Flashlight von Dolly-Bird ================================================================================ Kapitel 1: Ein neues Zuhause ---------------------------- „Schmeckt es nicht?“, fragte eine männliche Stimme mit sanftem Unterton. Langsam hob er seinen Blick und schaute emotionslos in die rotbraunen Augen seines Gegenübers. Langsam wanderte sein Blick wieder nach unten auf den Teller. „Doch“, flüsterte er mit rauer Stimme und tauchte den Löffel in die Suppe. Es war eher eine Brühe mit Haferflocken drin, doch es wärmte ihn von innen heraus. „Wenn du noch mehr möchtest, sag es ruhig“, sagte die Stimme wieder. Langsam aß er und versuchte sich an die letzten Stunden zu erinnern. Die bösen Menschen hielten eine schwarze Messe ab und waren gerade dabei ein Kind, etwas älter als er selbst vielleicht, auf dem Altar zu opfern, als es einen lauten Knall gab. Rauch breitete sich urplötzlich in dem riesigen Saal aus, viele Menschen schrien durcheinander, laute Schritte und Flüche waren zu hören. Es ging alles ganz schnell. Viele Männer in schwarz, mit Helmen und bewaffnet, nahmen alle Mitglieder der Sekte gefangen und befreiten die Kinder aus ihren Käfigen. Er wusste nicht wie lange er dort war, gehalten wie ein Tier, eingesperrt in einem Käfig aus Eisenstangen. Die Menschen in ihren schwarzen Kutten wurden in Handschellen abgeführt, dann wurden die Kinder nach draußen gebracht. Viele Polizisten nahmen ihre Namen auf und nach und nach verschwanden die Kinder. Wurden von ihren Eltern, die überglücklich waren, abgeholt. Am Ende blieb nur einer übrig. Er selbst. Ein Mann redete mit ihm, er sah wie sich seine Lippen bewegten, doch er verstand kein Wort. Alles zog an ihm vorbei wie in Watte gepackt. Das nächste, an das er sich erinnern konnte, war, dass er in einer Badewanne saß und zwei sanfte Hände ihn vorsichtig wuschen. Teilnahmslos ließ er es über sich ergehen. Die Stimme, die gerade mit ihm gesprochen hatte, hatte dabei mit ihm geredet, doch er hatte nicht geantwortet. Die Worte erreichten ihn einfach nicht. Irgendwann saß er bekleidet mit Unterwäsche und einem T-Shirt, das ihm viel zu groß war, an diesem Tisch und vor ihm ein Teller mit dieser Suppe. Er hatte Hunger, großen Hunger, doch keinen Appetit. Er zwang sich eher das zu essen. Als der halbe Teller leer war, ließ er den Löffel in die Brühe sinken und schob ihn von sich. Sein Magen knurrte, wollte offensichtlich noch mehr. Der Mann, der ihm gegenüber saß, zog seine Augenbrauen nach oben. „Möchtest du etwas anderes?“, fragte er, erhielt als Antwort aber ein Kopfschütteln. Besorgt wurde er angesehen. Wie hätte er diese Frage beantworten sollen, wenn in ihm nur Leere herrschte? Seine Gedanken waren still, sein Kopf wie leergefegt. Er spürte nichts, dachte nichts, und wollte nichts. Er wusste nicht einmal den Namen von seinem Gegenüber. Plötzlich wurde ihm eine Tasse mit weißer Flüssigkeit vor die Nase gestellt. Der Inhalt dampfte leicht. „Wie wäre es mit einer heißen Milch?“, wurde er lächelnd gefragt. „… mit Honig?“, fragte er leise. „Sicher, so viel Honig, wie du möchtest.“ Der Mann stellte ihm mit einem freudigen Lächeln ein Glas mit goldgelbem, zähflüssigem Honig hin und legte einen Teelöffel dazu. Er nahm den kleinen Löffel in die Hand, tauchte ihn in das Glas und ließ den Honig langsam in seine Tasse laufen. Er verrührte den Inhalt, dann nahm er vorsichtig einen Schluck, um sich nicht die Zunge zu verbrennen. „Mh!