Ein Leben wert von Sharry ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 - Erwachsen -------------------------------- Kapitel 2 – Erwachsen   Rocinante sprang auf als die Tür aufging, aber es war nur die alte Dame – Paipai, wenn er sich richtig erinnerte – die mit einem kleinen Tablett hereinkam. „Hallo, mein Lieber“, grüßte sie ihn und stellte das Tablett auf einem Haufen Bücher auf dem Schreibtisch ab, „ich habe Ihnen einen Tee gemacht. Der Doktor bat mich Ihnen zu sagen, dass er gleich da sein wird. Er ist gerade mit unserem letzten Patienten im Untersuchungszimmer.“ „Vielen Dank“, antwortete er und stand auf. Er hatte keine Ahnung wie viele Stunden er gewartet hatte, es könnten nur Minuten oder ganze Tage gewesen sein, aber erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er wirklich durstig war. „Können Sie mir sagen wie viel Uhr es ist, Frau… Paipai?“ „Natürlich, mein Lieber, es ist fast fünf Uhr. Wir machen heute extra etwas früher zu, dennoch, der Doktor hat Sie lange warten lassen, nicht wahr? Aber es hätte ja keiner ahnen können, dass Sie ausgerechnet heute aufwachen.“ Er ließ sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch fallen – der viel zu klein für ihn war, sodass er viel zu tief fiel – und sah die alte Dame an, die freundlich zurück lächelte. „Und… und wissen Sie zufällig, wie lange... ich geschlafen habe?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Doktor Trafalgar hat Sie erst gestern hierhin gebracht, aber laut ihm lagen Sie schon lange im Koma. Deswegen sollen Sie sich nicht überanstrengen. Aber ich muss jetzt wirklich gehen.“ Rocinante nickte nur, während er an seinem Tee nippte. „Oh, ähm Frau Paipai, danke für den Tee“, murmelte er, „aber er ist fast kalt…“ Sie lächelte breit, während sie die Tür zuzog. „Ja genau, das waren die Anweisungen des Doktors. Er sagte so mögen Sie ihm am liebsten.“ So blieb Rocinante zurück mit seinem kaum noch lauwarmen Tee; als ob irgendwer so etwas mögen würde. Die letzten Stunden hatte er versucht nicht zu viel nachzudenken und nicht zu viele Theorien aufzubauen. Es gab tausend plausible Erklärungen, warum er von den Schüssen keine Wunden davongetragen und überlebt hatte, warum Law plötzlich ein erwachsener Mann – ein echter Arzt! – war und mit Sicherheit auch, warum er Rocinante geküsst hatte, und nichts von dem Unsinn, der in Rocinantes Kopf herumschwirrte, kam auch nur ansatzweise an eine plausible Erklärung heran, also versuchte er diese Verschwörungen zu ignorieren und auf Law – erwachsener Doktor Trafalgar Law – zu warten, der ihm eine vernünftige, plausible Erklärung geben würde. Also saß er nun auf diesem viel zu kleinen Stuhl und trank seinen kalten Tee und wartete auf Law. Wieder einmal glitt sein Blick über all die medizinischen Bücher, über den Notizblock, dessen halber Inhalt im ganzen Raum verteilt war, hinüber zu dem großen Bett, das er bis vor wenigen Minuten noch besetzt hatte, bis hin zur offenen Tür, die in eine kleine Küche und einen genauso kleinen Wohnraum hineinführte. Vielleicht sollte er etwas für Law kochen – nicht, dass er wirklich wusste, wie man kochte, nur gerade genug, um zu überleben – wenn er so drüber nachdachte, war das vielleicht der Grund, warum Frau Paipai ihm gerade eben erst einen kalten Tee serviert hatte. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr fragte er sich, ob sein kleiner, nun erwachsener, Law wirklich dachte, dass man Rocinante noch nicht einmal mit einem zumindest lauwarmen Tee trauen konnte. Zweifelte er wirklich seine Lebensfähigkeit an? Ach, nein, das war lächerlich. Ich würde es gerne vermeiden, dich direkt wieder zu verlieren, weil du dich aus Versehen anzündest oder irgendeinen Abhang runterfällst. Doch, das war es wohl. Kleiner, nun erwachsener, Law hielt ihn wohl wirklich für unfähig, dabei hatte er ihm doch sogar die Operationsfrucht gebracht und… wieder fragte Rocinante sich, was Law durchgemacht hatte. Wie lange war er ohnmächtig gewesen und wie lange hatte Law darauf gewartet, dass er aufwachen würde? Hektisch sah er sich um, nach irgendetwas, das ihm als Spiegel dienen konnte, stellte die leere Tasse ab, bemerkte kaum, wie sie von einer Buchkannte runter auf den Tisch klapperte. Dann fiel ihm das offene Fenster ein und er hechtete übers Bett, griff den Rahmen und versuchte ihn ruhig zu halten, um sein verschwommenes, schwaches Spiegelbild zu erkennen. Für einen Moment sah ihn sein Ebenbild an, genauso wie er es in Erinnerung hatte, nur ohne Schminke, dann gab plötzlich der Rahmen nach und er verlor das Gleichgewicht, knallte erst mit der Schläfe gegen die Kante der Fensterbank und rutschte dann an der Wand hinunter, bis er auf dem Bett zum Liegen kam. „Au“, murrte er, ehe er ein leises Knacksen hörte und plötzlich knallte die Ecke des Fensterrahmens auf seinen Kopf, ehe das Fenster neben ihm zu liegen kam. „AU!“ Vielleicht hatte Law ja doch Recht. Während er sich aufsetzte und den Kopf rieb hörte er wieder sich nähernde Stimmen und endlich öffnete sich die Türe erneut. „…mal gesagt, machen Sie jetzt Schluss. Wenn doch noch jemand kommt, werde ich da sein und den Papierkram können wir morgen früh machen.“ Kleiner, erwachsener Law kam herein, zog sich beim Türeschließen bereits den Arztkittel vom Leib warf ihn achtlos auf den Stuhl, auf dem Rociante noch vor kaum einer Minute gesessen hatte, und zupfte sein Poloshirt zurecht. Er war offensichtlich angespannt, doch als sein Blick auf Rocinante fiel weiteten sich seine Augen ein Stück und der Schatten eins Schmunzelns besänftigte seinen harten Kiefer. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte er, wobei seine Stimme sich eher tonlos anhörte. „Hast du doch versucht zu fliehen und bist abgestürzt?“ „Ich wollte mich im Glas spiegeln, um zu sehen, ob ich gealtert bin“, entgegnete er leicht beleidigt. „Du weißt schon, dass es dafür Spiegel gibt?“ Nun zeigte der andere tatsächlich ein kleines Grinsen. „Warte, ich wasch mir gerade die Hände, dann bring ich dir einen.“ Mit diesen Worten eilte er bereits in die kleine Küche und stellte den Wasserhahn an. „Möchtest du etwas essen?“, rief Law über das Wasser hinweg. „Ich habe noch Reisbällchen von gestern da.“ Rocinante murmelte nur etwas Zustimmendes. Der andere benahm sich viel gefasster als er erwartet hatte, deutlich gelassener als er selbst war. Allerdings vermutete er, dass Law etwas mehr Zeit gehabt hatte, um sich auf das bevorstehende Gespräch vorzubereiten. Vom Bett aus beobachtete er den anderen. Law trug eine simple schwarze Jeans unter seinem ebenso simplen grauen Poloshirt. Unter den Ärmel lugten die Ausläufer von Tätowierungen hervor, die Rocinante selbst vom Bett aus erkennen konnte. Dann war der andere fertig, verschwand kurz hinter der Tür eines Kühlschranks, ehe er mit einem kleinen Teller und einem Handspiegel wiederkam, den er wo auch immer hergezaubert hatte. Nur kurz sah er Rocinante an, dann wandte er schnell den Blick ab, zeigte, dass er doch nervös war. Eilig stellte er den Teller auf dem Bett ab und reichte Rocinante den Spiegel. „Ich mach uns noch einen Tee“, murmelte er und verschwand wieder durch den Türrahmen. „Dürfte ich dieses Mal wenigstens einen Lauwarmen haben?