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Das Bluterbe der Youkaifürsten

Fortsetzung zu "Die Blutfehde der Youkaifürsten"
von

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Prolog

„Oh, was war denn das gerade?“, rasch läuft der kleine Junge zu seiner Großmutter hinüber die gerade in dem Beet hinter ihrer Hütte Gemüse anpflanzt. Die alte Frau richtet sich auf und hält sich den schmerzenden Rücken. Beruhigend lächelt sie ihren Enkel an, der ihr mit großen Augen ängstlich am Zipfel ihres Yukata zupft. Auch sie hat das leichte Erdbeben gerade gespürt.

„Keine Angst, das ist nur der Fuji-san!“, erklärt sie, „Wenn die Geister in ihm ärgerlich sind, dann lassen sie die Erde erbeben und manchmal versuchen sie auch daraus zu entkommen, indem sie sich mit der Lava hinaustragen lassen. Aber heute sind sie nur ein bisschen schlecht gelaunt. Wir werden nachher am Schrein ein paar Opfer bringen, um sie wieder zu besänftigen. Und jetzt hilf mir lieber im Garten!“

Artig macht sich der Junge an die Arbeit, seiner Großmutter zu helfen. Während der Alltag in dem kleinen Dorf am Fuße des Fuji wieder seinen Gang geht, steigen am Himmel über der Spitze des Vulkans schwarze Wolken auf. Heute ist der Berg mit der symmetrischen Kegelform und der weißen Schneespitze besonders aktiv. Viele, kleine Beben erschüttern immer wieder die Erde und ein aufmerksamer Beobachter würde bemerken, dass sämtliche Tiere in der Umgebung eine enorme Unruhe erfasst hat, und dass ganze Schwärme von Vögeln auffliegen und das Weite suchen.

Die Tiere haben es im Gespür. Im Inneren des Vulkans braut sich etwas zusammen und es verheißt nichts Gutes. Brodelnde Lavamassen steigen immer wütender im Schlot des Berges auf. Die Erderschütterungen werden immer heftiger und schließlich wird der Druck im Inneren zu groß und in einem mächtigen und schaurigen Funken- und Feuerregen schleudert der Berg sein rotglühendes Innenleben in einem spektakulären Schauspiel und unter lautem Getöse in den dunkler werdenden Abendhimmel hinaus.

Ein breiter, roter Lavastrom fließt über die kegelförmigen Hänge hinab und so langsam und stetig er auch fließt, er nimmt unwiederbringlich jeden Baum und jedes Leben mit, dass ihm dabei im Weg ist.

An einer Stelle wird der glühend heiße Strom von einem mächtigen Felsbrocken geteilt und schwarze Lavakrusten türmen sich an dieser Stelle auf und bilden beim Erkalten bizarre Muster. Immer mehr staut sich an dieser Stelle der heiße Fluss und verlangsamt so den Strom immer mehr, was ihn schneller erkalten lässt. Die Luft über den schwarzen Schollen flimmert wild in die Nacht hinauf. Außer dem gelegentlichen Zischen der Lava ist kein Laut zu hören. Sämtliche Tiere haben die Gegend längst verlassen.

Doch auf einmal beginnt sich eine der schwarzen Schollen auf sehr sonderbare Weise zu bewegen. Irgendetwas scheint von unten gegen sie zu drücken und diesmal ist es nicht die Lava. Etwas schiebt sich nun zwischen den Krusten hervor. Es hat die Gestalt einer Hand, doch sie ist klein und rotglühend.

Dieser Hand folgt nun ein Arm; auch dieser ist noch immer von der brennenden Flüssigkeit überzogen. Eine Schulter erscheint und dann ein Kopf. Und schließlich schlüpft ein ganzer Körper aus dem Inferno heraus und bleibt regungslos auf dem stabilen Felsen neben dem Lavafluss liegen.

Eine ganze Weile rührt die kleine Gestalt keinen Muskel. Doch dann beginnt sich ihre Brust ganz allmählich zu heben und zu senken, als hätte sie vergessen wie das geht. Langsam kühlt die kochende Masse ab, die sie gerade noch eingehüllt hat und mit jeder schwachen Bewegung bröckelt etwas mehr von dem verkrusteten Lavagestein ab und fällt neben ihr zu Boden.

Schließlich hat das Magma die kleine, zierliche Gestalt völlig freigegeben und nun liegt sie nackt und bloß zusammengekauert auf dem Stein. Ihre Haut ist zwar unversehrt, jedoch ist sie von einer krebsroten Farbe, als hätte sie sich verbrüht. Der Nachtwind trägt durch die aufgeheizte Luft nur wenig Kühlung zu ihr.

Ganz allmählich beginnt das schlanke Wesen nun die Glieder zu strecken und die Finger zu spreizen. Mit zittrigen Bewegungen versucht es sich der Funktion seiner Gliedmaßen zu erinnern. Unter großen Anstrengungen stützt die Gestalt nun die dürren Ärmchen auf und hebt den Kopf an dem schrecklich dünnen Hals um die winzige Nase in dem feinen Gesicht in den Nachtwind hinauf zu strecken. Langsam nimmt sie einen tiefen Zug. Dann schlägt sie die Augen auf. Ein tiefes Rot färbt die Iriden und je mehr die Haut der zierlichen Person abkühlt um so mehr verwandelt sich die ungesunde Farbe in einen blassen, fast weißen Farbton. Ein feiner Flaum aus schwarzen Haaren kräuselt sich jetzt über dem Haupt und umrahmt damit zwei spitzzulaufende Ohren. Die Gestalt sieht nun aus wie ein Knabe von kaum vier Jahren.

Langsam und etwas wackelig bemüht er sich jetzt auf die Beine zu kommen. Und schließlich steht er aufrecht und blickt sich um. „Endlich!“, wispert er kaum hörbar, „Ich bin frei! Wie lange war ich fort?“ Doch niemand ist da, der Antwort geben kann.

Mit unbeholfenen Schritten setzt der kleine Junge einen Fuß vor den anderen. Irritiert blickt er an sich herunter. „Ich bin schwach geworden“, stellt er flüsternd fest. Zu mehr fehlt ihm noch die Kraft. „Ich sollte möglichst schnell wieder essen!“

Nun hebt er erneut den Kopf und blickt sich um. Die Nacht ist hereingebrochen. Und außer der glühenden Lava und den unzähligen Sternen am Himmel, entdeckt er nun einige schwache Lichter auf Augenhöhe in der Ferne. Dort muss also ein Dorf sein. Der kleine Junge lächelt. „Wie überaus praktisch!“

Augenblicklich richtet er sich auf. Allmählich scheint er seine Körperbewegungen unter Kontrolle zu haben. Mit geschickten Sätzen springt er nun von Stein zu Stein bis er schließlich festen Boden erreicht, weit genug entfernt vom Vulkanausbruch. Dann setzen seine bloßen Füße auf dem verdorrten Gras der Wiesen auf und mit flinken Sprüngen, die immer schneller werden, macht er sich in Richtung des Dorfes auf.

Dämonenjagd

Wachsam streifen Kohakus Augen über den Boden der rasch unter ihm dahinfliegt. Gerade sitzt er auf dem Rücken der Dämonenkatze Kirara und ist gerade bei der Arbeit. Ein Dorf hat ihn gebeten, sich um einen Fuchsdämon zu kümmern, der schon eine Weile seinen Schabernack mit ihrem Dorf treibt. Leider konnte ihm niemand einen Hinweis geben, wo dieser Dämon seinen Unterschlupf haben könnte.

Kohaku seufzt. Manchmal ist es wirklich nicht einfach Dämonenjäger zu sein. Kaum taucht man auf, erwartet jeder, dass er das Problem augenblicklich lösen wird. Manchen Leuten ist es nur schwer begreiflich zu machen, dass so etwas seine Zeit braucht. Und wenn man dann gar um etwas Mithilfe bittet, oder es sogar wagt, zu erwähnen, dass sie mit solchen kleinen, Plagegeistern auch recht problemlos alleine fertig werden könnten, dann sind sie auf einmal gar nicht mehr so kooperativ. Na ja, zumindest bezahlen sie ihn großzügig, für so einen lausigen Auftrag. Da ist es nur fair, wenn er sich etwas Mühe gibt.

Ein Fuchsdämon! Also bitte! Aber gut, wenn es sein muss. Er hofft innerlich, dass es nicht vielleicht sogar Shippo ist. Bisher ist ihm der jugendliche Fuchs nur ein einziges Mal bei seiner Arbeit in die Quere gekommen und nach einer intensiven Unterhaltung, hat der Kitsune versichert, sich in Zukunft von Menschen fernzuhalten mit seinen Streichen.

Aber Kohaku weiß, sein Freund ist gerade kurz vor der nächsten Prüfung für seinen Youkai-Rang, und deshalb sollte man dieser Behauptung nicht unbedingt Glauben schenken. Nun ja, wenn er ihn diesmal erwischt, wird er nicht mehr so nachsichtig mit ihm sein. Dann wird er andere Seiten aufziehen und ihn zurück zu Inu Yasha und den anderen bringen. Die werden ihn schon zurechtstutzen. Aber vermutlich ist es irgendein anderer Fuchsyoukai der für sein Examen übt. Na ja, mit dem muss er dann ja nicht zimperlich umgehen.

Aufmerksam beobachtet er alles was sich in dem Wald unter ihm bewegt. Doch langsam werden die Bäume dichter, also muss er tiefer hinabgehen. Gemächlich gleitet die kräftige Katze mit ihrem Reiter ein Stück über dem Waldboden. Gemeinsam haben sie schon ein großes Stück um das Dorf herum abgesucht, bisher ohne Erfolg.

Doch auf einmal hebt Kirara den Kopf und die Dämonenkatze verlangsamt ihr Tempo und gleitet auf die Erde hinab. Ein tiefes Knurren ist nun in ihrer Kehle zu hören und Kohaku horcht auf.

„Ist er das, Kirara?“, fragt er. Doch die Katze hat auf einmal sämtliche Muskeln angespannt und ihr Fell beginnt sich zu sträuben. Der junge Mann spürt sogleich, dass Gefahr in der Nähe ist und er greift nach seiner Kusarigama (Kettensichel). Wachsam mustert er jeden Baum und Strauch in seiner Umgebung, bereit augenblicklich zu reagieren, sollte sich etwas nähern.

Nur wenige Augenblicke vergehen und plötzlich springt eine Gestalt in voller Fahrt aus einem Gebüsch hervor und stürmt direkt auf ihn zu. Kohaku reagiert augenblicklich. Noch ehe er genau sehen kann, was da auf ihn zukommt, fliegt dem schon seine Waffe entgegen, wickelt sich um die kleine Gestalt vor ihm und reißt sie mit einem Aufschrei zu Boden.

Mit einer gewissen Befriedigung beäugt Kohaku den zappelnden und schreienden Fuchsyoukai, der sich da in seiner Kette verfangen hat und mit einem geübten Ruck, zieht er die Metallschlingen fester.

Der Kitsune beginnt laut zu jammern. „Hilfe! Er hat mich! Ich bin gefangen, das ist mein Ende! Hilfe, ich will noch nicht sterben! Ich bin doch noch viel zu jung dazu!“ Und dann bricht er in ein klägliches Schluchzen aus.

Gelassen steigt Kohaku von Kiraras Rücken und unerbittlich beginnt er den Fuchs zu verschnüren. „Stell dich nicht so an!“, meint er, „Ich hab ja gar nicht vor, dich umzubringen. Ich sorge nur dafür, dass du die Leute im Dorf nie wieder behelligst.“

„Das Dorf!“, der Kitsune starrt ihn auf einmal erschrocken mit großen Augen an. „Er ist im Dorf! Er wird mich umbringen! Er bringt uns alle um!“, und dann heult er wieder los.

Kohakus Stirn legt sich in Falten. Er wirft einen beunruhigten Blick zu Kirara hinüber. Die Dämonenkatze steht noch immer da mit gesträubtem Fell und starrt unentwegt in die Richtung aus der sie gekommen sind. Nun wird es dem jungen Dämonenjäger doch etwas unbehaglich zumute.

Ernst wendet er sich wieder an den vor Angst schlotternden Fuchsdämon. „Wer ist da im Dorf?“, fragt er, „Was ist passiert?“

Der jugendliche Fuchs erbleicht. „Er hat alle umgebracht. Ich konnte ihm gerade noch entkommen. Lass mich los, wir müssen sofort weg hier!“

Für einen Moment zögert Kohaku, dann meint er: „Wir gehen der Sache nach. Du kommst mit uns!“

„Auf keinen Fall!“, schreit der Kitsune schrill, „Ich geh nicht zurück! Du kannst mich nicht zwingen, du kannst mich nicht zwingen!“

Kohaku seufzt. Fuchsyoukai sind können wirklich verflixt nervig sein. Wenn er ihn mitnimmt, wird er vermutlich alles zusammenschreien und damit wäre ein unbemerktes Anschleichen unmöglich. Aber andererseits, könnte das auch eine List sein. Es ist sicher besser, kein Risiko einzugehen.

Seine Hand greift rasch in seine Tasche und dann fördert er eine kleine Kapsel zutage. „Kirara!“, wirft er seiner Kameradin einen bedeutsamen Blick zu und die Katze steigt rasch ein paar Meter auf. Ehe der Fuchsdämon merkt was geschieht, entströmt der Kapsel bereits eine große Gaswolke, begleitet von einem beträchtlichen Gestank und nur wenige Augenblicke später verdreht er die Augen und kippt betäubt nach hinten.

Kohaku löst seine Kette und schnürt den kleinen Youkai nun stattdessen mit einem Seil zusammen. Dann schultert er ihn und steigt wieder auf Kiraras Rücken. Die Dämonenkatze knurrt.

„Ja, ich weiß, Kirara“, meint Kohaku, „Mir wäre es auch lieber, ihn hierzulassen. Aber wenn er uns nur was vorspielt, dann müssen wir ihn wieder suchen. So sparen wir uns die Mühe. Dann können wir ihn auch gleich im Dorf abliefern.“

Wieder lässt sich die Katze ein tiefes Knurren vernehmen.

Kohaku nickt langsam. Sein Gesicht ist ernst. „Ja, ich spüre es auch. Irgendwas ist da faul!“ Dann gibt er seiner Freundin ein Zeichen und rasch machen die drei sich auf den Weg zurück ins Dorf.
 

Es dauert nicht lange, bis sie in der Ferne die ersten Häuser der Siedlungen erkennen können. Kohaku zieht die Stirn kraus. Über dem Dorf kreisen Krähen. Das verheißt nichts Gutes. Kurz vor der Umzäunung steigt er von Kiraras Rücken, legt den betäubten Kitsune ins Gras, greift seine Waffe und nähert sich leise und wachsam dem Dorfeingang.

Kein Mensch ist zu sehen. Das ist höchst ungewöhnlich. Normalerweise herrscht hier ein munteres Kommen und Gehen, doch nun ist niemand mehr unterwegs. Kohaku greift seine Waffe fester. Am Eingang des Dorfes stellt er fest, dass die Hälfte des Tores etwas schief in den Angeln hängt und der Riegel dahinter in zwei Teile gebrochen ist.

Dem jungen Mann wird mulmig zumute. Hier stimmt also wirklich etwas nicht und anscheinend haben sie es kommen sehen und versucht, sich zu verteidigen. Vorsichtig schiebt er sich durch den Spalt im Tor und dann weicht für einen Moment alle Farbe aus seinem Gesicht.

Die Wege die an den Hütten vorbeiführen sind an vielen Stellen mit großen Blutlachen versehen und viele der Haustüren liegen auf dem Boden, oder wurde gewaltsam eingeschlagen. Hausrat liegt wie hingeworfen überall verstreut und hier und da sieht man blutige Kleidung von Männern aber auch Frauen und Kindern auf der Erde liegen.

Kohaku schluckt. Sein Herz schlägt bis zum Hals. Er war doch höchstens einige Stunden fort, was ist bloß während seiner Abwesenheit geschehen? Wer hätte in so kurzer Zeit ein solches Blutbad anrichten können? Was ihm jedoch noch mehr Kopfzerbrechen bereitet, ist die Tatsache, dass er bisher keine einzige Leiche gesehen hat.

Vorsichtig wagt er sich weiter vorwärts. Wachsam behält er die Umgebung um sich im Auge. Bei jedem Geräusch zuckt er kurz zusammen. Behutsam zieht er die Luft in. Langsam beginnt er es zu spüren, diese drückende Aura, die auf dem Dorf liegt. Hier war ganz eindeutig irgendein Youkai am Werk. Der Fuchs kann dies hier unmöglich getan haben. Das sieht nach einer wesentlich brutaleren Handschrift aus.

Schließlich erreicht er den Dorfplatz und er hält wie erstarrt inne. Mitten auf dem Platz liegen, zu einem hohen, säuberlichen Turm aufgeschichtet, Knochen. Unzählige Knochen! Menschenknochen, daran besteht kein Zweifel.

Und dann sieht er ihn. Hinter dem mannshohen Haufen aus Menschengebeinen hockt eine schmächtige, kleine Gestalt. Sie wirkt kaum älter als sechs und ihre kurzen, schwarzen Haare reichen kaum bis zum Nacken. Sie trägt einen Yukata der einige Blutspritzer aufweist und abgewetzte Getas an den Füßen. In einer Hand hält er offenbar ein Stück Fleisch, denn gerade beißt er mit ungewöhnlich spitzen Zähnen von dem roten Klumpen ab.

Kohaku erstarrt. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser kleine Junge das alles angerichtet haben soll, doch ein Blick in seine unmenschlich roten Augen wischt jeden Zweifel fort. Dies dort ist ganz ohne Zweifel ein Youkai. Kohaku wagt es kaum zu atmen, während er beobachtet wie der Junge sein grausiges Mahl fortsetzt. Es ist besser nichts zu übereilen. Einen Youkai, der in so kurzer Zeit all diese Dorfbewohner verschlungen hat, und daran besteht kein Zweifel, sollte man besser nicht unterschätzen.

Doch auf einmal hebt der Junge ruckartig den Kopf und im selben Augenblick, treffen seine Augen die von Kohaku. Der junge Dämonenjäger rührt keinen Muskel, aber er ist kurz zusammengezuckt. Er hat nicht damit gerechnet, so rasch entdeckt zu werden. Sein Puls beschleunigt sich und er macht sich bereit einen möglichen Angriff abzuwehren.

Doch der Junge blickt ihn nur lange abschätzend an. Dann auf einmal richtet er sich auf und sein Mund verzieht sich zu einem unnatürlich breiten Grinsen bei dem er zahlreiche, spitze Zähne entblößt. Boshaft lächelt er Kohaku an und dann dreht er sich um und ist nur einen Augenblick später mit zwei kräftigen Sprüngen in dem Wald hinter ihm verschwunden.

Einen langen Moment rührt sich Kohaku nicht von der Stelle. Er blickt auf seine Hand hinab und stellt fest, dass sie zittert. Grimmig ballt er sie zur Faust. Dass gerade ihm so etwas passieren muss. Dabei hat er doch bisher wirklich schon genug Begegnungen mit mächtigen Youkai gehabt. Doch in Gegenwart dieses Youkais war selbst er wie erstarrt vor Angst. Verdammt, das darf nicht passieren! In seinem Beruf, kann das den Tod bedeuten. Aber sein Körper hat ihm einfach nicht gehorcht.

Er hat nicht das Gefühl, dass das irgendein Zauber war. Es schien ein ganz gewöhnlicher Anflug von Panik zu sein. Kohaku beißt die Zähne zusammen. Schon allein die Stärke seiner Aura schien auszureichen, um ihm einen tüchtigen Schauer über den Rücken zu jagen. Das ist nicht gut. Dieser Dämon mag äußerlich nicht viel hermachen, aber er ist sich sicher, dass sich hier ein großes Problem anbahnt.

Langsam macht er kehrt und begibt sich zurück zu seiner wartenden Kameradin. Die große Katze hat noch immer gesträubte Fell und ihre zwei Schwänze sind buschiger als gewöhnlich. Nachdenklich beißt sich Kohaku auf den Lippen herum. Was soll er nun unternehmen? Schließlich ringt er sich zu einer Entscheidung durch.

Er bückt sich zu dem Fuchsdämon hinunter der inzwischen wieder zu sich gekommen ist und ihn mit ängstlichem Blick anstarrt. Rasch durchtrennt Kohaku seine Fesseln.

„Verschwinde! Hier ist niemand mehr an dem du üben kannst!“, sagt er gedankenverloren.

Das lässt sich der jugendliche Fuchs nicht zweimal sagen und mit wenigen Sprüngen ist er auch schon im Gebüsch verschwunden.

Mit kurzem Maunzen reibt Kirara ihren Kopf an ihrem Freund. Leicht krault er ihr den Hals. „Na komm, Kirara!“, meint er und steigt wieder auf, „Wir werden diesem Youkai folgen. Wir müssen herausbekommen, was hier vor sich geht!“

Noch einmal maunzt die Dämonenkatze fragend auf, doch Kohaku schüttelt den Kopf: „Nein, wir werden Inu Yasha und den anderen erst Bescheid sagen, wenn wir Genaueres wissen. Das Letzte was ich jetzt will, ist Sango irgendwie beunruhigen. Du weißt ja warum.“

Nein, jetzt mit ihrem dritten Kind, soll seine Schwester sich ganz auf ihre Familie konzentrieren können. Er will ihr keine Angst machen, oder sie womöglich auf dumme Gedanken bringen.

Mit einer geschickten Bewegung schwingt er sich auf Kiraras Rücken und die Katze steig rasch empor, gemeinsam mit ihrem Reiter auf der Suche nach dem Verursacher des Blutbades.

Eine Lektion

Gemächlich schwebt der schlanke, weißhaarige Daiyoukai über die Wipfel der Bäume dahin. Dass es mitten am Tag ist und er an mehreren Dörfern vorbeikommt, dessen Dorfbewohner ihn gelegentlich bemerken und leicht in Panik geraten, kümmert ihn wenig. Sesshomaru ist heute ausnahmsweise allein unterwegs, und so nutzt er die Gelegenheit, einmal nicht wie üblich im Kriechtempo voranzukommen.

Wenn die Menschen in seinem Reich hin und wieder einen Youkaifürsten zu Gesicht bekommen, kann ihm das nur von Nutzen sein. Auch wenn die meisten unter ihnen hilflos wie eine Herde Schafe sind, die Pflicht über diese schwachen Wesen zu wachen, hat er von seinem Vater übernommen und er gedenkt, sie einzuhalten.

Zugegeben, bisher haben es nicht viele Menschen vermocht, sich seinen Respekt, oder gar seine Zuneigung zu verdienen, aber er ist nicht so überheblich, dass er einen zuverlässigen Kampfgefährten nicht zu schätzen wüsste.

Seine Gedanken wandern kurz zurück zu dem Dorf in dem er noch eben war. Diese Dämonenjägerin hat nun bereits ihr drittes Kind. So bald wird sie wohl nicht wieder ihrem Beruf nachgehen. Ebenso der Mönch, den sie geheiratet hat. Zumindest wäre das wünschenswert.

Es sagt ihm nicht besonders zu, dass sein Halbbruder seine Zeit damit verbringt, gemeinsam mit dem Mönch durch die Dörfer zu ziehen und irgendwelche niederen Oni zu exorzieren. Besonders jetzt, da vor kurzen diese Miko aus der anderen Zeit wieder aufgetaucht ist. Womöglich verfällt sein Bruder nun wieder in den alten Trott, und beginnt wieder umherzuziehen und für Unruhe zu sorgen.

Erst heute hat er ihm wieder großzügigerweise angeboten, für eine Weile mit auf das Schloss seiner Vorfahren zu kommen und dort zu lernen, was er als Sohn eines Fürsten wissen sollte, aber natürlich hat der Hanyou wieder einmal abgelehnt.

Sesshomaru verzieht kaum merklich das Gesicht. Manchmal fragt er sich, weshalb er sich so sehr um seinen Bruder bemüht. Eine patzige Antwort ist schließlich das Einzige was er dafür erhält. Die Dämonenjägerin und der Mönch kommen auch sicher ein paar Jahre allein zurecht. Und diese Miko, sie will bei der Dorfmiko in die Lehre gehen. Das wird einige Jahre dauern. Das Letzte was sie benötigt, wird wohl ein undisziplinierter Hanyou sein, der sie ständig von ihrer Arbeit abhält. Was sind schon fünf Jahre für einen Hanyou?

Vermutlich stecken da wieder irgendwelchen sentimentalen Gründe dahinter. Sesshomaru kennt seinen Bruder und dessen Freunde schon lang genug, um so etwas in Betracht zu ziehen. Trotzdem ist er der Meinung, dass sein Bruder übertrieben reagiert. In fünf Jahren werden die Menschen kaum so sehr altern, als dass es einen großen Unterschied machen würde. Was also ist sein Problem dabei? Doch er findet sich ab mit dem Gedanken, dass ihm die Beweggründe seines Bruders einmal mehr schleierhaft sind.

Zumindest kann er so ein Auge auf Rin haben. Sesshomaru gibt zu, dass ihm das eigentlich ganz recht ist. Es ist kaum mehr als vier Jahre her, dass er das Mädchen offiziell adoptiert hat. Bisher hat noch keiner seiner Ratsleute es gewagt, ihn deshalb zur Rede zu stellen, doch ihm ist durchaus bewusst, dass längst nicht alle seine Leute zufrieden mit dieser Entscheidung sind. Doch darüber zerbricht er sich nicht den Kopf. Sie werden es akzeptieren müssen, denn er ist keinesfalls gewillt, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Der Preis, mit dem er dem Mädchen dieses Privileg erkaufen musste, war einfach zu hoch. Jedenfalls ist sie in diesem Dorf unter der Obhut seines Bruders momentan am Besten aufgehoben.

Geräuschlos gleitet der Daiyoukai weiter durch die Luft dahin. Auf einmal hält er inne. Leicht zieht er die Luft ein und dann stutzt er. Sein Blick wendet sich hinab zu den Bäumen unter ihm. Dort drüben im Wald liegt ein kleines Dorf, doch nicht nur die schwarzen Vögel die darüber kreisen, lassen ihn aufmerken, auch der Geruch der von dort her in seine feine Nase dringt, macht es ihm unmöglich, weiterzufliegen. Es stinkt nach Blut und Verwesung.

Geschmeidig setzt Sesshomaru seinen Fuß auf die Erde. Nun steht er direkt auf der Hauptstraße der Siedlung und seine Mundwinkel verziehen sich kaum merklich. Der Gestank von geronnenem Blut ist hier noch viel stärker und direkt vor ihm liegen unzählige halb abgenagte Menschenknochen verstreut auf dem Boden. Einige Krähen und wilde Hunde haben sich an den Knochen zu schaffen gemacht und gierig auseinandergezerrt, was vorher vermutlich mal ein großer Haufen gewesen ist.

Mehrere der Hunde fühlen sich durch den Neuankömmling gestört, der ihnen offenbar ihre Beute streitig macht. Grimmig fletschen sie die Zähne und knurren gefährlich. Sesshomarus Augen werden schmal. Langsam wirft er einen Blick in die Runde und dann gibt er ein tiefes, bedrohliches Grollen von sich. Augenblicklich ziehen die wilden Hunde jaulend den Schwanz ein und suchen schleunigst das Weite. Langsam schreitet Sesshomaru über den Platz. Hier hat ganz klar ein Youkai gewütet, und ein recht mächtiger noch dazu. Seine schwere Aura hängt noch immer wie eine düstere Kuppel über dem Dorf.

Sesshomarus Stirn legt sich ein wenig in Falten. Es passt ihm gar nicht, dass jemand offenbar ungefragt in seinem Revier wildert. Er sollte der Sache wohl besser mal nachgehen. Lange wird es vermutlich nicht dauern. Die Spur des Youkais ist für seine sensiblen Sinne klar erkennbar. Es sollte kein großer Aufwand sein, den Schuldigen aufzuspüren und unschädlich zu machen.

Leichtfüßig hebt sich Sesshomaru wieder in die Luft empor und macht sich daran, unbeirrbar der verdächtigen Aura zu folgen.
 

Es dauert wirklich nicht lange bis er die Spur gefunden hat. Eine Zeit lang war sie durch den penetranten Blutgeruch überdeckt und verwischt gewesen, doch nachdem der Daiyoukai sie einmal aufgespürt hat, lässt er sich nicht mehr davon abbringen.

Anscheinend war der Betreffende nicht einmal bemüht, seine Spuren zu verwischen. Welche Dreistigkeit! Inzwischen ist Sesshomarus Groll auf diesen Youkai noch um einiges gewachsen. Auf seinem Weg hat er bisher drei Dörfer gefunden, die alle in nahezu dem selben Zustand sind. Für Sesshomaru steht es außer Frage, dass der Youkai all diese Leute getötet und verschlungen hat. Doch was könnte einen solch gewaltigen Hunger rechtfertigen?

Noch immer ist er auf der Suche nach dem Verantwortlichen und sein Entschluss, ihn unschädlich zu machen, ist inzwischen mehr als gefasst. Auch wenn er nicht wirklich Mitleid für all diese Menschen empfindet, so wäre es doch seine Aufgabe gewesen, diesen Massenmord zu verhindern. Die Menschen glauben, dass der Hundeyoukaifürst sie beschützt. Sein Vater nährte diesen Glauben. Es ist nun an ihm, dies fortzuführen. Außerdem hat er dieses Ausmaß an Toten niemals genehmigt. Wer immer hier wütete, er wird sich vor ihm verantworten müssen.

Da plötzlich vernimmt er einige Geräusche die seine Aufmerksamkeit erregen. Es sind schrille und ersterbende Schreie. Dann vernehmen seine feinen Sinne mehrmaliges, trockenes Knacken und das zerreißen von Fleisch. Kein Zweifel, sein Ziel liegt direkt voraus. Rasch setzt er auf dem Waldboden auf, und mit eiligen Schritten nähert er sich der Lichtung von der die Schreie gekommen sind.

Als er aus dem Wald heraustritt, bietet sich ihm ein schauriges Bild. Die Schreie kamen wohl von einem kleinen Trupp umherziehender Mönche. Nun liegen ihre leblosen Körper überall auf der Lichtung inmitten großer Pfützen aus Blut das unaufhörlich aus den klaffenden Wunden ihrer abgetrennten Köpfe sickert. Und mitten unter ihnen sitzt er. Ein schlanker Knabe von kaum zehn Jahren. Sein schwarzes Haar hat er zu einem straffen Zopf hochgebunden und mit unheimlichen, roten Augen blickt er nun überrascht zu Sesshomaru hinüber. In seiner Hand hält er noch immer einen Arm an dem er gerade noch gekaut hat, doch jetzt legt er ihn achtlos neben sich ab und erhebt sich.

Abschätzend beobachtet Sesshomaru seinen Gegenüber. Der Knabe reicht ihm kaum bis zur Brust, doch es wäre fatal, ihn zu unterschätzen. Immerhin hat er es nicht nur mit unzähligen Dorfbewohnern aufgenommen, sondern auch mit einer ganzen Gruppe erfahrener Mönche.

Scheinbar furchtlos beäugt der Junge den Youkai vor ihm. Offenbar ist er eher neugierig als ängstlich. Das wird ihm bald vergehen, denkt Sesshomaru bei sich.

Langsam tritt er nun auf die Lichtung heraus. Der Junge beobachtet ihn weiter. Schließlich bleibt Sesshomaru ein Stück vor ihm stehen und blickt auf ihn herab.

„Du hast all diese Mönche getötet, nicht wahr?“

Einen Moment lang zögert der Junge, doch dann sagt er: „Ist wohl kaum zu übersehen.“

„Und die Menschen in den drei Dörfern?“

Nun legt der jugendliche Youkai nachdenklich den Kopf in den Nacken. „Vier! Ich glaube es waren vier. Man verliert so leicht den Überblick bei so vielen Menschen.“

Sesshomarus Kiefer verhärten sich. Ihm passt gar nicht, dass der Knabe so frech zu ihm ist. Offenbar muss man ihm einmal Benehmen einprügeln. Trotzdem möchte er zuvor noch etwas mehr über diesen fremden Youkai erfahren. „Warum?“, fragt er ernst.

Nun verschränkt der Knabe die Arme vor der Brust. „Was geht dich das an?“, fragt er gehässig, „Ich tue was mir passt!“

„Nicht, solange ich noch etwas zu sagen habe“, stellt Sesshomaru kühl klar.

Der Junge hebt spöttisch die Brauen. „Ich wüsste nicht, dass du mir irgendetwas zu sagen hättest!“

„Es wäre besser für dich, wenn du dir das schnell klar machen würdest!“, diesmal schwingt ein bedrohliches Grollen in Sesshomarus Stimme mit. Allmählich hat er genug von den Frechheiten dieses übermütigen Youkais, der offenbar noch nicht begriffen hat, wen er vor sich hat.

Langsam zieht der Youkaifürst sein Schwert Bakusaiga und dabei beobachtet er genau die Reaktion des fremden Youkais. Dieser scheint sich davon aber kein bisschen aus der Ruhe bringen zu lassen. Entweder ist der Knabe sehr selbstsicher oder einfach nur unglaublich naiv. Er sollte besser sicherstellen, was davon zutrifft, bevor er sich auf einen Kampf einlässt.

Kritisch zieht der Junge nun die Stirn kraus. Er mustert den Daiyoukai von Kopf bis Fuß und zieht dann einmal kurz prüfend die Luft ein. Dann meint er: „Dich kenne ich nicht. Wer bist du?“

Der Daiyoukai hebt den Kopf. „Ich bin Sesshomaru, Fürst über die Inuyoukai des Westens, Herrscher über dieses Reich und du jagst hier in meinem Revier. Ich verlange auf der Stelle eine Erklärung für dieses reihenweise Abschlachten von Menschen, sonst werde ich nicht zögern dich für diese Dreistigkeit zur Verantwortung zu ziehen.“

Einen langen Moment sagt der Knabe kein Wort sondern starrt den Youkaifürsten nur sprachlos an. Doch dann urplötzlich verfinstert sich seine Miene und nadelspitze Reißzähne schieben sich unter seinen Lippen hervor.

„Sesshomaru, Fürst der Inuyoukai, des Westens, ja?“, stößt er verächtlich aus, „Einer wie du? Was für eine unverfrorene Anmaßung! Du bist nicht Sesshomaru!“

Nun beginnen Sesshomarus Augen rot zu glühen und auch seine Reißzähne zeichnen sich unter seinen Lippen ab. Er ist zornig. Nie zuvor wurde seine Identität angezweifelt und das auch noch von so einem unverschämten Bengel. Er wird diesem Knaben eine Lektion erteilen.

„Du wirst dich sofort davon überzeugen können!“, grollt er gefährlich und hebt sein Schwert.

Doch noch immer zeigt sich der kindliche Youkai davon unbeeindruckt. Boshaft reckt er sich. „Na los, komm schon her!“

Doch der Daiyoukai hat nichts dergleichen vor. Stattdessen hebt er nur sein Schwert und mit einem schnellen Streich lässt er die blitzende Klinge herniedergehen. Augenblicklich entlädt sich eine grelle, züngelnde Energiewelle, die mit atemberaubender Geschwindigkeit auf den dreisten Youkai vor ihm zurast, sich auf der Lichtung ausbreitet und nur Sekunden später sämtliche Bäume im Umkreis von mehr als hundert Schritt mit lautem Krach in kleine Stücke zerfetzt.

Unzählige Splitter und Trümmerteile fliegen wild durch die Gegend und durch die Blätter und den Staub in der Luft ist kaum etwas zu sehen. Hoch aufgerichtet steht Sesshomaru da. Das sollte dem Bengel eine Lehre sein, vorausgesetzt er hat überhaupt überlebt. Aber die Chancen dafür stehen nicht gut. Wachsam ist er bemüht durch die dichte Staubwolke etwas zu erkennen. Um eine Witterung zu erhaschen ist zu viel Staub in der Luft.

Doch plötzlich spürt er etwas. Unwillkürlich weiten sich seine Augen und er stellt fest, dass sich gerade sein Herzschlag beschleunigt hat. Zu seiner eigenen Überraschung bemerkt er wie sich jetzt seine Nackenhaare aufstellen und ihm wird klar, dass sich hier gerade einer seiner fundamentalsten Sinne meldet, sein Instinkt. Dann vernimmt er auf einmal ein kaum wahrnehmbares Geräusch. Es ist das leise Geräusch eines schlagenden Herzens und im selben Moment bläst ihm der feine Hauch eines Atems in den Nacken.

Ruckartig dreht er sich um, und direkt vor ihm steht jetzt der rotäugige Junge und blickt mit einem unheilvollem Lächeln zu ihm hoch. „War das schon alles?“, fragt er herablassend und einen Wimpernschlag später holt er blitzschnell mit seiner Hand aus, aus seinen Fingerspitzen schieben sich beunruhigend scharfe Klauen hervor und dann rammt er sie mit aller Kraft dem Daiyoukai in die Brust.

Sesshomaru keucht unwillkürlich auf. Mit weitaufgerissenen Augen starrt er den kindlichen Youkai vor ihm an. Er kann gar nicht recht fassen was gerade passiert. Schon lange hat er nicht mehr einen solchen Schmerz gespürt. Es ist, als würde von den Klauen des Jungen ein glühendes Feuer ausgehen, dass sich nun immer mehr in seinem Körper ausbreitet und ihn mit Wogen des Schmerzes überflutet, die immer mehr an Intensität zunehmen. Es fühlt sich an als würde er bei lebendigem Leibe verbrennen. Doch er vermag nicht einmal zu schreien, denn sein Körper gehorcht ihm nicht. Es scheint, dass die Intensität des Schmerzes seine Glieder vorübergehend gelähmt hat.

Fassungslos starrt der überrumpelte Daiyoukai auf seinen viel kleineren Angreifer herunter. Sein Instinkt hatte ihn davor gewarnt, dass dieser Youkai mächtig ist, doch ihm war nicht klar gewesen, wie mächtig!

Mitleidslos grinst der Junge ihn an. Dann dreht er seine Klauen noch einmal in der Wunde herum und reißt sie dann brutal heraus. Sesshomaru stöhnt auf, dann knicken ihm die Beine ein und er sinkt auf die Knie hinab. Er keucht schwer und hält sich die Brust.

Genüsslich leckt der Junge nun das Blut von seinen Fingern. „Hab doch gewusst, dass du nicht Sesshomaru bist“, meint er herablassend, „Einer wie du kann wohl kaum 'perfektes Töten' heißen. Aber du schmeckst ganz gut. Vielleicht werde ich dich auch essen.“

Doch nun dringt ein grimmiges Knurren aus Sesshomarus Kehle und unbeholfen kommt er wieder auf die Beine. Wütend funkelt er den Youkai vor sich an. Seine Augen haben nun einen beängstigenden Rotschimmer angenommen. „Gar nichts wirst du!“, grollt er tödlich. Aus seinem Mund tropft ihm Blut und sein Gesicht ist bleich. Doch nun hebt er wieder Bakusaiga und schon im nächsten Moment stößt er sich ab und geht auf den kindlichen Youkai los.

Mit kraftvollen, flinken Hieben attackiert der Youkaifürst seinen Gegner, doch zu seinem Ärger weicht der Junge jedem seiner Schläge mit einem herablassenden Lächeln aus. Keiner seiner Hiebe trifft ihn. Doch Sesshomaru lässt sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Er hat genug Kampferfahrung um zu wissen, dass es nichts bringt, sich von seiner Wut mitreißen zu lassen. Sein Gegner ist flink und wie es aussieht äußerst erbarmungslos, aber das hindert ihn nicht daran, den Kampf fortzuführen.

Wieder schlägt er nach ihm, doch der Junge weicht weiter aus. Kein einziges Mal kommt die Klinge auch nur in seine Nähe. Sesshomaru ist ungewollt beeindruckt. Er ist nicht nur verflixt schnell, sondern er scheint auch Kampferfahrung mit dem Schwert zu besitzen. Jeden seiner Hiebe scheint er vorherzusehen. Das ist eigentlich nur möglich, wenn man lange selbst gekämpft hat. Einmal mehr stellt sich ihm die Frage, wer dieser Junge wohl sein mag und eine leise Stimme sagt ihm, dass ihm die Antwort vermutlich nicht gefallen wird.

Da, auf einmal schlägt der Youkai eine Finte und Sesshomarus Schlag geht wieder ins Leere. Doch diesmal macht der Junge eine geschmeidige Drehung und steht nun direkt neben Sesshomaru. Seine Hände packen unbarmherzig den Schwertarm des Daiyoukais und mit einer heftigen Kraftanstrengung biegt er ihn in einem unnatürlichen Winkel nach hinten. Sesshomaru zuckt zusammen, doch kein Laut kommt über seine Lippen.

Kraftlos gleitet ihm Bakusaiga aus der Hand und schon im nächsten Moment spürt er einen so heftigen Faustschlag direkt ins Gesicht, dass er ein wenig benommen zusammensackt. Noch ehe er sich wieder sammeln kann, spürt er eine kleine aber erstaunlich kräftige Hand mit scharfen Krallen, die ihn am Hals packt und gnadenlos zu Boden presst. Mit einem spöttischen Lächeln kniet der Junge nun auf seiner Brust und hält ihn ohne große Probleme nieder.

„Sieh es ein! Du hast mir nichts entgegenzusetzen“, meint er schadenfroh, „Eigentlich ziemlich kläglich. Dabei habe ich noch nicht einmal ernst gemacht.“

Unbeirrt starrt Sesshomaru zu ihm hinauf. Die Luft wird ihm langsam knapp und die Schmerzen in seiner Brust und seinem gebrochenen Arm rauben ihm noch zusätzlich den Atem. Doch sein verletzter Stolz schmerzt ihn beinah noch mehr. Nie zuvor war er einem Feind so deutlich unterlegen gewesen. Bisher hat er noch jeden Gegner besiegt. Nun, vielleicht bis auf seinen Bruder, doch zumindest waren sie sich einigermaßen ebenbürtig. Doch hier sagen ihm all seine Sinne, dass er hoffnungslos unterlegen ist, und ihm fällt es nicht leicht das zu akzeptieren.

„Wer bist du?“, quetscht er hervor. Zumindest das will er erfahren. Zum ersten Mal bekommt er einen Eindruck davon, wie es ist, seinem Tod ins Auge zu blicken und so wie es aussieht hat sein Tod tiefrote Augen und so zierliche Gliedmaßen, dass man einfach nicht glauben kann, was für eine immense Kraft in ihnen steckt. Sesshomaru hat oft genug gekämpft, um pure Mordlust zu erkennen und im Gesicht seines Gegners findet er nicht den kleinsten Hinweis, dass er ihn verschonen wird. Doch so sehr er sich auch bemüht, es gelingt ihm nicht, den schraubstockartigen Griff des Youkais zu lösen. Seine Luftnot wird allmählich kritisch.

„Wer ich bin?“, lächelt der Junge über ihm nun kalt, „Es wundert mich gar nicht, dass du das nicht weißt. Eigentlich braucht dich das jetzt auch nicht mehr kümmern, denn in ein paar Minuten wirst du tot sein. Aber weil du dich für einen Fürsten hältst, will ich mal nicht so sein. Für dich jämmerlichen Schwächling bin ich Katsuken, und jetzt fahr zur Hölle!“

Doch gerade als der Junge einmal kräftig zudrücken will, um das Leben des Daiyoukais zu beenden, geht auf einmal ein Ruck durch seinen Körper und er erstarrt. Unmittelbar darauf dringt ein grelles, gelbes Licht aus seinem Körper hervor und bahnt sich gnadenlos aus seinem Inneren den Weg ins Freie. Mit weitaufgerissenen Augen starrt der Knabe auf Sesshomaru herab. In dessen verletzter Hand liegt zittrig Bakusaiga und die Klinge des Schwertes steckt tief in seiner Seite, von wo sie nun ihre verhängnisvolle Energie entfaltet.

Mit einem groben Aufschrei springt der Youkai auf und taumelt zurück. Dabei reißt die scharfe Klinge eine tiefe Wunde in seine Seite, doch Bakusaigas Macht setzt sich noch immer in seinem Körper fort und jede Stelle, an der die Energiewellen nach außen dringen, beginnt augenblicklich heftig zu bluten. Ein schriller, markzerreißender Schrei entfährt ihm und dann von einem Moment auf den anderen verschwimmt die Gestalt des Jungen. Nur noch eine grell leuchtende, rote Kugel verbleibt, und in atemberaubendem Tempo verschwindet sie zwischen den Bäumen, während die übriggebliebenen Energien Bakusaigas sich in der leeren Luft auflösen.

Kraftlos und schwer atmend lässt Sesshomaru seinen verletzten Arm sinken. Mit bleichem Gesicht schließt er die Augen. Noch immer schwingt der sengende Schmerz in seinen Gliedern nach. Das gerade war wirklich verdammt knapp. Hätte Bakusaiga nur ein Stück weiter weg gelegen, hätte er es wohl nicht mehr erreicht. Zum Glück hatte die Macht seines Schwertes eine ausreichende Wirkung auf diesen Kerl.

Mühsam versucht er sich aufzurichten. Dies erweist sich als gar nicht so einfach. Die Wunde in seiner Brust blutet noch immer und der verbliebene Schmerz von dem ersten Angriff, wird nun immer intensiver, sodass er mehrmals kurz davor ist, die Besinnung zu verlieren. Mit zitternden Gliedern stemmt sich der Daiyoukai hoch. Schweißtropfen laufen ihm über das Gesicht und das Atmen fällt ihm immer schwerer. Was, bei allen Göttern, hat dieser Bengel bloß mit ihm angestellt? Gift kann es nicht sein. Zumindest sollte er gegen die meisten Gifte immun sein. Außerdem fühlt es sich nicht an wie Gift, eher als würden seine Knochen in Flammen stehen.

Sesshomaru beißt die Zähne zusammen. Mit aller Macht versucht er sich zusammenreißen. Er muss sich konzentrieren, sonst hat er keine Chance. Katsuken! Diesen Namen hat er noch nie gehört, aber er hat das unbestimmte Gefühl, dass er ihm etwas Wichtiges sagen soll. Wenn er nur darauf käme, was!

Auf einmal kommt ihm ein Gedanke, eigentlich ist es eher eine Ahnung, und ein Schauer läuft ihm über den Rücken. Doch er kommt nicht mehr dazu, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn im selben Augenblick überfällt ihn ein heftiges Schwindelgefühl, und dann kippt der schlanke Daiyoukai besinnungslos nach vorne und bleibt reglos in dem riesigen Trümmerfeld des Waldes liegen.

Etwas zieht herauf

Behutsam legt Sango den schreienden, kleinen Jungen an die Brust. Sofort beginnt er eifrig zu trinken. Liebevoll blickt sie auf ihn hinab, auch wenn unter ihren Augen dunkle Ringe liegen. Neben ihr im Gras toben zwei kleine Mädchen herum. Gerade fangen sie an, sich mit den Süßkartoffeln zu bewerfen, die sie bis eben noch ausgegraben und eingesammelt haben. Wild fliegen die behelfsmäßigen Geschosse durch die Gegend.

Sango seufzt. Sie kann sich nicht erinnern, dass Dämonen zu jagen je so anstrengend war, wie diese zwei Rabauken unter Kontrolle zu halten.

„Fumiko! Tomiko! Hört sofort auf mit dem Unsinn!“

Doch die beiden Mädchen achten gar nicht auf ihre Mutter. Im wilden Lauf flitzen sie über die Beete, trampeln dabei mehrere Lauchpflanzen um und verschwinden dann hinter der nächsten Hütte. Doch nur wenige Augenblicke später ist ein verdächtiges 'Plumps' zu hören dem ein weinerliches „Aua!“ folgt und unmittelbar darauf tönt ein vernehmliches Geplärre hinter der Häuserecke hervor.

Sango atmet entnervt aus. Warum müssen die zwei gerade dann verrückt spielen, wenn sie gerade mit dem Kleinen beschäftigt, und ihr Vater mal wieder komplett von der Bildfläche verschwunden ist? Sie schläft ohnehin schon keine Nacht mehr durch. Können ihr die zwei nicht mal ein paar Augenblicke Ruhe gönnen?

Seufzend will sie den trinkenden Jungen von ihrer Brust lösen, um sich um ihre weinende Tochter zu kümmern, als sie plötzlich eine Stimme hinter der Hütte vernimmt.

„Du brauchst gar nicht so zu heulen. Es ist doch überhaupt nichts passiert.“

Überraschenderweise verstummt das Gebrüll nun ziemlich rasch und nur wenige Momente später taucht hinter der Häuserecke Inu Yasha auf. Eines der Mädchen reitet auf seinem Rücken und zupft dabei voll Freude an seinen beiden Hundeohren, das andere hat er sich unter den Arm geklemmt. Beide Mädchen quietschen schrill vor Begeisterung. Der Hanyou verzieht ein wenig das Gesicht.

„Du solltest den beiden Lausern bessere Manieren beibringen!“, schmollt er.

„Es tut mir leid, Inu Yasha!“, gibt Sango schuldbewusst zurück. Ich habe ihnen schon so oft gesagt, sie sollen deine Ohren in Ruhe lassen.“

„Ja, ja!“, brummt Inu Yasha verstimmt.

„Was war denn gerade los?“, wechselt die Dämonenjägerin rasch das Thema.

„Ach!“, wehrt Inu Yasha ab, „Die zwei sind nur beim Toben direkt in mich reingerannt. Bisschen wild die beiden, hm?“

„Das kann man wohl sagen“, nickt Sango müde, dann fragt sie, „Gibt es einen bestimmten Grund für deinen Besuch?“

Nun kratzt sich Inu Yasha etwas verlegen am Kopf. „Na ja“, meint er, „Eigentlich such ich Miroku. Ist er hier?“

„Meinst du, wenn er hier wäre, würden die beiden Mädchen irgendwelche hilflosen Hanyous beim Spielen umrennen?“

„Das heißt dann wohl 'nein'“, stellt Inu Yasha trocken fest, „Hast du eine Ahnung wo er steckt?“

„Worum geht es denn?“, möchte Sango wissen.

Inu Yasha blickt zu Boden. Man könnte meinen, dass ihm die Frage unangenehm ist. „Ach, na ja, ich wollt ihn eigentlich nur kurz was fragen.“

„Und was?“, bohrt Sango weiter. Ihre Neugierde ist geweckt. Wenn der Hanyou so herumdruckst, hat er entweder irgendwas angestellt oder er hat mal wieder Streit mit Kagome.

„Nichts Bestimmtes“, weicht Inu Yasha der Frage aus, „Ist nur so eine... Männersache.“ Innerlich hofft er, dass seine Freundin es dabei belassen möge.

„So so, eine Männersache“, wiederholt Sango mit skeptischem Blick. Also gab es wieder Zoff mit Kagome. Was es wohl diesmal wieder ist? Na schön, soll er sich eben einen Rat holen. „Miroku wollte ins Nachtbardorf und etwas Reis besorgen. Was soviel heißt wie, dass plötzlich in der Hütte des Dorfoberhauptes ein Dämon gesichtet wurde.“

Der Hanyou wird hellhörig. „Ein Dämon wurde gesichtet? Wirklich?“

Sango nickt schief. „Ja, Miroku hat ihn gesichtet!“

Inu Yasha verzieht den Mund. „Ah, verstehe! Und du lässt ihm so was durchgehen?“

„Ach, das geht schon in Ordnung!“, wehrt Sango ab, „Der Mann ist ein Halsabschneider! Letzten Monat hat er uns für die gleiche Menge Reis den doppelten Preis berechnet. Angeblich sei die Ernte knapper gewesen als sonst. Aber Miroku hat herausgefunden, dass er heimlich den Reis für seine persönliche Sakeherstellung beiseite schafft. Der kleine Denkzettel geschieht ihm recht.“

„Na, wenn du meinst“, meint Inu Yasha. Irgendwie wirkt der Hanyou ein wenig abwesend.

Gerade in diesem Moment kommt der Mönch um die Häuserecke. Auf seiner Schulter transportiert er einen großen Ballen Reis.

„Ah, wenn man gerade davon spricht“, meint Sango.

„Papa!“, strahlen die beiden Mädchen und strampeln sich sofort aus Inu Yashas Griff frei um ihrem Vater entgegenzustürmen. Eifrig springen sie an ihm hoch und ziehen ihn am Gewand. Behutsam setzt der Mönch seine Last an der Hauswand ab und wendet sich dann seinem Freund zu.

„Inu Yasha!“, meint er verwundert, „Nett, dass du uns besuchst.“

„Eigentlich wollte er zu dir“, meint Sango ironisch, „Irgendeine Männersache.“

Miroku hebt die Brauen: „So? Hast du dich mal wieder mit Kagome gestritten?“

Ein wenig ärgerlich schüttelt Inu Yasha den Kopf. „Hey, was ihr immer gleich wieder von mir denkt. Kann man sich nicht einfach mal mit einem Freund unterhalten wollen, ohne dass einem gleich wieder irgendwas unterstellt wird?“

„Schon gut, schon gut!“, versucht Miroku ihn den Hanyou wieder zu beschwichtigen, „Also, was gibt es?“

Wieder sieht der Hanyou ziemlich verlegen aus. „Unter vier Augen, wenn möglich“, raunt er dem Mönch zu.

Miroku seufzt. „Na schön!“ Dann wendet er sich an seine beiden Zwillinge: „Und ihr zwei kommt auch erst mal mit und gönnt eurer armen Mutter mal eine Pause. Ihr könnt im Dorf mit den anderen Kindern herumtoben.“

„Ja“, fügt Inu Yasha ungeniert hinzu, „Da könnt ihr Oma Kaede mal wieder auf die Nerven gehen. Heute ist doch auch wieder Unterricht, oder?“

Zwar sind nun von den beiden Mädchen laute Protestschreie zu hören, doch sie lassen es trotzdem bereitwillig mit sich geschehen, dass der Hanyou sie sich wieder unter den Arm klemmt und sie beim Gehen munter durch die Gegend geschaukelt werden.

Wenig Minuten später haben sie die beiden Energiebündel bei der alten Miko abgeliefert. Wie Miroku feststellt, hat Inu Yasha es tunlichst vermieden, direkt zu Kagome hinüberzusehen. Die junge Frau ist der Priesterin dabei behilflich, die Kinder zu beaufsichtigen, aber Kagome hat ihn trotzdem kurz angelächelt. Auch wenn die zwei sich nicht streiten, der Mönch ist sicher, dass das Anliegen seines Freundes trotzdem etwas mit Kagome zu tun hat.

Nun wandern die beiden Männer gemächlich den Weg entlang, der in Richtung des Waldes führt. Noch immer hüllt sich der Hanyou in Schweigen. Miroku beschließt seinem Freund eine Starthilfe zu geben. „Ich nehme an, es geht um Kagome“, sagt er.

Inu Yasha verzieht das Gesicht „Wie kommst du darauf? Hab ich das behauptet?“ Doch dann nach ein paar Momenten lenkt er ein. „Ok, ja, es geht um Kagome.“

Miroku mustert seinen Freund eingehend, der Hanyou wirkt ungewöhnlich nervös. „Wo liegt das Problem?“, fragt er.

Noch immer scheint Inu Yasha nicht so recht mit der Sprache herauszuwollen. Verlegen starrt er zu Boden. „Du weißt ja, dass mir Kagome sehr am Herzen liegt“, beginnt er zaghaft, „Ich habe mich nur gefragt... also, na ja, ich möchte sie nicht verletzten wenn ich... Ach verflixt!“ Der Hanyou ballt verstimmt die Fäuste. „Das kann doch nicht so schwer sein!“, treibt er sich selbst an, „Miroku, du hast doch so viel Erfahrung mit so was. Fällt dir nicht irgendeine Möglichkeit ein wie man einer Frau, die man gut leiden kann und die einem viel bedeutet...“

„Ah, ich glaube, ich verstehe!“, nickt Miroku nun würdevoll, „Du suchst einen Rat in Dingen der körperlichen Liebe. Du möchtest wissen wie du Kagome Vergnügen bereiten kannst. Tja, das ist in der Tat gar nicht so einfach. Man braucht natürlich sehr viel Rücksicht und Einfühlungsvermögen. Es gibt einige Stellen am Körper einer Frau die man sehr behutsam berüh...“, der Mönch hält unwillkürlich inne als er Inu Yashas entgeisterten Gesichtsausdruck bemerkt, „Ist irgendetwas?“

Fassungslos glotzt der Hanyou den Mönch an. Doch dann entlädt sich das Donnerwetter. „Sag mal hast du sie noch alle?“, faucht Inu Yasha empört. Er ist knallrot im Gesicht geworden. „Glaubst du im Ernst ich würde so was von dir wissen wollen?“

Verwundert, jedoch kein bisschen schuldbewusst hebt Miroku die Brauen. „Nicht? Worum geht es denn sonst? Ich nahm an, da du von meiner Erfahrung gesprochen hast...“

„Schon gut, vergiss es!“ Beleidigt dreht sich der Hanyou um und will davonstapfen.

Doch Miroku hält ihn zurück. „Also, nun rück schon raus damit! Worum geht es?“

Inu Yasha atmet tief durch, aber dann dreht er sich doch um.

„Es geht um... Sesshomaru!“

„Um Sesshomaru?“, wundert sich Miroku, doch im gleichen Augenblick versteht er den Sinnzusammenhang.

Direkt vor den beiden torkelt auf einmal eine hochgewachsene, schlanke Gestalt zwischen den Bäumen des Waldes hervor, stürzt kraftlos zu Boden und bleibt regungslos liegen.

Fassungslos schauen die beiden Männer auf den Daiyoukai herab der hier zu ihren Füßen liegt und offenbar das Bewusstsein verloren hat.

„Was zum...?“, stößt Inu Yasha hervor. Kritisch beäugt er seinen Bruder. Er braucht einen Moment um zu erfassen, dass es sich hier nicht um irgendeinen makaberen Scherz seines Bruders handelt. Beunruhigt geht er neben dem Daiyoukai in die Hocke und mit einem kräftigen Griff dreht er den Daiyoukai auf den Rücken. Das was er sieht, lässt ihn für einen Moment erschrocken zusammenfahren. Mitten in der Brust seines Bruders klafft ein beträchtliches Loch aus dem noch immer dicke Blutstropfen sickern. Doch sein Gesicht ist nicht etwa fahl, wie man bei dem Blutverlust annehmen könnte, sondern krebsrot, als hätte er zu lange in der Sonne gelegen. Unter halbgeschlossenen Liedern geht sein Blick ziellos in die Ferne und Inu Yasha wird es ein wenig mulmig zumute. Sein Bruder befindet sich in keiner guten Verfassung.

„Wir sollten ihn möglichst schnell ins Dorf bringen“, meint Miroku ernst.

Der Meinung ist auch Inu Yasha. Mit sicherem Griff hat er sich seinen Bruder auf den Rücken gehievt und nun machen sich die beiden eilig daran zurückzukehren.
 

Kagome und die alte Miko Kaede reißen beide erschrocken die Augen auf, als sie Inu Yasha mit seiner ungewöhnlichen Last ankommen sehen.

„Bei allen Göttern!“, murmelt Kaede verwundert.

„Was ist denn passiert?“, läuft Kagome ihrem Freund besorgt entgegen.

Ohne eine Antwort zu geben, drängt sich Inu Yasha an ihr vorbei und strebt direkt auf Kaede zu.

„Nichts ist passiert“, antwortet Miroku an seiner statt, „Er ist uns praktisch schon so vor die Füße gefallen.“

Neugierig drängeln sich die Kinder um den Hanyou und seinen Bruder, doch Inu Yasha scheucht sie weg. „Verschwindet! Das hier geh euch gar nichts an!“

Miroku erbarmt sich und schickt alle Kinder, bis auf seine eigenen, heim.

So behutsam wie möglich legt Inu Yasha seinen Bruder ab. Der Atem des Daiyoukai geht nun schnell und flach. Mit besorgtem Gesicht beugt sich Kaede über ihn.

„Das sieht nicht sehr gut aus“, meint sie kopfschüttelnd.

„Kannst du irgendetwas tun, Kaede-baba?“, fragt Inu Yasha.

Kagome blickt zu ihrem Freund hinüber. Sie spürt, dass er weitaus besorgter ist, als er nach außen zeigen will.

Die alte Miko beginnt damit, den Daiyoukai zu untersuchen. Kundig gleiten ihre Hände über seine Verletzungen. Dann meint sie: „Die Wunde ist tief, aber eigentlich dürfte sie nicht tödlich sein. Zumindest nicht für einen Daiyoukai von Sesshomarus Format“, fügt sie hinzu. „Er hat einen gebrochenen Arm, aber das ist auch nicht so schlimm. Was mir Sorgen macht, ist die ungewöhnlich hohe Körpertemperatur. Er hat hohes Fieber. Es hat fast den Anschein, als würde ihn irgendetwas von innen heraus verbrennen.“

„Ist es so schlimm?“, fragt Kagome besorgt.

„Mir scheint, dieses Fieber unterdrückt auch seine Selbstheilungskräfte“, vermutet Kaede, „Normalerweise sollten diese Verletzungen ihm nicht weiter schaden, aber in diesem Zustand könnte er womöglich daran verbluten.“

Erschrocken zuckt Kagome zusammen. „Wer kann so etwas nur getan haben, und vor allem mit Sesshomaru?“

„Ich weiß es nicht“, zuckt Inu Yasha die Schultern, „Wir haben niemanden gesehen und gespürt habe ich auch nichts.“

„Er muss sich mit letzter Kraft hierher geschleppt haben“, vermutet Miroku.

„Kaum zu glauben, dass er mit diesen Verletzungen sehr weit gekommen sein soll“, bemerkt Kaede ernst.

„Sesshomaru kann ziemlich zäh sein“, meldet sich Inu Yasha zu Wort, „Ich traue ihm das ohne Weiteres zu.“

„Ich will es hoffen“, meint Kaede, „Mir wäre es gar nicht lieb, wenn derjenige, der in der Lage war, diesem Daiyoukai das anzutun, noch in der Nähe des Dorfes wäre.“

„Vielleicht sollten wir uns einmal in der Gegend umsehen“, schlägt Miroku vor.

„Das ist sicher sinnvoll“, meint Kaede, „Aber passt gut auf euch auf.“ Schon wollen die drei Freunde sich zum Gehen wenden, doch Kaede hält den Hanyou zurück. „Einen Moment, Inu Yasha!“, sagt sie, „Du gehst erst mal nirgendwo hin.“

„Und warum nicht?“, verschränkt er bockig die Arme.

„Weil dein Bruder noch immer glüht wie ein Herd. Wir müssen unbedingt die Temperatur senken und im Augenblick fällt mir nur eine einzige Möglichkeit ein, die schnell genug geht.“ Auf Inu Yashas fragenden Blick hin, macht sie eine demonstrative Zeigefingerbewegung hin zu dem kleinen Fluss der durch das Dorf fließt. „Wenn du bitte so freundlich wärst!“

Einen kurzen Moment lang steht Inu Yasha wie angewurzelt da, doch dann packt er ohne ein Wort zu sagen seinen Bruder unter den Armen und zieht ihn sich auf die Schultern. Schweigend stapft er hinüber zum Ufer des Flusses und mit leichtem Schwung befördert er seinen Bruder von seinem Rücken hinunter und lässt ihn in den Fluss gleiten.

Kaum hat der Daiyoukai das Wasser berührt, ertönt ein lautes Zischen und eine massige Dampfwolke steigt auf. Beinah hätte der Hanyou seinen Bruder losgelassen, doch er bekommt ihn gerade noch zu fassen. Ungläubig starrt er auf den Dampf der von dem inzwischen heftig brodelnden Wasser aufsteigt. Er wirkt ein wenig blass um die Nase.

Kaede ist neben ihn getreten. Sie nickt wissend. „Das habe ich mir gedacht. Das Feuer, dass in ihm schwelt, ist dämonischen Ursprungs. Jemand anderes außer Sesshomaru wäre vermutlich längst nur noch ein Häuflein Asche.“

Inu Yashas Blick ist unverwandt auf das Wasser gerichtet, dass seinen Bruder umspült. Allmählich lässt das Brodeln nach und der Dampf verflüchtigt sich. Die Rosskur scheint zu wirken. Nun werden Sesshomaru Atemzüge auch wieder tiefer und der Daiyoukai entspannt sich sichtlich, doch er ist noch immer bewusstlos.

„Wer kann ihm das nur angetan haben?“, murmelt er nachdenklich.

„Das werden wir hoffentlich erfahren, wenn er wieder zu sich kommt“, antwortet Kaede. Dann wendet sie sich zum Gehen. „Wenn sein Gesicht wieder eine halbwegs normale Farbe hat, dann bring ihn in meine Hütte, ich werde alles Nötige vorbereiten.“ Dann geht sie.

Inu Yasha bleibt allein bei seinem Bruder zurück. Sorgsam hält er seinen Kopf über Wasser während sein Körper leblos im Flussbett dümpelt. Die Kühle des Wassers tut langsam ihre Wirkung. Die unnatürlich rote Farbe seines Gesichtes verblasst immer mehr, und nun wird zum ersten Mal deutlich, wie fahl das Gesicht seines Bruder eigentlich ist. Wäre da nicht seine Brust die sich langsam hebt und senkt, könnte man ihn fast für tot halten.

Inu Yasha beißt die Zähne aufeinander und starrt ohne Unterlass auf die Fußspitzen seines Bruders. Aus irgendeinem Grund bringt er es nicht über sich, ihm ins Gesicht zu sehen. Seine Gedanken kreisen und landen nur immer wieder bei der selben Frage: Wer?

Nur eines steht für ihn fest: Wer auch immer das war, er wird dafür bezahlen!

Eine neue Gefahr

Feuer! Überall um ihn her ist Feuer. Das ganze Land scheint zu brennen. Bäume gehen in Flammen auf und Steine beginnen erst zu glühen und dann zu schmelzen. Schon kommen ihm die verzehrenden Flammen immer näher. Er spürt sie auf seiner Haut und versucht sich mit der Hand vor der unerträglichen Hitze abzuschirmen. Doch die Flammen greifen nach seinen Haaren und seiner Kleidung und beginnen sie zu versengen.

Das Atmen fällt ihm immer schwerer, das Feuer zehrt den ganzen Sauerstoff auf. Von seiner Kleidung ist inzwischen nichts mehr als ein Häuflein Asche über, doch die gierigen Flammen brennen immer weiter und fressen sich durch seine Haut. Er will schreien, doch er bringt keinen Ton heraus. Ihm fehlt die Luft. Er blickt zu Boden. Unter sich sieht er den Waldboden dahinfliegen. Er läuft, stolpert, torkelt und stürzt.

Selbst das Gras unter ihm hat Feuer gefangen. Wild schlagen die Flammen ihm ins Gesicht. Hier kann er nicht liegenbleiben, er würde verbrennen. Schon jetzt hat das Feuer seine Haut völlig verbrannt und greift auf seine Gliedmaßen über. Er muss wieder hochkommen, bevor er nicht mehr in der Lage ist, sich zu bewegen.

Unter größter Anstrengung kommt er wieder auf die Füße. Der Schmerz, der seinen Körper überflutet, ist kaum noch zu ertragen. Er läuft weiter. Was bleibt ihm anderes übrig? Irgendwo muss es doch einen Ausweg aus dieser Hölle geben. Irgendwo muss er doch Schutz finden können. Sein Blick fällt auf das verkohlte, blutende Fleisch an seinen Armen, doch noch immer vermag er nicht, seinem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Er läuft weiter, einfach weiter. Jeder Schritt ist eine Tortur, doch er zwingt sich weiterzulaufen. Schritt um Schritt. Meile um Meile durch dieses Flammenmeer, dass ihm immer weiter das Fleisch von den Knochen brennt. Es kommt ihm wie eine Ewigkeit vor.

Seine Lippen formen einen Namen; er bleibt ungehört. Auf einmal scheinen sich die Flammen vor ihm zu teilen und geben den Blick auf eine große, monströse Fratze frei. Das Gesicht kann er nicht erkennen, denn es liegt im Schatten, doch es hat tiefrote, glühende Augen und ein breites Maul mit langen spitzen Reißzähnen. Es grinst ihn boshaft an und dann beginnt es zu lachen.

Es sagt etwas. Er versteht es nicht. Erneut wiederholt die Fratze ihre Worte. Noch immer kann er nichts verstehen. Nun schwillt das gruselige Gesicht zu immenser Größe an. Immer gewaltiger wird die Erscheinung. Die hochschlagenen Flammen scheinen seinen Körper zu bilden und das Ungetüm wächst noch immer weiter. Seine Augen sind nur noch zwei glühende, rote Punkte am Himmel, und ein Schatten, der bei all dem Feuer nicht vorhanden sein sollte, überzieht jetzt die riesige Gestalt.

Unter dem boshaften Blick, kommt er sich klein und völlig unbedeutend vor. Er hat keine Chance. Mit ihm geht es ohnehin zu ende. Kraftlos bricht er zusammen. In diesem Moment schlängeln sich lodernde Arme aus den Flammen um ihn her hervor, und packen seine Gliedmaßen. Sofort verdoppelt sich der Schmerz, doch er ist schon zu schwach um sich auch nur unter Qualen aufzubäumen. Wieder ruft er einen Namen. Doch kein Laut kommt über seine Lippen. Stattdessen beginnen nun die feurigen Arme an ihm zu zerren und es besteht kein Zweifel daran, dass sie ihn jeden Augenblick in Stücke reißen werden. Das wird sein Ende sein. Endlich!

Doch auf einmal beginnt sich der Himmel über ihm zuzuziehen und ein kalter Wind peitscht ihm ins Gesicht. Fast schon erschrocken, scheinen die Flammen um ihn her zu zittern und zu züngeln, doch es hilft nicht. Urplötzlich braust ein gewaltiger Sturm über das Land und in wenigen Augenblicken sind fast alle Flammen erloschen. Selbst die riesige, unheimliche Gestalt schaut furchtsam drein und als auf einmal der dunkle Himmel seine Schleusen öffnet und seine nasse Fracht in dicken Tropfen herniedergeht, da zerrinnt auch die furchteinflößende Fratze, und mit einem Zischen, das fast wie ein boshaftes Fauchen klingt, vergeht sie und verschwindet schließlich ganz.

Nackt und verbrannt liegt er auf der kahlen Erde. Ein prasselnder Regen geht nun auf ihn hernieder und verschafft seinen gepeinigten Gliedern Kühlung. Er rührt sich nicht, doch das Atmen fällt ihm nun leichter, jetzt wo die heiße Luft nicht länger seine Lungen versengt. Er weiß nicht ob er noch lebt oder bereits tot ist. Es ist so still und er ist allein. So schrecklich allein!

Wie in Zeitlupe zieht er nun die Gliedmaßen an und kauert sich verloren zusammen. Ich glaube, ich lebe noch. Ich lebe!
 

Langsam schlägt Sesshomaru die Augen auf. Der Himmel ist verschwunden. Über sich nimmt er die Decke eines Hauses wahr. Langsam zieht er die Luft ein. Nein, das Atmen schmerzt nicht mehr. Reglos liegt er da und blickt zur Decke. Es kostet ihn ein wenig Überwindung, doch dann hebt er langsam seine linke Hand und überprüft den Zustand seines Körpers.

Es überrascht ihn tatsächlich ein wenig, dass seine Haut unversehrt ist. Schweigend wendet er seine Finger hin und her. Die Zeit, als ihm nicht einmal das möglich gewesen war, ist inzwischen schon eine Weile her, doch der noch immer dumpf pochende Schmerz ist ihm immer noch lieber als das vollständige Fehlen des Arms.

„Du bist ja wach, Sesshomaru-sama!“, vernimmt er auf einmal eine erleichterte Stimme. Es gibt nicht viele Personen, denen es gestattet ist, ihn zu duzen. Leicht dreht er den Kopf zur Seite. Da sitzt sie. Ein Mädchen, kaum größer als sein letzter Gegner, und doch ist ihm ihre Gesellschaft um ein vielfaches angenehmer.

„Rin“, sagt er. Seine Stimme klingt etwas schwächer als beabsichtigt.

Sofort strahlt das Mädchen über das ganze Gesicht. Dann wendet sie sich zu jemanden den er nicht sehen kann. „Er ist wach, Kaede-sama!“

Kurz darauf kommt ihm das Gesicht einer alten Frau in sein Sichtfeld. Kritisch beäugt sie ihn. „Na, langsam bekommt er wieder Farbe. Ich glaube er ist über den Berg“, stellt sie sachlich fest. Dann wendet sie sich an ihren Patienten. „Hast du noch Schmerzen?“

Sesshomaru ignoriert die unziemliche Anrede und unterzieht seinen Körper einer Überprüfung. Ja, Schmerzen verspürt er durchaus noch, doch im Verhältnis zu dem was hinter ihm liegt, sind sie kaum der Rede wert. Ein wenig steif setzt er sich nun auf. Sein rechter Arm fühlt sich ein wenig unbeweglich an, aber das mag auch von der Schiene herrühren, die man dort mit einem Verband fixiert hat.

Ohne auf Kaedes Protest zu achten, zupft er die Bandage ab und lässt sie neben sein Lager fallen. Er macht probeweise einige Bewegungen. Nun ja, ganz ist der Bruch wohl noch nicht verheilt, aber es wird gehen.

„Tut es noch weh?“, greift Rin nun wieder die Frage der Miko auf.

„Es ist... erträglich“, antwortet der Daiyoukai nach kurzem Zögern. Dann blickt er sich aufmerksam um. Er befindet sich offenbar in der Hütte der alten Miko. Am hinteren Ende hat man ihm ein Lager bereitet und ihn darauf gebettet. Daneben bemerkt er eine zweite Schlafstelle und er hat eine starke Vermutung wem sie wohl gehört. Ansonsten ist das Haus, bis auf die schlichten Einrichtungsgenstände leer. Niemand sonst ist hier. Doch jetzt wo er behutsam die Luft einsaugt, bemerkt er auch die anderen Personen, die sich sicher draußen in der Nähe aufhalten.

Langsam dämmert ihm, wo er sich befindet. Wie ist er hierhergekommen? Nachdem er inmitten des Kampfplatzes zusammengebrochen ist, kann er sich an nichts mehr erinnern. Nur an Bilder und Gefühle die alles andere als angenehm sind. Der Daiyoukai überlegt. Vermutlich war es sein Instinkt der ihn nach seinem Zusammenbruch bis hierher geführt hat. Warum gerade hierher, will er lieber nicht überlegen.

„Du warst einen ganzen Tag lang bewusstlos“, erklärt Rin nun, „Dir ging es sogar noch schlechter als damals.“ Sie schluckt ein wenig beklommen. „Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht.“

Sesshomaru wendet ihr den Kopf zu. „Wir?“, fragt er, obwohl er die Antwort schon längst ahnt.

„Ja, Inu Yasha und die anderen“, bestätigt das Mädchen seine Vermutung, „Als du herkamst, hattest du hohes Fieber. Inu Yasha musste dich in den Fluss legen, damit zu abkühlst. Dann hat Kaede-sama deine Verletzungen versorgt und du hast den ganzen Tag lang geschlafen. Du hast... immer wieder gestöhnt vor Schmerzen und um dich geschlagen“, unbehaglich blickt Rin zur Seite, „Inu Yasha musste dich fast die ganze Nacht festhalten.“

Zum ersten Mal zeigt nun das Gesicht des Daiyoukais eine Reaktion. Sesshomaru hebt erstaunt die Brauen. „Wo ist er?“, fragt er. Noch immer klingt seine Stimme etwas kratzig.

„Draußen bei Kagome-sama“, gibt das Mädchen Antwort.

Nun erhebt der Daiyoukai sich ein wenig unbeholfen, doch dann steht er aufrecht in der Hütte.

„Geh es etwas ruhiger an!“, meldet sich Kaede noch einmal zu Wort, „Das dämonische Feuer in dir hat deinem Körper ziemlich zugesetzt. Es wird noch eine Weile dauern, bis er sich wieder völlig erholt hat.“

Schweigend wirft ihr der Daiyoukai einen Blick zu, doch dann geht er an ihr vorbei und verlässt die Hütte.

Wie er vermutet hat. Sein Bruder und dessen Mikofreundin stehen in einiger Entfernung und blicken nun zu ihm hinüber. Scheinbar haben sie bereits auf ihn gewartet. Nun kommen die zwei direkt auf ihn zu. Für einen Augenblick stutzt Sesshomaru ein wenig. Über Inu Yashas linke Wange ziehen sich drei tiefe Kratzspuren. Ein wenig missmutig schaut der Hanyou zu ihm hinüber. Sesshomaru verzieht keine Miene. Wenn er nach Rins Schilderungen geht, hat er eine Ahnung was passiert sein mag.

„Wie es scheint, geht es dir wieder besser“, begrüßt die junge Frau ihn. Sesshomaru verzieht innerlich das Gesicht. Wie kommen die Freunde seines Bruders nur immer dazu, ihn einfach zu duzen? Na schön, ihr sei es gestattet.

„Hast du dich genügend erholt?“, fragt das Mädchen weiter.

Mit einem leichten Nicken lässt sich Sesshomaru zu einer Antwort herab.

„Sehr schön! Dann kann er uns ja vielleicht endlich verraten, was eigentlich passiert ist“, der Hanyou scheint noch immer ziemlich verstimmt zu sein.

Zwei neugierige und erwartungsvolle Augenpaare schauen nun Sesshomaru an und zum ersten Mal wird es dem Daiyoukai ein wenig unbehaglich zumute. Er hat seine vernichtende Niederlage selbst noch nicht verwunden, und er würde lieber darauf verzichten, darüber zu sprechen. Aber die Angelegenheit ist einfach zu ernst, als dass es klug wäre, es für sich zu behalten. Wie aber kann er seinem Bruder davon erzählen, ohne nicht völlig das Gesicht zu verlieren?

Unschlüssig blickt Sesshomaru zu Boden. Dann sagt er: „Ich war... einen Augenblick unachtsam. Ich habe nicht bemerkt, was er vorhat.“

„Wer?“, kommt die Frage seines Bruders, „Lass dir nicht immer alles aus der Nase ziehen.“

„Er nannte sich Katsuken“, antwortet Sesshomaru. Da ist es wieder dieses unbehagliche Gefühl bei dem Namen, als würde sein Gespür ihn auf irgendetwas hinweisen. Der Daiyoukai zieht leicht die Stirn kraus. Ihm ist so, als hätte er die Lösung bereit einmal in den Händen gehabt, doch nun ist sie ihm wieder entglitten.

„Katsuken?“, fragt Inu Yasha skeptisch, „'Siegreicher Hund'? Hab ich nie gehört. Wer soll das sein?“

In diesem Augenblick weiten sich Seshomarus Augen unwillkürlich. Das ist es! Das war es, was ihm entfallen war. Aber wenn sich sein Verdacht erhärtet, dann bedeutet das ein mächtiges Problem.

„Inu Yasha“, wendet er sich an den Hanyou, „Komm mit! Ich muss mit dir sprechen.“

„Nix da!“, lehnt der Hanyou entschieden ab, „Was immer du zu erzählen hast, kann Kagome auch hören.“

Der Daiyoukai seufzt innerlich. Manchmal ist es wirklich ermüdend, dass sein Bruder ihm bei jeder Kleinigkeit widersprechen muss. „Also gut!“, gibt er nach. Ihm steht noch nicht wieder der Sinn nach einer Auseinandersetzung.

„Ich fand gestern einige leerstehende Dörfer“, beginnt er seine Erzählung, „Jemand hatte ihre Einwohner umgebracht und verschlungen. Nur noch ihre Knochen waren übrig.“ Nicht ohne eine gewisse Befriedigung registriert er, dass sich das Menschenmädchen die Hand vors Gesicht schlägt und erschrocken zusammenzuckt.

