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Ein Leben wert

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen Samstagmorgen,

bevor ich jetzt meine Übungsklausur schreibe (yay, was ein toller Start in das Wochenende^^') wollte ich euch noch schnell das neue Kapitel hochladen und wünsche euch dann ein ganz schönes Wochenende!

Liebe Grüße^^ Komplett anzeigen

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Kapitel 6 - Wasser

Kapitel 6 – Wasser

 

Der Markt war riesig!

Vielleicht kam es Rocinante auch nur so vor, aber nach der einsamen Kälte auf Minion und der Leere in Laws Zimmer waren hier nun unzählige Menschen unterwegs, drängten sich aneinander, sprachen miteinander und übereinander hinweg. Kinder lachten, Händler priesen ihre Ware an und Käufer feilschten und Rocinante mitten unter ihnen.

Hier und jetzt fiel es ihm schwer zu glauben, dass die Welt sich verändert haben sollte. Dieser Markt wirkte so, wie jeder den er je besucht hatte, die Leute redeten kaum anders und auch wenn anscheinend neue Geschichte geschrieben wurde, so schien sich der Alltag für den gewöhnlichen Bürger kaum verändert zu haben.

Einige Blicke fielen auf ihn, während er von Stand zu Stand ging, Preise verglich und überlegte, was sie eigentlich brauchen könnten. Aber solche Blicke war er gewöhnt, allein durch seine Körpergröße fiel er auf und zwischen den bekannten Gesichtern der Nachbarn bemerkte man einen Fremden eben noch schneller. Doch die Leute waren freundlich zu ihm und sein viel größeres Problem waren die deutlich gestiegenen Preise, die für die Leute hier anscheinen völlig normal waren.

„Früher haben die Orangen aber nicht so viel gekostet, Numnum“, klagte eine alte Dame neben ihm und Rocinante konnte ihr nur schweigend zustimmen.

„Es sind die gleichen Preise, wie sonst auch, Frau Ralral, und jede Woche beschweren Sie sich.“

Er hörte den beiden Streithähnen noch einen Moment zu, ehe der Händler sich ihm zuwandte und ihm viel zu teures Gemüse verkaufte.

Nach einiger Zeit hatte Rocinante alles zusammen, was er gesucht hatte, und für einen Moment stand er einfach nur mitten im Menschengewusel und realisierte was passiert war und was es für ein Wunder war, dass er nicht gestorben war. Die warme Sommersonne schien auf ihn hinab und endlich konnte er die Wahrheit annehmen, wie sie war.

Es schockierte ihn leider nicht annähernd so wie er erwartet hätte, dass sein Bruder tatsächlich auf ihn geschossen hatte, aber es war ein Wunder, dass er überlebt hatte. Law hatte ihn gerettet und damit ein Wunder vollbracht, auf das er 17 Jahre hatte warten müssen.

Konnte es wirklich sein, dass nach alledem was sie durchgemacht hatten, was passiert war, dass die Kämpfe, die Kriege, das Lügen, die Geheimnistuerei, der Verrat, der Hass, das Leid, dass all das vorbei war?

Irgendwann würde Rocinante zurück in jene Welt kehren müssen, zumindest für eine gewisse Zeit, aber bis dahin wollte er Laws – und auch seinen eigenen – Wunsch nachkommen und einfach eine kleine Weile diesen geschenkten Frieden genießen.

Plötzlich fiel sein Blick auf die alte Dame vom Gemüsestand, die mit mehreren Taschen und Körben bepackt dabei war den Markt zu verlassen; die Last schien zu viel für sie, denn alle paar Meter blieb sie stehen und setzte einen der Körbe ab, und da Rocinante an diesem Tag eh nichts mehr vorhatte, als auf Law zu warten, entschied er, sein kleines Glück ein bisschen zu teilen.