“, erstaunt riss er seine blauen Augen auf und trank die Milch in einem Zug leer. Sie hatte die perfekte Temperatur und schmeckte herrlich süß. „Möchtest du noch mehr?“ Er nickte zögerlich als Antwort und schon wurde ihm nach geschenkt. Wieder tauchte er den Löffel in das Glas und verrührte den Honig mit der warmen Milch. Diese Kombination hatte er schon immer gemocht, soweit er sich zurückerinnern konnte. Damals hatte Opa immer gesagt er solle nicht zu viel von dem Honig nehmen, das wäre schlecht für die Zähne. Augenblicklich wurde er traurig. Opa, so nannte er ihn immer, war eigentlich der Butler seiner Familie. Er war, soweit er wusste, sogar der Butler seines eigentlichen Großvaters gewesen, doch dieser war früh verstorben. Traurig senkte er seinen Blick in die Tasse. Seine Familie, seine geliebten Eltern … Er würde sie nie wieder sehen. Er versuchte die Tränen herunter zu schlucken. Es war an seinem vierten Geburtstag gewesen. Opa wollte ihn zum Abendessen holen, doch er kam nicht und als er sich aus dem Zimmer schlich, um nachzusehen, was los war, stand ihr halbes Haus schon in Flammen. Seine Eltern lagen tot im Wohnzimmer. Er rannte weinend durchs Haus und rief nach Opa. Als er ihn fand, versuchte dieser ihn noch zu warnen, doch es war schon zu spät. Schwarze Männer stachen Opa nieder und nahmen ihn selbst mit. Als er aufwachte, befand er sich in einem Käfig. Er war in einem großen, runden Saal. Überall standen Käfige mit Kindern darin, manche sahen mehr tot als lebendig aus. An diesem Tag hatte die Hölle ihre Pforten für ihn geöffnet gehabt. „Hey … möchtest du dich vielleicht hinlegen?“, riss die Stimme ihn aus seinen düsteren Gedanken. Erschrocken hob er seinen Blick, dann nickte er langsam. Er war müde und erschöpft. Unzählige Nächte hatte er in diesem Käfig auf dem kalten, harten Boden geschlafen, aber immer nur ein paar Stunden, dann wurden sie geweckt. „Na komm“, sagte der Mann und deutete ihm, ihm zu folgen. Im Wohnzimmer deutete er auf das große Sofa, auf dem ein Kissen und eine Decke lagen: „Hier kannst du schlafen. Wenn etwas ist, egal was, dann komm zu mir, oder ruf nach mir, verstanden?“ Er nickte langsam, dann ging er zu dem großen Sofa, das plötzlich sehr einladend wirkte, und kroch unter die Decke. Kaum hatte er sich eingekuschelt, war er auch schon eingeschlafen. Kurz blieb Sebastian noch in seinem Wohnzimmer stehen und betrachtete den kleinen Jungen, dann ging er zurück in den Flur, löschte das Licht und lehnte die Tür an. Kopfschüttelnd betrat er seine Küche. Was für ein Tag! Nicht nur, dass sie es endlich, nach über einem Jahr, geschafft hatten, alle Mitglieder der schwarzen Sekte zu verhaften, jetzt schlief ein kleiner Waisenjunge in seinem Wohnzimmer. Sebastian hatte sich nie Kinder gewünscht, oder eher nie darüber nachgedacht, ob er welche wollte, und eigentlich wusste er auch nicht so recht was er mit ihnen anfangen sollte. Doch als er den kleinen Jungen ganz allein dort stehen sah und ein Polizist ihm mitteilte, dass dieser keine Eltern und auch sonst niemanden mehr hatte, hatte er kurzerhand beschlossen ihn bei