„Ich ging der Sache nach und fand schließlich den Verursacher“, setzt der Daiyoukai seinen Bericht fort. „Es war ein Youkai mit der Gestalt eines Kindes. Er war gerade dabei eine Gruppe Mönche zu fressen. Ich stellte ihn zur Rede, doch er zeigte sich davon recht unbeeindruckt. Ich wollte ihn zur Verantwortung ziehen, doch es gelang ihm, Bakusaigas Angriff auszuweichen. Er ist unglaublich schnell. Dann... griff er mich an. Ich habe einen Moment zu lange gezögert, da hatte er bereits seine Klauen in meine Brust geschlagen. Sofort breitete sich seine unangenehme Hitze in meinem Körper aus. Ich kämpfte weiter. Schließlich jedoch... hatte er mich überwältigt.“

Aufmerksam verfolgen Inu Yasha und Kagome den nüchternen Bericht des Daiyoukais. Aus den Augenwinkeln beobachtet Sesshomaru die beiden. Ob sie auch nur die leiseste Ahnung davon haben, wie schwer es ihm fällt, davon zu berichten? Vermutlich nicht.

„Letztendlich konnte ich ihn mit Bakusaiga vertreiben. Ich denke jedoch nicht, dass er dabei umgekommen ist“, schließt der Youkaifürst seinen Bericht.

„Was geschah dann?“, fragt Kagome.

Der Daiyoukai wirft dem Mädchen nun einen finsteren Blick zu. Es hat nicht den Anschein, als wollte er weiter mit der Sprache heraus.

Inu Yashas Blick geht kurz von seinem Bruder hinüber zu Kagome und dann seufzt er. „Kagome du kannst ja schon mal Miroku und Sango davon erzählen. Ich komme dann gleich nach.“

Fast schon will die junge Frau zum Protest ansetzen, doch dann fällt bei ihr der Groschen. Sie wirft ihrem Freund einen durchdringenden Blick zu und lässt dann die beiden Brüder alleine.

Gleich darauf wendet sich Inu Yasha wieder Sesshomaru zu. „Also schön! Sie ist weg. Raus mit der Sprache! Was ist los? Was hat dieser Kerl mit dir angestellt?“

Sesshomaru atmet mit geschlossenen Augen aus. „Inu Yasha“, sagt er ruhig, „Ich werde dir bestimmt nicht schildern, wie ich den vergangenen Tag erlebt habe, aber es genügt hoffentlich zu sagen, dass ich das wirklich niemandem wünsche, außer vielleicht diesem elenden, kleinen Bastard der mir das eingebrockt hat.“

„Aber wer, zum Geier, ist der Kerl eigentlich?“, fragt Inu Yasha.

„Ich bin mir nicht sicher“, meint Sesshomaru, „Aber ich glaube er ist ein Inuyoukai.“

Inu Yasha hebt die Brauen. „Ein Hundedämon? Bist du sicher? Von welchem Clan?“

„Keiner den ich kenne“, gibt Sesshomaru zu, „Es war jedenfalls keiner von uns. Und es war auch weder einer aus dem Norden noch aus dem Osten.“

„Bei Yarinuyuki bin ich mir nicht sicher, aber Yaeba würde niemals einen von seinen Leuten ungefragt in unser Revier schicken.“

„Yaomonzurushi!“, korrigiert Sesshomaru seinen Bruder streng, „Du solltest dir seinen Namen endlich merken! Und ich sagte doch bereits, dass es keiner von ihnen war. Dieser Kerl war... anders. Die Augen und die Haarfarbe passen zu keinem mir bekannten Clan. Außerdem war er um ein beträchtliches Stück mächtiger als ich vermutet hatte. Er hat mich völlig kalt erwischt und mich sofort attackiert. Ich weiß noch immer nicht genau, wie er das angestellt hat, aber ich... hatte nicht die leiseste Chance gegen ihn.“

Ungläubig schaut Inu Yasha seinen Bruder an. „Ist das wirklich dein Ernst? Das kann doch gar nicht wahr sein!“

Aufgebracht hebt Sesshomaru den Kopf. „Sehe ich so aus, als würde ich Scherze machen?“, zischt er bissig, „Glaubst du, es bereitet mir Vergnügen, so etwas zu erzählen? Ich würde das doch nicht behaupten, wenn es nicht die bittere Wahrheit wäre.“

Ein wenig verblüfft lässt Inu Yasha die Worte auf sich wirken. „Verdammt!“, entfährt es ihm schließlich, „Das ist nicht gut, oder?“

„Dein Talent für Untertreibungen hat mich schon immer erstaunt“, bemerkt Sesshomaru trocken.

„Und was machen wir jetzt?“, fragt Inu Yasha weiter, „Sollen wir ihn suchen und aufhalten.“

Sesshomarus Miene bekommt einen leicht spöttischen Zug. „Wohl kaum!“, entgegnet er, „Wir würden erneut scheitern.“

Misstrauisch beäugt Inu Yasaha seinen Bruder. „Sesshomaru“, meint er abschätzend, „Du hast doch nicht etwa... Angst, oder?“

Ein kaum sichtbares Zucken läuft über das Gesicht des Daiyoukai. Doch dann sagt er ruhig: „Durchaus nicht. Aber ich konnte nichts gegen ihn ausrichten und ich habe nicht den Eindruck als würde ein Kämpfer mehr, und sei es auch ein starker“, gesteht er mit einem Blick auf seinen Bruder zu, „irgendeinen Unterschied gemacht haben.“

Inu Yasha verschränkt grübelnd die Arme. Nach einer Weile blickt er auf. „Ich gebe zu, es fällt mir schwer das alles zu glauben. Aber wenn es wirklich so ist, wie du sagst, was schlägst du dann vor? Was will der Kerl denn eigentlich?“

„Das ist eine gute Frage“, bemerkt Sesshomaru. „Wenn er wirklich ein Inuyoukai ist und keinem der drei Clans angehört, dann frage ich mich in der Tat, warum er jetzt auf so dreiste Art in unserem Revier wildert. Aber früher oder später wird das auf eine Konfrontation hinauslaufen.“

„Hattet ihr die nicht gerade erst?“, gibt Inu Yasha zu bedenken.

Unbehaglich beschließt Sesshomaru diese Frage erst einmal zu übergehen. „Ich rede davon, dass er sich womöglich irgendwann nicht mehr nur mit Menschen begnügen wird.“

„Wie kommst du darauf?“, fragt Inu Yasha.

„Es genügt ihm nicht nur, diese Leute zu töten“, erklärt Sesshomaru, „Er verschlingt sie auch. Das kann im Grunde nur eines bedeuten: Er sammelt Energie!“

„Aber wofür?“

„Ich weiß es nicht“, entgegnet Sesshomaru, „Aber im Gegensatz zu Menschen sind Youkai ein viel effektiverer Energielieferant, wenn es ihm nur darum geht.“

„Du meinst, er sammelt nur Kräfte um dann Jagd auf Youkai zu machen?“

„Es wäre denkbar“, gibt Sesshomaru zu, „Zumindest spielte er mit dem Gedanken, mich zu fressen.“

Inu Yasha reißt die Augen auf. „Dich? Das wird ja immer besser! Was ist denn während des Kampfes noch so alles vorgefallen?“

„Nichts was weiter von Bedeutung wäre“, antwortet Sesshomaru kühl, „Aber falls er tatsächlich Energien sammelt um Jagd auf Youkai zu machen, dann bedeutet das ein Problem.“

„Warum?“

Sesshomaru zögert einen Moment, doch dann blickt er auf. „Weil er mir bereits jetzt weit überlegen war. Um Youkai zu töten, besitzt er bereits mehr als genug Macht. Dass er noch immer weiterfrisst, kann also nichts Gutes bedeuten.“

Inu Yasha schürzt die Lippen. „Ich glaube du hast recht“, meint er, „Das ist ein Problem!“ Einen Moment lang steht er unschlüssig da. Dann fragt er: „Und nun?“

Der Daiyoukai strafft sich. „Ich kann nicht gestatten dass ein fremder Inuyoukai in meinem Reich weiter so zu wüten. Ich werde zunächst einmal in Erfahrung bringen, was er ist und wer er ist.“

„Und wie willst du das anstellen, wenn ich mal fragen darf?“, entgegnet Inu Yasha schnippisch, „Willst du zu ihm hingehen und ihn fragen? Eine Abreibung reicht dir wohl nicht.“

„Sei nicht so töricht!“, rügt Sesshomaru seinen Bruder, „Auch wenn du es vielleicht nicht glaubst, aber ich besitze mehrere sehr zuverlässige Informationsquellen.“

„Na, dann zieh sie mal zu Rate!“, meint Inu Yasha.

„Eben das beabsichtige ich“, erklärt Sesshomaru, „Und du wirst mich begleiten.“

„Ich? Wieso das denn?“, stößt Inu Yasha überrumpelt hervor.

Sesshomaru atmet einmal leicht gereizt durch. „Inu Yasha, diese Diskussion hatten wir gerade erst gestern.“

„Ja, ganz recht, und du kennst meine Antwort“, gibt der Hanyou unverblümt zurück, „Du bist der Fürst, ich bin der Hanyou! Ich habe da nichts verloren.“

„Du bist mein Bruder, verdammt!“, entnervt ballt Sesshomaru die Faust. Er braucht einen Moment bis er sich wieder unter Kontrolle hat. Dann fährt er etwas gefasster fort. „Ob du es wahrhaben willst oder nicht, das Blut unseres Vaters fließt auch durch deine Adern und er hat dich offiziell als seinen Sohn anerkannt. Du bist ein Fürstensohn. Ich muss dich doch nicht daran erinnern, was das bedeutet, oder?“

Mit knirschenden Zähnen starrt Inu Yasha zu Boden. „Nicht nötig, ich erinnere mich“, brummt er.

„Du kannst dich nicht jedes Mal aus der Verantwortung ziehen, wenn es um Angelegenheiten des Reiches geht“, fährt Sesshomaru ernst fort.

„Aber...“, will Inu Yasha einwerfen.

„Kein Aber!“, unterbricht ihn Sesshomaru streng, „Dies ist kein Lehrreise, die dem vermutlich vergeblichen Ziel dient, die frappierenden Lücken in deinen Umgangsformen aufzuarbeiten, sondern um eine wesentlich ernstere Angelegenheit. Dieser Youkai, wer immer er auch ist, wird sich weiter durch die umliegenden Dörfer fressen und zwar solange bis ihn jemand aufhält, oder er beschließt, sich ansprechenderen Zielen zuzuwenden. Und wenn selbst wenn es bei den Menschen bleibt, dann gebe ich dir Brief und Siegel, dass er irgendwann auch hierher kommen wird. Was denkst du wohl, was das für deine Freunde bedeutet?“

„Vielleicht verschwindet er ja von selbst wieder“, wagt Inu Yasha einen schwachen Versuch.

„Sei doch nicht so naiv!“, entgegnet Sesshomaru, „Dieser Kerl ist nur auf ein Ziel aus: Zerstörung! Er wird nicht verschwinden. Und selbst wenn doch, welchem Reich würdest du seinen Hunger zumuten wollen? Nein, entweder werden wir mit ihm fertig, oder er mit uns. So einfach ist das.“

Eine Weile sagt Inu Yasha kein Wort. Nachdenklich blickt er seinen Bruder an. „Sesshomaru“, sagt er schließlich, „Du hast Angst!“

Ein kurzes Zucken läuft über Sesshomarus Lippe, doch seine Miene ist regungslos. Dann senkt er den Blick. „Du hast ihm nicht gegenübergestanden“, sagt er leise, „Du hast seine Aura nicht gespürt. Aus ihr spricht die reine Mordlust. Aber was mich mehr beunruhigt als diese Aura, ist die Tatsache, dass mich diese Aura beunruhigt. Ich war ihm hilflos ausgeliefert. So etwas darf nicht passieren!“

„Du hast überlebt!“, stellt Inu Yasha fest.

„Reines Glück“, entgegnet Sesshomaru.

Inu Yasha verschränkt die Arme. „Sesshomaru“, sagt er ernst, „Du hast doch Glück gar nicht nötig!“

Aus den Augenwinkeln wirft Sesshomaru seinem Bruder einen undeutbaren Blick zu. Für eine Weile sagt der Daiyoukai kein Wort. Dann fragt er: „Wie geht es deiner Wange?“

Unwillkürlich fährt sich Inu Yasha über die Kratzer in seinem Gesicht. „Nicht der Rede wert!“, meint er, „Ich hab bloß einen Moment lang nicht aufgepasst. Mein Fehler!“

„Kommst du mit, oder muss ich dich zwingen?“

„Wie willst du mich denn zwingen?“

„Ich könnte es dir befehlen.“

„Ja, klar! Träum weiter!“

„Kommst du mit?“

Der Hanyou verzieht das Gesicht und schweigt.

„Bitte!“

Entnervt stöhnt Inu Yasha auf. „Meine Güte! Hör bloß auf! Ich krieg echt die Krise, wenn du 'Bitte' sagst! Also schön, verdammt! Wenn's denn unbedingt sein muss, dann komm ich eben mit! Aber nur wenn Kagome mitdarf.“

„Das halte ich für keine gute Idee.“

„Ist mir egal! Darüber gibt es keine Diskussion!“

„Es könnte gefährlich werden.“

„Ganz recht, und wenn es soweit ist, dann möchte ich lieber wissen wo sie ist!“

Der Daiyoukai seufzt leise. „Also gut! Aber du bist ganz allein für sie verantwortlich, verstanden?“

„Selbstverständlich!“, nickt Inu Yasha. Genau das hatte er sowieso schon die ganze Zeit vor.

Aufbruch

„Irgendetwas bereitet ihm doch Kopfzerbrechen“, raunt Kagome Inu Yasha zu. Inu Yasha folgt ihrem Blick und sieht wie Sesshomaru regungslos vor der Hütte steht und gedankenverloren in den Himmel blickt.

Der Hanyou und seine Freundin sind gerade am packen. Kagome bekommt dabei einen leichten Anflug von Nostalgie. Eigentlich hatte sie angenommen, ihren Rucksack so bald nicht wieder benutzen zu müssen. Doch nachdem Inu Yasha sie nach dem Gespräch mit seinem Bruder über den Sachverhalt informiert hatte, ohne die peinlichen, seinen Bruder betreffenden Teile all zu sehr auszuschmücken, stand es für beide sofort fest, dass hier ihre Hilfe gefordert war.

Ein einziger Blick zwischen ihnen war gefallen und sie waren sich einig gewesen. Kagome lächelt innerlich. Jetzt wo sie sich nicht ständig in Abenteuer stürzen müssen, kommen sie beide sich tatsächlich näher. Immer öfter verstehen sie sich auch ohne Worte, und dieses ständige Streiten wird auch immer seltener.

Trotzdem spürt sie, dass sich der Hanyou manchmal noch nach Abwechslung vom friedlichen Alltag sehnt. Dies könnte eine gute Gelegenheit sein, damit er sich mal wieder ordentlich austoben kann. Doch ihr ist ebenfalls klar, dass dies hier kein Urlaub wird. Höchstwahrscheinlich werden sie wieder in Gefahr geraten, oder womöglich sogar Schlimmeres. Aus diesem Grund haben auch Miroku und Sango beschlossen, diesmal hierzubleiben. Die junge Familie hat ihre eigene Verantwortung zu tragen. Ein wenig beneidet Kagome die beiden.

Aber sie kann auch verstehen, welche Verpflichtung ihrem Freund aus seiner Abstammung erwächst, und dass von ihm erwartet wird, dass er sich an der Lösung des Problems beteiligt. Die Hauptverantwortung liegt natürlich bei Sesshomaru. Doch der Daiyoukai ist noch immer verletzt, auch wenn er bemüht ist, das zu überspielen. Um so mehr kann Kagome verstehen, dass Inu Yasha sich bereiterklärt hat, seinen Bruder zu unterstützen.

Seit dem Sieg über Naraku, scheinen die zwei sich ein kleines bisschen näher gekommen zu sein. Sie sind noch immer keine dicken Freunde, aber das ständige Kämpfen hat aufgehört und gelegentlich schaffen sie es sogar, einigermaßen vernünftige Gespräche miteinander zu führen. Am meisten überrascht ist sie dabei von Sesshomaru. Aus irgendeinem Grund bringt der Daiyoukai seinem jüngeren Halbbruder ein, für seine Verhältnisse, beträchtliches Maß an Vertrauen entgegen. Erst vorhin hat er es wieder einmal bewiesen, als er nur bereit war, allein mit Inu Yasha über seine Niederlage zu sprechen. Sie hat zwar keine Ahnung warum das so ist, aber sie hat sich inzwischen damit abgefunden.

Auch wenn der Daiyoukai ihr nach wie vor die kalte Schulter zeigt, so macht sie sich doch Gedanken darüber, welche Auswirkung seine Verfassung auf die vor ihnen liegende Ereignisse haben mag. Inu Yasha hat nicht viel über den Kampf erzählt, aber schon anhand von Sesshomarus Verfassung und seinem momentanen Gemütszustand erkennt sie, dass den Daiyoukai irgendetwas schwer beschäftigt.

„Kann man ihm ja wohl kaum verdenken“, entgegnet Inu Yasha auf ihre Feststellung.

„Ich meine ja nur“, mault Kagome, „Er sieht nun mal so niedergeschlagen aus.“ Daraufhin erntet sie einen schiefen Blick von Inu Yasha. „Ok, ja, ich weiß!“, gibt Kagome zu, „Das war eine blöde Wortwahl. Aber er wirkt so bedrückt. Sollten wir nicht vielleicht versuchen ihn aufzumuntern.“

„Lass es gut sein, Kagome“, wehrt Inu Yasha ab, „Deine Bemühung in allen Ehren, aber dem ist nun mal nicht zu helfen.“

„Aber genau das haben wir doch gerade vor, nicht wahr?“ Entschlossen schultert die junge Frau ihren Rucksack. „Na schön! Ich bin fertig! Von mir aus können wir los.“

Als hätte er nur darauf gewartet, wendet sich Sesshomaru zu ihnen um. Langsam kommt er auf sie zu. Ernst blickt er auf die beiden herab. Dann sagt er: „Es wird Zeit. Wir sollten aufbrechen.“

„Ganz wie du willst“, meint Inu Yasha und will sich zum Gehen wenden.

Doch die Stimme seines Bruder hält ihn zurück. „Inu Yasha!“

Verwundert dreht sich der Hanyou um. „Was noch?“

Der Daiyoukai scheint einen Moment zu zögern, dann sagt er: „Unter Berücksichtigung der Umstände, halte ich es für ratsam, wenn wir rasch ans Ziel gelangen würden.“

„Bin durchaus deiner Meinung“, stemmt Inu Yasha den Arm in die Seite, „Wäre es dann nicht sinnvoll, wenn wir langsam mal losgehen würden?“

Leicht schüttelt Sesshomaru den Kopf. „Das würde zu lange dauern. Bis zum Palast des Westens sind es von hier mehrere Tage zu Fuß. Bis wir dort sind, hat der Feind wahrscheinlich schon die größten Teile des Landes entvölkert.“

Inu Yasha verzieht das Gesicht. „Und was schlägst du stattdessen vor?“

Der Daiyoukai atmet einmal kurz durch, dann sagt er „Ich werde uns dorthin befördern. Auf diese Weise wird es wesentlich schneller gehen.“ Das Unbehagen bei diesen Worten ist ihm deutlich anzumerken.

„Moment mal!“, hakt Inu Yasha skeptisch nach, „Was bedeutet 'uns dorthin befördern'? Du hast doch wohl nicht irgendwas Komisches vor, oder?“

„Wir werden in Energieform reisen“, erklärt der Daiyoukai knapp.

Inu Yasha und Kagome reißen die Augen auf.

„In Energieform?“, Kagome ist irritiert.

„Einen Augenblick!“, meldet sich Inu Yasha verstimmt zu Wort, „In Energieform? Ist das dein Ernst? Das kannst du mal gleich vergessen! Ich erinnere mich noch genau was damals mit Kossoridoku...“

„Inu Yasha!“, unterbricht ihn Sesshomaru scharf, „Dein Protest ist völlig überflüssig. Es ist die einzige Möglichkeit und ich habe entschieden!“

„Ja, du entscheidest wieder alles. War ja klar!“, schmollt Inu Yasha.

„Ist das gefährlich?“, wagt es jetzt Kagome ein wenig besorgt zu fragen.

Zu ihrer Überraschung und nicht unbedingt zu ihrer Beruhigung zögert der Daiyoukai eine Weile. Dann sagt er: „Es sollte kein Problem gehen.“

„Was heißt 'sollte'?“, fragt Inu Yasha empört, „Verzeihung, aber ich mach da bestimmt nicht mit, ehe ich das nicht genau weiß.“

Sesshomaru beißt die Zähne aufeinander. Eine seiner Hände ballt sich zur Faust. Schließlich meint er: „Normalerweise ist diese Form des Reisens kein Problem für mich. Allerdings mag es sein, dass meine Verletzungen sich ein wenig auf meine... Konzentration auswirken könnten.“

„Na, das ist ja wunderbar!“, meint Inu Yasha verächtlich, „Und trotzdem bestehst du darauf? Hast du überhaupt schon mal Personen damit transportiert?“

„Niemals zwei gleichzeitig!“

Inu Yasha schnaubt auf. „Keh! Vergiss es! Womöglich löst du Kagome und mich dabei in unsere Bestandteile auf. Nein Danke!“

Sesshomaru seufzt innerlich. Irgendwie hat er das bereits geahnt. Er hätte es vorgezogen, seinen Bruder nicht beunruhigen zu müssen, aber ihm Lügen zu erzählen, ist einfach nicht seine Art. Es stimmt, er ist sich nicht völlig sicher, ob es klappen wird. Auf diese Art zu reisen, ist nicht ohne guten Grund ein Privileg der Daiyoukai. Es erfordert außer einer enorm kraftvollen Energie auch ein beträchtliches Maß an Konzentration. Eigentlich reist er ungern so und benutzt diese Technik nur in Notfällen, doch dieses ist so ein Notfall und sie können es sich nicht leisten diesem mordenden Youkai noch mehr Zeit einzuräumen.

Allerdings kennt er seinen Körper sehr gut und er kann noch immer die Schwäche in ihm fühlen. Womöglich gelingt es ihm nicht einmal, den schwierigen Prozess zu bewältigen, der seine äußere Erscheinung umwandelt, in das was ihn ausmacht. Doch er macht sich mehr Sorgen darüber ob es ihm gelingt, die nötige Konzentration aufzubringen, um die freigesetzten Energiemassen zusammenzuhalten und das noch zusammen mit zwei fremden Seelen an seiner Seite, die er ebenfalls abgetrennt halten muss. Das könnte schwierig werden, denn zu seinem Leidwesen, ist der Schmerz, der ihn einen ganzen Tag lang gepeinigt hat, noch nicht vollkommen verschwunden und immer wieder flackern die grausigen Bilder aus seinem Alptraum durch sein Bewusstsein. Hätte er die Zeit, sich einige Tage Ruhe zu gönnen, würde das alles verschwinden, doch die hat er nicht, also muss es auch so gehen.

Dass sein Bruder nun wieder auf stur geschaltet hat, macht es nicht gerade besser. Selbst wenn er ihn einfach zwingen würde, er braucht seinen Bruder zumindest in halbwegs gelassenem Zustand, wenn er ihn in dieser Form leiten soll. Doch davon ist er wie gewöhnlich weit entfernt. Im Grunde fällt ihm nur eine einzige Möglichkeit ein, wie er seinem Bruder die Bedenken nehmen kann, zumindest für eine Weile. Doch gerne tut er es nicht.

Langsam dreht sich Sesshomaru zu Kagome um. Mit regungsloser Miene blickt er auf sie herab. „Was ist mit dir? Vertraust du mir?“, fragt er ernst.

Ein wenig scheu schaut Kagome zu ihm hoch. Es kommt nicht häufig vor, dass der Youkaifürst direkt das Wort an sie richtet, oder sie gar nach ihrer Meinung fragt. Aber wenn sie jetzt in seine klaren Goldaugen blickt, dann spürt sie, dass der Daiyoukai nicht beabsichtigt, ihr willentlich Schaden zuzufügen. Mehr noch! Sie ist fest davon überzeugt, dass er alles in seiner Macht stehende tun wird, um sie sicher ans Ziel zu bringen.

Sie nickt. „Ja, ich denke schon!“

Ungläubig starrt Inu Yasha seine Freundin an. Wie kann sie ihm nur so in den Rücken fallen?

Mit einem leichten Anflug von Triumph in den Augen wendet sich Sesshomaru zu seinem Bruder um. „Siehst du? Das Menschenmädchen hat weit mehr Mut als du!“, bemerkt er zynisch.

„Hey, ich muss mir doch von dir nicht sagen lassen, dass ich Angst hätte!“, schimpft Inu Yasha zurück, „Na, meinetwegen! Leg schon los! Aber wehe einer von uns kommt in kleinen Stückchen an. Dann mach ich aus dir kleine Stückchen!“

Sesshomaru überhört die letzte Bemerkung. Er atmet einmal tief durch. Ein wenig steif hält er Kagome nun seine Hand hin. Zögernd erfasst die junge Frau sie. Die Finger des Daiyoukais fühlen sich wärmer an als erwartet und seine Haut ist erstaunlich weich, doch als er ein wenig zögernd ihren Griff erwidert, bekommt sie einen kleinen Eindruck davon, wie viel Kraft in den feingliedrigen Fingern stecken muss, auch wenn er deutlich bemüht ist, seine Kraft angemessen zu dosieren. Weit weniger behutsam fasst er nun die Hand seines Bruders, und dann hebt er den Kopf und schließt die Augen.

Auf einmal spürt Kagome ein eigenartiges Kribbeln das durch ihren Körper geht. Es fühlt sich ein wenig unangenehm an und dann plötzlich spürt sie wie sich langsam ein gewaltiger Druck in ihrem Körper aufbaut. Das Atmen fällt ihr immer schwerer und sie ringt ängstlich nach Luft. Der Druck wird immer stärker und von der Hand des Daiyoukais neben ihr geht nun eine unangenehme Hitze aus. Am liebsten möchte sie seine Hand loslassen, doch sie stellt fest, dass sie nun keine Kontrolle mehr über ihre Gliedmaßen hat.

Plötzlich nimmt sie neben sich eine Bewegung wahr. Sie sieht wie Sesshomaru keuchend auf ein Knie hinabgesunken ist, doch noch immer hält er ihre Hand wie in einem Schraubstock fest. Doch sie weiß es eher, als dass sie es spürt, denn im Augenblick spürt sie gar nichts mehr. Der unerträgliche Druck ist von einem Moment auf den anderen verschwunden. Es kommt ihr vor, als würde sie gar nicht mehr zu ihrem Körper gehören, als würde sie nur wissen, dass Sesshomaru ein Stöhnen entfährt, statt es zu hören; als würde sie wissen, dass der Daiyoukai sich noch einmal aufbäumt und sich dann in ein schimmerndes Licht auflöst, statt es zu sehen.

Nun sind alle Geräusche um sie verstummt und das Wesen Kagome kommt sich ein wenig verloren vor. Doch auf einmal spürt sie ein eigenartiges Drängen. Irgendetwas zieht sie in eine bestimmte Richtung. Nach oben.

Immer höher steigt sie auf. Die Erde wird immer kleiner unter ihr und auf einmal spürt sie ein neues Drängen, dem sie nicht länger widerstehen kann. Sie weiß, dass neben ihr zwei andere, bläulich schimmernde Lichter sind und dass diese sie nun leicht berühren. Im ersten Moment ist sie erschrocken. Sonderbare Bilder und Gefühle huschen durch ihr Bewusstsein und sie weiß, dass es nicht ihre eigenen sind. Alles fliegt so schnell vorbei, dass sie es kaum erfassen kann. Nur ein Bild hebt sich deutlich von den anderen ab. Es ist das Gesicht einer Person. Das Wesen Kagome empfindet auf einmal starkes Bedauern und diesmal ist sie sich nicht sicher, ob es ihre eigenen oder fremde Gefühle sind. Sie kennt diese Person.

Doch noch ehe sie sich dessen bewusst werden kann, verändert sich das Bild und aus dem Gesicht wird nun eine riesige, alles verschlingende Feuerwand. Erschrocken weicht das Wesen Kagome davor zurück. Doch nur einen Augenblick später weiß sie, dass der eine bläuliche Punkt neben ihr auf einmal hell aufleuchtet und im selben Moment verschwindet das beängstigende Bild.

Dann spürt sie ein neues Ziehen, diesmal noch drängender als zuvor und bereitwillig lässt sie sich nun mittreiben, während sie weiß, dass sie in unglaublicher Geschwindigkeit über den Himmel fliegt, dem Horizont entgegen.
 

Auf dem untersten Dach einer Pagode liegt eine kleine Gestalt und spielt gedankenverloren mit einem Oberschenkelknochen. Ein Bein schlenkert locker in der Luft während das andere auf dem Dach aufgestellt ist, und die Person, die zu ihm gehört, damit vor dem Herunterrutschen bewahrt. Der jugendliche Youkai liegt auf dem Rücken und hat eine Hand unter den Kopf gebettet. Nachdenklich blickt er in die Wolken hinauf.

So war das nicht geplant gewesen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass dieser fremde Youkai ihm tatsächlich Schaden zufügen könnte. Seine Miene verfinstert sich. Sesshomaru! Was für ein Witz! Aber zumindest hat er sich gewehrt. Also sind diese Inuyoukai wohl doch noch nicht völlig verweichlicht. Im Grunde hat er nichts dagegen. So wird das Ganze wenigstens ein bisschen interessant.

Er hebt eine Hand und begutachtet sie. Sein Arm ist vollständig bandagiert, ebenso wie seine Brust und die Beine. Die Verbände hat er sich von einem der Mönche unten anlegen lassen. Bedauerlicherweise war der Mann nicht sonderlich kooperativ. Er hätte es wirklich besser wissen müssen. Warum musste er auch versuchen ihn hinterrücks zu läutern? Das hat er nun davon. Hätte der Dummkopf diese Sperenzchen gelassen, hätte er ihn vermutlich verschont und wäre anschließend gleich weitergezogen, aber so?

Missmutig verzieht der Junge das Gesicht. Was für eine lästige Unterbrechung. Hunger verspürt er im Augenblick nicht, seine Selbstheilungskraft arbeitet schließlich gerade auf Hochtouren, das wird sich aber bald wieder ändern. Sobald er wieder hergestellt ist, wird er seine Jagd fortsetzen, trotz der unliebsamen Störung. Ein Jammer, dass er sich diesen Möchtegernfürsten nicht mehr persönlich vorknöpfen kann. Inzwischen sollte es ihn bereits dahingerafft haben. Niemand hat bisher sein Kokorokaji überlebt. Wirklich zu schade! Nur seinetwegen verzögert sich jetzt die ganze Sache bis seine Verletzungen wieder verheilt sind. Wie gern würde er diesem Kerl dafür seine Überheblichkeit aus jeder Pore seines Körpers prügeln. Nun, man kann wohl nicht alles haben.

Mit einer urplötzlichen Kraftentladung ballt er die Faust und seine Aura flackert kurz auf. Doch das genügt bereits um die Verbände um seinen Körper vollständig aufplatzen und sie in winzigen Fetzen davonfliegen zu lassen. Dann setzt er sich auf und lässt den Knochen in seiner Hand schmunzelnd vom Dach fallen. Mit einem geschmeidigen Sprung, gleitet er auf den Boden zurück.

Suchend schaut er sich um. Überall auf dem Hof des kleinen Tempels liegen Knochen und zerrissene, blutverschmierte Gewänder. Rote Pfützen verschandeln das reine Weiß der Platten auf dem Tempelhof. Schließlich hat er gefunden, was er sucht. Er hebt eines der Gewänder auf und reißt an der Unterkante einen breiten Streifen ab. Das wird vorerst genügen.

„Komm bloß nicht auf die Idee, das anzuziehen! Du bist kein Mönch!“

Die ärgerliche Stimme lässt ihn überrascht herumfahren. Belustigt hebt er eine Augenbraue. Vor sich sieht er einen gut gerüsteten jungen Mann auf dem Rücken eines Katzenyoukais. Seine schwere Kusarigama hat er zum Wurf erhoben und grimmig bietet er ihm die Stirn.

„Ah!“, meint er amüsiert, „Dich kenne ich doch. Ich habe doch neulich davon abgesehen, dich zu töten. Wie nett, dass du mir nun eine zweite Gelegenheit gibst.“

„Ich werde nichts dergleichen tun, Dämon!“, wütend funkelt Kohaku den Youkai an. Er spürt das tiefe Knurren der Katze an seinen Unterschenkeln, doch er hat beschlossen, dieses grausame Morden nicht länger tatenlos hinzunehmen. Was für einen Dämonenjäger würde er abgeben, wenn er es nicht wenigstens versuchte? Er hat auch so schon viel zu viel wieder gutzumachen. Wenn er hier einfach aus Furcht wegsehen würde, könnte er seiner Schwester nie wieder unter die Augen treten. Tapfer trotzt er dem Youkai vor ihm, auch wenn ihm das Herz bis zum Hals klopft. Der Junge vor ihm sieht zwar um einige Jahre älter aus als er ihn in Erinnerung hat, doch das bekräftigt ihn nur in dem Entschluss, seinen Machenschaften ein Ende zu setzen.

Nun wird das Gesicht des Youkais ernst und er richtet sich hoch auf. „Armes Kind!“, meint er verächtlich, „Hast du überhaupt nur die leiseste Ahnung, wen du vor dir hast?“

„Nein“, hält Kohaku entschlossen dagegen, „Klär mich auf!“

Nun verzieht der rotäugige Junge den Mund zu einem schiefen Lächeln. Dann sagt er laut: „Mein Name ist Sesshomaru, Herr über dieses Land und du hast die Ehre meine nächste Zwischenmahlzeit zu werden!“

Augenblicklich sträubt sich Kiraras Fell und die Dämonenkatze faucht angriffslustig.

Doch Kohaku lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. „Lass dir gefälligst eine bessere Lüge einfallen!“, ruft er vernehmlich, „Ich kenne Sesshomaru sehr gut, und du bist es nicht!“

Nun scheint der Junge für einen Moment zu stutzen. Doch dann wird seine Miene ernst. Nun setzt er sich in Bewegung und langsam kommt er auf Kohaku zu, der wachsam jede seiner Bewegungen verfolgt.

„So so, du kanntest also diesen jämmerlichen Schwächling“, meint er gefährlich, „Das ist ja wirklich sehr interessant.“

„Was soll das heißen 'kannte'?“, fragt Kohaku alarmiert.

„Ganz einfach!“, antwortet der Junge mit blitzenden Augen, „Dieser Youkai ist inzwischen Geschichte. Es war gar nicht so schwer, ihn zu erledigen.“

„Du lügst!“, ruft Kohaku entschlossen, „Du willst Sesshomaru getötet haben? Das glaube ich nie im Leben. Du magst vielleicht stark sein, aber ganz sicher nicht so stark wie er!“

Nun zieht ein hämisches Grinsen auf das Gesicht des Youkais. „Glaub es ruhig!“, meint er belustigt, „Mit meinen eigenen Klauen hab ich ihn durchbohrt, und das bedeutet, selbst wenn er noch am Leben war, als ich ihn verließ, jetzt ist er es ganz sicher nicht mehr!“

„Du irrst dich gewaltig!“, entschieden schüttelt Kohaku den Kopf, „Niemand ist so zäh wie Sesshomaru. Wenn du ihn nicht gleich auf der Stelle getötet hast, dann stehen die Chancen gut, dass er noch immer lebt.“

Schlagartig wird das Gesicht des Jungen ernst. Noch immer nähert er sich langsam dem jungen Dämonenjäger. „Du scheinst ja eine wirklich hohe Meinung zu haben von diesem Kerl“, stellt er finster fest, „Ich frage mich, wie sicher du dir deiner Sache bist.“

Fest schaut Kohaku ihn an. „Ich würde mein Leben darauf verwetten!“

„Ist das so?“, auf einmal verzieht sich das Gesicht des Jungen zu einem unnatürlich breiten Maul mit scharfen Reißzähnen und nur einen Wimpernschlag näher ragt er direkt vor Kohaku aus. Noch ehe der Dämonenjäger reagieren kann, hat der Junge Kirara einem heftigen Faustschlag verpasst, sodass die Katze sich ein paar Mal überschlägt und dann reglos liegenbleibt. Nur wenige Augenblicke später schrumpft sie wieder auf ihre ursprüngliche Größe zusammen und rührt sich nicht mehr.

Kohaku ist währenddessen unsanft zu Boden gestürzt. „Kirara!“, ruft er besorgt nach seiner Freundin, doch im selben Augenblick umschließen gnadenlose, klauenbewehrte Finger seinen Hals und er wird gewaltsam zu Boden gepresst. Hart schlägt er mit dem Kopf auf. Um ihn her dreht sich alles, doch der Dämonenjäger versucht sogleich die Benommenheit so gut wie möglich wieder abzuschütteln. Das erweist sich allerdings als schwierig, denn der stählerne Griff drückt ihm zudem noch schmerzlich die Luft ab und er hat das Gefühl, als würde sein Kopf gleich von seinem Körper getrennt.

Vergeblich versucht er sich freizustrampeln, doch die Finger lösen sich keinen Millimeter. Mit großen Augen starrt Kohaku zu seinem Angreifer hoch. Wieder ist da dieses spöttische Lächeln um seine Mundwinkel. Doch dann beugt er sich herab und presst ein Knie auf Kohakus Brust. Dem jungen Dämonenjäger entfährt ein Stöhnen als er das trockene Knacken einiger gebrochener Rippen spürt.

Ganz dicht kommt der rotäugige Youkai nun an sein Gesicht heran. „Also schön!“, sagt er bedrohlich, „Da du ja offenbar so fest davon überzeugt bist, dass er noch lebt, kannst du ihm etwas von mir ausrichten!“ Nun lässt er Kohaku los, der sich hustend den Hals reibt, und richtet sich zu seiner vollen Größe auf. Mit einem herablassender Blick taxiert er den Dämonenjäger.

„Richte ihm aus“, verkündet er mit lauter Stimme, „Ich bin Sesshomaru, und ich werde schon bald kommen und mir holen was mir zusteht!“

Mit diesen Worten flammt seine Aura in einem tiefen Rot hoch auf und nur wenige Augenblicke später verschwimmen seine Konturen und eine leuchtend rote Energiekugel schießt in den Himmel empor und verschwindet dann aus Kohakus Sichtfeld.

Der Palast des Westens

Über den schmuckvollen Palisaden der Umzäunung um den Palast des Westclans senkt sich allmählich die Sonne herab. Am Tor sind keinerlei Wachen zu sehen, doch das muss nichts heißen. Die Wachen der Inuyoukai des Westens nehmen ihre Aufgabe ernst, dazu muss man sie nicht einmal ausmachen können.

Wachsam beobachten die Augen von zehn gut bewaffneten Kriegern das Eingangstor und seine Umgebung. Kein Eindringling hat eine Chance unbemerkt zu bleiben. Auch über die täuschend unscheinbaren Pfähle die den Zaun bilden, ist kein Hereinkommen, denn der Palast wird durch mehrere kräftige Bannkreise geschützt.

Gerade als die Sonne den Horizont berührt, schrecken die Wächter unwillkürlich auf. Eine starke Aura nähert sich ihnen in rasendem Tempo und schon in wenigen Momenten wird sie hier sein. Nein, es sind sogar drei. Die beiden anderen werden fast von der stärkeren überdeckt, doch sie sind vorhanden. Sofort fassen die Youkai ihre Waffen fester.

„Chitsurao-sama!“, weist einer der Männer seinen Hauptmann, der neben dem Tor Posten bezogen hat, darauf hin.

„Ich spüre es!“, nickt dieser ernst. Sorgfältig konzentriert er sich auf die Aura. Doch dann hebt er erleichtert den Kopf. „Kein Grund zur Sorge! Er ist es!“ Doch wen bringt er da mit sich und aus welchem Grund reist er auf diese Weise? Chitsurao kennt seinen Fürsten lange genug, um zu wissen, dass er die gängige Art zu reisen, dieser bei weitem vorzieht. Ob etwas geschehen ist?

In diesem Augenblick sieht der Youkai einen leuchtend blauen Punkt auf das Eingangstor zurasen. Im letzten Moment verringert das bläuliche Licht seine Geschwindigkeit und teilt sich nun in drei leuchtende Kugeln auf. Nur wenige Augenblicke später dehnen sich die Lichtpunkte aus und nehmen die Gestalt von drei Personen an, zwei Männer und eine Frau. Sicherheitshalber fassen die Soldaten ihre Waffen fester, bis sie in Erfahrung gebracht haben, wer da mit ihrem Herrn zusammen reist.

Kaum haben die drei Personen ihre Gestalt zurückerlangt, als den beiden Mitreisenden auch schon die Knie einknicken. Die junge Frau hält sich die Hand vor den Mund und der junge Mann in dem roten Gewand ist ein wenig blass um die Nase, doch beide bemühen sich ihre Beherrschung zu bewahren. Zwischen ihnen steht eine dritte, hochgewachsene Gestalt. Sie hält sich noch immer aufrecht, aber für einen kurzen Moment schwankt sie ein wenig und taumelt einen halben Schritt vorwärts.

„Sesshomaru-sama!“, ruft Chitsurao besorgt und ist schon bereit seinem Fürsten beizustehen, doch der Daiyoukai weist ihn mit einer Handbewegung an, fern zu bleiben. Mit gesenktem Kopf steht er da und atmet vernehmlich ein und aus.

Sehr behutsam tritt Chitsurao näher. „Sesshomaru-sama, ist alles in Ordnung?“, er würde seine Pflicht vernachlässigen, wenn er nicht fragen würde.

„Ich bin in Ordnung!“ Die Stimme des Daiyoukai schwankt ein wenig, doch dann blickt er auf. Schweißperlen hängen auf seiner Stirn und er sieht geschafft aus, doch weiter scheint ihm nichts zu fehlen.

Inzwischen haben sich auch seine Begleiter wieder aufgerappelt. „Kagome, alles ok?“, zieht Inu Yasha seine Freundin besorgt hoch.

„Mir fehlt nichts“, beteuert Kagome, „Mir ist nur ein wenig schlecht.“

Erstaunlicherweise lässt sich Sesshomaru zu einer Erklärung herab. „Der Übergang von der Energieform zurück in den Körper, kann beim ersten Mal etwas verstörend sein. Es wird vergehen.“

„Mein Fürst!“, nun da sein Herr sich offenbar wieder etwas gefasst hat, hält Chitsurao eine formelle Begrüßung für angebracht, „Willkommen im Palast, mein Fürst! Wir sind sehr erfreut, dass Ihr uns wieder einen Besuch abstattet.“

Sesshomarus Miene wird ernst. Dann sagt er: „Dies ist kein Besuch. Ich wünsche den Rat zu sprechen. Informiere sie über meine Anwesenheit und gib ihnen Bescheid, dass ich sie in einer Stunde im Konferenzsaal treffen werde.“ Dann blickt er sich zu Inu Yasha und Kagome um. „Bereitet auch zwei Zimmer für meinen Bruder und das Menschenmädchen. Sie sind meine Gäste.“

„Ein Zimmer genügt“, meint Inu Yasha sofort. Bestimmt hat er nicht vor, Kagome in diesem Schloss voller Dämonen aus den Augen zu lassen.

„Zwei Zimmer!“, wiederholt Sesshomaru ungerührt und dann wendet er sich ab.

Inu Yasha will schon protestieren, doch im letzten Moment verkneift er es sich doch lieber. Jetzt geht wieder dieses höfische Leben los, denkt er bei sich. Das bedeutet, dass er ab jetzt wieder die offizielle Rangfolge einhalten muss, wenn er keinen Ärger provozieren möchte. Auch ein Grund weshalb er nicht hierher kommen wollte.

Missmutig macht er sich daran, seinem Bruder zu folgen, der sich bereits an seinen Soldaten vorbei auf den Weg durch das Schlosstor gemacht hat. Neben ihm geht Kagome. Ein wenig besorgt schaut sie um sich. Von allen Seiten werden ihr teils herablassende, teils verärgerte Blicke zugeworfen, doch die Youkai beabsichtigen nicht, Hand an einen 'Gast' ihres Fürsten zu legen. Sie wird geduldet, wenn auch nicht gebilligt.

Rasch folgen Inu Yasha und Kagome Sesshomaru auf dem Weg zum Haupthaus. Kagome blickt sich interessiert um. Das Palastgelände scheint eine große Anlage zu sein. Er besteht eher aus einzelnen Häusern, statt wie der Palast des Ostclans aus einem einzigen, großen, verzweigten Komplex. Sie muss gestehen, dass ihr das wesentlich besser gefällt. Nur ungern erinnert sie sich an das Labyrinth aus Gängen in denen sie sich mehrmals fast verlaufen hätte. Dieser Palast hier ist wesentlich offener.

Außerdem gibt es viel mehr Grün. Statt sich auf einige eingeflochtene Gartenbereiche zu beschränken, wurde hier die gesamte Anlage in einen Garten verwandelt, durch den sich sauber angelegte Wege schlängeln. Diese bestehen aus bis zum Anschlag in den Boden gerammten Pfählen die auf diese Weise kompliziert verschlungene Muster bilden.

Perfekt gepflegte Laub- und Obstbäume säumen den Weg. Ein Jammer, dass die Zeit der Kirschblüten schon vorbei ist. Sicher sähe es hier dann einfach atemberaubend aus. Doch sie sind nicht zum Vergnügen hier, ruft Kagome sich zur Ordnung. Heute haben sie keine Zeit für besinnliche Schönheit, doch sie spielt kurz mit dem Gedanken, Inu Yasha zu bitten, im nächsten Frühjahr einmal mit ihr hierherzukommen. Falls der Palast dann noch steht, fügt sie im Stillen hinzu.

Nun haben sie das Haupthaus erreicht. Es ist wesentlich größer als alle anderen und auch weitläufiger. Es ist nicht schwer zu erraten, dass hier wohl die Fürstenfamilie untergebracht ist. Gemeinsam mit Sesshomaru betreten sie einen geräumigen Vorraum. Zur rechten und zur linken Seite, führen zwei Gänge ab, die in die weiteren Räume des Palastes führen. Die Tür vor ihnen führt auf einen weitläufigen, gepflegten Platz hinaus. Von der Tür aus bis hinüber zur anderen Seite des Platzes führt ein Weg der ebenfalls aus rötlichen Pfählen geschlagen wurde und so auf ein anderes, großes Haus weist, das noch weitaus imposanter wirkt, als alles was Kagome bisher vom Palast zu sehen bekommen hat.

Alle Fenster und Türen des Vorraumes sind mit Papier verkleidet und für den Frühsommer weht ein angenehm laues Lüftchen in diesen Gebäuden. Kagome ist erleichtert. Sie erinnert sich noch an die drückende Aura im Ostpalast, bei der man manchmal dachte, keine Luft mehr zu bekommen. Doch hier ist das anders. Alles hier wirkt offen und luftig und dennoch edel und teilweise sehr künstlerisch und filigran gestaltet. Sie muss gestehen, dass ihr der Palast wirklich gut gefällt.

Plötzlich bleibt Sesshomaru stehen und wendet sich zu den beiden um. „Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier“, bestimmt er.

„Warum in einer Stunde?“, fragt Inu Yasha, „Ich dachte, wir hätten es eilig.“

„Es gibt zuvor noch Verschiedenes zu erledigen.“

„Und was wäre das?“

„Damit brauchst du dich nicht befassen.“

„Ich würde es aber gerne wissen.“

„Kann ich mir denken.“

„Musst du immer ein Geheimnis aus allem machen?“, missmutig verschränkt Inu Yasha die Arme, „Es ist mal wieder das Gleiche wie damals. Wir sollen dir helfen, aber du lässt uns absichtlich im Unklaren.“

„Inu Yasha!“, müde atmet der Daiyoukai durch, „Ich würde ganz gerne eine Weile allein sein.“

Ein wenig überrascht blickt Inu Yasha seinen Bruder an. Dann verzieht er das Gesicht. „Meine Güte! Sag das doch einfach gleich! “

„Ich dachte, das hätte ich.“

„Wie du ja siehst, hast du das nicht. Immer musst du alles verkomplizieren. Ist ja nicht so, als ob wir dafür kein Verständnis hätten.“

„Ich brauche dich nicht um Erlaubnis fragen.“

„Das sagt ja auch keiner!“, wird Inu Yasha laut. Dann verschränkt er eingeschnappt die Arme. „Hach! Ich kann mit dem Kerl einfach nicht reden!“

Wie aus dem Nichts sind urplötzlich zwei Youkaifrauen in dem Raum aufgetaucht und warten mit respektvoll gesenktem Blick neben der Tür. Sesshomaru hebt den Blick.

„Willkommen, Sesshomaru-sama!“, sagen sie folgsam und verneigen sich.

Nun wendet sich Sesshomaru wieder an seinen Bruder. „Geht mit ihnen mit, sie werden euch eure Quartiere zeigen.“

Gerade will Inu Yasha wieder Einspruch erheben, doch Kagome packt ihn an seinem Gewand und schiebt ihn dann in Richtung Tür. „Vielen Dank!“, sagt Kagome höflich und zu Inu Yasha gewandt, „Wir kommen schon zurecht. In einer Stunde sind wir wieder hier, nicht wahr?“, fügt sie mit einem eindeutigen Blick in seine Richtung hinzu.

Der Hanyou brummelt irgendwas, doch seine Freundin ist unerbittlich. Die beiden Youkaifrauen verneigen sich kurz züchtig vor den beiden, und dann zeigen sie ihnen den Weg zu ihren Unterkünften.

Schweigend blickt Sesshomaru den beiden hinterher. Dann wendet er sich ab und schlägt den Weg über den weiten Hof ein. Nie wieder! Mit Sicherheit wird er die jungen Frau niemals wieder auf diese Weise transportieren!

Seine Gedanken schweifen kurz zu ihrer jüngsten Reise zurück. Es war eine Tortur, anders kann man es kaum beschreiben. Nie zuvor musste er so viel Energie aufbringen, um einen Körper aufzulösen. Vermutlich liegt es daran, dass Menschen nicht, wie Youkai, im Grunde Energiegeschöpfe sind. Ihre Materie ist wesentlich stabiler. Wenigstens ließ sie sich einigermaßen lenken, wenn er auch deutlich ihre Unsicherheit spüren konnte.

Nicht so Inu Yasha. Die Energien des Hanyou waren wesentlich schwerer zu kontrollieren. Das liegt wahrscheinlich an seiner ganzen Art und an seinem absolut lästigen Charakterzug, ständig auf Konfrontation zu gehen. Vielleicht aber auch daran, dass die Energie eines Hanyou ungewöhnlich chaotisch ist. Wäre er ein Philosoph würde er behaupten, es sei ein Wunder, dass es solche Wesen wie Hanyou überhaupt gibt, da sich die menschliche und die dämonische Energie praktisch überhaupt nicht in Einklang bringen lassen.

Was ihm aber am meisten zu schaffen gemacht hat, waren die unzähligen fremden Bilder in seinem Kopf. Die Umwandlung in Energie hat ihn viel zu viel Kraft gekostet. Mehrmals drohte ihm die Lebenskraft des Mädchens zu entgleiten, doch ihm war nur allzu klar, dass sein Bruder mit dieser Tatsache niemals hätte leben können. Also verstärkte er seine Bemühungen und schließlich war die Transformation vollzogen.

Doch dieser Kraftakt hatte seine Spuren hinterlassen. Die Trennung der Seelen war unvollständig und auf einmal prasselten von beiden Seiten ein wildes Feuerwerk an Gedanken und Gefühlen auf ihn ein. Fast war es ihm nicht mehr möglich, sich ausreichend zu konzentrieren. Krampfhaft bemühte er sich, die Kontrolle zurückzugewinnen, doch es gelang ihm nicht. Und dann geschah es.

Niemals wieder eine Miko!, schwört Sesshomaru sich eisern. Sie hat es vermutlich nicht einmal beabsichtigt, doch ihre Seele kam für einen kurzen Moment in Kontakt mit seiner. Und im selben Moment sprudelten einige seiner Gedanken und Gefühle zu ihr hinüber und sie... verstand. Dieses warme, gleißende Licht des Mitleids, zuckte wie ein glühender Dolch durch die Essenz seiner Seele und ihm wurde klar, dass er in dieser Form extrem angreifbar war. Beinah hätte er die Kontrolle verloren. Er wusste, wenn er weiterhin der reinen Energie ihres Mitgefühls ausgesetzt wäre, dann würde sie ihn auf der Stelle läutern.

Zum Glück übernahm an dieser Stelle sein Selbsterhaltungstrieb die Kontrolle und augenblicklich wurden die Lücken in der Seelentrennung behoben. Nun erst war es ihm möglich die Richtung einzuschlagen und seine beiden Begleiter behutsam mit sich zu ziehen. Zwar bebte seine Seele noch während des ganzen Fluges nach, doch zu guter Letzt hatten sie doch das Ziel erreicht.

Kaum hatten sie ihre Körper zurückerlangt, bekam er dann die ganze Wucht der Anstrengung zu spüren, die er in seiner Energieform nicht wahrnimmt. Er hatte ja keine Ahnung, wie sehr ihn diese Aktion ausgelaugt hatte!

Alles was er jetzt nur noch will, ist etwas Ruhe, um sich ein wenig zu erholen, bis der Rat tagt. Und vielleicht etwas zu essen. Seine letzte Mahlzeit ist einige Tage her und er hat einiges an Energie aufgebraucht in letzter Zeit. Es wird langsam Zeit, dass er sie wieder ersetzt.

Bedächtig schreitet er die Treppen zu dem gewaltigem Gebäude vor ihm hinauf. Er betritt einen Vorraum, der an den Wänden mit zahlreichen, kunstfertigen Malereien geschmückt ist. An seinem Ende befindet sich eine prachtvolle, hohe Tür. Sie führt auf einen breiten Korridor. Seine Wände sind mit Papier bespannt und grenzen so die Räume ab, die dahinter liegen. Zu beiden Seiten führen von ihm in einigen Abständen je drei Schiebetüren ab. Es herrscht eine völlige Stille in diesen Räumlichkeiten. Kein Laut von draußen dringt hinein. Auch Personal scheint nicht anwesend zu sein.

Am Ende des Korridors befindet sich eine weitere, mächtige Tür. Sie ist höher als die anderen und aus massivem Holz. Ihre Pfosten sind mit meisterlichen Schnitzereien und Malereien verziert und auf den beiden Flügeln der Tür stehen die beiden Zeichen für Taishou.

Gemächlich geht Sesshomaru auf die Tür zu. Schließlich hat er sie erreicht und öffnet sie. Dahinter liegt eine gewaltige Halle. Sie misst gut und gerne hundert Schritt und ist mehr als vierzig Schritt hoch. Da die Statik diese beträchtlichen Maße nicht ausreichend tragen kann, ist die Halle zur Hälfte in den Boden eingelassen und eine bequeme Treppe führt hinab auf den Grund. Der Raum ist vollkommen leer. Doch der Boden ist vollständig mit Holz verkleidet und so glatt poliert, dass man meinte, man ginge auf Seide.

Langsam geht Sesshomaru hinab zum Grund des Saals. Erschöpft schließt er die Augen. Dann beginnt plötzlich seine Aura aufzuleuchten und seine Gestalt verändert sich und nimmt immer mehr an Masse zu. Nur wenige Augenblicke später steht ein riesiger, weißer Hund an seiner Stelle da. Ja, so ist es gleich viel angenehmer. Dann lässt sich der Daiyoukai auf dem weichen Boden nieder und rollt sich bequem zusammen. Er schläft sehr ungern hier. Selbst er kommt sich in diesen gewaltigen Dimensionen irgendwie verloren vor. Obwohl er weiß dass dieser Raum ursprünglich für seinen Vater konzipiert worden ist, so gibt es ihm doch jedes Mal einen Stich wenn ihm vor Augen geführt wird, wie gewaltig noch immer der Unterschied zwischen seinem Vater und ihm ist. Auch in seiner wahren Gestalt füllt er kaum den vorderen Bereich aus. Doch dies ist der einzige Raum im Palast, der seine, trotz allem, beachtlichen Maße fassen kann. Also muss es wohl sein. Es ist auch der einzige Raum, den niemand anderes ohne seine Aufforderung betreten wird. Dieser Saal dient ausschließlich der Erholung und er hat Schlaf bitter nötig.

Mit halbgeschlossenen Lidern bettet er seinen Kopf auf die Pfote. Eine Stunde, das muss genügen. Danach wird es viel zu tun geben. Hoffentlich erinnert sich Inu Yasha daran, wie man sich als Prinz des Westclans verhält. Der Daiyoukai weiß aus Erfahrung, dass er dazu durchaus in der Lage ist. Bitte, mach mir keine Schande, sturer, kleiner Bruder!, denkt er noch und dann trägt ihn der Schlaf davon.
 

„Hatschi!“ Inu Yasha niest laut.

„Na, da denkt wohl grade jemand an dich!“, meint Kagome neckisch.

„Blödsinn, mich kribbelt es nur von diesen ganzen Bäumen hier in der Nase“, brummt der Hanyou zurück.

Die beiden schlendern gerade gemütlich durch den Gartenbereich zwischen den Häusern entlang. Gerade zuvor haben sie ihre Quartiere besichtigt und Kagome ist ganz froh, ihren Rucksack erst mal los zu sein. Entgegen ihrer Erwartungen, liegen ihre Zimmer nicht weit auseinander. Tatsächlich befinden sie sich auf ihrem Flur direkt gegenüber.

Sie sind geschmackvoll eingerichtet. Kagome fühlt sich dabei an einige Fernsehberichte über traditionelle Ryokans erinnert. Der ganze Raum ist mit Tatami-Matten ausgelegt und in der Mitte steht ein kleiner, flacher Tisch. Seine Tischplatte ist mit Jadeschnitzereien eingefasst und daneben befinden sich vier edle Sitzkissen aus Seide. Im hinteren Bereich befindet sich der schlichte, in die Wand eingelassene Schrank in dem die Schlaffutons verstaut sind und in einem seitlichen Erker befindet sich der Tokonoma-Bereich mit mehreren ausgezeichneten Sumi-e-Tuschebildern und einem meisterlichen Ikebana-Arrangement.

Kagome war aus dem Staunen kaum herausgekommen. Wenn das schon die Gästezimmer sind, dann möchte sie zu gern wissen, wie die Fürsten wohnen. Doch Inu Yasha hat natürlich gleich zu Bedenken gegeben, dass ihn interessieren würde, wie ihre Unterkünfte beschaffen wären, wenn sein Bruder nicht noch extra angemerkt hätte, dass sie seine Gäste sind. Der Miesmacher! Kann immer nur das Schlechteste annehmen.

Doch der kurze Groll ist gleich wieder verflogen, als sie beide sich eingerichtet haben und nun ein wenig im letzten Licht des Tages das Palastgelände erkunden. Kagome hatte zwar Bedenken gehabt, doch Inu Yasha war der festen Überzeugung gewesen, dass es ihnen niemand ausdrücklich verboten hatte. Außerdem sei er ebenfalls ein Fürstensohn und damit ginge das schon in Ordnung.

Er scheint recht zu behalten. Zwar begegnen sie hin und wieder einigen Bediensteten, doch niemand scheint sich sonderlich daran zu stören, dass sie hier sind. Im Gegenteil. Mehrere Youkai-Dienerinnen, die Inu Yasha begegnen, senken respektvoll den Blick, verneigen sich und begrüßen ihn mit: „Willkommen, Ouji-sama!“ Die Kunde, dass der Bruder des Fürsten im Schloss ist, hat sich offenbar schon verbreitet.

Gerade erst haben ihn erneut zwei Frauen auf diese Weise angesprochen und nun eilen sie rasch weiter, um ihrer Tätigkeit nachzugehen. Inu Yasha verzieht ein wenig das Gesicht. Ihm war diese Unterwürfigkeit schon immer ein Dorn im Auge. Er kann sich nicht helfen, doch er fühlt sich einfach unbehaglich dabei. Ganz im Gegensatz zu Miroku, kommt es ihm in den Sinn. Der Mönch hätte mit Sicherheit kein Problem damit, dass ihn irgendwelche, attraktiven, goldäugigen Frauen schüchtern anlächeln und ihn freundlich begrüßen. Im Gegenteil! Wahrscheinlich würde er stattdessen sogar versuchen, bei ihnen zu landen, selbst wenn es Youkai wären.

Inu Yashas Blick geht wieder zu Kagome hinüber. Gemütlich schlendern sie über die Wege zurück Richtung Haupthaus. Alle paar Schritte erleuchten filigrane Laternen den Weg, sodass man kaum bemerkt, wie tief die Sonne bereits steht. Ob schon eine Stunde herum ist? Der Hanyou ist nicht sicher. Mit Kagome zusammen, geht die Zeit immer viel schneller herum. Irgendwie ist sie immer zu kurz. Aus den Augenwinkeln beobachtet er wie die junge Frau sich mit neugierigen Augen umschaut und die vielen, kunstvollen Akzente bewundert, die die Verantwortlichen der Gartenanlage in die Landschaft gesetzt haben.

Er liebt ihr Lächeln. Wenn sie lacht hat sie ganz kleine Grübchen und in ihren Augen liegt eine Wärme die ihm immer wieder einen Schauer über den Rücken jagt, besonders unter dem Licht der Laternen. Vielleicht ist sie nicht so überirdisch schön wie diese Dienerinnen hier, trotzdem könnte keine von ihnen ihr jemals das Wasser reichen.

Inu Yasha seufzt innerlich. Warum bloß fällt es Miroku um so vieles leichter, das auszusprechen, was ihm schon seit einigen Wochen im Kopf herumgeht? Irgendwie bringt er es einfach nicht über die Lippen. Nie bietet sich ein passender Moment. Jedes Mal wenn er mit dem Gedanken spielt, es einfach zu versuchen, klopft ihm das Herz bis zum Hals und er bringt keinen Ton mehr raus. Er beneidet den Mönch. Miroku hat es bereits unzählige Male gesagt, und er schafft es nicht ein einziges Mal. Das gibt es doch gar nicht!

„Nicht wahr?“, reißt ihn Kagomes Stimme aus den Gedanken.

Inu Yasha blickt irritiert auf. „Was?“

Kagome setzt ein schiefes Lächeln auf. „Der Palast ist hübsch, hab ich gesagt. Hörst du mir überhaupt zu?“

„Nicht wirklich“, die Antwort kam schneller heraus als beabsichtigt, doch obwohl sie durchaus der Wahrheit entspricht, erweist sie sich gerade als ein wenig unangebracht.

„Na toll!“, meint Kagome schnippisch, „Wenn dich meine Gesellschaft langweilt, dann sag es nur.“

Da ist er wieder, einer von diesen Momenten wo Inu Yasha am liebsten aus Frust laut aufschreien möchte. Ein unbedachtes Wort gibt das nächste und schon sind sie wieder mitten im schönsten Streit, der häufig mit einem energischen 'Sitz!' endet. Warum muss das immer wieder passieren, wenn er glaubt, ihr näherzukommen? Geht es denn wirklich nicht ohne? Manchmal ist das wirklich sehr ermüdend.

„Das habe ich doch gar nicht behauptet“, gibt er brummig zurück, „Ich war nur ein wenig in Gedanken.“

„So, und woran hast du gedacht?“

Genau, das ist die zweite Situation, die er am liebsten vermeiden würde, nämlich, dass sie ihn auf seine Gefühle anspricht. Dabei möchte er es ja gerne sagen, doch ihm fehlen einfach die Worte dafür. Und er geniert sich. Was ist, wenn sie sich dann wieder verletzt fühlt? Das möchte er auch nicht. Aber vielleicht bietet sich ja jetzt einmal die Gelegenheit, reinen Tisch zu machen.

„Ich habe nur gedacht...“, beginnt er zögernd. Mit aufrichtigem Interesse blickt Kagome ihn an.

„Na ja, ich hab halt gedacht...“, setzt Inu Yasha erneut an. Verflixt, so schwer kann das doch nicht sein! Irgendetwas schnürt ihm die Luft ab. „Dass diese Dienerinnen ziemlich hübsch sind.“ Großer Gott, was redet er da? Augenblicklich gefriert Kagomes Lächeln. Verdammt, das kam jetzt gerade so was von falsch rüber!

Rasch bemüht sich der Hanyou, zu retten was zu retten ist: „Nein, nein, ich meine das würde Miroku finden!“ Doch das Mädchen ist nicht so rasch wieder zu versöhnen.

„Und über so was denkst du nach?“, kommt es frostig.

Keine ist so hübsch wie du! Sag es!, befiehlt Inu Yasha sich, doch es will einfach nicht heraus. Stattdessen stößt er hervor: „Sie sind eigentlich gar nicht so hübsch.“

„Ach“, meint Kagome verstimmt, „Da hast du wohl genau hingesehen, was?“

„Nein, hab ich nicht“, braust der Hanyou nun auf, „Ich schau nämlich viel lieber dich an, kapiert?“ Warum fällt ihm die Wahrheit gerade dann immer leichter, wenn er in Rage ist?

Zumindest haben diese Worte eine erstaunliche Wirkung. Der Ärger ist schlagartig aus Kagomes Gesicht verschwunden und sie ist urplötzlich knallrot geworden.

„Stimmt das wirklich?“, fragt sie jetzt behutsam. Sie sieht gerade ziemlich verlegen aus.

Inu Yasha verschränkt schmollend die Arme. „Sonst würde ich es doch nicht sagen“, nuschelt er.

Sie zupft ihn am Ärmel. Noch immer etwas beleidigt dreht er sich zu seiner Freundin um.

„Es tut mir leid, Inu Yasha!“, meint Kagome nun versöhnlich, „Ich habe überreagiert.

Zögernd greift Inu Yasha nun ihre Handgelenke und zieht sie zu sich heran. Verwundert hebt sie die Brauen. In seiner Miene liegt Traurigkeit. Unwillkürlich spürt sie wie ihr Puls sich verräterisch beschleunigt.

„Kagome“, sagt Inu Yasha nun leise, „Ich habe keine Lust mehr, mich andauernd zu streiten. Das... tut mir weh.“ Kagomes Augen weiten sich, doch der Hanyou fährt bereits fort. „Du weißt, dass du mir viel bedeutest. Ich möchte dich auf keinen Fall verlieren.“

Ganz leicht spürt sie ein Zittern in seinen Händen. Sie muss einmal unwillkürlich schlucken. „Inu Yasha...“, bringt sie schüchtern hervor.

Der Hanyou atmet einmal tief durch und scheint sich zu sammeln, doch dann blickt er sie direkt an und sagt: „Könntest du dir vielleicht vorstellen...“

„Ah, hier seid Ihr, Inu Yasha-Ouji!“

Der Hanyou erstarrt augenblicklich zur Salzsäule und tritt rasch einen Schritt von seiner Freundin weg, nur um sich dann augenblicklich mit einem wütenden Gesichtsausdruck zu dem Störenfried umzudrehen. „Was ist?“, zischt er giftig.

Ein paar Schritte entfernt im Licht der nächsten Laterne erkennt er ein bekanntes Gesicht. Der hochgewachsene, würdevolle Youkai in der eleganten Rüstung und den langen, silbergrauen Haaren stutzt nun etwas nervös und bleibt stehen. Offenbar ist ihm gerade klar geworden, dass sein Auftauchen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt geschieht. Rasch lässt er sich auf ein Knie hinab und senkt ergeben den Blick.

„Ich bitte untertänigst um Vergebung für die Störung, Inu Yasha-ouji!“, sagt er respektvoll, „Doch ich wurde beauftragt, Euch und Eure Begleiterin zum Konferenzsaal zu geleiten. Der Rat soll in Kürze beginnen.“

Noch einmal atmet Inu Yasha tief durch, um seine Fassung zurückzugewinnen. Er hatte es fast geschafft. Diesmal hatte wirklich nicht mehr viel gefehlt, doch wieder ist nichts daraus geworden. Zum Glück ahnt seine Freundin nicht, wie kurz davor er gestanden hat, denn sie nimmt die Unterbrechung offenbar deutlich besser auf, als er.

„Dokutoge!“, sagt sie überrascht, „Es ist schon eine ganze Weile her, nicht wahr?“

Der Youkai blickt ein wenig unsicher zu ihr auf. Auch wenn er die Frau bereits kennengelernt hat, er ist sich nicht ganz sicher, wie er auf die zutrauliche Anrede reagieren soll, oder welche Reaktion vor dem Bruder seines Herrn angemessen wäre.

„Komm wieder hoch!“, brummt Inu Yasha noch immer etwas verstimmt, „Du weißt, ich kann das nicht leiden.“

Rasch erhebt Dokutoge sich wieder. „Habt Dank für Eure Nachsicht, Inu Yasha-ouji“, meint er höflich, „Wenn Ihr mir folgen mögt.“ Mit diesen Worten wendet er sich zum Gehen. Ohne weiteren Protest beschließen die beiden dem Youkai zu folgen.

Inu Yasha geht neben ihm. „Ich hoffe, Sesshomaru war damals nicht zu streng mit dir“, kann sich Inu Yasha den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.

„Euer Bruder war überaus nachsichtig unter diesen Umständen“, antwortet der Youkai nach einem kurzen Zögern.

„Hat er dich wirklich bestraft?“, kommt nun die interessierte Frage von Kagome, „Dabei war es doch allein dein Verdienst, dass Yarinuyuki von Arashitsumes Verrat erfahren hat. Und du hast sie auch davon abgehalten, einen Krieg vom Zaun zu brechen. Er verdankt dir doch viel.“

Dokutoge presst kurz die Lippen aufeinander. „Ich habe lediglich meine Pflicht getan“, sagt er ausdruckslos, „Für meine anschließende Befehlsverweigerung, gab es keine Entschuldigung!“

„Es ging um deinen Sohn“, wendet Kagome ein, „Also wenn das keine Entschuldigung ist.“

Dokutoge bleibt stehen. Er blickt von Kagome zu Inu Yasha, doch der Hanyou macht keine Anstalten, den Redefluss seiner Begleiterin zu unterbrechen. Schweren Herzens wendet er sich wieder Kagome zu.

„Ich wurde von meinem Posten als oberster Heerführer enthoben und erhielt die Stelle als dessen Stellvertreter. Chitsurao ist nun der Hauptmann. Gemessen an den Umständen, war das äußerst großzügig. Was Kossoridoku angeht...“, er hält einen Moment inne, „Er war ein Verräter und was ihm geschah, war angemessen. Ich hatte kein Recht, mich einzumischen.“

„Aber letztendlich hat er es sich ja doch noch anders überlegt“, gibt Kagome zu bedenken, „Er hat sich selbst geopfert um Sesshomaru beizustehen.“

Der Youkai atmet nun einmal tief durch. Das ist das Einzige, was mich nachts schlafen lässt. Doch er spricht es nicht laut aus. Stattdessen sagt er: „Die Pflicht eines treuen Kriegers. Es wiegt seine Schande ein wenig auf, dass er zur Vernunft gekommen ist. Doch wir werden bereits erwartet. Mögt ihr mir folgen?“ Mit diesen Worten sieht er die Unterhaltung offenbar als beendet an, und wendet sich wieder zum Gehen. Folgsam laufen die zwei ihm hinterher, direkt auf das große Hauptgebäude zu.
 

So schnell wie es die angeschlagene Dämonenkatze vermag, fliegt sie über den dunkler werdenden Himmel, ihrem Ziel entgegen. Auf ihrem Rücken sitzt zusammengesunken ihr Reiter und hält sich die schmerzende Brust. Kohaku fällt es schwer Luft zu holen. Jeder Atemzug schmerzt. Die gebrochenen Rippen sind bei jeder größeren Bewegung Kiraras zu spüren, deshalb bemüht die Katze sich auch, möglichst gleichmäßig zu fliegen.

Langsam erkennt er die Umgebung, es ist also nicht mehr all zu weit. Schon kann er unter sich in der Abenddämmerung den Wald erkennen, in dem Inu Yasha viele Jahre lang an einen Baum gebannt war. Dann muss auch gleich das Dorf auftauchen in dem der Hanyou und die anderen wohnen. Das ist gut, denn er hat es eilig. Er muss seine Freunde so schnell wie möglich über die unangenehme Sachlage informieren. Und vielleicht haben sie ja auch eine Ahnung wo sich Sesshomaru derzeit aufhält.

Unter sich sieht er nun die ersten Hütten. Die Laternen sind bereits angezündet. Er erkennt einige Leute die auch zu dieser vorgerückten Stunde noch unterwegs sind. Für einen kurzen Moment wünschte er, auch er könnte diesen lauen Sommerabend einfach nur zu genießen, doch diesen Luxus kann er sich nicht leisten. Er hat eine Pflicht zu erfüllen.

Dort ist es, das Haus seiner Schwester und Kirara sinkt hinab. Sango und Miroku sitzen gemeinsam unter einer Laterne vor dem Haus und blicken überrascht auf als der junge Dämonenjäger vor ihnen landet.

„Kohaku!“, ruft Sango erstaunt und erhebt sich.

So behutsam wie möglich lässt sich der junge Mann vom Rücken seiner Kameradin rutschen, doch kaum hat er festen Boden unter den Füßen, machen sich seine Verletzungen erneut bemerkbar und er zieht hörbar die Luft ein. Rasch läuft Sango zu ihrem Bruder und stützt ihn. „Bist du verletzt?“, fragt sie besorgt?

„Nur ein paar gebrochene Rippen“, meint Kohaku tapfer, „Es geht schon!“

„Was ist passiert?“, will die Dämonenjägerin wissen.

Nun ist auch Miroku an ihn herangetreten. „Wir sollten ihn erst mal zu Kaede-sama bringen.“

Kohaku schüttelt abwehrend den Kopf. „Dafür ist keine Zeit. Wo ist Inu Yasha?“

„Er ist mit Kagome und Sesshomaru unterwegs zum Palast von Sesshomarus Familie“, erklärt Sango.

Kohakus hebt die Brauen. „Sesshomaru war hier?“, fragt er alarmiert.

Miroku nickt. „Sie sind gerade erst vor einer Weile abgereist.“

„Vielleicht hole ich sie noch ein.“ Schon will Kohaku sich wieder auf Kiraras Rücken ziehen, doch seine Schwester hält ihn resolut davon ab.

„Du gehst erst mal nirgendwohin, bevor Kaede-sama sich nicht deine Verletzungen angesehen. Miroku, würdest du ihn hinbringen?“ Der Mönch nickt.

„Es ist wichtig!“, erwidert Kohaku drängend.

Doch seine Schwester gibt sich unerbittlich. „So viel Zeit muss sein.“

„Bis dahin kannst du uns erst mal erzählen was los ist“, fügt Miroku hinzu. Dann macht er eine einladende Geste um Kohaku den Weg Richtung Dorfmitte zu weisen.

Der junge Mann seufzt einmal leicht, doch dann fügt er sich widerwillig. Gemeinsam mit Miroku und Kirara trottet er nun hinunter zu den Häusern. Besorgt blickt Sango ihm hinterher und für einen Moment wünscht sie, nicht auf ihre schlafenden Kinder achten zu müssen und ihm folgen zu können.

Kurz darauf haben der Mönch und der Dämonenjäger Kaedes Hütte erreicht. „Kaede-sama?“, ruft Miroku die alte Miko, „Seid Ihr noch wach?“

Kurz darauf erscheint die alte Frau im Eingang. Überrascht hebt sie die Brauen. „Kohaku!“, meint sie verwundert, „Du bist auch mal wieder zu Besuch?“

Mit schmerzverzogenem Gesicht blickt der junge Mann ihr entgegen. „Ich bleibe nicht lange“, sagt er, „Ich könnte nur ein Mittel gegen die Schmerzen gebrauchen.“

„Lieber Himmel, komm rein!“, meint die alte Frau kopfschüttelnd. Sogleich folgen ihr die beiden Männer in die Hütte. Dort drinnen am Herdfeuer sitzt Rin und blickt den beiden entgegen. Als sie den jungen Dämonenjäger erblickt, hellt sich ihre Miene auf.

„Kohaku-kun!“, ruft sie freudig, „Du bist wieder da.“

Steif lässt sich der junge Mann am Feuer nieder, während die Miko mit einer Untersuchung seiner Verletzungen beginnt. Auch Miroku nimmt neben ihm Platz und nach einer kurzen Aufforderung seinerseits beginnt Kohaku von seiner Begegnung mit dem fremden Youkai zu berichten.

Als er beendet hat, blickt Miroku ziemlich nachdenklich drein. „Das ist sind wirklich beunruhigende Neuigkeiten“, meint er, „Und du behauptest, er beansprucht Sesshomarus Namen für sich?“

Kohaku nickt. „Ja, und er hat mir aufgetragen ihm auszurichten, dass er kommen wird und sich holen wird was ihm zusteht. Nur deshalb hat er mich am Leben gelassen.“

„Was könnte er damit meinen?“, überlegt Miroku laut.

„Ich bin nicht sicher“, gibt Kohaku zu, „Aber er scheint sich sicher zu sein, dass er es bekommen wird. Er war sehr überrascht, als ich meinte, er würde Sesshomaru nie besiegen können. Er war überzeugt davon, dass Sesshomaru ihr Zusammentreffen nicht überlebt hätte. Wenn ich jetzt aber höre, dass Sesshomaru hier war, dann bin ich erleichtert, dass er Unrecht hatte.“

„Nun ja, so ganz unrecht hatte er vielleicht nicht“, meint Kaede nun, „Sesshomaru hatte wahrlich Glück, dass sein Überlebensinstinkt ihn gerade hierher geführt hat. Nur ein wenig länger und ihm wäre vermutlich nicht mehr zu helfen gewesen.“

Unruhig hebt Kohaku den Blick. „Ist er schwer verletzt?“

Kaede winkt ab. „Er wird sich vermutlich schon fast wieder völlig erholt haben, schätze ich. Daiyoukai sind wirklich erstaunlich zäh.“

„Ich muss ihn finden und ihm davon erzählen“, stellt Kohaku klar, „Ihr sagt, er ist unterwegs zum Palast seiner Familie. Vielleicht erwische ich ihn noch. In welche Richtung sind sie gegangen?“

„Oh, gegangen ist er gar nicht“, meint Kaede nun ein wenig zynisch, „Er ist mit Inu Yasha und Kagome in Energieform aufgebrochen. Ich hätte ihm vermutlich davon abgeraten eine Miko auf diese Reise mitzunehmen, aber es ist ja nicht so, dass er auf eine alte Frau hören würde. Vermutlich wird er es selbst merken.“

Ein wenig enttäuscht lässt Kohaku den Kopf hängen. „Dann hole ich ihn nicht mehr ein. Wisst ihr denn vielleicht wo dieser Palast liegt?“

„Er liegt ziemlich weit im Westen, ein Stück südlich von Kanazawa“, überrascht gehen sämtliche Köpfe nun zu Rin hinüber. Das Mädchen hat bisher schweigend der Unterhaltung gelauscht, doch nun blickt sie auf. „Sesshomaru-sama hat mich vor zwei Jahren einmal mit dorthin genommen. Er meinte, dass es Zeit wird, dass mich die führenden Leute seines Volkes kennenlernen. Ich glaube einige haben ein Problem damit, dass er mich damals adoptiert hat, aber es war gar nicht so schlimm. Er hat ihnen ziemlich deutlich die Meinung gesagt und dann hat sich niemand mehr getraut zu widersprechen. Dann hat er mir noch ein bisschen die Gegend gezeigt und gemeint, ich hätte jetzt einen Anspruch darauf, was auch immer das heißt. Und er meinte, ich könnte von nun an jederzeit vorbeikommen, wenn ich Lust dazu habe.“

Mit großen Augen blickt Kohaku sie an. „Das heißt, du weißt wo der Palast liegt.“

„Sesshomaru-sama hat mir den Weg genau beschrieben“, bestätigt das Mädchen, „Ich könnte ihn dir zeigen.“

„Kommt nicht in Frage!“, schüttelt Kohaku den Kopf, „Ich werde dich bestimmt nicht mitnehmen. Das ist viel zu gefährlich! Es wird reichen müssen, wenn du mir den Weg beschreibst.“

„Sesshomaru-sama meinte, ich darf jeder Zeit vorbeikommen“, verschränkt Rin trotzig die Arme.