„Warten Sie“, rief er ihr nach und eilte auf sie zu, „darf ich Ihnen etwas abnehmen?“

„Oh, junger Mann, das wäre zu freundlich.“ Sie lächelte zu ihm auf. „Allerdings sind Sie ja genauso bepackt wie ich.“

„Ach, eine Tasche mehr oder weniger macht doch nichts.“

„Nun gut, wenn Sie drauf bestehen.“

Sie reichte ihm einen Korb und eine Tasche und gemeinsam setzten sie gemütlich ihren Weg fort, ließen den Markt und die Menschenmenge hinter sich.

„Ich bin froh, dass es Ihnen wieder besser geht. Mein Mann sagte, der junge Herr Doktor hätte heute Morgen endlich wieder Farbe im Gesicht gehabt.“

„Sie… Sie wissen wer ich bin?“, fragte Rocinante verwirrt nach, während sie im gemächlichen Schritt die Gassen der kleinen Stadt entlangschlenderten. Mittlerweile erreichte sie ein sanftes Meeresrauschen.

„Oh natürlich. Wissen Sie auf den Inseln hier passiert nicht oft etwas und wenn dann jemand, wie der junge Herr Doktor sich hier niederlässt… nun ja, es macht schnell die Runde.“

Jemand, wie?“, frage er nach, als die Häuser nicht mehr so eng beieinanderstanden und Platz für üppige Gärten ließen. Es schien ein wohlhabendes Dorf zu sein. Eines welches er früher unter der Führung seines Bruders vielleicht überfallen hätte, aufgrund der geringen Sicherheitsvorkehrungen. Niemand hier schien mit Angriffen oder Piraten zu rechnen, er konnte nichts erkennen, dass den Hafen vor möglichen Überfällen beschützen würde.

Sie nickte beflissen.

„Ach, wir sind zwar ein ruhiges Völkchen, aber auch wir kriegen die Zeitung. Natürlich wissen wir alle wer der junge Herr Doktor ist. Chirurg des Todes oder so nannten sie ihn früher. Aber vor dem Krieg war vieles anders. Wissen Sie, dass mein Mann bei der Marine war? Harte Zeiten, und damals…“

So redete sie weiter und weiter, manches war interessant anderes eher weniger, aber es war ganz offensichtlich, dass die Inselbewohner sowohl Law als auch ihn eher willkommen hießen als alles andere. Das mochte auch daran liegen, dass Ärzte in dieser Gegend eine Seltenheit zu sein schienen, wie Rocinante erfuhr – offenbar waren die meisten vor einigen Jahren von einem windigen Herrscher verpflichtet worden und die wenigsten waren zurückgekommen – sodass, neben der verstorbenen Ärztin und ihrer Tochter, Law nun der einzige Arzt war an den sich die Bewohner der umliegenden Inseln wenden konnten.

Aus diesem Grund waren die Leute wohl eher dankbar, dass ein ehemaliger Pirat mit besonderen Fähigkeiten sich bei ihnen niedergelassen hatte, anstatt Fragen über die Hintergründe zu stellen. Ein jeder schien auch zu wissen, wer Rocinante war, oder zumindest, dass er der Patient war, den Law vor wenigen Tagen hierhergebracht hatte.

Die alte Frau redete viel und Rocinante fragte wenig, hörte ihr aufmerksam zu während er das Städtchen um sie herum betrachtete. Die saubere Straße mit den zurechtgemachten Blumenkübeln. Die teils eleganten, teils protzigen Häuser mit mal mehr, mal weniger Dekor.

Plötzlich blieb er stehen. Sie waren eine ruhige Landstraße entlanggegangen, zur Linken kleine und größere Häuser, umgeben von bunten Gärten, im Hintergrund die Wipfel eines kleinen Waldes, zur Rechten ein kleiner Wall, wohinter man die Wellen rauschen hören konnte, doch am Ende der Straße stand ein einzelnes Haus und dahinter lag das weite Meer.