“, versuchte Rocinante zu scherzen, doch der andere entgegnete nichts. Wie er schon vermutet hatte, zeigte ihm auch der Spiegel nichts neues. Er sah genauso aus, wie er es erwartet hatte, als wäre er keinen Tag gealtert. Missmutig legte er den Spiegel weg, absichtlich mit der Vorderseite nach unten. Jetzt, wo der andere wieder körperlich anwesend war, fiel es ihm schwer all seine Vermutungen und Theorien zu ignorieren. Also nahm er eines der Onigiri und begann zu essen. Nach dem ersten Biss hielt er inne. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie hungrig er gewesen war und wie lecker der Reis schmeckte. Er hatte das Gefühl Jahre nichts gegessen zu haben. Also ignorierte er seine wirren Gedanken und verspeiste die kleinen Köstlichkeiten. Er war vielleicht beim dritten oder vierten angekommen, als Law mit zwei Porzellanbechern hereinkam. Einen stellte er vor dem Bett auf einem Bücherstapel ab, den anderen nahm er mit sich zum Bürostuhl und schien ihn problemlos auf seinen überschlagenen Beinen zu balancieren. „Also“, sagte Law dann und sah Rocinante endlich richtig an, „du hast mit Sicherheit viele Fragen.“ Rocinante rieb sich ein Reiskorn von den Fingern, faltete dann seine Hände und lehnte sich vor. Für einen Moment versuchte er den Wirrwarr in seinem Kopf zu bändigen, wusste aber, dass er nicht erfolgreich sein konnte. „Welches Jahr schreiben wir?“, fragte er dann, nicht sicher, ob er die Antwort wirklich hören wollte. „1528“, entgegnete der andere monoton. „Was? Fünfzehnhundert… Fünfzehnhundertachtundzwanzig?“ Law nickte nur und nahm einen tiefen Schluck von seinem Tee, ohne sich die Zunge zu verbrennen; entweder war der Tee wieder nur lauwarm oder der andere hatte eine verdammte Superkraft. „Das kann doch nicht sein. Gestern war es noch 1511“, murmelte er, bückte sich nach seinem Tee und nahm auch einen Schluck. Es musste eine Superkraft sein. „Eigentlich war es auch gestern schon 1528“, bemerkte der andere tonlos, „aber da warst du noch bewusstlos.“ Rocinante starrte auf den heißen Becher in seinen Händen an dessen Inhalt er sich gerade die Zunge verbrannt hatte, ohne den Schmerz überhaupt wahrzunehmen. „Du willst mir sagen, dass ich… 17 Jahre lang im Koma lag?“ „Nicht ganz so lange, aber ja.“ „Und du… bist jetzt…?“ „Naja, soweit ich mich nicht verrechnet habe werde ich in vier Monaten 30.“ Fassungslos starrte er den anderen an. „Aber gestern warst du noch 13!“ Nun zeigte der andere wieder ein halbes, aber offensichtlich falsches, Grinsen und strich sich über sein bärtiges Kinn. Er hatte einen Bart! „Nein, auch gestern war ich schon 29.“ „Aber nicht für mich!“ Er stellte den Becker ab und rieb sich durchs Gesicht. „Was ist nur passiert? Gestern warst du noch ein kleiner Junge, todkrank, und nun… und nun…“ Hilflos gestikulierte er in Richtung des anderen. „Was ist passiert?“ Law biss sich auf die Unterlippe, stellte seinen Tee hinter sich auf den Tisch und lehnte sich ebenfalls vor. „Was ist das letzte, woran du dich erinnerst, Cora“, fragte er und sah ihn direkt an. Seine Stimme war ruhig, wie die ganze Zeit schon, aber sein Kiefer bebte vor Anspannung. Rocinante auf der anderen Seite hatte große Schwierigkeiten sich zusammenzureißen, gerade wenn er an seine jüngste Vergangenheit dachte, die anscheinend bereits 13 Jahre zurücklag. „Wir waren auf Minion“, sagte er schließlich und hielt Laws Blick stand, „ich habe dir die Operationsfrucht besorgt und dann… hat mein Bruder mich erschossen.