„Das ist doch kein Freundschaftsbesuch“, empört sich Kohaku, „Hier geht es um eine sehr ernste Angelegenheit.“

„Das weiß ich auch“, behauptet Rin unnachgiebig, „Deswegen will ich Sesshomaru-sama ja auch helfen.“

„Du hilfst ihm am meisten, wenn du dich aus der Gefahrenzone heraushältst“, schreitet nun Kaede ernst ein, „Ich denke nicht, dass es Sesshomaru gefallen würde, wenn du dich wissentlich in Gefahr begibst.“ Schmollend blickt das Mädchen zu Boden.

„Bitte, Rin“, ein wenig nachsichtiger versucht Kohaku das Mädchen wieder zu versöhnen, „Kaede-sama hat recht. Es würde Sesshomaru gar nicht gefallen, wenn dir was passiert. Beschreib mir einfach den Weg. Ich möchte nicht noch mehr Zeit verlieren, um ihn zu warnen.“

Mit einem leicht pikierten Blick schaut das Mädchen auf. „Ich kann dir den Weg beschreiben, aber das wird dir gar nichts nützen“, meint sie gespielt desinteressiert.

„Weshalb nicht?“, fragt Kohaku zurück.

„Weil du gar nicht in das Schloss reinkommst, oder überhaupt nur in seine Nähe“, mault sie schnippisch.

„Was meinst du damit?“, meint der junge Mann ungeduldig.

„Na ja“, flötet Rin ungeniert, „Damit die Wachen dich überhaupt durchlassen, brauchst du ein paar Passworte und Sesshomaru-sama hat sie mir alle gesagt.“

Kohaku und die anderen sehen sich ein wenig unglücklich an. Hier versucht offensichtlich jemand unbedingt seinen Willen zu bekommen.

„Und wie lauten die Passwörter?“, startet Kohaku einen neuen, schwachen Versuch.

„Sesshomaru-sama hat mir gesagt, ich darf sie niemandem verraten“, meint sie mit einem unschuldigen Lächeln.

„Rin, ich bin sicher, dass Sesshomaru in diesem Fall damit einverstanden wäre“, versucht es nun Miroku mit Vernunft.

Doch das Mädchen dreht sich nur mit verschränkten Armen weg. „Wenn er sagt niemanden, meint er niemandem!“, stellt sie stur klar. Kohaku seufzt.

„Sei vernünftig, Kind!“, versucht Kaede es erneut, „Das ist keine Angelegenheit in die sich ein kleines Mädchen einmischen sollte. Hier bist du besser aufgehoben.“

„Ach ja, und warum?“, will Rin eingeschnappt wissen, „Sesshomaru hat mich hier gelassen, damit mir nichts passiert, na schön! Aber das hat er getan, weil Inu Yasha auch hier wohnt und Kagome-sama. Die beiden sind jetzt mit ihm gegangen. Sango-san kümmert sich um ihre Kinder und Miroku-san kann sie nicht alleine lassen.“

Mit einem durchdringenden Blick schaut sie jetzt Kohaku an. „Und du willst jetzt auch wegfliegen! Bald ist niemand mehr hier, der auf mich aufpassen kann, wie Sesshomaru-sama das wünscht. Da wäre es ihm bestimmt lieber, wenn ich bei ihm im Schloss bin. Einen sichereren Ort gibt es für mich gar nicht!“

Etwas betreten schauen die drei sich an. Schließlich meint Miroku. „Ich gestehe es nur ungern, aber da ist was Wahres dran.“

„Kommt nicht in Frage!“, meint Kohaku entschieden, „Sie bleibt hier!“

Nun beugt sich Rin zu ihm hinüber und blickt ihn mit großen, flehenden Augen an. „Bitte, Kohaku-kun! Nimm mich mit! Ich verspreche auch, dass ich mich von allem fernhalten werde, was nach Gefahr aussieht. Ich bin ganz brav, versprochen!“

Der junge Mann verzieht seufzend das Gesicht. Wie kann man diesen Augen bloß einen Wunsch abschlagen?

„Also na schön, von mir aus“, kapituliert er. Freudig springt Rin auf und beginnt rasch ein paar Sachen zusammen zu packen. „Aber du tust genau was ich sage, wenn ich es sage!“, fügt er noch einmal entschieden hinzu. Das Mädchen nickt eifrig.

Na, das kann ja lustig werden, denkt Kohaku zerknirscht bei sich. Sesshomaru wird mich umbringen!

Vor dem Rat

Gemeinsam mit Dokutoge haben Inu Yasha und Kagome das Südtor des Hauptgebäudes erreicht. Der stattliche Youkaikrieger führt sie durch einige weitere Gänge und steuert schließlich auf eine schlicht gehaltenen Holztür zu. Davor steht eine weitere bekannte Person. Sie trägt einen edlen Lederharnisch und an der Seite ein schmales Katana. Inu Yasha erkennt in ihm den ehemaligen Vizehauptmann des Westheers, den er bereits vorhin am Tor schon bemerkt hatte. Wie war noch sein Name? Ach ja, Chitsurao.

Dokutoge verneigt sich kurz steif vor seinem Vorgesetzten und dann vor Inu Yasha und wendet sich dann zum Gehen. Kagome blickt ihm nachdenklich hinterher als er schweigend davongeht. Es muss ein harter Schlag gewesen sein, erst seinen Sohn und dann seine Stellung verloren zu haben. Wenn er nur halb so stolz ist wie Sesshomaru, dann wüsste sie gerne, ob er das je verkraftet hat. Aber Youkai unterdrücken ihre Emotionen, erinnert sie sich, und es kommt nie etwas Gutes dabei heraus, wenn sie ihnen freien Lauf lassen. Das hat sie nur zu gut am eigenen Leib erlebt. Wieder blickt sie Dokutoge hinterher. Ein wenig bedauert sie ihn.

„Willkommen, Inu Yasha-ouji!“, begrüßt Chitsurao, den Hanyou nun förmlich, „Der Rat erwartet Eure Anwesenheit.“ Nun öffnet er die Tür hinter sich und tritt hindurch. Schon wollen die beiden ihm folgen, doch hinter der Tür dreht sich der Youkai noch einmal um und streckt Kagome entschlossen die flache Hand entgegen.

„Du nicht!“, stellt er entschieden klar.

„Hey, was soll das?“, meint Inu Yasha empört.

„Sie ist ein Mensch“, erklärt Chitsurao unnachgiebig, „Menschen sind beim Rat nicht zugelassen. Außerdem ist sie eine Frau!“, fügt er hinzu, als würde das alles erklären.

„Das ist mir egal, Kagome kommt mit!“ Entschlossen baut sich Inu Yasha vor dem Youkai auf.

„Ich bedaure, aber das ist strikt untersagt!“, entgegnet der Youkaikrieger unerbittlich.

„Lass sie durch! Das ist ein Befehl!“ Wütend funkelt der Hanyou den Krieger an. Eigentlich wollte er nicht wieder zu diesen Mitteln greifen, doch noch weniger möchte er Kagome in diesem Schloss aus den Augen lassen, zumal der Youkai vor ihm gerade erst wieder deutlich gemacht hat, was man von ihrer Anwesenheit im Schloss hält. Wenn er dafür auf seine, ihm ohnehin zustehende, Befehlsgewalt zurückgreifen muss, dann soll es ihm recht sein.

Der Befehl scheint zumindest Wirkung zu erzielen. Chitsurao zögert unsicher. Eine Weile scheint er zu überlegen, dann sagt er: „Diese Entscheidung obliegt dem Fürsten. Sie wartet hier im Vorraum, bis er kommt. Richtet Euer Anliegen an ihn, Inu Yasha-ouji.

Der Hanyou verzieht etwas das Gesicht. Na schön, sein Bruder hat hier das letzte Wort. Dann wird er eben mit ihm sprechen.

„Wir warten beide!“, stellt er klar.

„Wie ihr wünscht, Inu Yasha-ouji!“, verneigt sich der Krieger kurz höflich, dann gibt er den Weg frei. Hinter der Tür befindet sich ein kleiner Raum, an dessen Ende sich eine weitere Schiebetür befindet. Vor seinen seitlichen Wänden sind mehrere Sitzkissen zu sehen. Auf zwei von ihnen knien zwei schlicht gekleidete Männer, die ihr beim Eintreten teils überraschte, teils unbehagliche Blicke zuwerfen, doch dann wieder rasch den Kopf senken und sich Mühe geben sie nach besten Kräften zu ignorieren. Offenbar dient dieser Raum als Warteraum für Bedienstete, sollte der Rat bedarf an etwas haben.

Schweigend weist Chitsurao auf die Kissen gegenüber der beiden Diener und bedeutet Kagome darauf Platz zu nehmen, dann wendet er sich um, schiebt die hintere Tür beiseite, betritt den Raum und schließt dann wieder die Tür hinter sich.

Flüchtig konnte Kagome einen Blick ins Innere erhaschen. Offenbar befinden sich dort bereits mehrere Personen. Viel konnte sie nicht erkennen, denn der Raum ist nicht sehr stark erhellt, doch sie hat die Augen bemerkt. Mehrere Paar goldfarbene Augen, die kalt in ihre Richtung geblickt haben. Unter diesem Blick fröstelt es sie leicht und auf einmal ist sie gar nicht mehr so scharf darauf, dort mit hineinzugehen. Schon ist sie kurz davor, Inu Yasha zu bitten, sie lieber doch hier draußen zu lassen, doch die Entscheidung wird ihr abgenommen.

In diesem Moment betritt Sesshomaru den Vorraum. Kagome mustert ihn eingehend. Der Youkaifürst sieht jetzt in der Tat erholter aus als noch zuvor. Mit der gewohnten ausdruckslosen Miene mustert er die beiden.

Inu Yasha ist aufgesprungen. „Sesshomaru, Chitsurao behauptet, dass Kagome...“

„Sie bleibt hier draußen!“, unterbricht der Daiyoukai ihn kühl.

„Du weißt doch noch gar nicht, was ich sagen will“, empört sich Inu Yasha.

Doch der Daiyoukai geht gar nicht darauf ein. „Ist es dir lieber, wenn sie vor der Tür wartet?“, fragt er ungerührt.

Schon will Inu Yasha etwas energisches darauf antworten, doch dann besinnt er sich doch. „Nein, schon gut. Hier ist ok.“

„Ausgezeichnet!“, meint Sesshomaru kühl, „Dann komm jetzt!“ Ohne Kagome eines weiteren Blickes zu würdigen, öffnet er Daiyoukai die Tür und betritt den Raum. Ein wenig missmutig folgt Inu Yasha ihm.

Nun fällt sein Blick auf eine Runde von mehreren Youkai in kostbaren Gewändern oder würdevollen Rüstungen und stellt fest, dass gerade sämtliche Augen auf ihm ruhen. Ein wenig unbehaglich blickt er in die Runde und ihm wird ein wenig flau im Magen. Er hasst solche Blicke! Blicke die ihn herablassend und verächtlich mustern. Blicke die nur seinen Blutstatus sehen.

Es sind sieben Youkai. Lediglich an ihrer Kleidung kann Inu Yasha die Krieger von den anderen unterscheiden. Chitsurao gehört zweifelsfrei zu den Kriegern. Außer ihm ist nur noch ein weiterer Youkai in Rüstung erschienen, bis auf seinen Bruder natürlich. Welchen Pflichten die anderen nachgehen, kann Inu Yasha nicht erahnen. Aber er hat die Vermutung, dass der ehrwürdige, grauhaarige Youkai am Kopf der Runde, einen hohen Status unter den Anwesenden hat. Eigentlich hatte er angenommen, dass sein Bruder der Kopf des Rates wäre, doch Sesshomaru schließt nun die Tür hinter ihm und nimmt dann auf einem Sitzkissen an der linken Seite platz. Mit einem ernsten Blick bedeutet er Inu Yasha ebenfalls Platz zu nehmen. Da lediglich noch ein Kissen, neben seinem Bruder jedoch ein Stück eingerückt, übrig ist, bleibt Inu Yasha nichts weiter über als sich folgsam dort niederzulassen. Dabei vermeidet er es absichtlich, den Blicken der anderen zu begegnen.

„Willkommen, Sesshomaru-sama!“, ergreift nun der erhabene Youkai in den würdevollen Gewändern, das Wort. Seine Stimme ist tief und respekteinflößend, und nun zieht Inu Yasha die Entscheidung, diesem Youkai den Vorsitz des Rates zu überlassen, nicht länger in Zweifel.

Nun geht der einschüchternde Blick des Youkais zu Inu Yasha hinüber. „Dies ist Inu Taishous Kind, nicht wahr?“, auch wenn er Inu Yasha noch immer mustert, ist die Frage zweifelsfrei an Sesshomaru gerichtet.

„Das ist richtig!“, bestätigt der Daiyoukai nüchtern.

„Wie ist Euer Name?“, diesmal richtet sich die Frage direkt an den Hanyou.

„Mein Name ist Inu Yasha“, gibt er folgsam Auskunft.

Die Miene des Youkais bleibt unbewegt. „Ah ja“, sagt er als hätte man ihn an etwas Lästiges erinnert, „Er deutete diesen Namen bereits an.“ Offenbar bezieht der Youkai sich hier auf seinen ehemaligen Fürsten.

Nun wendet er sich wieder an Sesshomaru. „Ihr gestattet einer Menschenfrau, dem Rat beizuwohnen?“ Die Kritik in diesen Worten ist nur schwer zu überhören.

Doch Sesshomaru ignoriert das. „Sie wird draußen warten. Sie kennt ihren Platz“, stellt er klar.

„Aber was tut sie hier?“, diesmal kommt die Frage von einem der Youkai, der Sesshomaru schräg gegenüber sitzt. Er hat lange, weiße Haare und ein spitzes Gesicht. Der Kleidung nach ist er mindestens ein Edelmann.

„Sie begleitet meinen Bruder, Matsuba-sama“, informiert ihn der Daiyoukai kühl.

„Ah!“, entgegnet der Youkai mit einem verächtlichen Blick auf Inu Yasha, „Ich verstehe!“

Inu Yasha schenkt ihm einen giftigen Blick.

„Sesshomaru-sama“, ergreift nun der ehrwürdige Youkai am Kopf des Raumes wieder das Wort, „Ich gehe nicht davon aus, dass sich die Dringlichkeit, den Rat einzuberufen, mit Eurem Halbbruder befasst. Was also ist der Grund für diese außergewöhnliche Zusammenkunft?“

„Ihr habt Recht, Kagemori-sama“, bestätigt Sesshomaru respektvoll, „Der Grund meiner Anwesenheit befasst sich mit einer weitaus bedeutenderen Angelegenheit.“

Nun fängt sich Sesshomaru dafür einen ärgerlichen Blick von Inu Yasha ein, doch der Hanyou sagt nichts dazu.

Mit unbeweglicher Miene schildert der Daiyoukai sein Anliegen. „Mir begegnete gestern ein Youkai, dessen Macht bedenkliche Ausmaße besitzt. Es kam zum Kampf und ich gestehe es nur ungern ein, dass ich letztlich unterlag.“

Inu Yasha ist ungewollt beeindruckt über die ausgezeichnete Selbstbeherrschung seines Bruders. Man sieht ihm nicht einen Moment lang an, dass ihm dieser Umstand zu schaffen macht.

Unruhiges Gemurmel quittiert nun die Schilderung des Daiyoukai. Die Ratsmitglieder sehen besorgt und irritiert aus.

„Ihr habt gegen ihn verloren, sagt Ihr?“, meldet sich nun ein anderes Ratsmitglied zu Wort. Der Youkai wirkt noch relativ jung, doch seine Kleidung lässt auf eine hohe Stellung schließen.

„Das sagte ich bereits“, bestätigt Sesshomaru ungerührt, „Doch das ist nicht das eigentliche Problem.“

„Und was könnte ein größeres Problem sein, als die Tatsache, dass der Fürst unseres Clans nicht in der Lage war, sich gegen einen Gegner zu behaupten?“, ertönt nun wieder Kagemoris ernste Stimme, die diese Frage erneut wie einen Tadel klingen lässt.

Sesshomaru hebt den Kopf und blickt ihn direkt an. Nicht die kleinste Regung geht über sein Gesicht. „Dieser Youkai ist mächtig! Ungewöhnlich mächtig. Er sammelt Energie indem er eine Menschensiedlung nach der anderen überfällt und ihre Bewohner verspeist. Doch obwohl es ihm bereits gelang, mich zu besiegen, sammelt er noch weiter Energie und ich halte es für bedeutend, herauszufinden wofür.“

Wieder folgt ein leises Raunen unter den Ratsmitgliedern.

„Wenn er Euch bereits besiegt hatte“, meldet sich nun ein sehr alter Youkai mit einem skeptischen Unterton zu Wort, „Wie erklärt Ihr es Euch, dass er Euch am Leben ließ?“

Inu Yasha bemerkt, dass sich die Haltung seines Bruders deutlich versteift. Doch mit unveränderter Tonlage beantwortet der Daiyoukai die Frage. „Es gelang mir, ihn zum Rückzug zu zwingen. Zu diesem Zeitpunkt, war ich jedoch schon zu angeschlagen, um ihn verfolgen zu können. Zu zweifle jedoch nicht daran, dass es seine Absicht war, mich zu töten, hätte er die Gelegenheit dazu gehabt.“

„Natürlich war dies seine Absicht“, entgegnet der Youkai ein wenig abfällig, „Ihr seid der Fürst des Westclans. Welchen anderen Grund könnte er haben, Euch anzugreifen?“

„Ihr unterliegt einem Irrtum, Gaikotsu-sama!“, kommt es nun ein wenig schärfer von Sesshomaru, „Nicht er griff mich an, sondern ich stellte ihn zur Rede, wegen der Morde an den zahlreichen Dorfbewohnern. Im Verlauf dieses Gespräches kam es schließlich zum Kampf.“

„Mit dem Ergebnis, dass er Euch unterwarf“, kommt es kritisch von dem alten Youkai zurück, „Man sieht ja wohin das führt. Ihr hättet Ihn einfach gewähren lassen sollen. Es sind schließlich nur Menschen.“

Nach diesen Worten hängt ein beunruhigendes Schweigen im Raum. Täuscht Inu Yasha sich oder ist die Temperatur gerade um ein paar Grad gesunken. Vorsichtig blickt er zu seinem Bruder hinüber. Die Miene des Daiyoukai hat sich jetzt deutlich verfinstert. Unverwandt starrt er den alten Youkai an, der ihm direkt gegenübersitzt.

„Ich habe nicht die Absicht mich für diese Tat vor Euch zu verantworten, Gaikotsu-sama!“, stellt Sesshomaru frostig klar. „Wenn Euch meine Entscheidung nicht zusagt, steht es Euch jederzeit frei zu gehen!“

Inu Yasha bekommt so eine Ahnung, dass diese Thematik schon des öfteren zwischen den beiden Männern zur Sprache gekommen ist.

„Nein, ich denke, ich werde bleiben und mir das weiter anhören“, kommt es jetzt unverblümt von dem alten Youkai. Er macht nicht den Eindruck, als würde ihn die Stimmung des Daiyoukais irgendwie beunruhigen.

Schließlich ergreift Kagemori wieder das Wort. „Sesshomaru-sama hat richtig gehandelt. Wir können einem fremden Youkai mit ungewöhnlich großem Hunger und einer bedrohlichen Menge an Macht nicht einfach gestatten, beliebig in unserem Revier zu jagen. Wir müssen mehr über ihn in Erfahrung bringen. Was könnt Ihr uns sonst noch über diesen Youkai sagen?“, wendet er sich wieder an Sesshomaru.

„Er hat die Gestalt eines Knaben“, schildert Sesshomaru, „Er nannte sich Katsuken, deshalb folgere ich daraus, dass es sich dabei um einen Inuyoukai handelt.“

„Ein Inuyoukai?“, ruft der Youkai mit dem spitzen Gesicht überrascht, „Wie kann das sein? Keiner unserer Leute wäre in der Lage, Euch die Stirn zu bieten. Und niemand würde sich erdreisten, ungefragt solche Taten in unserem Reich zu verüben.“

„Möglicherweise war es jemand aus den anderen Clans“, mutmaßt nun der ernste Youkai in der prachtvollen Rüstung, der neben Chitsurao sitzt, „Wie sah er aus?“

„Es war niemand aus den anderen Clans, Takarakanshu-sama“, widerspricht Sesshomaru ruhig, „Er hatte schwarze Haare und rote Augen. Keiner der Clans trägt solche Merkmale.“

„Außer dem Südclan.“

Augenblicklich herrscht Stille und alle Augen gehen nun hinüber zu Inu Yasha der sich auf einmal sehr unbehaglich in seiner Haut fühlt. Warum ist ihm das gerade bloß herausgerutscht?

„Was sagst Ihr da, Inu Yasha-ouji?“, die strenge Stimme Kagemoris lässt den Hanyou sich auf einmal sehr klein und unbedeutend vorkommen. Hätte er doch bloß den Mund gehalten. Unsicher schielt er hinüber zu seinem Bruder. Er rechnet schon damit, dass dieser ihn mal wieder mit seinen Blicken durchbohrt. Doch zu seinem Erstaunen, blickt der Daiyoukai eher überrascht und sogar ein wenig interessiert an. Inu Yasha fasst das als Aufforderung auf und er bekommt wieder etwas Mut.

„Na ja...“, beginnt er zögernd zu erklären, „Yaeba... ich meine“, er konsultiert angestrengt seine Erinnerungen, „Fürst Yaomonzurushi hat mal etwas darüber erwähnt. Er erzählte eine Geschichte über einen Inuclan aus dem Süden des Landes. Dass die Inuyoukai dort wilde Bestien seien mit roten Augen und schwarzem Fell und dass noch nie jemand von dort zurückgekommen sei, weil sie jeden Inuyoukai töten, der es wagt sich dort blickenzulassen. Ich meine, das klingt doch irgendwie sehr nach dem Kerl, von dem hier die Rede ist, oder?“

„Wir kenne die Geschichte“, ergreift jetzt der Krieger mit dem Namen Takarakanshu das Wort, „Aber das ist eine höchst unwahrscheinliche Theorie.“

„Und warum?“, kann Inu Yasha nicht an sich halten.

„Dies sind nur alte Legenden“, meldet sich nun zum ersten Mal der würdevoll gekleidete Youkai zu Wort, der direkt neben Gaikotsu sitzt. Sein prunkvoller Kimono ist in einem tadellosen Zustand und mit ruhigem Gesicht blickt er zu dem Hanyou hinüber. „Um Kindern Angst einzujagen und draufgängerische junge Männer vor all zu dummen Ideen zu bewahren.“

„Aber es stimmt, dass niemals ein Spähtrupp aus dem Süden zurückgekehrt ist“, gibt nun wieder der jung wirkende Youkai zu bedenken, „Woher sollen wir wissen, dass die Legenden nicht wahr sind?“

„Albernes Geschwätz!“, behauptet Gaikotsu, „Kindermärchen. Halten wir uns lieber an die Realität.“

„Hiroshi-sama hat recht!“, ergreift nun Chitsurao besonnen das Wort, „Wir wissen nicht ob die Märchen über die Bestien aus dem Süden wahr sind, aber niemand hier würde es wagen zu behaupten, dass ein Südclan der Inuyoukai nicht existiert. In der Tat sind es überwiegend diese Geschichten, die uns all die Jahre bewogen haben, dem Reich des Südens keine Beachtung zu schenken.“

„Das ist richtig!“, bestätigt Takarakanshu neben ihm, „Unsere Krieger meiden den Süden. Niemand überquert die Grenze. Aber es gab auch niemals einen Grund dazu. Sie verlassen ihr Gebiet nicht und wir lassen sie in Ruhe.“

„Das bedeutet doch im Grunde“, bemerkt Matsuba nun, „Dass niemand wirklich weiß, wie es eigentlich tatsächlich um den Südclan bestellt ist und ob sie so sind wie behauptet wird.“

„Diese Frage ist eigentlich völlig unerheblich“, erwidert der ernste, wohlgekleidete Youkai zu seiner Linken, „Was viel wichtiger ist, ist zu wissen, ob es sich bei diesem Youkai tatsächlich um einen Inuyoukai, und sollte dies zutreffen, um einen aus dem Südclan stammenden handelt.“

„Aber wenn dem so ist“, mischt sich der junge Hiroshi erneut an, „Würde es dann nicht bedeuten, dass die Legenden wahr sind?“

„Wen scheren die Legenden“, blafft Gaikotsu missmutig, „Die Frage ist ob dieser Youkai eine Bedrohung darstellt.“

„Und wenn ja, wie man ihn aufhalten kann“, fügt Takarakanshu hinzu.

„Ich werde dir sagen, wie man ihn aufhalten kann!“, gibt Gaikotsu zynisch zurück. „Wir schicken einen ganzen Trupp Soldaten zu ihm hinüber und machen kurzen Prozess mit ihm.“

„Ihr vergesst, dass er sehr mächtig ist“, wendet Hiroshi ein, „Unsere Krieger werden sicher keinen Erfolg haben.“

„Und auf wessen Einschätzung stützt Ihr mal wieder Eure Behauptung?“, gibt Gaikotsu gehässig an den jungen Youkai zurück.

Inu Yasha bemerkt wie unwillkürlich ein Ruck durch Sesshomarus Körper geht, doch der Daiyoukai kann gerade noch an sich halten. Allerdings durchbohrt er nun den alten Youkai mit einem vernichtenden Blick. Zum Glück greift nun Kagemori ein.

„Gaikotsu-sama! Das genügt, mäßigt Eure Worte! Wenn Ihr den Fürst unseres Clans öffentlich der Feigheit bezichtigen wollt, könnte es sein, dass Ihr Eure Ansichten schon bald in einem Duell verteidigen müsst.“

Der alte Youkai scheint kurz zu überlegen, dann meint er. „Nein danke! So jung sind meine Knochen nun auch nicht mehr“, und an Sesshomaru gewandt, „Ich entschuldige mich für meine unziemlichen Worte mein Fürst. Der Gedanke, dass jemand Eures Blutes in einem Kampf unterlegen sein soll, ist für einen alten Mann nun mal schwer nachzuvollziehen. Vergebt mir mein Unvermögen, mich dieser Tatsache zu stellen.“ Damit verneigt er sich kurz respektvoll vor Sesshomaru.

Der Youkaifürst sieht noch immer verärgert aus, aber er beschließt die Angelegenheit diesmal nicht weiter aufzubauschen. „Für dieses Mal will ich noch darüber hinwegsehen“, meint er kühl, „Doch auch mein Wohlwollen ist nicht unerschöpflich.“

„Habt Dank, Sesshomaru-sama, für Eure Nachsicht!“, nuschelt der alte Youkai doch er sieht dabei nicht sonderlich schuldbewusst aus, findet Inu Yasha.

„Nun gut“, greift der würdevoll gekleidete Youkai wieder das Thema auf, „Nehmen wir einmal für einen Moment an, dass dieser Youkai tatsächlich zum Südclan unserer Rasse gehört. Wie können wir uns davon Gewissheit verschaffen?“

„Wir müssten ihn unter Beobachtung stellen“, schlägt Takarakanshu vor, „Ich kann einige meiner Männer auf ihn ansetzen. So bekommen wir vielleicht seine Absichten heraus.“

„Vorausgesetzt sie kommen dicht genug an ihn heran und werden nicht von ihm umgebracht“, fügt Matsuba schnippisch hinzu.

„Habt Ihr einen besseren Vorschlag?“, gibt der Krieger etwas verstimmt zurück.

„Nun“, richtet Matsuba sich auf, „Bisher wurde nur die militärische Seite in Betracht gezogen. Wir sollten die diplomatische nicht außer Acht lassen.“

„Was schlagt ihr vor, Matsuba-sama?“, fragt Chitsurao nun.

„Eine Abordnung zu entsenden. Wenn dies tatsächlich ein Youkai des Südclans ist, so ist das der erste Kontakt zu ihnen seit fast dreitausend Jahren. Das sollte man nicht außer Acht lassen. Vermutlich waren einige Missverständnisse schuld an der unglücklichen Konfrontation mit Sesshomaru-sama. Schließlich wissen wir fast nichts über sie. Vielleicht lässt er ja mit sich reden und er erzählt uns seine Absichten freiwillig. Möglicherweise kann man sich ja einigen.“

„Das wäre wünschenswert“, gibt der würdevolle Youkai mit den langen, hellgrauen Haaren zu, „Doch wir sollten auch in Betracht ziehen, dass er wirklich in feindlicher Absicht hier ist. Wie wollen wir in diesem Fall gegen ihn vorgehen?“

„Ihr habt recht, Yuugure-sama“, stimmt Hiroshi zu, „Wir sollten für den Fall der Fälle Sicherheitsvorkehrungen treffen. Wir sollten Boten zu den umliegenden Daimyous schicken, damit sie sich auf eine mögliche Konfrontation vorbereiten können und sicherheitshalber sollten wir unsere Krieger in Alarmbereitschaft versetzen.“

„Meine Leute werden die Bannkreise um das Schloss erneuern“, fügt der würdevolle Youkai namens Yuugure hinzu, „Sollte er versuchen, hier einzudringen, ist zumindest der Palast geschützt.“

„Ich würde trotzdem gerne eine Einheit auf seine Spur setzen“, meint Takarakanshu, „Sie werden Anweisung erhalten, sich unentdeckt zu halten und ihn lediglich zu beobachten. So bleiben wir auf dem Laufenden was er tut.“

„Ich stimme zu“, ergreift Kagemori nun wieder das Wort. „Solange wir nicht wissen, mit was wir es genau zu tun haben, sollten wir alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Wir werden ihn beobachten und die Daimyous von der Sachlage unterrichten.“ Noch bevor Matsuba etwas erwidern kann fügt Kagemori hinzu: „Außerdem sollten wir eine diplomatische Lösung dieses Konflikts anstreben. Ich gebe Matsuba-sama Recht, dass dies der erste Kontakt mit dem Südclan seit langem ist, sofern dieser Youkai überhaupt von dort stammt. Wir werden einen Unterhändler schicken, der ihm einen friedlichen Abschluss dieses Konflikts anbietet, in der Hoffnung, dass er gewillt ist dies anzunehmen. Ist dies in Eurem Sinne, Sesshomaru-sama?“

Nun endlich richten sich die Augen wieder auf den Daiyoukai der die gesamte Unterhaltung schweigend mitverfolgt hat. Inu Yasha ist neugierig wie sein Bruder reagieren wird. Viel Spielraum für eine Entscheidung wurde ihm ja nicht mehr gelassen.

Sesshomaru hebt den Kopf. „Dies sind alles kluge Vorschläge“, sagt er, „Dennoch bin ich keinesfalls überzeugt davon, dass mit diesem Youkai vernünftig zu reden ist. Er erschien mir eher überheblich und selbstverliebt. Für mich gibt es keinen Zweifel daran, dass er darauf aus ist, weiteren Schade anzurichten, ob wir nun damit einverstanden sind, oder nicht. Ich halte eine Abordnung für ein zu großes Risiko.“

Unmutige Blicke gehen nun von ihm hinüber zu Kagemori. Der ehrwürdige Youkai runzelt die Stirn. „Bedeutet das, Ihr seid nicht gewillt, eine friedliche Lösung für diesen Konflikt zu suchen, Sesshomaru-sama?“

Der Daiyoukai begegnet fest seinem Blick. „Würde ich eine diplomatische Lösung auch nur entfernt für möglich halten, würde ich diesen Weg befürworten. Doch mein Gefühl und meine Erfahrung mit ihm, sagen mir, dass dies vergeblich wäre und eine Gefahr für jeden dem diese Aufgabe auferlegt würde.“

„Wenn Ihr gestattet, mein Fürst“, ergreift nun Chitsurao das Wort, „dann bin ich gerne bereit, das Risiko einzugehen und diese Aufgabe zu übernehmen.“

Einen langen Moment sagt Sesshomaru kein Wort. Was er denkt ist ihm nicht anzusehen.

„Sesshomaru-sama?“, fragt Kagemori nach einer Weile, „Seid Ihr damit einverstanden?“

Der Daiyoukai blickt nun Chitsurao direkt an. „Ihr begebt Euch in Gefahr, Chitsurao-sama“, gibt er zu bedenken.

Doch der Krieger zeigt sich unerschütterlich. „Das ist mir bewusst, mein Fürst“, beteuert er ernst, „Gerade deshalb ist es sinnvoll jemanden zu schicken, der nicht völlig wehrlos ist. Ich bin bereit mich dieser Herausforderung zu stellen.“

Wieder zögert Sesshomaru einen Moment, doch dann sagt er: „Nein! Es ist zu riskant! Wenn all unsere Bemühungen nicht fruchten, wird es vermutlich zum Kampf kommen, und dann können wir keinen guten Kämpfer entbehren.“

„Glaubt Ihr nicht, dass Ihr die Sache möglicherweise ein wenig zu schwarz seht?“, meldet sich nun Matsuba skeptisch zu Wort, „Schließlich ist es nur ein einziger Youkai. Glaubt Ihr allen Ernstes, dass er eine solche Bedrohung darstellt, dass sich ein ganzer Clan mit ihm befassen muss? Ist es nicht vielleicht denkbar, dass Euch Eure jüngste Niederlage etwas... überreagieren lässt?“

Ein finsterer Blick fliegt nun vom dem Fürsten zu ihm hinüber. Der Daiyoukai atmet vernehmlich ein und aus, wenn er auch bemüht ist, seinen Ärger über die dreiste Unterstellung unter Kontrolle zu halten. Schließlich strafft er sich und seine Gesichtszüge glätten sich wieder.

„Es ist nachvollziehbar, dass Ihr das annehmen müsst, Matsuba-sama“, antwortet Sesshomaru beherrscht, „Doch ich versichere Euch, ich habe es eingehend abgewogen und meine Entscheidung steht fest. Kein Unterhändler! Die anderen Maßnahmen ergehen wie besprochen.“

Wieder ist ein leicht verstimmtes Raunen unter den Ratsmitgliedern zu hören. Sie scheinen nicht vollkommen einverstanden mit der Entscheidung ihres Fürsten zu sein, doch sie haben sich seinem Entschluss zu beugen.

„Überdies“, erhebt Sesshomaru jetzt erneut die Stimme, „Beabsichtige ich mir auch aus anderer Quelle Informationen über den Südclan zu beschaffen, oder wenn möglich über einen mächtigen Youkai der sich Katsuken nennt.“

Überrascht heben die Ratsmitglieder die Köpfe.

„Woher wollt Ihr diese Informationen bekommen, mein Fürst?“, fragt Yuugure mit einer gewissen Skepsis, „Alles was über den Südclan bekannt ist, stammt aus Legenden, von Mund zu Mund weitergegeben und ausgeschmückt. Wie wollt Ihr in Erfahrung bringen, was von den Gerüchten die Wahrheit ist und was nur pure Fantasie? “

Sesshomarus Blick wird fest. „Ich werde mit jemandem sprechen, der vielleicht noch die erste Version der Geschichte gehört hat.“

Einen Moment lang blicken sich die Ratsmitglieder irritiert und verwundert an. Doch dann verzieht sich Gaikotsus Gesicht. „Einen Moment! Ihr habt doch wohl nicht etwa vor, Kamukiku-sama aufzusuchen, oder?“

„Das ist meine Absicht!“, gibt Sesshomaru ungerührt zurück.

Der alte Youkai lacht kurz auf. „Oh, ach so! Na dann, viel Erfolg!“ Doch ein recht eindeutiger Blick von Sesshomaru, lässt ihn rasch wieder verstummen. Gaikotsu räuspert sich einmal geräuschvoll. „Was ich damit sagen will, mein Fürst“, fährt er etwas respektvoller fort, „Niemand weiß wo sich Kamukiku-sama derzeit herumtreibt. Möglicherweise in der Nähe des Schlosses, aber wahrscheinlich eher irgendwo weiter weg. Die Wahrscheinlichkeit, dass Euch das alte Klappergestell über den Weg läuft ist eher gering.“

„Seid unbesorgt! Ich weiß, wo ich zu suchen habe“, Sesshomarus Stimme klingt ruhiger, als sein Blick vermuten lässt. Der Ärger über das respektlose Verhalten des alten Youkais, ist nicht zu übersehen.

„Doch für heute ist es bereits zu spät“, gibt Kagemori sachlich zu bedenken, „Ihr solltet bis Morgen früh warten um Kamukiku-sama aufzusuchen. Dann werdet Ihr sicher größere Chancen haben, die richtigen Informationen zu erhalten. Bedauerlicherweise ist Kamukiku-sama ein wenig eigen darin, wenn es darum geht, Wissen mit anderen zu teilen.“

Sesshomaru verzieht keine Miene. „Das ist ja nichts Neues“, meint er ungerührt, „Ich bin sicher, ich werde erfahren was ich wissen will.“

„Dann ist es also beschlossen!“, verkündet Kagemori, „Takarakanshu-sama, Ihr sendet Eure fähigsten Späher aus, sie sollen den Jungen aufspüren und im Auge behalten. Ein täglicher Bericht wäre wünschenswert. Hiroshi-sama“, er wendet sich an den jungen Youkai, „Ihr sendet Boten zu den Daimyous unseres Clans und informiert sie über die Lage mit der Empfehlung, Vorkehrungen zu treffen“

Dann wendet er sich an Yuugure. „Eure Leute werden die Bannkreise um das Schloss verstärken, die zeitaufwendigeren zuerst. Noch haben wir genug Spielraum, später womöglich nicht mehr.“

Nun schaut er auf. „Ich denke mehr können wir im Augenblick nicht tun. Sobald wir neue Informationen haben, können wir uns weitere Maßnahmen überlegen. Damit ist der Rat für heute beendet.“

Mit zustimmendem Nicken erheben sich die Ratsmitglieder um ihre Aufgaben auszuführen, doch eine aufgebrachte Stimme lässt sie innehalten.

Das ist es? Das ist alles? Mehr wollt ihr nicht unternehmen?“ Überrascht und von mehreren Seiten missgünstig mustern die Ratsmitglieder Inu Yasha der empört aufgesprungen ist. Im Gesicht des Hanyou spiegelt sich ausgemachter Ärger.

Würdevoll blickt Kagemori zu ihm hinüber. „Seid Ihr der Ansicht, dass wir irgendetwas übersehen haben, Inu Yasha-ouji?“, fragt er nachsichtig, als spräche er mit einem voreiligen Kind.

„Oh ja, allerdings!“, schnaubt Inu Yasha erbost.

„Und was wäre das?“, kommt die Frage des Ratsvorsitzenden zurück.

Grimmig ballt Inu Yasha die Fäuste. „Was ist mit all den Menschen?“, fragt er bebend, „Dieser Kerl zieht einfach durch die Gegend und schlachtet reihenweise Leute ab. Und ihr habt nichts Besseres zu tun, als euren eigenen Hintern zu retten. Eine feine Gesellschaft seid ihr! Ihr redet von jagen und wildern in eurem Revier, als wären die Menschen so was wie Vieh! Tut mir leid, aber ich bin nicht bereit, ihn einfach ungestraft weitermachen zu lassen. Jemand muss ihm endlich Einhalt gebieten! Ihr könnt doch nicht erst warten, bis er irgendwann auf die Idee kommt, mal Youkai anzugreifen. Hier und jetzt müssen wir ihn aufhalten, oder soll er etwa alle Menschen fressen die ihm unterkommen? Da mache ich nicht mit, bedaure!“

„Dass ein Hanyou so etwas sagt, wundert mich gar nicht“, bemerkt Gaikotsu abfällig.

Wutschnaubend steht Inu Yasha da. „Sprich nicht in diesem Ton mit mir, du seniler, alter Zausel!“, funkelt er wütend, „Vielleicht hast du ja auch schon vergessen, dass ich auch ein Sohn meines Vaters bin. Ich sag dir was, noch ein dummes Kommentar von dir und dann darfst du deine verstaubten Ansichten mir gegenüber im Duell behaupten, kapiert?“

Für einen Moment lang herrscht ein ziemlich erstauntes Schweigen unter den Ratsmitgliedern. Dann auf einmal erhebt Sesshomaru sich und legt die Hand auf Inu Yashas erhobene Faust. Bedeutsam blickt er in die Runde.

„Mein Bruder hat recht! Dieser eklatante Verlust an Menschenleben ist nicht zu tolerieren. Es liegt in unserer Verantwortung für Ordnung und Sicherheit in unserem Reich zu sorgen. Es ist zwar nicht unsere Aufgabe, jedes Menschenleben vor den Übergriffen irgendwelcher Youkai zu schützen, doch die Anzahl der bisherigen Opfer übersteigt inzwischen deutlich das akzeptable Maß und es ist nicht abzusehen, dass es bei den bisherigen Opferzahlen bleibt. Deshalb ist hier unser Eingreifen erforderlich.“

Er wendet sich an den wohlgekleideten Youkai ihm gegenüber. „Yuugure-sama, ihr entsendet einige eurer fähigsten Leute zu den umliegenden Dörfern. Sie sollen dort Bannkreise errichten, die das Dorf vor den Augen unliebsamer Personen verbergen. Es wäre sinnlos, Krieger hinzuschicken, denn sie würden kaum eine Chance gegen ihn haben. Aber womöglich können wir den Schaden so etwas begrenzen, bis wir wissen, wie wir seiner Herr werden können.“

Nun wendet er sich mit ausdrucksloser Miene zu Inu Yasha um. „Ist dir das genug?“

Noch immer ein wenig verstimmt blickt Inu Yasha zu seinem Bruder hoch, und auf einmal wird ihm ein wenig unwohl in seiner Haut. Ihm wird bewusst, dass sein Bruder ihn gerade klar unterstützt hat, und das, obwohl er weiß, was Sesshomaru im Grunde von Menschen hält. Nun schämt er sich ein wenig für seinen Ausbruch. Aber ist doch wahr! Das ist mal wieder typisch für diese Youkai. Menschen spielen in ihren Plänen nie eine große Rolle. Irgendwer muss doch für sie Partei ergreifen.

Langsam nickt er. „Ich hoffe das genügt.“

„Gut!“, sagt Sesshomaru, „Wir werden auf diese Weise verfahren. Ich bitte den Rat nach meinem morgigen Gespräch mit Kamukiku-sama zu einer weitere Besprechung.“

„Wie Ihr wünscht, Sesshomaru-sama“, bestätigt Kagemori mit einer leichten Verneigung, „Wir werden uns morgen wieder treffen.“

Noch einmal verneigt sich jedes Ratsmitglied im Vorbeigehen respektvoll vor ihrem Fürsten und dann verlassen sie das Ratszimmer. Die jungen Frau die hinter der Schiebetür still und eingeschüchtert auf einem Kissen sitzt, würdigen sie keines Blickes.

Als letzte verlassen Inu Yasha und Sesshomaru den Raum. Kagome springt auf und läuft rasch auf ihren Freund zu, doch als sie Sesshomarus Blick sieht, verlangsamen ihre Schritte sich sofort. Der Daiyoukai mustert sie kurz kühl, sagt aber kein Wort. Dann wendet er sich zum Gehen.

„Sesshomaru!“, hält Inu Yasha seinen Bruder zurück. Der Daiyoukai wendet sich mit ausdrucksloser Miene zu ihm um.

Ein wenig verlegen blickt Inu Yasha nun drein. „Was du da drin gerade getan hast...“

„Dass ich dem Rat nicht gestattet habe, ein Mitglied meiner Familie zu diffamieren, hat rein gar nichts mit Sympathie zu tun. Das ist dir doch klar, oder?“, fällt ihm der Daiyoukai ungerührt ins Wort, „Als Oberhaupt unserer Familie ist es meine Pflicht den Respekt ihr gegenüber sicherzustellen.“

Inu Yasha verzieht das Gesicht „Warum sollte es auch einmal anders sein?“

Überrascht hebt Sesshomaru die Brauen. „Erwartest du das etwa?“

„Dass du je deinen Stolz aufgibst?“, meint Inu Yasha unverblümt, „Wie käme ich dazu? Ohne den kannst du doch gar nicht existieren.“

Eine leichte Verwunderung zieht über das Gesicht des Daiyoukai. „Nein, ich dachte...“, doch rasch bricht er ab, „Nicht so wichtig!“ Mit diesen Worten setzt er wieder eine gelassene Miene auf und ehe Inu Yasha noch etwas sagen kann, ist der Youkaifürst auch schon zur Tür hinaus.

Verblüfft schaut Inu Yasha ihm hinterher. „Was bitte war das denn grade?“

Kagome wirft ihm ein leichtes Schmunzeln zu. „Das erklär ich dir irgendwann“, meint sie neckisch, und dann hakt sie sich bei Inu Yasha ein und steuert mit ihm ihre Quartiere an.

Kamukiku

Eine zierliche Youkaifrau kniet züchtig neben der geöffneten Schiebetür. „Guten Morgen, Inu Yasha-sama!“, verneigt sich die Dienerin respektvoll, „Mir wurde aufgetragen, Euch zu unterrichten, dass Sesshomaru-sama Euch am Eingangstor erwartet.“

Der Hanyou nickt nur leicht, worauf die Dienerin die Tür wieder schließt und verschwindet. Nachdenklich sitzt Inu Yasha da. Er hat in dieser Nacht kaum ein Auge zugemacht. Zum eine war es ihm unbehaglich in diesen feinen Betten zu schlafen, man hat ständig das Gefühl irgendetwas schmutzig zu machen, und zum anderen hat er viel nachgedacht.

Die Worte des Rates gehen ihm immer wieder durch den Kopf und es gibt daran noch einiges, was er nicht richtig versteht. Aber ihm ist klar, dass die Ratsmitglieder nicht all zu viel von ihm halten. Trotzdem wird von ihm erwartet, dass er sich wieder wie ein Fürstensohn verhält. Das macht ihm ein wenig Kopfzerbrechen.

Bisher hatte er noch nicht sonderlich viel mit den Reichsangelegenheiten seines Bruders zu schaffen. Wenn das hier allerdings so sehr ausartet wie beim letzten Mal, na dann gute Nacht! Inu Yasha kann sich noch lebhaft an die Ereignisse erinnern, als er zuletzt gezwungen war, sich seines Fürstenblutes würdig zu erweisen und er hat sie in nicht besonders guter Erinnerung. Aber vielleicht lässt sich das aktuelle Problem ja schneller erledigen, ohne dass es zu viele Schwerverletzte gibt, oder Tote.

Wie dem auch sei, er muss wohl mal wieder seine Etikette hervorkramen, wenn er nicht all zu sehr bei den Leuten hier anecken will. Es wird ihm vermutlich nicht leicht fallen, sich immer im Zaum zu halten, aber er wird sich zumindest bemühen. Besonders jetzt, nachdem Sesshomaru für ihn Partei ergriffen hat gegenüber dem Rat.

Ein wenig widerstrebend erhebt Inu Yasha sich. Sein Bruder ist früh auf, wen wundert es? Sicher möchte er die unangenehme Angelegenheit rasch hinter sich bringen. Es war ja klar, dass er seinen Bruder zu diesem ominösen Kamukiku-sama begleiten würde. Bestimmt hat er ihn nicht nur deshalb hierher mitgenommen, damit er hier im Palast Däumchen dreht. Na ja, wenn er schon den Fürsten spielen soll, dann will er das auch so gut wie möglich machen. Und das bedeutet, sein Bruder wird ihm einiges erklären müssen. Diesmal wird er sich nicht mit irgendwelchen Ausreden abspeisen lassen.

Inu Yasha öffnet die Schiebetür. Direkt gegenüber liegt Kagomes Zimmer. Etwas zögernd steht er davor. „Kagome?“, ruft er vorsichtig. Doch er erhält keine Antwort. Behutsam schiebt er die Tür ein Stück auf und lugt durch den Spalt. Auf dem Futonbett in der Mitte des Raumes liegt Kagome und schläft noch immer tief und fest. Inu Yasha seufzt leicht, er beneidet seine Freundin um ihren gesunden Schlaf.

Er schiebt die Tür auf und tritt an das Bett heran. Sie liegt auf dem Bauch und hat sich in die Decke gekuschelt, eine Hand hängt entspannt auf den Boden hinab. Mit geschlossenen Augen und halbgeöffnetem Mund hat sie ihren Kopf unter ihrem Kissen vergraben.

Inu Yasha wird es ein wenig sonderbar zumute, während er seine Freundin so schlafend beobachtet. Eine ganze Weile steht er einfach nur da und rührt keinen Muskel. Doch dann bückt er sich herab und rüttelt sie behutsam an der Schulter. „Kagome!“

Mit einem Ruck fährt die junge Frau hoch. „Sitz!“, ruft sie noch völlig im Halbschlaf und nur eine Sekunde später ist neben ihr ein heftiges Rumpsen zu hören. Verschlafen reibt sich Kagome die Augen und räkelt sich ausgiebig. Dann öffnet sie die Augen und blickt neben sich.

„Oh, Inu Yasha“, meint sie verwundert, „Was machst du denn da unten?“

„Dreimal darfst du raten!“, kommt es griesgrämig von dem Hanyou zurück.

Nun dämmert es Kagome offenbar. „Oh entschuldige, tut mir leid“, meint sie, „War keine Absicht.“

„Ich hätte gern einen Sack Reis, für jedes Mal, wenn du das sagst“, brummt der Hanyou und rappelt sich wieder auf. „Sesshomaru wartet schon auf uns. Wir sollten uns vermutlich etwas beeilen. Ich hab keine Lust es mir gleich wieder mit ihm zu verscherzen.“

Kagome nickt. „In Ordnung, dann gehst du jetzt mal fein raus und ich zieh mich an und dann können wir auch schon los!“ Demonstrativ schiebt sie ihren Freund zur Tür hinaus. „Bis gleich!“, meint sie und dann schließt sie die Tür.
 

Es dauert wirklich nicht lange, bis die beiden beim Eingangstor des Palastes auftauchen. Kagome hatte erst überlegt ob sie ihren Rucksack benötigen wird, doch da Sesshomaru damit rechnet, abends schon wieder zurück zu sein, hatte sie ihn im Quartier gelassen. Nur ihren Bogen hat sie mitgenommen.

Vom Tor blickt ihnen bereits ein bekanntes Gesicht entgegen. Inu Yasha stellt fest, dass sein Bruder inzwischen wieder vollkommen hergestellt aussieht. Wenn er gestern auf dem Rat noch ein wenig blass wirkte, so scheint er sich heute wieder vollkommen erholt zu haben. Ein wenig beneidet er ihn darum. Seine Verletzungen heilen zwar auch recht schnell, aber es dauert doch einige Tage länger als bei seinem Bruder.

Mit gewohnt gelassener Miene blickt der Youkaifürst zu den beiden hinüber. Als die zwei das Tor schließlich erreicht haben, wendet Sesshomaru sich zum Gehen und meint nur zu Inu Yasha: „Komm!“

„Willst du gar nicht sagen, dass Kagome nicht mitkommen soll, weil es für Menschen zu gefährlich ist oder nicht schicklich, oder so?“, kann der Hanyou sich nicht verkneifen.

„Würde das dieses Mal etwas bringen?“, entgegnet der Daiyoukai ohne sich umzudrehen.

Inu Yasha zögert. „Nein, vermutlich nicht“, gibt er zu, „Ich dachte nur...“

„Du weißt es doch bereits, wozu soll ich es dir dann noch einmal sagen?“, unterbricht ihn Sesshomaru ungerührt, „Es ist deine eigene Verantwortung, wenn du sie mitnehmen willst. Auch das sagte ich dir bereits.“ Der letzte Satz klingt ein wenig gereizt.

„Schon gut!“, lenkt Inu Yasha ein. Rasch schließen er und Kagome zu den zügigen Schritten des Daiyoukai auf.

Eine ganze Weile laufen sie schweigend hinter dem Daiyoukai her, der anscheinend sehr zielsicher seinen Weg verfolgt. Irgendwann packt Inu Yasha allerdings doch die Neugierde und er schließt zu seinem Bruder auf.

„Verrätst du mir wohin wir gehen?“, fragt er so diplomatisch wie er vermag.

„Du wirst es früh genug sehen“, kommt die emotionslose Antwort.

„Warum hab ich das jetzt bloß wieder gewusst?“, brummt Inu Yasha muffig, „Sagst du mir wenigstens wer dieser Kamukiku eigentlich ist?“

Diesmal ist der Daiyoukai etwas mitteilsamer. „Kamukiku-sama ist die älteste Youkai unseres Clans“, gibt er Auskunft.

„Ach, Kamukiku ist eine Frau?“, vernimmt man nun Kagomes Stimme und sogleich taucht sie zwischen den beiden Brüdern auf.

Ein wenig säuerlich blickt Sesshomaru auf die junge Frau hinab, aber er antwortet trotzdem. „Man könnte sagen, dass das stimmt.“

„Was soll das denn heißen?“, fragt Inu Yasha nun irritiert zurück, „Was denn nun, ja oder nein? Beides geht wohl schlecht, oder?“

Sesshomaru versteift sich ein wenig. „Es wäre besser, wenn du dich bemühst, ihr gegenüber höflich zu bleiben. Kamukiku-sama ist ein wenig... exzentrisch. Wenn sie verärgert ist, werden wir von ihr nichts mehr erfahren.“

Inu Yasha hebt etwas spöttisch die Brauen. „Du meinst, sie würde dir, dem Fürst ihres Clans, die Antwort schuldig bleiben?“

Sesshomarus Gesicht verfinstert sich ein wenig. „Gerade mir.“ Unwillkürlich beschleunigt sich sein Schritt.

Überrascht hebt Kagome die Brauen. „Warum gerade dir? Ist sie nicht gut auf dich zu sprechen?“

„Das ist es nicht“, bemerkt Sesshomaru knapp.

„Meine Güte!“, schnauft Inu Yasha genervt, „Rück doch endlich mal mit der Sprache heraus! Wir sollen dir helfen? Gut, aber dann lass uns nicht immer im Dunkeln tappen. Das ist auf die Dauer nämlich echt anstrengend. Also, was müssen wir wissen?“

Für einen kurzen Moment scheint Sesshomaru mit sich zu ringen, doch dann hat er offenbar eine Entscheidung getroffen. „Kamukiku-sama ist weitaus älter als die meisten Youkai in unserem Clan, deshalb ist sie der Auffassung, dass Etikette und Hierarchie für sie keine Rolle mehr spielt.“

„Und gleich ist sie mir sympathisch“, murmelt Inu Yasha leise, fängt sich dafür jedoch einen strengen Blick von seinem Bruder ein.

„Psst!“, bringt Kagome ihren Freund zum Schweigen, „Dann lass ihn auch ausreden.“

„Sie hat ein Problem mit Autorität“, führt Sesshomaru seinen Bericht fort, „Deshalb lebt sie auch nicht im Palast, oder in einem anderen Anwesen unserer Ländereien. Sie zieht es vor unabhängig umherzuwandern und niemandem gegenüber Rechenschaft darüber abzulegen, wo sie sich gerade aufhält. Allerdings ist mir ein Ort bekannt, zu den es sie immer wieder zurückzieht. Dort werden wir sie suchen.“

„Und was ist das für ein Ort?“, fragt Inu Yasha.

„Die Gedenkstätte unserer Ahnen“, erklärt Sesshomaru emotionslos.

Inu Yashas Augen weiten sich. Er fühlt sich ein wenig unbehaglich in seiner Haut, bei dem Gedanken schon bald seiner Familienvergangenheit zu begegnen.

Auch Kagome wirkt etwas verunsichert. „Ist es dann wirklich in Ordnung, wenn ich mitkomme? Ich meine, diese Gedenkstätte ist für euren Clan doch sicher... heilig oder so. Werden sie nicht vielleicht ärgerlich, wenn ein Mensch dahin geht?“

Mit unergründlicher Miene blickt Sesshomaru sie einen Moment an, dann fragt er: „Beabsichtigst du, dich dort unziemlich zu verhalten?“

Energisch schüttelt Kagome den Kopf. „Nein, ganz bestimmt nicht! Versprochen!“

„Dann gibt es kein Problem“, entscheidet der Daiyoukai gelassen.

„Aber was ist mit dieser Kamukiku“, fragt Inu Yasha, „Mag ja sein, dass du damit einverstanden bist, aber was wird sie davon halten? Du sagtest doch, sie hätte ein Problem mit Autorität. Was ist wenn wir sie tatsächlich dort finden und sie versucht, Kagome zu töten?“

„Ich vermute, dann wirst du sie beschützen“, meint Sesshomaru mit einem leichten Seitenblick.

„Ja, schon!“, brummt Inu Yasha, „Aber vielleicht redet sie dann gar nicht mehr mit uns. Außerdem kann ich doch nicht einfach eine alte Frau angreifen“, fügt er verstimmt hinzu.

„Wenn sie dich angreift, warum nicht?“, gibt Sesshomaru ungerührt zurück. Doch noch ehe Inu Yasha etwas Empörtes erwidern kann, redet Sesshomaru schon weiter. „Ich versichere dir, Kamukiku-sama ist bei weitem nicht so wehrlos wie du annimmst. Wenn sie Ärger macht, darf sie sich nicht über die Resonanz wundern.“

„Das macht es nicht gerade besser“, murmelt Inu Yasha noch immer etwas unbehaglich.

„Glaubst du wirklich, sie redet mit uns?“, fragt Kagome noch einmal unsicher.

„Ich will es hoffen“, der Daiyoukai wirkt nun ein wenig angespannter, „Anderenfalls wird es schwierig werden, an die nötigen Informationen zu kommen.“

„Wieso? Willst du sie dann etwa zwingen?“, kommt es skeptisch von Inu Yasha.

Nun legt sich ein leicht spöttischer Zug um Sesshomarus Mundwinkel. „Ich denke nicht, dass man Kamukiku-sama zu irgendetwas zwingen kann.“

„Weshalb nicht?“, fragt Kagome verwundert.

„Weil nichts, das man ihr androhen könnte, Eindruck auf sie machen würde“, erklärt Sesshomaru ungerührt.

„Nicht einmal, wenn man droht sie zu töten?“, fragt Kagome verblüfft.

Nun wendet Sesshomaru ihr herablassend den Blick zu. „Kamukiku-sama ist über zweitausendsiebenhundert Jahre alt. Den Tod fürchtet sie schon lange nicht mehr, wie so ziemlich alles andere auch nicht. Eben das wird es schwierig machen, sie dazu zu bewegen, uns zu sagen, was wir wissen wollen.“

„Hast du einen Plan?“, fragt Inu Yasha.

Der Daiyoukai atmet einmal leicht durch. „Wir werden sehen“, dann beschleunigt er noch mal seinen Schritt.

„Also hat er keinen“, meint Inu Yasha seufzend. Doch der Youkaifürst zeigt nicht, ob er ihn gehört hat, denn in diesem Moment ist er einige Schritt vor ihnen wie erstarrt stehengeblieben.

Aus Gewohnheit gleitet Inu Yashas Hand gleich zu Tessaigas Griff. Wachsam beobachtet er nun wie sein Bruder sich langsam zu ihnen umwendet, doch der Daiyoukai blickt gar nicht zu ihnen, sondern seine Augen suchen mit einem ungewöhnlich erstaunten Gesichtsausdruck den Himmel ab. Sofort folgen Kagome und Inu Yasha seinem Blick und der Hanyou macht auf einmal große Augen.

Da ist es auch schon zu hören: „Sesshomaru-sama! Hallo!“

Verblüfft beobachten Inu Yasha und Kagome, die beiden Personen, die gerade auf dem Rücken einer Dämonenkatze direkt auf sie zusteuern. Auch Sesshomaru zeigt sich nun deutlich überrascht über den unerwarteten Besuch, als die drei bekannten Gesichter einige Meter vor ihm auf dem Gras aufsetzen.

„Was tust du hier, Rin?“, richtet der Daiyoukai das Wort an das Mädchen, das gerade vom Rücken der Katze herunterrutscht und ihn freudig anlächelt.

„Verzeihung, Sesshomaru-sama!“, antwortet Kohaku schuldbewusst an ihrer statt, „Ich wollte sie eigentlich gar nicht mitbringen, aber sie hat einfach keine Ruhe gegeben.“

„Du sagtest, ich soll die Passwörter niemandem verraten“, verteidigt sich das Mädchen an Sesshomaru gewandt, „Also musste ich sie den Wachen persönlich sagen.“

„Aber was habt ihr hier überhaupt zu suchen?“, kommt es nun von Inu Yasha.

Nun lässt sich der junge Dämonenjäger behutsam von Kiraras Rücken gleiten, dabei verzieht er kurz das Gesicht. Dann geht er zu dem Daiyoukai hinüber. Man kann nun sehen, dass er all seinen Mut zusammennimmt. „Sesshomaru-sama“, beginnt er beherzt, „Ich muss Euch etwas Wichtiges mitteilen.“

Zunächst scheint Sesshomaru den jungen Mann abwägend zu mustern, doch dann fragt er: „Worum geht es?“

Kohaku atmet einmal still durch. „Ich bin gestern einem Youkai begegnet, der behauptet hat, er hätte Euch... schwer verletzt.“

Die Haltung des Youkaifürsten versteift sich ein wenig, doch sonst zeigt er keine Reaktion.

Ein wenig unsicher versucht Kohaku den Daiyoukai einzuschätzen. Es hat kaum den Anschein, als wäre er irgendwie angeschlagen. Könnten die Worte des Youkais eine Lüge gewesen sein? Behutsam versucht er es erneut. „Er brüstete sich damit, Euch beinah getötet zu haben.“

Sesshomarus Kiefer verhärten sich. „Und weiter?“

Kohaku fasst das als Bestätigung auf, dass dem Daiyoukai der betreffende Youkai zumindest nicht unbekannt ist. Nun kann er es wagen, weiterzuerzählen. „Ich traf ihn in einem Kloster. Er hatte sämtliche Mönche umgebracht und gefressen. Wir führten ein kurzes Gespräch während dem er von seinem Kampf mit Euch sprach. Er wollte mich schon töten, doch er ließ mich am Leben, damit...“, er zögert kurz, „damit ich Euch eine Nachricht von ihm bringe.“ Er blickt etwas unbehaglich zu Boden.

„Eine Nachricht?“, meint Kagome überrascht, „Für Sesshomaru?“ Kohaku nickt.

„Was für eine Nachricht?“, fragt Inu Yasha an Stelle seines Bruders.

Kohaku hebt den Kopf und blickt Sesshomaru an. „Er sagte, er wäre Sesshomaru und er würde bald kommen um zu holen was ihm zustünde.“

Ein Moment lang hängen die Worte schwer in der Luft. Der weißhaarige Daiyoukai verzieht keine Miene, doch dann wiederholt er langsam: „Was ihm zustünde?“ Ein gefährlicher Unterton schwingt in den Worten mit und dann beginnt sich seine Miene langsam zu verfinstern. „Dieser dreiste, kleine Bastard!“, zischt er leise.

„Sagte er wirklich, er heißt Sesshomaru?“, kann Inu Yasha nun nicht mehr an sich halten.

Kohaku nickt. „Er wollte mir erst weismachen, dass er Sesshomaru wäre, doch ich erklärte ihm, dass ich wüsste wie der echte aussieht. Das schien er interessant zu finden. Vielleicht hat er deshalb gerade mich hierher geschickt, mit dieser Botschaft.“

„Aber was kann er damit bezwecken?“, wundert sich Kagome.

Diesmal ist es Sesshomaru der antwortet. „Das ist doch wohl eindeutig!“, stellt er finster klar, „Er will mein Reich. Dies ist eine offizielle Herausforderung.“

„Aber er hat dich doch schon besiegt“, wendet Inu Yasha ein.

Frostig blickt Sesshomaru ihn an. „Es wurde nichts entschieden. Wir leben beide noch. Nach unserem nächsten Kampf wird das anders sein.“

„Du willst noch einmal gegen ihn kämpfen?“, fragt Inu Yasha.

„Selbstverständlich!“, entgegnet Sessomaru grimmig, „Ich bin der Fürst! Ich werde mich jeder Herausforderung stellen, die nötig ist!“

„Er bringt dich um“, behauptet Inu Yasha trocken.

„Das ist noch lange nicht entschieden!“, grollt Sesshomaru nun ärgerlich, „Diesmal werde ich vorbereitet sein auf ihn.“ Mit diesen Worten wendet er sich zum Gegen und blickt sich nicht ein einziges Mal mehr um.

„Hui, der hat ja eine Wut“, stellt Kagome fest.

„Wundert dich das?“, fragt Inu Yasha, „Ich wär' vermutlich auch sauer wenn mich jemand fast tot geprügelt hätte, mich dann anschließend noch mal herausfordern würde, und sich dann auch noch ganz respektlos meinen Namen erschleichen wollte.“

„Ok, wenn man es so sieht“, stimmt Kagome zu.

Eine ganze Zeit lang folgen sie nun schweigend dem aufgebrachten Daiyoukai der unbeirrbar seinem Ziel entgegenstrebt. Kohaku und Rin reiten neben Inu Yasha und Kagome her, auch sie verlieren kein weiteres Wort, jeder hängt ein wenig seinen eigenen Gedanken hinterher. Die ungewöhnliche Nachricht hat alle ins Grübeln gebracht.

Schließlich nach einer ganzen Weile sehen sie, wie sich Sesshomarus Schritte verlangsamen und er vor einem großen, steinernen Torrahmen der am Eingang eines Waldes erbaut wurde, stehenbleibt. Neugierig kommen die anderen näher. Aus dem Gestein sind mehrere furchteinflößende Hundeköpfe eingemeißelt worden.

„Ist das die Gedenkstätte?“, fragt Inu Yasha,

„Das ist der Eingang“, berichtigt Sesshomaru ihn. Dann tritt er ohne ein weiteres Wort hindurch und die anderen beschließen, ihm zu folgen.

Der schmale, angelegte Pfad schlängelt sich eine Weile durch das friedliche Wäldchen und endet dann auf einer großen Lichtung. Die kleine Gruppe tritt aus dem Wald heraus und Kagomes Augen weiten sich erstaunt. Mitten auf der Lichtung steht ein riesenhafter, alter Baum. Seine höchsten Zweige reichen weit hinauf bis in den Himmel. Um ihn herum wachsen noch einige andere mächtige Bäume, die das Wäldchen um sie herum ohne Weiteres überragen, jedoch nicht an die gewaltigen Maße des großen Baumes in ihrer Mitte herankommen.

Mit staunenden Augen tritt die kleine Reisegruppe näher an die abgesonderte Gruppe Riesenbäume in der Mitte der Lichtung heran. Bei näherer Betrachtung sind es erstaunlich viele, in unterschiedlichen Größen.

„Das ist also unsere Gedenkstätte?“, Inu Yasha findet als erstes die Sprache wieder.

Sesshomaru scheint sich inzwischen wieder etwas beruhigt zu haben. Er nickt. „Dies sind die Bäume unserer Ahnen“, erklärt er, „Gepflanzt, stets von den Eltern für ihre Kinder. Sie sollen das Leben der Betreffenden ehren, nicht erst den Tod, wie es im Osten üblich ist“, fügt er leicht abfällig hinzu.

„Das ist ein schöner Brauch“, meint Kagome anerkennend.

Sesshomaru wirft ihr einen schweigenden Blick zu, dann tritt er an einen gewaltigen Baum im vorderen Bereich der Baumgruppe heran und legt würdevoll eine Hand auf seinen Stamm.

„Dieser Baum gehört unserem Vater“, erklärt er ohne jedoch Inu Yasha direkt anzublicken. Der Hanyou hat beinah den Eindruck, als würde der Daiyoukai fast schon ehrfürchtig über die Rinde des gewaltigen Stammes streichen. Dann blickt Sesshomaru sich doch zu ihm um. „Komm her!“, fordert er ihn auf, doch ausnahmsweise klingt es nicht wie ein Befehl, sondern eher als wolle er seinem Bruder die Befangenheit nehmen.

Ein wenig unsicher tritt Inu Yasha zu ihm. Er kann sich nicht helfen, aber sein Herz beginnt auf einmal unruhig zu pochen. Er muss den Kopf weit in den Nacken legen, wenn er die Wipfel des Baumes sehen will. Fast ein wenig andächtig berührt seine Hand nun den Stamm. Die Borke fühlt sich glatt und kühl an.

Nun zeigt Sesshomaru auf einen etwas kleineren Baum daneben. „Und dies ist der Baum meiner Mutter.“ Inu Yasha kribbelt es auf einmal recht unbehaglich im Nacken. Ihm ist gar nicht wohl dabei, das Gespräch auf die Mutter seines Bruders zu bringen. Die Tatsache, dass es nicht auch seine ist, ist einfach schon zu oft der Grund für die Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinem Halbbruder gewesen.

Doch Sesshomarus Blick ist hier deutlich reservierter als noch gerade beim Baum seines Vaters. Offenbar war ihr Verhältnis, nicht ganz so innig. Schweigend blickt Inu Yasha zu dem hohen, schlanken Baum hoch, und er hat das Gefühl, als würden ihn von dort, verachtende Augen anblicken. Nein, dieser Baum behagt ihm gar nicht.

„Komm mal mit“, wendet sich Sesshomaru nun an ihn, „Ich möchte dir etwas zeigen.“

Ein wenig verhalten begleitet der Hanyou seinen Bruder nun in den Wald der Riesenbäume hinein. Die anderen folgen ihnen unauffällig und staunend. Die Stille zwischen den Bäumen ist durchaus respekteinflößend.

Schließlich bleibt Sesshomaru vor einem schlanken Ahornbaum stehen. Er ist nicht besonders massig, aber seine Zweige recken sich unter dem Blätterdach der anderen Bäume trotzig nach oben.

„Wem gehört dieser Baum?“, wagt Inu Yasha nach ein paar Momenten zu fragen.

„Izayoi“, ist die nüchterne Antwort des Daiyoukais, und Inu Yasha spürt wie sich auf einmal ein Kloß in seinem Hals bildet.

„Warum steht der hier?“, bringt er mit schwacher Stimme hervor, „Ich dachte, das wäre eine Gedenkstätte für Youkai.“

„Vater ließ sich nicht davon abbringen“, antwortet Sesshomaru ruhig, „Er hat darauf bestanden, obwohl sie ihn massiv bedrängt haben, es zu lassen. Für ihn gehörte sie zur Familie.“

Nun wendet sich der Youkai um zu zwei weiteren, mächtigen Bäumen, die ein Stück entfernt davon stehen. Sie sind annähernd gleichgroß. Der Daiyoukai strafft sich ein wenig als er die Hand an den Höheren von ihnen legt. „Dies hier ist mein Baum!“, sagt er würdevoll und für einen kurzen Moment erkennt Inu Yasha deutlich den Stolz des prächtigen Baumes, der in vollem Laub steht, in den Augen seines Bruders wieder.

Ein wenig bange klopft dem Hanyou das Herz, als er schließlich fragt: „Und der daneben? Wem gehört der?“

Ernst blickt Sesshomaru ihn an. „Dir!“

Inu Yasha muss einmal durchatmen um seinen aufgeregten Puls wieder etwas zu beruhigen. Ihm wird auf einmal so wehmütig zumute. „Wer hat ihn gepflanzt?“, fragt er leise.

Die Augen des Daiyoukais treffen nun die seinen. „Ich!“, verkündet Sesshomaru ernst.

„Warum?“, fragt Inu Yasha.

„Vater hatte dich offiziell anerkannt. Deine Mutter hatte bereits ihren Platz unter den Ahnen. Er selbst vermochte es nicht mehr. Es war eine Selbstverständlichkeit.“

„Ach so!“, murmelt Inu Yasha ein wenig betrübt.

„Außerdem“, fügt nun Sesshomaru zögernd hinzu, „wäre es sein Wunsch gewesen. Es hätte ihn stolz gemacht.“

Nun hebt Inu Yasha den Blick. Schweigend mustert er seinen Bruder. Er fühlt sich weniger schwermütig als noch gerade, doch weiß er nicht, wie er das ausdrücken soll, was ihm gerade auf dem Herzen liegt.

Doch in diesem Moment wendet Sesshomaru den Blick ab und er hebt kurz sinnend den Kopf. Dann sagt er laut: „Ich, weiß, dass Ihr hier seid, Kamukiku-sama! Zeigt Euch, ich habe ein wichtiges Anliegen an Euch!“

Irritiert blicken sich die anderen ebenfalls um, aber außer ihnen ist niemand zu entdecken. Doch auf einmal ertönt eine tiefe, volle Altstimme hinter den gewaltigen Bäumen hervor.

„Sieh an, der kleine Prinzenwelpe kommt mich auch mal wieder besuchen!“

Überrascht fahren die Köpfe der kleinen Gruppe herum und plötzlich taucht hinter dem riesigen Baum in der Mitte des Wäldchens eine mächtige, große Gestalt auf. Sie hat langes, zerzaustes Fell und große, rotfunkelnde Augen. Es ist ein gewaltiger, schneeweißer Hund und er misst beinah fünfzehn Schritt Höhe.

Erschrocken fahren Kagome und die anderen zusammen, und wieder geht Inu Yashas Hand zum Griff seines Schwertes, doch ein schwaches Kopfschütteln und ein ernster Blick seines Bruders halten ihn vom Ziehen ab.

Nun richtet sich die gewaltige Hundeyoukai zu ihrer vollen Größe auf und mit einem schauerlichen Grinsen um ihre Lefzen blickt sie auf die Gruppe vor sich herab. Zu Inu Yashas völliger Verblüffung, kommt jetzt Bewegung in Sesshomaru. Ohne ein Wort zu sagen, sinkt der Daiyoukai respektvoll auf ein Knie hinab und senkt den Blick.

„Oh, der kleine Prinz hat noch nicht vergessen, was sich gehört“, die tiefe Stimme der riesigen Hündin klingt belustigt.

Doch Sesshomaru scheint den Spott zu überhören. „Ich grüße Euch, Kamukiku-sama!“, sagt er höflich, „Inzwischen trage ich den Titel Fürst. Ich bin sicher, man hat Euch davon unterrichtet.“

Nun beugt sich die riesige Hündin mit funkelnden Augen zu ihm hinunter. Ihre gewaltige Schnauze hält nur wenige Handbreit vor Sesshomarus Gesicht inne. „So?“, schnaubt sie abfällig und durch den warmen Atem werden Sesshomarus Haare nach hinten gepustet, was der Daiyoukai reglos toleriert. „Ich kann mich gar nicht daran erinnern“, knurrt die Inuyoukai streng, „Aber mir entfallen so einige Nichtigkeiten in letzter Zeit. Ich kann mich allerdings noch gut daran erinnern, wie du ein kleiner, zierlicher Welpe warst, der sich einen Spaß daraus gemacht hat, mir immer an meinen Ohren zu zerren.“

Unwillkürlich entfährt Inu Yasha ein kurzes Prusten bei dem Gedanken. Der gewaltigen Hündin ist dies jedoch nicht entgangen. Sie hebt den Kopf und mustert die anderen Anwesenden ausführlich. „Wen hast du denn da mitgebracht, kleiner Prinz?“, fragt sie nun interessiert.

Sesshomaru erhebt sich nun wieder. „Dies ist mein Halbbruder, Inu Yasha“, stellt er den Hanyou vor.

Die Dämonenhündin zieht prüfend die Luft ein. „Ein Hanyou, nicht wahr? Dann wendet sie ihm den Kopf zu. „Komm mal her, kleiner Hanyou, und lass dich beschnuppern!“

Ein fragender Blick Inu Yashas geht hinüber zu Sesshomaru, doch der Daiyoukai fordert ihn nur mit einer leichten Kopfbewegung auf, näherzutreten. Die mächtige Nase der Hündin streift jetzt prüfend über Inu Yashas Körper und der Hanyou hat alle Mühe, von dem Schnüffeln nicht umgepustet zu werden. Schließlich hat die Riesenhündin ihre Prüfung abgeschlossen und sie hebt wieder den Kopf.

„Er riecht appetitlich!“, meint sie mit einem schaurigen Grinsen.

Unwillkürlich zucken die Anwesenden alarmiert zusammen, bis auf Sesshomaru. „Lasst die Scherze, Kamukiku-sama“, meint er gelassen und erhebt sich wieder, „Es gibt einen wichtigen Grund, weshalb wir Euch aufsuchen.“

„Es sind noch andere Personen anwesend“, unterbricht die Hündin ihn, „Wer ist das? Ich rieche Menschen!“

Und zum ersten Mal nimmt Kagome das Gesicht der riesigen Hündin etwas genauer in Augenschein. In den gewaltigen, roten Augen liegt eine unangenehme Leere, die ihr zuvor nicht aufgefallen ist und ihr wird ein wenig schwer ums Herz. Die riesige Hündin ist offenbar blind.

„Es sind Freunde meines Halbbruders“, erklärt Sesshomaru.

„Bring sie her!“, kommandiert die Hündin streng.

Inu Yasha ist gar nicht wohl dabei, als er zusieht wie sich Kagome, Kohaku und Rin nun der mächtigen Hundeschnauze nähern, die bloß einmal zuschnappen muss, um sie alle auf einmal zu verschlingen. Nicht gerade sanft schnüffelt die riesige Nase nun an Kagome herum, während die junge Frau mit klopfendem Herzen versucht sich so wenig wie möglich zu bewegen. Dann plötzlich entfährt den großen Nasenlöchern ein heftiges Niesen, das das Mädchen prompt von den Füßen holt. Inu Yasha zuckt unruhig zusammen dabei.

„Eine Miko!“, ertönt das kritische Knurren in der Kehle der Dämonenhündin, „Den Geruch erkenne ich doch unter tausenden! Und wen haben wir hier?“ Nun wendet sich die große Schnauze Kohaku zu. Auch er lässt die eingehende Untersuchung reglos über sich ergehen. „Ein Dämonenjäger?“, nun klingt die Hündin doch etwas verwundert. „Dein Anliegen scheint dir ja wirklich viel zu bedeuten, kleiner Prinz, wenn du auch noch solche Verstärkung mitbringst.“

„Dies sind die Begleiter, meines Halbbruders“, erklärt Sesshomaru ruhig, „Sie leisten ihm lediglich Gesellschaft.“

„Nun, mir soll es egal sein“, meint die alte Youkai abfällig, „Und wer fehlt nun noch?“ Nun wendet sie ihre funkelnden Augen Rin zu und Inu Yasha bemerkt mit einer gewissen Befriedigung, dass sich die Haltung seines Bruder ein wenig anspannt.

Neugierig beschnüffelt die riesige Dämonin das Mädchen, das unter dem warmen Atem, der ihr durchs Haar und die Kleider pustet, unwillkürlich glucksen muss. Ein wenig belustigt hebt die Youkai nun den Kopf. „Es ist schon lange her, dass ich Kinderlachen gehört habe, fast schon zu lange. Wer ist dieses Kind?“

Zu Inu Yashas Überraschung tritt nun Sesshomaru vor. „Sie ist meine Tochter“, sagt er fest.

Die Hündin hebt ihre mächtigen Brauen. Noch einmal senkt sie den Blick und beginnt an Rin zu schnüffeln die davon umgepustet wird und nun kichernd am Boden liegt. Verwundert beendet die Youkai ihre Inspektion. „Sie ist ein Mensch, ich bin mir sicher.“

„Ich habe sie adoptiert!“, stellt Sesshomaru ernst klar.