„Ach, das gehörte den Lesles“, sprach die alte Frau weiter als sie wohl seinem Blick folgte, „ein hübsches Haus nicht war. Aber wie viele sind auch die Lesles nach dem Krieg weggezogen, es steht mittlerweile seit fast einem Jahr leer. So eine Schande.“

Das ist es!

Er wusste nicht woher, aber in seinen Erinnerungen – nein, seinen Tagträumen von dem Danach - da war es genau das Haus gewesen., d,

„Oh, ich weiß“, meinte die Frau dann plötzlich begeistert, „fragen Sie doch Herrn Tuntun nach den Schlüsseln. Die Lesles werden nicht wiederkommen und Herr Tuntun hat ihr Haus zwar übernommen, aber ihm fehlt die Zeit sich darum zu kümmern. Wenn ich mich nicht irre wohnt der junge Herr Doktor bisher in den Bereitschaftsräumen der Praxis, aber das ist viel zu eng für zwei Leute auf Dauer. Wenn Sie hier wohnen wollen, brauchen Sie ein richtiges Heim, kein Studentenzimmer.“

„Wie bitte?“ Überrascht sah er zu ihr hinab, aber sie lächelte nur freundlich und vielleicht auch ein bisschen wissend.

„Ach, mein lieber Junge. Warum meinen Sie habe ich Sie um Hilfe gebeten? Ich wollte Ihnen das Haus zeigen.“

„Was?“ Ungläubig schüttelte er leicht den Kopf. Hatte er ihr nicht seine Hilfe angeboten und sie hatte zunächst abgelehnt?

„Sie wissen es vielleicht nicht, aber Nannan Paipai ist meine Schwester und sie hat mich schon vor Tagen darum gebeten ein passendes Heim für den jungen Herrn Doktor zu finden. Sie sagte er käme wohl kaum allein zurecht. Ich hatte erst beabsichtigt ihn in einer liebevollen Familie unterzubringen, aber wie ich sehe scheint ein eigenes Haus wohl angebrachter zu sein, wenn Sie beabsichtigen sollten länger zu bleiben, also voila.“

„Was sind Sie? Eine gute Fee?“, lachte Rocinante als sie ihren Weg wieder fortsetzen, zielgerichtet auf ein kleines Häuschen nur wenige Meter entfernt, welches trotz seiner geringen Größe durch den üppigen Garten und die feine Herrichtung beeindruckte.

Die alte Dame lachte ebenfalls und nahm Rocinante ihre Sachen ab.

„Aber nein, mein Lieber. Es hat auch einen ganz egoistischen Grund. Wir wollen, dass es Ihnen hier gutgeht. Es ist ein großes Glück für uns, dass der junge Herr Doktor sich hier niedergelassen hat und Sie scheinen ein sehr freundlicher junger Mann zu sein, den man gerne in seiner Nachbarschaft hätte.“ Dann deute sie auf ein altes aber gut erhaltenes Haus neben dem leerstehenden. „Dort wohnt Herr Tuntun, ich habe ihn schon vorgewarnt, dass Sie kommen könnten. Also wenn Sie noch einen Moment Zeit haben, gucken Sie es sich ruhig an.“

Sie zwinkerte ihm zu und verabschiedete sich. Verwundert beobachtete er die alte Dame, wie sie den schmalen Pfad aus hellem Kies zu ihrem Heim nahm, dort die augenscheinlich unverschlossene Haustüre öffnete und dann in die Tiefen des Hauses verschwand, deutlich gewandter als er ihr zuvor zugetraut hätte. Noch einen Moment betrachtete er das kleine Häuschen mit den bunten Blumenkästen und den hellen Kies, ehe er sich kopfschüttelnd zum Gehen wandte.

Aller Logik zum Trotz ging Rocinante auf den wahnwitzigen Vorschlag ein.

Am vergangenen Tag erst war er in dieser Zeit aufgewacht, hatte dem erwachsenen Law gegenübergestanden. Vor wenigen Stunden erst hatten sie entschieden, was die nächste Zukunft bringen sollte, und jetzt sollte er sich ein Haus angucken, was der Klüngel des Dorfes schon mehr oder minder für sie ausgesucht hatte?

