Besser, ihr rennt! - Old version von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 2: 1 -2 --------------- „Darf ich Ihnen noch etwas bringen?“, fragte die Kellnerin, und unwillkürlich zuckte Robin zusammen. Hob den Blick von der Tischplatte und starrte die junge Frau an, die da mit dem Notizblock in der Hand vor ihm stand und zwischen ihm und seiner Begleitung hin und her sah, augenscheinlich ein wenig ungeduldig auf eine Antwort auf ihre Frage wartend. Was war er in letzter Zeit bloß so schreckhaft? Schnell warf er einen Blick auf sein Glas, das vor ihm stand und bis auf einen kleinen Rest bereits leer war. Dass er sich nicht so recht daran erinnern konnte, seinen Tequila Sunrise ausgetrunken zu haben, war womöglich ein wenig bedenklich, aber auch nicht wirklich etwas Neues. „Ich nehme noch… einen Martini“, erwiderte er schließlich nach kurzer Überlegung, während Sapphire, die neben ihm saß, bloß abwehrend die Hand hob. Das Glas Aperol Sprizz, das vor ihr stand, war noch zur Hälfte gefüllt, und das, obwohl sie es sich bereits vor anderthalb Stunden bestellt hatte. Robin fand ihre Selbstbeherrschung bewundernswert… wobei es wahrscheinlich gar keiner Selbstbeherrschung bedurfte, überdurchschnittlich viele alkoholische Getränke in sich hinein zu kippen, wenn man keinen grundsätzlichen Drang danach verspürte. Bei ihm hatte dieser Drang in den letzten Monaten Ausmaße angenommen, die wahrscheinlich allmählich ernsthaft bedenklich wurden, aber so stressig, wie eben diese letzten Monate gewesen haben, hatte er nicht wirklich die Motivation dazu gehabt, etwas daran zu ändern. Alkohol entspannte zumindest. Beruhigte die Gedanken, meistens zumindest. Zugegeben, manchmal sorgte er auch für das genaue Gegenteil, ließ Robin melancholisch werden und in Selbstmitleid versinken, ein Zustand, für den er sich im Nachhinein immer reichlich schämte, wenn ihm dies auch nur äußerst selten in Gegenwart anderer passierte. Im Normalfall aber war der Alkohol hilfreich. Keine sonderlich gesunde Ansicht, das war ihm bewusst, aber… „Robin?“ Sapphires Stimme ließ ihn erneut zusammenschrecken. Gott, was war das heute bloß? Mit einem verlegenen Lächeln wandte er sich ihr zu, versuchend, sich die Anspannung, die er irgendwie bereits den ganzen Tag über verspürte, ohne, dass es einen Anlass dafür zu geben schien, nicht anmerken zu lassen – ein sinnloses Unterfangen, das wusste er. Sapphire kannte ihn besser als irgendjemand sonst, es würde ihm nicht gelingen, vor ihr zu verbergen, wie er sich fühlte. Das bestätigte auch der fragende Blick, mit dem sie ihn nun musterte. „Entschuldigung…“ Ohne es wirklich zu merken griff Robin nach seinem Glas und trank den letzten Schluck daraus, bevor er sich wieder Sapphire zuwandte, die ihn gewohnt aufmerksam beobachtete. „Hast du was gesagt?“ „Ich habe gefragt, dein wievielter Cocktail das heute Abend ist.“ Sapphires Stimme klang nicht vorwurfsvoll, das würde auch nicht zu ihr passen. Trotzdem fühlte Robin sich unwillkürlich schuldig. „Der dritte“, gab er zurück, bemüht, seine Stimme ebenso neutral klingen zu lassen wie Sapphire. Er musste sich nicht rechtfertigen. Er war sechsundzwanzig Jahre alt, und Sapphire war nicht seine Mutter, auch, wenn das Verhältnis, das die beiden zueinander hatten, dem im Grunde gleichkam. Irgendwie musste er dennoch gereizt geklungen haben, denn Sapphire hob etwas argwöhnisch eine Augenbraue. Robin seufzte. „Tut mir leid, irgendwie bin ich komisch drauf heute…“ „Ist mir aufgefallen.“ Sapphire nippte an ihrem Glas, ließ ihn dabei nicht aus den Augen. „Ist irgendetwas passiert? Irgendwas, worüber du reden willst?“ Er wünschte, es wäre so. Mit Sapphire zu reden war meistens hilfreich, sie hatte einfach eine Art an sich, die Ruhe ausstrahlte, und das, obwohl sie selbst wahrscheinlich mehr als viele andere in dieser Gegend mit stressigen Situationen zu kämpfen hatte. Robin bewunderte sie dafür, nicht nur, weil sie für ihn ohnehin die wichtigste Person in seinem Leben war. Aber es gab einfach nichts, worüber er mit ihr hätte reden können. Da war kein Grund dafür, dass er derart angespannt war, nichts Greifbares jedenfalls, es war nichts passiert. Der Tag war verlaufen wie die meisten anderen auch – abgesehen davon, dass es ein paar Straßen weiter