Einen Moment lang hält die mächtige Hündin inne, doch dann lässt sie sich bequem auf dem Gras nieder und wendet sich der Gruppe gelassen zu. „In Ordnung!“, verkündet die tiefe Stimme gemütlich, „Mein Interesse ist geweckt. Scheinbar habe ich einiges versäumt in der vergangenen Zeit. Du darfst dein Anliegen vorbringen, kleiner Prinz.“

„Habt Dank, Kamukiku-sama!“, sagt Sesshomaru höflich. „Ich bin gerne bereit Euch ausführlich zu berichten, wie es dazu kam, doch dies ist eine Geschichte, die es wert ist, vollständig erzählt zu werden, und im Augenblick bin zu sehr in Eile, um ihr gerecht zu werden.“

„Ich werde mit Spannung darauf warten, dass Euch Eure kurzweiligen Probleme nicht mehr länger im Wege stehen“, meint die Youkai ein wenig sarkastisch, doch sie scheint damit einverstanden zu sein. „Worum geht es also?“

„Jemand bedroht unser Reich“, beginnt Sesshomaru ernst, „Ein Youkai in der Gestalt eines Knaben der Energie sammelt indem er unzählige Menschen verschlingt. Er hat mich herausgefordert und will die Herrschaft über unseren Clan übernehmen. Das kann ich nicht tolerieren.“

Die riesige Hündin legt leicht den Kopf schief. „Und welche Hilfe könnte eine alte Frau dir in diesem Fall sein, kleiner Fürst?“

„Wir glauben, dass es sich bei diesem Jungen um einen Inuyoukai aus dem Südclan handelt“, fährt Sesshomaru fort.

„Aus dem Südclan?“, die alte Youkai hebt interessiert den Kopf.

„Ja“, bestätigt Sesshomaru, „Da schon lange nichts mehr von ihnen gehört wurde, sind wir nun bemüht, Informationen über sie zu sammeln, um Mittel zu finden, diesem Youkai Einhalt zu bieten. Kamukiku-sama, was könnt Ihr uns über die Youkai des Südclans erzählen.“

Für einen Moment scheint die mächtige Hündin in Gedanken versunken, dann meint sie: „Der Südclan, was? Ja, in der Tat, das ist eine Geschichte, die es sich lohnt zu erzählen.“ Dann wendet sie sich wieder Sesshomaru zu. „Aber warum bereitet dir das solchen Kummer, kleiner Fürst? Deine Urgroßmutter war meine Schwägerin, in deinen Adern fließt unverdünnt das Blut des Reiseimaru. Jemand von deinem Blut sollte sich doch nicht vor jemandem aus dem Südclan fürchten.“

Nun versteift sich Sesshomaru ein wenig. Doch noch ehe er Antwort geben kann, ergreift jetzt Inu Yasha das Wort. „Soll das heißen, dass die Geschichten, über die 'Bestien aus dem Süden' gar nicht wahr sind? Sind das alles nur Geschichten und die Youkai vom Südclan sind gar nicht so stark?“

Kamukiku wendet sich Inu Yasha zu. „Das habe ich nicht gesagt“, meint sie amüsiert.

„Also stimmt es doch?“, hakt Inu Yasha nach.

Die Youkai räkelt sich einmal behaglich. „Oh ja!“, nickt sie dann mit einer gelassenen Miene. „Sie sind stark! Außerdem unbeherrscht, grausam und wild. Der Clan im Norden unseres Landes, gilt zwar als stark, zäh und aggressiv, doch im Vergleich zum Clan des Südens, sind sie geradezu zivilisiert.“

„Das hat Yaeba auch gesagt“, meldet sich nun auf einmal Rin zu Wort.

Die alte Youkai wendet dem Mädchen den Kopf zu. „Wer soll dieser Yaeba sein?“, fragt sie.

„Er ist jetzt der Fürst des Ostens“, gibt das Mädchen folgsam Auskunft, „Wir hatten früher mal mit ihm zu tun und er hat uns diese Geschichte erzählt.“

„Ja, diese Geschichte ist weit verbreitet“, nickt Kamukiku, „aber die wenigstens, die heute noch leben, kennen die ganze Geschichte.“

„Kennt Ihr sie?“, fragt Rin nun neugierig.

„Oh ja!“, schmunzelt die alte Youkai.

„Könnt Ihr sie uns erzählen?“, fragt Rin mit großen Augen.

„Nicht so hastig!“, wehrt Kamukiku ab, „Zunächst möchte ich, dass der kleine Fürst meine Frage beantwortet.“ Mit einem Schmunzeln um die gewaltigen Mundwinkel neigt sie den Kopf wieder hinunter zu Sesshomaru. „Glaub nicht, ich würde mich so leicht ablenken lassen.“

„Das war nicht meine Absicht“, entgegnet Sesshomaru ausdruckslos, doch sein Blick weicht der großen Hündin aus.

„Also, was ist es, das dich an diesem Youkai so beunruhigt?“, fragt Kamukiku erneut.

Sesshomaru zögert einen Moment, doch dann sagt er: „Ich habe bereits einmal gegen ihn gekämpft und er hat mich besiegt.“

Nun bettet die alte Youkai ihren Kopf auf ihre Pfoten. „Dachte ich es mir doch. Du kannst einer alten Frau nichts vormachen, kleiner Welpe. Das wird deinem Stolz nicht gutgetan haben.“

Nun zum ersten Mal zeigt der Daiyoukai eine Reaktion. Energisch tritt er vor. „Mein Stolz ist in dieser Situation völlig nebensächlich!“, stellt er aufgebracht klar, „Dies ist mein Reich und mein Volk und ich beabsichtige es zu schützen! Ich werde nicht zulassen, dass irgendein übermütiger Knabe aus dem Süden mir meinen Titel und meinen Namen streitig macht.“

Nun werden die Augen der alten Hündin schmal. „Du glaubst also wirklich, dass es ein Youkai des Südclans war, der einen mächtigen Daiyoukai wie dich besiegt hat? Beschreibe ihn mir!“

„Er sah aus wie ein Knabe von etwa zehn Jahren und er hatte rote Augen und schwarze Haare.“

„Verzeihung, Sesshomaru-sama“, meldet sich nun Kohaku vorsichtig zu Wort, „Ich bin diesem Youkai bisher zwei mal begegnet. Ich weiß nicht warum er mich verschont hat, aber beide Male sah er unterschiedlich aus. Beim ersten Mal war er noch ein Kind, etwa sechs Jahre alt. Bei unserer zweiten Begegnung hätte ich ihn ungefähr auf zwölf geschätzt. Er wächst also.“

„Vermutlich kommt das von den ganzen Menschen, die er frisst“, stellt Inu Yasha die Vermutung an.

Nun hebt die alte Hündin die Brauen. „Wie ist sein Name?“, fragt sie.

„Er nannte sich Katsuken“, antwortet Sesshomaru.

„Ich dachte er hätte vor, sich auch Sesshomaru zu nennen“, wirft Rin ein wenig irritiert ein, „Kohaku sagte doch, er hätte das behauptet.“

Auf einmal hebt die gewaltige Dämonenhündin den Kopf. „Wie nannte er sich, sagtest du, Kind?“, wendet sie sich mit lauter Stimme an Rin.

Ein wenig eingeschüchtert blickt das Mädchen zu der riesigen Hündin hoch. „Er sagte, er nennt sich Sesshomaru, nicht wahr Kohaku?“, ihr fragender Blick zu dem jungen Mann hinüber. Der Dämonenjäger nickt.

Für einen langen Moment scheint die alte Youkai tief in Gedanken versunken, doch dann richtet sie sich auf und nimmt auf ihren Hinterpfoten Platz. Mit ernster Miene wendet sie sich nun dem Daiyoukai zu. „Sesshomaru, was?“, murmelt sie und dann sagt sie laut an die kleine Gruppe gewandt, „Wenn das wirklich stimmt, dann habt ihr ein viel größeres Problem, als ihr bisher angenommen habt!“

Die Prophezeiung

„Was soll das bedeuten?“, stellt Inu Yasha die beunruhigte Frage, „Wer ist dieser Kerl?“

Die alte Hündin blickt würdevoll auf ihn herab. „Das ist eine lange Geschichte und eine sehr spannende noch dazu.“ Sie wendet Sesshomaru den Kopf zu. „Dein Vater konnte sie gar nicht oft genug hören“, meint sie mit einem leichten Schmunzeln, „Als kleiner Junge kam er mich häufig besuchen, damit ich sie ihm erzähle.“

„Vater kannte die Geschichte?“, nun zeigt sich doch leichte Verwunderung im Gesicht des Daiyoukais ab.

„Dein Vater kannte die ganze Geschichte“, bestätigt die Riesenhündin, „Sogar als junger Mann kam er noch immer gern vorbei, um sie zu hören. Er verstand es ziemlich gut mir zu schmeicheln“, sie lächelt gedankenversunken.

„Was ist das für eine Geschichte?“, will Sesshomaru wissen.

„Es ist nichts weniger als die Geschichte unseres Volkes“, antwortet die alte Dämonin würdevoll.

„Ich kenne die Geschichte“, behauptet Sesshomaru etwas unwirsch, „Darin kommt niemand vor, auf den diese Beschreibung passt.“

Nun kommt die gewaltige Schnauze der Youkai wieder gefährlich nah an ihn heran. „Weil du nur die verstümmelte Version kennst, die sich unter den Leuten deines Clans verbreitet hat. Die ursprüngliche Geschichte geht noch um einiges weiter.“

„Warum wurde sie nicht vollständig weitergegeben?“, diesmal meldet sich Kagome behutsam zu Wort.

Kamukiku schnaubt verdrießlich. „Weil die Führer unserer Völker Dummköpfe sind! Aus Feigheit und Stolz haben sie beschlossen, dass die Geschichte sich niemals verbreiten dürfte und sie haben verboten, sie irgendjemandem zu erzählen.“

„Warum?“, fragt Inu Yasha nun, „Was ist denn so schlimm daran? Weshalb wollten sie denn nicht, dass man davon erfährt?“

Die alte Youkai wendet dem Hanyou den Kopf zu. „Wegen der Prophezeiung!“, erklärt sie ernst.

„Was für eine Prophezeiung?“, fragt der Hanyou irritiert.

Nun mustert die riesige Hündin die kleine Gruppe vor sich eingehend. Schließlich sagt sie: „Ich vermute, ihr habt schon einmal das geflügelte Wort gehört, dass Youkaikinder, die aus Liebe gezeugt wurden, nichts taugen.“ Verhaltenes Nicken ist die Folge. „Nun“, fährt die Riesenhündin herablassend fort, „dieses Gerücht wurde nur in Umlauf gebracht, um von der Prophezeiung abzulenken.“

„Aber wieso?“, fragt Kagome verwundert.

„Ich schätze, damit niemals jemand auf die Idee kommt, sich eines Gefühls wegen fortzupflanzen“, meint Kamukiku verächtlich, „Törichte Narren! Als wenn man so was damit verhindern könnte. Auch trotz dieser Gerüchte, kommt es selbst heute immer noch gelegentlich vor.“

„Aber warum das alles?“, fragt Kagome weiter, „Was sagt denn die Prophezeiung?“

Nun hebt die riesigen Hündin erhaben den Kopf. „Sie besagt, dass die drei Clans des Ostens, des Westens und des Nordens für alle Zeit dazu verdammt sind, miteinander in Feindschaft zu leben. Lediglich der Clan des Südens wird die drei kämpfenden Clans ihrer Fehde überlassen und auf den Tag des Friedens warten. Vorher wird er keinen ihrer Kämpfer in seinem Reich dulden. Erst das Kind eines Fürsten dieser Clans, aus Liebe gezeugt, wird in der Lage sein, die Zwietracht zu beenden und die drei Völker wieder zu vereinen. Dieses Kind wird gehasst und verachtet werden, doch es wird Stärke besitzen und die Fähigkeit, selbst Gegner für sich zu gewinnen. Bei den Fürsten jedes Clans wird es Zuneigung finden und es wird die Clans untrennbar miteinander verbinden. Erst dann, wird sich auch der Clan des Südens ihnen wieder anschließen.“

Nach diesen Worten herrscht eine Weile Schweigen. Schließlich meldet sich Kagome zu Wort. „Aber warum soll niemand davon wissen? Wäre es nicht gut, wenn die Clans sich wieder versöhnen würden?“

Nachsichtig wendet Kamukiku sich ihr zu. „Du bist ein Mensch, du verstehst das nicht.“

„Ich verstehe es auch nicht“, ergreift nun Inu Yasha für seine Freundin Partei, „Warum wollten sie nicht, dass es zum Frieden kommt? Wer hat diese blödsinnige Idee überhaupt gehabt?“

Amüsiert schmunzelt die alte Dämonin. „Es waren die Drei Brüder die diesen Entschluss gefasst haben. Von denen hast du vielleicht schon gehört, kleiner Hanyou.“

„Das waren die drei ersten Fürsten der drei Clans“, bestätigt Inu Yasha, „Aber warum wollten sie nicht dass man davon erfährt?“

„Ganz einfach!“, meint Kamukiku, „Weil sie sich gehasst haben. Sie wollten nichts mit den anderen zu tun haben. Sie wollten keinen Frieden.“

Inu Yasha schnaubt auf. „Das muss doch inzwischen schon ewig her sein. Vielleicht denken die Leute der Clans heute ja anders darüber.“

Die riesige Hündin legt sinnend den Kopf schief. „Vielleicht magst du recht haben, kleiner Hanyou. Wenn ich höre, dass der Fürst des Ostclans euch diese Geschichte erzählt hat, ist die Feindschaft zwischen den Clans womöglich nicht mehr ganz so stark. Wer weiß, vielleicht naht tatsächlich langsam die Zeit der Vereinigung. Ihr kennt nun die Prophezeiung. Geht weise mit ihr um!“

„Aber warum streiten sich die drei Clans überhaupt?“, fragt nun Rin neugierig.

Kamukiku wendet ihr den mächtigen Kopf zu. „Das ist Teil der Geschichte.“

„Erzähl sie uns!“, fordert Inu Yasha sie auf.

„Nein!“, meint die alte Hündin entschieden, „Es ist noch nicht die richtige Zeit dafür.“

Nun tritt Sesshomaru einen Schritt vor. Eindringlich blickt er die alte Youkai an. „Kamukiku-sama, ich muss wissen wer dieser Youkai ist. Ich ersuche Euch, sagt es mir!“

Ernst wendet die mächtige Hündin ihm den Kopf zu. „Nein! Ich erwarte zuerst eine Gegenleistung.“

„Was verlangt Ihr, Kamukiku-sama?“, fragt Sesshomaru.

Die alte Youkai erhebt sich nun. „Bringt in Erfahrung, wer das Kind in dieser Prophezeiung ist, dann werde ich euch mehr erzählen.“ Mit diesen Worten wendet sie sich zum Gehen und ohne sich noch einmal umzusehen, verschwindet sie hinter den mächtigen Bäumen.

„Hey, Moment mal!“, ruft Inu Yasha ihr nach. „Das könnte Jahre dauern. So viel Zeit haben wir nicht.“

„Zwecklos“, bemerkt Sesshomaru ungerührt, „Sie wird sich nicht umstimmen lassen.“

„Und dabei willst du es belassen?“, empört sich der Hanyou. „Sie kann uns doch nicht einfach das Wichtigste verschweigen und dann einfach abhauen.“

„Finde dich damit ab!“, gibt Sesshomaru nachdrücklich zurück.

„Und was jetzt?“, fragt Inu Yasha aufgebracht.

„Wir kehren zurück und berichten dem Rat von der Prophezeiung“, antwortet Sesshomaru und dann wendet auch er sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen und strebt dem Ausgang des Waldes zu. Kopfschüttelnd folgt Inu Yasha seinem Bruder und gemeinsam macht sich die kleine Gruppe auf den Heimweg.
 

Die Sonne hat längst den Zenit überschritten, als der Palast des Westens wieder in Sichtweite kommt. Auch wenn der Fürst des Westens während des ganzen Weges kein Wort fallengelassen hat, so hat das Inu Yasha und Kagome nicht daran gehindert, gemeinsam mit Kohaku und Rin, eigene Überlegungen anzustellen.

„Da die Clans noch immer getrennt sind, kann sich die Prophezeiung noch nicht erfüllt haben“, meint Kohaku nachdenklich. „Wenn es nicht die aktuellen Fürsten sind, dann müsste es also jemand sein, der noch gar nicht geboren ist.“ Der junge Dämonenjäger runzelt die Stirn. „Ich glaube nicht, dass wir so lange warten können.“

„Vielleicht sollten wir noch einmal versuchen, mit Kamukiku-baba zu reden“, meint Rin, „Sie war doch eigentlich ganz nett. Sie hat selbst gesagt, dass Sesshomaru-samas Vater ihr einfach immer solange geschmeichelt hat, bis sie ihm die Geschichte erzählt hat. Vielleicht können wir sie ja überreden.“

„Ich glaube, das wird nicht gehen“, meint Kagome, „Vermutlich war es sowieso nur ein großer Zufall, dass wir sie dort getroffen haben. Sicher ist sie längst über alle Berge. So schnell finden wir sie sicher nicht wieder.“

„Außerdem, was willst du ihr sagen?“, brummt Inu Yasha, „Wie seidig ihr Fell ist? Wenn sie auch nur halb so stur ist wie Sesshomaru... sagt“, fügt er rasch mit einem flüchtigen Blick auf seinen Bruder hinzu, „dann bekommen wir bestimmt kein einziges Wort aus ihr heraus.“

„Vielleicht gibt es ja auch noch jemanden anders, der die ganze Geschichte kennt“, überlegt Rin.

„Möglicherweise kennt Yaeba sie ja“, stellt Kagome die Vermutung an. Er ist schließlich auch schon ziemlich alt.“

„Wenn er sie kennen würde, meinst du nicht, er hätte sie uns längst erzählt, an dem Abend damals?“, gibt Inu Yasha zu bedenken.

„Wer weiß“, meint Kagome, „Vielleicht hat er sie ja absichtlich verheimlicht.“

„Warum sollte er?“, meint Inu Yasha skeptisch.

„Keine Ahnung!“, zuckt Kagome mit den Achseln, „Vielleicht war er auch der Meinung, dass die Geschichte nicht an die Öffentlichkeit kommen sollte. Man müsste ihn fragen.“

„Du willst allen Ernstes zum Fürsten des Ostclans gehen und ihn bitten, dir ein Märchen zu erzählen?“, fragt Inu Yasha ungläubig.

„Fällt dir etwas Besseres ein?“, gibt Kagome zurück, „Ich wüsste jedenfalls nicht, wie wir sonst so schnell an die Informationen in der Geschichte kommen können. Einen Versuch ist es doch wert.“

„Wir können nicht einfach ohne Erlaubnis in das Gebiet des Ostclans gehen“, bemerkt Inu Yasha energisch, „Du weißt doch sicher noch, was beim letzten Mal passiert ist, als irgendwelche Typen ungefragt über die Grenze gegangen sind.“

Kagome verzieht das Gesicht. „Schon, aber das ist ein Notfall. Ich finde sowieso, dass man die anderen Clans auch über die Situation informieren sollte. Ich glaube nämlich nicht, dass dieser Youkai so freundlich ist und nur hier bei uns bleibt.“

„Kann man sich die Erlaubnis nicht einfach irgendwie holen?“, fragt nun Rin dazwischen.

„Das musst du deinen Vater fragen“, wendet sich Inu Yasha an das Mädchen. Irgendwie macht es ihm eine diebische Freude, seinem Bruder dessen Entscheidung, bezüglich des Mädchens damals, ein bisschen unter die Nase zu reiben.

„Kann ich gerne machen“, meint Rin unverblümt. „Aber nicht jetzt. Jetzt ist er grade mit anderen Sachen beschäftigt und will nicht gestört werden.“, fügt sie etwas leiser hinzu.

„Woher weißt du das?“, fragt Kagome verwundert.

Das Mädchen wirft der jungen Frau einen skeptischen Blick zu. „Ich bin lange genug mit ihm unterwegs gewesen, ich kenne diesen Blick. Am besten man spricht ihn erst mal nicht an.“

„Na, wenn du meinst“, lenkt Kagome ein, „ Aber vielleicht sollten wir ihn wirklich fragen, wie man um eine Audienz beim Ostfürsten bittet. Eine andere Möglichkeit fällt mir gerade auch nicht ein, an die Geschichte zu kommen, solange wir keine Ahnung haben, von welchem Fürstenkind diese Prophezeiung spricht.“

Auf einmal stutzt sie und bleibt unwillkürlich stehen. Ihre Augen weiten sich.

„Was ist?“, fragt Inu Yasha verwundert.

Die junge Frau scheint ihn zunächst gar nicht zu hörten, doch dann blickt sie auf. Sie sieht ziemlich nervös aus. „Ich glaub, mir ist da gerade was eingefallen“, murmelt sie.

„Und was?“, will Inu Yasha ungeduldig wissen.

Nun kommt wieder Bewegung in die junge Miko und mit durchdringendem Blick starrt sie ihren Hanyoufreund an und schließt wieder zu ihm auf.

„Inu Yasha“, meint sie bedeutsam, „Ist dir schon der Gedanke gekommen, dass die Prophezeiung vielleicht... dich meint?“

Der Hanyou reißt entgeistert die Augen auf. „Was mich? Wie in aller Welt kommst du denn auf diese Schnapsidee?“

„Na ja, es wäre doch irgendwie logisch, oder nicht? Du bist ein Fürstenkind und na ja, ich glaube es gibt wohl wenig Zweifel daran, dass du“, sie räuspert sich einmal verlegen, „aus Liebe gezeugt wurdest.“

Völlig baff starrt Inu Yasha seine Freundin an. Er bemerkt nicht, dass sich Sesshomarus Schritte ein wenig verlangsamen.

„Aber... das ist doch Blödsinn!“, stammelt er verdattert, „Ich bin ein Hanyou, kein richtiger Youkai.“

„Die Prophezeiung sagt nichts von einem Youkai“, wendet Kagome ein, „Nur von dem Kind eines Fürsten, und dein Vater war doch ein Fürst.“

„Ja, schon“, wehrt sich Inu Yasha, „Aber was ist mit den ganzen anderen Sachen?“

Die junge Frau legt nachdenklich den Kopf schief. „Mal überlegen. Hass und Verachtung wirst du wohl schon erlebt haben, nehme ich an.“

Inu Yashas Miene wird augenblicklich hart. Düster blickt er zu Boden. „Wer hat das nicht“, sagt er bitter.

„Und stark bist du auf jeden Fall“, lenkt Kagome das Gespräch rasch wieder in angenehmere Bahnen.

„Aber spätestens bei der Zuneigung bei den Fürsten, hört es auf“, brummt Inu Yasha verstimmt.

„Muss gar nicht sein“, entgegnet Kagome. „Ich glaube Yaeba hält eigentlich große Stücke auf dich. Zumindest war er damals ziemlich beeindruckt von deinem Kampfeinsatz. Und Yarinuyuki hat sogar gesagt, dass sie dich ganz gut leiden kann.“

„Womit wir dann beim eigentlichen Problem wären“, meint Inu Yasha schief und weist unauffällig in Sesshomarus Richtung.

Kagome folgt seinem Blick, doch dann meint sie: „Vielleicht täuschst du dich da in ihm. Ich finde, er verhält sich dir gegenüber längst nicht mehr so abweisend wie früher. Ich finde du solltest der Idee eine Chance geben.“

„Und ich finde, wir sollten das Thema nicht unbedingt in seiner Gegenwart besprechen“, zischt Inu Yasha beschwörend, „Ich weiß genau, dass er jedes Wort belauscht, das wir hier reden.“

„Ist dir das etwa unangenehm?“, fragt Kagome, arglos.

Ja, verdammt!“, quetscht Inu Yasha grimmig hervor, „Ich will nicht über ihn reden, wenn er direkt daneben steht! Wer weiß, wie er das wieder auffasst.“

„Ist ja richtig“, gibt Kagome zu, „Wir können das ja auch nachher besprechen, vielleicht haben wir vor dem nächsten Treffen des Rates ja noch Gelegenheit dazu.“

Bei diesen Worten hat die kleine Reisegruppe das Tor zum Palast erreicht und wie sie feststellen, werden sie bereits sehnsüchtig erwartet.

„Sesshomaru-sama!“, vernimmt man die aufgelösten Rufe von dem kleinen Krötenyoukai Jaken, der seinen Herrn aufgeregt am Tor empfängt. „Ihr seid ohne mich fortgegangen!“, jammert der kleine Diener Sesshomarus, „Und das, wo ich hören musste, dass Ihr so schwer verletzt wurdet. Ich hätte Euch doch beistehen müssen. Ich hätte... Sesshomaru-sama!“

Der Daiyoukai ist ohne ein Wort an dem kleinen Youkai vorbeigerauscht.

„Lass es gut sein, Jaken-sama!“, vernimmt er nun hinter sich eine helle Stimme.

Sofort dreht er sich um. „Rin!“, ruft er erstaunt, „Was machst du denn hier?“

Leichtfüßig schwingt sich das Mädchen von Kiraras Rücken. „Ich hab Kohaku-kun hierher gebracht“, erklärt sie.

„Und jetzt werde ich auch wieder gehen“, meint Kohaku ernst.

Sofort dreht das Mädchen sich zu ihm um. „Nein, Kohaku-kun, du musst bleiben!“

„Ich habe Sesshomaru alles ausgerichtet was ich sollte“, wendet er ein, „Das hier ist ein Dämonenschloss, ich glaube nicht, dass sie begeistert sind, mich hierzuhaben.“

„Aber Kagome-sama lassen sie auch hier rein und sie ist eine Miko“, widerspricht Rin eigensinnig.

Der junge Dämonenjäger verzieht das Gesicht. „Kagome begleitet Inu Yasha und er ist Sesshomarus Bruder. Einem Fürstensohn werden sie wohl kaum widersprechen.“

„Na und?“, verschränkt Rin trotzig die Arme, „Ich bin Sesshomarus Tochter und ich entscheide eben, dass du mich begleitest. Einer Fürstentochter werden sie dann wohl auch nicht widersprechen.“

„Lieber Himmel!“, verdreht Kohaku die Augen, „Rin, bitte, ich kann nicht bleiben. Ich muss Sango und Miroku von der Sache erzählen. Wenn sie nicht wissen was vor sich geht, bringt sie das womöglich in Gefahr.“

„Dann bleib wenigstens noch solange, bis Sesshomaru-sama auf dem Rat heute Abend war. Vorher weißt du ja doch nicht, was nun passieren wird. Außerdem wird es bald dunkel und... ich habe langsam wirklich Hunger.“

Bei diesen Worten meldet sich auch Kagomes Magen ungefragt zu Wort und ihr wird schmerzlich bewusst, dass sie heute ohne jedes Frühstück das Schloss verlassen hat, und dass das Mittagessen ohne sie auch schon eine Weile her ist. In den vergangenen Stunden haben ihre Grübeleien sie ein wenig davon abgelenkt, doch Rins Worte haben die Erinnerung daran zurückgeholt.

„Ich glaube, Rin hat recht“, meint Kagome mit knurrendem Magen, „Auf dem Rat werden sie sicher besprechen, was wir von Kamukiku erfahren haben und vermutlich auch was es mit der Prophezeiung auf sich hat. Zumindest so lange bis sie etwas entschieden haben, solltest du noch bleiben. Ihr seid die ganze Nacht hindurch geflogen und du bist noch immer verletzt. Du solltest dich etwas erholen. Ich könnte auch erst mal eine kleine Stärkung gebrauchen, mein Magen schlackert mir schon in der Kniekehle.“

In diesem Moment bleibt Sesshomaru, der bereits ein ganzes Stück vorausgegangen ist, stehen. „Jaken!“, sagt er, „Du wirst dich um eine angemessene Unterkunft und Mahlzeit für die Menschen kümmern.“ Dann blickt er Inu Yasha an. „Du kommst mit mir!“

Zunächst ist der kleine, grüne Youkai ziemlich baff, doch auch wenn er sich Schöneres vorstellen kann, als den Hausdiener für ein paar Menschen zu spielen, so liegt es ihm fern, seinem Herrn zu widersprechen. Mit einem miesepetrigen Gesicht winkt er Kagome, Rin und Kohaku, ihm zu folgen. Notgedrungen fügt sich der junge Dämonenjäger, denn gerade in diesem Moment nimmt ihm der heftige Schmerz in seinem Brustkorb wieder die Luft und er kapituliert. Bis morgen wird er sich Ruhe gönnen. Kagome wirft Inu Yasha noch einmal einen durchdringenden Blick zu, doch dann folgt auch sie dem kleinen Diener Sesshomarus und ist kurz darauf hinter ein paar Häusern verschwunden.

Argwöhnisch wendet sich Inu Yasha seinem Bruder zu. „Und wo gehen wir jetzt hin?“, fragt er.

„Wir suchen den Rat auf“, erklärt Sesshomaru knapp.

„Jetzt schon?“, wundert sich Inu Yasha, „Wir sind doch gerade erst gekommen. Müssen wir sie nicht erst zusammenrufen, oder so?“

„Ich habe Anweisung gegeben, die Ratsmitglieder sofort zu informieren, sobald ich zurückkehre. Inzwischen sollte die Information sie erreicht haben“, lässt sich Sesshomaru zu einer Erklärung herab.

„Und du meinst, die parieren so einfach?“, meint Inu Yasha skeptisch, während er zu den raschen Schritten seines Bruders aufschließt.

„Ich will es doch hoffen“, entgegnet Sesshomaru ungerührt, „Ich bin ihr Fürst und sie sind mir Gehorsam schuldig.“

„Davon war gestern aber nicht viel zu merken“, meint Inu Yasha trocken.

Der Daiyoukai presst leicht die Lippen aufeinander. „Das ist... kompliziert“, bemerkt er schließlich, „Dabei geht es um Politik.“

„Ach, und du meinst, das versteh ich wieder nicht“, fühlt sich Inu Yasha herausgefordert.

„Das nicht!“, entgegnet der Youkaifürst, „Doch ich habe im Augenblick nicht die Zeit, es dir zu erklären.“

Inu Yasha verzieht das Gesicht. „Von mir aus. Aber ich komme darauf zurück, verlass dich drauf!“

Nun senkt Sesshomaru den Blick und Inu Yasha bemerkt, dass der Daiyoukai die Kiefer fest aufeinandergebissen hat. „Das tue ich!“, murmelt er leise und dann ist kein weiteres Wort mehr aus ihm herauszubringen.
 

Mit leichten, grazilen Sprüngen bewegt sich der schwarzhaarige Junge durch den Wald. Unablässig durchforschen seine Sinne die Umgebung und je länger er läuft um so mehr legt sich seine Stirn in Falten.

Das kann doch gar nicht sein! Schon seit längerem ist er auf keine Siedlung mehr getroffen. Kann es wirklich sein, dass dieser Landstrich so unbewohnt ist? Hinter seiner Stirn arbeitet es. Die Dörfer die er bereits gefressen hat, waren nicht sonderlich groß. Wie hoch sind die Chancen, dass sie völlig ohne Verbindung zu einer größeren Stadt bestehen können? Das ist alles sehr verwunderlich. Und ärgerlich. Er hat noch nicht einmal die Hälfte der benötigten Energie gesammelt. Wie soll ihm das gelingen, wenn er niemanden mehr findet, den er verschlingen kann?

Scheinbar hat er in den vergangenen Jahren, oder waren es vielleicht sogar Jahrhunderte, einiges verpasst. Es wäre vielleicht sinnvoll, sich einen Überblick zu verschaffen, was inzwischen alles passiert ist. Die Frage ist nur, wen soll er fragen?

Allerdings meldet sich schon wieder sein Hunger. Verdammt, dieser elende Vulkan! In ihm zu überleben, hat ihn fast seine gesamten Reserven gekostet. Und nun quält ihn der Verlust mit einem abartigen Heißhunger auf Menschenfleisch. Diese niedere Energiequelle ist eigentlich unter seiner Würde, aber in seinem geschwächten Zustand muss er sich wohl erst mal mit leichterer Kost begnügen. Zum Glück fehlt nicht mehr viel und er kann zu festerer Nahrung übergehen. Wenn er doch bloß noch ein paar von diesen winselnden Menschenkreaturen finden könnte. Doch die ganze Gegend scheint wie leergefegt zu sein. Irgendetwas ist hier faul!

Wer weiß, vielleicht hat das etwas mit diesem eigenartigen Fürsten zu tun. Sein Geruch war ihm völlig fremd, obwohl er zweifelsfrei ein Inuyoukai war. Der Junge schnaubt verächtlich auf. Und so etwas nennt sich wirklich Fürst! Es lässt ihm einfach keine Ruhe. Wenn die anderen auch so schwach sind, dann sollte es gar kein Problem sein, sein Ziel zu erreichen.

Eigentlich könnte er das ja mal in Erfahrung bringen. Hier ist sowieso nichts mehr zu holen für ihn. Vielleicht ist ja der Norden etwas stärker besiedelt. Mit einer geschmeidigen Wendung macht er kehrt und schlägt nun den Weg in Richtung Norden ein. Ein leichtes Lächeln legt sich um seine Lippen. Hoffentlich bietet sich ihm dort wenigstens mal eine Herausforderung.

Die Entscheidung des Fürsten

Wie Sesshomaru schon angekündigt hat, warten die Ratsmitglieder bereits als er zusammen mit seinem Bruder den Raum betritt. Erwartungsvolle, wenn auch skeptische Blicke begegnen den beiden. Doch der Daiyoukai ignoriert das geflissentlich und nimmt auf seinem Sitzkissen Platz, der Hanyou tut es ihm gleich.

„Willkommen zurück, Sesshomaru-sama!“, ergreift nun Kagemori das Wort, „Da Ihr so rasch wieder hier seid, gehe ich davon aus, dass Ihr Erfolg hattet.“

Sesshomarus Gesicht ist ausdruckslos. „Ihr folgert richtig, Kagemori-sama“, sagt er, „Ich konnte einige Neuigkeiten in Erfahrung bringen. Allerdings nicht zu meiner Beruhigung.“

„Was meint Ihr damit?“, fragt Matsuba.

„Ich erhielt eine Nachricht von diesem Youkai“, erklärt Sesshomaru, „Er ließ mir mitteilen, dass er etwas, das vermeintlich ihm gehöre, für sich beanspruche und bald kommen würde, um es sich zu holen.“

Erstaunt schauen sich die Ratsmitglieder an. „Ihr wollt sagen, er hat Euch noch einmal herausgefordert?“, meint Gaikotsu ungläubig, „Er ist auf das Reich aus, ist es das, was Ihr sagen wollt?“

„Das bedeutet also, er wird schon bald hier auftauchen und wir werden uns direkt mit ihm befassen müssen“, stellt Takarakanshu fest.

„Also ist die Eroberung des Reiches sein Ziel“, wiederholt Yuugure nachdenklich, „Zumindest ist diese Frage nun geklärt.

„Das macht es aber nicht sonderlich besser“, fällt ihm Gaikotsu ins Wort, „Da Sesshomaru-sama bereits einmal gegen ihn unterlag, sollten wir nicht damit rechnen, dass die Angelegenheit mit einem einfachen Duell geklärt sein wird. Dies könnte sich leicht zu einer Schlacht entwickeln.“

Inu Yasha bemerkt, dass sein Bruder die Hände zur Faust geballt hat, aber keinen Ton sagt. Mit starrer Miene verfolgt er das Gespräch der aufgebrachten Youkai.

„Und wer hat Euch diese dreiste Nachricht übermittelt?“, stellt nun Matsuba die Frage, „Hat er nun schon Verbündete gefunden? Oder wer könnte sonst eine Begegnung mit ihm überleben, wenn er wirklich so gefährlich ist?“

Nun meldet sich Takarakanshu wieder zu Wort. „Ich nehme an, es war dieser junge Dämonenjäger, der gemeinsam mit Eurer Adoptivtochter Einlass in das Gebiet um den Palast gefordert hat. Ich wüsste sonst keinen anderen Grund dafür, weshalb sie in dieser Situation hier erscheinen würden.“

Gaikotsus Miene verzieht sich missmutig. „Was? Sie ist schon wieder hier? Das wird ja immer besser! Aber warum sollte so ein mächtiger Youkai gerade zwei schwächliche Menschen auswählen, um eine solch bedeutsame Nachricht zu übermitteln? Ein Mensch dürfte eine Begegnung mit ihm wohl kaum überlebt haben. Lächerlich zu behaupten, er würde in seinem Auftrag kommen. Ich würde den Worten dieses Menschen keinerlei Glauben schenken.“

„Ich stimme Gaikotsu-sama zu“, nickt Matsuba, „Warum sollte dieser Youkai einen Menschen mit einer Nachricht an Euch betrauen? Er muss doch annehmen, dass diese Nachricht Euch niemals erreicht.“

Sesshomaru hebt ernst den Blick. „Der Junge ist mir bekannt. Er ist eine Zeit lang mit mir gereist. Ich nehme an, dass er das diesem Katsuken mitgeteilt hat und er ihn deshalb mit dieser Aufgabe betraut hat.“

„Selbst wenn das stimmen sollte“, bemerkt nun Yuugure, „dieser Katsuken, wird kaum in der Lage gewesen sein, zu überprüfen, ob das stimmt. Nach allgemeinem Verständnis wird er eher angenommen haben, dass der Mensch ihn anlügt. Wenn er ihn dennoch mit dieser Nachricht beauftragt hat, kann das nur bedeuten, dass es ihm gleich ist, ob Ihr sie erfahrt oder nicht. Das wiederum lässt den Schluss zu, dass diese Nachricht entweder eine Lüge ist, oder er so von seiner Stärke überzeugt ist, dass es ihm unwichtig ist, ob Ihr Euch auf einen Kampf vorbereitet oder nicht.“

„Die Frage ist, ob er tatsächlich so stark ist, wie behauptet.“, meint Gaikotsu.

„Zumindest dieser Katsuken scheint das zu glauben“, wendet Hiroshi ein.

„Oder es ist einfach eine List!“, gibt Matsuba zu bedenken.

„Mit anderen Worten“, verschränkt Gaikotsu die Arme, „Wir sind genau so schlau wie vorher.“

Nun ergreift Kagemori wieder das Wort. „Ich stimme zu, dass diese Nachricht mit Skepsis zu betrachten ist.“ Er wendet sich wieder an Sesshomaru. „Hattet Ihr denn Erfolg bei Kamukiku-sama? Konntet Ihr mit ihr sprechen?“

„Teilweise“, gibt Sesshomaru zu, „Wir haben Kamukiku-sama getroffen und sie war auch bereit uns anzuhören. So wie es aussieht, scheint sie diesen Youkai tatsächlich zu kennen, allerdings war sie nicht bereit, uns darüber aufzuklären.“

„Das sieht ihr mal wieder ähnlich“, verzieht Gaikotsu das Gesicht, „Die Alte muss sich immer wichtig machen. Habt Ihr ihr nicht deutlich gemacht, wie wichtig diese Information ist?“

Ein kühler Blick fliegt nun von Sesshomaru zu dem alten Youkai hinüber. „Selbstverständlich habe ich das getan, Gaikotsu-sama.“

Nun meldet sich Chitsurao, seinen Fürsten unterstützend, zu Wort. „Ihr wisst doch selbst wie sie ist, Gaikotsu-sama. Argumente haben bei ihr kein Gewicht. Sie entscheidet so etwas aus dem Bauch heraus.“ Der alte Youkai schnaubt verächtlich auf.

„Also habt Ihr gar nichts Brauchbares von ihr erfahren?“, hakt Matsuba nach.

Sesshomaru hebt den Kopf. „Doch, durchaus!“, bemerkt er nüchtern, „Sie meinte, dieser Katsuken käme in einer alten Geschichte vor und sie erzählte von einer Prophezeiung, die dort ebenfalls erwähnt wurde.“

Die Ratsmitglieder blicken verwundert auf. „Was für eine Prophezeiung?“, fragt nun Kagemori kritisch.

Mit knappen Worten gibt Sesshomaru alles wieder, was er von Kamukiku erfahren hat. Während er von der Prophezeiung berichtet, werfen sich die Ratsmitglieder sehr misstrauische Blicke zu.

„Sie sagte, sie wäre gewillt, uns Katsukens Identität zu verraten, wenn wir in Erfahrung bringen, auf wen sich diese Prophezeiung bezieht“, schließt Sesshomaru seinen Bericht ab.

Zunächst sind die würdevollen Youkai einen Moment lang irritiert. Doch dann brechen die Reaktionen aus ihnen heraus.

„Das hat sie sich ja fein ausgedacht!“, platzt Gaikotsu verstimmt heraus, „Als ob wir nicht schon genug Ärger hätten. Jetzt müssen wir uns auch noch mit den Spielchen einer senilen, alten Schachtel abgeben!“

„Wie stellt sie sich das vor?“, meint nun auch Matsuba, „Glaubt sie, wir zaubern diese Person einfach aus der hohlen Hand?“

„Ach, diesem ganzen Märchen kann man doch keinen Glauben schenken!“, behauptet Gaikotsu ärgerlich, „Sie hält uns doch nur zum Narren mit solchen albernen Geschichten. Niemand zuvor hat diese Prophezeiung je gehört. Selbst ich nicht, und ich bin der Älteste hier.“

„Ich stimme Gaikotsu-sama zu“, bemerkt Yuugure ernst, „Diese Geschichte ist einfach nicht glaubwürdig. Die Zwietracht zwischen unseren Völkern beruht wohl kaum auf einer simplen Prophezeiung. Und ebenso wenig lässt sie sich durch irgendeine ominöse Person wieder beilegen. Es liegt mir fern, etwas Schlechtes über Kamukiku-sama zu denken, doch diese Geschichte klingt doch sehr nach einem Märchen.“

„Aber liegt nicht jedem Märchen irgendeine wahre Begebenheit zugrunde?“, wirft nun Hiroshi ein, „Kamukiku-sama ist die älteste unserer Rasse, möglicherweise erinnert sie sich ja doch an die Wahrheit.“

„Und möglicherweise erinnert sie sich auch falsch“, meldet sich nun Takarakanshu zu Wort, „Wer weiß, vielleicht hat sie tatsächlich Geschichte und Wahrheit durcheinander gebracht. Schließlich ist sie schon sehr alt. Möglicherweise spielt ihr ihre Fantasie ihr einen Streich.“

„Oder es macht ihr einfach einen Mordsspaß, uns an der Nase herumzuführen“, meint Gaikotsu giftig, „Sie schert sich doch einen feuchten Kehricht um unsere Belange.

„Ach Unsinn! So war es nicht!“, platzt nun Inu Yasha ungehalten heraus, „Als wir ihr den Youkai beschrieben haben und ihr sagten, dass er sich auch Sesshomaru nennen will, wurde sie ganz ernst und sagte, wenn das stimmt, dann hätten wir größere Probleme, als angenommen. Das klingt nicht danach, als wäre ihr egal was mit uns geschieht.“

„Aber sie hat auch nicht gesagt, wer er in Wirklichkeit ist“, gibt Takarakanshu mit ernstem Gesicht zu bedenken, „Wenn er sogar den Namen seines Gegners für sich beansprucht, kann das nur bedeuten, er beabsichtigt dessen völlige Ausmerzung und die vollständige Übernahme der Macht. Das würde nicht nur eine alte Blutlinie auslöschen, die bis zu unseren frühsten Vorfahren zurückgeht, sondern sicher auch nicht ohne viel Blutvergießen von Statten gehen. Doch offenbar ist das Kamukiku-sama völlig einerlei. Würde sie Anteil an unseren Problemen nehmen, hätte sie uns doch gesagt womit wir es zu tun haben.“

„Sie sagte, es sein noch zu früh für diese Geschichte“, beharrt Inu Yasha verstimmt, „Vielleicht hatte sie ja einen guten Grund damit zu warten. Vielleicht ist diese Prophezeiung ja wirklich wichtig. Sonst hätte sie sie uns wohl kaum verraten und von uns verlangt, dass wir rausbekommen, was sie bedeutet.“

„Sie bedeutet gar nichts!“, erwidert Gaikotsu mit blitzenden Augen, „Es ist ein Märchen! Keine Macht der Welt wäre in der Lage die drei Clans zu vereinen. Die Fehde zwischen ihnen ist viel zu tief und reicht viel zu weit zurück. Wir haben praktisch nichts mehr gemein. Es wird niemals Frieden geben. Das ist nur Wunschdenken, von Träumern und Dummköpfen! Außerdem hat das nicht das Geringste mit unseren momentanen Problemen zu tun. Deshalb finde ich, wir sollten langsam wieder zurück zum Thema kommen und diesen Unsinn besser vergessen.“

Ärgerlich richtet sich Inu Yasha auf. Grimmig funkelt er den alten Youkai an. „Und wenn es kein Unsinn ist? Was ist wenn Kamukiku-baba klüger ist als ihr alle hier? Was wenn dieser Typ viel stärker ist als angenommen? Was ist, wenn wir vielleicht alle drei Clans brauchen um ihn zu besiegen? Vielleicht sollen wir deshalb endlich das Kriegsbeil begraben.“

„Ihr solltet das Westheer nicht unterschätzen, Inu Yasha-ouji!“, meint Yuugure nun ernst, „Unsere Soldaten sind stark. Ein einzelner Youkai hat keine Chance gegen sie, ganz gleich wie stark er ist. Dafür brauchen wir die anderen Clans nicht.“

„Und was, wenn ihr euch irrt?“, gibt Inu Yasha keine Ruhe.

„Ihr könnt beruhigt sein, Inu Yasha-ouji“, versucht nun Chitsurao den Hanyou zu beschwichtigen, „Unsere Krieger wissen was sie tun. Sie werden sich jeder Herausforderung stellen die das Reich bedrohen könnte. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass ein einzelner Youkai eine Gefahr darstellen könnte.“

„Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich!“, meldet sich nun Sesshomaru ruhig zu Wort, „ Mein Bruder hat nicht ganz unrecht. Es ist nicht auszuschließen, dass uns ein harter Kampf bevorsteht. Und...“, fügt er nun ernst hinzu, „es ist ebenfalls nicht auszuschließen, dass dieser Youkai sich nicht nur auf unser Reich beschränkt. Möglicherweise fällt er auch in die anderen Reiche ein. Es wäre ratsam, die anderen Fürsten zu informieren.“

„Weshalb?“, bemerkt nun Matsuba skeptisch, „Das ist doch dann nicht mehr unser Problem, außerdem können wir ja nicht einmal wissen, ob der Youkai nicht womöglich sogar von dort kommt. Vielleicht hat er ja bereits in ihrem Reich gejagt und nun beschlossen zu uns herüberzukommen. Und vielleicht haben sie es auch nicht für nötig gehalten, uns darüber zu informieren.“

„Und vielleicht, hat er ja auch dort schon alles in Schutt und Asche gelegt, ohne ernste Gegenwehr zu erhalten“, wendet Hiroshi nun zynisch ein.

„In beiden Fällen, sollte Kontakt zu den anderen Reichen aufgenommen werden“, bestimmt Kagemori nun, „Wir müssen uns Klarheit darüber verschaffen. Wir können nicht riskieren, dass dieser Youkai womöglich ein Bündnis mit einem der Reiche eingegangen ist.“

„Ach, das ist doch völliger Blödsinn!“, regt sich Inu Yasha auf, „Der Kerl soll gemeinsame Sache mit einem der anderen Fürsten machen? Das ist doch überhaupt nicht ihr Stil. Weder Yarinuyuki noch Yaeba würden sich auf so was einlassen.“

„Und was macht Euch so überzeugt davon, Inu Yasha-ouji?“, vernimmt er nun die strenge Stimme von Kagemori.

„Weil ich die beiden kenne!“, schnappt Inu Yasha grimmig. „Yarinuyuki würde niemals jemanden anderes für sich die Drecksarbeit machen lassen und... Yaomonzurishi hat zu lange unter einem Fürsten gedient, dessen Intrigenspiel ihn schließlich den Kopf gekostet hat, als dass er den selben blöden Fehler begehen würde.“

„Eure Naivität ist wirklich erschreckend, Inu Yasha-ouji“, meint Gaikotsu abfällig, „Bisher konntet Ihr Euch solche Gutgläubigkeit vielleicht erlauben, aber hier geht es um das Wohlergehen eines ganzen Reiches. Der Osten hat immer schon Intrigen gesponnen. Der Clan ist bekannt für seine Verschlagenheit. So ein Verhalten würde ihnen gut zu Gesicht stehen. Und der Nordclan war immer schon auf Macht und Kampf aus. Aber sie fürchten unsere Stärke. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass sie versuchen, uns auf diese Weise zu schwächen.“

„Und selbst wenn sie tatsächlich nichts damit zu tun haben“, fügt Yuugure nun ernst hinzu, „Es wäre fahrlässig von uns, wenn wir es nicht zumindest in Betracht zögen.“

„Ihr irrt euch!“, grollt Inu Yasha ärgerlich, „Ihr macht einen schweren Fehler! Ich weiß ganz genau, dass die beiden Clans nichts damit zu tun haben. Da fragt ihr am besten doch mal lieber beim Südclan nach.“

„Auf den werden wir auch noch zu sprechen kommen“, ergreift nun wieder Kagemori würdevoll das Wort, „Doch wir können es uns nicht erlauben, die Möglichkeit außer Acht zu lassen, dass dies ein geplanter Anschlag von Seiten der anderen Clans ist.“

Bitterböse funkelt Inu Yasha den Ratsvorsitzenden an. „So wie es aussieht, hatte Kamukiku-baba doch Unrecht. Die führenden Leute der Clans denken noch immer genauso dumm und verbohrt wie vor dreitausend Jahren und aus lauter Feigheit und Hass, ziehen sie eine Vereinigung erst gar nicht in Betracht.“

Gaikotsu hebt belustigt die Brauen. „Hat sie wirklich angenommen, es hätte sich daran etwas geändert?“

„Warum auch nicht?“, gibt Inu Yasha bissig zurück, „Es ist, verdammt noch mal, dreitausend Jahre her.“

„Ja, warum eigentlich nicht?“, meldet sich nun der Youkai Hiroshi zu Wort, „Alles ändert sich irgendwann. Warum sollte sie nicht annehmen, dass wir es auch tun?“

„Einen Frieden mit den anderen Clans in Betracht ziehen?“, stößt Matsuba belustigt hervor, „Das ist völlig absurd!“

„Wir sind ja gerade mal in der Lage einen dauerhaften Waffenstillstand zu erhalten“, bemerkt Takarakanshu nun ernst, „Von einem wirklichen Friedensvertrag sind wir noch weit entfernt.“

„Und selbst wenn wir das in Betracht ziehen würden, so die anderen beiden Clans ganz sicher nicht“, stellt Yuugure entschieden klar.

Chitsurao wendet sich an Inu Yasha. „Er hat recht. Auf beiden Seiten ist zu viel Blut geflossen. Der gegenseitige Hass sitzt viel zu tief. Unsere Clans sind nicht bereit für den Frieden. Eine Koexistenz unserer Völker ist einfach nicht möglich.“

„Keh!“, stößt Inu Yasha verächtlich hervor, „Dann stimmt die Prophezeiung ja zumindest schon mal in diesem Punkt, dass die Clans verdammt sind, sich auf alle Zeit zu bekämpfen. Warum soll dann der Rest nicht auch stimmen?“

„Dass es ein Fürstenkind geben soll, dass in der Lage ist, die Clans zu vereinen?“, meint Gaikotsu spöttisch, „Das ist lächerlich! Außerdem gibt es niemanden auf den diese Beschreibung passt!“

„Doch, es gibt jemanden!“

Überrascht wenden sich nun alle Augen Sesshomaru zu. Der Youkaifürst sitzt mit ernster Miene auf seinem Platz und blickt in die Runde.

Nun wendet sich auch Kagemori dem Daiyoukai zu. „Wollt Ihr uns Eure Vermutung mitteilen, mein Fürst?“

Sesshomaru weicht seinem Blick nicht aus. „Ich habe Grund zu der Annahme, dass sich diese Prophezeiung auf meinen Bruder beziehen könnte.“

Ein aufgeregtes Gemurmel erhebt sich. Es klingt nicht so, als würden die Youkai seine Meinung teilen. Am wenigsten jedoch Inu Yasha. Der Hanyou sitzt da wie vom Donner gerührt und starrt den Daiyoukai mit offenem Mund an. Am liebsten würde er augenblicklich im Boden versinken. Er hat doch gewusst, dass der Kerl sie vorhin belauscht hat. Ja ja, aber sonst nichts auf das geben was Kagome sagt. Das sieht ihm wieder ähnlich, ihn so ungefragt in Verlegenheit zu bringen.

„Wie kommt Ihr darauf?“, Kagemoris Stimme ist voller Skepsis und der würdevolle Youkai klingt diesmal tatsächlich ein wenig verärgert.

„Er erfüllt sämtliche Kriterien, die die Prophezeiung hergibt“, erklärt Sesshomaru ungerührt. Bedeutsam blickt er die Ratsmitglieder an. „Wir alle wissen um die Beziehung meines werten Vaters zu seiner Mutter. Die Prophezeiung besagt, das Fürstenkind wurde aus Liebe gezeugt. Nun, das sehe ich damit als erfüllt an.“ Inu Yasha bekommt einen hochroten Kopf, sagt aber keinen Ton.

„Es versteht sich auch von selbst, dass ein Hanyou Hass und Verachtung erfährt“, fährt der Daiyoukai nüchtern fort und fängt sich damit einen vernichtenden Blick von Seiten seines Bruders ein.

„Außerdem kann ich selbst es nur bestätigen, dass Inu Yasha für einen Hanyou eine gerade zu beträchtliche Stärke besitzt.“ Sesshomarus Miene zeigt keine einzige Regung bei diesen Worten. „Und in der Vergangenheit hatte er bereits Gelegenheit, die Fürsten der anderen Clans kennen zu lernen, wie ihr Euch sicher erinnern werdet“, ernst blickt er die Ratsmitglieder an, „Ich habe euch geschildert, was damals im Reich des Ostens vorgefallen ist. Dadurch hat er einen besseren Eindruck von ihnen gewinnen können, als jeder der hier Anwesenden. Seine Meinung so kategorisch in Zweifel zu ziehen, ist somit äußerst respektlos!“ Sein durchdringender Blick bleibt auf Gaikotsu hängen. Der alte Youkai verzieht ein wenig das Gesicht, doch diesmal weicht er dem Blick des Daiyoukais aus.

„Außerdem war meinem Bruder bei den damaligen Ereignissen das Privileg vergönnt, sich den Respekt der anderen beiden Fürsten zu verdienen. Aus vielerlei Gründen, hegen sie offenbar keinerlei Groll gegen ihn, was in der Geschichte unseres Volkes eine eindeutige Ausnahme darstellt.“

„Erlaubt mir die respektvolle Frage, mein Fürst“, erhebt Matsuba nun das Wort, „da in der Prophezeiung von allen Fürsten die Rede ist, wie steht es mit Eurer eigenen Einstellung zu Eurem Halbbruder?“

Kühl blickt Sesshomaru den Youkai an. „Die Tatsache, dass ich hier vor dem Rat für ihn Partei ergreife und ihm die Begleitung seiner Freunde gestatte, sollte wohl für sich selbst sprechen.“

„Keinerlei Groll ist nicht gleichzusetzen mit Zuneigung“, wendet nun Yuugure sachlich ein, „Seid Ihr sicher, dass die Prophezeiung auf diese Weise zu deuten ist?“

Der Daiyoukai verzieht keine Miene. „Ich bin sicher!“, sagt er entschieden.

Ein wenig verwundert beobachtet Inu Yasha seinen Bruder. Irgendetwas stört ihn. Eine leise Stimme in seinem Inneren sagt ihm, dass der Daiyoukai lange nicht so überzeugt davon ist wie er gerade tut. Aber was kann er damit bezwecken, so etwas zu behaupten?

Nachdem Kagome es angesprochen hatte, hat er sich einige Gedanken zu dem Thema gemacht und er muss gestehen, dass es tatsächlich viele Fakten gibt, die für diese Theorie sprechen. Es stimmt, Yarinuyuki schien ganz angetan zu sein von ihm, aber vielleicht hat sie nur seinen Schneid geschätzt. Und Yaeba, er war die ganze Zeit auf seiner Seite und hat ihn unterstützt. Sicher hat auch er einiges für ihn über, aber Zuneigung?

Was er von seinem Bruder halten soll, ist er sich nicht sicher, aber er muss gestehen, dass sich das Verhältnis zu seinem Bruder seit damals tatsächlich verbessert hat. Alles andere mag ja auch durchaus stimmen. Wenn er auch nicht wirklich überzeugt davon ist, dass er die Fähigkeit besitzt, seine Gegner für sich zu gewinnen.

Nun gut, seine Freunde sind zwei Mikos, zwei Dämonenjäger und ein Mönch. Als Youkai könnte man das tatsächlich so auslegen, aber wenn er tatsächlich über diese Fähigkeit verfügen würde, dann hätte er sich vermutlich in seinem Leben so manchen harten Kampf ersparen können.

Es ist zwar alles Auslegungssache, aber es verwundert ihn doch ein bisschen, dass Sesshomaru gerade dieses Argument bei seiner Stellungnahme außer Acht gelassen hat, vermutlich in der Hoffnung, dass die anderen Ratsmitglieder es nicht bemerken. Es macht fast den Eindruck, als wollte er, dass er das besagte Fürstenkind aus der Prophezeiung ist. Aber was kann er damit bezwecken? Was würde ihm das bringen?

Inu Yashas Herz beginnt jetzt ganz unruhig zu klopfen. Was wenn es ihm gar nicht darum geht, ihn als den Betreffenden hinzustellen, sondern er damit versucht, von etwas anderem abzulenken? Und auf einmal weiten sich Inu Yashas Augen. Das darf doch nicht wahr sein!

Noch immer sind die Ratsmitglieder in die Diskussion verstrickt, ob der Hanyou-Bruder ihres Fürsten für diese Prophezeiung in Frage kommt.

„Wie soll ein Hanyou in der Lage sein, unsere Clans zu vereinen?“, stellt Matsuba gerade die Frage in die Runde, „Das diplomatische Fingerspitzengefühl, dass dies erfordert, ist ja schon für einen Fürsten kaum zu bewältigen.“

„Wer sagt denn, dass es auf diplomatischem Wege geschieht?“, entgegnet Hiroshi, „Die Prophezeiung sagt nichts über diplomatische Verhandlungen.“

„Denkt Ihr an einen militärischen Weg, Hiroshi-sama?“, fragt Yuugure, „Was Ihr im Sinn habt, ist eine Gewaltherrschaft, keine Vereinigung. Sollte die Prophezeiung stimmen, würde das bedeuten, dass die Clans zu einem verschmelzen werden. Kein Militärschlag könnte dies bewirken.“

„Aber welche Möglichkeiten bleiben denn sonst noch?“, gibt Takarakanshu zu bedenken.

„Vielleicht findet sich die Lösung in den Fähigkeiten, die Inu Yasha-ouji besitzt“, vermutet Hiroshi, „Etwas, das nur er alleine vermag.“

„Und was sollte das sein?“, gibt Gaikotsu zurück.

„Ich weiß es nicht“, gibt Hiroshi zu, „Aber wenn er der Einzige ist der in Frage kommt, dann muss es etwas geben.“

„Ähm...“, meldet sich jetzt Inu Yasha ungewöhnlich zögernd zu Wort, „Es gibt da noch jemanden, auf den die Prophezeiung zutrifft.“ Unbehaglich blickt er seinen Bruder an. Zu Recht! Denn im selben Augenblick kann er beobachten wie Sesshomaru für einen Moment vollkommen erstarrt und ihm nun einen tödlichen Blick zuwirft. Dann eine Sekunde später erhebt er sich steif von seinem Platz und seiner Miene fehlt jeglicher Humor.

„Ich bitte den Rat uns für eine Weile zu entschuldigen. Ich möchte mit meinem Bruder eine kurze Unterredung führen!“ Mit diesen Worten macht er eine eindeutige Geste, dass Inu Yasha ihm folgen soll und schon im nächsten Moment rauscht er auch schon aus dem Raum, während der Hanyou sich rasch bemüht, zu ihm aufzuschließen und die Ratsmitglieder ziemlich irritiert hinter den beiden her blicken.
 

Durch mehrere Gänge laufen die beiden, bis sie schließlich ins Freie treten. Doch der Youkaifürst strebt noch immer weiter einem nur ihm bekannten Ziel zu, und der Hanyou hat alle Mühe mit ihm mitzuhalten. Zwischen den Häusern hindurch eilt der Daiyoukai, durch die große Gartenanlage und dann lassen sie die restlichen Häuser auch hinter sich und betreten einen kleinen Wald im hintersten Bereich des Palastgeländes. Schließlich erreichen sie eine hohe Felswand von der sich ein breiter Wasserfall unter lautem Rauschen in die Tiefe stürzt und sich dort in einem breiten Felsenbecken sammelt.

Nun endlich bleibt Sesshomaru stehen und mit einer energischen Bewegung dreht er sich zu Inu Yasha um und mustert ihn durchdringend. Inu Yasha hält seinem Blick stand. Er erkennt nur zu deutlich wie aufgebracht sein Bruder gerade ist. Vorbei ist alle Gelassenheit. Der Daiyoukai wirkt unglaublich gereizt.

„Also schön“, raunt er angespannt, „Verrat mir an wen du bei deiner Vermutung gedacht hast!“

Inu Yasha mustert ihn eingehend, dann sagt er ruhig: „Ich glaube, das weißt du sehr genau.“

Sesshomaru ballt die Fäuste, dann bemüht er sich, seine Fassung zurück zu gewinnen. Er atmet einmal vernehmlich aus, dann blickt er wieder auf.

„Ich musste mir erst Gewissheit verschaffen“, nickt er langsam, „Aber mir wäre es lieber gewesen, du hättest nicht vor dem Rat damit angefangen.“

Inu Yasha hebt erstaunt die Brauen. „Sag jetzt bloß nicht, du hast ihnen noch nicht von Ihm erzählt.“

„Doch“, erwidert der Daiyoukai verhalten, „Ich habe ihnen erzählt was sie wissen müssen.“

„Aha“, verschränkt Inu Yasha missmutig die Arme, „Und was mussten sie nicht wissen?“

Nun zögert der Daiyoukai einen Moment. „Wie es dazu kam“, sagt er und wieder senkt er den Blick.

Inu Yasha verdreht die Augen. „Na toll! Sie wissen also nur 'dass', aber nicht 'warum'. Das sieht dir mal wieder ähnlich!“

Nun fliegt Sesshomarus Kopf wieder zu seinem Bruder herum. Die Augen des Daiyoukai blitzen ärgerlich. Hoch baut er sich vor Inu Yasha auf. „Was hätte ich ihnen denn deiner Meinung nach erzählen sollen?“, zischt er aufgebracht, „Hast du schon wieder völlig vergessen, was für ein heikles Thema das schon damals war? Alles was sie erfahren mussten, war, dass es ihn gegeben hat und wie ich wegen ihm entschieden habe. Mehr nicht!“

Doch der Hanyou lässt sich nicht einschüchtern. „Hör doch auf! Du kannst mir nichts vormachen. Du wolltest dir einfach kein neues Salz in die Wunde streuen, mehr nicht!“

Der Daiyoukai schweigt. Dann schließlich sagt er müde: „Mir war schon die ganze Zeit klar, dass du irgendwann wieder damit anfangen würdest.“

„Tut mir leid, du provozierst es aber auch!“, gibt Inu Yasha zurück, „Sei ehrlich, du hast doch mit voller Absicht versucht dem Rat weiszumachen, dass ich das Fürstenkind aus der Prophezeiung bin.“

Sesshomaru blickt auf. Er wirkt etwas betrübt. „War das so offensichtlich?“, fragt er.

Inu Yasha verzieht das Gesicht. So wie es aussieht hat er mit seiner Vermutung voll ins Schwarze getroffen. Er überlegt. „Vermutlich nur für die Leute, die über die ganze Sache Bescheid wissen“, gibt er zu, „Aber sei ehrlich, wenn man es weiß, dann ist es wirklich eindeutig.“

„Findest du?“, in Sesshomarus Stimme schwingt nun leichte Unsicherheit mit.

Inu Yasha atmet einmal durch, dann blickt er seinen Bruder ernst an. „Sesshomaru, wenn du mir offen ins Gesicht sagen kannst, dass bei Tenmarus Zeugung keine Liebe im Spiel war, dann verwerfe ich die Theorie auf der Stelle!“

Der Daiyoukai zuckt unwillkürlich zusammen als hätte ihn etwas gestochen. Dann sagt er eine ganze Weile nichts mehr. Schließlich ergreift Inu Yasha wieder das Wort. „Tut mir leid, aber diese Prophezeiung passt auf ihn wie die Faust aufs Auge. Dass er gehasst und verachtet wurde, weißt du vermutlich besser als ich, und dass er stark war, daran besteht wohl kein Zweifel.“

Noch immer sagt der Daiyoukai kein Wort. Doch der Hanyou fährt bereits fort. „Das bringt mich jetzt zu der Stelle die du vorhin freundlicherweise ausgelassen hast. Tenmaru hatte ohne Zweifel die Fähigkeit, selbst seine Gegner für sich zu gewinnen, das weißt du ganz genau! Erinnere dich nur an Yarinuyuki. Sie hat ihn vorher ganz klar gehasst und dann... nun, das muss ich wohl nicht weiter ausführen, oder? Womit wir dann beim Thema 'Zuneigung' wären.“

Durchdringend mustert Inu Yasha seinen Bruder der noch immer keinen Ton von sich gibt. „Yaeba war wie ein Vater zu ihm. Er hat ihn ohne Zweifel geliebt. Und Yarinuyukis Zuneigung steht wohl völlig außer Frage unter diesen Umständen. Bleibst eigentlich nur noch du!“

Sesshomarus Kiefer sind hart aufeinandergepresst. Für eine ganze Weile scheint er mit sich zu ringen. Dann sagt er bitter: „Ich hasse es, dass du es mitbekommen musstest.“

Doch Inu Yasha wehrt ab. „Red keinen Unsinn! Du bist erleichtert darüber, dass du es mir nicht mehr erklären musst.“

Der Daiyoukai seufzt vernehmlich. „Das stimmt allerdings“, gibt er säuerlich zu.

„Jetzt wüsste ich doch wirklich nur eines gerne“, setzt Inu Yasha nach, „Warum soll der Rat das nicht erfahren? Es ist doch ohnehin ohne Belang, denn meine schöne Theorie hat leider einen entscheidenden Haken. Tenmaru ist tot!“

Sesshomarus Gesicht gefriert. Für einen Moment scheint sein Blick in weite Ferne zu gehen. „Das lässt sich nicht leugnen“, gibt er schließlich zu.

„Eben“, bestätigt Inu Yasha, „Warum also diese Geheimniskrämerei?“

Nun kommt Bewegung in Sesshomaru. Ruckartig wendet er sich zu Inu Yasha um. „Warum?“, fragt er aufgebracht, „Kannst du dir das nicht selbst denken?“

„Oh nein!“, gibt Inu Yasha nicht minder energisch zurück, „So kommst du mir nicht davon. Sag es mir schon, verdammt noch mal!“

Sesshomarus Miene bekommt nun einen etwas gehetzten Zug. „Weil...“, für einen Moment ringt der Daiyoukai nach den Worten, dann setzt er noch einmal an. „Erwartest du wirklich, dass ich dem Rat erkläre, warum ich mich damals mit Ihr eingelassen habe? Soll ich ihnen in allen Details Verantwortung darüber ablegen, warum ich mich so... untypisch und unwürdig für einen Fürsten verhalten habe? Soll ich ihnen wirklich aufführen, warum diese elende Prophezeiung genau auf... meinen Sohn zutrifft?“ Hier bricht er ab. Zu Inu Yashas Überraschung liegt nun ein schmerzhafter Zug auf Sesshomarus Gesicht und er schüttelt schwach den Kopf. „Das kannst du nicht von mir verlangen.“

„Niemand verlangt das von dir“, erwidert Inu Yasha ernst, „Du hast ja recht, das brauchst du ihnen wirklich nicht erklären.“

Nun strafft sich der Daiyoukai und eine kompromisslose Ernsthaftigkeit kehrt nun in seinen Blick zurück. Unverwandt blickt er seinen Bruder an. „Ganz recht! Denn das wirst du tun!“

Inu Yasha fällt aus allen Wolken. Fassungslos blickt er seinen Bruder an. „Was ich? Bin ich noch zu retten? Mach das mal schön selbst, wenn die das erfahren sollen.“

„Bedaure, doch das wird nicht möglich sein“, entgegnet der Daiyoukai ungerührt.

„Ach, und darf man fragen warum nicht?“, erwidert Inu Yasha empört.

Die Stimme des Youkaifürsten wird nun etwas leiser. „Weil ich nicht beabsichtige zum Rat zurückzukehren.“

Inu Yasha reißt die Augen auf. „Was? Wo willst du denn hin?“ Doch Sesshomaru sagt kein Wort und wendet den Blick ab. In seinen Augen entdeckt der Hanyou nun eine Spur von etwas Unausweichlichem. Und auf einmal läuft es Inu Yasha kalt den Rücken runter als ihn eine Ahnung befällt.

„Einen Moment...“, meint er zögern und ungläubig starrt er seinen Bruder nun an, „Du hast doch nicht etwa vor... Hast du den Verstand verloren?“ Fassungslos funkelt er zu Sesshomaru hinüber. Der Daiyoukai schweigt.

„Sag mir nicht, du willst ihn zurückholen!“ Entgeistert findet Inu Yasha seine Vermutung durch die Reaktion seines Bruders bestätigt.

Sesshomaru hebt langsam den Kopf. Betrübt blickt er seinen Bruder an. „Du wirst mich nicht davon abbringen“, sagt er.

„Es ist dir wirklich ernst damit?“, stößt Inu Yasha ungläubig hervor, „Du willst allen Ernstes in die Unterwelt gehen und Tenmaru wieder zurückholen?“

„Du sagtest doch“, entgegnet der Daiyoukai ruhig, „die Prophezeiung ist von großer Bedeutung.“

„Du glaubst also nicht, dass das nur ein Märchen ist?“

„Ich glaube, dass Kamukiku-sama Recht hat“, der Daiyoukai sieht nun sehr ernst aus. „Dieser Youkai bedeutet ein Problem. All meine Instinkte sagen mir, dass er sehr gefährlich ist. Und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um mein Reich zu beschützen.“

Ein wenig nachdenklich schaut Inu Yasha ihn an. „Glaubst du denn, dass das in deiner Macht steht?“

Mit unergründlicher Miene blickt Sesshomaru ihn an. „Wenn nicht in meiner, dann vielleicht in Seiner. Möglicherweise hast du Recht und dieser Youkai kann nur durch die gemeinsame Kraft der drei Clans besiegt werden. Wenn dem so ist, dann ist es nötig, dass die Prophezeiung erfüllt wird.“

„Und du glaubst wirklich sie bezieht sich auf Tenmaru?“

„Sonst würde mir niemand einfallen, auf den diese Prophezeiung passen würde.“

„Aber er ist tot!“, stellt Inu Yasha klar, „ Willst du wirklich bloß auf Grund so eines Verdachtes in die Unterwelt gehen und von dort seine Seele zurückfordern? Was, wenn Kamukiku-baba sich doch geirrt hat? Was, wenn die Prophezeiung gar nicht stimmt? Oder was, wenn gar nicht Tenmaru damit gemeint ist? Willst du das dann immer noch riskieren?“

Schweigend blickt Sesshomaru zu Boden, doch dann sagt er leise: „Das hatte ich eigentlich schon sehr lange vor.“

Für einen Moment fehlen Inu Yasha die Worte. Doch dann wird sein Blick wieder ernst. Langsam nickt er. „Ich verstehe.“ Nachdenklich kratzt er sich am Kopf. „Es geht dir immer noch nach, oder?“

Nun kehrt eine bedrückte Miene in das Gesicht des Daiyoukai zurück. „Jeden Tag.“

„Du hast Recht!“, meint Inu Yasha deutlich, „Das kannst du unmöglich dem Rat erzählen. Ich finde es ja immer noch komisch, dass du mir das erzählst.“

„Mir bleibt keine andere Wahl“, wendet sich Sesshomaru ihm nun wieder zu.

„Was meinst du damit?“, fragt Inu Yasha beunruhigt. Der eigenartige Gesichtsausdruck seines Bruders lässt ihn Unangenehmes erahnen.

„Ich werde eine ganze Weile fort sein“, beginnt der Youkaifürst nun etwas widerwillig zu erklären, „In dieser Zeit könnte dieser Katsuken verheerende Dinge in meinem Reich anstellen. Ich kann mein Volk nicht schutzlos lassen.“

„Dann geh nicht!“, meint Inu Yasha energisch, den langsam eine Ahnung beschleicht, „Wenn es unbedingt sein muss, schick jemand anderen!“.

„Unmöglich!“, entgegnet Sesshomaru entschieden, „Um in die Unterwelt zu gelangen, benötigt man Tenseiga und ich bin sein Träger.“

„Und wer soll dann solange auf dein Reich aufpassen?“

„Dreimal darfst du raten!“

Inu Yasha steht da wie vom Donner gerührt. Ein paar Herzschläge lang ist er zu überrascht um reagieren zu können, doch dann kommt wieder Bewegung in ihn. „Moment mal!“, ereifert er sich, „Du denkst doch nicht wirklich, dass ich das machen soll, oder?“

„Das war der Gedanke!“

Inu Yasha stemmt empört die Hände in die Seite. „Das denkst aber auch nur du! Ich nehme alles zurück, du hast nicht nur den Verstand verloren, du bist völlig übergeschnappt! Wie um alles in der Welt stellst du dir das vor? Ich als Beschützer unseres Reiches? Als Fürst womöglich? Das kann doch nur ein schlechter Witz sein!“

„Findest du?“

„Na, und ob!“, schnaubt Inu Yasha entrüstet, „Ich soll deinen Platz einnehmen? Diese Typen vom Rat halten doch jetzt schon nicht viel von mir. Für die bin ich doch bloß ein Hanyou, ein dummer Ausrutscher unseres Vaters. Nein, ich hab noch nicht vergessen, wie sie über mich denken. Glaubst du wirklich, sie würden mich als Fürsten akzeptieren, geschweige denn auf mich hören?“

„Du bist immer noch mein Bruder“

„Ja, durch einen ganz komischen Zufall.“

„Das spielt keine Rolle. Vater hat dich offiziell anerkannt. Du bist sein Sohn, daran ist nicht mehr zu rütteln.“

„Sag das diesem Rat!“

„Es ist dein Recht in meiner Abwesenheit das Reich zu führen, wenn ich dir diese Aufgabe übertrage.“

„Na, herzlichen Dank auch!“, brummt Inu Yasha, „Ich habe nie darum gebeten. Ich kann mir wirklich Schöneres vorstellen.“

„Es ist deine Verantwortung als Fürstensohn, das Reich zu schützen.“

„Ach, sonst bist du dir immer zu fein, Hilfe anzunehmen und auf einmal ziehst du mich wieder in so eine Angelegenheit hinein.“

„Du würdest doch ohnehin versuchen diesen Katsuken aufzuhalten.“

„Aber doch nicht als Fürst!“

„Welchen Unterschied würde das machen?“

„Einen beträchtlichen. Ich bin für so was einfach nicht geschaffen.“

„Woher weißt du das?“

Inu Yasha fasst sich an den Kopf. „Meine Güte, das war niemals ein Thema! Ich hab doch von so was überhaupt keine Ahnung. Du bist doch hier der mit der vornehmen Erziehung und der politischen Ausbildung. Du hast selbst gesagt, dass ich gar keine Ahnung habe, was einen Fürstensohn ausmacht, und dass ich noch viel lernen muss.“

„Du wirst das schaffen!“

„Ach ja, und was, um alles in der Welt, macht dich da so sicher? Mich als Fürsten über dein Reich einzusetzen ist so ziemlich die dümmste Idee, die du je hattest, mal abgesehen davon, Tenmaru aus der Unterwelt rauszuholen. Warum überträgst du die Führung nicht einem von den Typen aus dem Rat. Die scheinen doch alle ganz kompetent zu sein, und offenbar liegt ihnen wirklich was an ihrem Reich.“

„Sie sind nicht von unserem Blut. Ich kann ihnen nicht die Fürstenwürde übertragen.“

„Ach, so ist das!“, meint Inu Yasha verstimmt, „Dann bin ich also ein notwendiges Übel. Der einzige in Reichweite, der halbwegs die Voraussetzungen erfüllt, ja?“

„Nein, das ist es nicht.“

„Was ist es dann?“, platzt Inu Yasha ungehalten heraus, „Was bringt dich bloß auf das schmale Brett, ausgerechnet mich zum Fürsten zu ernennen?“

Nun fliegt ein grimmiges Blitzen über Sesshomarus Gesicht und mit einem Schritt ist er direkt vor seinem Bruder und packt ihn fest am Kragen. „Es geht nun mal nicht anders!“, zischt er verbissen, „Ich kann das von niemand anderen übernehmen lassen.“

„Warum?“, hält Inu Yasha ungeniert dagegen. „Was macht dich so sicher, dass ich das nicht verpatze?“

Nun entspannen sich Sesshomarus Züge wieder und einen langen Moment schaut er Inu Yasha einfach nur an. Dann sagt er mit Nachdruck: „Ich verlasse mich auf dich!“

Verblüfft entwindet sich Inu Yasha aus dem Griff seines Bruders, dieser lässt ihn gewähren. Unsicher mustert Inu Yasha seinen Bruder. „Warum gerade auf mich?“

Sesshomaru fasst sich seufzend an die Stirn. „Das hat... verschiedene Gründe“, meint er langsam, „Einer davon ist wohl, dass du die Geschichte mit Tenmaru damals hautnah mitbekommen hast und... erstaunlich taktvoll damit umgegangen bist.“

„Das ist der Grund?“, staunt Inu Yasha, „Deshalb bist du in letzter Zeit so... nachsichtig mir gegenüber?“

„Nicht nur“, meint Sesshomaru zögernd, „Du hast dich damals als Prinz bewehrt. Ich weiß, dass du dazu in der Lage bist unsere Leute zu führen, selbst wenn du es dir selbst nicht zutraust. In dir steckt mehr Potenzial als du vielleicht glaubst.“

„Irgendwie kann ich nicht glauben, dass du das bist, der das gerade sagt“, schüttelt Inu Yasha den Kopf. „Die Geschichte von damals muss einen viel stärkeren Eindruck bei dir hinterlassen haben, als ich gedacht hätte.“

Nun blickt Sesshomaru betrübt auf. „Du hast ja keine Ahnung! Als Fürst kann man sich keine Zweifel erlauben, oder gar Gefühle. Das Wohl des Reiches hat stets Vorrang. Wenn man sich nicht ständig unter Kontrolle hat, bedeutet das nicht nur Gesichtsverlust, sondern auch Schwäche und die Schwäche des Fürsten ist die Schwäche des Reiches. Deshalb ist Schwäche keine Option!