sich aufzunehmen. Zumindest vorübergehend, damit er nicht in ein Waisenhaus musste. Der Junge war, wie alle Kinder, die sie dort herausgeholt hatten, traumatisiert. Ohne psychologische Betreuung würde er nie ein auch nur ansatzweise normales Leben führen können. Daher hatte er ihn mit zu sich genommen, schließlich hatte Sebastian einen Doktor in Psychologie. Er konnte, wenn er wollte, in Menschen lesen wie in einem Buch. Das war auch der Grund, weswegen er an diesem Abend bei dem Einsatz dabei gewesen war. Die Leute von Scotland Yard riefen ihn ab und an zu Hilfe bei besonders schweren Fällen, oder einfach nur um ein psychologisches Profil des Täters erstellen zu können. Dabei war das nicht einmal Sebastians Fachgebiet. Ihn interessierte eher, wieso Menschen so waren, wie sie waren und wieso sie sich in bestimmten Situationen so verhielten wie sie es taten. Er hatte einige Jahre in der Forschung gearbeitet und sich auch mit Neurologie beschäftigt. Aktuell jedoch leitete er die Klinik seines Vaters, da dieser aufgrund seiner schlechten Gesundheit nicht mehr arbeitstauglich war. Nicht, dass es ihm leid täte um seinen alten Herren. Er hatte zu seinen Eltern nie ein besonders gutes Verhältnis gehabt. Sie hatten sehr hohe Erwartungen an ihn gestellt und sobald er sie erfüllte, wurde die Messlatte weiter angehoben. Seufzend schob er diese Gedanken beiseite und räumte erst einmal den Tisch ab. Er würde sich die nächsten Wochen Urlaub nehmen, seinen neuen Gast konnte er nicht den ganzen Tag allein lassen. Wichtige Dinge sollten sie ihm eben hierher schicken. Die Klinik lag ihm sowieso nicht sonderlich am Herzen. Seufzend begann er das wenige Geschirr zu spülen. Er müsste seinen Freund Claude anrufen. Dieser war Kinderarzt und hatte vor zwei Jahren zwei Jungen bei sich aufgenommen, die durch einen schlimmen Unfall ihre Familie verloren hatte. Der Ältere müsste ungefähr im selben Alter sein. Sebastian brauchte Kleidung für den Kleinen, so konnte er nicht mit ihm nach draußen gehen. Nachdem er alles abgetrocknet und weggeräumt hatte, suchte er nach seinem Smartphone. Das lag noch im Eingangsbereich, genau wie seine Schlüssel und sein Portemonnaie. Er nahm es in die Hand, ging zurück in die Küche und entsperrte es auf dem Weg dorthin. Er öffnete das Telefonbuch und suchte nach Claudes Namen. Nachdem er auf den grünen Hörer gedrückt hatte, hielt er sich das Gerät ans Ohr und wartete. Es klingelte nur dreimal, dann wurde am anderen Ende abgenommen. „Was gibt es?“, erklang Claudes Stimme mit genervtem Unterton. „Störe ich?“, fragte Sebastian schmunzelnd. „Nein, ich hatte nur gerade eine Diskussion mit Alois wegen seiner zu-Bett-geh-Zeit“, seufzte der Gefragte. Sebastian lachte leise. Die zwei waren wie Feuer und Wasser. „Ich brauche deine Hilfe“, kam er ohne Umschweife auf den Punkt. Er sah bildlich vor sich wie Claude eine Augenbraue skeptisch hob. „Worum geht es?“, wollte dieser wissen. „Du hast bestimmt schon in den Nachrichten gesehen, dass diese schwarze Sekte zerschlagen wurde“, begann Sebastian und erhielt ein zustimmendes Brummen. „Um es kurz zu machen, ich habe eines der Kinder mit zu mir genommen, da es keine Familie mehr hat.