eine Schießerei zwischen zwei Mitgliedern verfeindeter Gangs gegeben hatten, aber auch das war maximal bedingt ein besonderes Ereignis, und bestimmt nichts, was Robin direkt tangierte. Das passierte eben, hier, in dieser Gegend, die von Armut geprägt und von Menschen bewohnt war, die an Gewalt als Lösungsstrategie gewöhnt waren. Zugegeben, in letzter Zeit schien es immer häufiger zu derartigen Eskalationen zu kommen, aber das war doch noch kein Grund, sich Sorgen zu machen. Schon gar nicht hier. Die Bar, in der sie saßen und die Sapphire seit Jahren gehörte, lag zwar inmitten von Gebieten, die von diversen Gangs beherrscht wurden die miteinander verfeindet waren, die Gegend um sie herum selbst jedoch war so etwas wie eine Sicherheitszone, wofür Sapphire selbst gesorgt hatte. War sie Robin gegenüber stets fürsorglich und freundlich gewesen, so konnte sie auch ganz anders sein, wenn sie glaubte, dass von jemandem eine Bedrohung ausging. Also. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Dass Robin wieder gedanklich abgeschweift war, merkte er erst, als er leicht Sapphires Hand auf seiner Schulter spürte, und dieses Mal schaffte er es immerhin nur innerlich zusammenzuzucken. Hastig, in der Hoffnung, dass er nicht wieder etwas verpasst hatte was sie gesagt hatte, gab er auf die letzte vernommene Frage zurück: „Nein, es ist nichts passiert. Ich weiß selber nicht, was mit mir los ist…“ Vielleicht würde ihm frische Luft gut tun. Ein kleiner Spaziergang, um den Kopf ein wenig frei zu bekommen. Die Kellnerin kam zurück, stellte Robins Tequila Sunrise vor ihm ab und nahm das leere Glas wieder an sich. Sapphire beachtete sie nicht weiter. Sie konzentrierte sich ganz auf Robin, bedachte ihn mit einem verständnisvollen Lächeln. „Manchmal hat man eben solche Tage… sag einfach Bescheid, wenn ich dir bei irgendwas helfen kann, ja?“ „Natürlich. Sicher.“ Robin nahm einen Schluck seines Cocktails, doch irgendwie schmeckte er ihm heute nicht wirklich. Zu sehr nach Alkohol… wahrscheinlich bloß Einbildung, nur das, worauf sein Gehirn sich momentan konzentrierte. Trotzdem. Ein Spaziergang wäre wohl wirklich nicht verkehrt. Einen demotivierten Seufzer unterdrückend erhob Robin sich von seinem Stuhl und ließ seinen Blick betont unbeteiligt durch die, wie gewohnt, gut gefüllte Bar schweifen. Dieses Mal schaffte er es wirklich, seine Stimme neutral klingen zu lassen, als er, an Sapphire gewandt, sagte: „Ich werd mal etwas nach draußen gehen. Frische Luft schnappen.“ „Okay…“ Nun war da etwas skeptisches in Sapphires Tonfall, doch nichts, was ungewöhnlich gewesen wäre, nicht Robin gegenüber. Manchmal verhielt sie sich eben wirklich wie seine Mutter. Fehlte nur, dass sie ihm sagte, er solle auf sich aufpassen, auf gut beleuchteten Straßen bleiben und bloß nicht bei Fremden ins Auto steigen, die ihn mit Süßigkeiten oder Hundewelpen anlocken wollten. Nun, das zumindest sagte sie nicht. Dafür aber: „Nimm einen Regenschirm mit, es schüttet!“ „Okay, klar“. Das Lächeln, das Robin nun aufsetzte, war ein wenig gezwungen, aber dennoch aufrichtig. Er hätte es wohl niemals offen zugegeben, doch er genoss es, wie Sapphire sich für ihn interessierte. Etwas, was seine leibliche Mutter seit Jahren nicht mehr getan hatte. „Ich bin auch nicht lange weg“, rief er zum Abschied über die Schulter, als er bereits auf dem Weg zur Tür war, wo er bloß kurz innehielt, um einen der Regenschirme aus dem dort stehenden Schirmständer zu ziehen und aufzuspannen. Durch die Glasscheibe konnte er sehen, dass Sapphire Recht gehabt hatte, es schüttete wirklich. Aber das würde ihn nicht aufhalten. Eine kurze Runde, zehn, vielleicht zwanzig Minuten. Dann zurück in die Wärme der Bar, sich wieder seinem Cocktail widmen, sich dabei mit Sapphire unterhalten und diesmal hoffentlich nicht wieder geistig abschweifen. Und danach am Besten in seine Wohnung und ins Bett. Ja. Ein ganz normaler, unspektakulärer Abend. Absolut nichts Besonderes. So dachte er in diesem Augenblick, in dem er hinaus auf die Straße trat und den Schirm schützend über sich hielt, nachdenklich nach links und rechts blickend, bis er sich schließlich für die Strecke in Richtung des Silversteam Rivers entschied, zumindest noch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)