ab, genoss die Nähe und sog seinen ganzen Duft in sich ein. “Aber keine Minute länger.” Dann ging er zurück ins Bett, und tatsächlich kam Seto exakt zehn Minuten später zu ihm. Er hatte wieder ein weißes T-Shirt an, was Joey liebte, weil es Seto irgendwie weicher machte, nahbarer. Wobei an ihm eigentlich alles gut aussah, nur eben anders - seine Hemden und langen Mäntel waren sexy und Ausdruck für die Stärke des Größeren, aber wenn Seto so bei ihm lag, mit einem ganz normalen, weißen Shirt, da war er einfach unglaublich süß und einfach nur sein Seto, und Joey wusste, dies war ein Teil seines Drachens, den nur er und niemand anderes jemals zu Gesicht bekam. Joey zog den Braunhaarigen zu sich, und als sie da so eng umschlungen im Bett lagen, konnte Joey endlich friedlich in den Schlaf gleiten. Ohne Seto war es einfach nicht mehr dasselbe, und Joey wunderte sich jeden Tag darüber, wie sehr er sich schon daran gewöhnt hatte.   Am nächsten Tag fuhren sie, wie immer, gemeinsam zur Schule. Mittlerweile war es zur Gewohnheit geworden, dass Seto die Scheibe zum Fahrer der Limousine hochfuhr, sodass sie die Zweisamkeit bis zur letzten Minute auskosten konnten. Und bevor sie ausstiegen, küssten sie sich noch einmal zärtlich, denn kaum waren beide raus aus dem Auto, setzte Seto wieder diese unergründliche Kaiba-Miene auf. Joey war jedes Mal aufs Neue verblüfft, wie er sich so unter Kontrolle halten konnte. Ihm selbst fiel es etwas schwerer, aber zum Glück hatte er ja seine Freunde, die er sogleich freudestrahlend begrüßte und sich somit etwas ablenken konnte. Aber er konnte Setos Blicke in seinem Rücken deutlich spüren, als sich alle gemeinsam auf den Weg ins Schulgebäude machten.   Mittags in der Kantine unterhielten sie sich darüber, wie unglaublich doof sie ihre Mathelehrerin fanden, während Seto natürlich wie üblich an seinem einsamen Tisch am anderen Ende des Raumes saß. Joeys Blicke schweiften von der Gruppe zu seinem Drachen, der ihn wie selbstverständlich beobachtete. Joeys Blicke wurden weich und er konnte seine Augen einfach nicht von ihm lassen. Er zog ihn an wie ein Magnet. Er konnte seinen Blick erst abwenden, als er merkte, wie sein Handy in seiner Tasche vibrierte. Als er sah, von wem die Nachricht kam, musste er grinsen.   ‘Selbstkontrolle, mein Hündchen. Auch wenn ich natürlich weiß, wie atemberaubend gut ich aussehe.’   Joey überlegte grinsend, wie er darauf antworten könnte. Er hatte im Alltag sowieso schon so viel Sehnsucht nach Seto, dass er das Gespräch unbedingt aufrecht erhalten wollte. Vielleicht wäre das sogar ein guter Weg für beide, um trotzdem irgendwie beieinander zu sein, wenn sie von anderen Menschen umgeben waren. Joey würde es auf einen Versuch ankommen lassen und hoffte, seinen Wunsch nach Nähe somit zumindest etwas befriedigen zu können.   ‘Sagt der, der mich unablässig mit seinen Blicken durchlöchert? Obwohl ich es dir nicht verübeln kann, wenn ich du wäre, würde ich mich auch die ganze Zeit anstarren ;-) ‘   Joey hob unauffällig den Kopf, um Setos Reaktion zu sehen, aber dessen Gesichtsausdruck blieb neutral. Verdammt, wie konnte der Größere sich nur so gut im Griff haben? Joeys Herz machte einen Sprung, als er schon eine neue Nachricht von ihm auf dem Handy hatte.   ‘Touché. Wobei ich meinen Blick zumindest ein bisschen besser unter Kontrolle habe. Aber du hast recht, es ist schwer, dich nicht anzuschauen…’   Er sah kurz auf zu seinen Freunden, Tristan regte sich noch immer über seine schlechte Mathe-Note auf und keiner beachtete Joey. Dann atmete er tief durch und verfasste eine neue Nachricht an Seto.   ‘Dito. Ich würde so gern zu dir rüberkommen und in diese wunderschönen Augen schauen. Und dich küssen. Und dich berühren. Und von dir berührt werden. Überall.’   Bei dem Gedanken daran, ihm jetzt nah zu sein, bekam Joey überall eine Gänsehaut. Ob es dem Braunhaarigen gerade wohl genauso ging?   ‘Joey… dann stell dir doch einfach vor, es wäre so. Stell dir vor, ich berühre sanft deine Wange. Meine Lippen berühren deine, unsere Nasenspitzen streifen sich. Ich ziehe dich auf meinen Schoß, so wie gestern Abend…’   Worauf lief das denn hier hinaus? Joey wusste es nicht, aber er fand es wunderbar. Sie hatten gerade erst angefangen zu schreiben, und er war jetzt schon süchtig.   ‘Seto… ich erwidere den Kuss, lehne mich ganz nah an dich. Umarme deinen Nacken und ziehe doch noch enger an mich. Und dann öffne ich den ersten Knopf deines Hemdes, das übrigens wunderschön ist… genauso wie du…’   Joeys Herz pochte heftig in seiner Brust. War er damit zu weit gegangen? Während er eine Antwort abwartete, versuchte er sich ein wenig abzulenken und sich am Gespräch seiner Freunde zu beteiligen, aber er hatte überhaupt nicht zugehört und keine Ahnung mehr, worum es jetzt eigentlich ging. Also tat er einfach so, als würde er die Unterhaltung gespannt verfolgen und nickte dann energisch an den richtigen Stellen. Das Vibrieren seines Handys zog ihn allerdings wieder zurück in den Gedankenstrudel, aus dem er gerade vergeblich versucht hatte auszubrechen.   ‘Meine rechte Hand schiebt sich unter dein Shirt und streicht dir erst über den Rücken, dann deinen Bauch. Der Daumen meiner linken Hand streift deine Lippen und ich will dir dieses Seufzen entlocken, nach dem ich so süchtig bin…’   Joeys Atem ging schneller und er musste aufpassen, nicht tatsächlich aufzustöhnen. Dieser Drache machte ihn fertig.   ‘Ich öffne weitere Knöpfe an deinem Hemd, bis es endlich vollständig auf ist und ich es dir über die Schultern schieben kann. Dann küsse ich deinen Nacken und arbeite mich zu deinem Ohr vor…’   ‘Oh, Gott, Joey, ich fürchte, wir müssen hier aufhören. Ich kann sonst nicht mehr aufstehen. Musst du heute Abend arbeiten?’   Joey konnte den Gedankengang sehr gut nachvollziehen, ging es ihm doch ähnlich. Er wollte nicht aufhören, aber er wusste, er musste. Diese Geheimniskrämerei würde sich als noch schwieriger erweisen als er gedacht hatte… Er hatte Blut geleckt, und wenn sich die Gelegenheit ergab, würde er ihm wieder Nachrichten schicken. Heiß oder nicht, das war eigentlich egal, solange er das Gefühl hatte, mit ihm sprechen zu können, war ihm das schon genug. Zumindest für jetzt, für den Alltag. Was abends hinter verschlossenen Türen passierte, stand auf einem ganz anderen Blatt…   ‘Ich muss leider zustimmen, so schwer es mir fällt. Ich muss heute nicht arbeiten, und du bist heute Abend gefälligst auch Zuhause, zu einer Uhrzeit, zu der ich noch nicht aussehe wie ein Zombie!’   Joey musste über sich selbst grinsen. Normalerweise war nicht er derjenige, der hier die Befehle gab, aber er konnte sich einfach nicht beherrschen.   ‘Natürlich, ich will schließlich wissen, wie es weiter geht…’   Die Schulklingel ertönte und läutete das Ende der Mittagspause ein. Joey, der noch immer das Grinsen nicht los wurde, erhob sich und ging zusammen mit seinen Freunden in das Klassenzimmer.   Die nächsten Tage gestalteten sich eigentlich immer gleich, mit dem nun einzigen Unterschied, dass sie unablässig Nachrichten hin und her schickten, wann immer irgendjemand dabei war. Sie waren wie besessen davon, einfach immer mehr von dem Anderen zu kriegen, quasi jede Sekunde zusammen zu sein, auch wenn sie es nicht waren oder nicht sein konnten.   Mittlerweile war das auch schon am Frühstückstisch zur Gewohnheit geworden. Sie waren so sehr eingenommen, dass kaum noch reale Gespräche zustande kamen. Unaufhörlich tippten sie in ihre Geräte und warteten gespannt darauf, endlich wieder eine Antwort zu erhalten.   Mokuba war das nicht entgangen, und er hatte in den letzten Tagen immer wieder versucht, irgendwelche Gespräche anzufangen, hatte aber nur mäßig Erfolg. Auch an diesem Morgen versuchte er sein Glück wieder.   “Hey, Seto, wem schreibst du da?”   Seto schaute kaum von seinem Telefon auf und antwortete ganz trocken: “Ist für die Arbeit, Mokuba.”   Nun hob auch Joey den Kopf und nahm das Stirnrunzeln in Mokubas Gesicht wahr, als er zwischen Joey und Seto hin und her schaute. Er sah verstimmt aus, irgendwie wütend. Da vibrierte Joeys Handy wieder, also widmete er seine ganze Aufmerksamkeit erneut der Nachricht, die ihre letzte Nacht Revue passieren ließ.   Plötzlich stand Mokuba schwungvoll auf, und während er so aus dem Raum rauschte, konnte man seine wütenden Schritte noch auf dem Gang hören. Er hinterließ zwei sehr verwirrte Männer, die sich in diesem Moment nicht so richtig einen Reim drauf machen konnten.   Joey ließ der Vorfall des Morgens den ganzen Tag in der Schule nicht los. Was war passiert? Hatte Mokuba vielleicht einfach nur schlecht geschlafen? Hatte er Stress mit irgendwem? Hatte er Streit mit seinem Bruder und Seto hatte es Joey einfach nicht erzählt? Letzteres hielt Joey eigentlich für unwahrscheinlich, Mokuba und Seto wirkten immer wie ein Herz und eine Seele, wie zu einer Einheit verschmolzen. Er hatte sie noch nie richtig streiten sehen.   Auch abends machte sich Joey noch viele Gedanken, als er sich auf den Weg zu Setos Apartment machte. Vielleicht sollte er mit dem Braunhaarigen darüber sprechen, möglicherweise konnte der sich mittlerweile einen Reim darauf machen. Joey zog seine Schlüsselkarte durch den Schlitz von Setos Apartment - Seto hatte sie zwischenzeitlich dafür freigeschaltet - und als er die Tür öffnete, hörte er plötzlich ein Geräusch. Er drehte sich noch mal um, sah in alle Richtungen, aber - nichts. Der Gang war dunkel und schien verlassen. Hatte er sich verhört? Schulterzuckend ging er zu Seto ins Apartment, den er auf dem Sofa sitzend vorfand und der offensichtlich schon sehnsüchtig auf sein Hündchen wartete.   