“ Für einen Moment dachte er an all die Dinge, die er vor jenem Moment gesagt hatte, all die Lügen, die er Law offenbart hatte, doch dann entschied er, dass jene Dinge warten konnten, bis er zumindest einen groben Überblick über die Sachlage hatte. Law hatte sich währenddessen erhoben und angefangen mit verschränkten Armen auf und ab zu gehen. Für einige Sekunden war nicht mehr zu hören als das Rascheln der Blätter hinter Rocinantes Rücken und das Klacken von Laws Schuhen. „Er hat auf dich geschossen“, erklärte Law dann endlich, ohne Rocinante anzusehen und unterbrach seine Grübeleien, „aber er hat dich nicht erschossen, auch wenn die ganze Welt das denkt.“ „Wie bitte?“ Er wollte aufstehen, aber seine Beine zitterten wieder so gefährlich, sodass ihm nichts anderes übrigblieb, als den Rücken des anderen anzustarren, der nun stehen geblieben war. „Ja, sie alle dachten du wärest tot…, deine Wunden waren auch ziemlich schlimm. Aber… aber weißt du… ich habe ja die Teufelsfrucht gegessen und damit…“ Law holte tief Luft, für einen Moment hatte seine Stimme gezittert, aber als er weitersprach klang er wieder so ruhig wie vorher. „Ich konnte dich retten. Dich und mich, aber du warst ziemlich schwer verletzt und ich hatte meine Kräfte noch nicht unter Kontrolle und habe Fehler gemacht, deswegen… deswegen konnte ich dich zwar heilen, gleichzeitig hatte ich dich jedoch mit meinen Kräften aus Versehen in ein Koma versetzt, einen Timeless Room, und erst vor wenigen Tagen ist es mir gelungen, ihn endlich aufzulösen. Deswegen bist du jetzt endlich aufgewacht.“ „Und keinen Tag gealtert“, murmelte er und betrachtete seine Hände. „Mhm“, nickte der andere nur zustimmend. „Und du bist jetzt fast dreißig Jahre alt, ein erwachsener Mann?“ „Scheint so.“ Langsam ging der andere wieder zu seinem Stuhl hinüber und setzte sich hin. „Und die ganze Welt denkt ich bin tot? Selbst Sengoku?“ Erneut nickte Law und sah zum Boden. „Ich wusste nicht, ob ich dich überhaupt retten konnte, geschweige denn, ob du je wieder aufwachen würdest, daher habe ich alle in diesem Glauben gelassen. Nach einigen Jahren habe ich es fast selbst geglaubt, anstatt mir noch Hoffnungen zu machen.“ Dunkle Schatten legten sich über das Gesicht des anderen, als er seinen Kopf senkte und sich mit den Händen durchs Haar fuhr. Es machte Rocinante beinahe Angst zu sehen wie dunkel und leer diese tiefen Augen wurden und er fragte sich, was sein kleiner, erwachsener Law in den letzten 17 Jahren hatte durchmachen müssen. Dieser faltete nun seine Hände über Mund und Kinn, immer noch dem Boden zugewandt. „Es tut mir leid. Das alles ist meine Schuld, hätte ich…“ „Oh nein, nein, Law.“ Er war vom Bett runtergerutscht und nahm die Hände des anderen in seine, während er vor ihm kniete. „Entschuldige dich nicht. Du hast mir das Leben gerettet. Du hast all die Jahre über mich gewacht.“ Der junge Mann, der gestern noch sein kleiner Schützling gewesen nun aber technisch gesehen bereits älter als er selbst war, zuckte zur Seite, als sein Kiefer gefährlich bebte, wohl nicht in der Lage Rocinante anzusehen. Es tat weh, es tat weh ihn so zu sehen, so voller Leid und Qualen; Dinge, die er nie hätte erleben sollen, vor denen Rocinante ihn hatte beschützen wollen. „Sieh mich an, Law“, flüsterte er und legte eine Hand an dessen bärtiges Kinn. „Lass mich dich betrachten. Lass mich den Mann sehen, der du geworden bist.