Er würde gerne sagen, dass er nicht auf so leichte Manipulation hereinfallen würde, aber die anderthalb Zimmer, in denen er die jüngste Zeit verbracht hatte, waren für Law allein schon eng, für Rocinante waren sie winzig, und dieses Haus…

Es erinnerte ihn wirklich an seine Tagträume und auch wenn diese nicht mehr Realität werden konnten, so war die Vorstellung, hier so nahe dem Meer, dem Strand, auf einer friedlichen Insel mit netten – wenn auch leicht aufdringlichen – Nachbarn, zusammen mit Law in diesem Haus zu wohnen alles was er sich wünschen konnte, und er war noch nicht mal drinnen gewesen.

Also ging er zum Haus des Nachbarn, der tatsächlich auch schon auf ihn gewartet hatte und ihm den Schlüssel mit dem Hinweis reichte, dass Rocinante den Schlüssel nur zurückgeben sollte, wenn er das Haus nicht wolle.

Es war ein seltsames Gefühl, wie die Leute ihn hier behandelten, so freundlich und so zuvorkommend; die Dinge passten fast zu gut ineinander und Rocinante hatte große Schwierigkeiten es einfach als glückliche Fügungen zu akzeptieren, viel wahrscheinlicher schien ihm eine Falle.

Die Menschen hier schienen gut informiert über die Geschehnisse der Welt zu sein, außerdem sprachen sowohl die Preise der Waren am Markt als auch die Häuser und die Kleidung ihrer Bewohner dafür, dass die Bürger dieser Insel – oder zumindest dieses Dorfes – eher zur wohlhabenden Kategorie gehörten. Dem widersprach jedoch, dass Rocinante noch nicht einen Polizisten, Wachstelle oder andere Form der Gefahrenabwehr gesehen hatte, und für solche Dinge hatte er ein Auge. Dies bedeutete, dass diese Insel entweder so weit abgelegen von jeglicher Zivilisation lag, dass die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Begegnung mit Piraten einfach sehr gering war, oder aber, dass sie einem mächtigen Knotenpunkt sehr nahe lagen, dessen schützende Hand selbst über diese friedliche Insel reichte.

In Anbetracht des Wohlstands vermutete Rocinante letzteres, dies ließ jedoch die Frage offen, warum eine zentralgelegene, wohlhabende Insel mit gutmütigen Bewohnern Probleme haben sollte einen vernünftigen Arzt zu finden. Es schien beinahe unwahrscheinlich, dass eine gut betuchte Bevölkerung wohl wissentlich einen ehemaligen Piraten mit zweifelhaftem Ruf bei sich aufnehmen würde, geschweige denn willkommen heißen würde.

Nein, je länger Rocinante darüber nachdachte, desto misstrauischer wurde er, was diese Leute in Wirklichkeit von Law wollten. Gleichzeitig wollte er sich von den Jahren der Spionage, der Zeit bei seinem Bruder, nicht kontrollieren lassen. Law hatte ihm gesagt, dass er diese Welt hinter sich gelassen hatte, aber Rocinante selbst war bis gestern noch ein Teil davon gewesen.

Vielleicht waren die Leute hier einfach gutmütig und wohlgesonnen, oder aber sie waren einfach an einen sehr hohen Anspruch gewöhnt, den nur wenige Ärzte neben Law erfüllen konnten, vielleicht war das für sie Grund genug, über seine Vergangenheit hinwegzusehen. Vielleicht betrachteten manche von ihnen Law sogar als Helden, schließlich hatte er damals im Großen Krieg vor zwei Jahren mitgekämpft und die Hoffnung einer besseren Zukunft verteidigt.

Rocinante entschied seine Zweifel zunächst zur Seite zu schieben und an den guten Willen der Inselbewohner zu glauben.