“ „Ich werde bestimmt nicht noch so einen Quälgeist in mein Haus lassen“, grummelte Claude mit tiefer Stimme. Sebastian lachte leise. Auch wenn Claude oft mit Alois aneinander geriet, er liebte diesen und dessen kleinen Bruder Luca über alles. „Keine Sorge, das wollte ich auch nicht. Ich möchte dich nur bitten mir morgen ein paar Klamotten von Alois zu bringen. Ich war auf dem Nachhauseweg kurz einkaufen und hab ihm ein paar Shorts gekauft und jetzt trägt er ein T-Shirt von mir, so kann ich nicht mit ihm auf die Straße gehen. Ich bräuchte nur ein Outfit, dann kann ich ihm morgen Kleidung kaufen.“ „Wenn es nur das ist“, sagte Claude. Erleichterung schwang in seiner Stimme mit. „Soll ich ihn auch untersuchen?“ Sebastian überlegte kurz. „Später, ja. Ich hab ihn vorhin gebadet, aber das hat er kaum mitbekommen. Er scheint soweit unverletzt zu sein. Sein Körper ist zwar übersät von Schrammen und blauen Flecken, aber sonst scheint alles in Ordnung zu sein.“ „Okay, dann bringe ich dir morgen früh gleich die Sachen vorbei.“ Ein Schrei ließ Sebastian kurz erschrocken zusammen zucken. „Claude, ich muss Schluss machen. Wir reden morgen!“, sagte er und legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Der andere hatte es sicherlich auch gehört. Mit schnellen Schritten ging Sebastian ins Wohnzimmer und schaltete das Licht ein. „Ciel? Alles in Ordnung?“ Das war es offensichtlich nicht. Auf dem Sofa befand sich eine kleine, zitternde Kugel, umhüllt von der Decke. Langsam ging Sebastian näher und vor der großen Couch auf die Knie. „Hattest du einen Albtraum?“, fragte er mit sanfter Stimme. Ein zaghaftes Nicken war die Antwort. „Es ist alles gut, niemand wird dir mehr weh tun. Außer uns beiden ist niemand hier“, sagte er und versuchte so den verängstigten Jungen zu beruhigen. „Kannst du hier bleiben?“, fragte dieser leise. „Natürlich“, lächelte Sebastian, löschte das Licht und setzte sich in seinen Sessel. Einige Zeit verging, doch irgendwann hörte er nur noch die ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge des Jungen. Leise stand Sebastian auf und verließ das Wohnzimmer. Mittlerweile breitete sich die Müdigkeit auch in ihm aus und so ging er erst ins Bad, um sich die Zähne zu putzen, und dann in sein Schlafzimmer. Dort zog er sich bis auf seine Boxershorts aus und ein frisches T-Shirt über. Normalerweise schlief er ohne, aber er war sich fast sicher, heute Nacht noch einmal aufstehen zu müssen und da wollte er nicht halbnackt im Wohnzimmer sitzen. Sebastian hatte sich gerade erst gemütlich hingelegt, da jagte ihn ein Schrei wieder aus dem Bett. Ihm bot sich das gleiche Bild wie zuvor und so saß er letzten Endes über eine halbe Stunde in seinem Sessel. Ohne es zu merken döste er ein, doch die Ruhe war ihm nicht lange vergönnt. Denn sein Gast schreckte wieder aus dem Schlaf, diesmal aber ohne zu schreien. „Keine Angst, ich bin hier“, sagte er leise. Seine Anwesenheit schien den Jungen tatsächlich zu beruhigen. Als Sebastian in dieser Nacht zum vierten Mal geweckt wurde, reichte es ihm. Sein Rücken tat schon weh von dieser ungemütlichen Schlafposition. Also stand er auf und ging vor dem Sofa auf die Knie. „Ciel, was hältst du davon, wenn wir in meinem Bett schlafen? Keine Angst, es ist groß genug für uns beide.