Joey gesellte sich zu ihm und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund.   “Hey, was ist los, mein Hündchen? Ich sehe doch, dass du über irgendwas nachdenkst. Du warst heute den ganzen Tag schon so abwesend.”   Joey legte sich mit dem Rücken auf die Couch und bettete seinen Kopf in Setos Schoß, der ihm sogleich sanft durch die Haare strich. “Weiß auch nicht, ich mache mir Gedanken, was das heute Morgen mit Mokuba war. Hast du eine Ahnung, was los ist?”   “Nicht wirklich”, erklärte Seto. “Hast du eine Theorie?”   Plötzlich kam dem Blonden ein Einfall. “Meinst du, er ahnt vielleicht was? Ich meine, er ist dein Bruder, er kennt dich wie seine Westentasche. Würde er nicht merken, wenn was anders wäre? Ist ja auch nicht so, als hätte es in den letzten Monaten nicht genug Anzeichen gegeben dafür...”   Seto überlegte einen kurzen Moment. “Schon möglich. Erzählt habe ich es ihm nicht, aber er hat eine ziemlich gute Antenne dafür, wenn sich Stimmungen verändern.”   Joey streckte eine Hand aus, um seinen Drachen im Gesicht zu berühren und ihm sanft über die Wange zu streicheln. “Meinst du, wir sollten es ihm erzählen?”   Seto nahm Joeys Hand und küsste dessen Handrücken, bevor er sagte: “Ich bin nicht sicher, Hündchen. Sollten wir nicht lieber noch ein bisschen abwarten? Ich vertraue Mokuba, daran liegt es nicht, ich weiß nur nicht... “   “Wann der richtige Zeitpunkt ist?”, vervollständigte Joey seinen Satz. Seto nickte, und der Blonde konnte das nachvollziehen. So, wie er Seto kannte, würde der sich einen ganz detaillierten Plan machen wollen, um die Situation möglichst gut kontrollieren zu können, selbst wenn - oder vielleicht gerade weil - es um seinen eigenen Bruder ging. Gedankenverloren gingen beide zu Bett und grübelten diese Nacht noch viel über die Frage nach, was sie tun sollten.   Der nächste Morgen war der letzte Samstag im Februar. Der März stand vor der Tür und Joey freute sich schon darauf, das kalte Wetter des Winters bald hinter sich lassen zu können und konnte es nicht abwarten, dass der Frühling seine Pforten öffnete. Auch wenn der Winter wunderschön gewesen war, er mochte die Wärme eben doch lieber. Es war ruhig im Esszimmer, Mokuba setzte genau wie sein Bruder eine neutrale Miene auf. Ob er sich wohl bewusst war, wie sehr er Seto jetzt gerade ähnelte?   Joey verfasste eine Nachricht an Seto.   ‘Ganz ehrlich, irgendwas ist mit Mokuba. Er wirkt doch sonst nicht so ernst.’   Er sah, wie Seto sein Handy in die Hand nahm und sogleich eine Antwort schickte.   ‘Stimmt, da ist was im Busch. Was sollen wir tun?’   Doch gerade, als Joey eine Antwort verfassen wollte, nahm Mokuba ihnen beiden diese schwierige Frage ab.   “Warum sagt ihr mir nicht endlich, was da zwischen euch abgeht?” Mokuba war aufgestanden und stützte sich mit beiden Armen auf dem Tisch ab. Er sah abwechselnd zwischen Seto und Joey hin und her, und es war nicht zu übersehen, wie aufgebracht er war, er zitterte sogar ein bisschen. Joey sah Seto an, und der schaute zurück, aber beide waren heillos überfordert mit der Situation.   “Kommt schon, glaubt ihr, ich bin dumm oder so? Ich sehe doch, dass ihr euch hier offensichtlich die ganze Zeit Nachrichten schickt. Außerdem habe ich Joey gestern in dein Apartment gehen sehen, Seto. Mit seiner eigenen Schlüsselkarte.”   Verdammt, das war also das Geräusch, er hatte sich also nicht getäuscht. Er ärgerte sich sehr darüber, doch so unvorsichtig gewesen zu sein, aber er hatte so über die Geschehnisse des Morgens nachgedacht, dass er wohl nicht so sehr darauf geachtet hatte. Außerdem war es schon nach 22 Uhr gewesen, das Personal war zu dieser Zeit schon lange nicht mehr unterwegs, und Joey fühlte sich sicher. Offensichtlich zu sicher.   “Joey, dir kann ich das gar nicht übel nehmen, aber Seto, dass du mir nichts erzählst, das enttäuscht mich. Ich bin dein Bruder und wir erzählen uns immer alles. Wirklich alles! Ich verstehe nicht, was ich falsch gemacht habe, dass du das jetzt plötzlich nicht mehr machst.”   Joey sah, wie dem Kleinen Tränen in die Augen stiegen. “Mokuba…”, sagte er und wollte aufstehen und zu ihm rüber gehen, ihn irgendwie trösten, doch Mokuba wehrte sofort ab. “Ich finde das echt unfair, Seto. Ich will meinen Bruder zurück.”   Mokuba entfernte sich vom Frühstückstisch und ging weinend hinaus. Mit einem Seufzen setzte sich Joey wieder hin, und es war für einen Moment still im Raum. Die beiden Männer mussten das Ganze jetzt erst mal sacken lassen. Doch dann ergriff Joey wieder das Wort. “Okay, er hat also offensichtlich doch geahnt, was los ist.”   