“ Er konnte kaum verhindern, dass seine eigene Stimme zitterte und er spürte wie die Tränen in seinen Augenwinkeln brannten, doch immerhin sah Law auf, sah ihn direkt an. Rocinante schluckte unter diesem intensiven Blick dieser tiefen Augen, in denen sich nun zumindest wieder etwas Licht spiegelte. Law schien den Atem anzuhalten während Rocinante dessen Gesichtszüge inspizierte, die gerade Nase, die strengen Augenbrauen, die schmalen Lippen, das bärtige Kinn, die markanten Wangenknochen, die goldenen Ohrringe, das strubbelige, schwarze Haare. Er konnte ihn in diesem Gesicht erkennen, seinen kleinen Law. „Du bist wirklich groß geworden“, meinte er mit einem schwachen Lächeln und spürte wie sich eine Träne ihren Weg bahnte, „ich wünschte nur ich wäre dabei gewesen und hätte dich aufwachsen sehen.“ Nun biss Law sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf, ebenfalls wieder den Tränen nahe. „Du bist jetzt da“, meinte er und schniefte, offensichtlich um Fassung ringend, „das ist mehr als ich je zu hoffen gewagt habe. Du bist endlich wieder da.“ Mittlerweile hatte Law die Hand von Rocinante umklammert und sich so weit vorgelehnt, dass sie nur noch wenige Handbreit voneinander trennten. „Ich habe dich so vermisst, Cora. Ich war so allein in dieser Welt.“ Es tat weh, so viele Jahre hatte er ihn allein gelassen. Ihm kam es vor, als hätte er gestern noch den kleinen, kranken Law in seinen Armen gehalten, aber ihm wurde bewusst, dass Law mehr als die Hälfte seines Lebens darauf gewartet hatte, dass er wieder aufwachen würde, dass Law seine Stimme wieder hören würde, sein Lächeln wieder sehen… Tief atmete Rociante ein und neigte leicht den Kopf. „Aber ich bin jetzt wieder da, Law, und ich lasse dich nie wieder allein.“ Endlich war er in der Lage ehrlich zu lächeln, endlich konnte er Law das Lächeln zeigen, was er bisher nur hatte erzwingen können und dann sah er, wie die Tränen Laws ungehindert ihren Lauf nahmen. „Ich hab‘ dich lieb, mein Kleiner.“ „Ich dich auch“, flüsterte Law, nun bitterlich am Weinen, aber immerhin mit einem gebrochenen Lächeln, „ich dich auch.“ Es war ein Moment wie die ersten Sonnenstrahlen, die nach einem langen Regen, den wolkenverhangenen Himmel durchbrachen; ein kleines Stück Glück, ein kleines Stück Freude, welches die Trauer und das Leid verdrängten, während er dort vor seinem kleinen, erwachsenen Law kniete, dessen Hände in der seinen hielt und seine andere immer noch am Hals des anderen ruhen hatte, wo er den schnellen Puls spüren konnte. Doch plötzlich lehnte sich Law diese wenigen Zentimeter, die zwischen ihren Gesichtern noch waren, nach vorne und erneut versuchte er Rocinante zu küssen. Diesmal jedoch wich er aus. „Aber Law, was…?“ Er unterbrach sich, als Law wie vom Donner gerührt aufsprang und die Hände aus seiner zog. „Es… es tut mir leid“, meinte Law nur und brachte mehrere Meter Sicherheitsabstand zwischen sie beide. „Das war dumm von mir, völlig unbedacht. Natürlich meintest du nicht das, natürlich meintest du nur…“ „Law.“ Es tat weh. Die Schatten, die gerade von diesem befremdlich vertrauten Gesicht vertrieben worden waren, schienen nun noch dunkler über ihn hereinzubrechen, als er Rociantes Blick auswich. Er versuchte zu verstehen, was durch Laws Kopf ging, aber auch wenn er den Jungen wie den eigenen Sohn gekannt hatte, so war der Mann doch wie ein Fremder für ihn. „Nein, nein, Cora. Es tut mir leid“, entschuldigte Law sich erneut und rieb sich fahrig die Hände. „Weißt du, mir ist bewusst, dass ich für dich noch der kleine Junge von damals – von gestern – bin, aber… aber du musst verstehen…“ Law brach ab und holte tief Luft. „Aber du musst verstehen, dass nachdem was passiert ist, danach musste ich sehr schnell erwachsen werden.