“ Ein zögerliches Nicken war die Antwort. Sebastian richtete sich wieder auf, nahm den Jungen samt Decke und Kissen auf seine Arme und trug ihn in sein Schlafzimmer. Das Licht war sowieso überall ausgeschaltet. Beim Vorbeigehen warf er einen Blick auf seinen Receiver. 03:07 Uhr am Morgen zeigte dieser ihm. Er seufzte leise, lief mit nackten Füßen durch den Flur in sein Schlafzimmer. Dort angekommen schob er die Tür mit seinem Fuß zu und legte den Jungen auf sein großes Bett. Eigentlich brauchte er nicht so viel Platz alleine, doch nun war er zum ersten Mal froh, dass er sich von Claude hatte überreden lassen, ein Kingsize Bett zu kaufen. Müde legte Sebastian sich auf die andere Seite und kuschelte sich in seine Decke und sein Kissen. Er war gerade dabei einzuschlafen, als ein Wimmern und Deckenrascheln ihn wieder weckte. Mit einem leisen Seufzen drehte er sich auf die andere Seite. Der Junge schien schon wieder einen Albtraum zu haben. Da er sich nicht anders zu helfen wusste, rutschte Sebastian noch ein Stück näher zu ihm und legte dann seine Hand auf den flachen Bauch des Kleinen. Ein paar Augenblicke später wurde dieser merklich ruhiger. Erleichtert schloss Sebastian seine Augen, aber ließ seine Hand, wo sie war. Kurz bevor er einschlief, spürte er eine kleine Hand, die sich auf seine legte. Als Sebastian am nächsten Morgen aufwachte, lag seine Hand immer noch auf Ciels Bauch und wurde von dessen kleiner Hand gehalten. Er lächelte leicht und musterte den Jungen. Er war wirklich noch sehr klein, hatte lange, dichte Wimpern, blasse Haut und ein paar aschblaue Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Sebastian schmunzelte und streichelte vorsichtig die verirrten Haare aus dem kindlichen Gesicht. Nie hätte er gedacht, dass er sich einmal um ein Kind kümmern würde und dass dieses auch noch in seinem Bett schlafen würde. Langsam drehte er sich um, um mit seiner freien Hand nach seinem Smartphone zu angeln. Zwar verrenkte er sich fast dabei, aber es war wahrscheinlich schon spät und Claude würde jeden Moment hier auftauchen. 08:39 leuchtete ihm hell entgegen, als er das Display aktivierte. Kurz kniff Sebastian seine Augen zusammen. In dem dunklen Raum tat diese plötzliche Helligkeit beinahe schon weh in den Augen. Seufzend legte er das Gerät wieder zurück auf den Nachttisch und drehte sich wieder zurück. Sollte er den Jungen jetzt wecken oder sich einfach leise raus schleichen? Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als Sebastian versuchte seine Hand zu sich zu ziehen. Ein leises Murren erklang, dann schlug Ciel seine Augen auf und schaute den anderen müde an. Er blinzelte kurz, dann setzte er sich erschrocken auf und schaute sich gehetzt in dem Schlafzimmer um. „Hey, ganz ruhig, Ciel. Du bist in Sicherheit“, sagte Sebastian mit sanfter Stimme und hoffte, er würde sich wieder beruhigen. „Oh“, sagte er leise und schaute sich dann neugierig um. Sebastian derweil stand auf und streckte sich kurz. „Hast du gut geschlafen?“, fragte er und erhielt als Antwort ein zaghaftes Nicken. Unwillkürlich musste er lächeln, der Kleine war wirklich niedlich. Er streckte Ciel eine Hand hin, um ihm vom Bett zu helfen: „Na komm, wir frühstücken erst mal.“ Kurz zögerte der Kleinere noch, dann ließ er sich von dem großen Bett helfen und tapste Sebastian hinterher Richtung Küche. Vor der Badezimmertür blieb er jedoch stehen. Verwundert zog Sebastian seine Augenbrauen zusammen, dann fragte er: „Musst du auf die Toilette?