Seto nickte nur, sah Joey an und die Verwirrung war ihm ins Gesicht geschrieben. “Ich verstehe nur nicht, warum er darauf jetzt so aufbrausend reagiert. Ich meine, klar, ich habe ihn nicht eingeweiht, aber das heißt ja nicht, dass ich das niemals gemacht hätte.”   “Na ja”, antwortete Joey, “ich kann es schon irgendwie verstehen. Das Band zwischen euch ist sehr stark, und ich glaube schon, dass ihr euch immer alles erzählt habt. Jetzt fühlt er sich vielleicht einfach ausgeschlossen und hat möglicherweise das Gefühl, ihr distanziert euch voneinander. Außerdem - er ist 13 Jahre alt, und wenn ich mir überlege, wie ich mit 13 war, war das hier noch gar nichts.” Das brachte sowohl Seto als auch Joey ein wenig zum Schmunzeln.   “Vielleicht sollte ich mit ihm reden?”, fragte Seto, doch Joey antwortete kopfschüttelnd: “Lass mich das machen. Er scheint wütender auf dich als auf mich zu sein, vielleicht kann ich eher zu ihm durchdringen. Aber wir müssen die Karten offen auf den Tisch legen, es wäre ungerecht, ihn jetzt anzulügen. Außerdem ist er dein Bruder, wir können ihm total vertrauen, weil ich weiß, dass er nie irgendwas machen würde, was dich verletzen oder in Gefahr bringen könnte.”   Seto nickte zustimmend. “Darf ich wenigstens dabei sein, wenn du mit ihm redest?”   “In Ordnung, aber halte dich bitte zurück. Egal was passiert, okay? Gut, wo könnte er denn hingegangen sein?”   “Vermutlich in sein eigenes Apartment. Das ist in der zweiten Etage.”   Sie nickten sich zu und machten sich auf den Weg.   Vor dem Apartment angekommen, holte Seto seine Schlüsselkarte raus und zog sie durch den Schlitz. Joey öffnete die Tür einen Spalt, drehte sich dann aber nochmal für einen Augenblick zu Seto um und sagte: “Du hältst dich im Hintergrund, während ich mit ihm rede, ja?” Seto willigte erneut ein und sie betraten das Apartment.   Sie fanden Mokuba auf dem Sofa sitzend vor, er spielte ein Videospiel auf seiner Konsole und sah noch immer ziemlich sauer aus. Sein Apartment war ungefähr so groß wie Joeys, aber deutlich liebevoller und persönlicher eingerichtet. Überall hingen Poster, Fotos mit seinen Freunden, und auch viele, viele Bilder, auf denen Seto drauf war. Joey hatte große Lust, sie sich alle genauer anzusehen, es schien, als ob es sowohl ältere als auch neuere Bilder von den Beiden gab. Aber heute war er in einer anderen Mission hier, auf die er sich jetzt voll konzentrieren musste.   Joey wusste nicht so recht, wie er anfangen sollte. Seto schloss die Tür hinter ihnen und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, sodass er ein wenig Abstand hielt. Joey atmete ein Mal tief durch und machte einen Schritt auf den kleineren Kaiba-Bruder zu.   “Hey, Mokuba, was spielst du da?”   Der zuckte nur mit den Schultern und antwortete, ohne Joey anzusehen: “Irgendwas, ist doch egal.” Seufzend setzte sich Joey neben Mokuba und schaute ihm ein paar Minuten lang beim Spielen zu. Dann setzte er wieder an. “Möchtest du darüber reden, was du da gerade gesagt hast?”   Mokuba sah nun endlich auf, allerdings an Joey vorbei, und schickte einen bösen Blick in Richtung seines Bruders. Tja, auch das Talent, andere mit einem einzigen Blick zu vernichten, lag wohl in der Familie. Dieser Gedanke brachte Joey etwas zum Schmunzeln. Dann sagte er: “Seto, kannst du uns für einen Moment alleine lassen?”   Joey sah, wie der Gedanke daran dem Größeren widerstrebte, aber er nickte kurz und ging in Mokubas Schlafzimmer. Allerdings schloss er die Tür nicht, sodass er noch immer mithören konnte. Dennoch schien Mokuba sich jetzt ein bisschen zu entspannen, auch wenn ihm nicht entgangen war, dass die Schlafzimmertür noch leicht offen stand. Er legte den Controller auf den Tisch und setzte sich im Schneidersitz auf das Sofa. Seine Hände spielten nervös miteinander und er betrachtete sie traurig, bevor er sagte: “Wehe, du tischst mir jetzt irgendwelche Lügen auf. Dann kannst du gleich wieder gehen.”   Das ließ Joeys Herz einen Moment aussetzen. Er hatte gar nicht so richtig gemerkt, wie ihm der Kleine in den letzten Monaten ans Herz gewachsen war. Und wenn man mal ehrlich war, wären Seto und Joey heute vielleicht gar nicht da, wo sie jetzt waren, wäre Mokuba nicht gewesen. Er hatte den Stein ja erst so richtig ins Rollen gebracht, mit seinen Ideen und Partys und seiner leidenschaftlichen Liebe für Weihnachten. Er war es ihm schuldig, jetzt ganz offen und ehrlich zu sein.   Joey setzte sich ebenfalls in den Schneidersitz, aber Mokuba zugewandt, um ihm vollkommene Offenheit zu signalisieren. “Versprochen, Mokuba, keine Lügen. Was willst du wissen?”   