“ Er klang nun ruhiger, gefasster. Die Tränen waren bereits versiegt und seine finstere Miene zeigte kaum ein Gefühl, der Mund eine strenge Linie. Natürlich, er konnte es sich gut vorstellen. Der kleine Law, der gerade noch mit seiner Krankheit zu kämpfen hatte, musste irgendwie versuchen den schwer verwundeten Rocinante vor dessen eigenen Bruder in Sicherheit zu bringen und gleichzeitig am Leben zu erhalten. Die Zeit danach war sicherlich keine einfachere gewesen. Auf der Flucht, um sein eigenes Leben und das von Rocinante am Kämpfen. Die Jahre danach, von denen er noch nicht einmal mehr wusste, als dass er Law allein gelassen hatte, geschweige denn, was dieser allein hatte durchmachen müssen. Ja, alles was er für den Jungen gewollt hatte waren ein paar Jahre in denen er ein Kind hätte sein können und dieser Mann vor ihm war das traurige Zeugnis, dass Law hatte erwachsen werden müssen in dem Zeitpunkt, in dem Rocinante ihn nicht mehr hatte beschützen können. „Ich bin kein Kind mehr, Cora, schon lange nicht mehr“, fuhr der andere nun mit einer fast schon erschreckend sachlichen Stimme fort, „und ich weiß es ist nicht fair dir gegenüber, weil ich gestern noch ein Kind für dich war. Aber ich bin nun erwachsen, ich bin schon seit Jahren ein erwachsener Mann, und auch meine Gefühle sind nicht mehr die eines Kindes.“ Endlich verstand er, warum der andere ihn geküsst hatte. „Es tut mir leid, Cora, aber ich kann dich nicht mehr nur mit der Liebe eines Kindes lieben, schon lange nicht mehr.“ Law klang wehmütig aber ansonsten sehr gefasst, ganz anders als er selbst. Es tat weh, jedes Wort des anderen tat ihm weh, zeigte ihm, dass er den anderen im Stich gelassen, allein gelassen hatte. Wäre er da gewesen, hätte Rocinante den ersten Schuss abgefeuert, dann hätte Law nicht so schnell erwachsen werden müssen, dann hätte er noch etwas länger ein Kind bleiben können. „Aber mir ist natürlich bewusst, dass du es nicht erwidern kannst, denn für dich bin ich immer noch ein Kind. Es tut mir leid, ich habe mich von meinen Gefühlen überrollen lassen.“ „Hör auf dich zu entschuldigen.“ Schwerfällig erhob Rocinante sich, konnte den Tränen keinen Einhalt gebieten, während er auf den anderen zuging. „Entschuldige dich nicht dafür, dass ich nicht für dich da war, dass ich nicht auf dich aufgepasst hatte.“ Er beugte sich zu Law hinab und schloss ihn in seine Arme, schloss seinen kleinen, erwachsenen Law fest in seine Arme. „Entschuldige dich nicht dafür erwachsen geworden zu sein, weil ich versagt habe. Ich werde dich immer lieb haben, mein Kleiner. Gib mir etwas Zeit aufzuholen, gib mir etwas Zeit dich wieder kennenzulernen, aber entschuldige dich nicht, nicht bei mir, nicht für das, was du aufgrund meiner Unfähigkeit hast durchmachen müssen.“ „Aber Cora, ich…“ „Nein, Law“, unterbrach er den anderen bestimmt, „es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war, dass ich dich nicht beschützt habe. Mir tut es leid, dass du erwachsen werden musstest, obwohl du noch ein Kind warst und mir tut es leid, dass du denkst dich für deine eigenen Gefühle entschuldigen zu müssen, nur weil ich nicht bei dir war und dir beibringen konnte, dass du dich nie für deine eigenen Gefühle zu schämen brauchst.“ Vorsichtig strich er seinem ehemaligen Schützling durchs Haar. „Es tut mir leid, mein kleiner Law. Du warst ganz allein in dieser Welt und musstest ohne mich erwachsen werden. Es tut mir leid.“     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)