Und trotzdem vergeht kein Tag an dem ich nicht aus tiefstem Herzen bereue was damals geschah. Ich tue dies hier nicht nur für mein Reich, sondern ich muss diese Sache endlich abschließen. Es ist nicht gut, wenn der Fürst eines Reiches immer nur in der Vergangenheit lebt.“

Einen langen Moment scheint Inu Yasha nachzudenken. Dann meint er: „Da magst du Recht haben. Aber... nehmen wir mal an, ich bin damit einverstanden? Wie willst du ihnen das erklären?“

„Ich werde ihnen gar nichts erklären, das sagte ich doch bereits“, meint Sesshomaru nun ernst. „Wenn ich ihnen sagen würde, was ich beabsichtige, dann müsste ich ihnen alles erklären“, er seufzt leicht. „Und dann würde es Diskussionen geben. Ich habe nicht die Zeit, um ihnen die Bedeutsamkeit der Prophezeiung zu verdeutlichen. Ich werde direkt nach diesem Gespräch aufbrechen.“

„Mit anderen Worten“, meint Inu Yasha verstimmt, „Du stellst sie vor vollendete Tatsachen und dann verdrückst du dich und ich darf dann die Suppe auslöffeln.“

„So ist es nicht!“, erwidert Sesshomaru ungerührt, „Angesichts der Umstände ist schnelles Handeln erforderlich.“

„Ach Blödsinn!“, schnappt Inu Yasha ärgerlich, „Du kneifst ganz einfach! Du traust dich bloß nicht, ihnen das zu erzählen. Und an mir bleibt das dann hängen.“

Unergründlich blickt Sesshomaru ihn an. „Du wirst schon die richtigen Worte finden“, sagt er, „Du hast dich bereits vor dem Rat behauptet. Ich habe mich ganz bewusst aus deiner Diskussion mit Gaikotsu herausgehalten und du hast dir auch ganz allein Gehör verschafft.“

„Na, das wird ja immer schöner!“, verschränkt Inu Yasha beleidigt die Arme, „Seit wann planst du denn die ganze Sache schon? Seit Kagome mit ihrer Theorie über mich angefangen hat?“

„Eigentlich, seit ich die Prophezeiung zum ersten Mal gehört habe“, gibt Sesshomaru nach einem kurzen Zögern zu, „Doch ich muss gestehen, dass mir diese Theorie sehr gelegen kam.“

Ungläubig starrt Inu Yasha ihn an. „Ich fasse es ja nicht!“, meint er kopfschüttelnd, „Du machst es schon wieder! Du tust alles um dir eine unangenehme Sache schön zu reden. Gib zu, hätte ich nichts gesagt, dann hättest du mit Freuden auf diese Aktion jetzt verzichtet und mich als den großen Retter hingestellt, obwohl du es eigentlich besser wusstest.“

Einen Moment lang zögert der hochgewachsene Daiyoukai, doch dann sagt er: „Nicht mit Freuden. Aber ja, vermutlich.“

„Na, wenigstens bist du ehrlich“, schnaubt Inu Yasha.

Nun schaut Sesshomaru auf und in seinen Augen erkennt Inu Yasha jetzt ein stilles Bitten. „Ich brauche dich!“, sagt Sesshomaru eindringlich. „Ich habe diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen, und glaube mir, ich habe mir das lange durch den Kopf gehen lassen. Aber du bist der Einzige dem ich diese Aufgabe überlassen kann und möchte. Ich weiß nicht wann ich zurückkehren werde und deshalb brauche ich jemanden der sich mit so einer Situation auskennt. Du hast schon oft gekämpft, du wirst wissen was zu tun ist. Du musst unser Reich beschützen und diesen Katsuken unschädlich machen! Und wenn ich nicht zurückkomme, dann bist du der Einzige der unsere Blutlinie weiterführen kann...“

„Hey, Moment!“, fällt ihm Inu Yasha ins Wort, „Was soll das bitte heißen: Falls du nicht zurückkommst? Ich will ja wohl hoffen, dass das nicht auf Dauer an mir hängen bleibt. Ich spring vielleicht mal ein, aber werde bestimmt nicht für immer deinen Posten übernehmen, also sieh gefälligst zu, dass du hier wieder auftauchst, klar?“

Ein wenig nachdenklich blickt Sesshomaru drein. „Ich wünschte, es wäre so einfach.“

„Nein, keine Diskussion!“, meint Inu Yasha energisch, „Du kommst zurück, klar? Ich werde doch nicht bis in alle Ewigkeit hier den Fürsten spielen, vergiss das mal gleich wieder!“

Doch auf einmal fährt Sesshomaru blitzschnell herum und nur einen Wimpernschlag später hat er Inu Yasha am Hals gepackt und presst ihn unsanft an einen nahen Baum. Seine Augen funkeln wütend und seine Reißzähne schieben sich leicht unter seinen Lippen hervor.

„Das hier ist aber kein Spiel!“, zischt er wütend, „Ich versichere dir, das ist bitterer Ernst! Bring mich besser nicht dazu, es zu bereuen, dass ich dich als meinen Stellvertreter in Erwägung gezogen habe.“

Mühsam versucht Inu Yasha sich aus dem Griff seines Bruders zu entwinden. „Schon gut! Ich hab's ja verstanden“, lenkt er etwas irritiert ein.

Nun blickt der Daiyoukai ihn durchdringend an. „Inu Yasha, ich kann dich unmöglich zwingen dieses Amt angemessen auszufüllen, da ich nicht hier sein werde, um es zu gewährleisten, aber... ich vertraue dir. Wenn du mir zusagst, dass du das tun wirst, dann werde ich mich damit zufriedengeben.“

Einen langen Augenblick zögert Inu Yasha, doch ein Blick in die Augen seines Bruders sagt ihm diesmal, dass er es ernst meint. Schließlich nickt er leicht. „Also gut, ich mach es. Ich werde die Fürstenrolle übernehmen, aber ich kann dir keine Garantie geben, dass das auch alles hinhauen wird. Schließlich kenne ich weder das Schloss noch die Aufgaben die ein Fürst so hat.“

Sesshomaru lässt ihn los. „Du wirst es lernen. Ich werde dir Unterstützung dalassen. Myoga und Jaken.“

Inu Yasha reißt die Augen auf. „Was, Jaken auch?“

Ruhig erwidert Sesshomaru seinen Blick. „Warum nicht? Er ist nützlich. Er kennt das Schloss und einen Großteil der Abläufe. Für alles weitere kannst du Myoga fragen.“

„Na, dann sag ihm das besser selber“, gibt Inu Yasha unverblümt zurück, „So anhänglich wie er immer um dich herumscharwenzelt.“

„Er ist ein erfahrener, loyaler Diener. Er wird dir ebenso ergeben dienen wie mir.“

„Deine Zuversicht möchte ich haben!“, murmelt Inu Yasha gedankenverloren. Dann blickt er noch einmal auf. „Sesshomaru, ich denke es wäre besser wenn du wenigstens noch irgendwem anders sagst, dass du mich nun mit der Sache betraut hast. Sonst glauben die mir doch nie.“

Der Daiyoukai blickt ihn unergründlich an, dann sagt er: „In Ordnung! Ich werde Dokutoge informieren wenn ich das Schloss verlasse.“

Mit diesen Worten wendet er sich zum Gehen und Inu Yasha wird es auf einmal recht beklommen ums Herz. Da geht er, sein großer Bruder. Wenn man es genau nimmt, ist er gar nicht viel älter als er. Seine Haltung strahlt Stolz und Würde aus und dennoch weiß Inu Yasha, das ihm die Reise die er unternimmt, wesentlich mehr abverlangen wird, als nur sich einer Gefahr für Leib und Leben auszusetzen. Und trotzdem wagt er es.

Inu Yasha stellt fest, dass er tatsächlich ein wenig Bewunderung für seinen Bruder empfindet. Sesshomaru scheint sich seiner Sache immer so sicher zu sein und ihn selbst plagen große Zweifel bei der schweren Aufgabe die nun vor ihm liegt. Am liebsten möchte er mit seinem Bruder tauschen, aber dann strafft er sich. Sesshomaru vertraut ihm, hat er gesagt. Das kommt selten genug vor, als dass man nicht alles dran setzen sollte um dieses Vertrauen zu verdienen, wenn er auch noch keine Ahnung hat wie.

„Sesshomaru!“, ruft er seinem Bruder hinterher. Der Daiyoukai dreht sich noch einmal um. Ernst schaut Inu Yasha ihn an. „Komm wieder zurück, ja?“

Der Daiyoukai nickt kurz und dann wendet er sich ab. Mit einem geschmeidigen Sprung schwingt er sich hinauf in die Luft und verschwindet dann nach kurzer Zeit über den Häusern des Palastes.

Seufzend steht Inu Yasha da. Leicht schüttelt er den Kopf. „Das kann doch gar nicht gut gehen!“

Machtwechsel

„Wo, zum Henker, steckt dieser Vollidiot schon wieder?“ Wütend hat sich Itakouri vor einem Youkai mit hellblauen Augen und schneeweißem Samuraizopf aufgebaut, der jedoch nicht mal zu ihm aufblickt, sondern nur weiter mit einem Stock in der kleinen Feuerstelle vor sich herumstochert.

„Keinen Schimmer!“, kommt die gleichgültige Antwort.

Ärgerlich stemmt der kräftige Youkai vor ihm die Arme in die Seite. „Erzähl keinen Scheiß, Kegawa! Ihr zwei klebt doch ständig aneinander, als wärt ihr verheiratet. Erzähl mir nicht, er hat dir nicht gesagt, wo er hingegangen ist.“

„Was schert es dich?“, zuckt Kegawa mit den Achseln.

Grob packt Itakouri den Youkai am Kragen. „Werd bloß nicht frech, kapiert? Ich bin immer noch dein Hauptmann.“

„Ja ja“, brummt Kegawa und entwindet sich aus Itakouris Griff, „So oft wie du das sagst, werd ich das wohl kaum vergessen haben.“

„Sagst du mir jetzt endlich wo Samushi hin ist?“, schnaubt der Youkai aufgebracht.

Kegawa seufzt genervt. „Meine Güte, er wollte nur kurz was überprüfen und dann gleich wiederkommen.“

„Ich hatte ihm befohlen, im Lager zu bleiben“, wettert Itakouri.

Skeptisch schaut Kegawa ihn an. „Als ob du das nicht besser wüsstest, Itakouri. Du weißt, dass er nicht auf dich hört.“

Wütend ballt Itakouri die Fäuste. „Das macht mich ja grade so rasend!“, schnaubt er, „Er ignoriert einfach rotzfrech die Ranghierarchie, das ist gegen jegliche Tradition.“

„Wundert dich das?“, meint Kegawa beiläufig während er ein Stück Fleisch auf seinen Stock spießt und ihn ins Feuer hält. „Er hat dich damals besiegt und er wird dich niemals als Ranghöheren ansehen, bis du ihn nicht bei einem Rückkampf unterwerfen kannst, auch wenn Yarinuyuki-sama dir die Führung des Heers übertragen hat und nicht ihm.“

Mit einem wütenden Ausbruch tritt Itakouri die Glut des Lagerfeuers auseinander und kegelt dabei den Bratspieß des Youkais ein gutes Stück in die Büsche. Kegawa macht ein empörtes Gesicht.

„Glaubst du, das weiß ich nicht?“, zischt Itakouri grimmig. „Trotzdem hat er sich an die Befehlskette zu halten, das gebietet allein schon die Ehre. Unsere Traditionen sagen, er muss gehorchen, ob ihm das jetzt passt oder nicht.“

„Dann vermutlich eher nicht“, meint Kegawa schnippisch und beginnt seelenruhig neues Holz aufzuschichten, „Nebenbei bemerkt, die Befehlsgewalt durch Zweikämpfe zu entscheiden, hat ebenfalls Tradition. Also kannst du ihm eigentlich keinen Vorwurf machen.“

Missmutig lässt sich Itakouri neben den anderen Youkai plumpsen. „Ach, verdammt! Was stell ich bloß mit dem Kerl an?“, seufzt er.

„Fordere ihn heraus!“, schlägt Kegawa vor, während er bemüht ist, durch sanftes Pusten das Feuer neu zu entfachen.

Schief guckt Itakouri ihn an. „Glaubst du, wenn ich mir irgendwelche Chancen ausrechnen würde, hätte ich das nicht schon längst getan? Der Mistkerl ist nun mal verdammt stark.“

Wieder zuckt Kegawa mit den Achseln. „Im Grunde kannst du dich doch glücklich schätzen. Er widerspricht dir nicht vor den anderen und er lässt dich, ohne dir reinzureden, deine Arbeit machen. Er ist, glaub ich, gar nicht scharf auf deinen Posten, und manchmal tut er ja auch, was du von ihm verlangst. Dass er dafür manchmal eben seinen eigenen Kopf durchsetzt und das tut was ihm in den Sinn kommt, ist dann eben etwas womit du wohl leben musst.“

Itakouri schnaubt verächtlich auf. „Aber gefallen muss mir das ja nicht, oder?“ Missmutig blickt er eine Weile in die Flammen über die Kegawa nun wieder einen neuen Bratspieß hält. Dann fragt er: „Was wollte er überprüfen?“

„Er meinte, er hätte irgendwas gerochen. Irgendwas was von der Grenze her kommt. Dem wollte er nachgehen.“

„Und warum bist du nicht auch mitgegangen?“, hakt Itakouri zynisch nach.

Kegawa blickt belustigt zu ihm auf. „Na ja, also ich für meinen Teil bin nicht sonderlich scharf darauf, mich deinem Befehl zu widersetzen. Ich wollte meinen Kopf eigentlich noch ne Weile behalten. Samushi kann sich so was vielleicht erlauben, aber er ist ja auch ein Ausnahmekämpfer, und nebenbei die sturste Person die ich kenne. Ich fürchte jedoch, da kann ich nicht so ganz mithalten. Also dachte ich mir, ich bleib lieber hier.“

„Reizend!“, brummt Itakouri sarkastisch, „Schön zu wissen, dass du es aus ehrlicher Loyalität zu mir tust.“

„Ach, mach dir nichts draus!“, Kegwawa verpasst seinem Hauptmann einen kameradschaftlichen Knuff, „Samushi und ich sind schon seit Ewigkeiten Freunde und während unserer Zeit bei den Streunern haben wir gemeinsam mehr durchgestanden, als mit irgendwem sonst. Wie willst du da mithalten?“

„Gar nicht!“, seufzt Itakouri und dann schnappt er sich ungeniert das Fleischstück von Kegawas Spieß und beißt genüsslich davon ab.

Auf einmal ist ein leichtes Rascheln in den Büschen hinter ihnen zu hören und die beiden Youkai fahren augenblicklich mit ergriffenen Waffen herum. Zwischen den Bäumen taucht ein kräftiger Youkai mit weißem Zopf und stahlblauen Augen auf. Erleichtert lassen die zwei die Waffen sinken.

„Da bist du ja wieder!“, grollt Itakouri den Youkai an, „Sagte ich nicht etwas davon, dass ihr im Lager bleiben sollt, bis ich zurück bin.“

Doch der Angesprochene blickt ihn nur mit ernster Miene an. „Ach, halt den Mund, Itakouri. Wir haben ganz andere Probleme.“

„Hast du etwas entdeckt?“, fragt Kegawa nun.

„Kann man wohl sagen“, brummt Samushi finster, „Kommt mal mit, ich muss euch was zeigen!“

„Hier geb immer noch ich die Befehle!“, wettert Itakouri ungehalten.

Verstimmt blickt der kräftige Youkai zu seinem Hauptmann auf. „Ich hab jetzt keine Lust mich mit diesem dämlichen Thema zu befassen. Seht gefälligst zu, dass ihr in die Gänge kommt! Das hier ist kein Spaß!“

Verwundert, wenn auch widerwillig folgt Itakouri dem kräftigen Youkai, der sich bereits zum Gehen gewandt hat und dessen Freund schon längst zu ihm aufgeschlossen hat.

„Verrätst du uns auch, worum es eigentlich geht?“, fragt Itakouri mit leichtem Zynismus, während er im lockeren Sprint neben dem anderen herläuft.

Überraschenderweise zeigt sich Samushi bereit dazu. „Ich hatte vorhin den Eindruck, Blut gerochen zu haben. Es kam aus Richtung der Grenze. Wenn man es bis hierhin wahrnehmen kann, muss es viel sein. Deshalb wollte ich mal nachschauen, was da los ist. Also bin ich hingelaufen und hab mich umgesehen. Und dabei hab ich was entdeckt.“

„Und was, bitte schön?“, hakt Itakouri nach.

Abfällig mustert Samushi ihn. „Sag bloß, du spürst es nicht.“

Irritiert schaut Itakouri seinen Untergebenen an.

„Deine Nase ist auch nicht mehr die Beste, was?“, gibt Samushi missmutig zurück, „Das stinkt doch bis hier her!“

Behutsam zieht Itakouri die Luft ein. „Es riecht nach Blut, und nach Rauch“, stellt er fest, „Und da ist noch irgendwas anderes. Den Geruch kann ich aber nicht einordnen.“

„Bist du so blöd, oder tust du nur so?“, fragt Samushi kopfschüttelnd. „Das ist die Witterung von dem Typen, der das angestellt hat.“

„Der was angestellt hat?“, fragt Itakouri zurück.

In diesem Moment treten sie aus dem Wald heraus und stehen nun am Rand einer Anhöhe von der aus man hinab in einen weiten Talkessel blicken kann. Doch kaum sind sie zum Stehen gekommen, fällt Itakouris Blick hinab ins Tal und seine Augen weiten sich.

Das ganze Tal ist übersät mit unzähligen Knochen und Skeletten von Menschen und Pferden und an vielen Stellen ist das Gras rot verfärbt und durchtränkt von tiefen Pfützen aus Blut. Überall liegen Waffen und Rüstungen wild verstreut umher und vereinzelt stecken hier und da Kriegsbanner schief im Erdboden. Mehrere Zelte liegen zerfetzt oder brennend auf der Erde und schwarzer Rauch kräuselt sich unter der Totenstille, die über dem ehemaligen Lagerplatz des Heers liegt, wie ein stiller Zeuge des grausigen Geschehens, in den Himmel hinauf.

Mit ernster Miene weist Samushi nun auf das Tal. „Das!“
 

Bestimmt ein dutzend Mal ist Inu Yasha nun schon auf die wohlgestaltete Holztür zu getreten, um sie zu öffnen und jedes Mal versagt ihm im letzten Moment der Mut. Das gibt es doch nicht! Es ist doch sonst nicht seine Art, Angst zu haben, doch jedes Mal wenn er an diesem Griff ziehen will, werden ihm plötzlich die Knie ganz weich und er besinnt sich anders.

Das Ganze kommt einfach viel zu plötzlich und außerdem kann er sich schon lebhaft vorstellen, wie der Rat die ungeheuerlichen Neuigkeiten auffassen wird, die er zu überbringen hat. Er ein Fürst? Was für eine lachhafte Idee! Er ist doch bloß ein Hanyou. Und nun wo er im Begriff ist, diesen Raum zu betreten, muss er sich einer schmerzhaften Erkenntnis stellen, nämlich dass eine ganze Reihe seiner Erinnerungen zu diesem Wort noch äußerst eindrucksvoll und nachhaltig in seine Kopf vorhanden sind. Und kaum eine davon ist angenehm.

Sein Herz pocht bis zum Hals bei dem Gedanken, dass er gleich wieder diesen feindseligen Blicken begegnen muss und diesmal ohne die Rückendeckung seines Bruders und zudem noch in dessen Position. Inu Yasha gesteht es sich nur ungern ein, aber mit Sesshomaru zusammen war es vielleicht nicht sonderlich angenehm, dem Rat beizuwohnen, aber er hat sich dabei nicht so entsetzlich ausgeliefert gefühlt wie jetzt. Die Tatsache, dass sein Bruder ihn hierher geholt hat, bedeutete ja schon, dass er eine Anwesenheitsberechtigung hat, aber jetzt? Welche Berechtigung hat er jetzt? Die eines Fürsten? Wie sollen die Ratsmitglieder das glauben, wenn er es ja selbst noch nicht richtig glauben kann, geschweige denn vertreten?

Hinzu kommt noch, dass er keine Ahnung hat, wie er dem Rat das erklären soll. Wieviel soll er sagen, und was sollte er besser verschweigen? Ja, er weiß ja noch nicht einmal wie man sich als Fürst auf dem Rat eigentlich verhält. Sesshomaru sagte, das ganze Geplänkel da, hätte etwas mit Politik zu tun. Der Mistkerl! Nun hat er sich doch wieder darum gedrückt, es ihm zu erklären. Wenn er doch wenigstens Myoga hier hätte, damit er ihm ein paar Tipps geben kann, doch leider hat er keine Ahnung, wie er den alten Floh überhaupt zu sich rufen soll. Er ist also auf sich allein gestellt. Inu Yasha atmet einmal vernehmlich durch. Es nützt einfach nichts, es weiter herauszuzögern. Also bringen wir es hinter uns!

Mit behutsamem Griff öffnet er die Tür und betritt den Vorraum. Die Schiebetür dahinter ist noch immer offen und sieben goldene Augenpaare blicken ihm nun argwöhnisch entgegen. Inu Yasha strafft sich. Er will zumindest versuchen, ein bisschen Würde auszustrahlen, wenn er nun schon der Fürst ist. Mit erhobenem Haupt betritt er den Raum und schließt schweigend die Schiebetür hinter sich. Verwunderte Blicke folgen jeder seiner Bewegung.

Steif lässt er sich nun auf dem Kissen nieder, auf dem zuvor sein Bruder gesessen hat. Vielleicht gibt ihnen das einen Hinweis.

„Wo ist Sesshomaru-sama?“, richtet Kagemori nun die Frage an den Hanyou. Inu Yasha seufzt innerlich. Na, das hat ja nicht lange gedauert.

„Mein Bruder wird für eine Weile fort sein“, gibt Inu Yasha so würdevoll Auskunft wie er es vermag.

„Was soll das heißen?“, kommt die unwirsche Rückfrage von Matsuba, „Wo ist er?“

Inu Yasha kommt ins Stocken. Wie soll er das bloß erklären? „Das ist jetzt erst mal nebensächlich, aber, na ja, solange er weg ist, hat er mir die Aufgabe des Fürsten überlassen.“ Ein wenig plump aber, wie soll man es ihnen unter diesen Umständen besser beibringen?

Ungläubig starren die sieben Youkai den Hanyou nun an. Wer kann es ihnen verdenken? Da meldet sich Gaikotsu zu Wort. „Ihr wollt behaupten, Sesshomaru-sama wäre urplötzlich auf Reisen gegangen und hätte Euch als seinen Vertreter eingesetzt? Jetzt in dieser Situation? Ohne den Rat zu informieren? Das ist absolut lächerlich!“

Nun verfinstert sich Inu Yashas Miene. „Was bitte ist daran so lächerlich?“, fragt er streng.

Spöttisch blickt Gaikotsu ihn an. „Also bitte! So ziemlich alles!“

„Ich halte Sesshomaru-sama nicht für jemanden, der sein Reich in Zeiten der Unsicherheit im Stich lässt“, meldet sich nun Yuugure zu Wort, „Welchen Grund sollte er dafür haben, so völlig überstürzt aufzubrechen, ohne uns darüber zu informieren? Es sieht ihm nicht ähnlich, einen Vertreter zu wählen, ohne ihn vom Rat bestätigen zu lassen. Diese Entscheidung kann er gar nicht alleine treffen!“

Inu Yasha verzieht das Gesicht. Na, schönen Dank auch, du Mistkerl! Noch eine Sache die du mir nicht gesagt hast. Kein Wunder, dass du dich so klammheimlich verdrückt hast.

Missmutig hebt er den Kopf. „Das hat er aber getan. Er hat mir für die Dauer seiner Abwesenheit die Rolle des Fürsten übertragen. Mit allen Rechten und Pflichten.“

„Könnt Ihr das beweisen?“, wieder ist es Matsuba der spricht.

„Weshalb sollte ich?“, entgegnet Inu Yasha nun ernst. Er darf sich von diesen Typen doch nicht unterbuttern lassen. Momentan fällt ihm nichts besseres ein, als sich vorzustellen, wie Sesshomaru an seiner Stelle antworten würde. Er hätte es sicher nicht nötig, vor dem Rat Rechenschaft abzulegen.

Doch nun ergreift Gaikotsu wieder gehässig zu Wort: „Weil wir sonst auf den Gedanken kommen könnten, dass Ihr Euch seiner entledigt habt, um dreist seinen Platz einzunehmen. Und natürlich müssten wir als seine treuen Untertanen dann auf Vergeltung drängen.“

Inu Yasha spürt wieder die Zornesröte in sich aufsteigen und erfreulicherweise tritt dadurch seine Befangenheit nun ein wenig in den Hintergrund. „Das müsst gerade Ihr sagen!“, gibt er giftig zurück, „Wo Ihr es vorhin noch nicht mal glauben konntet, dass mein Bruder von einem dahergelaufenden Youkai besiegt worden sei. Und jetzt soll er gegen einen Hanyou verloren haben?“, er spricht das Wort bewusst verächtlich aus.

Für einen kurzen Moment zögert der alte Youkai, doch dann gibt er bissig zurück: „Ein Hanyou in dessen Adern das Blut des Inu Taishou fließt. Außerdem, er hat einmal verloren, wer sagt, dass es nicht wieder geschehen kann?“

Grimmig stemmt sich Inu Yasha nun mit beiden Fäusten vor sich auf dem Boden auf und funkelt wütend zu Gaikotsu hinüber. „Es macht Euch Spaß, Ihn unterliegen zu sehen, nicht wahr?“ Unwillkürlich geht ein leichtes Zucken über Gaikotsus Gesicht, doch Inu Yasha redet schon weiter. „Schon von Anfang an, war von Euch nur Tadel und Schmähung gehen ihn zu hören. Ich könnte mir vorstellen, dass es Euch ein Vergnügen wäre, ihn tot zu wissen. Doch bei all dem Unsinn, den Ihr von Euch gegeben habt, habt Ihr doch in einem entscheidenden Punkt recht gehabt. Ich bin Inu Taishous Sohn und wem sonst, würde Sesshomaru das Amt des Fürsten überlassen, solange er fort ist? Findet Euch gefälligst damit ab, dass nicht Ihr es seid den er als erstes über seine Entschlüsse informiert. Solange er weg ist habe ich hier jetzt das Sagen und ich sage Euch gleich, dass ich nicht so viel von Politik verstehe wie mein Bruder. Wenn Ihr also versuchen solltet, mir mit irgendwelchen unangebrachten Bemerkungen auf die Nerven zu gehen, dann werdet Ihr Tessaiga schneller zu spüren bekommen als Ihr 'Respektlosigkeit' sagen könnt! Ist das deutlich gewesen?“

Für einen langen Moment hängt nun ungewollt beeindrucktes Schweigen über dem Raum. Selbst dem unverschämten, greisen Youkai hat es offenbar die Sprache verschlagen. Dann schließlich ergreift Kagemori wieder das Wort.

„Beruhigt Euch wieder, Inu Yasha-sama! Was Ihr sagt, hat sicher seine Richtigkeit, doch bitte versteht, dass wir als Rat diese Behauptung nicht einfach ohne Hinterfragung hinnehmen können. Für gewöhnlich sieht das Protokoll es vor, dass der Fürst selbst den Rat über seinen Entschluss informiert und seinen Stellvertreter persönlich einführt. Da Sesshomaru dies dieses Mal unterlassen hat, können wir nur darüber spekulieren, was ihn dazu bewogen hat. Es wäre vielleicht hilfreich wenn wir den Grund für seinen übereilten Aufbruch erfahren würden. Wohin ist er gegangen und was war der Grund dafür?“

Noch immer ein wenig aufgebracht lässt sich Inu Yasha wieder zurück auf seinen Sitz plumpsen. Das Adrenalin schießt noch immer durch seinen Körper und ihm wird nun wieder ziemlich unbehaglich zumute, als sich das Thema wieder den kniffligen Dingen zuwendet.

„Nun ja...“, setzt er unbehaglich an, „Also Sesshomaru ist... Er ist auf dem Weg ins Jenseits.“

Aufgeregtes Raunen erfüllt nun den Raum bei dieser ungeheuerlichen Neuigkeit. Chitsurao hat fassungslos die Brauen hochgezogen.

„Soll das heißen, Ihr habt ihn doch getötet?“, fragt er ungläubig.

„Nein, nein!“, wehrt Inu Yasha rasch ab, „Er lebt noch! Ganz bestimmt. Er ist eben nur auf dem Weg in die Unterwelt.“

Verwirrt schaut Hiroshi ihn an. „In die Unterwelt? Lebend? Wie soll das möglich sein?“

„Mit Tenseiga!“, gibt Inu Yasha Auskunft, „Dadurch kann er einen Zugang öffnen.“

„Aber warum gerade in die Unterwelt?“, hakt Matsuba nach, „Und warum ausgerechnet jetzt? Und warum so überstürzt?“

Inu Yasha holt einmal tief Luft. „Er holt jemanden zurück auf den die Prophezeiung zutrifft“, er hebt den Kopf, „Jemanden auf den sie wirklich zutrifft! Wer das ist, ist im Augenblick egal, aber er war jedenfalls nicht davon abzubringen. Er musste so rasch aufbrechen, dass er keine Zeit hatte, dem Rat die Sache zu erklären. Aber er hat mir bis zu seiner Rückkehr die Verantwortung über das Reich übertragen und mehr werde ich heute nicht dazu sagen.“ Damit verschränkt er demonstrativ die Arme und blickt so ernsthaft wie möglich in die Runde. Wenn sie ihm das abnehmen, hat er sich ein bisschen Zeit herausgeschlagen ehe er ihnen alles erklären muss. Es wäre wirklich gut, wenn er das nicht heute Abend machen müsste. Ihm schwirrt selbst noch immer der Kopf von der ganzen Angelegenheit.

Er stellt fest, dass Kagemori ihn nun abschätzend mustert. „Ihr müsst zugeben, dass dies sehr unglaubwürdig klingt, Inu Yasha-sama“, sagt er bedächtig, „Habt Ihr irgendeinen Beweis, der Euren Bericht bestätigen würde?“

„Fragt Dokutoge!“, meint Inu Yasha, der sich gerade wieder darauf besinnt, „Sesshomaru sagte, er würde ihm Bescheid sagen, wenn er das Schloss verlässt.“

Die Youkai schauen sich unsicher an. Doch dann nickt Kagemori kurz Hiroshi zu woraufhin der jugendlich wirkende Youkai sich sogleich von seinem Platz erhebt, an die Schiebetür tritt und sie öffnet. Nun wendet er sich an einen der Diener im Wartebereich. „Hole auf der Stelle Dokutoge hierher!“, befiehlt er und der Diener macht sich eilig auf den Weg.

Ein neuer Fürst

Mit einem leichten Seufzer der Behaglichkeit stellt Kagome ihre Reisschüssel ab, legt ihre Stäbchen beiseite und blickt in die Runde. „Ah, das hat gut getan!“, bemerkt sie zufrieden, „Ich glaube, ich habe schon lange nicht mehr so gut gegessen.“

Ein wenig missmutig hebt Jaken den Kopf. „Die Küche des Westpalastes, ist die vornehmste und beste im ganzen Land“, brummt er, „Selbst der menschliche Kaiser speist nicht so gut. Du solltest dich geehrt fühlen.“

„Das war wirklich, köstlich, Jaken-sama!“, stellt Rin mit einem strahlenden Lächeln fest. Dann scheint sie kurz zu überlegen. „Ob wir Sesshomaru-sama und Inu Yasha-sama etwas aufheben sollen?“, fragt sie zögernd.

„Unsinn!“, schnaubt Jaken, „Wenn es Sesshomaru-sama nach Essen gelüsten sollte, wird er selbstverständlich sein eigenes, frisches Essen serviert bekommen.“

„Wo wir gerade von ihm sprechen“, merkt Kagome an, „Ob der Rat wohl bald zu ende ist, damit wir erfahren was entschieden wurde?“

„Der Rat ist zu ende, wenn er zu ende ist!“, erwidert der kleine Gnom verstimmt, „Und was dort entschieden wurde, werdet ihr Menschen sicher als allerletztes erfahren, und zwar dann, wenn Sesshomaru-sama es für angebracht hält.“

„Jaken-sama, sei doch nicht so grantig!“, meint Rin ein wenig tadelnd, „Wir alle wollen schließlich wissen, was sie mit dem Youkai vorhaben, der Sesshomaru-sama so schrecklich zugerichtet hat.“

Der kleine Youkai zuckt unwillkürlich zusammen. Anscheinend hatte er diesen Umstand bereits schon wieder vergessen gehabt und der rote Schimmer um sein Wangen deutet darauf hin, dass ihm das ziemlich peinlich ist.

„Sie beraten jetzt schon eine ganze Weile“, bemerkt Kagome nachdenklich, „Mich würde schon interessieren, worüber genau, aber direkt dabei sein möchte ich eigentlich nicht. Die Stimmung da ist mir einfach zu unheimlich.“ Bei dem Gedanken an die eisigen Blicke der Ratsmitglieder die sie so durchdringend taxiert hatten, läuft Kagome ein leichter Schauer über den Rücken.

Ob es Inu Yasha wohl ähnlich ergeht, überlegt sie bei sich. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, wie er über dieses höfische Gehabe und die traditionsbewussten Personen hier auf diesem Schloss denkt. Offenbar hat Sesshomaru nach dem Sieg über Naraku des öfteren versucht, Inu Yasha dazu zu bewegen, mit ihm hierher zu kommen, doch der Hanyou hatte jedes Mal abgelehnt.

Kagome kann sich recht gut vorstellen was der Grund dafür ist. Er möchte nicht unter Youkai leben, die in ihm nur den Hanyou sehen, den Fehltritt seines Vaters. Auch wenn Sesshomaru seinem Bruder inzwischen aus irgendeinem Grund gewogen zu sein scheint, so hat ihr Freund doch keine Garantie dafür, dass das bei den anderen Youkai genau so sein wird. Sicher wird niemand hier dies offen äußern, solange er unter Sesshomarus moralischem Schutzschirm steht, doch was die Leute denken, was sie zeigen, ohne es direkt zu wollen, wie sie mit ihm umgehen, das alles offenbart ihre wirklichen Ansichten.

Auch wenn Inu Yasha manchmal etwas plump und grobschlächtig wirkt, Kagome weiß, dass ihr Hanyoufreund eine sehr sensible Seite hat, die solche negativen Schwingungen sehr deutlich spürt, und sie weiß, dass er in dieser Hinsicht sehr verletzlich ist, auch wenn er konsequent bemüht ist, dies nicht zu zeigen. Vielleicht ist gerade das der Grund weshalb sie ihn so mag.

Natürlich würde Inu Yasha niemals zugeben, weshalb er einen Bogen um dieses Schloss macht, doch Kagome weiß es, auch ohne dass sie fragen muss. Hoffentlich ist diese Angelegenheit bald wieder vorbei, damit sie wieder nach Hause gehen können.

Vorausgesetzt Inu Yasha ist doch nicht das Fürstenkind aus der Prophezeiung. Falls doch werden sie wohl noch etwas bleiben müssen. Und wenn nicht... Sie seufzt innerlich ein wenig. Vermutlich wird er dennoch nicht von hier wegzubekommen sein, bis er dem Kerl, der Sesshomaru so schwer verletzt hat, eigenhändig die Leviten gelesen hat. Weiß der Himmel warum er sich nun so für seinen Bruder einsetzt, bedenkt man die Zwistigkeiten, die die beiden schon miteinander hatten. Nun gut, ihr soll es recht sein. Wenn das seine Entscheidung ist, dann wird sie ihren Freund auf jeden Fall unterstützen.

Ein paar näherkommende Schritte auf dem Flur, holen sie aus ihren Gedanken. Es sind bloße Füße die da kommen und ihre Miene hellt sich auf. Diese Schritte kennt sie nur zu gut. Die Tür wird geöffnet und sie wendet sich sogleich dem Neuankömmling zu. „Inu Yasha!“, ruft sie erfreut, „Ist der Rat schon zu ende?“

Der Hanyou steht einen Moment lang ein wenig steif in der Tür, doch dann betritt er das Zimmer, schiebt die Tür hinter sich zu und nimmt dann bei seinen Freunden Platz. Dann schnappt er sich ohne zu fragen eine der Reisschüsseln und schaufelt sich etwas von dem übriggebliebenen Essen auf. „Sieht wohl so aus“, nuschelt er während er zu essen beginnt.

Kagomes Mundwinkel sinken ein wenig herab. Aufmerksam taxiert sie Inu Yasha, der sich jedoch davon gar nicht aus der Ruhe bringen lässt. „Und?“, hilft sie ihm auf die Sprünge, „Was habt ihr beschlossen?“

Inu Yasha lässt zwischen zwei Happen ein missmutiges Schnaufen vernehmen. „Keh, ich habe da gar nichts beschlossen. Man könnte eher sagen, man hat mich vor vollendete Tatsachen gestellt.“

In Kagomes Gesicht zeigt sich ein wenig Mitgefühl. „Dann ist es wohl nicht sonderlich gut gelaufen, was? Aber was wurde denn nun beschlossen? Spann uns nicht länger auf die Folter!“

Inu Yasha wirft ihr kurz aus den Augenwinkeln einen Blick zu, dann stopft er sich noch ein paar große Happen Essen in den Mund. Es scheint fast, als wolle er Zeit schinden. Dann beginnt er verhalten mit vollem Mund zu berichten. „Also, Sesshomaru hat ihnen von der Prophezeiung erzählt und natürlich waren sie nicht besonders begeistert darüber. Sie wollten nicht mal die Nachricht von Katsuken ernst nehmen, weil sie es unglaubwürdig fanden, dass gerade Kohaku sie überbracht hatte. Eine Bande von Sturköpfen ist das! Sie glauben tatsächlich, dass der Kerl mit einem der anderen Fürsten unter einer Decke steckt.“

Kagome hebt überrascht die Brauen. „Wirklich? Aber das ist doch lächerlich! Das sieht den beiden doch gar nicht ähnlich.“

„Hab ich auch gesagt“, fährt Inu Yasha fort, während er weiter isst, doch noch immer weicht er Kagomes direkten Blick aus, „Natürlich glauben sie mir nicht. Aber das war ja klar.“ Seine Stimme hat einen bitteren Unterton während er auf seine Schüssel starrt.

„Zumindest wollen sie sich mit den anderen Fürsten in Verbindung setzen, um zu erfahren was Sache ist.“

„Dann werden Yarinuyuki und Yaeba also gewarnt“, meldet sich nun Rin zu Wort, „Das ist gut. Ich kann Yaeba gut leiden. Außerdem können wir ihn so vielleicht mal treffen und dann fragen wir ihn einfach nach der Geschichte die Kamukiku-baba uns nicht erzählen wollte.“

Kagome nickt leicht. „Ja, vielleicht ergibt sich die Gelegenheit.“ Dann wendet sie sich wieder an Inu Yasha: „Habt ihr dem Rat erzählt, dass du als Fürstenkind aus der Prophezeiung in Frage kommst?“

Inu Yashas Nackenmuskeln versteifen sich unwillkürlich, dann nimmt er einen weiteren großen Bissen und nickt dann kurz.

Kagome verzieht das Gesicht. „Ja, und?“, hakt sie ungeduldig nach, „Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, du bist ja schon so schlimm wie Sesshomaru.“

Das scheint Wirkung zu zeigen. Inu Yasha zuckt kurz zusammen dann wendet er sich zum ersten Mal zu ihr um. „Nur damit du es weißt, der Rat ist sich ziemlich einig, dass ich nicht das Kind aus der Prophezeiung bin“, stellt er unwirsch klar.

Kagome verschränkt die Arme und ihre Lippen werden schmal. „Deshalb musst du mich ja nicht gleich anpflaumen“, gibt sie verstimmt zurück.

„Aber...“, Inu Yasha wendet jetzt doch wieder den Blick ab. Es scheint, als wäre es ihm unangenehm weiterzureden. „Mir ist noch jemand anderes eingefallen, auf den die Prophezeiung zutreffen könnte.“

Erstaunt wenden sich ihm alle Blicke zu. „Und wer?“, fragt Rin.

Inu Yasha verzieht das Gesicht. Schließlich rückt er mit der Sprache heraus: „Tenmaru.“

Nach einem Moment der Verwirrung scheint es Kagome langsam zu dämmern und ihre Augen weiten sich. „Ist das dein Ernst?“, fragt sie ungläubig.

„Wer ist Tenmaru?“, stellt nun Kohaku die Frage, nicht weniger verwirrt, jedoch aus anderem Grund.

Kagome druckst ein wenig herum, dann antwortet sie: „Tenmaru ist Sesshomarus Sohn. Na ja, sein unehelicher Sohn, muss man es wohl nennen. Es ist eine lange Geschichte und sie ist ziemlich kompliziert.“ Nun wendet sie sich wieder an Inu Yasha: „Wie kommst du denn darauf? Hast du auch gründlich darüber nachgedacht?“

Wieder schnaubt Inu Yasha unwillig aus. „Denk doch selber nach! Sesshomaru hat mir jedenfalls zugestimmt.“

Kagome fällt die Kinnlade herunter: „Tatsächlich? Das hätte ich jetzt wirklich nicht gedacht.“

„Ich wusste gar nicht, dass Tote auch in Frage kommen. Dann wäre mir das vielleicht auch eingefallen“, meldet sich nun Rin ein wenig schmollend zu Wort.

„Sie hat Recht“, nickt Kagome, „Er ist damals gestorben, wie kann er da gemeint sein?“

Inu Yashas Finger verkrampfen sich etwas um seine Stäbchen. „Sesshomaru ist jedenfalls so überzeugt davon, dass er beschlossen hat, ihn zurückzuholen“, bemerkt er verhalten.

Was?“, diesmal kommt der schrille Ausruf von Jaken, der das Gespräch bisher mit größtem Interesse wenn auch schweigend verfolgt hat. „Willst du etwa sagen, dass Sesshomaru-sama sich auf den Weg in die Unterwelt machen wird? Wie kann er ein so gefährliches Unterfangen bloß in Betracht ziehen? Nicht, dass ich sagen will, er wäre nicht mächtig genug dafür, oder willensstark, aber in die Unterwelt zu gehen, ist über alle Maßen gefährlich, wenn nicht sogar unmöglich! Wie stellt er sich das nur vor?“

„Er hat Tenseiga“, erklärt Inu Yasha knapp, „Damit soll es offenbar einen Weg geben.“

Doch der kleine Youkai hört ihm kaum zu. Stattdessen schüttelt er nur mit verzweifelter Miene den Kopf. „Das wird schrecklich werden, ganz schrecklich! Wer weiß was für furchtbare Gefahren dort auf uns lauern. Womöglich sterben wir da tatsächlich, dann wären wir gleich an der richtigen Stelle. Aber für Sesshomaru-sama werde ich selbst die Geister der Unterwelt und die Feuer der Hölle erdulden und wenn es mich das Leben kostet!“ Kleine enthusiastische Flammen scheinen in seinen Augen zu lodern.

„Zumindest in dem Punkt brauchst du dir keine Gedanken machen“, entgegnet Inu Yasha trocken, „Er ist nämlich schon längst weg. Du wirst also sicher und wohlbehalten hier bleiben können.“

Jakens Gesicht wird hellgrün bei diesen Worten und ein schriller, erstickender Schrei entfährt ihm. Diese Nachricht kommt für ihn einem Schock gleich. „Was? Er ist ohne mich gegangen?“, und dann bricht er theatralisch heulend zusammen, „Sesshomau-sama, habt Ihr denn kein Vertrauen in mich?“

„Verstehe ich das richtig?“, greift Kagome den Fakt noch mal ungläubig auf, „Sesshomaru ist gerade jetzt im Moment auf dem Weg in die Unterwelt um Tenmaru ins Leben zurückzubringen? Wie um alles in der Welt will er das anstellen? Ist so etwas überhaupt möglich?“

Inu Yasha hat nun doch die Schüssel sinken lassen. „Ich weiß es nicht. Aber er hat Tenseiga, das Schwert mit dem man Tote wiederbeleben kann. Bisher hat er das aber immer nur von hier im Diesseits gemacht. Vermutlich geht er diesmal ins Jenseits, weil es hier keinen Leichnam von Tenmaru gibt, den er wiederbeleben könnte. Ich hab keine Ahnung was er vorhat, aber ich weiß, wenn Sesshomaru sich mal was in den Kopf gesetzt hat, dann ist er nicht mehr davon abzubringen. Außerdem reden wir hier von Sesshomaru. Wenn einer einen Weg dafür findet, dann er.“

Kagome schüttelt ungläubig den Kopf: „Mich wundert, dass der Rat ihm das nicht ausgeredet hat. Gestern waren sie ja nicht besonders geneigt, seine Meinung zu teilen.“

Inu Yasha stellt die Schale ab und verschränkt dann ein wenig gereizt die Arme. „Vermutlich, weil er es ihnen nicht gesagt hat“, brummt er, „Er hat mir unter vier Augen gesagt was er vorhat und dann hat er sich verkrümelt, der Mistkerl! Und dann durfte ich das Ganze dem Rat erklären. Frag mal ob die begeistert waren!“

„Das meintest du also mit vollendeten Tatsachen“, nickt Kagome, „Da kann ich gut verstehen, dass du sauer auf ihn bist. Das war schon ein wenig unfair von ihm. Und wie hat der Rat das aufgenommen?“

Nun starrt Inu Yasha ohne ein weiteres Wort zu sagen auf seine Fußspitzen hinab. Schließlich meint er: „Wie schon?“

Kagome stemmt die Arme in die Seiten: „Nun erzähl doch endlich was letztlich rausgekommen ist bei der Sache! Was unternehmen sie denn nun? Wie gehen sie gegen Katsuken vor? Brauchen sie dabei unsere Hilfe, oder gehen wir wieder nach hause?“

Inu Yasha schürzt die Lippen, sagt aber kein Wort.

Kritisch mustert Kagome ihren Freund. „Da ist doch noch etwas anderes, nicht wahr?“, meint sie skeptisch, „Na los, sag schon! Gibt es sonst noch etwas das wir wissen müssen?“

Inu Yasha atmet einmal langsam durch, dann murmelt er: „Nein. Na ja, vielleicht bis auf...“ Doch er wird unterbrochen, als plötzlich sittsam die Tür hinter ihnen geöffnet wird und drei Youkaidienerinnen davor sitzen die sich untertänig verneigen.

„Wir wurden angewiesen, die persönlichen Habseligkeiten von Inu Yasha-sama in die fürstlichen Gemächer hinüber zu bringen“, erklärt eine der Frauen respektvoll, „Das Abendessen wird gerade bereitet.“ Wieder verneigt sich die Dienerin vor Inu Yasha: „Habt Ihr noch einen Wunsch, Taishou? Es soll alles zu Eurer Zufriedenheit ausgeführt werden.“

Nach diesen Worten herrscht erst mal Stille. Dann wird Inu Yasha von vier fassungslosen Augenpaaren durchbohrt. „Taishou?“, wiederholt Kagome entgeistert.

Nun blickt Inu Yasha ziemlich beklommen auf: „Hatte ich schon erwähnt, dass mich Sesshomaru zum stellvertretenden Fürsten ernannt hat bis er zurück ist?“

Mit säuerlicher Miene blickt Kagome ihn an: „Nein, hattest du nicht. Nett, dass wir das auch schon erfahren.“

Ärgerlich fährt Inu Yasha zu ihr herum: „Hey, ich habe nicht darum gebeten, ja? Es war Sesshomarus blödsinnige Idee und jetzt hab ich diesen dämlichen Titel am Hals.“

„Schon gut!“, versucht Kagome ihren Freund zu beschwichtigen. Zögernd wendet sie sich nun zu den Dienerinnen um die noch immer züchtig neben der Eingangstür sitzen und geduldig auf Anweisungen warten.

„Und was machen wir jetzt?“, fragt sie ihren Freund, „Es scheint, als sollst du umziehen. Vermutlich ist diese Unterkunft eines Fürsten nicht würdig genug.“

Inu Yasha verschränkt beleidigt die Arme. „Keh, ich gehe nirgendwo hin! Die Zimmer hier reichen völlig“, und an die Dienerinnen gewandt, „Ihr könnt gerne wieder verschwinden!“

Ein wenig unsicher sehen sich die Frauen an. Dann ergreift die Wortführerin wieder das Wort: „Verzeiht mir, Taishou, aber Kagemori-sama... besteht darauf, dass Ihr in die fürstlichen Gemächer umzieht.“

Inu Yashas Miene verfinstert sich. „Kagemori!“, brummt er düster. Doch dann erhebt er sich steif und wendet sich missmutig an die drei Dienerinnen: „Von mir aus, bringt mich halt hin. Aber die anderen kommen auch mit, klar?“

Wieder verneigen sich die drei Frauen respektvoll vor ihm. Dann blickt sich eine der Damen im Zimmer um: „Eure Habseligkeiten, Taishou?“, fragt sie unsicher.

„Inu Yasha klopft einmal kurz auf Tessaigas Griff. „Das hier ist alles was ich habe, und das trage ich selbst!“, stellt er mit einem scharfen Blick klar.

Wieder verneigen sich die Frauen vor ihm. Inu Yasha schnaubt gereizt auf. Als jedoch noch immer keine der Frauen Anstalten macht, sich zu erheben, wird es Inu Yasha zu bunt: „Also was nun?“, patzt er heraus, „Bringt ihr mich nun hin oder was?“

„Sie warten darauf, dass Ihr das Zimmer verlasst, damit sie Euch folgen können“, meldet sich nun eine Stimme zu Wort; sie klingt etwas trübsinnig.

Inu Yasha hebt die Brauen und dreht sich zu Jaken um. Der kleine Gnom lehnt schwer an seinem Stab und sieht ziemlich unglücklich drein. Offenbar hat er die jüngste Hiobsbotschaft noch nicht ganz verkraftet.

„Was meinst du damit?“, blafft Inu Yasha ihn an, „Warum soll ich vorgehen, wenn sie mir den Weg zeigen sollen, das macht doch gar keinen Sinn!“

Jaken seufzt tief: „Es wäre sehr respektlos, als Diener vor dem Fürsten zu gehen. Geht nur schon mal vor, sie werden Euch schon den Weg zeigen.“

„Meine Güte!“, nuschelt Inu Yasha und dann stapft er einfach zwischen den Frauen hindurch, die urplötzlich eine rege Betriebsamkeit erfasst, kaum dass er sie passiert hat. Rasch packen sie Kagomes Sachen zusammen und alle persönlichen Gegenstände die sie sonst noch finden können und in wenigen Augenblicken haben sie zu Inu Yasha wieder aufgeschlossen. Dabei verstehen sie es sehr geschickt, neben ihm zu gehen, ohne jedoch vollständig zu ihm aufzuschließen. Mit ein paar respektvollen handbreit Raum zwischen ihnen und dem neuen Fürsten, bringen sie es ohne weiteres fertig, ihn dort hin zu lotsen wo seine neue Unterkunft sein wird.

Kagome und die anderen folgen ihnen mit ein wenig Abstand. Irgendwie ist es faszinierend zu beobachten, wie die drei Frauen sich in Inu Yashas Gegenwart gebärden. So wie es aussieht, sind die Dienerinnen gut ausgebildet und erfahren. Irgendwie bringen sie es fertig, dass man schnell vergisst, dass sie überhaupt da sind.

Nachdenklich mustert Kagome ihren Freund der vor ihr geht. Es ist ihm deutlich anzusehen, wie unangenehm ihm das alles ist. Ein Fürst! Wer hätte das gedacht. Er wollte ja am liebsten schon gar nicht hierher und jetzt das! Was mag sich Sesshomaru nur dabei gedacht haben? Schon beim letzten Mal fiel es Inu Yasha schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, auch nur ein Prinz zu sein. Und nun wird von ihm erwartet, ein ganzes Reich zu regieren und so wie es momentan aussieht, ein Heer zu führen. Sie kann nur ahnen, was ihrem Freund gerade durch den Kopf geht dabei. Glücklich ist er sicher nicht darüber, das ist deutlich zu erkennen.

Ihr selbst fällt es schon schwer die Tragweite dessen auszumachen, was dieser neue Umstand für sie alle bedeutet, und wahrscheinlich ist ihr bei weitem noch nicht das Ausmaß dieser Situation klar. Nur eines scheint ziemlich deutlich zu sein, nämlich, dass Sesshomaru ohne Frage eine hohe Meinung von Inu Yasha hat. Vor einigen Jahren konnten sie sich überaus deutlich davon überzeugen, wie ernst es Sesshomaru damit ist, wenn es um das Wohl seines Reiches geht, und wie weit er dafür gehen würde. Dass er jetzt dessen Obhut seinem Halbbruder überlässt, zeigt wohl sehr deutlich, das große Vertrauen, dass er ihm entgegenbringt. Ein Jammer, dass Inu Yasha das wohl nicht recht zu würdigen weiß, aber wer könnte es ihm verdenken? Nun wird es seine Aufgabe sein, nicht nur diesem ominösen Katsuken die Stirn zu bieten, sondern sich auch mit einem überkritischen Rat voller adliger Youkai herumzuschlagen. Wie die wohl auf die Neuigkeit reagiert haben?

Beherzt schließt Kagome zu ihrem Freund auf. „Inu Yasha?“, spricht sie ihn an, „Sag mal, wie hat der Rat das Ganze denn aufgenommen? Werden sie es akzeptieren, oder machen sie Schwierigkeiten?“

Inu Yasha trottet mit verschränkten Armen neben ihr, ohne ihr den Blick zuzuwenden: „Was glaubst du denn?“, brummt er, „Im ersten Moment haben sie mir nicht mal geglaubt. Zum Glück hat Sesshomaru Wort gehalten und Dokutoge vor seiner Abreise von seinen Absichten erzählt“, er schnaubt missmutig auf, „Die dachten zuerst doch allen Ernstes, ich hätte Sesshomaru umgebracht, nur weil die Unterwelt im Gespräch war.“

Kagome lächelt ein wenig: „Ich hätte das als Kompliment angesehen. Immerhin haben sie dir so etwas zugetraut.“

„Keh, darauf kann ich gerne verzichten“, schnaubt Inu Yasha, „Dann haben sie Dokutoge rufen lassen, der die Geschichte zum Glück bestätigt hat.“

„Und dann?“

Inu Yasha seufzt leicht: „Und dann wollten sie von mir genau wissen, was er da in der Unterwelt will.“

„Hast du es ihnen gesagt?“

Der Hanyou verzieht das Gesicht: „Bist du irre? Meinst du ich erzähl ihnen brühend heiß, dass Sesshomaru sich unglücklich verliebt und dann ein Kind gezeugt hat, an dem er noch immer so sehr hängt, dass er es jetzt von den Toten zurückholen geht, um eine Prophezeiung zu erfüllen, von der die vor einer Stunde noch nicht mal etwas wussten, geschweige denn bereit sind, sie auch nur irgendwie in Betracht zu ziehen?“

Kagomes Stirn legt sich etwas in Falten: „Hmm, vermutlich nicht.“

„Da hast du verdammt recht!“, stößt Inu Yasha gereizt hervor.

„Und was hast du ihnen stattdessen gesagt?“

Noch einmal atmet Inu Yasha tief durch: „Dass ich jetzt der Fürst bin, wie sie ja selbst nun anerkannt haben, und dass ich den Rat für heute für beendet erkläre und ihnen das vielleicht morgen erzähle. Und, dass sie jetzt keine blöden Fragen mehr stellen sollen“, fügt er etwas zögernd hinzu.

„Mit anderen Worten, du hast gekniffen“, stellt Kagome sachlich fest.

„Hey!“, begehrt Inu Yasha auf, „Ich hab gerade erst erfahren, dass ich nun der Fürst bin, ja, und dass Sesshomaru völlig den Verstand verloren hat und mich hier mit dieser Bande Klugscheißern hat sitzen lassen, die einfach nicht aufhören wollten, mich mit Fragen zu löchern. Er ist das vielleicht gewöhnt, aber ich nicht. Ich brauchte etwas Bedenkzeit, ok? Du hättest da auch nicht anders gehandelt.“

Nachdenklich blickt Kagome ihren Freund an, dann nickt sie leicht. „Ja, vermutlich hast du recht. Und wann willst du es ihnen sagen?“

Inu Yasha wendet den Blick wieder stur nach vorne. „Weiß ich noch nicht. Aber wenn ich nicht wenigstens versuche, es ihnen ein wenig taktvoll zu verkaufen, wird Sesshomaru mich garantiert auseinandernehmen.“

Innerlich nickt Kagome. Das traut sie dem Daiyoukai ohne weiteres zu. Sie erinnert sich noch lebhaft an die Ereignisse vor einigen Jahren, als der Daiyoukai mit diesem Dilemma konfrontiert war und die ganze Zeit über äußerst gereizt reagiert hat auf alles was irgendwie damit zu tun hatte, ganz zu schweigen von dem legendären Wutanfall, als er herausfand, wer für das Ganze verantwortlich war. Hier ist ein wenig Fingerspitzengefühl angesagt, wenn sie ihre Köpfe behalten wollen.

Inzwischen haben sie den Hof überquert, der zu dem eindrucksvollen Gebäude führt, in dem die Fürstenfamilie untergebracht ist. Aufmerksam blickt Kagome sich um, während sie die großen Steintreppen hochsteigt. Hinter sich sieht sie Rin und Kohaku die ihnen mit Kirara folgen. Kagomes Stirn legt sich in Falten. Der junge Dämonenjäger verzieht kaum merklich bei jeder Stufe das Gesicht, auch wenn er bemüht ist sich nichts anmerken zu lassen.

Schließlich haben sie das Eingangstor erreicht. Als sie das Gebäude betreten, kommt Kagome aus dem Staunen kaum heraus. Alles hier ist sehr kostbar und künstlerisch verziert und nun betreten sie den breiten, langen Flur, der die einzelnen Zimmer, auf jeder Seite drei, miteinander verbindet. Auch die große, massive Tür mit der Aufschrift „Taishou“, am Ende des Ganges, fällt Kagome ins Auge, doch die Dienerinnen ignorieren die Tür, sondern steuern stattdessen das hintere, linke Zimmer auf dem Gang an, öffnen die Tür und nehmen demütig daneben Platz um ihren neuen Herrn passieren zu lassen.

Ein wenig verhalten lugt Inu Yasha hinein. Der Raum ist größer, als es von außen den Eindruck macht und nur die fordere Front ist mit Papier bespannt, die Trennwände sind aus edlem Holz an dem mehrere meisterliche Tuschezeichnungen hängen.

In seiner Mitte steht ein kostbarer Tisch auf dem bereits Vorbereitungen für eine Mahlzeit getroffen wurden und im hinteren Abschnitt ist schon ein bequemes Futonbett bereitet worden. Der Raum wirkt schlicht und elegant.

Ein wenig zögerlich betritt Inu Yasha das Zimmer. Wieder verneigen sich die Dienerinnen. „Wir hoffen, es ist alles zu Eurer Zufriedenheit, Taishou!“, lässt sich die Wortführerin vernehmen, „Das Abendessen wird in Kürze aufgetragen.“

Inu Yasha dreht sich zu ihnen um: „Ist nicht nötig, ich habe schon gegessen.“

Für einen kurzen Moment huscht ein wenig Verwirrung über das Gesicht der Frauen, doch sie sind erfahren genug um sich nichts anmerken zu lassen. „Wie Ihr wünscht!“, verneigt sich die Sprecherin.

Inzwischen sind auch Kagome und die anderen hinzugekommen und bewundern staunend das herrschaftliche Zimmer, das beinah doppelt so groß ist wie ihr voriges Gästezimmer. Kagome zweifelt nicht, dass bei der Fertigung der Inneneinrichtung dieses Zimmers die kundigsten Hände beteiligt waren, die aufzutreiben waren.

Lautlos erheben sich nun die drei Dienerinnen und verschwinden kurz mit ihrem Gepäck in dem Zimmer nebenan, nur um wenig später wieder aufzutauchen und erneut ihren Platz neben der Tür ihres neuen Fürsten einzunehmen.

Nachdenklich mustert Inu Yasha sein neues Zuhause. Nun gut, er hätte es bedeutend schlechter treffen können, trotzdem ist ihm so viel purer Luxus einfach nicht ganz geheuer. Sein Blick geht hinüber zu seinen Freunden, die sich noch immer staunend umsehen. Ob ihnen eigentlich bewusst ist, wie unangenehm es ihm ist, hier zu sein? Wohl kaum, ihren Gesichtern nach zu urteilen, sehen sie dies hier als riesigen Glücksfall an.

Nun ja, vielleicht bis auf Kohaku. Der Junge hat sich neben dem Tisch niedergelassen und versucht offenbar, eine halbwegs angenehme Sitzposition zu finden. Er muss noch immer Schmerzen haben. Ein Jammer, dass Kaede-baba nicht hier ist und ihm mit einem ihrer Kräuterwickel Linderung verschaffen kann.

Inu Yasha hebt den Kopf, der Gedanke bringt ihn auf eine Idee. Er wendet sich den Dienerinnen zu. „Hey, gibt es hier so was wie einen Arzt? Wenn ja, soll er sich mal Kohakus Verletzung ansehen.“

Augenblicklich verneigt sich eine der Frauen, springt rasch auf und verschwindet dann. Inu Yasha ist ungewollt beeindruckt. Vielleicht ist ein bisschen Befehlsgewalt manchmal gar nicht so schlecht. Aber die Versuchung sich zu entspannen und dann unaufmerksam zu werden ist einfach zu groß, bei zu viel Bequemlichkeit. Doch wozu dient alle Verfügungsgewalt, wenn man einem Freund nicht etwas Erleichterung verschaffen kann?

Und noch eine Sache kommt ihm in den Sinn, wenn er schon mal dabei ist. „Und versucht mal rauszukriegen wo Myoga steckt!“, wendet er sich wieder an die beiden verbliebenen Dienerinnen, „Sagt ihm, er soll hier so schnell wie möglich aufkreuzen!“ Wieder verneigt sich eine der Dienerinnen und verschwindet dann ebenfalls.

Seufzend lässt sich Inu Yasha neben den Tisch plumpsen. Das ist erst mal genug kommandiert für einen Abend. Wie es wohl morgen wird? Allzu lang wird er die Ratsleute wohl nicht mehr hinhalten können. Aber was soll er ihnen bloß sagen? Er muss ja erst einmal selbst mit dieser spontanen Entscheidung seines Bruders klar kommen. Er ein Fürst! Er kann es immer noch nicht fassen. Wie soll das bloß gut gehen? Schon jetzt kriegt er Beklemmungen, wenn er nur allein an die Größe dieses Anwesens denkt. Sich vorzustellen, dass das nun alles ihm gehört, ist schon fast irgendwie grotesk. Nein, ruft er sich zur Ordnung, es gehört nicht ihm, er passt nur vorübergehend darauf auf.

Vermutlich wäre es besser, wenn Sesshomaru recht bald wieder auftauchen würde. Leider ist es ja nicht so, als ob er nur mal eben einen kleinen Spaziergang macht. Er selbst war auch schon einige Male in der Unterwelt, und bisher ist er immer recht glimpflich davongekommen. Aber er hatte ja auch niemals die Frechheit besessen von dort eine Seele zurückzufordern. Er weiß, auch in der Unterwelt gibt es Leute die das Sagen haben, und er kann sich nicht vorstellen, dass die besonders begeistert von Sesshomarus Unterfangen sein werden. Pass bloß auf dich auf, Bruder!, denkt er bei sich.

Dann geht sein Blick wieder hinüber zu der letzten verbliebenen Dienerin, die noch immer züchtig am Eingang sitzt und unauffällig zu ihm herüberblickt. „Was ist noch?“, schnaubt er sie an, „Hast du nichts besseres zu tun, als hier rumzusitzen und mich anzustarren?“

Die Frau errötet augenblicklich und umgehend verneigt sie sich unterwürfig vor ihm: „Verzeiht mir, Taishou, ich wollte nicht...“, ihre Stimme versagt.

„Sie wartet darauf, dass Ihr sie entlasst“, lässt sich Jaken mit noch immer tief deprimierter Stimme vernehmen. Wie ein Häuflein Elend hockt er in einer Ecke des Raumes und bläst Trübsal.

Inu Yasha seufzt und verdreht die Augen: „Oh man, daran werde ich mich nie gewöhnen!“ Dann wendet er sich gereizt an die Frau: „Du kannst von mir aus gehen.“

Das lässt sich die Dienerin nicht zweimal sagen. Rasch hat sie sich erhoben, verneigt sich noch einmal und schließt dann die Tür zwischen sich und den anderen. Eilige Schritte signalisieren, dass sie sich entfernt.

Inu Yasha sackt frustriert in sich zusammen. Das kann ja noch heiter werden hier. Fast schon bereut er es ein wenig Sesshomarus Angebote, hier etwas über das höfische Leben zu lernen, bisher ausgeschlagen zu haben. Nun ja, das kann Myoga ja jetzt nachholen. Zwar erinnert er sich noch lebhaft an den letzten Schnellkurs den der Floh ihn damals verpasst hat und wie sehr ihm der Kopf geraucht hat um das alles behalten zu können, doch das damals war eine Notsituation gewesen und dies heute hier ist ebenfalls eine. Also muss es wohl sein.

In diesem Moment öffnet sich die Tür erneut und davor kniet ein schlicht gekleideter, schlanker, grauhaariger Youkai der eine Art Korb vor sich abgestellt hat. Sein Gesicht wirkt jung, doch Inu Yasha ist ziemlich sicher, das dies täuscht. In seinen Augen liegt eine Ruhe und ein Selbstbewusstsein, dass sicher von vielen Jahren Erfahrung herrührt.

Nun verneigt sich der Youkai vor den Anwesenden. „Mein Name ist Yasugi. Ich bin der Heiler dieses Palastes. Ihr habt nach mir verlangt?“

Für einen Moment ist Inu Yasha etwas unsicher, doch dann sagt er: „Ich will, dass du meinen Freund hier behandelst“, er zeigt auf Kohaku der ein wenig steif und mit leicht verkniffenem Gesicht neben ihm sitzt, „Er hat eine gebrochene Rippe. Und du tust besser alles für ihn was du kannst, klar?“ Nicht dass er auf die Idee kommt, dass ein Mensch, insbesondere ein Dämonenjäger, keine vernünftige Behandlung verdient.

Doch seine Sorge ist offenbar unbegründet. „Selbstverständlich, mein Fürst!“, sagt der Youkai während er sich verneigt. Dann erhebt er sich, nimmt seinen Korb und geht hinüber zu Kohaku um ihn eingehend zu untersuchen. Dann trägt er eine Art Salbe auf und wechselt den Verband. Mit dem höflichen Rat, sich in nächster Zeit möglichst nicht zu überanstrengen, verabschiedet sich der Heiler dann und mit einer respektvollen Verneigung zu Inu Yasha verlässt er schließlich das Zimmer.

Rin gähnt herzhaft. „Es ist schon so spät, wollen wir nicht lieber schlafen gehen? Es war ein anstrengender Tag.“

Inu Yasha zuckt nur mit den Achseln. „Mach doch was du willst!“, meint er etwas verstimmt.

Das lässt sich das Mädchen jedoch nicht zweimal sagen. Sie erhebt sich und geht zur Tür. Dort verneigt sie sich noch einmal höflich und lächelt Inu Yasha noch einmal an. „Gute Nacht, Inu Yasha-oji (Onkel)! Schlaf gut! Gute Nacht, Kagome-sama!“ Dann verschwindet sie mit einem spitzbübischen Lächeln aus der Tür und man hört ihre Schritte in den Räumen neben ihnen verschwinden.

Kagome wirft einen vorsichtigen Blick hinüber zu ihrem Freund. Nein, sie hat sich nicht getäuscht, Inu Yasha sitzt stocksteif da und sieht irgendwie angeekelt aus. Langsam blickt er ihr herüber. „Kommt es nur mir so vor, oder hat die das langsam richtig faustdick hinter den Ohren?“, meint er säuerlich.

„Rin wird eben älter“, meint Kagome beschwichtigend und erhebt sich nun ebenfalls, „Ich glaube die Zeiten wo man sie beschützen muss, weil sie noch so klein ist, sind bald vorbei.“

„Stimmt“, brummt Kohaku und hievt sich in den Stand hoch, „Jetzt muss man sie nur noch beschützen, weil sie frech ist.“

„Tu dir bloß keinen Zwang an“, meint Inu Yasha gehässig, „Ihr scheint euch ja jetzt schon prima zu vertragen.“

Kohaku zuckt etwas zusammen. Sein Gesicht kriegt nun eine leichte Rotfärbung. „Ich war von Anfang an dagegen, dass sie mitkommt!“, protestiert er rasch, „Ich geh jetzt auch besser schlafen, ich will morgen früh zurück. Dann nehm ich sie mit und sie kann keinen Unsinn mehr anstellen hier.“

Diese Äußerung wird durch einem schmalen Blick von Seiten Inu Yashas und Kagomes quittiert. Doch der junge Mann wendet sich nur hastig um und verlässt fast fluchtartig das Zimmer.

Ein Lächeln legt sich auf Kagomes Lippen. „Die beiden sind irgendwie niedlich miteinander.“, schmunzelt sie. Dann wendet sie sich auch Richtung Tür.

„Wo willst du hin?“, fragt Inu Yasha skeptisch und springt auf.

„Wo soll ich schon hin wollen?“, gibt sie gähnend zurück, „Ich will ins Bett. Ich bin tierisch müde.“

Ein wenig perplex starrt Inu Yasha sie an, doch dann entspannt sich seine Haltung wieder. „Ah... ja verstehe.“ Getrennte Zimmer, das wäre sonst nicht schicklich. Er traut sich nicht es auszusprechen. Es wäre ihm peinlich, ihr gegenüber einzugestehen, dass er die heutige, erste Nacht in diesem neuen 'Zuhause' ungern allein verbringt. Er ist einfach zu gewöhnt daran, sie direkt neben sich zu haben wenn er auf Reisen ist. Es ist einfach angenehm, sie hier bei sich zu wissen. Natürlich könnte er das einfach bestimmen, schließlich ist er jetzt der Fürst, aber wie würde das denn aussehen? Was sie dann vielleicht denken mag? Er errötet unwillkürlich. Aber wäre es ihm wirklich so unangenehm, wenn sie solche Schlüsse zieht? Doch möglicherweise kommt ihm das sogar gelegen.

Er blickt wieder auf. Tief atmet er einmal durch. Dann tritt er an sie heran. „Kagome“, meint er zögernd, „ich muss dir etwas sagen.“

Die junge Frau reibt sich schläfrig die Augen. „Hat das nicht vielleicht bis morgen Zeit?“, nuschelt sie, „Ich bin wirklich müde gerade.“

Unwillkürlich ballt Inu Yasha die Fäuste, doch dann erschlaffen seine Hände wieder und er blickt zur Seite. „Schon gut, es kann warten“, meint er leise.

„In Ordnung“, antwortet sie, „Dann bis morgen früh, Inu Yasha. Und Kopf hoch! Das wird sich alles schon irgendwie regeln.“ Sie schenkt ihm noch einmal ein Lächeln und dann verlässt auch sie den Raum.

Alleine bleibt der Hanyou zurück. Noch eine kleine Weile steht er einfach nur da, während die Geräusche um ihn her langsam immer mehr verstummen. Nach und nach dringt nur noch das leise Atmen schlafender Personen an sein Ohr. Ein wenig unschlüssig steht er da und weiß nicht recht was er tun soll. Irgendwie ist ihm nicht nach Schlafen zumute. Zu viel geht ihm noch im Kopf herum und lässt ihn nicht zur Ruhe kommen.

Schließlich kommt ihm ein Gedanke und er beschließt diesem Impuls zu folgen. Leise öffnet er seine Tür und tritt hinaus auf den Flur. Ort am Ende des Ganges ist das große Tor mit der Aufschrift 'Taishou'. Wenn er nun schon diesen Titel trägt, steht ihm sicher zu, zu wissen was sich dahinter befindet. Er fasst sich noch einmal ein Herz und tritt darauf zu. Mit einem kräftigen Griff schiebt er die Flügel auseinander, die sich auch tatsächlich ohne weiteres bewegen lassen und verschafft sich so Zugang. Er betritt den Raum und seine Augen brauchen einen kurzen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Doch dann weiten sich seine Augen und fassungslos betrachtet er den riesigen Saal der dahinter liegt. Es ist der größte Raum den er je gesehen hat und es dauert eine kleine Weile ehe er begreift, wozu dieser vollkommen leere Raum dient. Und im gleichen Maße wie ihm das klar wird, weicht immer mehr die Farbe aus seinem Gesicht. Eine vertraute Note dringt an seine Nase. Sesshomaru! Er war noch vor gar nicht all zu langer Zeit hier. Und nun kann er sich auch denken warum. Auch ein anderer Geruch liegt hier in der Luft. Eine kraftvolle und beeindruckende Spur, doch sie ist alt und fast verblasst wie eine Erinnerung.

Inu Yasha muss einmal schwer schlucken. In diesem gewaltigen Gewölbe kommt er sich gerade schrecklich verloren vor. „Ich bin so fehl am Platz hier!“, murmelt er leise.

Onsenbegegnung

Mit schleppenden Schritten trabt der schwarzhaarige, knabenhafte Youkai durch eine verwilderte Felsenlandschaft über die sich langsam die Nacht herniedersenkt. Zu seinem Leidwesen muss er immer wieder anhalten und mühsam Luft holen. Dieses Mal hat er es ganz offensichtlich ein wenig übertrieben. Die Überbleibsel seiner letzten Mahlzeit, liegen ihm wie Steine im Magen und bereiten ihm gerade beträchtliches Unbehagen. Es waren einfach zu viele auf einmal.

Innerlich verflucht er hingebungsvoll den Umstand im Laufe seiner Zeit im Vulkan so erheblich an Kraft eingebüßt zu haben. Im Augenblick ist er lediglich ein Schatten seiner Selbst doch die verlorengegangene Energie kann er nur wiederaufnehmen indem er frisst. Nur leider verträgt sein geschwächter Körper im Augenblick längst nicht mehr so viel wie zu damaligen Zeiten. Im Gegenteil. Nachdem er so viele Menschen verschlungen hat, ist ihm eher speiübel.

Es hilft alles nichts, er wird eine Ruhepause einlegen müssen. Eine längere Pause. Und am besten verbringt er diese mit Schlafen. Grimmig fletscht er die Zähne. Das wäre alles nicht so schlimm, wenn dieser minderwertige Bastard, der sich Sesshomaru nennt, ihn nicht mit der Macht seiner Klinge solch schwere Verletzungen zugefügt hätte. Zunächst hatte er angenommen, die oberflächlichen Wunden rasch heilen zu können. So wie es jedoch aussieht, haben diese gleißenden Energien sogar das Gefüge seines Energiemusters beschädigt, wodurch es ihm erheblich schwerer fällt seine Kräfte sinnvoll zu nutzen. Dies zu heilen wird um einiges länger dauern und es erschwert zudem die Aufnahme neuer Energien. Jetzt bereitet ihm jede größere Mahlzeit erhebliche Magenbeschwerden und es ärgert ihn maßlos, so ausgebremst zu werden.

Sollte dieser mickrige Dämonenjäger tatsächlich Recht behalten und der Kerl hat überlebt, dann darf er sich jetzt schon auf etwas gefasst machen. Dann wird ihm das Kokorokaji wie eine sanfte Massage vorkommen.

Gerade tritt er um eine Felsenecke und wird sich eines Weges gewahr. Tatsächlich könnte man es schon fast als Straße bezeichnen. Sie ist verhältnismäßig breit, wenn auch nicht gepflastert und uneben. Seine Schritte werden langsamer. Das bedeutet, dass er hier möglicherweise auf Menschen trifft. Er konsultiert seine Sinne und stellt fest, dass tatsächlich Menschen in Reichweite sind. Und noch etwas trägt seine Nase ihm zu, nämlich die Nuance einer mineralischen Quelle. Sein Mund verzieht sich zu einem schmalen Lächeln. Ein Onsen! Genau das, was er jetzt gebrauchen kann. Ein wenig Entspannung im warmen Wasser tut ihm jetzt sicher gut. Dass diese Menschen sich womöglich ebenfalls gerade dort aufhalten, stört ihn nicht weiter. Er muss sie ja nicht fressen um sie los zu werden.

Mit beschleunigtem Schritt folgt er nun der Straße und es dauert nicht sehr lange bis er die Stelle erreicht, wo ein Schild auf einen kleinen Trampelpfad aufmerksam macht, der hinauf zwischen die Felsen zu einer heißen Quelle führt. Von dort geht es jetzt noch ein wenig bergan aber letztlich sieht er ein kleines Holzhäuschen hinter dem der Dunst eines Beckens mit warmem Quellwasser aufsteigt. Selbst bis hier kann er noch das Lachen und Reden von mehreren Männern hören, die es sich offensichtlich ebenfalls im Wasser gemütlich machen. Nun, der Spaß wird gleich sein Ende finden. Er braucht keine Zuschauer, wenn er sich ein wenig Erholung gönnt.

Schon hat er den kleinen Verschlag, der zum Umziehen gedacht ist, erreicht. Davor sind fünf Pferde angebunden, die offenkundig ein paar Kriegern oder zumindest Söldnern gehören. Immerhin sind sie mit Waffen und einigem an Reisegepäck beladen und grasen nun friedlich zwischen den kargen Steinen. Er tritt näher und entdeckt Kleidung und Waffen von fünf Männern. Was ihn jedoch etwas überrascht, ist der reich verzierte Kimono der ordentlich gefaltet daneben liegt. Offenbar sind die Männer in Gesellschaft einer Frau. Da er nur fünf Pferde sieht, ist sie entweder eine Reisebekanntschaft, oder unfreiwillig hier. Letztlich kann ihm das ziemlich egal sein. Mit der Moral der Menschen hat er nur wenig am Hut.

Hinter der Hütte geht es einen kleinen Trampelpfad hinab der in einigen Metern Tiefe zu einem dampfenden Tümpel hinführt in dem gerade die fünf kräftige Männer es sich im Wasser gut gehen lassen, während sie scherzen und lachen und offenbar dabei eine Flasche mit Alkohol herumgehen lassen.

Er tritt ein wenig näher und nun entdeckt er am anderen Ende des kleinen Steinpools die noch fehlende Person. Aus der Entfernung ist sie als eine junge Frau mit blasser Haut und fast weißen Haaren zu erkennen. Sie wirkt ein wenig schüchtern, ja, fast ängstlich und jedes Mal wenn einer der Männer sich in ihre Richtung bewegt, zuckt sie kurz zusammen. Da sie das Becken noch nicht verlassen hat, ist wohl anzunehmen, dass sie gegen ihren Willen dort ist.

Der schwarzhaarige Youkai hebt leicht die Brauen. Er hatte schon beinah vergessen wie verkommen die Menschen sind. Es ist so erschreckend einfach sie zu irgendwelchen Lastern zu verführen. Wieder macht sich sein Magen bemerkbar und die aufsteigende Übelkeit lenkt seine Gedanken wieder auf das Wesentliche. Langsam stapft er den Weg hinab und nähert sich immer mehr dem Steinbecken. Jetzt haben ihn auch die Männer entdeckt.

„He da, Gefährte!“, ruft ihm einer übermütig zu, „Leiste uns Gesellschaft! Das Wasser ist wirklich angenehm und uns steht der Sinn zu teilen.“ Seine Kameraden spenden ihm bekräftigend Beifall, während sie einmal mehr die Flasche herumreichen. Mit schmalem Blick tritt der junge Mann zu ihnen. Abschätzend lässt er seinen Blick von einem zum anderen schweifen. Es scheint nicht die erste Flasche zu sein mit der sie sich befassen.

„Gibt es denn etwas zu feiern?“, fragt er nun arglos.

„Lediglich den einen oder anderen guten Feldzug“, grinst nun der Mann der ihn angesprochen hatte. „Geld, Sake, Frauen, und ein entspannendes Bad. Was mehr kann sich ein Mann wohl wünschen? Manches Mal ist einem das Glück eben hold.“

„Ihr solltet besser nicht auf euer Glück bauen“, entgegnet der jugendhafte Youkai mit einem amüsierten Lächeln. „Banditen leben gefährlich, soviel ich weiß.“

Sofort verschwindet die heitere Miene der Männer. „Pass auf was du sagst, Kleiner! Sonst kann es sein, dass du auch gleich gefährlich lebst.“

„Was wollt ihr schon tun, ohne eure Waffen?“, gibt er leichtfertig zurück.

Schon will einer der Männer aus dem Wasser klettern um seinem Gegenüber die Leviten zu lesen, doch sein Kamerad hält ihn zurück. „Beachte ihn gar nicht!“, meint er. „Der Kerl sucht doch bloß Streit. Hier nimm noch einen Schluck!“, damit reicht er die Flasche an ihn weiter, welche der andere schließlich mit einem ärgerlichen Brummen annimmt und ansetzt.