Mokuba schien einen Moment zu überlegen, dann fragte er schüchtern: “Was ist das zwischen euch?”   Auch Joey brauchte nun einen Moment, um über diese Frage nachzudenken. “Ganz ehrlich, Mokuba, es ist sehr schwer zu erklären. Und das liegt nicht daran, dass wir nicht wissen, was wir fühlen, sondern einfach daran, dass wir beide sowas noch nie erlebt haben. Aber falls das deine Frage beantwortet: Wir sind zusammen.”   Joeys Ehrlichkeit schien den Kleinen aus seinem Schneckenhäuschen herauszuholen, denn nun wandte auch er sich dem Blonden zu und spiegelte seine Sitzposition. Joey wartete ab, er wollte dem kleinen Kaiba alle Fragen beantworten, die er hatte.   “Seit wann?”, fragte Mokuba nun.   “Oh man, ich hab’ das Gefühl, ich werde jetzt jeden Satz anfangen mit den Worten: ‘Das ist sehr schwer zu erklären’.” Daraufhin musste Joey kurz auflachen, und auch in Mokubas Gesicht konnte er ein schiefes Grinsen erkennen. “Okay, aber jetzt mal im Ernst. Offiziell festgemacht haben wir das vor zwei oder drei Wochen. Und wenn du jetzt denkst, das wäre auf meinem Mist gewachsen, muss ich dich enttäuschen - dein Bruder hat das Wort ‘Beziehung’ das erste Mal ins Spiel gebracht.” Joey musste grinsen, als er Mokubas Erstaunen in seinem Gesicht ablesen konnte. Lachend gab Joey aber zu: “Nicht, dass es mich gestört hätte. Ehrlich gesagt war es auch schon davor klar, wir hatten nur noch keine offizielle Bezeichnung dafür gefunden.”   “Und wie hat das angefangen? Und wann wusstest du, dass es mehr ist?” Wow, der Kleine wollte ja wirklich alles wissen. Aber hey, Joey hatte versprochen, nicht zu lügen, und außer der Tatsache, dass sie wilden, hemmungslosen Sex hatten, würde er ihm auch alles erzählen. Er konnte sich sowieso kaum vorstellen, dass der Kleine an den dreckigen Bettgeschichten seines Bruders wirklich interessiert war. Beim Gedanken daran überkam ihn kurz ein wohliger Schauer. Er musste sich jetzt wirklich mal konzentrieren!   “Na ja, sagen wir mal so, du warst nicht ganz unschuldig daran. Ach komm, jetzt sieh mich nicht so an, als ob du nicht wüsstest, dass du uns einander in die Arme getrieben hättest mit deinen Ausflugsideen und Partys und allem.” Joey musste lachen, als er sah, wie Mokuba ein bisschen rot wurde. Er hatte schon das Gefühl, dass Mokuba für sein Alter sehr reif war - auf jeden Fall reifer als er selbst mit 13 - aber die kindliche Naivität war offensichtlich immer noch vorhanden. Und das war auch ganz gut so. Seto hatte seine Kindheit geopfert, damit Mokuba sie haben konnte, und wieder wurde ihm warm bei dem Gedanken, wie viel Seto für Mokuba aufgegeben hatte.   “Ich würde sagen, wirklich angefangen hatte es damals, als wir zusammen am Meer waren. Hat dir Seto je irgendwas davon erzählt, was auf diesem Ausflug passiert ist?” Der Kleinere schüttelte nur den Kopf, also fuhr Joey fort. “Wir haben eigentlich nur geredet. Über das, was ich so erlebt habe, in meiner Kindheit, und er hat mir von eurer Kindheit erzählt, und von Gozaburo.” Mokubas Augen weiteten sich. “Davon hat er dir erzählt?”   Joey nickte. “Ich war so überrascht wie du, glaub mir. Ich war aber auch von mir selbst überrascht. Ich habe ihm Dinge erzählt, die weiß sonst niemand über mich, nicht mal Yugi oder Serenity, nichtmal meine Mum. Bis heute nicht. Ich hatte das Gefühl, er hat mich an diesem einen Tag besser kennengelernt als es je sonst jemand getan hatte. Und ich glaube, das hat uns verbunden.”   Mokuba war die Überraschung noch immer ins Gesicht geschrieben. Und Joey wollte ihm unbedingt sagen, wie viel Mokuba Seto bedeutete. “Er liebt dich sehr, weißt du. Das wurde mir da erst richtig klar. Du warst gar nicht anwesend, aber seine ganze Aura, alles, was er sagte, war so voll von Gefühlen für dich, dass es keine Zweifel offen ließ.” Mokuba kamen vereinzelt die Tränen, aber er bedeutete Joey, weiterzuerzählen.   “Und dann gab es viele kleine Momente, immer dann, wenn wir unbeobachtet waren. Oder glaubten, es zu sein - damals im Kaiba-Land, da hattest du uns gesehen, wie wir nah beieinander standen, aber ich weiß gar nicht, ob du da so viel reininterpretiert hattest. Kannst du dich daran überhaupt noch erinnern?”   “Klar kann ich das. Das war ein richtig schöner Tag, den vergesse ich so schnell nicht.” Endlich hatte Mokuba sein Lachen wiedergefunden, was Joey umso glücklicher machte. Und als er ihn so lachen sah, war die Ähnlichkeit zu seinem großen Bruder wieder unverkennbar offensichtlich. Mokuba sprach weiter: “Ich hab’ euch schon gesehen und auch gemerkt, wie Seto immer wieder nach dir Ausschau gehalten hat. Aber so richtig was dabei gedacht habe ich mir ehrlich gesagt nicht. Ich glaube, ich war einfach auch so abgelenkt von dem ganzen Trubel auf dem Weihnachtsmarkt.”   “Kann ich gut verstehen, war ja auch richtig cool da! Vielleicht machen wir das irgendwann noch mal? Nur du und ich, ein Kumpels-Tag oder so?” Sofort antwortete ihm Mokuba freudestrahlend: “Das wäre so cool, Joey!” Lächelnd nickte ihm der Blonde zu.   “Und gab es auch an Weihnachten solche Momente? Ich war echt überrascht, als Seto deine Familie eingeflogen hatte.”   “Mhm, ich glaube, rückblickend betrachtet war das der Moment, der alles verändert hat. Weißt du, in meinem ganzen Leben hat mir noch nie jemand ein Geschenk gemacht, das mir so viel bedeutet hat. Und ich Idiot habe ihm einen Schlüsselanhänger vom Weihnachtsmarkt geschenkt. Kannst du dir vorstellen, wie dumm ich mir vorkam?” Beide brachen in ein lautes Lachen aus, bevor Joey weitersprach. “Das war ein ganz besonderer Abend. Und dann dieser Helikopterflug zwischen Weihnachten und Neujahr? Da bleibt mir heute noch die Spucke weg, ehrlich. Das war einfach… wunderschön, anders kann ich es gar nicht beschreiben.”   Joey verlor sich für einen Moment in den Gedanken, war plötzlich von Erinnerungen vereinnahmt und ließ noch mal alles Revue passieren, was in diesen wenigen Wochen vor Neujahr passiert war. Gedankenverloren sprach er weiter: “Und dann kam Silvester. Und ich wusste, ich war verloren. Ich glaube, da ist es mir zum ersten Mal auch richtig bewusst gewesen, weil ich vorher versucht habe, es zu verdrängen. Weißt du noch, als du mit meinen Freunden ins Treppenhaus gekommen bist und uns dort gesehen hast? Ihr habt uns bei unserem ersten Kuss unterbrochen.”   Mokuba schlug seine Hände vor seinen Mund. “Joey, das tut mir leid, echt, wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich…” Doch Joey unterbrach ihn, als er abwehrend seine Hände hob. “Keine Sorge, Mokuba. Es war auch so richtig schön. Tja, ich glaube, das war dann so richtig unser Anfang. War jetzt eine recht lange Antwort, ich weiß, aber du wolltest alles wissen, jetzt weißt du alles. Danach gab es noch einige andere schöne Momente, das Klavierkonzert zum Beispiel, das war einfach toll, und da wären wir wieder dabei, wieviel Einfluss du auf das Ganze hattest.” Für einen kurzen Moment stockte er, dann sah er den Kleineren wieder an, legte die Stirn ein wenig in Falten und fragte: “Aber sag mal, Mokuba, wieso hast du denn nicht schon früher was geahnt? Zumindest aus meiner Sicht gab es in den letzten Wochen und Monaten ja genügend Anzeichen. Ich meine, hallo, du hast uns doch schon an Heiligabend dabei erwischt, wie wir uns fast geküsst hätten, nur dass du da früh genug reingekommen bist, bevor wir es eigentlich getan hatten.” Joey musste wieder lachen, als er Mokubas schockiertes Gesicht sah.   “Ja, das stimmt schon, und ich habe dann schon gedacht, dass da was ist. Aber dann gab es auch wieder Wochen, wo ihr so distanziert wart, dass ich dann wieder dachte, ich hätte mir das eingebildet oder zu viel reininterpretiert. Das hast du ja an Heiligabend auch so gesagt. Erst in den letzten Wochen habe ich gemerkt, dass sich was verändert hat, dass ihr euch verändert habt.”   Joey setzte ein sanftes Lächeln auf. “Das stimmt wohl, und es war vielleicht auch ein steiniger Weg bis hierhin. Aber ich bin froh, dass wir jetzt da sind, wo wir sind, wirklich.”   Plötzlich hörte er Mokuba schluchzen, die Tränen rannen ihm über das Gesicht, als er sagte: “Ich freue mich so für euch, Joey. Ehrlich. Wenn Seto glücklich ist, dann macht mich das auch glücklich. Ist er glücklich?”   Joey streichelte Mokuba tröstend über den Kopf, dann erwiderte er: “Das fragst du ihn sicher lieber nochmal selbst, aber mir kommt er so vor. Und ich bin es auch, sehr sogar.”   “Aber Joey, warum hat Seto es mir nicht erzählt? Ich meine, was ich vorhin sagte, dass wir uns immer alles erzählt haben und so, das stimmte. Vertraut er mir nicht?”   Joey versetzte das einen Stich. “So ist das nicht, Mokuba. Ich glaube, wir wollten beide einfach rausfinden, was das ist zwischen uns, bevor wir dich einweihen. Er vertraut dir, bedingungslos, mehr als irgendjemand anders auf der Welt. Auf der anderen Seite müssen wir einfach auch vorsichtig sein, weißt du. Seto steht in der Öffentlichkeit und wir wissen nicht, wie sich das auf sein Image oder auf seine Firma - oder sogar auf dich - auswirken könnte. Er will dich beschützen, nicht dir weh tun. Wir haben gerade gestern darüber gesprochen, wann und wie wir es dir vielleicht sagen könnten. Glaub mir, er liebt dich wirklich, sehr sogar.”   