Er wollte dieses ruhige Leben, auf einer friedlichen Insel, wo das einzige Problem die nervigen Nachbarn sein würden, aber dennoch konnte er nicht so einfach seine Gefühle ignorieren. Rational mochte er akzeptieren können was passiert war, aber emotional musste er sich eingestehen, dass er noch nicht auf dieser Insel angekommen war, mit der Möglichkeit auf ein friedliches Leben, zumindest für ein paar Monate, mit Law, der nun nicht mehr ein Kind war, sondern ein erwachsener Mann, der mitten im Leben stand.

Mental mochte Rocinante den Bürgern vertrauen wollen, aber die Anspannung steckte ihm trotzdem in den Knochen, während er die drei Stufen zur Haustüre hinaufstieg. Doch das alles war vergessen, als Rocinante den Schlüssel herumdrehte und die Tür öffnete.

Ein heller Eingangsbereich mit hohen Decken und weiten Fenstern begrüßten ihn. Die Fenster gaben Blick auf eine große Terrasse und dahinter auf das weite, ruhige Meer, auf dem er mit Law für Monate unterwegs gewesen war. Bis auf eine mit einem verstaubten Laken verhangene Kommode war der Raum leer. Langsam setzte er die Taschen ab und trat herein. Die Decke war hoch genug, um Kronleuchter hinabhängen zu lassen, selbst die Türen schienen recht ausladend gebaut, sodass Rocinante sich nicht hindurchbeugen musste und wie der Riese vorkam, der er sonst in den meisten Häusern war. Frau Paipai und ihre Schwester schienen ein gutes Auge für solche Dinge zu haben.

Die angrenzende Küche war ausladend angefertigt worden, wie für einen Menschen, der nach Möglichkeit jede freie Minute hier verbringen wollte. Von der Küche aus kam man in einen offenen Raum, der wohl das Esszimmer darstellen konnte. Auch hier war die Wand zum Meer komplett durch Fenster ersetzt und durch eine gläserne Tür erreichte Rocinante schließlich auch die knarzende Terrasse.

Hier blieb er stehen und genoss das Rauschen der Wellen, den Geruch des Salzwassers.  Er fühlte sich seltsam, konnte kaum in Worte fassen, was in ihm vorging. Seine Gefühle verwirrten ihn, seine Rationalität ließ ihn im Stich. Die Situation überforderte ihn, vorgestern war er noch durch den kalten Schnee gewatet, hatte sich um Laws Leben gesorgt, sich der schweren Schuldgefühle auf seinen Schultern über die verworfene Mission wohlbewusst, hatte sich stets gefragt, wann er den hasserfüllten Blick seines Bruders auf sich ziehen würde und wann all diese Lügen ein Ende haben würden. Er hatte sich gefragt, wie lange er still sein musste, nicht sein durfte wer er war und als er endlich sein Schweigen gebrochen hatte…

Langsam zog er Schuhe und Socken aus, ging die fünf Stufen am Ende der Terrasse hinab, fühlte wie sich seine nackten Füße in den nassen, kalten Sand gruben, und nur wenige Schritte später streifte das Meerwasser seine Knöchel.

Leise Tränen bahnten sich ihren Weg.

Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal im Meer gestanden hatte, ohne dass dieses erdrückende Gefühl der Kraftlosigkeit ihn übermannt hatte, aber alles was er jetzt wahrnahm, war ein seltsames Gefühl der Reinheit. Mit jeder Welle schien etwas der Dunkelheit aus seiner Seele gewaschen zu werden.

Es war vorbei!

Sein Bruder war gestoppt worden, seine Machenschaften beendet, die Welt von seiner Gier befreit.

Rocinante musste nicht mehr kämpfen.

Er würde für die Dinge der Vergangenheit die Verantwortung übernehmen, aber er musste nicht mehr kämpfen.