“ Schüchtern nickte Ciel und betrachtete seine nackten Füße. Erst wollte der Ältere fragen wieso er dann nicht ging, hielt ihm stattdessen seine Hand hin und lächelte: „Na komm, ich helfe dir.“ Recht schnell musste Sebastian feststellen, dass Ciel zu klein war und ohne ihn schlicht in die Schüssel fallen würde. Gedanklich machte er sich eine Notiz, Claude nachher zu fragen was er tun sollte. Nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, gingen sie in die Küche. Ciel kletterte auf den Stuhl, auf dem er schon am Abend zuvor gesessen war und beobachtete Sebastian neugierig. Dieser stellte Teller, Brötchen, Butter und verschiedene Marmeladen auf den Tisch. „Ciel, möchtest du eine warme Milch?“, fragte er. Die Antwort war wieder mal ein Nicken. Wahrscheinlich war er überfordert mit der Situation, was nicht verwunderlich war. Sebastian konnte beobachten wie er mit dem Saum seines T-Shirts, das für den Jungen eher wie ein Kleid war, spielte. Nachdem die Milch in dem kleinen Topf anfing zu dampfen goss Sebastian sie in eine Tasse und stellte sie neben Ciels Teller. Danach setzte er sich selbst an den Tisch und griff nach einem Brötchen: „Möchtest du eins?“ Wieder ein leichtes Nicken. Innerlich seufzend schnitt Sebastian das Gebäck auf, schmierte auf eine Hälfte dünn Butter und dann Erdbeermarmelade. „Hier, lass es dir schmecken“, sagte er lächelnd, als er die Brötchenhälfte auf Ciels Teller legte. „Danke …“, flüsterte dieser und griff vorsichtig nach seinem Frühstück. Sebastian beschmierte sich die andere Hälfte und wollte gerade rein beißen, als eine leise Stimme fragte: „Kann … kann ich noch eins haben?“ Überrascht schaute er Ciel an. Dieser saß mit roten Wangen da und kaute unsicher auf seiner Unterlippe. „Natürlich“, lächelte Sebastian warm und nahm noch ein Brötchen. Er war froh, dass der Junge aß. Er war viel zu dünn. Kaum hatte er ihm die geschmierte Hälfte auf den Teller gelegt, klingelte es auch schon an der Tür. Erschrocken schaute Ciel ihn an. „Iss ruhig, das ist ein Freund von mir, er bringt nur was zum anziehen für dich. Dann können wir nach dem Frühstück in die Mall fahren und dir Kleidung kaufen und was du sonst noch brauchst.“ Kaum war Sebastian aufgestanden, ertönte die Klingel schon zum zweiten Mal. Geduld war noch nie Claudes Stärke gewesen. Lächelnd öffnete Sebastian die Tür: „Guten Morgen.“ „Morgen“, sagte Claude und streckte ihm eine große Tüte entgegen, „hier hast du ein Outfit, das kannst du behalten. Alois ist es ein wenig zu klein.“ Kaum hatte Sebastian die Tüte in der Hand, drehte der andere sich schon um und erweckte den Anschein ohne Verabschiedung gehen zu wollen. Verwundert hob er eine Augenbraue und wollte schon fragen, ob er nicht mal mehr Zeit hatte sich zu verabschieden, da stand Claude mit einem Kindersitz in den Armen schon vor ihm. Auf Sebastians mehr als verwunderten Blick sagte er: „Den wirst du brauchen, wenn du mit dem Kleinen in die Mall fahren willst.“ Klar. Daran hatte er überhaupt nicht gedacht. „Danke Claude, du bist echt meine Rettung!