Noch immer schluchzend, fragte Mokuba: “Stimmt das, Seto?” In dem Moment bemerkte Joey, dass Seto neben ihnen stand. Er ging in die Hocke, um auf der Höhe der beiden zu sein, bevor er zu Mokuba gewandt sagte: “Ja, alles, was Joey gesagt hat, stimmt. Auch wenn ich bei seinem Weihnachtsgeschenk vehement widersprechen möchte.” Joey bemerkte das sanfte Lächeln auf Setos Gesicht, als er seinem Bruder liebevoll über den Kopf streichelte. Er beobachtete diese tiefe Geschwisterliebe und kam nicht umhin zu glauben, dass es genau so sein musste. Er bewunderte Seto für das, was er für seinen Bruder getan hatte, und er war sich sicher, dass Mokuba nicht mal die Hälfte davon wusste, auch wenn dieser es vielleicht glaubte.   Seto übernahm wieder das Wort. “Aber, Mokuba, es stimmt auch, dass wir vorsichtig sein müssen. Das heißt, kein Wort zu niemandem, zumindest noch nicht, okay?”   Dieser nickte seinem großen Bruder zu. “Ich weiß. Aber bitte, versucht es nicht mehr, vor mir zu verheimlichen, in Ordnung?” Seto lächelte erst Mokuba und dann Joey an, eines dieser Lächeln, das sonst nur er sah. Doch statt Eifersucht, weil er das jetzt teilen musste, stellte sich ein ganz anderes Gefühl bei Joey ein, das ihn vollkommen vereinnahmte - das Gefühl von Geborgenheit. Das Gefühl, dass es genau so richtig war, wie es war. Das Gefühl von Familie.   Dann stand er auf. “Ich lasse euch mal allein, damit ihr auch noch etwas reden könnt.” Als Joey Anstalten machte zu gehen, fühlte er Setos Hand an seiner eigenen, und als er sich zu dem Größeren umdrehte, stand dieser hinter ihm und zog ihn näher an sich. “Joey…”, flüsterte er und konnte dann nichts mehr sagen. Vielleicht, weil sein Bruder dabei war, vielleicht auch, weil ihm nicht die richtigen Worte einfallen wollten. Am Ende war es auch egal, weil Joey alles, was er wissen musste, in Setos Augen ablesen konnte - und seinen Blick genauso intensiv erwiderte. Dann küssten sie sich zärtlich, und es lag so viel Zuneigung in dieser Vereinigung, dass Joey schon wieder Angst hatte, zu platzen. Dann lösten sie sich mit einem Lächeln voneinander und Joey verließ das Apartment. Und er war erleichtert, dass Mokuba jetzt die Wahrheit kannte.   ~~~~   Seto blieb mit Mokuba allein zurück, und schon jetzt vermisste er Joeys Anwesenheit. Noch immer klopfte sein Herz schneller, wenn er daran dachte, wie Joey ihre Geschichte beschrieben hatte. Es war gleichermaßen so akkurat wie liebevoll gewesen, dass es ihn unheimlich berührt hatte. Außerdem war er beeindruckt davon gewesen, wie rücksichtsvoll und achtsam er mit seinem kleinen Bruder umgegangen war. Er musste anerkennend feststellen, dass es tatsächlich eine gute Idee gewesen war, dass Joey zuerst mit ihm gesprochen hatte. Er wusste nicht, ob er dieses Gespräch auch so hätte führen können. Wieder einmal bewunderte er sein Hündchen für seine Wortgewandtheit, die Seto zwar auch hatte, beispielsweise auf Pressekonferenzen, aber wenn es um emotionale Angelegenheiten ging, war er doch oft überfordert. Sein Hündchen mit den goldenen Augen war da einfach ganz anders, und das war wundervoll.   Er drehte sich zu Mokuba um - und statt, wie er erwartet hatte, in glückliche Augen zu schauen, sah er Mokubas bedrückten Gesichtsausdruck. Sofort setzte er sich wieder neben ihn auf das Sofa. “Was ist denn los, Mokuba?” Mokuba sah ihm für eine Sekunde in die Augen, dann wandte er seinen Blick ab und blickte in seinen Schneidersitz, spielte nervös mit seinen Fingern. “Du wirst ihm weh tun.” Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Hatte Seto hier irgendwas nicht mitbekommen von dem, was Mokuba und Joey gerade besprochen hatten?   “Warum sollte ich das tun?”, fragte Seto verwirrt.   Da sah Mokuba ihn wieder an, und sein Blick war so intensiv, dass Seto Mühe hatte, diesem standzuhalten. Es war eben ein echter Kaiba-Blick.   “Hast du dein Ziel jetzt nicht erreicht? Du wolltest, dass Joey dir vertraut und sich in dich verliebt, und für mich sieht alles danach aus, als ob du geschafft hast, was du schaffen wolltest. Heißt das, dein nächster Schritt ist darauf ausgelegt, dass du ihn wieder abstößt?” Er sah Schmerz und auch ein bisschen Wut in Mokubas Augen aufblitzen.   Und plötzlich erinnerte auch Seto sich wieder an seinen Plan. Im selben Moment stellte er fest, dass er schon sehr lange keine Gedanken mehr daran verschwendet hatte. Eigentlich hatte er nur bis zu ihrem Tag am Meer bewusst daran gedacht, denn danach war alles anders gewesen. Es fiel ihm zunächst schwer, es zu sehen oder sich einzugestehen, aber es ging immer weniger darum, seinen Plan in die Tat umzusetzen, als vielmehr darum, mehr über sein Hündchen zu erfahren. Damals, als die Wellen so unerbittlich gegen den Steg schlugen, da hatte er gesehen, dass sie eigentlich gar nicht so verschieden waren. Sie haben nur unterschiedliche Wege eingeschlagen, wie sie mit dem Schmerz, den sie erlebt hatten, umgegangen waren. Während es Seto verschlossen, kühl