Wie seine Eltern es sich gewünscht hatten, konnte er nun endlich das friedliche Leben eines ganz normalen Menschen führen, nicht auf der Flucht, nicht unter falscher Identität, nicht mit Geheimnissen umgeben. Aber dafür mit Law an seiner Seite. Den Jungen, den er damals aufgenommen hatte, vor der Dunkelheit hatte beschützen wollen, der aber letzten Endes ihn vor seiner eigenen Dunkelheit bewahrt hatte, vor dieser ewigen Stille bewahrt hatte.

Er watete tiefer ins Wasser, ließ zu, dass die Wellen seine Hose durchnässten, bis er schließlich knietief im Meer stand, mit jedem Schritt schien er leichter zu werden anstatt schwerer, freier, befreiter. Seinen Tränen wurden Teil des Meeres, das ihn umarmte, während er sein verschwommenes Spiegelbild in den Wellen betrachtete.

Er würde keine Schminke mehr brauchen, um sich zu verstecken, musste nicht mehr schweigen, um seine wahren Empfindungen zu verbergen. Law war in der Lage ganz aufrichtig mit ihm zu sprechen und mit ein bisschen Übung würde er das auch schaffen. Mit ein bisschen Übung würde er es schaffen den Jungen Law loszulassen, den er beschützen musste vor dessen eigenen aber auch vor Rocinantes Abgründen. Mit ein bisschen Übung würde er dem Erwachsenen Law erlauben können sich von ihm über seine eigenen Abgründe hinweghelfen zu lassen. Rocinante war nun nicht mehr allein mit dieser Last, zumindest wenn er wollte.

Wenn er es zulassen würde, musste er seine Dämonen nicht allein besiegen, er konnte hier, an diesem friedlichen Ort, mit Law ein friedliches Leben führen und einander dabei helfen von ihren alten Wunden zu heilen.

Es stimmte, was Rocinante Law am vergangenen Morgen erzählt hatte, sein Leid schien ihm im Verhältnis zu alledem, was Law hatte durchstehen müssen, unverhältnismäßig klein, und doch… auch er hatte gelitten, all die Jahre, all die Jahre bevor er Law kennen gelernt hatte, und die Zeit, in der er Law hatte leiden sehen müssen, nicht in der Lage gewesen war ihn zu retten, weder vor der Krankheit, die sein Leben bedroht hatte, noch vor der Dunkelheit in seinem Herzen.

Doch all das war nun vergangen, er hatte eine zweite Chance erhalten, in einem neuen Leben, an einem neuen Ort, fernab von all den Dingen, die er hasste, die ihn schmerzten, aber bei Law, mit dem er endlich auf Augenhöhe war, denn nun war Law nicht mehr der Junge, den er vor der Dunkelheit bewahren musste, sondern ein erwachsener Mann, der sich ihr selbst erwehren konnte.

War es naiv zu glauben, dass sie einfach glücklich sein konnten? Vielleicht.

War es anmaßend, dass er für einen Moment ignorierte, dass Laws Gefühle für ihn so anderer Natur waren als seine eigenen und dass er dennoch ein einfaches Leben hier mit ihm führen wollte? Vermutlich.

War es ungerecht und unverdient, dass er nach alledem was er getan hatte hier nun sein Glück finden konnte, geleitet von Menschen, die viel zu freundlich zu jemandem wie ihm waren? Höchstwahrscheinlich.

War es egoistisch, dass er wollte, dass Law bei ihm blieb, obwohl er nun sein eigenes Leben führen konnte und nicht mehr auf Rocinante angewiesen war? Absolut.

Und trotzdem, trotz allem, trotz all den Zweifeln, all den Gewissensbissen, all der Schuld und der Ungewissheit, trotz allem, war sich Rocinante ganz sicher.

Hier, in diesem Haus, auf dieser Insel, wollte er mit Law ein einfaches, bescheidenes Leben führen und vielleicht, nur vielleicht, konnte dieser Traum auch Wirklichkeit werden.

Mit diesem Gedanken entschied er zurück an Land zu gehen, drehte sich um genau in dem Moment, als die nächste Welle kam, und verlor das Gleichgewicht.



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