„Was ist nun?“, fragt nun der Dritte der Kerle und sieht den schwarzhaarigen Jungen genervt an. „Kommst du nun rein, oder nicht? Es ist ziemlich unentspannt, wenn man von außen beobachtet wird.“

Einen langen Moment betrachtet der Youkai die Männer mit regungsloser Miene. Er scheint angestrengt zu überlegen, wie er sich entscheiden soll. Schließlich meint er: „Wenn ich auch etwas abbekomme“, damit weist er auf die Flasche.

Die Männer grinsen. „Bist du sicher, dass das schon was für einen Jungspund wie dich ist?“

Gemächlich beginnt der junge Mann nun sich zu entkleiden. „Vertraut mir, ich bin älter als ich aussehe.“

Die Männer machen feixende Gesten zueinander. Dann steigt der junge Mann gänzlich unbekleidet zu ihnen ins Wasser. Sogleich wird ihm eine weitere Flasche Sake gereicht. Abschätzend riecht er daran. Eine wage Erinnerung flammt in ihm auf. Er ist sich recht sicher, das schon einmal getrunken zu haben. Ohne weiter zu zögern, setzt er die Flasche an die Lippen und nimmt einen langen Zug ohne abzusetzen.

„Hey, hey!“, grinsen die Banditen. „Nicht so viel auf einmal! Das bekommt dir sicher nicht.“

Nun lässt er die Flasche sinken. „Ich entscheide selbst was mir bekommt“, stellt er klar.

„Wie heißt du überhaupt, Kleiner?“, kommt nun die amüsierte Frage.

„Nennt mich Katsuken“, kommt die schlichte Antwort.

Die Männer grinsen. „Nun, Katsuken, lass es dir bekommen! Kanpei!“ Wieder macht eine Flasche die Runde, offenbar haben sie noch mehrere davon.

Mit unergründlicher Miene beobachtet Katsuken das Geschehen. Wenn er wollte, könnte er diese fünf Idioten ohne größere Probleme aus dem Weg schaffen, aber gerade stellt er fest, dass ihm das warme Wasser tatsächlich wohltut und im Augenblick verspürt er wirklich wenig Bedürfnis danach sich in irgendeiner Form zu bewegen. Außerdem ist ab und an ein wenig Kurzweil ganz ansprechend und diese ahnungslosen Kerle sorgen mit ihrer jämmerlichen Naivität für ein angenehmes Maß an Zerstreuung.

Nun geht sein Blick hinüber zu der jungen Frau, die noch immer am gegenüberliegenden Ende des Beckens mit gesenktem Kopf im Wasser sitzt und versucht unauffällig auszusehen. Von Näherem betrachtet scheint sie sogar noch jünger zu sein als erwartet. Sie mag kaum älter als vierzehn sein und ihre ungewöhnlich blasse Haut verstärkt diesen Eindruck noch zusätzlich.

„Wo wir gerade von 'bekommen' reden“, merkt Katsuken nun an, ohne eine Miene zu verziehen. „Bezog sich euer Angebot zu teilen, lediglich auf den Alkohol, oder steht Sie auch zu Verfügung?“

Wieder werfen sich die Männer vielsagende Blicke zu. Mit anzüglichem Grinsen meint der Wortführer: „Reizendes kleines Ding, nicht wahr? Wir haben sie ein Stück von hier aufgegriffen um ein bisschen Spaß mit ihr zu haben. Wenn wir nachher mit ihr fertig sind, kannst du sie gerne haben. Wenn du dann noch willst.“ Gehässig lacht er auf und seine Kumpane fallen ein. Das Gesicht des Mädchens hängt nun so tief über dem Wasser, dass ihre weißen Haare es wie einen Vorhang verdecken.

Innerlich verzieht Katsuken verächtlich das Gesicht. Als ob er sich jemals dazu herablassen würde mit so einer niederen Kreatur das Lager zu teilen. Menschen sind so widerlich!

Doch noch während er diesen Gedanken nachhängt, beginnt plötzlich das Lachen der Männer zu verstummen. Stattdessen ist nun ein mühevolles Keuchen und Würgen zu vernehmen. Die Männer die gerade noch dem Alkohol so tatkräftig zugesprochen haben, sehen nun ziemlich mitgenommen drein und ihre Gesichtsfarbe hat einen schalen, gräulichen Farbton angenommen. Vernehmliches Räuspern und Schnaufen ist zu hören und nun sitzen die Männer lediglich noch schlaff zusammengesunken am Beckenrand und sehen elendig aus.

Verwundert hebt Katsuken die Brauen. Offenbar haben die Männer wohl ihre Konstitution überschätzt. Doch dann plötzlich verspürt er ebenfalls ein leichtes Kribbeln in seinen Gliedmaßen und ihm wird mit einmal heiß und kalt. Sofort setzt er sich wachsam auf. Über das Becken im Dunst des aufsteigenden warmen Wassers kann er nun ein rötliches Schimmern wahrnehmen, dass sich mit dem Nebel vermischt. Augenblicklich sind alle seine Sinne wach und er blickt hinüber zu der jungen Frau, die noch immer den Blick gesenkt hält. Doch nun nimmt er noch etwas anderes wahr. Eine eigentümliche Aura die ihm zuvor nicht weiter aufgefallen ist, da sie viel zu gering war. Jetzt allerdings ist sie plötzlich wesentlich stärker geworden.

Das Mädchen hebt jetzt langsam den Kopf und Augen in einem dunklen Bernsteinton starren vereinnahmend zu ihm herüber. Nun richtet sie sich weiter auf und vernehmlich saugt sie langsam die Luft und den darin enthaltenen rötlichen Dunst ein. Von all dem scheinen die Männer gar nichts mehr mitzubekommen; sie hängen lediglich noch schlaff und erschöpft am Beckenrand und atmen flach ein und aus.

Katsukens Gesicht zieht sich zu. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass hier eine Dämonin am Werk ist. Anscheinend nutzt sie ihre Fähigkeiten um ihren Opfern Lebensenergie abzusaugen, aber ganz offensichtlich hat sie nicht die leiseste Ahnung mit wem sie sich hier gerade anlegt. Er spürt wie das unbehagliche Gefühl in seinem Magen wieder zunimmt und nun würgt es ihn ebenfalls. Wie kann sie es wagen!

Sofort erhebt er sich und ein grimmiger Zug legt sich um seine Mundwinkel. Ein wenig verwundert blickt sie nun zu ihm hinüber. Nun richtet er sich hoch und kommt durch das Becken rasch auf sie zu. Ihre Miene macht nun einen besorgten Eindruck. Ein unheilvoller Blick taxiert sie und nur einen Wimpernschlag später lässt er seine Aura aufflammen. Entsetzt klappt nun ihre Kinnlade herunter und im selben Moment, als sie nun ängstlich versucht sich im Wasser zu verstecken, packt seine Hand zu und hebt sie am Hals aus den Fluten hoch. Hilflos baumelt der bleiche, nackte Frauenkörper in der Luft und panisch zappelnd versucht sie den Griff der sie festhält zu lockern, doch es ist völlig vergeblich.

Rotfunkelnde Augen starren sie nun wütend an und scharfe Reißzähne die sich unter seinen Lippen hervorschieben, jagen ihr einen Schauer über den Rücken. „Was fällt dir eigentlich ein?“, grollt er tödlich. „Du erdreistest dich wirklich mir Energie entziehen zu wollen? Es sind schon Personen für weniger gestorben!“

Mit großen Augen starrt sie ihn an, ohne etwas erwidern zu können, da ihr die Luftzufuhr noch immer abgeschnitten wird. Doch er wartet auch keine Antwort ab. Mit voller Wucht schleudert er sie an die Felswand die direkt hinter dem Onsen liegt. Mit einem trockenen Knacken schlägt sie dort auf, prallte ab und bleibt schließlich in einer rötlichen Pfütze liegen.

„Hey! Was soll denn das?“, vernimmt er nun hinter sich. Offenbar ist einer der Männer wieder zu sich gekommen. Wutschnaubend wendet sich Katsuken um. Schluss mit der Nachsicht! Diese menschliche Brut ist nicht länger amüsant für ihn. Mit wenigen Schritten durchs Wasser ist er bei ihnen. Mit offenem Ärger lässt er seine Klauen auf die Männer niedergehen, die kaum wissen wie ihnen geschieht, und löscht ihr Leben endgültig aus.

Grimmig starrt er auf die fünf Leichen die nun im sich rot färbenden Wasser dümpelten. Dann blickt er wieder hinüber zu der Dämonin und seine Augen werden schmal. Gerade sieht er wie das Mädchen umständlich und mit ungelenken Bewegungen wieder auf die Füße kommt. Verstimmt fletscht er die Zähne. Zähes, kleines Luder! Doch wenn er sie tot sehen will, hat sie das gefälligst auch zu bleiben.

Er benötigt nur einen raschen, kräftigen Sprung und schon ist er wieder an Land. Mit zügigen Schritten und tödlichem Blick kommt er auf sie zu. Erschrocken starrt sie ihm entgegen. Abwehrend streckt sie ihm die Hände entgegen. „Verzeiht, mein Herr!“, ruft sie ängstlich aus, „Ich wusste es nicht! Ich hatte nicht die Absicht Euch...“ Doch weiter kommt sie nicht. Nur einen Herzschlag später geht eine wütende Klaue gnadenlos auf sie nieder und teilt sie in zwei Hälften. Die entgeisterte Miene bleibt auf ihrem Gesicht eingegraben als sie zu Boden fällt. Verächtlich blickt der rotäugige Youkai auf sie herab. Als wenn er Fehler verzeihen würde.

Doch dann weiten sich seine Augen erneut, denn gerade jetzt beginnen die beiden Teile ihres Körpers sich erneut zu bewegen und man kann direkt zusehen, wie sie einander entgegenstreben und sich wieder zusammenfügen. Mit einem Aufkeuchen setzt das Mädchen sich wieder auf.

Irritiert starrt er auf sie herab. Was hat das zu bedeuten? Seine Kiefer mahlen heftig vor Ärger. Sie trotzt ihm? Was für eine Dreistigkeit! Auch wenn sie ganz offensichtlich über erstaunliche Selbstheilungskräfte verfügt, er wird nicht zulassen, dass sie einen Narren aus ihm macht. Ungeniert geht seine Klaue erneut nieder und trennt ihr augenblicklich den Kopf von den Schultern. Damit sollte es sich erledigt haben.

Doch wieder wird er Zeuge von der Vergeblichkeit seiner Bemühungen, denn aus der Wunde quillt nun ein waberndes Gebilde aus blassen Blasen und nur wenige Momente später sitzt bereits ein neuer Kopf an der Stelle wo soeben noch der alte gesessen hat. Große orangene Augen starren ihn verschreckt an.

Nun zieht doch zunehmende Verwunderung über sein Gesicht. So hat er sich das nicht vorgestellt. Ist sie nicht zu töten? Das kann er auf keinen Fall dulden! Wieder zieht sich seine Miene zu. Das wäre doch gelacht, wenn er ihm nicht gelingen sollte ihrem Leben ein Ende zu setzen!

Nun besinnt sich die Frau offenbar der nötigen Etikette und wirft sich demütig vor ihm zu Boden. „Ich bitte Euch, mein Herr, habt ein Einsehen! Es geschah ohne böse Absicht!“

Doch einmal mehr stößt sie auf taube Ohren. Wenn Verletzungen ihr nichts anhaben können, muss er zu anderen Mitteln greifen. Seine Augen flackern einmal kurz genüsslich auf, dann rammt er ihr von oben seine Klauenhand durch den Brustkorb. Ein Keuchen entfährt ihr und unter Zittern fällt sie zu Boden. Eine große Blutlache bildet sich unter ihrem Oberkörper. Doch diesmal beschränkt er sich nicht auf reine Verstümmlung sondern lässt seine tödlichen Energien in sie hineinfließen. Das Kokorokaji wird ihr den Rest geben, ganz gleich wie zäh sie ist. In seinem Seelenfeuer wird sie zu einem jämmerlichen Haufen Asche verbrennen, so wie sie es verdient hat dafür, dass sie ungefragt Hand an ihn gelegt hat.

Ein langer Moment vergeht, doch zu seinem ehrlichen Erstaunen beobachtet er nun wie sich die klaffende Wunde wieder schließt und sie sich langsam wieder aufrichtet. Zaghaft hebt sie den Blick und schaut ihn an. Ihre Stimme ist nun klar und fest als sie spricht. „Das hat keinen Zweck, mein Herr. Feuer vermag mich nicht zu verletzen.“ Fast schon etwas trotzig erwidert ihr Blick nun den seinen.

Wut keimt erneut in ihm auf. Dieses niedere Geschöpf hat doch wahrhaftig die Frechheit ihm die Stirn zu bieten. Selbst sein Kokorokaji, seine verhängnisvollste Technik, vermag ihr offenbar kein Leid zuzufügen. Er ballt die Fäuste. Maßloser Zorn bemächtigt sich seiner. Seine seelenverbrennende Technik lediglich mit einem Schulterzucken abzutun, ist eine dermaßen empörende Unverschämtheit, dass ihm zunächst nicht recht klar ist, wie er darauf reagieren soll. Solch eine Kaltschnäuzigkeit ist ihm in all seinen Jahren noch nicht untergekommen. Ein tiefes Grollen entfährt ihm. Wild flackert seine Aura auf und die rötlichen Energiemassen die jetzt um ihn her wabern, peitschen in alle Richtungen und bringen den Pool zum Brodeln, dass die fünf Leichen wie grausige Korken auf den Wogen hin und her geschwenkt werden.

Tief presst sich das Mädchen nun vor den umherschwirrenden Energien auf den Boden. Offensichtlich ist sie sich bewusst, dass sie mit irgendetwas seinen Ärger erregt hat. Ein wütendes Schnaufen ist nun von dem schwarzhaarigen Youkai zu vernehmen und nun beginnt sich ein düsterer Dunst um ihn zu bilden und hüllt ihn vollständig ein. Wie eine gewaltige Wand aus schwarzem Nebel legt sich die unnatürliche Dunkelheit über das ganze Tal. Doch aus dieser Finsternis leuchten jetzt zwei große, schaurig rötliche Augen auf. Doch sie gehören nicht länger einem menschlichen Wesen. Es sind die Augen einer animalischen Bestie.

Fassungslos schaut die jugendliche Youkai zu dem beängstigenden Augenpaar hinauf, denn es ist das Einzige was man von dem Anderen noch sehen kann. Doch nur für ein paar Augenblicke, denn plötzlich löst sich eine gewaltige Schnauze aus dem Dunkel, schnappt erbarmungslos zu und schließt sich sogleich wieder um sie. Gewaltige Zähne beginnen mit sichtbarer Zufriedenheit damit die junge Frau zu zermahlen.

Jedoch nur für einen kurzen Moment. Es vergehen nur wenige Sekunden, da erstarrt das gewaltige Wesen und unmittelbar darauf scheint ein heftiges Zittern den gewaltigen Leib der Bestie zu durchlaufen. Unvermittelt erfasst ein heftiger Würgereiz die hühnenhafte Gestalt und ihre Kiefer öffnen sich unwillkürlich und geben ihre Beute frei, die mit einem unschönen Klatschen auf der harten Erde aufschlägt.

Doch damit nicht genug. Noch immer erschüttert ein heftiger Würgereiz die mächtige Gestalt und ein schauerliches Winseln entfährt ihm. Wie toll geworden gebärdet sich das riesige Wesen dessen Konturen man in der unnatürlichen Finsternis kaum erahnen kann, und unter schauerlichen Zuckungen und widerlichem Keuchen gibt es seinen Mageninhalt von sich. Klebriger Geifer tropft aus seinem Mund und ein heiseres Keuchen erfüllt den Talkessel.

Es dauert eine ganze Weile bis die gewaltige Entität wieder zur Ruhe gekommen ist. Dann plötzlich schimmert ein rötliches Licht um sie auf und im gleichen Maße wie die Gestalt an Größe verliert, nimmt auch die Dunkelheit um sie ab. Schließlich ist nichts mehr von ihr übrig als die menschliche Gestalt in der sie sich schon zuvor präsentiert hat.

Schwer atmend stützt sich Katsuken mit den Händen auf seine Oberschenkel. Er gibt sich nicht die Blöße auf die Knie zu sinken, obwohl seine Beine gerade beträchtlich zittern. Seine Stimme klingt unnatürlich rau als er hervorstößt: „Hinosei! Du bist ein Feuersalamander, nicht wahr?“ Noch immer von Übelkeit geschüttelt, spuckt er angewidert die zähe Spucke aus die seinen Mundraum erfüllt, als versuche er einen abscheulichen Geschmack loszuwerden.

Die blasse Youkai scheint sich bereits von den Kauwunden erholt zu haben. Doch sie sitzt nun züchtig und anmutig ein Stück entfernt von ihm und senkt ergeben den Kopf. „Das ist richtig, mein Herr!“

Ein kurzes zynisches Lachen entfährt ihm. „Kein Wunder, dass ich dich nicht töten kann. Man sagt ihr seid praktisch unsterblich.“ Er rümpft die Nase. „Und immun gegen Feuer“, fügt er verächtlich hinzu.

„Und giftig sind wir auch!“, lässt sie sich nun mit einem fast schon herablassenden Tonfall vernehmen. Doch ihre Körperhaltung spiegelt noch immer deutliche Unterordnung wieder.

Wilder Grimm verzerrt die Miene des Youkai. Seine Verachtung für die Youkaifrau könnte im Augenblick gar nicht größer sein. Ihre Macht ist einfach nur bedeutungslos gering, doch allein in der Eigenart ihrer Rasse ist eine Resistenz gegen seine Versuche sie zu richten vorhanden, der ihn praktisch bis aufs Blut reizt. Nie zuvor konnte jemand von so niedrigem Rang so beharrlich seinen Tötungsabsichten entgehen und dieser Umstand ist ihm eine einzige Schmach.

Zudem ärgert es ihn maßlos, dass wohl jeder weitere vergebliche Versuch sie umzubringen, ihm einen weiteren Gesichtsverlust bescheren würde und er ist sich weder sicher, wie oft er es noch versuchen müsste und ob er bereit ist das hinzunehmen. Anscheinend wird es erst mal das Beste sein, keine unüberlegten Aktionen mehr zu starten, sondern wohlüberlegt an die Sache heranzugehen bis zumindest die Sachlage geklärt ist.

Vernehmlich atmet Katsuken einmal durch, dann richtet er sich auf und kommt grimmig auf sie zu. Hoch baut er sich nun vor ihr auf. Sie senkt sogleich demütig den Kopf.

„Ist dir eigentlich klar, was du getan hast?“, kommt es nun voll unterdrückter Wut von ihm. „Du hast meine Bemühungen wieder Kraft zu erlangen um ein Beträchtliches zurückgeworfen. Diese Geschöpfe“, er weist auf die erbrochenen Körper hinter sich, „sollten mir Energie liefern. Sie zu verwerten war ohnehin schon mühsam genug. Durch dein Verschulden sind sie nun gänzlich wertlos für mich. Allein schon dafür verdienst du den Tod.“

„Das bedaure ich außerordentlich, mein Herr!“, beteuert die Youkai nun offenbar ehrlich reumütig. „Gäbe es einen Weg meinen Tod herbeizuführen, tätet Ihr recht daran ihn umzusetzen.“

„Erspare mir deine Heuchelei!“, knurrt er gefährlich. „Wenn du nicht solch eine minderwertige und erbärmliche Kreatur wärst, würde ich von dir auf der Stelle Wiedergutmachung fordern. Doch so bist du nur ein wertloses Stück Fleisch, dass dankbar dafür sein kann, dass ich nicht genug Zeit habe mir eine schlimmere Strafe für deine Impertinenz auszudenken, als der Tod es je sein könnte.“

Noch immer sitzt sie züchtig mit gesenktem Kopf da. Doch nun blickt sie langsam auf. Ein abschätzender Blick liegt nun in ihren Augen. „Ich sehe ein, dass mein nachlässiges Verhalten Euch große Unannehmlichkeiten bereitet hat. Darf ich die Vermutung äußern, dass Ihr wohl wegen der Schwerbekömmlichkeit Eurer Mahlzeit diese heißen Quellen aufgesucht habt?“

Nun doch ein wenig überrascht blickt er sie an. Für so ein niederes Geschöpf hat sie eine rasche Auffassungsgabe. Die Antwort bleibt er schuldig, doch dies scheint sie als Bestätigung ihrer Frage zu sehen.

„Wenn dem so ist, gibt es etwas, dass ich Euch als Wiedergutmachung ableisten kann.“ Noch immer verärgert mustert er sie eingehend. „Was willst du schon tun können?“, fragt er verächtlich.

Furchtlos erwidert sie nun seinen Blick. „Ich kann Euch Linderung verschaffen. Ihr könnt von mir eine Medizin erhalten, mit der es Euch möglich ist selbst größere Mengen an Energiequellen zu absorbieren, ohne körperliches Unwohlsein fürchten zu müssen.“

Zum ersten Mal blickt er nun interessiert drein. Dennoch sind Ärger und Skepsis geblieben. „Nenne mir nur einen Grund, weshalb ich dir das glauben sollte!“

Nun bekommt ihre Miene etwas entschlossenes. Mit einer geschmeidigen Bewegung kommt sie zum Stehen und gleich macht sie einen Schritt auf ihn zu. Ungeniert legt sie ihre feingliedrige Hand auf seinen noch immer gänzlich unbekleideten Leib und streicht einmal sanft über seinen Bauch.

Im ersten Moment ist er von der Unverfrorenheit seines Gegenüber völlig überrascht, doch sogleich reagiert er und in maßloser Empörung schlägt er sie brutal beiseite, so dass sie erneut einmal quer über die felsige Landschaft geschleudert wird. Mit schweren Klauenspuren über Gesicht und Brust bleibt sie einen Moment zittrig liegen. Doch dann richtet sie sich mühsam wieder hoch und schaut ihn regungslos an, während sich ihre Wunden vor seinen Augen wieder schließen.

„Besser?“, lächelt sie nun leicht.

Im ersten Moment ist ihm nicht klar was sie meint, doch je länger er überlegt um so mehr wird ihm bewusst, dass die anhaltende Übelkeit in seinem Magen aufgehört hat und die Schmerzen verschwunden sind. Tatsächlich etwas verblüfft wird er sich des neuen Umstandes bewusst. Wenn das wirklich ihr Verdienst ist, nur durch eine kurze Handbewegung, dann könnte sie sich unter Umständen tatsächlich noch als nützlich erweisen.

„Was hast du getan?“, will er sich Gewissheit verschaffen.

„Oh, ich habe lediglich mein eigenes Gift neutralisiert in das Ihr zu meinem Bedauern versehentlich geraten seid“, gibt sie bereitwillig, wenn auch nicht ganz ohne Befriedigung, Auskunft. „Ich könnte jedoch weit mehr für Euch tun, wenn Ihr meine Beteuerung Euch als Wiedergutmachung dienlich sein zu wollen, annehmen würdet. Ich verspreche Euch solange ich bei Euch bin, soll Euch nichts mehr von Eurem Vorhaben, Energien zu sammeln, abhalten.“

Abschätzend mustert er sie. Dieses Angebot klingt in der Tat verlockend, sofern es ernst gemeint ist. Wenn er sie schon nicht töten kann, wäre es zumindest angenehm, wenn sie in irgendeiner Form für ihn nützlich wäre. Dass sie sich ihm so bereitwillig als Diener anbietet, ist zwar amüsant, doch wirf es noch immer die Frage auf, warum sie sich auf diese Art anbietet. Immerhin hat er sie mehrfach fast getötet.

„Was hast du von der ganzen Sache?“, fragt er frei heraus.

Nun senkt sie wieder züchtig den Kopf. „Die Ehre einer Frau zu bewahren kann bedeutender sein als ihr Leben. Euer Eingreifen bewahrte mich womöglich vor Schande. Seid Euch deshalb meines dauerhaften Dankes gewiss.“

Mit kühler Miene blickt er auf sie herab. „Dein Dank interessiert mich nicht. Wenn ich dich mir dienen lasse, reicht mir schon dein Gehorsam. Solltest du jedoch jemals versuchen mich zu hintergehen, garantiere ich dir, dass ich einen Weg finden werde dich ins Jenseits zu schicken. Und das so schmerzhaft wie möglich. Hast du das verstanden, Hinosei?“

Demütig verneigt die Frau sich nun vor ihm. „Selbstverständlich, Nushi (Gebieter)!“

Das Tor zur Hölle

Die Nacht ist schon lange hereingebrochen über die zerklüftete Felsengegend und lediglich der Mond wirft ein fahles, blasses Licht auf den Höhleneingang der in den nächtlichen Schatten wie ein riesiges, alles verschlingendes Maul wirkt. Jedoch ist keinerlei Laut zu hören. Mehr noch, man bekommt den Eindruck als würde hier jegliches Leben fehlen, oder zumindest versuchen, so wenig Geräusch wie irgend möglich von sich zu geben.

Auch wenn die Luft nicht verdorben ist, so liegt doch ein Hauch von Verdammnis in der Luft, den jedoch nur erfahrene, oder schicksalhafte Wesen wahrnehmen könnten. Wenn auch keine Gefahr auszumachen ist, so ist der Tod nicht weit von diesem Ort, und alles was eine Seele besitzt tut gut daran diesen Ort zu meiden.

Doch gerade jetzt ist am Himmel in einiger Entfernung ein hellblauer Lichtpunkt zu sehen, der rasch näher kommt. Nur einige Sekunden später hat das hell schimmernde Licht die Bergkette erreicht in die die Höhle eingebettet ist. Nun verlangsamt sich seine Geschwindigkeit und senkt sich gleichzeitig zur Erde hinab, wo es schließlich zum Stillstand kommt. Jetzt leuchtet das Licht hell auf und weitet sich aus und nur wenige Augenblicke später ist das Leuchten verblasst und gibt den Blick auf eine hochgewachsene, schlanke Person frei.

Sesshomaru blickt sich einen Moment lang um. Es ist schon eine Weile her, dass er so dicht an der Grenze zum Südreich, dem 'Land des Feuers', war. Bestimmt schon drei Jahre etwa. Dort drüben ist der Eingang zur Höhle die den Übergang vom Diesseits ins Jenseits beherbergt und eben dort liegt jetzt sein Ziel. Da er nun schon hier ist, was bringt es zu zögern? Also setzt er sich in Bewegung und strebt ohne weitere Umschweife dem klaffenden finsteren Loch zu, was der Eingang ist.

Seine Augen haben sich rasch an die Schwärze gewöhnt, und so ist es nicht verwunderlich, dass er keine Probleme damit hat, dem Weg hinab zu dem todbringenden Eingang zu finden, ohne an Felsen zu stoßen oder über Steine zu stolpern.

Er erinnert sich. Beim letzten Mal war sein treuer Diener Jaken mit dabei, doch damals ging es lediglich darum einen verhassten Gegner zu verfolgen und letztlich, wenn nicht zu töten, dann zumindest verletzt aus dem Jenseits hinauszujagen.

Doch diesmal wird das anders sein. Diesmal wird es nicht nur ein unterhaltsamer Besuch im Nachleben, sondern sein wirkliches Ziel ist um einiges delikater. Doch zunächst muss er erst einmal den Übergang passieren.

In der Ferne entdeckt er einen schwachen, flackernden Lichtschein der das Vorhandensein von Feuer verheißt. Dort hinten befindet sich das Tor zum Jenseits, bewacht von den beiden gigantischen Statuen Gozu und Mezu. Er will nur hoffen, dass sie sich heute eben so entgegenkommend verhalten wie beim letzten Mal. Er ist fest entschlossen seine Mission zu erfüllen, und wenn die beiden sich quer stellen, wird er diesmal nicht zögern, sie in kleine Stücke zu hacken.

Schließlich verlässt er den steinigen Pfad und betritt die geräumige Höhle an deren Ende ein gewaltiges rundes Tor mit zwei halbrunden Flügeln angebracht ist, beleuchtet von zwei großen Fackeln zu beiden Seiten und flankiert von je einer riesigen, steinernen Statue mit bloßem Oberkörper. Die linke trägt eine gewaltige Lanze und die rechte einen Speer mit einer sichelmondförmigen Spitze. Beide stehen regungslos da und harren ihrer Dinge. Doch das wird nicht so bleiben, wie Sesshomaru weiß.

Nun tritt er näher und jetzt kann er miterleben, wie Bewegung in die beiden hünenhaften Statuen kommt. Ihre scharfen Blicke wenden sich nun Sesshomaru zu.

Willst du hindurch?“, kommt der unheimliche Klang der lauten Stimmen, die alles andere als sterblich klingen.

Sesshomaru reckt sich. „Das ist meine Absicht!“, entgegnet er fest.

Nun beginnen die steinernen Figuren sich zu regen. „Dann bringen wir dich hindurch!“, kommt die unheilvoll klingende Antwort. Die beiden Wächter nehmen nun eine Kampfposition ein und greifen ihre Waffen fester. Unaufhaltsam wie es scheint kommen sie auf Sesshomaru zu.

Dieses Tor können nur Tote durchschreiten!“, verkündet Gozu.

Wer hindurch will, wird durch unsere Hand sterben!“, fügt Mezu hinzu, und nun nähern sie sich zielgerichtet Sesshomarus Position.

Doch der Daiyoukai hat damit gerechnet. Mit festem Blick auf seine Gegner gerichtet, zieht er nun Tenseiga und streckt es langsam vor sich aus. Seine Miene spiegelt seine Entschlossenheit wieder.

Nun werden seine beiden Angreifer langsamer und halten letztlich inne. Zunächst mustern sie Sesshomaru nur mit einem stillen, abschätzenden Blick.

Dann sagt Gozo: „Du trittst erneut vor uns, und du trägst noch immer das Schwert das aus jener Welt stammt.

Dieses Schwert vermag uns zu schlagen, somit darfst du hindurch!“, fügt Mezu hinzu. Und nun sinken die beiden Statuen neben Sesshomaru ergeben auf die Knie. Hinter ihnen teilt sich das gewaltige Tor und ein grelles Licht bricht zwischen den beiden Torflügeln hervor, von dem Sesshomaru weiß, dass es normalerweise unerlaubtes Eindringen mit Versteinerung bestraft. Doch die hellen, unnatürlichen Lichtstrahlen, lassen ihn unbeschadet, und ohne länger zu zögern, setzt sich der Daiyoukai in Bewegung und schreitet erhobenen Hauptes zwischen den beiden Statuen hindurch dem Tor zu.

Doch gerade als er sie passiert, heben die Statuen synchron ihre Köpfe und fixieren ihn mit einem strengen Blick.

Doch wisse eines, Sesshomaru, Fürst der Inuyoukai des Westens!“, ertönt Gozus ernste Stimme. „Schon drei mal hast du diese Welt betreten, die nicht die deine ist. Es sei dir nur noch ein viertes Mal gestattet!

Sesshomarus Schritte verlangsamen sich. Leicht wendet er sich Gozu zu, geht aber weiter.

Dieses Tor wird sich nicht noch einmal für dich öffnen, ganz gleich was du tust!“, fügt Mezu hinzu, „Lebenden ist es nicht gestattet nach Gutdünken die andere Welt zu betreten. Also nutze dieses letzte Mal weise!

Für einen kurzen Moment scheint der Daiyoukai inne zu halten, doch dann reckt er würdevoll das Kinn. „Das werde ich!“ sagt er fest, und dann tritt er durch das Portal.
 

Ein gleißendes Licht blendet Sesshomaru als er das Tor durchschreitet. Es scheint von allen Seiten zu kommen und prasselt regelrecht auf ihn ein. Was hinter diesen unzähligen Lichtstrahlen liegt, ist nicht auszumachen. Auch hat es den Anschein, als würde er gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen. Bei seinen letzten Besuchen war das nicht der Fall gewesen. Ob das etwas mit der Verheißung der beiden Wächter zu tun hat?

Mühsam kämpft er sich Schritt für Schritt weiter und er stellt fest, dass er sich wirklich anstrengen muss, um voran zu kommen. Doch auf einmal splittet sich die unüberwindbare Lichtbarriere in unzählige, feine, grell leuchtende Fäden auf. Die gleißenden Schnüre nehmen rasch an Substanz zu und verdichten sich nun zu dicken Strängen, welche kurz darauf die Gestalt von dicken Ketten annehmen. Nur wenige Augenblicke vergehen und die Ketten leuchten ein weiteres Mal hell auf und stürzen dann auf Sesshomaru herab.

Schon zückt er die Klauen um sich gegen diese ungewollten Fesseln zur Wehr zu setzen, doch kaum treffen die Ketten auf seinem Körper auf, muss er feststellen, dass sie ihn unbeschadet durchdringen, und sich stattdessen vollkommen auf die Klinge an seiner Seite konzentrieren. In nur wenigen Augenblicken ist das Schwert Tenseiga völlig von dicken, leuchtenden Ketten eingehüllt , so dass es beinahe nicht mehr zu sehen ist.

Schon will Sesshomaru danach greifen, doch schon die kleinste Berührung lässt ihn heftig zurück zusammenfahren. Ein sengender Schmerz durchzuckt seinen Körper und für einen Sekundenbruchteil tauchen wieder die Bilder seiner jüngsten Tortur vor seinem inneren Auge auf. Sesshomaru schnauft unwillkürlich.

Doch nun kommt wieder Bewegung in den Wulst aus leuchtenden Ketten. Fast scheint es, als würden sie von innen heraus aufgesogen werden, die Ketten werden immer weniger und blasser und letztlich sind sie völlig verschwunden. Lediglich an den Stellen an denen sie saßen, hängt noch ein leichter Schatten ihrer Gestalt über der Klinge Tenseigas, fast als hätten die Fesseln ihre Brandspuren darauf hinterlassen.

Vorsichtig fasst Sesshomaru nach dem Griff der Klinge, doch er lässt sich gefahrlos berühren. Dann fasst er den Griff beherzt an und zieht das Schwert aus dem Gürtel. Beinahe hätte er das Gleichgewicht verloren, doch rasch balanciert er sich wieder aus. Das Gewicht der Klinge hat sich um ein beträchtliches Vielfaches erhöht. Fast ist es ihm nicht möglich es auch nur vor sich ausgestreckt zu halten. Nur mit größter Kraftanstrengung vermag er es soweit anzuheben um die Brandmale der Ketten in Augenschein zu nehmen. Eigentlich sieht es weniger wie Brandspuren aus, sondern lediglich als falle der Schatten der Ketten auf die Klinge. Zudem kann er jetzt keine Energie mehr in dem Schwert spüren. Es ist als wäre dies lediglich noch eine einfache Klinge, eine verdammt schwere.

Sesshomaru beißt hart die Kiefer aufeinander. Inu Yasha würde sich sicher königlich amüsieren, wenn er ihn jetzt sehen könnte. Vermutlich würde es ihm ein Vergnügen sein, ihn darauf hinzuweisen, dass sein Bruder ihn damals, als ihm ähnliches mit seiner Waffe passierte, ebenfalls verspottet hat. Seltsam, bei solchen Dingen funktioniert Inu Yashas Gedächtnis hervorragend.

Sesshomaru verzieht das Gesicht und steckt das Schwert wieder in den Gürtel, wo es umgehend wieder leichter wird. Vermutlich kann man davon ausgehen, dass Tenseigas Macht versiegelt wurde, von irgendetwas oder irgendjemandem der nicht möchte, dass er dieses Schwert, dass auch Tote verletzen kann, hier in dieser Welt gebraucht. Wirklich ein perfider Plan um ihm seinen Aufenthalt hier so unangenehm wie möglich zu gestalten. Ohne Tenseigas Hilfe wird seine ohnehin schon schwierige Aufgabe, praktisch unlösbar sein. Aber er gehört nicht zu den Personen, die ihre Entscheidung so leichtfertig wieder ändern. Es muss einen Weg geben, das Siegel, dass sein Schwert bannt, zu brechen, wenn nicht jetzt dann später, doch er wird ihn finden ehe das hier vorüber ist, dessen ist er sich sicher. Bis dahin wird er unbeirrt sein Ziel verfolgen, koste es was es wolle. Nur Schwächlinge jammern herum und kneifen, wenn Probleme auftreten, und er gehört nicht dazu, also wird er weitergehen, zumal der Weg von ihm jetzt wieder klar und ohne Widerstand zu beschreiten ist.

Achtsam geht er weiter. Mit jedem Schritt den er tut, wird nun der Boden unter ihm weicher und er muss acht geben, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Das jedoch ist ihm schon aus seinen früheren Besuchen bekannt und deshalb versetzt es ihn nicht weiter in Sorge. Unbeirrt setzt er einen Fuß vor den anderen. Schließlich verzichte er vollständig auf das Gehen und hebt sachte vom Boden ab. Von hier aus wird es ohnehin nur durch die Luft hindurch weitergehen. Offenbar eine weitere Eigenheit, oder auch Vorsichtsmaßnahme gegenüber der Tatsache, dass für gewöhnlich nur Tote hier herein kommen. Allmählich klärt sich seine Sicht auch wieder und vor sich entdeckt er nun freien Himmel, der den Blick in ein weites, steiniges Panorama freigibt. Hinter sich ist nur noch ein unwirkliches Schimmern in der Luft zu erkennen.

Sesshomaru schwebt nun in der freien Luft und vor sich entdeckt er das, mit dem er schon gerechnet hat. Einige Vögel, die lediglich noch aus einem Skelett bestehen, ziehen ihre kreisenden Bahnen, bereit den Neuankömmling in Empfang zu nehmen und auf ihren Rücken zu seinem Bestimmungsort zu bringen.

Natürlich hat er keine Bedarf daran. Stattdessen bewegt er sich selbstständig durch die Lüfte und schwebt über den Himmel. Über ihm hängen einige bewegungslose Wolken und unter ihm bedeckt ein feiner Dunst den weitläufigen, zerklüfteten Boden. Am Horizont macht er einen Gebirgsausläufer aus und darauf hält er nun zu. Er ist sich bewusst, dass er schon bald in dieser Gebirgskette erneut dem Grab seines Vaters gegenüberstehen wird.

Was hat die Ruhestätte des mächtigen Dämons nicht schon alles mitgemacht, seit dieser Hanyou zum ersten Mal hier aufgekreuzt ist? Sesshomaru verzieht das Gesicht. Inu Yasha! Nichts ist ihm heilig. Wer weiß ob es wirklich so eine gute Idee gewesen ist, ihm die Herrschaft über sein Reich zu überlassen. Doch es hat wohl wenig Sinn, es jetzt noch zu bereuen.

Sesshomaru wischt den Gedanken beiseite. Er ist niemand der eine einmal getroffene Entscheidung so leicht bereut. Der Hanyou... sein Bruder, hat sich mit der Zeit seinen Respekt verdient, und sein Vertrauen. Auch wenn sein Charakter undiszipliniert und aufbrausend ist und es ihm erheblich an Würde mangelt, so ist er doch jemand der zu seinem Wort steht und der zu ende bringt, was immer er sich vornimmt. Zumindest in dieser Zielstrebigkeit ähneln sie sich, gesteht sich Sesshomaru ein. Wenn Inu Yasha auch bisher kein wirkliches Ziel in seinem Leben angestrebt hat und Verantwortung tunlichst aus dem Weg gegangen ist, so könnte diese neue Herausforderung vielleicht genau das sein, was er benötigt um den Idealen seiner Familie Interesse entgegen zu bringen und sie zu den seinen zu machen.

Sesshomarus Miene verhärtet sich. Jedoch hätte er seinem Bruder niemals allein zu dessen Charakter bildenden Zwecken, die Herrschaft über den Westen überlassen. Nein, die Gründe liegen bedeutend tiefer. Da nur er allein für diese Aufgabe hier im Jenseits in Frage kommt, benötigt er eine Person der er uneingeschränkt vertraut, sein Reich in seinem Sinne weiterzuführen und zu verteidigen, solange er fort ist. Und bedauerlicherweise kommt keiner seiner Ratsleute dafür in Frage. Das Vermächtnis seines Vaters hat leider weitreichendere Folgen, als ihm lieb ist. Doch dies ist nicht der geeignete Augenblick für eine grundsätzliche Reform der Verhältnisse in seinem Reich. Die Situation ist gerade äußerst heikel und angespannt, da wäre es unklug althergebrachtes zu ändern und seine Untertanen in Unsicherheit zu versetzen.

Andererseits bedeutet das auch, dass Inu Yasha es nicht gerade leicht haben wird, besonders was den politischen Teil angeht, also den Teil, den er nicht einfach mit ein paar wohl gezielten Schwerthieben erledigen kann.

Für einen kurzen Moment empfindet Sesshomaru sogar fast so etwas wie Reue dafür, dass er sein Versprechen, seinem Bruder alles über die politischen Zusammenhänge des Reiches zu erzählen, nicht einhalten konnte. Doch es verfliegt ebenso schnell wieder. Sein Bruder wird das schon hinbekommen. Schließlich hat er noch Jaken und Myouga zur Verfügung. Wenn er nicht in der Lage ist, die Quellen ausreichend zu nutzen, dann verdient er es, wenn ihm alles über den Kopf wächst. Wobei er doch innerlich hofft, dass es nicht so weit kommen möge.

Sesshomarus Tempo verlangsamt sich. Er hat es erreicht. Direkt vor ihm ragt nun das Grab seines Vaters vor ihm auf. Der Anblick des gewaltigen Hundeskelettes ist nach wie vor sehr imposant, jedoch einige unübersehbare Kampfspuren verschandeln den Anblick und bringen die Ruhestätte um ihre Ruhe.

Abgesehen jedoch von diesen irritierenden und ärgerlichen Blickfängen herrscht hier eine angemessene Stille. Kein Laut ist an diesem Ort und auch noch in beträchtlicher Entfernung zu vernehmen. Nicht einmal ein bewegtes Lüftchen ist auszumachen. Alles hier erschient leblos und trist. Doch was sonst will man vom Jenseits erwarten, wenn nicht gerade sein Bruder, oder er selbst, um fair zu bleiben, ihr Kampfgeschehen in diese Einöde verlagern, die sonst nur den Toten vorbehalten ist?

Diesmal ist er jedenfalls nicht auf Kampf aus. Noch nicht! Diesmal bringt ihn ein anderes Anliegen her, doch das was er sucht, wird er hier kaum finden. Er hat keine Zeit für eine stille Andacht an den Überresten seines Vaters, sondern er muss weiter. Vor ihm liegt noch ein langer und höchstwahrscheinlich sehr gefahrvoller Weg. Schließlich muss er das Jenseits durchqueren und zu den Pforten der Hölle gelangen; zu dem Ort wohin die Seelen toter Dämonen gebracht werden.

Sesshomaru hebt den Kopf und zieht prüfend die Luft ein. Seine Stirn legt sich leicht in Falten. Er hatte es schon zuvor wahrgenommen, doch gerade jetzt wird ihm bewusst, dass mit dem Fehlen des Windes auch nahezu keine Gerüche in der Luft sind. Für jemanden wie ihn, der sich fast so sehr auf seinen Geruchssinn verlässt wie auf seine Augen und Ohren, ist dies als würde ihm ein elementarer Sinn fehlen. Bei den letzten Besuchen war es nicht ganz so frappierend gewesen, da er den Ort des Geschehens auch so finden konnte und dann taten die Luftbewegungen beim Kämpfen ihr übriges. Nun jedoch, wo er beabsichtigt einen ganz bestimmten Ort in dieser grenzenlosen Weite zu finden, stellt ihn das doch vor ein erhebliches Problem.

Sicher könnte er den gesamten Bereich Stück für Stück absuchen, doch zum einen würde es viel Energie kosten, die er vielleicht später zum kämpfen braucht, besonders wenn man bedenkt, dass er nicht auf Tenseiga zurückgreifen kann dabei, und zum anderen kann man kaum abschätzen wie lange das dauern würde. Jedenfalls ist er nicht in der glücklichen Lage den Zeitfaktor ignorieren zu können. Sesshomaru hat nichts zu verschenken, und Zeit schon gar nicht im Moment, also muss es einen anderen Weg geben. Wenn er einen Führer hätte, wäre die Angelegenheit nur halb so wild, doch hier im Land der Toten, ist dies praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Wo soll er hier jemanden finden, der ihm den Weg zeigen kann?

Doch plötzlich kommt ihm ein Gedanke. Sein Blick geht hinauf zum Himmel. Über seinem Haupt kreisen die Skelettvögel wie die Geier und scheinen auf irgendetwas zu warten. Vermutlich harren sie darauf ihre Aufgabe zu erfüllen. Die einzige Aufgabe, die man ihnen überantwortet hat: Die Seelen der Verstorbenen zu ihrem Bestimmungsort zu bringen. Wenn sie ihn als Toten ansehen, hat er vielleicht die Möglichkeit zu den Toren der Hölle gebracht zu werden, ohne dass er viel dazu beitragen muss.

Kurzentschlossen steigt Sesshomaru weiter auf und steuert direkt auf einen der Vögel zu. Dieser fliegt eine sachte Kurve und sinkt dann ein Stück unter ihn, um ihn auf seinen Rücken zu nehmen. Behutsam setzt Sesshomaru seine Füße auf die knochige Wirbelsäule und sogleich beschleunigt der Vogel seine Geschwindigkeit und schlägt gleichzeitig eine neue, konkrete Richtung ein. Sesshomaru lässt es geschehen. Es hatte den Anschein, als wüsste der Vogel genau wohin er will, oder zumindest hat er eine klare Vorstellung wohin er ihn bringen wird.
 

Der Flug ist lang und ereignislos. Der Skelettvogel trägt Sesshomaru mit langen gemächlichen Schwüngen über die trostlose, zerklüftete Landschaft unter ihnen seinem Ziel entgegen. Der Daiyoukai verharrt regungslos auf seinem Rücken, auch wenn ihn zunehmend das Bedürfnis überkommt, abzusteigen und selbst weiterzufliegen. Das hier geht für seinen Geschmack viel zu langsam. Doch er weiß, alleine wird die Suche nach dem Tor zur Hölle noch mehr Zeit in Anspruch nehmen. Also muss er sich gedulden.

Allmählich wird die Landschaft unter ihm flacher und kahler und das dämmrige Licht das ihn umgibt, bekommt einen schmutzigen, trostlosen Braunton. Es kann also vermutlich nicht mehr sehr weit sein.

Schließlich machen seine scharfen Augen in der Ferne eine kleine Erhebung aus. Beim Näherkommen erkennt er, dass es ein kleiner, schwarzer Monolith ist. Er ist höchstens einen Schritt hoch und lediglich zwei Spann breit. Seine vier Seiten sind glatt poliert und der Stein schimmert leicht im unwirklichen Licht der düsteren Umgebung. So wie es aussieht, hat er sein Ziel erreicht. Leichtfüßig stößt er sich vom Rücken des Vogels ab, der nun eine kurze Schleife fliegt und sich dann rasch in die Richtung entfernt aus der er gekommen ist.

Sesshomaru setzt ein Stück entfernt von dem Monolithen auf dem Boden auf. Die staubige Erde fühlt sich warm an. Langsam tritt er näher und nimmt dabei den schwarzen Stein in Augenschein. Sicher ist der Pfeiler Teil des Höllentors, doch wie kann man damit das Tor öffnen?

Auf einmal bemerkt er zwei spindeldürre, kurze Beine die hinter dem Stein hervorragen und sich nicht regen. Schweigend umrundet Sesshomaru den Monolithen und kann nun einen Blick auf die kleine Gestalt werfen, zu der die Beine gehören.

Im ersten Moment ist Sesshomaru tatsächlich ein wenig überrascht. Das Wesen das dort vor ihm an den Monolithen gelehnt auf dem Boden sitzt, hat verblüffende Ähnlichkeit mit seinem Diener Jaken. Jedoch werden auch sogleich wieder die Unterschiede deutlich. Statt mit dem vertrauten Yukata bekleidet, trägt dieses Geschöpf nur einen Mawashi wie ihn Sumoringer tragen. Dazu passend hängt darüber eine schlaffe, runzlige Bauchfalte herab und auch das froschartige Gesicht ist voller Runzeln. Die blassgrüne Hautfarbe weist an einigen Stellen einige braune Flecken und markante Warzen auf und in der dürren Hand liegt kraftlos eine langstielige Pfeife dessen oberes Ende zwischen zwei dicken, wulstigen blassrosa Lippen steckt. Die großen Glubschaugen sind geschlossen und nur aus der riesigen Froschnase entweicht in fortwährenden, dicken Schwaden der Pfeifenrauch und bildet eine stickige Dunstglocke in der unbewegten Luft. Die Kreatur scheint zu schlafen.

Sesshomaru mustert den kleinen, alten Krötendämon eingehend. Ist dieses Wesen womöglich der Wächter des Höllentores? Auch wenn es höchst unwahrscheinlich ist, es ist nicht auszuschließen. Sesshomaru hat schon früh die Erfahrung gemacht, Geschöpfe nicht nur nach ihrem äußeren Schein zu beurteilen. Es gibt nur einen Weg sich Gewissheit zu verschaffen.

Mit seiner Fußspitze gibt er dem Dämon einen kleinen Stoß. Der Kröterich schlägt die Lider auf und glotzt Sesshomaru mit großen, gelben Triefaugen an. Dann bläst er einen Schwall Pfeifenrauch aus und blickt noch mal genauer hin. Schließlich kommt Leben in ihn und er rappelt sich umständlich hoch. Seine Bauchplautze wabbelt jetzt noch tiefer über seinen Gürtel herab und er steht leicht gebeugt da. Doch dabei mustert er Sesshomaru mit einem äußerst missmutigen Blick.

"Wenn du denkst, ich hätt' geschlafen, dann irrst du dich, Kleiner. Hat man dir nicht beigebracht, dem Alter etwas mehr Respekt zu zeigen, wa'?"

Sesshomaru verzieht keine Miene. Die dreiste Anrede des kleinen Dämons beschließt er vorerst zu ignorieren. "Dies ist das Tor zur Hölle, richtig? Ich beabsichtige hindurch zu gelangen. Kannst du es öffnen?"

"Immer mit der Ruhe, Bürschlein!", krächzt der Krötenyoukai mit einer glucksigen, verbrauchten Raucherstimme. "Kann gar nich' verstehen, warum dieses Jungvolk das immer so eilig hat." Er lehnt sich einmal räkelnd zurück, so dass sein Rückgrat schauerlich knackt, nimmt dann noch einen Zug von seiner Pfeife und stapft dann gemächlich auf Sesshomaru zu, um in dann ausgiebig zu inspizieren. "Also ma' schaun. Was ham' wa denn hier?"

Sesshomarus Lippen werden schmal. "Ich habe gefragt, ob du es öffnen kannst", wiederholt er ruhig.

Der Alte umrundet den hochgewachsenen Youkai weiterhin, während er ihn ausgiebig mustert. "Klar doch kann ich es öffnen. Wozu bin ich wohl sonst hier?", mosert der Alte. "Allerdings...", in diesem Moment stößt er sich mit seinen mickrigen Beinen vom Boden ab und hüpft an Sesshomarus Seite auf Augenhöhe hoch wo er ihm dann blitzschnell einmal mit seiner langen Zunge über die Wange leckt.

Der Daiyoukai reagiert kaum einen Wimpernschlag später. Mit einem raschen, harten Hieb geht seine Faust hernieder und schlägt den Krötendämon unsanft zu Boden, wo er ein wenig verdattert liegen bleibt. Sesshomarus Augen funkeln ärgerlich

"Gib Acht was du dir herausnimmst!", funkelt er unheilvoll. "Du wirst jetzt auf der Stelle das Höllentor für mich öffnen und dann kannst du vielleicht deine Gliedmaßen behalten!"

Doch der Krötenyoukai setzt sich lediglich wieder auf und klopft etwas Staub von seinem Lendenschurz. "Das ist leider völlig ausgeschlossen!", krächzt er und rappelt sich langsam wieder hoch. "Du bist ja noch am Leben und Lebende dürfen auf keinen Fall in die Hölle. So einfach is' das. Am besten du gehst wieder dahin wo du herkommst und freust dich drüber, dass dir der Mistladen da unten erspart bleibt. Na ja, zumindest für 'ne Weile, wa'?"

Doch nun bekommen Sesshomarus Augen einen gefährlichen Glanz. "Das akzeptiere ich nicht!", stellt er finster klar. "Öffne das Höllentor, oder du siehst äußerst schmerzhaften Konsequenzen entgegen!"

Doch der Kröterich rümpft nur die Nase. Dann stemmt er einen Arm in die Seite und mit der Pfeife in seiner anderen deutet er nachdrücklich auf Sesshomaru. "Pah! Du machst mir keine Angst, klar Jüngchen? Dein eines Schwert ist offenbar versiegelt worden und dein anderes kann Wesen aus dieser Welt kaum nachhaltigen Schaden zufügen. Du bist also völlig wehrlos und ich denke nicht im Traum daran, dich hier durch zu lassen!" Dann streckt er Sesshomaru seine lange, graue Zunge heraus.

Einen kurzen Moment liegt ein etwas ungläubiger Zug auf Sesshomarus Miene, doch dann gefriert sein Blick zu Eis. Nur einen Augenblick später packt er zu und hebt den kleinen Krötendämon am Hals zu sich auf Augenhöhe hoch. Die dürre Kreatur strampelt nun heftig, und versucht sich zu befreien, während sie nach Luft ringt.

"Ich sage das jetzt nur noch ein einziges Mal!" raunt Sesshomaru gefährlich. "Du öffnest augenblicklich dieses Tor, oder ich werde dich mit meinen eigenen Händen zu einem stinkenden Klumpen Matsch zusammenquetschen. Dann wirst du feststellen, wie sehr wehrlos ich bin. War das deutlich?"

Der kleine Dämon hängt nun reglos in seinem Griff. Anscheinend haben diese Worte doch Eindruck auf ihn gemacht. Er überlegt kurz, dann meinte er kleinlaut: "Aber das ist nun mal einfach völlig unmöglich! Ich kann die Höllentore nicht für Lebende öffnen. Sie sind versiegelt. Und Ihr könnt Euch vermutlich auch denken weshalb. Wo kämen wir da hin, wenn tote und lebende Dämonen sich nach Gutdünken besuchen kommen könnten?" Noch immer fällt ihm das Atmen schwer, doch nun wird er wieder etwas mutiger. "Außerdem erreicht Ihr gar nichts, wenn Ihr mich tötet. Außer mir kann niemand das Tor öffnen, das heißt, wenn Ihr mich zermalmt, kommt Ihr niemals hindurch. Und ich beabsichtige meine Aufgabe bis zum Tod zu erfüllen. Wenn Ihr mich also töten wollt, so tut es eben!" Mit diesen Worten lässt er sich schicksalsergeben, wenn auch ein wenig theatralisch, in Sesshomarus Griff erschlaffen.

Sesshomaru beißt hart die Kiefer aufeinander. Das hier erweist sich schwieriger als angenommen. Natürlich könnte er seine Drohung wahr machen und den alten Krötenyoukai auf der Stelle zerquetschen, doch wenn er Recht hat, dann wird ihn das nicht weiterbringen. Wenn der kleine Dämon tatsächlich der Wächter des Höllentor ist und es als einziger öffnen kann, würde er sich damit die einzige Chance verbauen hineinzukommen. Sicher könnte der kleine Kobold auch lügen, doch er hat nicht genug Zeit um es darauf ankommen zu lassen. So sehr es ihm auch widerstrebt als unglaubwürdig dazustehen, doch hier wird er wohl auf andere Weise versuchen müssen, sein Ziel zu erreichen.

Nur sehr widerstrebend lässt er seine Hand sinken und setzt den kleinen Dämon ab. Dieser reibt sich schmerzhaft den Hals, räuspert sich kurz und guckt dann wieder trotzig zu Sesshomaru hoch.

"Eine kluge Entscheidung von... Euch", offenbar geht er nun lieber auf Nummer sicher.

Sesshomaru tritt ein Stück zur Seite. Er wirkt leicht angespannt. "Kannst oder willst du das Tor nicht für mich öffnen?", fragt er ruhig, wobei er den Kröterich aus den Augenwinkeln beobachtet.

"Was spielt das für eine Rolle?", schnappt der runzlige Youkai wieder mutiger. "Das Tor wird sich so oder so nicht für Euch öffnen."

Sesshomaru mustert nun den Monolithen eingehend. "Dies hier ist das Tor?", fragt er.

"Ach Unsinn!", brummt der kleine Wächter mürrisch. "Das ist doch nicht das Tor. Das ist natürlich nur das Schloss. Wenn in der Welt der Lebenden Schlachten toben, dann herrscht hier reger Hochbetrieb. Wenn das Tor nur so winzig wäre, dauert das doch ewig, alle hinüber zu schicken. Nicht, dass wir nicht eine Ewigkeit Zeit hätten", fügt er schnippisch hinzu, "aber ich für meinen Teil, ziehe es vor solche lästigen Angelegenheiten lieber rasch zu erledigen." Er wirft Sesshomaru einen kritischen Blick zu. "Mir sind noch nicht viele Personen untergekommen, die es sich so sehr in den Kopf gesetzt haben, da runter zu kommen." Seine dürren Finger zeigen zu Boden. "Normalerweise versucht dieser elende Abschaum alles, um das zu verhindern."

Abschätzend mustert Sesshomaru ihn. "Ohne Erfolg, wie ich vermute?"

"Selbstverständlich!", meint der kleine Youkai empört, "Wo kämen wir denn da hin, wenn man diesem Gezücht eine Wahl lassen würde? Einmal geöffnet, zieht das Höllentor unweigerlich jeden hinein, dessen Bestimmungsort es ist."

"Ist das so?", kommt die ruhige Rückfrage.

"In der Tat!", bestätigt der alte Wächter. "In der Hölle herrschen gänzlich andere Bedingungen. Alles dafür gemacht, Seelen böser Geschöpfe zu halten und zu quälen. Besser man versucht gar nicht erst dorthin zu gelangen, solange man noch einen Körper hat." Nun hüpft er interessiert etwas näher an den Daiyoukai heran. "Mich würde wirklich interessieren, was Euch zu so einen unwirtlichen Ort hinzieht. Ist das irgend so eine Art Selbstbestrafung, oder wie?"

Sesshomaru würdigt ihn keines Blickes, doch seine Haltung versteift sich etwas. "Meine Anliegen gehen dich nichts an", stellt er kühl klar.

Doch damit lässt der alte Youkai sich nicht abspeisen. "Oh, seid doch nicht so!", wehrt er enttäuscht ab, "Hier ist so selten etwas los. Eine interessante Geschichte von Zeit zu Zeit, das ist doch das Einzige was dieser eintönigen Aufgabe ein wenig Abwechslung verleiht." Nun baut er sich sittsam vor Sesshomaru auf und blickt hoffnungsvoll zu ihm hoch. "Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt", meint er nun höflich. "Ich bin Doro-sama, der Hüter des Höllentors, treuer Diener Enmas, Herr der Unterwelt", stellt er sich feierlich vor und dann verbeugt er sich tief vor Sesshomaru. Die Verbeugung der kleinen Gestalt wirkt etwas plump und unbeholfen, doch sie scheint aufrichtig zu sein.

Sesshomaru blickt zu dem kleinen Youkai hinab. Nun da dieser Doro ein wenig kooperativer zu sein scheint, besteht wieder Hoffnung, dass er vielleicht doch noch hindurch kommt. Vielleicht ist es nicht ganz verkehrt sich ebenfalls vorzustellen. Wenn man es genau betrachtet, ist diese jämmerliche Kreatur mit einer überaus verantwortungsvollen Aufgabe betreut, die ihr doch einen gewissen Rang zugesteht.

"Mein Name ist Sesshomaru, Herr über die westlichen Länder und Fürst der Inuyoukai des Westens", sagt er.

"Ah, solch hoher Besuch ehrt mich!", entgegnet der Krötenyoukai. Es liegt ein wenig Belustigung in seinen Worten, doch sie scheinen nicht böse gemeint zu sein. "Es ist schon eine Weile her, dass ein echter Fürst seinen Weg hierher gefunden hat." Nun nimmt er einen weiteren Zug von seiner Pfeife und dann hüpft er mit einem Satz auf die Spitze des Monolithen, wo er lässig seinen Kopf auf seine Hand aufstützt und seinen Gegenüber abwartend mustert. "Doch die Frage, die ich mir stelle, ist immer noch warum."

Sesshomaru verzieht keine Miene. Er zögert kurz, dann sagt er: "Ich bin auf der Suche nach jemandem."

"Ah ja?", kommt die interessierte Rückfrage, "Und wen den, wenn man fragen darf?"

"Einen Youkai", gibt Sesshomaru unwillig Auskunft.

"Einen Youkai, so so", wiederholt Doro, "Na, da denke ich doch, wenn man einen Youkai sucht, ist die Hölle ein guter Ort für eine Suche. Und wenn Ihr ihn findet, was dann?"

Sesshomarus Miene wird hart. "Es ist unerlässlich für das Schicksal meines Reiches, dass ich ihn finde. Das ist der Grund meiner Suche. Ich kehre unter keinen Umständen in meine Welt zurück, ehe ich ihn nicht gefunden habe."

Doro lächelt amüsiert. "Große Worte!", meint er, "Hier kam schon so mancher her in all den Jahren in denen ich schon hier Dienst tue, selbst Lebende und sie hatten ähnlich gute Gründe um dort hineinzukommen", wieder zeigt er auf den staubigen Boden, "Aber geschafft hat es noch keiner von ihnen", er grinst triumphierend und nimmt einen weiteren Pfeifenzug.

Nun bekommt Sesshomarus Blick etwas Eisiges. "Das Tor ist unter uns, nicht wahr?", sagt er kühl. Sein Fuß wischt den Staub zu seinen Füßen beiseite und nun ist eine massive Metallplatte darunter zu erkennen, die einige eingravierte Ornamente aufweist.

Doros Glubschaugen werden schmaler. Er zögert kurz. "Nun, ähm, das ist richtig", gibt er verhalten zu. "Doch was bringt es Euch das zu wissen?"

Sesshomarus Miene ist reglos, doch er wirkt sehr konzentriert. Dann plötzlich weiten sich seine Augen und unmittelbar darauf flammt seine Aura kurz heftig auf und durch die entstehende Druckwelle wird ein fast zehn Schritt weites Areal um ihn herum in eine dichte Staubwolke gehüllt und dadurch letztlich vom Sand auf dem Boden befreit. Dahinter hängt der Staub noch immer in der unbewegten Luft und sinkt dort wie in Zeitlupe wieder zu Boden. Unter ihm liegt nun blank und sauber, eine von jeglicher Korrosion unberührte Metallfläche über die sich die bizarren Ornamente in alle Richtungen ausbreiten. Ein Stück entfernt von dem Monolithen befindet sich eine kleine Vertiefung, von etwa einem Schritt Breite. Der Daiyoukai tritt entschlossen näher und entdeckt nun am Boden der Vertiefung einen riesigen, massiven Metallring, der dort befestigt ist. Seine scharfen Augen entdecken dicht neben dem Loch eine hauchdünne Rinne die sich einmal quer über die gesamte Metallplatte spannt.

Doro hüpft aufgeregt von dem Monolithen herunter. "Was soll das? Was habt Ihr vor?"

Doch Sesshomaru ignoriert ihn. Unbeirrt tritt er an den gewaltigen Metallring heran, bückt sich und prüft das Gewicht.

Der kleine Krötenwächter hat nun zu ihm aufgeschlossen. Er mustert den Daiyoukai kritisch. "Sagt nicht, Ihr wollt das Tor einfach aufreißen. Wenn Ihr das vorhabt, kann ich nur sagen, dass das ein völlig sinnloses Unterfangen ist. Nichts, absolut gar nichts kann dieses Tor öffnen, wenn es verschlossen ist, das müsste Euch doch klar sein."

Doch noch immer schenkt der Youkaifürst ihm keinerlei Beachtung. Stattdessen untersucht er eingehend den Verschluss des Tors und dann stellt er sich jenseits der Torspalte auf, packt mit beiden Händen den riesigen Metallring und reißt daran.

Doros Stimme wird eindringlicher. "Das führt zu nichts", schüttelt er den Kopf. "So werdet Ihr das Tor niemals öffnen. Die Torflügel allein sind schon viel zu schwer, ganz zu schweigen von dem Bann der darauf liegt um es verschlossen zu halten. Das übersteigt Eure Kräfte bei weitem."

Sesshomaru wirft ihm einen kurzen, finsteren Blick zu. Ganz unrecht hat der Zwerg nicht. Das Tor rührt sich nicht ein Stück. Der Ring selbst hat bereits ein Gewicht, das weit höher ist, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Aus Eisen ist er sicher nicht gemacht. Wenn man davon ausgeht, dass das gesamte Tor aus diesem Material gefertigt ist, dann stehen seine Chancen es zu öffnen wirklich nicht gut. Doch er weigert sich seine Niederlage einzugestehen. Stattdessen überlegt er kurz. Aus dieser Position lässt sich ohnehin nicht die nötige Kraft aufbringen. Erfolgversprechender wäre es sicher direkt nach oben ziehen zu können. Ohne weiter darüber nachzudenken, stößt er sich vom Boden ab, den Ring noch immer in der Hand, und beginnt nun erneut daran zu ziehen mit aller Kraft die er aufbringen kann.

Der kleine Wächter steht derweil daneben und mustert Sesshomarus Bemühungen kopfschüttelnd. "Ihr seid ziemlich hartnäckig, wa'?", bemerkt er, "Aber ich sage es Euch noch einmal: All Eure Kraft wird nicht reichen, um dieses Tor mit Gewalt zu öffnen. Wenn rohe Gewalt ausreichen würde, dann wäre es sicher nicht geeignet zum Versiegeln der Hölle, nicht wahr?" Er nimmt erneut einen Zug von seiner Pfeife.

Doch Sesshomarus Wille ist ungebrochen. So schwer dieses Tor auch sein mag, es steht für ihn außer Frage, dass er hindurch kommt. Mit aller Kraft die sein dämonischer Körper aufbringen kann, reißt er an dem Ring, doch noch immer rührt dieser sich keinen bisschen.

Für einen kurzen Moment hält er inne. Dass er tatsächlich ein wenig außer Atem von der Anstrengung ist, könnte beinah faszinierend sein, wenn sein Augenmerk nicht gerade bei anderen Dinge läge. Es scheint klar, dass er hier nicht weiterkommt. Zumindest nicht so. Er hatte nicht damit gerechnet zum Äußersten gehen zu müssen, doch es bleibt ihm keine Wahl.

"Na, gebt Ihr endlich auf?", fragt Doro schnippisch.

Sesshomarus Blick durchbohrt den alten Gnom. "Ich gebe niemals auf!", grollt er finster und im nächsten Moment flammt seine Aura erneut auf und jagt einen waren Sturm über die Ebene. Seine Augen loderten gefährlich rot auf und nur Augenblicke darauf beginnt sich seine Gestalt zu verzerren und zu wachsen, bis schließlich ein gigantischer, weißer Hund dort auf der kargen Ebene steht.

Doro treten fast die Augen aus den Höhlen, doch dann fängt er sich hastig wieder. "He, immer mit der Ruhe, Bürschchen!", entfährt es ihm entrüstet, "Auch das wird dir nicht helfen, du wirst sehen!"

Doch der gewaltige Hund neigt nur kurz drohend den Kopf herab, fletscht die Zähne und lässt ein wütendes Schnaufen entweichen, das den alten Torwächter kurzerhand von den Beinen holt, sodass er ein Stück nach hinten kugelt und verdattert liegenbleibt.

Dann packt der gewaltige Hundedämon mit seinen Zähnen den Ring und beginnt mit aller Gewalt daran zu zerren. Die Muskeln schwellen an, die immer mehr zunehmende Aura peitscht wütend die Sandkörner durch die Luft, dass es einem Menschen die Haut vom Körper schälen würde.

Sesshomarus volle Konzentration ist auf das Tor gerichtet. Schon lange hat er nicht mehr solche Kräfte aufwenden müssen. Er spürt das schmerzliche Ziehen in jeder Faser seines Körpers, hört wie sein Blut laut und heftig in seinen Ohren pocht. Sein Atem beschleunigt sich und der Druck auf sein Gebiss durch den Ring wird immer schmerzhafter.

Was ihm jedoch noch mehr zu schaffen macht, ist die Tatsache, dass all seine Anstrengung offenbar nicht den geringsten Erfolg haben. Das Tor bleibt wo es ist und rührt sich keine Haarbreite aus seiner Position. Soll er bereits jetzt am Anfang seiner Suche scheitern? Ist sein Vorhaben letztendlich doch aussichtslos? Wird er den Schwur, den er sich selbst gegeben hatte, nicht halten können? Wie soll er so seinem Volk wieder unter die Augen treten, und vor allem Inu Yasha? Er wird sein Gesicht verlieren und sein Reich wird vermutlich untergehen. Also gibt es nur eine einzige Alternative. Er muss erfolgreich sein, und gerade deshalb, kann er seine Reise nicht mit einer Niederlage beginnen.

Der gewaltige Hund fletscht noch grimmiger die Fänge und bündelt nun seine Energie für eine letzte, alles entscheidende Kraftanstrengung. Ein letzter mächtiger Ruck seines Kopfes und überraschenderweise, löst sich tatsächlich etwas. Jedoch ist es nicht das Tor, sondern einer von den gewaltigen Eckzähnen in der Schnauze des riesigen Dämonenhundes.

In einem hohen Bogen fliegt er heraus und noch im Fallen, schrumpft er immer mehr zusammen und trifft letztlich als kleines, weißes Steinchen auf dem schwarzen Metallboden auf.

Der Riesenhund hat unwillkürlich innegehalten und langsam senkt er sich nun wieder auf den Boden herab. Ebenfalls noch im Sinken schrumpft die hünenhafte Gestalt wieder zusammen und nimmt wieder menschliche Züge an. Nahezu lautlos setzt Sesshomaru auf dem Boden auf. Leicht streicht eine seiner Fingerkuppen über seine Unterlippe. Seine Miene ist schwer zu deuten, doch seine ganze Haltung ist angespannt. Er atmet einmal vernehmlich durch. Dann ballt er leicht die Faust.

Eilig kommt Doro näher heran. Tadelnd schüttelt er den Kopf. "Tststs, seht Ihr, was habe ich Euch gesagt?", meint er vorwurfsvoll, "Es ist zwecklos. Ihr verletzt Euch nur selbst bei dem Versuch. Ihr solltet es wirklich besser aufgeben und zurück in die Welt der Lebenden kehren. Ihr gehört nicht hierher, und Eure Zeit für da drin, ist noch nicht gekommen. Seht es doch ein! Ihr werdet dieses Tor niemals öffnen können."

Einen langen Moment kommt von Sesshomaru keine Regung, nur hinter seiner Stirn scheinen seine Gedanken in heller Aufregung zu sein. Aus seinem linken Mundwinkel läuft ein dünnes Rinnsal Blut heraus doch er wischt es nicht fort. Kann die Kröte Recht haben? Ist es zwecklos? Es hat fast den Anschein. Dieses Höllentor ist einfach zu schwer für ihn. Es ist fast als versuche man die ganze Welt zu stemmen, ebenso aussichtslos. Und doch kann und darf er sich keine Niederlage erlauben. Doch was soll er tun? Wie kommt er nur hindurch?

Schließlich hebt er den Kopf und dann geht er hinüber zu dem herausgebrochenen Eckzahn und hebt ihn auf. Schweigend steckt er ihn ein und dann wendet er sich Doro zu. Sein Blick ist entschlossen.

"Vielleicht kann ich dieses Tor nicht öffnen", sagt er fest, "doch das bedeutet nicht, dass ich nicht hindurch komme."

Unsicher betrachtet der Krötenyoukai den Daiyoukai. "Was wollt Ihr damit sagen? Was habt Ihr vor?"

Hart blickt Sesshomaru auf. "Ich beabsichtige die Hölle heute zu betreten, auf die eine, oder die andere Weise", mit diesen Worten zieht er sein Schwert Bakusaiga aus seiner Scheide.

Unruhig hüpft der Kröterich von einem Bein auf das andere. "Ich sagte doch schon, dass ich das Tor nicht für Euch öffnen kann", meint er rasch, "Außerdem kann dieses Schwert Wesen aus dieser Welt keinen Schaden zufügen, und Euer anderes Schwert ist noch immer versiegelt. Ihr könnt mich nicht zwingen."

Sesshomarus Blick wird eisig. "Das war auch nicht meine Absicht", sagt er düster und hebt die Klinge. "Wenn ich das Tor nicht öffnen kann, dann werde ich es eben zerstören."

Doros Mundwinkel bekommen einen zynischen Zug und verächtlich rümpft er die große Nase. "Das ist lächerlich!", krächzt er spöttisch, "Ein einziges Schwert kann nichts gegen die Macht dieses Tores ausrichten. Ganz gleich wer sein Träger ist. Das ist völlig absurd!"

"Wir werden sehen!", grollt Sesshomaru und fletscht die Zähne. Und dann flammt seine Aura erneut wild auf und seine Augen nehmen eine beängstigend rote Farbe an. Hoch aufgerichtet hält er Bakusaiga vor sich und während noch die Energiemassen um ihn herumwirbeln, tritt er an den Metallgriff des Tores heran und dann holt er mit aller Kraft aus und lässt das Schwert herniedergehen. Im selben Augenblick da die Schneide auf dem Griff auftrifft, entlädt sich eine gewaltige Anhäufung von gelb glühenden Blitzen und Energiewirbeln und verwandeln die sie umgebende Fläche in ein wildes, wütendes Feuerwerk aus chaotischen Entladungen.

Panisch versteckt sich Doro hinter dem Monolithen. Ängstlich zuckt er vor jedem Blitz zurück der in seiner Nähe einschlägt. Verstört linst er zu dem Daiyoukai hinüber der nun ebenfalls in ein Gewitter aus Energie gehüllt ist, jedoch die Zähne zusammenbeißt und unablässig seine Klinge gegen den Mechanismus des Tores presst.

Immer heftiger werden die Entladungen und jedes Mal wenn ein Blitz auf dem Tor aufprallt erzeugt er einen ohrenbetäubenden Knall wie von mächtigen Kanonenschüssen. Doro hält sich die Ohren zu.

Doch da ist auf einmal noch ein anderes Geräusch. Ein eigenartiges und sehr disharmonisches Knirschen, dass in einem schrillen Kreischen gipfelt. Der alte Wächter traut seinen Augen nicht. Dort wo die Klinge das Metall berührt, zucken die Blitze am heftigsten und an eben jener Stelle hat sich ein kleiner, dünner Spalt gebildet, der allerdings mit jedem heftigen Blitzschlag der ihn trifft ein wenig an Größe zunimmt und immer bedrohlicher unter der zerstörerischen Macht des Schwertes zu knirschen beginnt.

Siedend heiß wird dem Wächter des Höllentores bewusst, was das bedeutet. "Aufhören! Sofort aufhören! Auf der Stelle! Ich befehle es!" Todesmutig kommt er hinter seinem Versteck hervor und hüpft nun lebensmüde auf Sesshomaru zu. "Was, bei allen Göttern, tut Ihr da! Ihr könnt doch nicht das Höllentor aufbrechen. Das gibt eine Katastrophe!" Völlig verzweifelt baut er sich vor Sesshomaru auf, um jedoch jedes Mal hastig aus dem Weg zu springen, sobald ein Blitz in seine Richtung zielt.

Doch Sesshomaru lässt sich von dem aufgeregten Gekrächze nicht abhalten. Unbeirrt leitet er seine Energien weiter in den Spalt der sich in dem magischen Metall unter ihm gebildet hat. Es verlangt ihm alles ab was er hat, doch dieses Mal weigert er sich, klein beizugeben. Und der Erfolg gibt ihm Recht. Deshalb wird er nicht eher ruhen, bis er das ganze, verdammte Ding in tausend Fetzen gesprengt hat.

Wieder bröckelt ein weiteres Stück aus dem Spalt. Doro schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. "Seid Ihr des Wahnsinns?", kreischt er schrill. "Wenn Ihr das Tor zerstört, können alle dort Gefangenen entkommen. Das gibt ein Chaos von epischem Ausmaß! Hört sofort auf damit!"

"Keiner bringt mich von meinem Ziel ab!", quetscht Sesshomaru zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Gnadenlos prasseln Bakusaigas Energien weiter auf das Tor ein. Wieder knirscht es unheilvoll.

Dem Krötenyoukai entfährt ein spitzer Schrei. "Ich ersuche Euch, haltet ein!", fleht er. Ein paar Mal tritt er scheinbar äußerst unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, dann scheint er sich zu etwas durchgerungen zu haben. "Also schön, in Ordnung!", schnauft er gequält. "Ihr habt gewonnen. Ich werde das Tor für Euch öffnen, aber ich flehe Euch an, hört auf es kaputt zu machen!"

Für einen kurzen Moment überlegt Sesshomaru, doch dann verebben plötzlich die Energien und langsam richtet er sich auf. Sein Atem geht heftig. Mit glühendem Blick funkelt er Doro an. "Wenn das ein Trick ist, wirst du es bitterlich bereuen", grollt er.

"Nein, nein!", wehrt der Gnom hastig ab, "Kein Trick. Ich lasse Euch ausnahmsweise hindurch. Wenn das Tor zerstört wird, verliere ich schließlich meinen Job, ganz zu schweigen von dem Chaos, das das anrichten würde."

Eilig schlurft er zum Monolithen hinüber. Sesshomaru folgt ihm mit Blicken. Bei dem Pfeiler angekommen, steckt Doro sich die Pfeife in den Gürtel und dann mit einem kräftigen Sprung stößt er sich am Monolithen empor. Mit flinken, geschmeidigen Bewegungen gleiten seine dürren Finger über den pechschwarzen Stein und malen mysteriöse Symbole darauf. Dies wiederholt er an allen vier Seiten und beim letzten Fingerstrich beginnen die gezogenen Linien auf dem Stein in einem gleißenden Blassblau zu strahlen. Das Leuchten wird immer intensiver und auf einmal schießen aus dem Stein in alle vier Richtungen weitere Linien hervor und malen die Ornamente auf dem Tor nach, die nun ebenfalls zu leuchten anfangen.

Innerhalb weniger Sekunden ist der gesamte Fußboden um Sesshomaru von hellen Linien durchzogen. Doch damit nicht genug. Auf einmal erfüllt ein heftiges Beben die Ebene und nun gerät der Sand um sie her in Bewegung. Urplötzlich schießen aus den Ornamenten und aus der umliegenden Einöde grelle Lichtstrahlen in den Himmel und der nun hell erleuchtete Bereich erstreckt sich fast mehrere hundert Schritt in alle Richtungen. Und langsam wird Sesshomaru klar, warum er die Torflügel niemals hätte anheben können. Das Tor zur Hölle erstreckt sich beinah über die gesamte Ebene. Gut, dass der kleine Wächter nun doch ein Einsehen hatte.

Nun nimmt das Leuchten wieder etwas ab und zurück bleibt ein fahles Glimmern. Nun watschelt Doro auf Sesshomaru zu. Es ist ihm deutlich anzusehen, dass er keinesfalls zufrieden ist.

"Also schön, dann komm mal mit!", brummt er mürrisch. Vorbei ist alle Höflichkeit. Er schlurft hinüber zu dem riesigen Ring und dann packt er ihn und zieht dann mit einem kurzen Ruck an ihm. Überraschenderweise lässt der riesige Griff sich diesmal ohne Probleme bewegen und kurz darauf gibt er eine Öffnung von etwa zwei mal zwei Schritt frei.

Sesshomaru blickt ein wenig verwundert drein. Weniger wegen der leichten Handhabung als viel mehr wegen der geringen Öffnung.

Doro scheint seine Gedanken erraten zu haben. "Tu nicht so überrascht!", mosert er, "Nur deinetwegen öffne ich doch nicht das ganze Tor. Dieser Durchgang muss reichen." Er winkt Sesshomaru zu sich.

Der Daiyoukai strafft sich und dann tritt er näher. Hinter der Öffnung befindet sich nichts als Schwärze.