und distanziert machte - zumindest für jeden außer Mokuba - so wuchs in Joey eine unbändige Wut, aber gleichzeitig auch das Gefühl der Machtlosigkeit, und er konnte damit nicht mehr umgehen, was ihn fast dazu bewogen hätte, seinem Leben ein Ende zu setzen. Als er ihn davor bewahrt hatte, da hatte es ihn noch nicht auf einer emotionalen Ebene berührt, es wäre ihm tatsächlich egal gewesen, ob er gesprungen wäre oder nicht. Und als er diesen Gedanken zu Ende führte, fragte er sich, was für eine Art Mensch er geworden war. Ließ ihn seine Vergangenheit doch nicht so kalt, wie er gedacht hatte? Hatte er einen Hass auf alles und jeden entwickelt und konnte das erst jetzt sehen? Oder warum wäre es ihm so egal gewesen, einen Menschen vor seinen Augen sterben zu sehen? Wenn er sich vorstellen würde, jetzt noch mal in derselben Situation zu sein, Joey so nah am Abgrund, da schmerzte sein ganzer Körper und seine Kehle schnürte sich zu. Er hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, weil das, was ihm die Luft zum Atmen gab, plötzlich fehlen würde. Und da wurde es ihm auf einmal bewusst. Als er diesen Plan gefasst hatte, kam er ihm wirklich gut durchdacht vor, aber leider hatte er eine Komponente außer acht gelassen - Joey. Den blonden, quirligen, liebenswerten, süßen, gleichzeitig sexy und leidenschaftlichen Wirbelwind, der ihn mittlerweile so vollkommen um den Finger gewickelt und vollständig vereinnahmt hatte.   Dann fiel ihm auf, was Mokuba da gerade eigentlich gesagt hatte. War sein Hündchen… verliebt in ihn? Wie sah man denn aus, wenn man verliebt war? Und wie verhielt man sich dann? Woran sollte er das denn erkennen, er, der von Liebe doch nun überhaupt nichts verstand?   Er musste diesen Gedanken auf einen späteren Zeitpunkt schieben, weil er wusste, dass ihm eine Antwort darauf nicht einfach vor die Füße fallen würde, und er bemerkte, dass Mokuba ihn erwartungsvoll anschaute. “Nein, Mokuba, vergiss den Plan, der ist Geschichte. Wobei, nur teilweise, wenn ich so recht drüber nachdenke. Ich habe Joey versprochen, ihm all das Glück zu geben, das er ertragen kann, und diesen Teil des Plans werde ich verfolgen, egal was kommt. Der Rest ist passé. Mokuba, alles, was Joey gesagt hat, stimmt. Und er bedeutet mir alles, hörst du? Ich würde ihm niemals weh tun, das könnte ich gar nicht. Ich will, dass er glücklich ist, denn dann bin ich es auch. Ergibt das alles irgendeinen Sinn?”   Und als er wieder in Mokubas Gesicht blickte, da sah er, wie der Kleine schon wieder ein paar Tränen unterdrückte. Aber er sah auch, dass das Strahlen in seine Augen zurückgekommen war. “Ja, tut es, Seto. Und ich bin wirklich froh, echt. Joey sah gerade so glücklich aus, ich hatte echt Angst, du würdest ihn verletzen. Aber ich sehe es jetzt - du hast dich verändert.”   Seto musste lächeln. “Stimmt, das haben wir beide. Er hat mich verändert.”   Und als Mokuba ihn in eine heftige Umarmung zog, war er plötzlich erleichtert darüber, dass sie darüber gesprochen hatten. Dass Mokuba jetzt wusste, dass das kein Spiel war, zumindest nicht mehr. Dass er wirklich bei Joey sein wollte, dass das alles auf Gegenseitigkeit beruhte.   Mokuba löste die Umarmung ein wenig und fragte dann an Seto gerichtet: “Weiß Joey davon, was du eigentlich vorgehabt hast?”   Plötzlich wurde Setos Miene finster. “Nein, und ich halte es auch für keine gute Idee, ihn einzuweihen.”   Nun schaute ihn sein kleiner Bruder skeptisch an. “Aber meinst du nicht, Joey hätte die Wahrheit verdient?”   Seto zögerte. Wenn Joey wüsste, was er eigentlich vorgehabt hatte, würde er dann noch bei ihm sein wollen? Er konnte dieses Risiko einfach nicht eingehen. Zumindest nicht jetzt. “Vielleicht erzähle ich es ihm irgendwann mal, Mokuba, aber im Moment will ich nichts riskieren. Versprichst du mir, dass du mir das überlässt und du ihm nichts erzählst? Ich habe wirklich ehrliche Absichten, Mokuba, und auch wenn das am Anfang nicht so war, so ist es doch jetzt so.”   Mit einem leichten Lächeln und einem liebevollen Ausdruck auf dem Gesicht antwortete der Kleinere: “Ja, das kann ich sehen. In Ordnung, solange du es jetzt vollkommen ehrlich mit ihm meinst, ist das ja auch alles, was zählt.”   Seto lächelte und streichelte Mokuba noch mal sanft über den Kopf, der sich daraufhin wieder eng an seinen großen Bruder kuschelte. Ja, Joey war ihm unheimlich wichtig geworden, und er durfte nicht riskieren, ihn zu verlieren. Er würde es ihm vielleicht wirklich irgendwann erzählen, aber im Moment wollte er nichts mehr, als ihn glücklich sehen. Und er würde alles tun, was in seiner - wohlgemerkt sehr großen - Macht stand, um genau das zu erreichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)