“, sagte Sebastian und klopfte diesem auf die Schulter. „Kein Problem, aber in ein paar Tagen brauche ich den Kindersitz. Hannah hat kurzfristig beschlossen übers Wochenende weg zu fahren.“ „Kein Problem, grüß sie von mir.“ „Mach ich.“ Claude drehte sich um und wollte gerade gehen, da fiel Sebastian noch etwas Wichtiges ein. „Claude! Eine Frage noch.“ Der Angesprochene drehte sich wieder um und schaute ihn fragend an. „Gibt es eine Möglichkeit, dass er allein auf die Toilette geht? Also, ohne dass er in die Schüssel fällt.“ Auf seine Frage hin bekam Sebastian etwas eher Seltenes zu sehen. Sein Freund schmunzelte belustigt, dann sagte er: „Da gibt es extra Auflagen, die kannst du auf die Brille legen. Allerdings solltest du erst mal ein Auge darauf haben, ob das auch klappt.“ „Okay, danke dir.“ Sie verabschiedeten sich und Sebastian ließ die Tüte und den Kindersitz erst einmal im Eingangsbereich stehen. In der Küche musste er erstaunt feststellen, dass sein Frühstück verschwunden war. Unsicher wurde er von blauen Augen angeschaut, doch er setzte sich schmunzelnd an den Tisch und nahm ein neues Brötchen. „Möchtest du noch eins?“, fragte er Ciel und dieser nickte. Seine Milch war auch leer. „Kann ich noch eine haben?“, fragte er schüchtern. „Ich mach dir gleich noch eine“, sagte Sebastian und beschmierte die Brötchenhälften. Eine legte er Ciel hin, die andere aß er selbst, während er nochmal Milch erwärmte. Nach zwei Brötchen und zwei Tassen Milch war Ciel dann aber wirklich satt. Sebastian staunte ein wenig, wie viel der Kleine essen konnte. Nach dem Frühstück kämmte er erst einmal seinen kleinen Gast und dann sich selbst, anschließend putzten sie Zähne, wobei die Zahnbürste für Ciel eigentlich viel zu groß war und die Zahnpasta war auch nicht für Kinder geeignet, wie Sebastian leise seufzend feststellen musste. Das würde heute wohl einen Großeinkauf geben. Als sie im Bad fertig waren, holte er die Sachen, die Claude gebracht hatte. Er zog Ciel das viel zu große T-Shirt aus und das andere über. Es war türkis und hatte irgendeine Figur darauf abgebildet, aber es passte. Danach zog er ihm die blaue Jeans an, die oben einfach nur einen Gummizug hatte. Sehr praktisch, dachte Sebastian und stellte erfreut fest, dass sogar Socken und Schuhe dabei waren. Zum Schluss bekam Ciel noch eine graue Sweatjacke, dann ging Sebastian in sein Schlafzimmer, um sich selbst anzuziehen. Als sie soweit waren und er sich sicher war, dass er alles Nötige dabei hatte, nahm Sebastian den schweren Kindersitz und stellte ihn erst einmal vor die Tür. Dann rief er den Fahrstuhl und schloss seine Wohnung ab. In der Tiefgarage angekommen stand Sebastian vor einem echten Problem. Wie baute man so einen Sitz ein? Ciel, der einfach nur daneben stand und ihm zusah, war keine Hilfe. Doch nach einigen vergeblichen Versuchen hatte Sebastian es geschafft. „So. Dann rein mit dir“, sagte er lächelnd, hob Ciel hoch und setzte ihn in den Kindersitz. Nachdem er sicher war, dass der Junge richtig angeschnallt war, ging er um sein Auto herum und setzte sich auf den Fahrersitz. Sebastian hätte nie gedacht, dass es so lange dauern würde einen Kindersitz einzubauen und das Kind anzuschnallen. Noch dazu war sein Auto, ein sportlicher Zweisitzer, nicht unbedingt dazu gedacht kleine Kinder mitzunehmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)