"Bevor du gehst, ein guter Rat", wirft Doro gehässig ein."Stell dich schon einmal auf eine ungemütliche Zeit ein. Die Hölle ist gemacht um Seelen drinnen zu behalten. Eine Seele hat keinerlei Gewicht. Ein lebender Körper jedoch schon. Rechne besser damit, dort unten keinen Fuß vor den anderen setzen zu können. Wobei...", er mustert Sesshomaru noch einmal scharf, "bei deiner Kraft könntest du es vielleicht sogar schaffen."

Sesshomaru wirft ihm noch einmal einen schweigenden Blick zu und dann tritt er in das schwarze Loch um hinab zu gleiten, wo auch immer 'hinab' ist. Doch es kommt anders. Kaum hat er das Loch passiert, da spürt er auf einmal eine ungeheure Kraft die auf ihn wirkt und ihn unweigerlich in die Tiefe reißt. Flüchtig sieht er verzerrte Bilder um sich her. Berge, Felsen, alles in Farben von Rot und schwarz gemalt und dann taucht urplötzlich unter ihm der Boden auf und nur Augenblicke später schlägt der Daiyoukai mit einem lauten, unschönen Krachen auf der Erde auf.

Katsuken

„Zum allerletzten Mal, verdammt!“, Itakouris wütender Ruf, schallt weit über die blutgetränkte Ebene, „Ich sage, wir gehen zurück und erstatten erst mal Bericht!“

Fast gelangweilt dreht Samushi einen Finger im Ohr herum. „Damit er dann über alle Berge ist, wenn wir wieder da sind. Toller Vorschlag!“, entgegnet er gehässig, „Noch ist die Spur frisch. Außerdem bin ich nicht taub.“

„Aber komplett verblödet, wie mir scheint!“, ereifert sich Itakouri, „Siehst du das hier?“, er fuchtelt dem anderen Krieger mit einem blutigen Oberschenkelknochen vor der Nase herum, „Wenn der Kerl ein ganzes Heer niedermetzelt, ist er vermutlich eine Nummer zu groß für uns. Wir sollten Verstärkung holen.“

Grimmig funkelt Samushi seinen Vorgesetzten an. „Ich wusste gar nicht, dass du so ein elender Feigling bist.“

„Das hat nichts mit Feigheit zu tun!“, grollt Itakouri wütend, „Sondern eher mit Vernunft. Ein Krieger sollte immer wissen, was er sich zutrauen kann, aber das hast du ja noch nie kapiert du Schwachkopf! Und genau deshalb, bin auch ich zum Hauptmann bestimmt worden von Yarinuyuki-sama und nicht du! Und als dein Hauptmann befehle ich dir: Schwing deinen pelzigen Arsch gefälligst wieder zum Palast zurück! Auf der Stelle!“

„Und was willst du denen erzählen?“, stemmt Samushi die Arme in die Seite, „Dass 'Irgendwas' ein Menschenheer abgeschlachtet hat? Die lachen uns doch in die nächste Schlucht. Yarinuyuki-sama will das bestimmt genau wissen, meinst du nicht? Die wird uns in zwei Teile brechen, wenn wir unsere Arbeit hier so stümperhaft machen und nur auf Grund irgendeiner Vermutung bei ihr angetanzt kommen.“

„Oder sie könnte es vorziehen, dass wir ihr die Entscheidung überlassen, was zu unternehmen ist“, schnaubt Itakouri, „Ich glaube nicht, dass sie begeistert sein würde, wenn wir hier machen was uns in den Sinn kommt, ohne sie zu fragen. Das hat dir schon mal gewaltigen Ärger eingebracht, weißt du noch? Ich denke eher, sie hätte es lieber, wenn wir sie über die Bedrohung informieren.“

Doch Samushi macht nur nachäffende Bewegungen mit dem Mund. „Du solltest dich mal hören: Hätte, könnte, würde. Seit wann bist du denn so ein Paragraphen-Reiter, Itakouri? Aber von mir aus, lauf halt zurück zu Yarinuyuki-sama und berichte ihr. Ich geh inzwischen mal nachsehen.“ Mit diesen Worten dreht er sich um und setzt sich ohne ein weiteres Wort in Bewegung wieder zurück zu den Berghängen von denen sie gekommen waren.

Wutschnaubend starrt Itakouri ihm nach. „Du sollst hierbleiben, verdammt! Komm sofort zurück, du elender Bastard! Das ist ein Befehl, verflucht noch eins!“

Doch statt dass Samushi seinen Schritt auch nur ein bisschen verlangsamt, wendet sich nun auch Kegawa zum Gehen, bereit, seinem Freund zu folgen.

Hart packt Itakouri den Youkai am Arm: „Und was glaubst du wo du hingehst?“, funkelt er ihn zornig an.

Doch Kegawa erwidert nur achselzuckend seinen Blick. „Nichts für ungut, Itakouri“, meint er gelassen, „Aber bestimmt lass ich Samushi nicht alleine einem so gefährlichen Gegner hinterherrennen. Der Idiot bringt sich doch nur in Schwierigkeiten mit seiner Impulsivität. Der braucht doch einen, der ihm sagt wann er gewonnen hat, sonst vergnügt er sich bis sonst wann da und wir kriegen ihn erst in ein paar Tagen wieder zu Gesicht. Außerdem soll er doch nicht den ganzen Spaß alleine haben, oder?“, er zwinkert Itakouri schelmisch zu.

Doch so leicht lässt Itakouri sich nicht erweichen. Der Griff um Kegawas Oberarm wird härter und seine Krallen bohren sich in sein Fleisch. „Du rührst dich nicht von der Stelle, ist das klar?“, zischt er finster, „Das ist ein Befehl!“

Nun wird Kegawas Miene ernst. „Itakouri“, meint er ruhig, „Glaub mir, die Chancen, dass Samushi möglichst bald wieder aufkreuzt, sind höher, wenn du mich mit ihm gehen lässt. Ich sag das nicht gerne, aber auf mich hört er eher als auf dich, und ich lege auch wenig Wert darauf, dass er sich umbringt. Also lass mich gehen, ja?“

Einen langen Moment scheint Itakouri mit sich zu ringen. Er presst die Zähne aufeinander und ein tiefes Grollen dringt aus seiner Kehle. Schließlich stößt er einen ärgerlichen Schrei aus und lässt Kegawa dann los. „Möge der dämliche Vollidiot mit seinen eigenen Gedärmen stranguliert werden!“, schreit er. Dann packt er seinen Speer fester, und setzt sich dann in Bewegung, direkt in die Richtung in die Samushi verschwunden ist. „Aber wehe der Kerl lässt sich in seinem dummdreisten Übermut abschlachten, dann bringe ich ihn höchstpersönlich mit meinen eigenen Händen um! Kommst du endlich?“, ruft er Kegawa noch nach, der sich ihm sogleich grinsend anschließt.

Eilig sprinten sie über das blutgetränkte Schlachtfeld, wobei sie Samushis Spur folgen, ebenso wie der des ominösen Gegners. Nur Kegawas diebische Stimme ist noch zu hören: „Du weißt schon, dass du ihn nicht umbringen kannst, wenn er schon tot ist, oder Itakouri?“

„Halt bloß die Schnauze, Kegawa! Weißt du, niemand mag Klugscheißer!“, kommt die gefährliche Antwort, und dann kehrt wieder Ruhe ein auf dem Feld des Todes.
 

Die Nacht ist schon lange gänzlich hereingebrochen und bis auf den Mond knapp über dem Horizont ist kein Licht zu sehen. Doch das stört die drei Youkai nicht die zwischen den wenigen, kargen Bäumen in dieser Höhe hindurch huschen und sich dabei nahezu lautlos und mit gefährlicher Wachsamkeit über die Hänge des Gebirgsausläufers bewegen. Mehr oder weniger freiwillig sind sie der Fährte gefolgt die von dem Schlachtfeld wegführte und haben dabei eine ganze Reihe willkürlicher Richtungswechsel mitverfolgt. Anscheinend hat ihre Beute keinen rechten Plan wohin sie will.

Schließlich führt sie die Fährte bis hin ins Gebiet der Menschen. Hier sind sie nun etwas behutsamer bei der Verfolgung, denn an dieser kahlen Bergseite sind sie ungedeckt und deshalb leicht auszumachen. Und die Anweisung ihrer Fürstin lautet, sich den Blicken der Menschen so weit es möglich ist zu entziehen. Doch sie haben Glück. Kein Mensch scheint in der Nähe zu sein.

Die Spur, der sie folgten, führte sie schließlich hinauf zu einer der vielen heißen Quellen in den Bergen, die die Menschen im Laufe der Zeit für sich erschlossen haben. Nach einer weiteren kurzen, wenn auch gepresst heftigen Diskussion zwischen Itakouri und Samushi war beschlossen worden, sich dem besagten Onsen in dem sie das Ziel ihrer Suche vermuteten, nur mit großer Wachsamkeit zu nähern, um im Zweifelsfall den Überraschungseffekt auf ihrer Seite zu haben.

Lautlos, jedoch ohne unnötig Zeit zu verschwenden, huschen sie den Pfad hinauf und nähern sich geräuschlos dem Verschlag der den Eingang zu der heißen Quelle darstellte. Höchst wachsam drücken sie sich immer wieder in eine Nische hinter den großen Haufen an Geröll die auf dem Weg dorthin keine Seltenheit sind.

Samushis Finger trommeln unruhig auf den Schaft seines Speeres. „Er ist bestimmt ganz in der Nähe!“, murmelt er, „Auch wenn ich seine Witterung nicht in meiner Nase hätte, ich könnte seine Aura in diesem ganzen, verdammten Talkessel spüren.“ Ein verwegenes, kleines Lächeln spielt um seine Lippen.

„Finden wir raus, wer der Kerl ist, und dann nichts wie weg hier!“, brummt Itakouri ungeduldig, „Ich spüre es auch und es sträuben sich mir die Nackenhaare dabei. Das verheißt nichts Gutes.“

„Sei nicht so ein Jammerlappen!“, meint Samushi amüsiert, „Du benimmst dich wie ein Welpe der Angst hat, sich gleich einzupieseln.“

Wütend packt Itakouri Samushi am Kragen: „Ich geb dir gleich 'einpieseln', du ignorantes, kleines Arschloch! Dein krankhafter Hang zur Selbstüberschätzung wird dich noch mal den Kopf kosten!“

„Haltet gefälligst die Klappe! Alle beide!“, zischt Kegawa nun ärgerlich, da sie den Eingang fast erreicht haben, „So wie es aussieht ist er da unten bei der heißen Quelle? Und ich glaube, ich höre da was.“

Augenblicklich halten die beiden streitenden Krieger inne und verharren aufmerksam lauschend eine ganze Weile wo sie gerade stehen. Der Streit scheint bereits völlig vergessen und die Wachsamkeit der Krieger in ihnen, hat wieder die Oberhand gewonnen. Itakouri spitzt die Ohren. „Oh ja!“, flüstert er nun genüsslich und sein Gesicht verzieht sich zu einer hämischen Grimasse, „Da schnarcht irgendwer.“

Lautlos schiebt sich Samushi näher an das Holzhäuschen heran. „Und dieses 'irgendwer' kommt von genau dort unten“, er zeigt über die Kuppe des Bergkamms und zu der dahinterliegenden Talsenke, „Wer immer das ist, er hat offenbar die Ruhe weg! Aber das wird er bald schon bitter bereuen.“

Kegawa schließt zu ihm auf. „Sehen wir nach, wer das ist“, meint er.

„Moment!“, kommt Itakouri dazu, „Ich bin der Hauptmann. Ich gehe voran! Und ihr zwei folgt mir! Ohne einen Ton, verstanden?“

„Von mir aus“, meint Samushi, „Immerhin bist du ja mal zur Vernunft gekommen.“ Mit diesen Worten schließt er sich rasch Itakouri an, der ihr Versteck bereits verlassen hat und gemeinsam folgen sie ihrem Vorgesetzten bis hinauf zu dem dürftigen Bretterverschlag.

So lautlos wie möglich setzen sie einen Fuß vor den anderen, doch die hohen Felswände werfen jedes kleine Geräusch zurück und verstärken es. Jeder Sprung, jeder Schritt über Geröll ist eine Zitterpartie.

„Das ist doch albern!“, brummt Samushi missmutig, „Hier herumzukriechen wie ein paar Kellerasseln und zu hoffen, dass man nicht entdeckt wird. Wir sollte einfach hingehen und kurzen Prozess mit dem Kerl machen. Wenn der uns kommen hört, ist es dann schon zu spät.“

Brodelnd dreht Itakouri sich zu Samushi um: „Aber ich habe hier das Sagen, und deshalb läuft das hier wie ich das sage, geht das endlich in deinen dämlichen Schädel rein?“

Samushi verdreht die Augen: „Von dir kommt auch nicht wirklich mal was Neues, oder?“

„Und dieses ätzende, permanente Gegenanreden von dir nennst du neu?“, faucht Itakouri bissig zurück, „Wie wäre es wenn du zur Abwechslung mal tust was ich dir sagen, und mich hier verdammt noch mal meine Arbeit machen lässt?“

„Liebe Güte!“, ruft Samushi genervt, „Mach dir nicht ins Hemd! Du bist der Boss, dann mach doch mal!“

„Geht das auch leiser, verdammt?“, zischt Itakouri wütend.

Samushi verschränkt die Arme. „Hey, Kegawa, meinst du das geht auch leiser?“, ruft er laut zu dem Youkai der zwei Schritt neben ihm steht.

„Weiß nicht!“, ruft dieser in der gleichen Lautstärke und mit einem frechen Grinsen zurück, „Kann ich dir nicht sagen! Hab ich noch nicht probiert!“

„Aha, gut zu wissen!“, erwidert Samushi laut und grinsend, „Ich nämlich auch nicht. So was ist nämlich gar nicht mein Stil!“

„So ein Zufall, meiner auch nicht!“, setzt Kegawa das kleine Spielchen fort.

„Und meinst du, wir sollten es mal versuchen?“, kommt es laut von Samushi zurück.

„Nee!“, kommt die Antwort, „Das ist doch langweilig! Außerdem ist es gegen unsere Natur!“

„Da hast du sicher Recht!“, gibt Samushi zu, „Besser ich sag es mal Itakouri!“ Nun wendet er sich an den drei Schritt entfernten Youkai und blickt ihn ernst an. „Itakouri!“, ruft er übertrieben laut, „Kegawa meint wir sollen nicht leise sein, weil das gegen unsere Natur und langweilig ist! Ich bedauere, da kann man wohl nichts machen! Du wirst dir etwas anderes überlegen müssen, damit bist du doch sicher einverstanden, Itakouri, oder?“

Mit tödlicher Miene funkelt Itakouri den ehemaligen Streuner an. „Ich hasse dich, Samushi!“, grollt er düster, „Irgendwann bring ich euch beide um, verlass dich drauf!“

„Das wird vielleicht bald nicht mehr nötig sein, wenn ihr weiter so laut seid“, lässt sich nun eine helle Stimme vernehmen.

Augenblicklich fahren die drei Inuyoukai herum und starren wachsam zu der jungen, elegant gekleideten Frau hin, die nun vor dem Häuschen aufgetaucht ist und die drei Hundedämonen aus leuchtend orangen Augen mustert. Ihre Erscheinung schimmert im Dunkel der Nacht in einem eigentümlichen weiß.

„Wer ist das denn?“, wendet sich Samushi an Kegawa.

„Woher soll ich das wissen, gib dieser zurück.

Doch die weißhaarige Frau spricht schon weiter. „Mein Herr wünscht nicht gestört zu werden. Er legt großen Wert darauf in den nächsten Stunden unbehelligt zu bleiben. Anderenfalls wird er sich euch in ungewogener Laune widmen müssen. Ich denke nicht, dass ihr darauf Wert legt.“ Ein sarkastisches kleines Lächeln umspielt ihre Lippen.

Trotzig richtet Samushi sich auf. „Richte deinem Herrn aus, er kann uns mal am...“

Vielleicht“, übertönt Itakouri demonstrativ die Worte seines Gefährten. „kann die werte Frau uns ja erst mal darüber in Kenntnis setzen, wer ihr Herr überhaupt ist.“ So gewählt die Worte auch sind, sie klingen noch immer recht herablassend. Der Oberbefehlshaber des Nordheers hat seine Aufgabe noch nicht vergessen. Und wenn es auch innerlich in ihm brodelt, dass sein Untergebener fortwährend rigoros seine Autorität untergräbt, seine Mission, mehr über die Sachlage zu erfahren, hat Vorrang. Mit Disziplinarmaßnahmen wird er sich später befassen. Vermutlich wird es nicht ausbleiben, dass er Samushi in absehbarer Zeit erneut herausfordern und unterwerfen muss. Dieses ewige Machtgerangel muss aufhören!

So wie die Frau aussieht und riecht, handelt es sich hier zweifellos um eine Dämonin. Es bleibt also die Frage was sie mit diesem Unruhestifter zu tun hat. Ihre Geruchsnote ist neu.

Aufmerksam mustert die hellhäutige Youkai nun die drei Neuankömmlinge. Für einen kurzen Moment wirkt sie etwas irritiert, doch dann kehrt die Selbstsicherheit in ihr Gesicht zurück. „Wann mein Herr entscheidet seine Identität zu offenbaren, liegt in seinem eigenen Ermessen. Ihr dürft von Glück reden, wenn er euch noch eine Zeitlang im Unklaren hält, denn höchstwahrscheinlich würdet ihr es nicht überleben. Mein Herr hat wenig übrig für niedere Kreaturen wie euch. Ich rate euch also zieht eurer Wege, ehe ihr ihn noch aufweckt!“

Ein wenig sprachlos sehen sich die Inuyoukai an. Dann zieht Ärger über ihre Gesichter.

„Hat man da Töne?“, ruft Samushi empört aus. „Von einer wie dir muss ich mir so was bestimmt nicht sagen lassen, du Molch!“

„Salamander, bitte!“, korrigiert die junge Frau ohne eine Miene zu verzeihen.

„Mir doch scheißegal!“, wettert er gegen an. „Der Typ wildert in unserem Gebiet und wir jagen ihn schon eine ganze Weile. Wir werden ihn jetzt ganz bestimmt nicht mehr entkommen lassen, wo wir ihn endlich gestellt haben. Und auch du wirst das nicht verhindern können. Also geh besser aus dem Weg. Du wärst nicht der erste Lurch den ich kleingeschnetzelt hätte.“

Kegawa nickt zustimmend. „Das ist wahr. Bei so was ist Samushi wirklich sehr kreativ.“

Nun blickt die Youkai doch ein wenig beklommen drein, rührt sich aber nicht vom Fleck. Doch dann bekommt ihre Miene etwas Hartes. „Versuch ruhig dein Glück, Köter! Doch versprich dir nicht zu viel davon. Ich habe den Auftrag den Schlaf meines Herrn vor Störungen zu bewahren. Und das beabsichtige ich zu tun, und wenn ich euch dafür allesamt die Zungen raus reißen muss!“

In diesem Moment ertönt eine ärgerliche Stimme hinter der Frau: „Ich denke, das werde ich übernehmen!“

Augenblicklich heben die drei Inuyoukai die Köpfe und starren wachsam zu der Gestalt hinüber die an der Kuppe des Bergkamms neben der Hütte aufgetaucht ist und nun gemäßigten Schrittes auf die drei zukommt. Dabei weist eine deutliche Handbewegung die Frau an, aus dem Weg zu gehen, was diese auch sogleich als Anlass nutzt um mit demütig gesenktem Haupt den Weg frei zu machen. Schließlich bleibt er einige Schritte von den drei Inuyoukai entfernt stehen.

Im schwachen Licht des Mondes ist der Fremde nur schemenhaft zu erkennen, doch das spärliche Licht zeichnet die Gestalt als verhältnismäßig schmächtig aus. Sein Gesicht ist kaum zu sehen, doch die jugendliche Stimme klingt recht missmutig und zwei rot-schimmernde Augen funkeln zu ihnen hinüber.

Sofort ist die Ernsthaftigkeit in ihre Gesichter zurückgekehrt. Itakouri fasst seine Waffe fester. Aufmerksam mustert er den fremden Jungen. Er wirkt tatsächlich erstaunlich jung für einen Youkai der ein ganzes Heer niederzumetzeln vermag. Sein schwarzes Haar ist zu einem langen Samuraizopf hochgebunden, der ihm bis zur Taille reicht und im Augenblick ist er lediglich mit einem Fundoshi um seine Lenden bekleidet. Das macht die drahtige Gestalt mit den deutlich definierten Muskel jedoch keineswegs weniger eindrucksvoll. Wenn er auch kaum älter als fünfzehn Jahre alt sein kann, nach menschlichen Maßstäben, so ist sein tatsächliches Alter nur schwer abschätzen.

„Dann musst du wohl besagter Herr dieser Frau sein, nicht wahr?“, stellt Itakouri abschätzend fest.

Nun nimmt auch Samushi den Fremden etwas genauer in Augenschein, dann zieht er verächtlich die Nase kraus. „Das ist ja ein Kind!“, stößt er enttäuscht hervor. Man merkt ihm deutlich an, dass er sich einen erheblich beeindruckenderen Gegner vorgestellt hat.

Kegawa zieht kurz die Luft ein und boxt seinen Freund dann unsanft in die Seite. „Also dem Geruch nach, ist das schon der Kerl den wir suchen, das ist dir klar, oder?“, raunt er ihm zu.

Unwirsch dreht sich Samushi zu ihm um. „Hältst du mich für blöde? Natürlich weiß ich das!“, fährt er ihn an, „Ich dachte nur nicht, dass wir heute lediglich dazu kommen, ein paar Hintern zu versohlen.“

„Haltet die Klappe! Alle beide!“, schnauzt Itakouri sie an, „Wenn das tatsächlich der Kerl ist, den wir suchen, dürfen wir ihn keine Sekunde unterschätzen!“

Nun hebt der Fremde den Kopf. Seine Augen werden schmal. „Ihr habt mich gesucht?“, fragt er skeptisch, „In wessen Auftrag?“

Samushi will schon etwas antworten, doch sofort packt Itakouri ihn hart am Oberarm und starrt ihn warnend an. Diesmal beschließt Samushi zu gehorchen und klappt den Mund wieder zu.

„Das geht dich nichts an“, stellt Itakouri nun klar, „Es sollte reichen, dass wir hier sind, oder?“

Einen Moment lang scheint der junge Youkai eingehend über seine Worte nachzudenken. Dann verschränkt er langsam die Arme. Noch immer ist sein Gesicht nur schwach im Mondschein zu erkennen, doch seine Haltung hat sich versteift. „In der Tat“, sagt er kühl, „Wie habt ihr mich entdeckt?“

Nun kann Samushi nicht mehr an sich halten und lacht verächtlich auf. „Soll das ein Witz sein? Was war nun wirklich nicht schwer. Es war wohl kaum zu übersehen, wo du abgeblieben bist. Wir durchstreifen diese Gegend nicht erst seit gestern. Grade deiner Spur zu folgen war ein Kinderspiel nachdem sie einmal aufgetaucht war. Wäre klüger gewesen deine Aura zu löschen, wenn du unentdeckt bleiben wolltest.“

Der Fremde blickt Samushi eisig an. „Offensichtlich“, stellt er fest, „Und was habt ihr nun mit mir vor?“

Itakouri reckt sich mutig: „Das hängt ganz von dir ab, Kerl! Wenn du dich friedlich verhältst, werden wir noch mal gnädig mit dir sein und dich nur mitnehmen, aber wenn du aufmuckst, werden wir dir wohl wehtun müssen.“ Samushi und Kegawa nicken eifrig.

Wieder scheint sich die Miene des Jungen mit Denkfalten zu überziehen. Dann hebt er wieder den Kopf. Nun fällt das Mondlicht auf sein Gesicht hinab. Ein gefährliches Lächeln liegt um seine Lippen „Friedlich sagt ihr? Bis ihr drei Spießgesellen hier aufgetaucht seit, habe ich versucht ein kleines Verdauungsschläfchen zu halten. Viel friedlicher geht es wohl kaum. Und ich bringe wenig Nachsicht auf, wenn man mich dabei stört.“

Kegawa blickt spöttisch zu Samushi hinüber. „Verdauungsschläfchen nennt er das“, feixt er, „Das Geschnarche hat man im halben Gebirge gehört. Schlägt sich erst den Wanst voll, bis er fast platzt und kommt uns nun auch noch frech.“

„Du hast Recht, Kegawa“, stimmt Samushi zu, „Der Typ bettelt praktisch um eine Abreibung.“

Nun wendet sich Itakouri wieder an den Youkai vor ihm, „Dies hier ist unser Revier! Dein kleines Festmahl hat auf unserem Grund und Boden stattgefunden. Das können wir nicht tolerieren! Glaubst du das urplötzliche Verschwinden eines ganzen Menschenheeres ohne jegliche Kriegshandlung, bleibt unbemerkt? So blöd sind selbst die Menschen nicht. Sie werden glauben, dass wir was damit zu tun haben. Du hast uns da ganz schönen Ärger eingebrockt, Kerl!“

Der junge Youkai mustert Itakouri abschätzend. Dann zieht er kurz die Luft ein. Dann meinte er geringschätzig: „Ah, ihr seid Nezuyomarus Abkömmlinge, nicht wahr? Hätte ich mir denken können. Minderwertige Brut!“

Ein Ruck geht durch Samushis Körper und Kegawa muss seinen Freund rasch packen, um ihn von etwas Unüberlegtem abzuhalten. „Was nimmst du dir heraus, du dreckiger, kleiner Bastard!“, schimpft Samushi, „Sprich noch einmal so abfällig über unsere Ahnen und ich reiß dir alle vorstehenden Körperteile ab! Und beginnen werde ich mit deinem...“

„Was mein Untergebener in seiner unverbesserlichen Unhöflichkeit mitteilen möchte“, unterbricht Itakouri ihn mit einen gefährlichen Lächeln, „ist, dass der Nordclan ebenfalls wenig Nachsicht aufbringt, wenn so ein dreister, kleiner Klugscheißer wie du, in unser Revier einfällt, unsere Jagdgründe plündert und sich obendrein noch abwertend über unsere Vorfahren äußert, war das deutlich? Dann können wir sehr böse werden, weißt du, Kleiner?“

Doch noch immer rührt der schwarzhaarige Youkai keinen Finger. Offenbar machen die Worte keinerlei Eindruck auf ihn. Er legt lediglich ein wenig den Kopf schief. Wieder ist sein Gesicht in Dunkelheit gehüllt. Dann meint er: „Soll dass heißen, ihr stört meinen Schlaf und erregt zunehmend meinen Ärger nur wegen einiger minderwertiger Menschen? Ihr wart eigentlich gar nicht auf der Suche nach mir?“

Nun ist es Itakouri der für einen Moment etwas verwirrt ist, doch dann fasst er sich wieder. „Wenn du so willst, Fatzke, dann kannst du das so sehen. Was aber nicht heißt, dass wir uns deiner nicht trotzdem annehmen können.“

Ein spöttisches Schnaufen entfährt dem jungen Youkai. „Nur zu! Tut euch keinen Zwang an. Wenn ich sehe wie lebensmüde ihr seid, bekomme ich gleich schon wieder Hunger.“

„Sonst noch was?“, keift nun Kegawa ärgerlich zu ihm herüber, „Soweit kommt das noch, dass du uns wohl auch noch fressen willst. Wer zum Henker bist du Kerl eigentlich?“

Noch einmal hebt der Junge den Kopf. Verachtung liegt in seinem Blick. „Ihr legt euch mit mir an und wisst noch nicht einmal wer ich bin? Dummdreistes Pack! Das wird ja immer besser! Scheinbar war ich viel zu lange außer Gefecht gesetzt, wenn man sich nicht einmal mehr an mich erinnert“, seine Miene wird ernst, „Oder ihr Kerle lebt einfach nur hinter dem Mond.“

„Was sagst du da?“, schnaubt Samushi, doch noch immer hält Kegawa ihn fest.

„Komm uns nicht so!“, ruft nun auch Itakouri erbost, „Sag uns einfach wer du bist, und dann entscheiden wir selbst, ob wir schon mal von dir gehört haben, oder ob du bloß irgendein Wichtigtuer mit zu viel Selbstüberschätzung bist.“

Kühl blickt der junge Youkai zu den drei Nordyoukai hinüber. Dann legte er wieder den Kopf schief. „Man nennt mich so Vieles. Welchen Namen soll ich euch Spatzenhirnen da nennen?“, fragte er mit einem gehässigen, kleinen Lächeln.

Itakouri beißt hart die Kiefer aufeinander. „Was soll denn die beschissene Frage wieder?“, empört er sich, „Rede gefälligst Klartext mit uns!“

Der Junge verzieht genervt das Gesicht. „Ihr seid wirklich nicht die Hellsten, oder? Na ja, auch schwer vorstellbar bei der Abstammung. Aber damit ihr nicht dumm sterbt, bin ich so gnädig euch zu verraten, mit wem ihr es hier zu tun habt. Sagt euch der Name Katsuken etwas?“

Samushi und Kegawa sehen sich ahnungslos an. Auch Itakouri zieht die Stirn in Falten. „Nie gehört. Soll das irgendjemand Wichtiges sein?“

Der Mund des Jungen wird schmal. Ein scharfer Blick mustern die drei Youkai. „Unfassbar!“, murmelt er verächtlich. Doch mit lauterer Stimme fährt er fort: „Oder vielleicht Fukouryouken?“

Wird das jetzt hier ein Ratespielchen?“, entfährt Itakouri nun ein Grinsen, „Kannst du dich vielleicht mal für einen Namen entscheiden?“

„Genau“, mischt sich nun Kegawa frech ein, „Wenn du dir erst einen überlegen musst, erwarte bloß nicht noch, dass der uns irgendwas sagen sollte.“

„Aber vielleicht können wir dir ja helfen“, grinst Samushi ungeniert, „Wir helfen dir gerne mit ein paar Namen aus. Wie wär es mit Großmaul? Oder Nervbacke?“

„Oder Pappnase?“, kichert Kegawa.

„Oder Hosenscheißer, oder Großkotz!“ Samushi entfährt ein Glucksen. Und nun können die beiden nicht mehr an sich halten und lachen laut los. Itakouri verdreht die Augen.

Doch noch während die beiden lachen, beginnt auf einmal der Wind in der Felsspalte aufzufrischen und die Umgebungstemperatur steigt urplötzlich rasch um ein paar Grade an. Und noch bevor die drei wissen, wie ihnen geschieht, ragt auf einmal der schwarzhaarige Youkai direkt neben ihnen auf. Mit einer blitzschnellen Bewegung, packt er Kegawas Kehle und mit einem festen Griff presst er den Hals des Youkai so stark zusammen, dass diesem unwillkürlich die Knie weich werden und er zusammensackt, lediglich gehalten von der ausgestreckten Hand des Jungen der knapp einen Kopf kleiner ist als er.

Schlagartig verstummt das Lachen und die drei Youkai sind augenblicklich in Alarmbereitschaft. Kegawa registriert den stählernen Griff um seine Kehle der ihm unbarmherzig den Atem raubt. Er war schon oft im Kehlgriff eines Gegners, eine effiziente Methode um den anderen ohne große Mühe außer Gefecht zu setzen. Er hat ihn auch schon so manches Mal selbst angewandt, doch diesem Jungen, hat er eine solche Kraft nicht zugetraut. Dies hier fühlt sich verdammt nach Mordlust an und vergeblich versucht er sich unter heftigem Strampeln zu befreien.

Im selben Moment reagieren auch die anderen beiden Krieger. Itakouri zögert keine Sekunde, dann packt er seinen Speer im Anschlag und stürmt ohne ein weiteres Wort auf ihren Gegner los.

Samushi reagiert ebenso rasch. Er hat viel zu lange schon und viel zu oft gekämpft, um nicht zu wissen, wo die Scherze aufhören und Handeln gefordert ist. Was im Grunde ja nicht heißt, dass die Späße damit aufhören, doch was tödlicher Ernst ist, dass weiß auch er. Er fletscht die Zähne und schon im nächsten Augenblick rammt er dem schlanken Fremden neben ihm, der seinen Freund wie in einem Schraubstock festhält, ein paar harte Faustschläge von hinten in die Nieren.

Doch der Schwarzhaarige zeigt sich von dieser Attacke gänzlich unbeeindruckt. Er wendet lediglich Samushi langsam den Kopf zu und taxiert ihn mit einem finsteren Blick. Nur einen Wimpernschlag später hat er Samushi mit der freien Handkante einen solch heftigen Schlag an die Halsseite verpasst, dass dieser einige Schritte weit fortgeschleudert wird und hart auf dem zerklüfteten Boden zu liegen kommt.

Nun hat auch Itakouri seinen Gegner erreicht, doch dieser vollführt nur einen geschmeidigen Tritt mit dem ausgestreckten Fuß, um den Speer nach oben abzulenken, und in einem raschen, geschickten Nachtritt, trifft er Itakouri direkt an der Brust und lässt ihn mehrere Schritte entfernt unsanft an die Felswand krachen. Benommen und überrumpelt blicken die beiden Nordyoukai auf, während ihr Kamerad noch immer in dem Griff des Fremden nach Luft ringt.

Nun setzt der fremde Youkai langsam wieder seinen Fuß ab. Ärgerlich, wenn auch nicht ohne eine gewisse Würde, blickt er in die Runde. Nun wendet er sich Kegawa in seinem Griff zu: „Also schön. Schluss mit diesem albernen Namensspielchen! Den einzigen Namen den ihr euch merken müsst ist Katsuken! Und bevor ich entscheide, ob ihr diese unverschämte Störung meines Schlafes mit eurem Leben bezahlen dürft, gibt es noch ein paar Dinge die ich wissen will, und wehe mir gefällt nicht, was ich höre!“

Itakouri rappelt sich wieder auf und spuckt einen Schwall Blut aus. Ein kurzer Blick schweift zu dem benommenen Samushi, der noch dabei ist, nach dem heftigen Schlag wieder zur Besinnung zu kommen. Wer Samushi mit nur einem Schlag das lose Mundwerk stopfen kann, ist mit äußerster Vorsicht zu genießen, das ist ihm nur allzu klar.

Finster blickt er zu dem Jungen hinüber. Er zieht einmal verächtlich die Luft ein, dann meint er grimmig: „Katsuken also, ja?“ Nun richtet er sich wieder auf und starrt den Schwarzhaarigen an. „Ich dachte mir doch gleich, dass hier der Geruch nach fremdem Köter in der Luft liegt. Du bist nicht von hier. Woher kommst du, zum Teufel? Aus welchem Clan? Du riechst weder nach stinkendem Westen noch nach verfaultem Osten. Also, unter welchem Stein bist du hervorgekrochen gekommen, Fatzke?“

Ungerührt erwidert Katsuken seinen Blick. „Ich stelle hier die Fragen“, macht er ungerührt deutlich, „Und wenn dein Freund nicht das Atmen verlernen soll, wirst du schön brav antworten. Sind wir uns einig?“, die letzten Worte fügt er mit einem seidigen Lächeln hinzu.

Itakouri fletscht die Zähne. Sein Blick geht hinüber zu Kegawa der in dem stählenden Griff des Youkais gerade knallrot anzulaufen beginnt. Itakouris Atem beschleunigt sich. Dieser dreckige Bastard! Unwillkürlich fasst er sich an die Brust. Er kann noch immer jeden einzelnen Knochen spüren, besonders die gebrochenen. Der Kerl hat Kraft und zwar noch weit mehr als er hier vorgibt. Alle seine Instinkte raten ihm gerade die Flucht zu ergreifen, doch sein Kopf wird einfach nicht schlau aus diesen Empfindungen. Was um alles in der Welt hat der Knabe nur an sich, dass man am liebsten vor ihm flüchten möchte?

Er wirkt so unscheinbar, und doch, er hat ein ganzes Heer der Menschen ausgerottet. Selbst ein Youkai erledigt so etwas nicht einfach im Vorbeigehen. Wenn er diesen Katsuken betrachtet, dann lassen sich keinerlei Verletzungen bei ihm feststellen. Seit dem Überfall auf die Menschen mögen vielleicht ein paar Stunden vergangen sein. Möglicherweise verfügen ja Daiyoukai über die Fähigkeit, sich so schnell zu heilen, oder vielleicht wurde er gar nicht erst verletzt. Das bietet durchaus Grund zur Sorge. Die Stärke des Jungen ist kaum einzuschätzen. Aber für einen Daiyoukai fehlt ihm das typische Symbol. Und von welchem Volk? Fragen über Fragen. Und zu seinem Bedauern findet er seine eigene Intention dringend bestätigt: Es wäre sinnvoll, mehr über diesen Kerl zu erfahren.

Doch sonderlich mitteilsam erscheint der Fremde wohl nicht. Es bleibt also bei Vermutungen wenn er Kegawas Leben nicht gefährden will, und er ist innerlich ziemlich dankbar, dass Samushi noch immer außer Gefecht gesetzt ist, da er sonst für die Sicherheit seines Untergebenen wohl nicht mehr garantieren könnte. Warum muss dieser streitlustige Kerl auch immer so unberechenbar sein?

Doch im Augenblick sind diese Gedanken fehl am Platz. Er muss sich auf das hier und jetzt konzentrieren. Zähneknirschend funkelt er den fremden Jungen an: „Was willst du wissen?“

Katsukens Gesicht ist nicht zu erkennen doch die Stimme klingt dafür um so strikter: „Wer hat euch geschickt um mich zu suchen?“

Itakori rührt sich nicht, doch er bleibt fortwährend angespannt. Soll er ehrlich sein? Nun, welchen Schaden kann es machen, und was könnte stattdessen geschehen, wenn er ihn bei einer Lüge zu ertappen glaubt?

„Niemand!“, gibt er zu, „Unsere Herrin schickte uns auf Patrouille um die Grenzen zu sichern. Dass wir auf dich stießen war eher ein glücklicher Zufall. Sonst noch was?“, er grinst schief.

Doch der andere geht nicht darauf ein. Stattdessen überlegt er kurz, dann fragt er ernst: „Was ist mit dem Taishou geschehen?“

Itakouri kräuselt verständnislos die Stirn: „Mit wem?“

„Der Inu no Taishou!“, wiederholt der andere ungeduldig, „Was ist aus ihm geworden?“

Nun dämmert es Itakouri langsam. Die Geschichte ist sogar bis in den Norden hinauf gedrungen, auch wenn er ihr nie große Beachtung beigemessen hat. „Er ist tot“, gibt er Antwort.

Der andere hält einen Moment lang inne und scheint zu überlegen. „Wie ist er gestorben?“, fragt er schließlich scharf.

Itakouri kommt etwas ins Schwimmen. So genau hat er die Geschichte nie verfolgt. Der Kerl war tot und das allein reichte schon.

„Soweit ich weiß, ist er verbrannt oder so“, gibt er schließlich zögernd Auskunft, „Irgendwas wegen einer Frau, was man so hört.“

Der fremde Junge denkt wieder einen Augenblick nach. Schließlich legt er leicht den Kopf schief. „Ist das so?“, fragt er leise, doch es klingt gefährlich.

Itakouri rieselt ein kalter Schauer über den Rücken. Er wird das Gefühl nicht los, soeben mehr erfahren zu haben, als er wissen sollte. Da ist wieder dieser drängende Impuls in ihm der ihn zum sofortigen Rückzug mahnt, wenn er diesem Knaben gegenübersteht. Irrational, aber nicht wegzudiskutieren. Vermutlich können sie von Glück reden, wenn sie diesen Ort mit ein paar gebrochenen Knochen verlassen. Wer, zum Teufel, ist dieser Kerl?

Doch der Hauptmann der Nordyoukai lässt sich nichts anmerken. „Ist das jetzt alles?“, fragt er so lässig wie er vermag, „Wie wäre es wenn wir die Fragestunde zu unserer Fürstin hin verlegen würden? Ich bin sicher, sie ist schon ganz scharf darauf, dich kennen zu lernen.“

Nun strafft sich der Knabe ein wenig. „Fürstin?“, kommt es verächtlich, „Der Anführer eurer Sippe ist eine Frau? Wie tief, zur Hölle, ist euer Pack bloß gesunken?“

Itakouris fletscht die Zähne. „Wage es noch einmal so über Yarinuyuki-hime zu reden, und ich reiß dir die Lippen ab, klar?“, knurrt er.

Nun bekommt die Silhouette des Jungen etwas bedrohliches. Einen kurzen Augenblick rührt er keinen Muskel, doch dann holt er blitzschnell mit der Pranke aus, und rammt sie mit voller Wucht in Kegawas Brust, dem dabei ein stummes Keuchen entfährt.

Und dann geht alles ganz schnell. Im selben Moment ist ein wahrlich unmenschlicher Schrei zu hören. Itakouris Kopf ruckt herum, doch schon sieht er Samushi, der offensichtlich wieder zur Besinnung gekommen ist, sich wie eine Furie auf den Knaben stürzen. Dieser zieht gerade seine Klauen unsanft aus Kegawas Brust, ohne ihn jedoch dabei loszulassen.

In wilder Wut springt Samushi ihn an. Seine Augen funkeln in einem tödlichen Eisblau, und mit rasiermesserscharfen Klauen schlägt er blindlings auf den fremden Youkai ein, in dem offenkundigen Versuch ihn in kleine Stücke zu zerfetzen.

Jedoch der Youkai der sich Katsuken nennt, reagiert ebenso schnell, und zudem noch kühl und berechnend. Es bedarf nur einer leichten Körperdrehung seinerseits und Samushis Hieb geht ins Leere. Stattdessen schließen sich jetzt seine Klauen erbarmungslos um Kegawas Kehle, dessen schwach zappelnde Bewegungen nun langsam zum Erliegen gekommen sind, packen einmal fest zu, und im nächsten Moment wird der wehrlose Youkai als eine Art Keule missbraucht, mit der Katsuken geschmeidig ausholt und dann mit einem einzigen gewaltsamen Hieb Samushi gnadenlos mit dem Körper seines Freundes zu Boden knüppelt.

Itakouri hat die Szene mit fassungslosem Blick verfolgt. Eine solche Kraft und zugleich derartige Skrupellosigkeit ist ihm schon eine Weile nicht untergekommen.

Samushi schnappt unwillkürlich nach Luft, als er durch Kegawas Körper beinahe in den Boden gerammt wird. Der Schlag hatte es in sich. Ihm dröhnt mächtig der Kopf und sein linker Arm schmerzt heftig und steht in einem unnatürlichen Winkel ab. Doch seine Wut ist ungebremst. Sofort springt er wieder auf, packt reflexartig mit der rechten Hand Itakouris zuvor fallengelassenen Speer der neben ihm am Boden liegt und schon in der nächsten Bewegung rammt er dem Fremden die scharfe Spitze in den Leib.

Zumindest war das die Absicht. Jedoch im selben Moment als er das Gefühl von durchstoßenem Fleisch erwartet, fühlt er sich ungewollt aufgehalten. Jemand hält seine Waffe mit eisigem Griff fest.

Er blickt auf, und nun aus der Nähe kann er das Gesicht seines Gegners zum ersten Mal ausmachen. Es ist so eisig, dass ihm unter dem hasserfüllten Blick ein wahrer Schauer über den Rücken läuft. Und zum ersten Mal seit einer schieren Ewigkeit wird Samushi daran erinnert was Angst heißt. Seine Augen weiten sich unwillkürlich, während er in die tiefroten Augenfeuer seines Gegenüber starrt.

Doch dieser glühende Blickaustausch dauert nur wenige Herzschläge an. Dann packt Katsuken stärker zu und der Schaft des Speers wird unter seinem Griff regelrecht zerquetscht. Nun dreht er die abgerissene Spitze geschickt in seiner Hand herum und in der nächsten Sekunde rammt er Samushi die tödlich scharfe Klinge mitten ins Herz.

Der Youkai starrt fassungslos drein. Der Schmerz ist nicht so schlimm wie erwartet, aber mit dieser Wunde geht eine gnadenlose Endgültigkeit einher, die seinen Körper kurzzeitig parallelisiert. Doch der unbändige Wunsch seinem Gegner den Garaus zu machen, hält ihn noch immer auf den Beinen. Reflexartig packt er Katsuken mit den Klauen an der Schulter und versucht ihn zu sich heranzuziehen, um ihm, ja was, zumindest so viel Schmerz wie nur möglich zuzufügen.

Doch stattdessen packt dieser nun seinerseits Samushis Pranke mit der Hand und quetscht sie einmal kurz und heftig zusammen. Samushi entfährt ein kurzes Schnaufen dabei. Dann schüttelt der fremde Junge die zermalmte Klaue von sich ab, packt nun mit der freien Hand die schlaffe Gestalt in seinem Griff, hebt sie hoch, als wäre sie ein Bündel Stroh und bricht den Youkai einmal unbarmherzig über sein Knie. Mit einem trockenen Knacken zerbricht das Rückgrat. Kegawa erschlafft.

Samushis gemartertes Herz macht einen heftigen Sprung der ihn mehr schmerzt, als es seine Verletzung könnte. Ein wildes Wutgeheul entfährt ihm, doch schon eine Sekunde später trifft ihn der achtlos von sich geschleuderte Körper Kegawas und wirft ihn zu Boden.

Schwer keuchend liegt Samushi auf dem Rücken. Nur wenige Sekunden lang gestattet er sich, der immer stärker werdenden Müdigkeit in ihm nachzugeben. Er kann spüren, dass der Muskel in seiner Brust immer stockender schlägt und immer größere Pausen dabei einlegt. Alles erscheint auf einmal so unwirklich. Doch die Sorge um seinen langjährigen Freund und Kampfgefährten lässt ihn den Nebel durchdringen, der sich über seine Sinne legen will. Mühsam berappelt sich Samushi wieder und beugt sich schwerfällig über seinen Kameraden der in einer recht unnatürlichen Körperhaltung neben ihm liegt. Seine Augen sind geschlossen.

„Kegawa!“, krächzt Samushi, doch sein Freund rührt sich nicht. Nun packt er seinen Kameraden fest am Arm und noch einmal versucht er es: „Kegawa! Wag es ja nicht, dich tot zu stellen, dann erlebst du was!“, doch der Anflug von Panik ist deutlich in seiner Stimme zu hören. Aber wieder bleibt sein Ruf unbeantwortet. Samushi fletscht schmerzhaft die Zähne und kneift die Augen zusammen.

Nun langsam kommt auch wieder Leben in Itakouri. Das Ganze hat nur wenige Sekunden gedauert und er hat es nicht kommen sehen. Doch nun muss Zögern weichen wo Handeln gefragt ist und sofort eilt er zu seinen Untergebenen hinüber, baut sich zwischen seinen verletzen Kameraden und ihrem Gegner auf und lässt keinen Zweifel aufkommen wie ernst er es meint. Sie sind seine Untergebenen und er ist für sie verantwortlich. Wenn er sich jetzt nicht behauptet, gesteht er Samushis ständigen Anfechtungen Recht zu. Dann hat er es wirklich nicht verdient der Heerführer des Nordens zu sein. Zwar hat er keine Waffe mehr, doch das wird ihn wohl kaum davon abhalten.

Itakouri knurrt gefährlich. „Ich rate dir, lass sie in Ruhe, sonst sonst mach ich Katzenfutter aus dir, das schwöre ich dir!“

Doch nun richtet sich die drahtige Gestalt auf der kleinen Anhöhe vor ihnen hoch auf. „Verdammt große Worte für so einen winselnden Schwächling wie dich!“, kommt es verächtlich. „Du jämmerliche kleine Töle, hast offenbar keinen Schimmer, wenn du hier ankläffst!“

Und in diesem Augenblick scheint die Dunkelheit um ihn herum zuzunehmen. Das was eben noch als Silhouette erkennbar war verschwimmt, und da wo eigentlich nichts zu sehen sein sollte, nimmt die Finsternis zu und der Schatten wächst immer mehr und mehr bis er den gesamten Bergkamm einnimmt.

In der dunklen Schwärze zwischen den Felsen können Itakouris Augen die Finsternis nicht mehr durchdringen, bis zu dem Moment wo er ein rotleuchtendes Augenpaar sieht, dass erschreckend weit über ihm schwebt und ihn nur einen Wimpernschlag später ein solch wuchtiger Hieb trifft, wodurch er so hart auf die Felswand aufprallt, dass ihm sämtliche Knochen ächzend aufstöhnen, und für eine Moment spürt er nichts mehr sondern liegt schlapp auf dem Rücken, alle Viere von sich gestreckt und ist lediglich bemüht weiterzuatmen.

Doch das scheint die schemenhafte Gestalt nicht zu kümmern. Stattdessen sinkt das rotglühende Augenpaar jetzt hinab und nähert sich Kegawas leblosem Körper.

Doch es hat die Rechnung ohne Samushi gemacht. Mit einem unheimlichen Brüllen reißt dieser sich nun mit vor Schmerzen gefletschten Zähnen, die Speerspitze aus der Brust, kommt strauchelnd auf die Füße und nur einen Augenblick später stürzt er sich mit einem todesmutigen Sprung auf den dunkle Schemen um ihm die Spitze gnadenlos ins Auge zu rammen.

Jedoch die unheimliche Gestalt hat seine Absicht durchschaut und ein heftiger Schlag trifft Samushi, ohne dass er erkennen kann woher dieser stammt. Jedoch nagelt ihn dieser Schlag nicht nur am Boden fest, sondern er presst ihn auf äußert schmerzhafte Weise tief in die steinerne Erde hinein, so dass er seine Knochen brechen fühlt und ein sengender Schmerz, der seinen Körper durchzuckt, ihm augenblicklich die Luft zum Atmen nimmt.

Samushi keucht. Die Tatsache so ausgeliefert zu sein, ist eine Erfahrung die er schon lang nicht mehr gemacht hat. Völlig hilflos muss er nun mitansehen, wie die Augen sich nun seinem reglosen Freund nähern. Und dann weitet sich sein Blick vor Entsetzen. Aus dem unsagbaren Dunkel, das diesen unheilvolle Augenpaar umgibt, ist für einen kurzen Moment eine wahrhaft riesenhafte Schnauze zu sehen, die sich nun gnadenlos um Kegawas reglosen Körper schließt und ihn mit einem Bissen verschlingt.

Ein ohnmächtiger Wutschrei entfährt Samushi. Mit aller Kraft die wider erwartend noch in seinem Körper ist, und ohne auf seine Verletzungen zu achten, strampelt Samushi sich wieder auf die Füße. In seinem Kopf kreist es noch immer wegen des schmerzhaften Hiebs und sein ganzer Körper fühlt sich kalt und taub an. Das einzig Warme an ihm ist ein dunkelroter Strom der ihm unaufhörlich von der Brust herabtropft. Und doch zückt er sofort seine Krallen und mit einem wie irr klingenden Schrei, will er sich auf seinen Gegner stürzen. Doch soweit kommt es nicht.

Eine kräftige Hand packt seinen Oberkörper von hinten und hält ihn mit aller Kraft zurück.

„Lass mich los, Itakouri!“, schreit Samushi völlig dem Blutrausch verfallen, „Den Kerl mach ich so dermaßen alle! Ich bring ihn um! Ich werd ihn zerhacken, bis er nur noch blutige Matsche ist!“ Doch allein der Fakt, dass der andere ihn noch immer festhält, spricht Tatsachen aus.

„Sei doch kein Idiot, Samushi!“, zischt Itakouri ärgerlich, „Wir müssen sofort weg hier, oder unsere Fürstin wird niemals erfahren, wie heldenhaft du warst. Also halt gefälligst still, verdammte Scheiße noch eins!“ Doch Samushi gebärdet sich noch immer wie wild, jedoch nur bis ein weiterer Hieb aus der unnatürlichen Dunkelheit ihn und Itakouri trifft und fast vollständig unter sich begräbt.

Der ehemalige Streuner rührt sich nicht mehr. Das meiste der Wucht hat er abbekommen und nun ist kein Lebenszeichen mehr von ihm auszumachen. Doch der Hauptmann des Nordclans, hatte Glück im Unglück. Was immer seinen Untergebenen erwischt hat, hat ihn nur um Haaresbreite verfehlt.

Nun tut er was sein Instinkt ihm schon seit geraumer Zeit eindringlich befiehlt. Er schlingt seinen Arm um Samushis Brust, packt mit der anderen Hand den Oberarm des Youkais und noch ehe ihr Gegner reagiert, rennt er was seine Beine hergeben davon, seinen Untergebenen fest unter den Arm geklemmt und verschwindet so schnell es ihm möglich ist in der Dunkelheit der Nacht. Lediglich zwei große, rote Augen funkeln ihm düster hinterher.

Jedoch schließlich senkt die gewaltige Erscheinung ihren Blick hinab zur Erde und mustert scharf die bleiche Youkaifrau die sich während des Kampfes in einer Felsspalte verborgen gehalten hat.

„Hinosei!“, erfüllt ein beängstigendes Knurren den Talkessel. „Hierher!“

Sogleich springt sie auf, läuft zu ihm hinüber und sinkt vor ihm demütig auf die Knie. „Ich höre, Nushi!“

Finster starrt das rotglühende Augenpaar auf sie herab. „Ich hatte doch wohl deutlich gemacht, dass ich nicht gestört werden wollte“

Nun senkt sie noch tiefer den Kopf. „Vergebt mir, Nushi, beim nächsten Mal werde ich unverzüglich handeln.“

Im selben Moment langt eine gewaltige, schwarze Pfote mit langen Klauen aus dem düsteren Dunst hervor und schon im nächsten Moment geht sie mit einen Donnerschlag auf die erschrockene Frau nieder. Zermalmt liegt die blasse Gestalt auf dem kalten Boden des Bergkamms und reglose Augen starren zum Himmel. Doch nur wenige Momente später geht erneut ein Ruck durch ihren Körper und mit einem scharfen Einsaugen der Luft, richten sich die Knochen in ihrem Körper wieder auf und die Youkai erlangt das Bewusstsein zurück.

Noch während der Körper zu seiner ursprünglichen Form zurückkehrt, trifft dies auch auf die Gestalt des riesigen Ungetüms zu. Es dauert nicht lange und die Bestie hat wieder Menschengestalt. Abfällig betrachtet er den blutverschmierten Körper der Frau neben ihm, der jedoch bereits jetzt keine Verletzungen mehr aufweist.

„Lass dir das eine Lehre sein, ehe ich Gefallen daran finde, deinen Körper an seine Grenzen zu treiben.“ Dann wendet er sich kühl von ihr ab. „Sieh zu, dass du wieder vorzeigbar bist. Ich benötige gleich deine Dienste. Dieser elende Köter bereitet mir jetzt schon Magenschmerzen.“

Mit gesenktem Blick sitzt sie da. „Wie Ihr wünscht, Nushi!“, sagt sie leise.

Lehrstunden

Mit einem blassen Schimmern sanfter Farben kündigt sich der nächste Morgen über den Bäumen um den Westpalast an. Inu Yasha sitzt auf dem Dachfirst des Hauptgebäudes und blickt der Sonne entgegen. Er hat in dieser Nacht kein Auge zugemacht, sondern viel nachgegrübelt. Hauptsächlich über seinen Bruder und dessen Gemütsverfassung. Immerhin ist das der Grund warum ihm diese wichtige Aufgabe nun aufs Auge gedrückt wurde. Seine Gedanken kreisen immer wieder um die Ereignisse von vor ein paar Jahren.

Damals wäre es fast zum Krieg zwischen den drei Clans der Inuyoukai gekommen. Nur im allerletzten Moment wurde Arashitsume, der Fürst des Ostclans, als der Verursacher des Ganzen entlarvt und letztlich von Sesshomaru zur Strecke gebracht. Doch bis es endlich soweit war, gab es viele Verletzte und Tote zu beklagen. Einer von ihnen war Sesshomarus unehelicher Sohn, der sich opferte um ein Attentat auf seinen Vater zu verhindern. Das Tragische an der Sache war wohl, dass Sesshomaru sich noch bis zu diesem Moment weigerte Tenmaru als seinen Sohn anzuerkennen und ihn stattdessen unbarmherzig als das behandelte, was er standesgemäß bis dahin war. Ein Streuner. Ein rang- und heimatloser Youkai ohne Rechte, der von jedem Clanmitglied sofort getötet werden durfte ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Lediglich die Tatsache, dass Inu Yasha ihn und einige seiner Gefährten zeitweise in seine Dienste genommen hatte, wie es einem Fürstensohn zustand, bewahrte sie davor augenblicklich von den drei Fürsten der Clans niedergemetzelt zu werden.

Inu Yasha seufzt. Auch damals ging es die ganze Zeit um Politik. Ständig musste man Acht geben, nicht irgendein Protokoll zu verletzen, damit nicht jeden Moment ein ausgemachter Youkaikrieg ausbrechen konnte. Das wäre das Letzte gewesen was man sich gewünscht hätte.

Wie dem auch sei, damals hatte es eine ganze Weile gedauert, ehe Sesshomaru es schließlich über sich brachte, über seine Schatten zu springen und sich einzugestehen, dass er den Tod seines Sohnes wirklich von Herzen bedauerte. Und nur zu gut erinnert sich Inu Yasha auch an Sesshomarus Reaktion darauf. Eine solch grenzenlose Wut und Verzweiflung, hätte er seinem Bruder nie zugetraut. Im Grunde ist es auch heute noch ein Wunder, dass sie beide damals mit dem Leben davon gekommen sind.

Wenn er also nun hört, dass seinem Bruder die Ereignisse von damals auch heute noch nachgehen, dann verwundert ihn das nicht wirklich. Sesshomarus Trauer damals grenzte kurzzeitig fast an Selbstaufgabe und nur der unbeirrbare und kompromisslose Einsatz des Hanyous hatte dazu beigetragen, Schlimmeres zu verhindern.

Vielleicht ist Sesshomaru deshalb inzwischen so nachsichtig mit ihm. Inu Yasha kann es nicht leugnen, ihr Verhältnis hat sich seit dem etwas verbessert. Aber dass sein Bruder ihm nun so bereitwillig die Herrschaft über sein Reich überlässt, damit hätte er nie gerechnet. Irgendwie sollte er sich wohl geschmeichelt fühlen, doch die Freude über dieses ungewöhnliche Vertrauen wird leider überschattet von der Tatsache, dass er keinen Schimmer davon hat, wie er das in ihn gesetzte Vertrauen bestätigen soll. Wenn er an seine Rolle als Fürst denkt, dann verschwimmt in seinem Kopf alles zu hilflosem Chaos und er kann keinen klaren Gedanken fassen. Er weiß ja noch nicht einmal wie und wo er überhaupt beginnen soll.

"Wo, zum Henker, steckt dieser dämliche Floh bloß?", zischt er grimmig vor sich hin.

Fast schon wie aufs Stichwort spürt er das vertraute Pieksen an seiner Halsseite und wie aus Reflex klatscht Inu Yashas Handfläche die kleine Gestalt platt, die sich dort gerade festgesaugt hat.

"Myoga", bemerkt Inu Yasha missmutig, "wurde ja auch mal verdammt Zeit, dass du kommst. Ich hab dich doch schon vor Stunden rufen lassen."

Der alte Floh hat sich inzwischen wieder berappelt, sitzt nun auf Inu Yashas Knie und sieht sehr reumütig aus. "Ich bin untröstlich, Inu Yasha-sama, doch leider war ich gerade nicht im Schloss als man mir mitteilte, dass Ihre mich zu sprechen wünscht. Ich habe mich beeilt." Nun blickt er mit unverhehlter Neugierde zu Inu Yasha hoch. "Ist es wirklich wahr, dass Sesshomaru-sama Euch die Herrschaft über den Westen überlassen hat? Ich konnte es gar nicht glauben als ich es hörte? Wie kam er denn bloß auf diese irrsinnige Idee? Ihr habt doch keinerlei Erfahrung mit so etwas."

Griesgrämig starrt Inu Yasha ihn an. "Vorsicht, ja? Ich weiß auch, dass das eine bescheuerte Idee ist, aber du musst mir das ja nicht noch extra unter die Nase reiben. Dass ich mich mit so was nicht auskenne, weiß ich selbst. Was glaubst du wohl, warum ich wollte, dass du herkommst?"

Der Flohdämon wirkt ein wenig unschlüssig, doch dann besinnt er sich offenbar seiner Etikette und verneigt sich vor Inu Yasha. "Wie kann ich Euch zu Diensten sein, mein... ähm... Fürst?" Dass ihm die neue Anrede des Hanyous noch immer etwas irritiert, ist ihm anzumerken.

"Ganz einfach", meint Inu Yasha, "Indem du mir alles erzählst, was ich über diese Fürstenrolle wissen muss."

Der Schreck, der den alten Floh überkommt, ist ihm deutlich anzusehen. Schließlich fragt er zögernd: "Wie viel Zeit haben wir?"

Inu Yasha verzieht das Gesicht: "Wie lange dauert das denn?"

Myoga blickt ein wenig unbehaglich drein: "Wenn wir regelmäßig lernen, sagen wir drei bis vier Ja..., ähm Monate", korrigiert er sich rasch.

Inu Yasha schüttelt den Kopf. "Zu lang. Gib mir den Schnellkurs. Nur das Wichtigste erst mal, ja?"

Myogas Miene wirkt etwas gehetzt. "Also gut, das Wichtigste." Er überlegt kurz. "Vielleicht reichen auch vier oder fünf Tage um Euch die essenziellen Dinge beizubringen."

Inu Yashas Blick wird nun sehr durchdringend. "Wie klingen vier bis fünf Stunden für dich?", kommt es scharf.

Der Flohdämon erstarrt unwillkürlich und fängt dann an schwer zu schlucken. "Ihr erwartet, dass ich eine Aufgabe, ja eine Bestimmung und ihre dazugehörenden Pflichten, deren Komplexität normalerweise das Studium der Gebräuche, Sitten und Gesetze unseres Reiches für viele Jahre erfordert, auf eine Lehrstunde reduziere von ein paar Stunden? Das ist völlig unmöglich!" Der kleine Floh verschränkt die Arme und dreht sich beleidigt weg.

Inu Yasha atmet einmal tief durch. "Lass es mich anders ausdrücken", entgegnet er mühsam beherrscht, "Sesshomaru hat mich zum Fürsten über sein Reich bestimmt solange er weg ist, weil er nicht will, dass ein übermächtiger Inuyoukai, der ihn bereits einmal fast umgebracht hätte, in seiner Abwesenheit unser Reich und das der anderen Clans dem Erdboden gleich macht. Im Grunde könnte das jederzeit passieren und ehe es dazu kommt, möchte ich gerne alles versuchen um das zu verhindern. Also was genau muss ich wissen, damit mir das gelingt und mir nicht irgendwelche eitlen, selbstverliebten und egoistischen Ratsmitglieder dazwischenfunken?"

Zunächst kommt von dem kleinen Floh keine Regung. Dann meint er schwach: "Verzeihung, ich war kurz weggetreten.." Dann tippt er nervös die Fingerspitzen aneinander. "Nun... also... wenn das so ist, dann denke ich, wird sich wohl eine Lösung dafür finden lassen."

"Das wäre besser!", stellt Inu Yasha klar.

"Vielleicht ist es dann das Beste, wenn Ihr mir Fragen stellt, Inu Yasha-sama", entgegnet der alte Floh ein wenig ratlos, "damit ich einen Eindruck davon bekomme, welche Themen für Euch die höchste Priorität haben." Wenn auch recht unsicher, so gibt sich der alte Youkai doch sehr bemüht.

Inu Yasha seufzt leise. Das hat er befürchtet. Er weiß ja selbst nicht recht wo er beginnen soll. Schließlich entscheidet er sich für die Frage die ihm doch am drängendsten auf der Seele brennt.

"Ich wüsste gerne", meint er zögerlich, "wie viel ein Fürst hier überhaupt zu sagen hat."

"Nun, das ist einfach!", meint Myoga erleichtert, "Der Fürst des Clans hat die totale Befehlsgewalt. Das letzte Wort bei allem was hier im Schloss und in seinen Ländereien passiert, spricht er."

"Das kam mir aber gestern nicht so vor", brummt Inu Yasha verstimmt, "Die Kerle auf dem Rat haben Sesshomaru andauernd widersprochen und auch über seinen Kopf hin geplant. Er durfte es im Grunde nur absegnen. Ich kann einfach nicht begreifen, warum Sesshomaru sich das gefallen lässt. Das ist doch sonst gar nicht seine Art."

Myoga hält kurz inne und legt dann den Kopf schief. "Das ist... kompliziert. Dabei geht es um Politik."

"Was du nicht sagst!", zischt Inu Yasha zynisch, "Genau das Gleiche hat mir Sesshomaru auch schon gesagt. Und dann hat er versprochen es mir bei Gelegenheit zu erklären, aber dann hat er sich doch darum gedrückt, der Mistkerl! Aber wenn ich mit diesen Typen klarkommen muss, dann muss ich das wissen. Also erkläre es mir!"

Der kleine Floh scheint nun ziemlich mit sich zu ringen, als würden ihm die richtigen Worte fehlen. Dann beginnt er zu erklären: "Diese... Situation geht auf Euren Vater zurück."

"Meinen Vater?", fragt Inu Yasha erstaunt dazwischen.

"So ist es", bestätigt Myoga, "Euer Vater war ein Daiyoukai der Seinesgleichen suchte. Er war außergewöhnlich mächtig. Kaum jemand wagte es ihm zu widersprechen. Allerdings vertrat er auch für einen Youkai einige... eigenwillige Ansichten, könnte man sagen. Seiner Meinung nach bestand die Aufgabe eines Inuyoukais darin, sich um sämtliche Wesen in seinem Reich zu kümmern. Das schloss auch die Menschen ein. Es überrascht Euch vielleicht nicht, doch Euer Vater war der Menschenrasse schon immer zugetan. Warum das so war, kann ich auch nicht mit Sicherheit sagen. Fest stand nur, dass es so war."

"Als er an die Macht kam, entschied er sich dafür stets für Ordnung in seinem Revier zu sorgen, statt nur im Palast zu leben. Er wollte dem Hundeblut in seinen Adern Tribut zollen und deshalb beschloss er regelmäßig durch sein Revier zu patrouillieren und überall nach dem Rechten zu sehen, damit stets Ordnung in seinem Reich herrschte. Er sah es als seine Pflicht an. Wer so mächtig war wie er, der durfte sich nicht erlauben, solche wichtigen Aufgaben nur seinen Untergebenen zu überlassen. Er allein wollte die Verantwortung tragen, da er der einzige war, der ihr gewachsen wäre."

"Wie sich allerdings herausstellte, nahmen diese Kontrollgänge erheblich mehr Zeit in Anspruch als es ihm lieb war. Nun, eher als es seinen führenden Offizieren und Bediensteten lieb war. Man ersuchte ihn immer wieder, das Schloss nicht so lange ohne Führung zurückzulassen, da immer wieder wichtige Angelegenheiten verschoben werden mussten, weil der Fürst nicht anwesend war. Also beschloss Inu Taishou schließlich an seiner Stelle einen Truchsess und einen Rat zu ernennen, der in seiner Abwesenheit die vollständige Befehlsgewalt über den Palast und die Belange der Ländereien erhielt."

"Lass mich raten", fällt Inu Yasha dem Floh ins Wort, "Dieser Truchsess ist dieser Kagemori, nicht wahr?"

Myoga nickt. "Das ist richtig. Kagemori-sama war ein weiser, kluger Mann, der bereits als Berater seinem Vater gedient hatte und der sich als bedingungslos loyal dem Reich gegenüber erwiesen hatte. Ihm vertraute er diesen verantwortungsvollen Posten an. Lediglich sein Wort stand noch über Kagemoris und auch nur wenn er anwesend war. Bei allen anderen Belangen gab er ihm völlig freie Hand."

"Außerdem wählte er sechs weitere Youkai aus, aus den unterschiedlichen Bereichen des Schlossalltags je einen, die den Truchsess bei seiner Arbeit unterstützen sollten. Alles Männer die sich schon oft in Loyalität und Kompetenz bewährt hatten. Ihnen übertrug Inu Taishou damit die gesamten Regierungsgeschäfte in seiner Abwesenheit."

"Was für... Bereiche sind das?", fragt Inu Yasha dazwischen, "Wer von denen ist denn nun für was zuständig?"

"Nun, den Bereichen der Kämpfer", gibt Myoga folgsam Auskunft, "stehen Takarakanshu und Chitsurao vor. Chitsurao ist jetzt seit einiger Zeit der Hauptmann der Armee des Westens, aber das wisst Ihr vermutlich schon, und Takarakanshu befehligt die Geheimpolizei und ist für verdeckte Operationen und Spionage zuständig."

"Spionage?", ruft Inu Yasha verwundert, doch der Floh redet schon weiter.

"Yuugure ist ist der Hauptmann über die Magiekundigen des Schlosses. Für gewöhnlich kümmern sie sich um die Bannkreise die den Palast schützen, aber er steht auch beratend zur Verfügung bei allen Fragen, die dieses Thema betreffen."

"Hiroshi ist der Zuständige für Außenpolitisches und für den Kontakt zu den anderen Daimyou im Reich."

"Das ist doch ziemlich viel Verantwortung für so einen jungen Kerl", unterbricht Inu Yasha erneut.

Myoga lässt sich nicht irritieren. "Hiroshi mag noch jung sein, wenn er auch noch immer älter ist als Sesshomaru-sama", fügt er kurz hinzu, "doch er hat sich dieses Amt mit Fleiß, Loyalität und nicht zuletzt einem überragenden Intellekt hart erarbeitet und übt diese Tätigkeit nun schon lange sehr gewissenhaft aus. Bisher gibt es keinen Grund zum Zweifel daran, dass er für diese Aufgabe bestens geeignet sind."

"Dann bleiben jetzt nur noch dieser arrogante Matsuba und dieser großmäulige Gaikotsu", murmelt Inu Yashja etwas missmutig.

"Matsuba hat die Oberaufsicht über alle logistischen Vorgänge hier im Palast. Man könnte sagen, er ist sein oberster Verwalter. Und Gaikotsu kümmert sich um Finanzen und die Archivierung von Unterlagen und Dokumenten."

"Ein Bürokrat!", grollt Inu Yasha verächtlich, "Ich hätte es mir denken können." Nun wendet er sich wieder an Myoga. "Das erklärt aber noch immer nicht, warum diese ach so tollen Beamten meinem Bruder so unverschämt übers Maul gefahren sind."

"Tja, ähm...", der alte Floh druckst etwas herum, "das wiederum ist der Teil der etwas kompliziert ist. Ich weiß nicht ob ich das erklären kann."

"Tu mir doch den Gefallen, und versuch es!", meint Inu Yasha mit einem erschreckend ungeduldigen Lächeln.

Der Flohdämon kommt ein wenig ins Schwitzen. "Nun, es ist so, dass Sesshomaru-sama schon immer eine sehr hohe Meinung von seinem Vater hatte und stets versuchte, ihm in allem nachzueifern. Er ist der Überzeugung, dass er nicht hinter Inu Taishou-sama zurücksteht und deshalb hat er es sich selbst auferlegt, dem Beispiel seines Vaters zu folgen und ebenfalls regelmäßig durch sein Reich zu patrouillieren. Deshalb ist er auch nur selten im Schloss anzutreffen. Außerdem widerstrebt es ihm, eine Institution einfach abzuschaffen, die sein verehrter Herr Vater eingerichtet und für gut befunden hat."

"Die Einrichtung des Truchsesses samt Rat abzuschaffen, hieße die Entscheidung seines Vaters anzuzweifeln und herabzusetzen, und das wird Sesshomaru-sama niemals zulassen. Deshalb belässt er es so wie es bisher war, zumal der Rat sich bisher auch stets vorbildlich und tadellos um die Regierungsgeschäfte gekümmert hat und alle im Palast und im Reich inzwischen an diese Institution gewöhnt sind. Außerdem würde er die Ratsmitglieder damit herabsetzen, wenn er sie ihres Amtes entheben würde, ohne dass sie sich etwas zu Schulden hätten kommen lassen. Man könnte dies als Trotzreaktion ansehen und das würde Sesshomaru-sama klein erscheinen lassen."

Inu Yasha verzog das Gesicht. "Verstehe, es geht also wieder nur um diese Ehrengeschichte. Alle haben Angst, ihr Gesicht zu verlieren, wenn irgendetwas was mein Vater gemacht hat plötzlich abgeschafft wird, weil er so mächtig war, dass man besser nicht an ihm zweifelt. Hab ich nicht recht?"

"Ich weiß nicht, ob das die korrekte Bezeichnung dafür ist", entgegnet Myoga zögernd.

"Oh doch, genau das ist es doch", brummt Inu Yasha zynisch, "Und inzwischen sind diese Herren Ratsmitglieder so sehr gewöhnt an ihren Posten, dass sie glauben, sich alles erlauben zu können."

"Das ich ist nicht ganz das, was ich damit...", wendet Myoga ein.

Doch der Hanyou unterbricht ihn erneut. "Und nur weil Sesshomaru auch keine Lust hat, hier dauernd im Palast zu hocken, lässt er sie machen, damit sie nicht beleidigt sind wenn er die Regierungsgeschäfte plötzlich selber führt." Mit einem leichten Schwung stößt er sich vom Dach des Gebäudes ab und springt auf den Vorhof herunter. Der alte Floh folgt unwillkürlich, da die rasche Bewegung des Hanyous ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Unsanft landet er auf dem Boden und mühsam versucht er sich wieder zu berappeln.

"Es ist mehr als das, Inu Yasha-sama", wendet er nun ein. "Es gibt auch einen anderen Grund, warum Sesshomaru dem Rat eine weitestgehend freie Sprechbeteiligung gestattet."

Inu Yasha stemmt die Hände in die Seite: "Und der wäre?"

Myoga kommt wieder ins Schwitzen. "Es sind alles hochverdiente, fähige Männer. Sie sind erfahren und wissen wovon sie sprechen. Es wäre töricht ihre Ansichten einfach abzutun und zudem unhöflich. Sesshomaru-sama weiß, dass mehrere Köpfe ein Problem auch immer von unterschiedlichen Seiten betrachten. Warum sollte er sich selbst den Vorteil abschneiden, alle erdenklichen Sichtweisen zumindest einmal gehört zu haben? Das ist ihm ein wenig Eigeninitiative und Unverblümtheit durchaus wert."

"Unverblümtheit?", Inu Yashas Miene zeigt deutliche Skepsis. "Ich würde es eher als Dreistigkeit oder eher sogar Frechheit bezeichnen. Andere Sichtweise hin oder her, ich verstehe einfach nicht, warum Sesshomaru sich das gefallen lässt."

"Kagemori und die Ratsmitglieder sind in unserem Reich sehr einflussreich. Ich nehme an, er hat wenig Interesse daran, es sich mit ihm zu verscherzen und das Reich womöglich in einen Bürgerkrieg zu treiben", stellt Myoga die Vermutung an. "Aber da werdet Ihr wohl Euren Bruder selbst fragen müssen."

"Na toll!", verschränkt Inu Yasha die Arme. "Und eben das ist gerade nicht möglich. Aber ich sag dir was, so etwas lass ich nicht mit mir machen! Wenn dieser Kagemori mir noch einmal dumm kommt, dann werd ich..."

"Ich wünsche Euch einen angenehmen guten Morgen, Inu Yasha-sama", hört er plötzlich eine ruhige tiefe Stimme hinter sich, "Ich hoffe, Ihr habt wohl geruht in Euren neuen Gemächern."

Inu Yasha erstarrt und fährt dann hastig herum. Vor ihm steht besagter Youkai namens Kagemori und hat ehrfurchtsvoll das Haupt gesenkt bei der Begrüßung. Auch schon zu so früher Morgenstunde ist sein Gewand tadellos angelegt und strahlt erhabene Würde aus.

"Ich bedauere, wenn ich Euch bei irgendetwas gestört haben sollte, Inu Yasha-sama", sagt er ruhig, "doch ich würde gerne ein paar Dinge mit Euch besprechen, wenn es Euch keine Umstände macht. Ist es Euch recht, wenn wir ein Stück gehen?" Die Bitte wurde mit tadelloser Höflichkeit vorgetragen, und dennoch fällt es Inu Yasha schwer, der Autorität in der Stimme zu widerstehen.

"Ich habe noch nicht mal gefrühstückt, und schon werde ich wieder mit Staatsangelegenheiten belästigt", gibt er betont erhaben zurück. "Können wir das nicht auf später verschieben?"

"Ich versichere Euch, ich werde nicht viel Eurer Zeit in Anspruch nehmen", entgegnet der Youkai ruhig. "Doch es gibt einige Dinge die bedauerlicherweise keinen Aufschub dulden." In den goldenen Augen des Mannes funkelt es durchdringend.

Ein wenig verunsichert erwidert Inu Yasha den Blick dann schließlich lenkt er doch ein. "Also schön, was gibt es denn?", man merkt deutlich, dass ihm unter dem strengen Blick des Youkai ganz unbehaglich wird.

Kagemoris ruhiger Blick ruht einen Moment auf dem Hanyou, dann setzt er sich gemächlich in Bewegung über den Palastplatz und stellt fest, dass Inu Yasha ihm folgt. "Ich will gleich zur Sache kommen", bemerkt die würdevolle, tiefe Stimme des Youkai, "Es hat ein wenig gedauert, doch unsere Späher haben die Fährte des besagten Youkais ausgemacht."

Inu Yashas Augen weiten sich nun deutlich interessiert. "Ach ja? Und wo ist er jetzt?"

"Er hat am späten Nachmittag des vergangenen Tages die Grenze zum Nordreich überquert."

Inu Yasha lauscht aufmerksam seinen Ausführungen, doch als der Youkai nicht weiterspricht, hakt er nach. "Ja, und? Was macht er jetzt da?"

Kagemori wirft Inu Yasha einen kurzen abschätzenden Seitenblick zu. "Wünscht Ihr, dass wir die Beobachtung auf dem feindlichen Terrain fortsetzen?"

Inu Yasha stutzt kurz. Vermutlich hat der Nordclan etwas dagegen. "Wir sollten Yarinuyuki darüber informieren, oder?", fragt er zurück.

"Das liegt in Eurem Ermessen", gibt Kagemori ernst zurück, "Ihr seid der Fürst, es ist Eure Entscheidung."

"Sie wird ziemlich sauer sein, wenn wir es nicht tun", meint Inu Yasha zynisch.

"Nur wenn sie es erfährt", bemerkt Kagemori ruhig.

Inu Yashas Augen weiten sich. "Was soll das denn heißen?", fragt er scharf.

"Wundert Euch nicht zu sehr, Inu Yasha-sama!", erwidert Kagemori gelassen, "Schon seit Jahrhunderten entsenden wir verdeckte Observierungseinheiten in die anderen Reiche. Und sie tun mit uns das Selbe", fügt er hinzu, "Es ist gemeingängige Praxis, wenn es auch nie offiziell ist. Es informiert uns über ihre Aktivitäten, und sie über unsere. Dadurch wird schon sehr lange das Gleichgewicht der Kräfte bewahrt."

"Wie wäre es einfach mal mit ein bisschen Vertrauen?", meint Inu Yasha gehässig.

"Was sagt Euch, dass man den anderen Clans so uneingeschränkt vertrauen kann?", gibt Kagemori kritisch zurück.

"Ich kenne ihre Fürsten!", stellt Inu Yasha klar, "Mein Instinkt sagt mir, dass man ihnen vertrauen kann."

Nun bleibt Kagemori stehen. Ernst blickt er Inu Yasha an, dem urplötzlich unter dem Blick ganz mulmig zumute wird. "In diesem Reich leben über Zehntausend Youkai des Westclans", sagt er würdevoll, "Frauen, Kinder, Zivilisten. Der Fürst ist verantwortlich für jeden einzelnen von ihnen. Wollt Ihr wirklich deren Leben riskieren, allein aus Vertrauen Eures Instinktes gegenüber?"

Inu Yasha bleibt ebenfalls stehen, er blickt nun etwas verunsichert drein. Doch Kagemori redet schon weiter. "Ich zweifle nicht daran, dass Eure Einschätzung, den anderen Fürsten gegenüber, so aufrichtig und ehrbar ist wie möglich, doch selbst Ihr, verzeiht, gerade Ihr könnt unmöglich ermessen, was eine kleine Abweichung von den normalen Umständen in den Köpfen derer verursachen kann, die Verantwortung tragen. Nehmt nur Euren Bruder als Beispiel. Niemand im Rat unseres Volkes hätte Sesshomaru-sama zugetraut, was er getan hat. Was sagt Euch, dass die anderen Fürsten in einer Extremsituation nicht ebenfalls so handeln? Wollt Ihr unser aller Leben darauf wetten, dass sie sich friedlich verhalten werden und uns unterstützen, wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was Sesshomaru-sama uns mitgeteilt hat?"

Inu Yasha blickt nun sehr unsicher drein. Doch dann fasst er sich wieder. Leichter Ärger kehrt in seinen Blick zurück. "Behauptet Ihr etwa, dass Sesshomaru gelogen hat?"

"Ich bezichtige unseren Fürsten keineswegs, die Unwahrheit gesagt zu haben", gibt Kagemori ruhig zurück. "Doch was er tatsächlich erlebt hat und wie die Sachlage tatsächlich ist, können wir niemals einwandfrei wissen. Es sei denn wir überzeugen uns eigenständig. Doch dazu bedarf es Eurer Genehmigung unsere Späher in das Reich des Nordens zu entsenden, um stets auf dem aktuellen Stand der Dinge zu bleiben. Glaubt mir", seine Stimme hat nun etwas leicht abfälliges, "Der Nordclan wird unsere Leute niemals bemerken. Das haben sie nie!" Nun hebt er selbstbewusst den Kopf. "Es liegt mir mehr als fern, einen Konflikt heraufzubeschwören. Deshalb kann ich die Entscheidung Eures Bruders, keine diplomatische Abordnung zu entsenden, nicht gutheißen, doch ich werde sie selbstverständlich befolgen. Es sei denn, Ihr mögt in der Sache anders entscheiden."

Inu Yasha verzieht gehässig das Gesicht. "Sesshomaru wollte keine Unterhändler weil er das für zu gefährlich hielt. Vertraut Ihr Eurem Fürst und seinem Urteil etwa nicht, oder seid Ihr einfach zu gewöhnt daran solche Sachen selbst zu entscheiden? Die Entscheidung meines Bruders muss ja wohl ziemlich nervig für Euch sein, was?"

Kagemoris Miene zeigt keine Regung. Dann fragt er ruhig: "Ihr seid also seiner Ansicht, eine friedvolle Lösung nicht in Erwägung zu ziehen? Ein offener Krieg ist Eurer Meinung nach die einzige Option?"

"Das habe ich niemals behauptet!", ereifert sich Inu Yasha, "Klar wäre es mir am liebsten, wenn das diesmal ohne großes Blutvergießen vonstatten gehen könnte, aber Sesshomaru war dagegen das Leben eines Unterhändlers dabei zu riskieren und ich beabsichtige seinen Willen weiter zu vertreten!"

"Sesshomaru-sama ist aber derzeit nicht hier", gibt Kagemori ernst zu bedenken, "War es nicht gerade deshalb, weil er gerade nicht angemessen auf die jeweilige Situation reagieren kann, dass er Euch zu seinem Stellvertreter erklärt hat? Wenn er wollte, dass jeder seiner letzten Befehle dauerhaft Gültigkeit behält, dann hätte er sicher Anweisungen hinterlassen. Stattdessen hinterließ er Euch die Pflicht und das Recht nach Eurem Gutdünken zu entscheiden. Seid versichert, Chitsurao ist ein fähiger Kämpfer. Er hätte sich nie als Unterhändler angeboten, wenn die Aussicht Erfolg zu haben und mit dem Leben davon zu kommen, nicht bestünde. Er hat sich schon des öfteren bewehrt, und Ihr dürft ihm guten Gewissens Euer Vertrauen schenken, wie es dem Herrn über so viele fähige Untertanen zusteht."

"Denkt nicht, Eure Situation wäre uns unbekannt, Inu Yasha-sama. Ihr habt wenig Erfahrung in der Rolle des Befehlshabers. Deshalb gestattet mir und dem Rat, Euch nach bestem Wissen und Gewissen zur Seite zu stehen, damit Ihr diese verantwortungsvolle Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit Eures Bruders meistert, und lasst uns Euch beraten!" Mit diesen Worten verneigt er sich ehrerbietig.

Inu Yasha spürt einen dicken Kloß im Hals. Was soll er tun? Er hat sich doch geschworen, Sesshomaru nicht zu enttäuschen und deshalb seine Wünsche weiterzuführen, doch andererseits, hat das was dieser Kagemori sagt durchaus seine Richtigkeit. Ohne einen brauchbaren Rat ist er hier aufgeschmissen, und wenn die Hauptverantwortlichen des Schlosses gegen ihn arbeiten sowieso. Was also soll er tun? Er selbst ist sich nicht ganz sicher warum Sesshomaru eine friedliche Lösung so kategorisch ablehnt. Ob das was mit dieser Youkai-Mentalität zu tun hat? Doch Kagemori und die anderen scheinen da anderer Ansicht zu sein. Die Frage bleibt also: Was soll er tun? Im Grunde kann es nur einen Weg geben.

"Sesshomaru hat diesem Katsuken schon einmal gegenübergestanden. Er kann das Risiko sicher am besten einschätzen. Deshalb wollte er Chitsurao nicht in Gefahr bringen. Wir sollten seinem Beispiel folgen und wohl besser auf ihn hören." Inu Yasha reckt so selbstbewusst wie möglich das Kinn. "Chitsurao wird nicht in Gefahr gebracht, klar? Das ist ein Befehl!"

Kagemori blickt den Hanyou regungslos an. Dann verneigt er sich würdevoll vor ihm. "Wie Ihr wünscht, Inu Yasha-sama. Wie steht es mit dem Spähtrupp im Nordrevier?"

Inu Yasha verzieht das Gesicht. "Ich hab keine Lust Yarinuyuki gegen mich aufzubringen. Wenn die Späher was auskundschaften wollen, sollen sie gefälligst warten, bis sich der Kerl wieder auf unserem Grund und Boden befindet. Wollen wir hoffen, dass er sich nicht allzu bald wieder blicken lässt."

Der ehrwürdige Youkai lässt sich etwaigen Missmut nicht anmerken. "Wenn dies Euer Wunsch ist, wird es so geschehen, mein Fürst." Er neigt leicht ehrerbietig den Kopf. "Verzeiht mir, dass ich Euch schon zu so früher Stunde mit diesen Belangen belästigen musste. Wenn es Euch beliebt, wird nun in Euren Gemächern ein angemessenes Frühstück hergerichtet, damit Ihr Eurem ersten Tag in diesem neuen Amt mit frischen Kräften begegnen könnt. Wenn Ihr keine weiteren Anweisungen an mich habt, erlaube ich mir, mich jetzt zu entfernen und Euch Euren Geschäftlichkeiten zu überlassen."

Innerlich atmet Inu Yasha erleichtert auf. In der Gegenwart dieses Youkais fühlt er sich einmal mehr sehr klein und eingeschüchtert und er ist im Grunde froh, so schnell wie möglich von ihm wegzukommen. Langsam kann er verstehen, warum alle ihm mit solchem Respekt begegnen. Dieser Mann hat die Fähigkeit seine Worte so zu wählen, dass man unweigerlich gewillt ist, ihm zuzustimmen.

"Nein schon gut", meint er so gelassen wie möglich, "Geht ruhig!"

Der Truchsess verneigt sich noch einmal und wendet sich dann zum Gehen. Kurz darauf betritt er eines der Gebäude und verschwindet aus seinem Blickfeld.

Inu Yasha atmet einmal erleichtert durch. Dann strafft er sich wieder. Eigentlich kann er stolz auf sich sein. Anscheinend hat er sich doch ganz wacker geschlagen und war sogar in der Lage Sesshomarus Interessen zu vertreten. Vielleicht wird er das hier ja doch nicht hoffnungslos vermasseln. Am besten er schaut jetzt erst mal nach seinen Freunden. In diesem Schloss voller Youkai will er sie nur ungern aus den Augen lassen, auch wenn sie unter seinem fürstlichen Schutz stehen und deshalb sicher sein sollten. Doch wenn er sich immer nur blind auf solche Statuten verlassen hätte, wäre er vermutlich heute auch nicht mehr am Leben. Also lieber auf Nummer Sicher gehen.

Rasch macht er sich auf den Weg zurück zu seinen Gemächern. Erst einmal frühstücken, und dann wird ihm vermutlich wieder eine Weile der Kopf brummen bei dem, was der alte Floh in den kommenden Stunden versuchen wird, hineinzuhämmern.
 

Kagemori kniet in seinem Arbeitszimmer vor seinem Schreibpult und geht einige Unterlagen durch. Auf einmal macht sich an der Tür ein Diener bemerkbar.

"Matsuba-sama ist da, Herr."

"Er soll eintreten!", kommt die ernste Anweisung.

Sogleich öffnet sich die Tür und der Youkai Matsuba tritt ein. Der würdevolle Youkai nickt ihm leicht zu und weist ihn mit einer kurzen Handbewegung an, Platz zu nehmen. Folgsam lässt sich der Youkai vor dem Schreibtisch in den Kniesitz herab und blickt seinen Vorgesetzten abschätzend an.

"Ihr wünschtet mich zu sprechen, Kagemori-sama?", richtet er das Wort an den Truchsess.

"Das ist richtig", mein Kagemori sachlich und legt einen Stapel Unterlagen beiseite. Dann blickt er auf. "Matsuba-sama, ich mache mir Sorgen."

Der Angesprochene behält den älteren Youkai aufmerksam im Auge, sagt aber nichts.

"Und zwar über die aktuelle Situation", fährt Kagemori fort. "Der amtierende Fürst und der Rat haben immer vortrefflich zusammengearbeitet. Bisher war stets darauf Verlass, dass unser Fürst wusste was er tat, zumal wir auch immer die Person kannten, die diese Stellung inne hatte. Im Moment sind wir in der Situation, dass wir ergründen müssen, ob dieser Zusammenarbeit irgendetwas im Wege steht, damit wir rechtzeitig intervenieren können, um eine fortbestehend gute Zusammenarbeit zu gewährleisten. Leider wissen wir noch nicht viel über Inu Yasha-sama und deshalb ist es meine Verantwortung herauszubekommen, welchen Eindruck der Rat von ihm hat."

Hier entsteht eine kurze Pause und Matsuba sieht dies als Aufforderung zu antworten. "Ihr wünscht meine Meinung über Inu Yasha-sama zu hören?", fragt er bedachtsam.

"Natürlich nur um mögliche Missstimmungen im Vorfeld erkennen und entsprechend reagieren zu können.", fügt Kagemori ruhig hinzu.

"Natürlich", nickt Matsuba langsam, wobei er seinen Vorgesetzten nicht aus den Augen lässt.

"Nun?", kommt die Aufforderung.

"Nun", beginnt Matsuba, "nach meiner Auffassung erscheint er mir einerseits forsch und impulsiv, auf der anderen Seite jedoch unsicher und scheint sich völlig nach der Meinung seines Bruders zu richten. Ich denke er ist Sesshomaru-sama gegenüber loyal."

"Der Meinung bin ich auch", nickt Kagemori langsam. "Offenbar hat er beschlossen Sesshomaru-samas Meinung rigoros zu vertreten, selbst wenn er sich nicht im Klaren ist was das genau für das Reich bedeutet."

"Er wirkt in der Tat ein wenig überfordert mit dieser Situation", bestätigt Matsuba, "Das fiel mir schon auf. Er wird sicher Hilfe benötigen, um diese bedeutsame Aufgabe auszufüllen."

"Ich habe Inu Yasha-sama bereits unsere vollste Unterstützung zugesichert. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, damit dieser Konflikt zu einem zufriedenstellenden Ende kommt." Ein durchdringender Blick taxiert Matsuba.

Zunächst ist Matsuba ein wenig verunsichert, doch dann glätten sich seine Züge. "Selbstverständlich. Ich bin ohne Einschränkung Eurer Meinung. Schließlich hat der Rat nur das Beste des Reiches im Sinn und wird stets dementsprechend handeln."

"Ich bin erfreut zu hören, dass wir in diesem Punkt übereinstimmen", sagt Kagemori würdevoll. "Kommen wir nun also zum Wesentlichen. Unsere Späher haben berichtet, dass besagter Gegner die Grenze zum Nordreich überschritten hat. Da mir Inu Yasha-sama direkt untersagt hat, einen Spähtrupp dorthin zu entsenden, können wir über sein weiteres Vorgehen und seine Beziehungen zum Nordclan nur Mutmaßungen anstellen. Mir wäre es jedoch lieber darüber Gewissheit zu haben. Deshalb beabsichtige ich eine diplomatische Abordnung zu entsenden und direkt Kontakt zu diesem Katsuken aufzunehmen, wie es bereits vorgeschlagen wurde. Auch diesen Vorschlag habe ich Inu Yasha-sama bereits unterbreitet."

"Aber hatte Sesshomaru-sama sich nicht gegen eine Abordnung ausgesprochen?", gestattet sich Matsuba den Einwand. "Wie ist Inu Yasha-samas Meinung darüber?"

"Er war einer friedlichen Lösung dieses Problems zumindest nicht völlig abgeneigt. Ich bin sicher er würde es gut heißen, wenn solcherlei Verhandlungen von Erfolg gekrönt wären", antwortet Kagemori ernsthaft. "Allerdings sprach er sich ebenso wie Sesshomaru-sama dafür aus, dass Chitsurao durch diesen Auftrag nicht in Gefahr gebracht werden soll."

Matsuba entfährt ein leichtes Schnaufen. "Und wir alle kennen ja den Grund", brummt er leise.

"Ich bitte mir etwas mehr Respekt unserem Fürsten gegenüber aus", weist Kagemori ihn streng zurecht. "Selbst wenn es zutreffend ist, dass Sesshomaru-sama in den letzten Jahren offenbar ein wenig, sagen wir an Milde gewonnen hat, so steht es uns in keiner Weise zu, ihn deshalb zu kritisieren. Uns obliegt lediglich daraus die entsprechenden Konsequenzen für unser Reich zu ziehen. Wir werden also Chitsurao nicht mit diesem Auftrag betrauen. Was natürlich nicht heißt, dass wir nicht jemanden anderen schicken können." Ein langer, ernster Blick hält Matsuba gefangen.

Der Youkai erwidert den Blick ungerührt, jedoch seine Haltung verspannt sich ein wenig. "Und wen würdet Ihr dafür vorschlagen, Kagemori-sama?", fragt er.

Der würdevolle Youkai hebt leicht die Augenbraue. "Nun, immerhin war es Eure Idee. Mir wäre wohl dabei, jemanden zu schicken, der auch wirklich von dieser Option überzeugt ist, wenn Ihr versteht was ich meine."

Für einen kurzen Moment scheint es hinter Matsubas Stirn zu arbeiten. Dann fragt er bedachtsam: "Beabsichtigt Ihr dieses Gespräch auch noch mit den anderen Ratsmitgliedern zu führen?"

Kagemoris Blick zeigt keine Regung als er fragt: "Besteht denn ein Anlass dafür?"

Wieder vergehen ein paar Herzschläge, dann antwortet Matsuba: "Nein, ich denke nicht, Herr."

"Vortrefflich", entgegnet Kagemori. Dann werdet Ihr mit einer kleinen Eskorte umgehend aufbrechen. Zur gegebener Zeit werde ich Inu Yasha-sama persönlich darüber informieren. Versucht so viel wie möglich über diesen Fremden herauszubekommen und so es die Möglichkeit gibt mit ihm eine friedvolle Übereinkunft zu erzielen. Zumindest was unseren Clan betrifft."

"Ich verstehe!", nicht Matsuba gehorsam.

"Dann geht jetzt! Es ist sicher von Vorteil, wenn Ihr rasch aufbrecht. Wir haben keine Zeit zu verlieren."

"Wie Ihr befehlt, Herr!" Matsuba erhebt sich, dann verneigt er sich noch einmal respektvoll und verlässt dann das Zimmer.

In der Hölle

Es dauert eine Weile bis Sesshomaru bewusst wird wo er sich befindet. Der harte Aufschlag, hat seinen Körper für ein paar Augenblicke paralysiert und noch immer fühlt er sich ein wenig benommen, doch das verfliegt rasch. Warmer, trockener Staub, den er aufgewirbelt hat, steigt ihm in die Nase und raubt ihm kurz den Atem. Ihm entfährt ein leises Schnaufen und dann stützt er die Arme auf um sich hochzustemmen. Doch zu seiner Überraschung stellt er fest, dass dies leichter gesagt als getan ist. Ihm ist als würde ein tonnenschweres Gewicht auf seinen Schultern liegen, dass darauf aus ist, ihn am Boden festzuhalten.

Entschlossen versucht er es erneut und mit einer kurzen Kraftanstrengung gelingt es ihm, auf die Füße zu kommen. Jedoch muss er feststellen, dass sämtliche seiner Gliedmaßen sich noch immer so schwer anfühlen, als hingen Gewichte daran. Selbst das Atmen fällt ihm hier in der trockenen Luft schwerer. Doch Sesshomaru lässt sich nichts anmerken. Langsam blickt er sich um. Die Umgebung ist karg und leer, beinah so wie die Ebene über ihm. Hier und da sieht er einige bizarre Felsformationen die ziemlich verwittert und durchlöchert sind und die aussehen, als hätten irgendwelche Kreaturen an ihnen genagt. Sein Blick geht nach oben. Er erwartet über sich die Unterseite der Jenseitsebene zu sehen, doch der Himmel ist lediglich in einen rötlichen Dunst gehüllt der keinen Blick auf das darüber Liegende zulässt. Alles hier ist in ein diffuses Dämmerlicht getaucht und selbst der Blick in die Ferne verliert sich irgendwann in einem nebligen, rötlichen Schimmer. Für einen Moment ist er dankbar für seine Dämonenaugen, denen Dunkelheit keine größeren Probleme bereitet.

In diesem Moment bemerkt er die bekannte, kleine Gestalt die da gerade direkt neben ihm zu Boden plumpst. Trotzig glotzt der Krötenyoukai Doro zu ihm hoch.

"Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden. Du bist in der Hölle. Das war es doch was du wolltest."

Sesshomaru beachtet ihn nicht, sondern rekelt sich nur ein wenig. Das Gewicht das scheinbar auf seinen Schultern liegt, fühlt sich noch immer recht unbehaglich an.

Doch Doro ist dies nicht entgangen. "Kein schönes Gefühl, nicht wahr?", grinst er zynisch, "Tja, sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Das kommt davon, weil du noch lebst. Dein Körper hat hier ein vielfaches seines normalen Gewichtes. Für Seelen ist das selbstverständlich kein Problem, schließlich haben sie nichts was etwas wiegen könnte." Gehässig stemmt er die Arme in die Seiten und wendet sich ab. "Also dann, viel Erfolg! Mach das Beste draus, wa'?" Schon will er sich in Bewegung setzen, als ihn Sesshomarus Stimme zurück hält.

"Ich suche die Verstorbenen meiner Rasse. Wo kann ich sie finden?"

Noch einmal dreht Doro sich um und wirft ihm nun einen ziemlich ungenießbaren Blick zu. "Oh nein, kommt überhaupt nicht in Frage! Ich habe schon meine Kompetenzen überschritten, weil ich dich lebend hier runter gelassen habe. Erwarte bloß nicht, dass ich dir auch noch in irgend einer Weise helfe diese Bande von Höllenhunden aufzustöbern. Ich bin doch nicht lebensmüde!" Er verschränkt die Arme. "Außerdem habe ich gar keine Zeit dafür. Ich muss zu Enma-sama und ihm berichten, dass eines der Höllentore beschädigt wurde. Es muss schleunigst repariert werden, ehe es womöglich noch mehr kaputt geht. Glaub mir, ich lege darauf keinen gesteigerten Wert, aber mir bleibt nichts anderes über. Und das ist alleine deine Schuld! Wenn du mich jetzt also entschuldigst?" Brummelnd will er sich davon machen, doch wieder hält ihn Sesshomarus Stimme auf.

"Ich werde dich begleiten."

Ruckartig fährt Doro herum. "Was? Hast du sie noch alle? Das kommt ja überhaupt nicht in Frage! Was bei allen Göttern, willst du denn ausgerechnet beim Herrn der Unterwelt?"

Sesshomarus Miene ist kühl. "Ich bin sicher, er kann mir sagen, wo sich meine Sippe aufhält."

Mit riesigen Glubschaugen starrt der alte Krötenyoukai ihn an. "Bist du noch zu retten? Glaub mir, den Herrn der Unterwelt aufzusuchen... jetzt... so, ist das Letzte was du willst. Wenn Enma erfährt was du mit dem Höllentor angestellt hast, dann bricht er dich in winzig kleine Stückchen. Bei so etwas versteht er keinerlei Spaß. Von ihm wirst du kein Sterbenswörtchen erfahren, du erreichst allenfalls, dass dir ein Daueraufenthalt hier unten beschert wird. Und das sage ich dir auch nur, weil mich deine Courage beeindruckt und du mir ein bisschen ans Herz gewachsen bist, Kleiner. Wenn du den Gedanken nicht auf ewig begraben willst, die Hölle jemals wieder lebend zu verlassen, dann halt dich bloß so weit fern von Enma wie nur irgend möglich!"

Für einen kurzen Moment scheint Sesshomaru zu überlegen. Schließlich sagt er ruhig: "Wenn das so ist, werde ich anders vorgehen müssen." Mit regloser Miene macht er zwei Schritte auf Doro zu noch ehe der alte Youkai es kommen sieht, beugt sich Sesshomaru vor, packt ihn am Hals und hebt ihn hoch.

Sofort beginnt der kleine Krötererich wie wild mit den Beinen zu strampeln und mit den Armen zu zappeln und um sich zu schlagen um freizukommen. Dabei schimpft er wie ein Rohrspatz so gut er nur kann. "Hey, was soll das? Lass mich auf der Stelle wieder runter! Sofort! Hörst du schlecht du sollst mich runterlassen, verdammt!"

Doch gänzlich ungerührt hält Sesshomarus Faust den Youkai sicher in seinem Griff. "Ich werde einen Führer brauchen und du wirst mir genau sagen, wo ich hier die Inuyoukai finde, verstanden?" Die Worte klingen hart und unerbittlich.

"Ich denke ja nicht dran!", zetert Doro außer sich. "Soweit kommt das noch. Ich bin doch nicht irre. Denkst du ich riskiere meine Job, nur für irgend so einen dahergelaufenen Youkai der sich einbildet die ganze Befehlsgewalt für sich gepachtet zu haben? Vergiss es! Ich werde dir gar nichts erzählen! Und nur zu deiner Information, es wird dir gar nichts bringen mich töten zu wollen. Nichts was du hierher mitgebracht hast, kann uns Wesen aus dieser Welt endgültig vernichten. Es gibt also nichts was du mir androhen könntest. Es wäre also völlig sinnlos es zu versuchen."

Wieder mustert Sesshomaru ihnen einen Moment mit regloser Miene. Schließlich sagt er ruhig: "Das Höllentor ist beschädigt, sagtest du. Wäre es nicht besser, wenn es... rasch repariert würde?"

Ein durchdringender Blick taxiert Doro und unwillkürlich hält der alte Torwächter inne. Einen Moment lang lässt er sich die Worte durch den Kopf gehen. Schließlich meint er zerknirscht: "Das wäre in der Tat 'besser'. Doch du hast nicht vor, mich loszulassen, es sei denn, ich helfe dir, nicht wahr?"

Ein messerdünnes Lächeln legt sich um Sesshomarus Lippen. "Präzise!"

Ein verärgertes Schnaufen entfährt Doro. Dann legt sich eine sehr verdrießliche Miene auf sein Gesicht und seine dürren Gliedmaßen erschlaffen. "Also meinetwegen", grollt er. "Ich zeige dir den Weg. Aber nur bis du es alleine findest. Ich kann schließlich nicht ewig Zeit mit dir verschwenden."

"Weise Entscheidung", stellt Sesshomaru kühl fest.

Empört blickt Doro zu ihm hoch. "Aber nur unter einer Bedingung: Du lässt mich gefälligst auf der Stelle wieder runter. Du hast wirklich ein miserables Verhalten Älteren gegenüber. Es ist wirklich eine Schande."

Für einen Moment überlegt Sesshomaru, doch dann beugt er sich herab und setzt den alten Youkai auf den Erdboden zurück. Umständlich reckt und rekelt sich der alte Krötenyoukai und murmelt dabei üble Beschimpfungen vor sich hin. Dann richtet er sich auf, wobei seine Wirbelsäule erneut heftig knackt, und zeigt dann in eine Richtung.

"Dort entlang geht es. Den Weg entlang, hinunter zum Strom, durch das Dornental bis zu den Felsenklippen am Horizont."

Sesshomarus Blick folgt der angegebenen Richtung und diese Gelegenheit nutzt der kleine Youkai um urplötzlich seine dünnen Beinchen in Bewegung zu setzen und so schnell ihn diese tragen die Flucht ergreift, wohl wissend, dass der Daiyoukai in diesen Gefilden einiges an Geschwindigkeit eingebüßt hat. Schon hat er einige Meter zwischen sich und den Inuyoukai gebracht und kichert triumphierend.

Sesshomaru beobachtet aus den Augenwinkeln und seufzt einmal lautlos. Dann streckt er seine Hand aus und mit einer kurzen, geschmeidigen Handbewegung lässt er eine grün leuchtende Energieschnur aus seinen Fingern entstehen, die sich rasch auf den fliehenden Torwächter durch die Luft zu schlängelt, sich um dessen Hals windet und ihn so unsanft aus dem Lauf zu Boden reißt. Doro flucht hingebungsvoll.

Mit einem Schlenker seines Handgelenkes schnalzt Sesshomaru den kleinen Flüchtling samt Energiepeitsche wieder zu sich vor die Füße. Ein eisiger Blick durchbohrt den Torwächter.

"Möglicherweise bin ich in dieser Umgebung hier ein wenig im Nachteil", sagt der Daiyoukai frostig. "Doch das bedeutet nicht, dass ich mir alles gefallen lasse. Auch meine Geduld ist irgendwann zu ende. Solltest du noch einmal versuchen unsere Abmachung zu brechen, wirst du feststellen, wie ungemütlich ich tatsächlich werden kann. Habe ich mich klar ausgedrückt?" In seinen Augen liegt nun etwas höchst Besorgniserregendes und der kleine Krötenyoukai beschließt zu kapitulieren.

"Also schön", grollt er finster. "Ich werde dich ein Stück weit führen, doch dann lässt du mich gehen, damit ich mich endlich um meine üblichen Pflichten kümmern kann, klar? Wenn du mich nicht mehr brauchst, verschwinde ich, nur damit du es weißt."

Sesshomaru mustert ihn noch einen Moment intensiv, dann nickt er leicht und löst dann die Energieschnur um Doros Hals. "Geh voran! Ich denke es liegt in unser beider Interesse, dass wir keine weitere Zeit mehr verschwenden."

Missmutig nickt der alte Krötenyoukai und fügt sich dann in sein Schicksal.
 

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Mit rasselndem Atem läuft Itakouri schwerfüßig durch den kargen Wald. Seine Lunge brennt bei jedem Schritt und in seinem Kopf macht sich eine unangenehme Benommenheit breit. Neben sich schleift er, mehr als dass er trägt, den kühlen, schlaffen Körper seines Untergebenen. Zum Glück ist es nicht mehr all zu weit. Er ist mehrere Stunden hindurch gerannt so schnell ihn seine Füße trugen, doch jetzt versagt sein geschundener Körper allmählich seinen Dienst. Von Samushi kommt keinerlei Lebenszeichen mehr, doch der Nordyoukai rechnet innerlich mit der nahezu legendären Zähigkeit seines Kameraden und klammert sich verzweifelt an die Hoffnung, dass er sein Ziel nicht zu spät erreicht.

Endlich kann er vor sich die vertrauten Palisaden des Nordpalastes ausmachen. Ein dicker, stabiler und gut bewachter Holzzaun umgibt das Areal in dem der Fürst, in diesem Falle die Fürstin der Inuyoukai des Nordens, ihre Residenz errichtet hat. Nicht weit hinter dem Schutzzaun steigt eine mächtige Felswand in die Höhe und an ihrem Fuße drängen sich mehrere einfach gehaltene, jedoch eindeutig fachlich gearbeitete Gebäude aus Stein und Holz. Sie sind teilweise sogar übereinander gebaut und zwischen ihnen führen überdachte Übergänge, Treppen und Hängebrücken hin und her. Am hintersten Ende, direkt an der Felswand sind einige schmale, jedoch gut ausgebaute Wege in den Felsen geschlagen worden und so schlängelt sich der steinige Pfad mit leichtem Gefälle die Felswand hinauf, wobei er an einigen Stellen eine weitere Hütte passiert, die kunstfertig in die Felsbank hineingebaut wurde, wie Perlen an einer Kette. Das höchstgelegene Gebäude befindet sich auf einem bequemen Felsvorsprung und ist deutlich größere als die bisherigen. Es wurde noch ein gutes Stück in den Berg hineingebaut, und es gehört nicht viel dazu sich zusammenzureimen, dass sich dort die Gemächer der Fürstenfamilie befinden.

Nur kurz darauf erreicht Itakouri strauchelnd das große Tor. Zum Glück kennen die Wachen ihren Hauptmann und erfassen rasch die Lage, sodass er keine weitere Zeit verliert und das Tor ungehindert passieren kann. Unmittelbar darauf steuert er eine Hütte an, die ein wenig abseits der anderen Gebäude steht, direkt vor dem Rand einer Schlucht, die sich gleich neben der Felswand in die Tiefe stürzt.

Mit letzter Kraft erreicht er schließlich die Tür und reißt sie auf. Das Innere des geräumigen Hauses ist dimmerig und mit einem streng riechenden Dunst erfüllt. Es gibt in der Mitte eine Feuerstelle an der gerade eine geduckte Gestalt sitzt. Nun hebt die Person den Kopf und leuchtend blaue Augen starren dem unerwarteten Eindringling missbilligend entgegen. Als sie sich nun aufsetzt, erkennt man, dass es sich hier um eine kleine, schlanke Youkaifrau handelt. Ihre Gestalt ist recht zierlich, fast schon zerbrechlich und sie trägt einen dunkelblauen Yukata, jedoch keine Schuhe. Ihre Haare sind weiß und dunkelgrau gescheckt und hängen in unzähligen einzelnen, langen Flechten über ihren Hinterkopf herab. Dort vollführen sie einen Bogen und ihre Enden sind letztlich zu einem kleinen Dutt auf dem Hinterkopf festgesteckt worden. In der Hand hält sie einen Spieß auf dem ein rattenähnliches Tier aufgespießt ist, welches sie bis eben über das Feuer gehalten hat.

Verärgert verzieht sie den Mund. "Teufel auch, hat man vor euch Rabauken denn wirklich keinen Moment Ruhe? Was ist denn jetzt schon wieder?"

Schwer atmend steht Itakouri in der Tür. "Ki-sensei", schnauft er kurzatmig, "Samushi wurde schwer verletzt! Ich weiß nicht... ob er überhaupt noch lebt."

Einen Moment lang erstarrt der Blick der Frau. Dann brummt sie: "Dieser dämliche Penner versaut mir schon wieder mein Abendessen", jedoch kommt sie nun rasch auf die Beine, läuft zu Itakouri hinüber und ehe dieser etwas sagen kann, nimmt sie den leblosen Youkai aus seinen Armen und wuchtet ihn zu einem nahen Lager hinüber, wo sie ihn unsanft daraufplumpsen lässt. Dann streckt sie ihn geübt lang aus und beginnt damit höchst konzentriert mit den gespreizten Fingern ihrer Hand seinen Körper abzuwandern.

Ein wenig hilflos steht Itakouri daneben und sieht ihr zu. Für den Moment sind seine eigenen Schmerzen vergessen. "Kannst du ihn retten, Ki-sensei?", fragt er etwas bange. "Ich hab schon lange keinen Atem mehr bei ihm gespürt. Es geht ihm sehr schlecht."

"Das zu beurteilen, überlässt du gefälligst mir, klar?", blafft die Frau ihn an. "Aber da ihr kampfverliebten Idioten ja sowieso nie wegen einer Lappalie zu mir kommt, bin ich an aussichtslose Fälle gewöhnt, glaub mir! Und jetzt halt die Klappe!"

Eingehend inspiziert die Heilerin jedes einzelne Körperteil mit ihren Fingerspitzen. Nahezu jeder einzelne Knochen ist gebrochen, Atmung ist nicht feststellbar und das Herz wurde durchbohrt. Selbst für ihre Verhältnisse keine mutmachende Aussicht. Doch noch ist nichts verloren. Am schwersten wiegt wohl die Wunde am Herzen. Hier ist rasches Handeln erforderlich.

"Was zum Henker konnte ihn bloß so zurichten?", murmelt sie laut bei sich.

Itakouri presst die Lippen kurz zusammen. "Das kann ich nur Yarinuyuki persönlich sagen", entgegnet er ernst. "Ich muss ihr sowieso noch davon berichten." Schon will er sich zum Gehen wenden.

"Hab ich mit dir geredet?", schnaubt die Heilerin ärgerlich. "Und wage es ja nicht, jetzt hier zu verschwinden!", fügt sie jetzt scharf hinzu. "Ich brauche deine Hilfe."

Etwas unschlüssig bleibt Itakouri stehen. Doch sogleich erhält er Anweisungen.

"Halt ihn fest, kapiert? Lass ihn auf keinen Fall los!", befiehlt sie grimmig.

Itakouri sinkt neben seinem leblosen Gefährten hinab und drückt seine Hände auf dessen Schultern.

Nun richtet sich die schmächtige Youkaifrau auf und dann beißt sie sich in die Fingerspitze. Dann führt sie Daumen und Zeigefinger der anderen Hand an die Wunde heran und nun formt sich das Blut, das aus dem Finger sickert, zu einem dicken, roten Tropfen, den sie immer mehr aus dem Finger hinauszieht, ohne dass er die Form verliert, bis er schließlich die Größe einer Kastanie hat. Behutsam hält sie das Blutbällchen zwischen ihren Fingern und dann beugt sie sich zu Samushi hinab, stützt sich auf seinem Brustkorb ab und dann steckt sie die Hand mit dem Blut in die große Wunde auf seiner Brust. Sie muss ziemlich viel Kraft aufwenden dabei, während sie einerseits den Riss im Herzen mit dem Blutsiegel verschließt und zum anderen den geschädigten Muskel durch unermüdliche Kontraktionen wieder an das Schlagen erinnert.

Und auf einmal geht ein heftiger Ruck durch Samushis Körper. Er reißt die Augen auf, tut einen tiefen, hektischen Atemzug und schon im nächsten Moment versucht er sich aufzubäumen. Doch Itakouri ist fest entschlossen die ihm auferlegte Aufgabe zu erfüllen. Mit aller Kraft die er aufbringen kann, nagelt er Samushis Schultern am Boden fest, der jetzt beginnt sich unter ihm zu winden und gegen die Beengung anzuarbeiten. Dabei stößt er einen unmenschlichen Schmerzensschrei aus, der jedoch in einem kehligen Röcheln endet. Das Zappeln allerdings verebbt nicht.

"Festhalten!", kommandiert die Heilerin ungerührt, während sie noch immer ihre Hand tief in der Brust des Youkais hat und bemüht ist ihre Fähigkeiten ungehindert zu entfalten.

Doch das erweist sich alles andere als einfach, denn Samushi gebärdet sich noch immer wie wild und Itakouri hat alle Hände voll zu tun, ihn am Boden zu fixieren. Stöhnend und winselnd versucht der gepeinigte Youkai um sich zu schlagen, doch seine Gliedmaßen versagen noch immer ihren Dienst.

Schließlich zieht die Youkai ihre Hand heraus und setzt sie nun fest auf seinen Brustkorb. Die andere Hand schiebt sie unter seinen Rücken und dann mit einem heftigen Ruck, reißt sie die obere Hand ein Stück nach oben, wobei ihr Samushis Rippenbögen ein Stück folgen. Es knirscht einmal schauerlich und dann hat der Oberkörper wieder seine übliche Form.

Ruckartig fährt Samushi in die Höhe und setzt sich auf. Er zieht einmal scharf die Luft ein und dann fällt er kraftlos zurück auf sein Lager, wo er sich nicht mehr rührt.

Die Heilerin atmet einmal kurz erleichtert durch. "Das wäre geschafft", meint sie befriedigt. "Das Schlimmste hat er hinter sich. Den Rest schaffe ich auch alleine. Von mir aus kannst du jetzt verschwinden. Immerhin musst du noch einen Bericht abgeben, oder?"

Itakouri nickt mit bleichem Gesicht.

Die Youkai legt kurz den Kopf schief, dann erhebt sie sich und tritt dann von hinten an Itakouri heran. Bedächtig legt sie eine Hand auf seinen Rücken. Dann legt sie die andere um seinen Oberkörper herum. Ein schwach blaues Glimmen erscheint um ihre Hand und dann zieht ihre Hand auch seine Rippen wieder in die ordnungsgemäße Position zurück. Ein warmes Gefühl durchrieselt Itakouris Oberkörper und an den Bruchstellen spürt er nun ein kühles Prickeln. Er weiß aus Erfahrung, dass seine Knochen gerade wieder zusammenwachsen. Für eine Youkai des Nordclans sind Ki-senseis magische Fähigkeiten geradezu bemerkenswert stark ausgeprägt. Auch wenn man ihr deshalb häufig mit Misstrauen oder Ablehnung begegnet, so sind die meisten doch froh, dass sie im Notfall stets auf ihre Hilfe zählen können. Nicht wenige der Krieger hier verdanken ihr schon ihr Leben.

Er tut einen tiefen Atemzug und dann löst er sich behutsam aus ihrem Griff und erhebt sich. Sie geht ihm kaum bis zum Kinn. Wer würde ahnen welch immense Kraft in diesem schmächtigen Körper steckt?

Doch er hat keine Zeit weitere Gedanken daran zu verschwenden. Er muss Yarinuyuki über die besorgniserregende Situation informieren. Er nickt der Heilerin einmal respektvoll zu, dann macht er kehrt und verlässt rasch die Hütte.

Schweigend blickt die Heilerin ihm nach. Dann verzieht sie kurz das Gesicht und lässt sich neben Samushi zu Boden plumpsen. Verstimmt blickt sie auf ihn hinab. Dann versetzt sie ihm einen kräftigen Knuff mit dem Handrücken in die Seite. "Idiot!", brummt sie missmutig. Dann seufzt sie einmal, hockt sich neben ihn und beginnt damit sich mit seinen gebrochenen Knochen zu befassen.
 

Es dauert eine Weile bis Itakouri seine Fürstin aufgespürt hat. Wie man ihm mitteilte, weilt Yarinuyuki im Augenblick nicht im Palast; nicht dass er das dieses Mal tatsächlich erwartet hat. Die junge Daiyoukai liebt die Enge ihrer Heimstätte nicht sonderlich. Deshalb ist sie häufig in der näheren Umgebung zu finden, wo sie sich mit den Studien ihrer Kampftechniken befasst, wenn man es so nennen will. Im Grunde ist es eher ein Ventil um überschüssige Energie abzulassen. Zu ihrer Erleichterung wird von ihr nur selten verlangt ernsteren Regierungsgeschäften nachzukommen. Auch ein Grund, warum Itakouri sie heute nur sehr ungern aufsucht.

Letztlich hat er sie doch gefunden. Sie befindet sich auf einem ihrer üblichen Kampfplätze, einer felsigen Waldlichtung die schon weitaus bessere Tage gesehen hat, und macht offenbar gerade eine kleine Rast. Sie hält irgendeine undefinierbare Fleischmasse in der Hand und beißt gedankenverloren davon ab.

Behutsam nähert sich Itakouri seiner Fürstin.

Ohne aufzusehen meint sie etwas unmutig: "Was willst du, Itakouri? Du weißt wie ungern ich gestört werde"

Respektvoll sinkt der Angesprochene am Rand der Lichtung auf die Knie. "Verzeiht mir, Yarinuyuki-sama, doch ich habe leider sehr beunruhigende Neuigkeiten für Euch."

Für einen Moment überlegt die Daiyoukai, doch dann schleudert sie ihre Mahlzeit in die Büsche, springt auf und kommt dann rasch zu ihm herüber. Hoch baut sie sich vor ihm auf und verschränkt die Arme. "Also schön, ich höre", meint sie streng.

Itakouri fühlt sich etwas unbehaglich. Er hatte schon damit gerechnet, dass jede Abweichung von der eintönigen Norm das Interesse seiner Fürstin wecken würde, doch er ist sich nicht sicher, wie sie das, was er zu berichten hat, aufnehmen wird. Am besten er hält sich erst mal nur an die Fakten.

"Ich war mit Samushi und Kegawa auf Patrouille an der Grenze zum Westen", beginnt er seinen Bericht. "Dabei sind wir an der großen Ebene auf ein Heer der Menschen getroffen. Allerdings waren Menschen wie Tiere von irgendetwas abgeschlachtet und aufgefressen worden. Da es keinen Hinweis auf den Verantwortlichen gab, beschlossen wir der Sache auf den Grund zu gehen und folgten der Spur die von dort wegführte bis zu den Schluchten ein Stück nördlich. Dort fanden wir den Verursacher des Blutbades und stellten ihn. Als wir ihn jedoch zur Rede stellten, griff er uns an." Hier zögert er kurz. "Bedauerlicherweise muss ich gestehen, dass wir ihm selbst zu dritt nichts entgegenzusetzen hatten. Er verletzte mich und Samushi schwer, und tötete und verschlang dann Kegawa."

"Er verschlang ihn?", kommt nun die scharfe Nachfrage der Fürstin, die bis zu diesem Moment verhältnismäßig gelassen den Bericht verfolgt hat. "Was soll das heißen: Er verschlang ihn?"

Itakouri spricht zögernd weiter. "Dieser Kerl nannte sich selbst Katsuken und er ist ein Inuyoukai. Allerdings bin ich noch nie so einem mächtigen begegnet."

Eine Sekunde später packt eine kräftige Klaue ihn am Kragen und reißt ihn auf Augenhöhe hoch."Was?", zischt Yarinuyuki erbost, und Itakouri ahnt rasch wo er einen Fehler begangen hat.

"Verzeiht mir, ich wollte Euch nicht herabsetzen", beteuert er rasch. "Aber dieser Kerl war einfach verdammt stark. Wir haben alles eingesetzt was wir hatten und dennoch hat er Samushi beinahe zu Tode geprügelt als wäre es nicht mal eine Anstrengung und dann... ich kann es nur vermuten, denn zu sehen war in dieser seltsamen Finsternis nichts, dann nahm er seine wahre Gestalt an und fraß Kegawa. Wir konnten es nicht verhindern. Ich konnte im letzten Moment mit Samushi entkommen, um Euch Bericht zu erstatten."

Yarinuyukis Augen blitzen nun gefährlich. "Was für eine unglaubliche Unverfrorenheit! So ein Verhalten auf meinem Land!", schnaubt sie. "Was will der Kerl hier? Habt ihr wenigstens herausbekommen was der Kerl hier zu suchen hat?"

"Leider nein, Yarinuyuki-sama", gibt Itakouri kleinlaut zu. "Er sagte nicht viel. Er erkundigte sich lediglich nach Inu Taishous Verbleib... es schien ihn zu freuen, dass er tot ist und dann... äußerte er sich noch sehr verächtlich und herablassen über... unsere Vorfahren und Euch und während wir noch versuchten, Eure Ehre zu verteidigen, waren wir schließlich leider gezwungen, die Flucht zu ergreifen."

Hart trifft Itakouri wieder auf dem Boden auf. Die Daiyoukai hat ihn unmittelbar losgelassen. Doch nun schieben sich scharfe Reißzähne unter ihren Lippen hervor und ihre Augen funkeln in einem schaurigen Eisblau. Hart ballt sie die Hände zur Faust und sie ringt schwer um ihre Beherrschung. "Dieser dreckige Köter!", grollt sie finster. "Er wagt es tatsächlich, mich herauszufordern? Auf meinem Grund und Boden! Oh, das wird er bereuen!" Mit einem grimmigen Schwung dreht die wütende Daiyoukai sich um. "Ich zeige ihm, mit wem er sich hier anlegt!", schreit sie und dann springt sie auch schon davon, direkt in Richtung ihres Palastes. "Itakouri!", kommt noch einmal der scharfe Befehl, "Ruf auf der Stelle unsere Truppen zusammen! Die Tage dieses verdammten Drecksköters sind gezählt!"

Palastbesichtigung

Inu Yasha betritt wieder das Gebäude in dem sich die fürstlichen Gemächer befinden. Schon vom Eingang vernimmt er plaudernde Stimmen. Seine Freunde sind also schon wach. Er verspürt den Wunsch, sich rasch wieder zu ihnen zu gesellen. Bei ihnen kann er sich zumindest sicher sein, dass sie ihm wohlgesonnen sind.

Er öffnet die Schiebetür zu seinem neuen Schlafzimmer und tritt ein. Ein wenig verdutzt hält er inne. Wie erwartet sind seine Freunde schon auf, doch wie es aussieht, sitzen sie auch bereits beim Frühstück vor einem reich gedeckten Tisch und lassen es sich ausgiebig schmecken. Dabei plaudern sie munter über dies und das. Na, die haben ja die Ruhe weg, während er sich schon zu frühster Stunde mit ernsten Angelegenheiten befassen muss.

Ein wenig mürrisch schließt Inu Yasha die Tür. Kagome und die anderen blicken auf.

„Ach, ihr habt also schon ohne mich angefangen, wie?“, meint er zynisch. Dabei registriert er links und rechts neben der Tür zwei Dienerinnen die demütig daneben knien und sich bei seinen Worten offenbar reumütig tief vor ihm zu Boden werfen.

„Verzeihnung, Inu Yasha-sama!“, stößt die eine ängstlich hervor. „Wir wollten auf Eure Anweisung warten aber...“

„Ich hab ihnen gesagt, sie können ruhig schon mal auftragen“, unterbricht Rin die Frau munter und futtert dann eifrig weiter.

Die beiden Youkaifrauen pressen sich noch tiefer zu Boden. „Sie ist schließlich die Tochter von Sesshomaru-sama, und wir wussten nicht...“ Die Stimme versagt ihr.

Inu Yasha seufzt. „Schon gut!“, wehrt er ab. „Es soll mir recht sein. Aber Frühstück an sich ist eigentlich keine schlechte Idee.“ Mürrisch schlendert er zu seinen Freunden hinüber und lässt sich dann neben Kagome plumpsen.

„Guten Morgen!“, lächelt die junge Frau. „Warst du schon unterwegs? Als wir dich nirgends gesehen haben, haben wir nachgefragt ob jemand was weiß. Und sie meinten du hättest noch eine Besprechung.“ Sie weist auf die beiden Dienerinnen hinter sich. „Und dann hat Rin für uns alle schon mal Frühstück bestellt. Wir wussten ja nicht wann du wiederkommst. Du bist doch nicht böse deswegen, oder? Zur Ehrenrettung muss man sagen, dass die zwei da immerhin versucht haben, es ihr auszureden, aber anscheinend hat Rin hier einen recht hohen Rang.“ Wieder schmunzelt sie leicht.

„Mir egal“, brummt Inu Yasha. „Hauptsache, ich bekomme auch noch was ab.“

Als wäre das das Stichwort springen die zwei Bediensteten nun rasch auf, verneigen sich eifrig und verlassen den Raum. „Ihr werdet sogleich ausreichend mit allem versorgt“, ruft die eine noch und dann sind sie weg.

„Und was hattest du nun für eine Besprechung?“, fragt Kagome ihren Freund.

„Ach, dieser Kagemori wollte nur was von mir. Dieser Katsuken ist wohl in das Revier des Nordclans weitergezogen und er wollte von mir die Erlaubnis, ihm heimlich hinterherspionieren zu dürfen. Aber ich hab keine Lust mich mit Yarinuyuki anzulegen. Ich hab mit meinem eigenen Reich schon genug zu tun. Also hab ich ihm gesagt, dass er das lassen soll.“

Kagome kichert ein wenig. „Nun ist es also schon dein Reich, hmm?“

Inu Yasha verzieht das Gesicht. „Was soll ich machen? Ich hab nun mal die Verantwortung und da es noch eine Weile dauern kann, bis Sesshomaru wieder auftaucht, sollte ich mich besser schnell daran gewöhnen.“

„Bist du denn sicher, dass er überhaupt wiederkommt?“, Kagomes Gesicht ist nun ernst geworden. „Falls nicht, was machst du denn dann?“

Um sie her ist es still geworden. Rins Gesicht spiegelt Besorgnis wieder.

„Glaubst du wirklich, er kommt nicht wieder?“, fragt sie leise.

„Na ja“, meint Kagome unbehaglich. „Immerhin ist er auf den Weg in die Unterwelt. Er macht ja keine Ferien da. Wer weiß, auf was für Gegner er da trifft. Möglicherweise schafft er es diesmal ja nicht. Ich will es natürlich nicht hoffen“, fügt sie rasch hinzu, „aber die Chancen stehen womöglich schlecht diesmal.“

„Das glaube ich nicht.“ Rins Miene wird ernst. „Sesshomaru-sama kommt ganz bestimmt zurück. Er ist der Stärkste den ich kenne. Wenn er beschließt zurückzukommen, dann findet er auch einen Weg, egal wie schwer es ist.“

„Ich hoffe wirklich, du hast Recht“, meint Kagome.

In diesem Moment öffnet sich die Tür wieder und die beiden Dienerinnen erscheinen mit mehreren voll beladenen Tabletts mit vielen Tellern und Schüsselchen darauf. Geschäftig stellen sie sie vor Inu Yasha ab und verneigen sich dann tief vor ihm.

„Euer Frühstück, erhabener Fürst.“

Nun bemerkt Inu Yasha auch das schmerzliche Knurren in seiner Magengegend. Ohne ein weiteres Wort schnappt er sich ein Schälchen und beginnt die appetitlich angerichteten Köstlichkeiten in sich hineinzuschaufeln.

„Ist es nach Eurem Geschmack?“, hakt die eine Dienerin noch einmal respektvoll nach.

Inu Yasha nickt. „Ja, ischt ok“, nuschelt er zwischen zwei Bissen. „Ihr könnt jetscht geh'n.“

Wieder verneigen sie die zwei tief vor ihm. „Wie Ihr wünscht, Inu Yasha-sama!“, sagt die eine. „Man wies mich an, Euch noch ausrichten, dass Karashina-sama Euch nach dem Essen zu sprechen wünscht. Sie wird Euch mit dem Anwesen vertraut machen.“

Inu Yasha stutzt einen Moment, doch dann nickt er noch einmal. „Meinetwegen. Von mir aus kann sie kommen.“

Ein letztes Mal verneigen sich die beiden Dienerinnen tief vor Inu Yasha und dann verschwinden sie rasch.

Kauend wendet Inu Yasha sich jetzt an Myoga, der vor ihm auf dem Tisch Platz genommen hat. „Sag mal, Myoga, wer ist diese Karashina eigentlich?“

„Karashina-sama ist die Haus- und Hofmeisterin. Sie hat die Verantwortung über die alltäglichen Abläufe hier im Palast“, erklärt der alte Floh.

„Aber sagtest du nicht vorhin, das wäre Matsubas Aufgabe?“, fragt Inu Yasha irritiert nach.

„Das stimmt schon“, nickt Myoga. „Aber der Palast beschäftigt viele Arbeiter. Matsubas Zuständigkeit umfasst hauptsächlich die männlichen Bediensteten. Die weiblichen Dienerinnen sind Karashina unterstellt. Für eine Frau gibt ihr das eine ziemlich hohe Position, auch wenn noch immer Matsubas Wort vor ihrem steht.“

„Tatsächlich?“, meint Inu Yasha kauend. „Dann muss sie ja auch ganz schön was auf dem Kasten haben, was? Wenn sie als Frau so viel Verantwortung bekommen hat.“

Ein wenig verstimmt blickt Kagome ihn von der Seite an. „Was soll das denn heißen, du Macho? Ich hätte ja nicht gedacht, dass du so ein Sexist bist.“

Inu Yasha verschluckt sich fast an seinem Essen und reißt die Augen auf. „Ein bitte was bin ich?“

„Ein Sexist!“, gibt Kagome ungerührt zurück. „Ein Mann der denkt, dass Frauen nicht die gleichen Aufgaben wie Männer erledigen können, und deshalb nicht die gleichen Rechte verdienen.“

„Das hab ich doch nie behauptet!“, ereifert sich Inu Yasha, doch auf seinem Gesicht liegt ein verdächtig rötlicher Schimmer. „Ich meine ja nur... dass das nicht gerade... ähm typisch ist, für eine Frau. Zumindest nicht in dieser Zeit.“

Kagome will etwas erwidern, doch sie überlegt es sich anders. „Da hast du wohl recht“, lenkt sie ein. Ich vergesse immer, dass das Mittelalter noch nicht so emanzipiert war wie meine Zeit.“

„Emanzi...was?“, fragt Inu Yasha verständnislos.

Kagome seufzt. „Schon gut. Ist nicht so wichtig.“

„Im Grunde bedeutet das sogar eine große Ehre“, meldet sich nun Kohaku zu Wort. „Diese Karashina wird sich vermutlich besonders bewehrt haben, wenn sie eine so hohe Stellung inne hat.“

Myoga nickt. „Das ist richtig. Karashina ist eine sehr erfahrene und kompetente Aufseherin. Sie hat der Fürstenfamilie schon lange Zeit gedient.“

„Und wie ist sie so?“, fragt Kagome, „Ich meine, ist sie umgänglich, oder sollten wir uns lieber vor ihr in Acht nehmen? Immerhin sind nicht alle Youkai hier begeistert davon, dass Inu Yasha nun der Fürst ist.“

Myoga überlegt kurz. „Karashina ist eine sehr anständige und traditionsbewusste Youkai. Sie ist gebildet und der Fürstenfamilie bedingungslos loyal gegenüber. Es steht nicht zu befürchten, dass sie eine Entscheidung, die Sesshomaru-sama getroffen hat, in Frage stellen würde. Auch wenn sie es niemals zugeben würde, sie ist ihm offenbar noch immer sehr zugetan.“

Große Augen starren den alten Floh nun an.

„Was soll das heißen: Noch immer?“, fragt Kagome skeptisch. „Soll das heißen, die beiden... hatten mal was miteinander?“

Nun ist es an dem alten Floh große Augen zu machen, doch dann fängt er sich rasch wieder. „Nein, nein!“, entgegnet er hastig. „Nichts dergleichen! Karashina war Sesshomaru-samas Chioya.“

Inu Yasha klappt die Kinnlage herunter. Sein Klümpchen Reis entgleitet seinen Essstäbchen und klatscht auf den Boden. Rin bekommt große Augen und Kohaku verschluckt sich unwillkürlich an einem Stück Melone, sodass er husten muss.

„Seine Amme?“, fragt Kagome verblüfft. „Du meinst, sie war seine Kinderfrau? Sie hat ihn erzogen?“

Hinter ihnen kommt Kohaku langsam wieder zu Atem. Inu Yasha jedoch macht nun ein Gesicht als hätte er auf eine Zitrone gebissen. „Du hast keinen Schimmer was eine Chioya ist, oder?“, meint er trocken.

Verständnislos blickt Kagome ihn an. „Erklär es mir eben.“

Sofort schüttelt Inu Yasha energisch den Kopf. „Vergiss es! Ich werd das bestimmt nicht auch noch aussprechen.“

Kagome verdreht die Augen und wendet sich dann an Myoga. „Na schön, dann erklär du es mir!“

Der alte Floh wirft Inu Yasha einen leicht tadelnden Blick zu. „Es gibt gar keinen Grund sich darüber aufzuregen. Das ist eine sehr ehrenwerte Tätigkeit und die betreffende Person ist hoch geachtet.“ Dann wendet er sich an Kagome. „Es ist ganz einfach. Eine Chioya ist eine Frau die das Kind einer anderen an ihrer statt säugt.“

Nun steht auch Kagome der Mund offen und erstaunt blickt sie Myoga an.

Inu Yasha stellt demonstrativ sein Essschälchen ab. „Ich glaube mir ist der Appetit vergangen.“

„Sie hat Sesshomaru gestillt? Willst du das sagen?“, meint Kagome erstaunt.

Myoga nickt ernsthaft. „Das ist richtig.“

Man sieht deutlich wie es hinter Kagomes Stirn arbeitet während sie bemüht ist das Gehörte zu verarbeiten. „Heißt das, seine Mutter konnte es nicht?“

Ein wenig unbehaglich blickt Myoga drein. „Ich denke nicht dass es etwas gab zu dem Mimaru-sama nicht in der Lage gewesen wäre, sofern es um die Fähigkeiten einer wohlerzogenen Dame aus der Fürstenfamilie ginge“, windet er sich.

„Mit anderen Worten, sie wollte nicht“, mischt sich Inu Yasha zynisch ein. „Kein Wunder, wer würde das schon wollen.“

„Es ist nicht unüblich, dass eine Fürstin diese sehr intime und zeitaufwendige Tätigkeit einer zuverlässigen, würdigen Dienerin überlässt“, gibt Myoga zurück, „Immerhin ist ihre Stellung mit zahlreichen anderen Verpflichtungen verbunden.“

„Da kann sie sich natürlich nicht mit solchen Nebensächlichkeiten, wie ihrem Sohn abgeben“, stichelt Inu Yasha weiter. „Kein Wunder, dass mir dieses Weib zuwider ist.“

"Mimaru-sama wollte stets nur das Beste für Sesshomaru-sama", ist Myoga bemüht seine ehemalige Fürstin zu verteidigen. "Sie war äußerst kritisch in der Wahl der in Frage kommenden Frau. Denn selbstverständlich kommt zum Säugen des zukünftigen Herrschers niemand X-beliebiges in Frage. Besonders wenn man die damit verbundenen Privilegien bedenkt."

"Also bedeutet das, diese Karashina hat Sesshomaru gestillt und dafür hat seine Mutter sie zur Vorsteherin des Palastes gemacht", zieht Inu Yasha zynisch die Schlussfolgerung. "Ist natürlich auch eine Möglichkeit an die Macht zu kommen. Da nimmt man so was doch gern mal in Kauf"

Empört hüpft Myoga auf und ab. "Nein, so war das gewiss nicht! Es ist eine große Ehre als Chioya der Fürstenfamilie ausgewählt zu werden. Es garantiert einem allein dadurch schon einen hohen Status. Es war Sesshomarus ehrenwerter Herr Vater der sich nach Beendigung dieser Aufgabe dazu entschloss, ihren Dienst auch noch mit einer einflussreichen Position im Schloss zu entlohnen."

"Und? Taugt sie denn wenigstens auch was?", entgegnet Inu Yasha flapsig.

"Anderenfalls würde sie diese Aufgabe sicher nicht schon über zweihundert Jahre ausüben", gibt Myoga fast schon gekränkt zurück.

Inu Yasha verschränkt gehässig die Arme. "Keh, so wie der Laden hier läuft, wird doch sowieso nichts geändert was mein Vater eingeführt hat, egal ob es funktioniert oder nicht."

"Mein Fürst?", vernehmen sie in diesem Moment eine respektvolle Frauenstimme vom Eingang des Zimmers her. Sofort wenden sich ihr alle Blicke zu.

In der geöffneten Tür kniet eine akkurat gekleidete Youkaifrau. Sie trägt einen würdevollen schwarzen Tomesode und ihre Haare sind am Hinterkopf zu einem förmlichen Knoten hochgesteckt. Ihr Gesicht erscheint auf den ersten Blick typisch jung für einen Youkai, doch einige markante Züge in ihrem Gesicht zeugen von längerer Lebenserfahrung. Nun verneigt sich die Frau respektvoll und als sie den Kopf wieder hebt, kann man erkennen, dass sie dezent aber tadellos geschminkt ist. Mit ernsthafter Miene blickt sie nun zu Inu Yasha hinüber.

"Ich bin Karashina die Hausverwalterin, mein Fürst. Habt Dank für die Gunst einer Audienz. Erlaubt mir, Euch in Eurem neuen Heim willkommen zu heißen!" Erneut verneigt sie sich vor ihm.

Skeptisch mustert Inu Yasha die Youkai. Dies ist also die Frau bei der Sesshomaru... Nein, er beschließt den Gedanken lieber nicht zu beenden. "Du willst mir also den Palast zeigen, wie ich höre", beginnt er ein anderes Thema.

"Mit Eurer Zustimmung", bestätigt die Frau würdevoll.

Inu Yasha seufzt leicht. "Also schön", meint er. "Bringen wir es hinter uns." Ein wenig missmutig steht er auf und geht Richtung Tür. Noch einmal blickt er hinter sich. "Kommt ihr mit?", fragt er seine Freunde verstimmt.

Kagome schluckt den Rest ihres Essens herunter. "Wenn du so freundlich fragst." Dann erhebt auch sie sich um sich ihm anzuschließen. Auch Rin beeilt sich ihre Mahlzeit zu beenden und springt dann rasch auf. Ungeduldig zieht sie Kohaku am Ärmel. Ein Stück Obst landet auf dem Fußboden, das sich gerade auf dem Weg in seinen Mund befand.

"Komm schon, Kohaku, wir schauen uns auch den Palast an. Das wird dir gefallen."

Kohaku verzieht das Gesicht. "Rin, wir sind doch nicht hier für eine Schlossbesichtigung. Bestimmt würden es die Meisten hier lieber sehen, wenn wir rasch wieder abreisen. Und zwar so bald wie möglich."

Doch Rin bleibt uneinsichtig. "Ich werde überhaupt nirgends hinreisen. Ich bleibe hier im Palast!", stellt sie trotzig klar. "Solange Sesshomaru nicht hier ist, werde ich hier auf ihn warten. Einer muss doch hier die Stellung halten."

Kohaku verdreht leicht die Augen. "Und warum überlässt du das nicht lieber Inu Yasha? Glaub mir, der ist dafür wirklich besser geeignet. "

Rins Unterlippe schiebt sich schmollend vor. "Wirst du ja schon sehen. Sesshomaru-sama wird schon einen Grund gehabt haben, dass er gerade mich als Tochter ausgewählt hat, da bin ich es ihm schuldig wenigstens jetzt hier auf ihn zu warten wenn er auf so einer gefährlichen Reise ist."

Kohaku entfährt ein leises Schnaufen. "Und was soll ihm das bringen, wenn du hier herumsitzt. Es ist ja nicht gerade so, als ob du besonders wehrhaft wärst. Vermutlich wirst du hier doch nur im Weg sein. Besser du kommst wieder mit mir zurück. Du kannst hier ohnehin nichts ausrichten."

Für einen Moment starrt Rin ihn mit ungläubiger Miene an, doch dann, verzieht sich ihr Gesicht und Tränen treten ihr in die Augen. "Was verstehst du denn davon?", schreit sie ihn ungehalten an, dann dreht sie sich um und stürmt aus dem Zimmer. Kurz darauf verebben ihre Schritte.

Verdattert blickt Kohaku ihr hinterher. "Was hat sie denn auf einmal?"

"Versteh einer die Frauen", pflichtet Inu Yasha ihm bei. Dann fällt sein Blick auf Kagome und er zuckt ein wenig zusammen. Der Blick den sie ihm zuwirft ist deutlich verstimmt.

"Ich hatte eigentlich gehofft, dass wenigstens du inzwischen gelernt hättest was man in solch einer Situation besser nicht sagt", meint sie ärgerlich. "Genug Übung hattest du ja wohl inzwischen."

Doch bevor sich Inu Yasha empört verteidigen kann, fällt Kohaku ihm ins Wort. "Ich gehe ihr besser hinterher. Sie sollte hier in diesem Youkai-Palast lieber nicht allein herumlaufen."

"Macht Euch keine Sorgen um sie", meldet sich nun Karashina wieder zu Wort. "Als Tochter von Sesshomaru-sama wird ihr hier kein Leid geschehen." Sie tritt ein wenig auf Kohaku zu. "Wie steht es um Eure Verletzung? Bevor Ihr nicht genesen seid, solltet Ihr ohnehin nicht viel herumlaufen."

Ein wenig überrascht hält Kohaku inne. Er macht ein paar vorsichtige Bewegungen und reckt sich ein wenig. So wie es aussieht sind seine Knochen schon wieder geheilt, zumindest spürt er keine Schmerzen mehr. "Es geht mir gut", gibt er Auskunft. "Euer Heiler scheint sein Handwerk zu verstehen.

Karashinas Miene bleibt reglos. "Selbstverständlich", erwiderte sie. "Yasugi-sensei ist der Leibarzt der Fürstenfamilie. Niemals käme dafür jemand in Frage der nicht erstklassig ist."

"Woher wusstest du von seiner Verletzung?", fragt nun Inu Yasha skeptisch.

"Es ist meine Aufgabe über alle Vorgänge hier im Schloss, die die Bediensteten betreffen, auf dem Laufenden zu sein", antwortet die Youkaifrau sachlich. "Anderenfalls würde ich meine Pflichten vernachlässigen." Ein kurzer Blick trifft Inu Yasha, dann senkt sie wieder respektvoll die Augen. "Wenn es Euer Wunsch ist, mein Fürst, können wir nun mit der Besichtigung des Schlosses beginnen."

"Ich werde Rin suchen gehen", bemerkt Kohaku rasch, noch ehe Inu Yasha etwas sagen kann. Dann zögert er kurz, als wolle er eine Erklärung hinzufügen, doch er besinnt sich anders und dann läuft auch er zur Tür hinaus.

Inu Yasha wendet sich zu Kagome um. Gerade lag noch ein leichtes Schmunzeln um ihre Mundwinkel, doch dann wird sie wieder ernst. "Also, lass uns gehen", meint sie ermutigend.

Der Hanyou wendet sich wieder der Youkai zu. "Dann geh mal vor", fordert er sie auf.

"Das wäre keineswegs schicklich, mein Fürst" entgegnet die Frau sittsam.

Inu Yasha verdreht entnervt die Augen. "Oh man, vergiss das 'schicklich' mal! Ich kann es nicht haben wenn jemand so unterwürfig um mich herumwuselt. Geh einfach voraus und lass es damit gut sein. Ich werde dir dafür bestimmt nicht den Kopf abreißen, klar?"

Fast meint der Hanyou für einen kurzen Moment einen belustigten Zug um ihre Mundwinkel zu erkennen, doch er mag sich auch getäuscht haben.

"Wie Ihr wünscht, Inu Yasha-sama! Wenn Ihr mir, mit Verlaub, folgen mögt." Mit diesen Worten dreht sie sich um und verlässt den Raum. Inu Yasha und Kagome schließen sich ihr rasch an.

Sie verlassen das herrschaftliche Gebäude und steigen die Treppe hinab zum Prunkplatz davor. Während sie gehen fragt Inu Yasha: "Ist es eigentlich normal, dass die Hausverwalterin des Schlosses den neuen Fürsten persönlich herumführt? Gibt es da nicht normalerweise Personal für, oder so?"

Die Youkai wirft ihm kurz einen abschätzenden Blick zu, dann sagt sie: "Den amtierenden Fürsten unseres Clans in die Vorgänge seines Wohnsitzes einzuweisen, ist eine verantwortungsvolle und ehrenvolle Aufgabe. Wer wenn nicht der Vorsteher des Haushaltes selbst wäre prädestiniert dafür?"

"Ah ja?", gibt Inu Yasha zynisch zurück. "Und warum übernimmt das nicht Matsuba? Immerhin ist er im Rang höher als du, was ich so gehört hab." Dafür fängt er sich einen leichten Knuff von Kagome ein.

Doch die Youkaifrau zeigt sich gänzlich unbeeindruckt von dieser kleinen Unhöflichkeit. "Ihr habt Recht, Inu Yasha-sama", nickt sie ungerührt, "Es ist Euer gutes Recht diesen Dienst vorzugsweise von ihm zu fordern. Bedauerlicherweise befindet sich Matsuba-sama im Augenblick nicht hier im Palast, weshalb ich Euch untertänigst bitten muss, mit meiner Person Vorlieb zu nehmen."

Inu Yasha hebt die Brauen. "Tatsächlich, er ist nicht hier? Wo ist er denn hin? Gestern war er doch noch da."

"Über den Zweck seiner Reise wurde ich bedauerlicherweise nicht informiert", gibt Karashina Auskunft. "Mir ist lediglich bekannt, dass er heute Morgen abgereist ist. Ich kann versuchen Näheres dazu in Erfahrung zu bringen." Sie wirft ihm einen fragenden Blick zu.

Inu Yasha überlegt kurz. Spielt es wirklich eine Rolle wohin dieser eingebildete Schnösel verschwunden ist? Wahrscheinlich nur wieder irgendwelche Regierungsgeschäfte die ihn zu Tode langweilen würden. Andererseits sagt ihm eine leise Stimme in ihm, dass hier irgendetwas vor sich geht dem er besser nachgeht.

"Ist es normal für Matsuba, dass er dich nicht informiert wohin er geht, wenn er verreist?", hakt Inu Yasha nach.

"Für gewöhnlich werde ich über die Ziele seiner Reisen informiert", entgegnet die Hausverwalterin ohne stehenzubleiben. "Es steht mir jedoch nicht zu, es in Frage zu stellen, sollte dies einmal nicht der Fall sein. Was jedoch nicht bedeutet, dass ich Euch diese Information nicht zu beschaffen vermag", fügt sie mit einem kurzen Seitenblick auf Inu Yasha hinzu. "Er verließ den Palast heute morgen begleitet von einer Leibgarde. Er beabsichtigt also offenbar länger fortzubleiben. Wenn wir den Übungsplatz und die Kriegerunterkünfte besichtigen, werdet Ihr Takarakanshu-sama dazu befragen können. Er teilt die Leibwächter zu. Er wird wissen wohin sie unterwegs sind."

"Warum fangen wir dann nicht am besten gleich mal da an?", gibt Inu Yasha zurück. "Irgendwas sagt mir, dass ich in nächster Zeit sowieso öfter dorthin muss."

Wieder ist da dieser leicht amüsierte Zug um ihre Mundwinkel. Doch wieder nur für einen Moment."Ganz wie es Euch beliebt, mein Fürst. Hier entlang!" Mit einer höflichen Verbeugung weist sie in die entsprechende Richtung. Dann machen sich die drei auf den Weg zu den Soldatenquartieren.
 

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Schon eine ganze Weile sind Sesshomaru und sein kleiner Führer unterwegs. Die Wanderung ist trist und bisher ereignislos, ein Umstand der dem Daiyoukai immer mehr aufs Gemüt schlägt. Schon allein die Tatsache, dass er gezwungen ist, durch die hier herrschenden Bedingungen, nahezu im Schneckentempo voranzukommen, hinterlässt bei ihm einen bitteren Beigeschmack. Hinzu kommt noch, dass sie schon seit Stunden unterwegs sind und die Umgebung sich nicht wesentlich verändert hat. Das hinterlässt den Eindruck, als würden sie überhaupt nicht vorankommen.

Sesshomarus Laune sinkt immer weiter. Ausgerechnet wenn er in Eile ist, wird er zum Abwarten verdammt. Trotz der eintönigen Wanderung, verspürt er wenig Interesse sich mit dem Krötendämon vor ihm zu unterhalten und dieser stapft nur weiterhin stoisch vorwärts und gibt ebenfalls keinen Laut von sich.

Um sie her befindet sich noch immer die staubige Einöde die nun mehr mit diesen zerfressenen Felsformationen angereichert ist. Es ist die einzige Möglichkeit um zu erkennen, dass sie sich überhaupt von der Stelle bewegen. Der alte Kröterich scheint allerdings auch kein besonderes Bedürfnis zu haben, diese Angelegenheit möglichst rasch hinter sich zu bringen. Seelenruhig schlurft er voran und dreht sich nicht einmal mehr um.

Sesshomarus innere Unruhe wächst mit jedem Schritt und ein eigenartiges Gefühl kriecht allmählich seinen Nacken hoch. Seit einer kurzen Weile hat er das Gefühl beobachtet zu werden. Doch außer ihnen beiden sind keinerlei Lebewesen auszumachen. Schließlich richtet er doch das Wort an Doro. "Bist du sicher, dass dies der richtige Weg ist?"

Der alte Youkai schnauft kurz verächtlich ohne sich umzudrehen. "Wenn es dir nicht passt wie ich dich führe, steht es dir jederzeit frei alleine dein Glück zu versuchen", schnappt er ärgerlich.

"Ich rate dir lediglich, nicht zu versuchen, mich in eine Falle zu führen", gibt Sesshomaru ruhig zurück.

"Pah, als käme mir so etwas in den Sinn!", schnaubt Doro beleidigt. "Ich bin doch nicht lebensmüde. Und nicht, dass du auf falsche Gedanken kommst. Nicht du bereitest mir dabei Sorge. Jede Falle die ich hier ersinnen könnte, würde mich vermutlich ebenfalls zu Schaden bringen. Also ziehe ich es vor mich an unsere Abmachung zu halten, wenn es dir beliebt." Der Sarkasmus in seiner Stimme ist nicht zu überhören.

Sesshomaru hebt kurz den Kopf und dann sagt er ernst: "In diesem Fall halte ich es für besser, wenn du in meiner Nähe bleibst. Es nähern sich mehrere Lebewesen."

Im selben Moment erstarrt Doro und hebt den Kopf forschend in die Luft. Nachdem er einen Augenblick sinnend gelauscht hat, weiten sich seine Augen. "Verdammt!", flucht er leise. "Das hat mir gerade noch gefehlt. Wir sollten schleunigst zusehen, dass wir hier wegkommen. Ich wusste nicht, dass diese Biester auch in dieser Gegend eine Kolonie haben, sonst hätte ich bestimmt nicht diesen Weg genommen."

Und auf einmal ist um sie herum ein leises Rascheln und Scharren zu vernehmen, das zunehmend lauter wird und den Eindruck erweckt von unzähligen kleinen Körpern zu stammen. Sesshomaru blickt sich wachsam um. Zu sehen ist nichts, doch das Rascheln wird lauter und der kleine Krötenyoukai fängt an, sich hektisch umzusehen.

Dann plötzlich nimmt Sesshomaru aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr und sein Kopf ruckt herum. Auf einem der großen Felsen, neben ihnen am Weg sitzt nun eine Art Insekt. Sein recht flacher Körper ist in einen glänzenden, rostroten Chitinpanzer gehüllt. Oben am Kopf befinden sich zwei dünne Fühler und an jedem der sechs Beine sitzt eine dünne, scharfe Kralle. Das ganze Geschöpf ähnelt einer Wanze, jedoch hat es die Größe eines Unterarms und lässt nun ein eigenartiges, boshaftes Schnarren verlauten, während es den Daiyoukai mit kalten schwarzen Fassettenaugen anstarrt.

Bevor Sesshomaru noch ein Urteil fällen kann über dieses Wesen, tauchen auf einmal direkt hinter ihm, noch weitere auf. Nicht nur auf dem Felsen sitzen sie, sondern nun kommen sie auch aus dem Erdboden darum herum hervorgekrabbelt und mit einem beunruhigenden Sirren durch die Luft angeflogen. Ehe Sesshomaru sich versieht, wimmelt der ganze Boden um sie herum von diese Insekten und das Schnarren wenn ihre Panzer aneinanderreiben, könnte einem eine Gänsehaut verursachen.

Im selben Moment tut Doro einen kräftigen Satz und springt ungefragt auf Sesshomarus Schulter. "Iih! Blutwanzen!", quietscht er ängstlich. "Mit diesen Biestern ist nicht zu spaßen. Vermutlich hat dein Blut sie angelockt. Nichts lieben diese Viecher mehr als den Geschmack der Lebenden."

Mit leichter Besorgnis beobachtet Sesshomaru die Invasion die sich um sie gescharrt hat. Er beschließt vorerst die Tatsache zu ignorieren, den alten Torwächter auf seiner Schulter sitzen zu haben. Vermutlich wird er ihn noch brauchen.

Schon beginnt der Schwarm auf ihn zuzukrabbeln. So rasch es ihm möglich ist, weicht er vor ihnen zurück, doch es sieht wohl so aus, dass er der herannahenden Insektenflut zu Fuß nicht entkommen wird. Wachsam zieht er Bakusaiga aus seiner Scheide. Schon haben ihn die ersten Tiere erreicht und ein rascher Streich des Schwertes zerteilt sie unweigerlich in zwei Teile.

"Was soll das werden?", zetert Doro auf seiner Schulter. "Sagte ich nicht, dass dieses Schwert Wesen aus dieser Welt nicht wirklich verletzen kann?"

Wie um seine Worte zu bestätigen, stellt Sesshomaru fest, dass die von ihm gefällten Käfer wie durch Magie wieder zusammengesetzt werden und dann unaufhaltsam ihren Weg fortsetzen. Schon haben die ersten seine Füße erreicht. Ein kurzer Schmerz zuckt durch Sesshomarus Körper und sogleich wird ihm bewusst, dass eines der Insekten sich in seinem Fuß verbissen hat. Sofort trennt es die Klinge seiner Waffe von seinem Körper, doch sofort rücken andere nach, während der Daiyoukai immer mehr zurückweicht und dabei mit seinem Schwert um sich schlägt.

Wieder spürt Sesshomaru die Bisse der Wanzen und inzwischen beginnen sie sogar damit an seinem Körper empor zu krabbeln und nach weiteren Stellen zu suchen, in die sie ihre kleinen, messerscharfen Rüssel stoßen können. Immer wieder stechen sie zu und Sesshomaru kommt kaum hinterher all Parasiten abzuschlagen. Schon spürt er den Schmerz von unzähligen Einstichstellen und das äußerst unangenehme Gefühl, dass ihm schonungslos das Blut ausgesaugt wird. Und im gleichen Maße wie der Angriff der Blutwanzen zunimmt, wächst auch Sesshomarus unverhehlter Zorn. Es darf nicht sein, dass im ein Schwarm blutsaugender Insekten zum Verhängnis wird nach allem was er bisher in seinem Leben überstanden hat.

Neben seinem Ohr kreischt Doro panisch vor sich hin und versucht die hinaufkrabbelnden Insekten mit seiner langstieligen Pfeife zurückzuschlagen. "Ksch, ksch! Weg mit euch, ihr Biester!", faucht er und schlägt um sich. Gelegentlich trifft er dabei Sesshomarus Gesicht, doch keiner der beiden kann im Augenblick davon Notiz nehmen.

Wild schlägt Sesshomaru um sich, mit allerdings nur mäßigem Erfolg. Schließlich steckt er Bakusaiga wieder ein und beginnt damit den Angreifern mit seinen eigenen Klauen zu Leibe zu rücken. Das scheint zumindest ein wenig mehr Erfolg zu haben, denn mit seinen eigenen Gliedmaßen ist er bedeutend geschickter und schneller. Allerdings zehrt der Kampf allmählich an seinen Kräften. Das Gewicht seines Körpers ist noch immer nicht geschwunden. Im Gegenteil mit jedem Handschlag scheint es schwerer zu werden und langsam kommt der Daiyoukai tatsächlich außer Atem.

Letztlich beschließt er doch Doro um Rat zu fragen. "Gibt es nichts, um ihrer Herr zu werden?", wendet er sich an den Krötenyoukai.

Der Torwächter teilt noch immer nach links und rechts wilde Hiebe aus. "Sehe ich aus wie ein Wanzenfachmann?", schimpft er zurück. "Diese Viecher schrecken vor nichts zurück. Das einzige was dieses Ungeziefer normalerweise zu meiden scheint, ist Feuer."

Sesshomaru beißt die Kiefer zusammen. Auch wenn diese Antwort logisch scheint, so ist sie wenig dienlich im Augenblick. Wo soll er hier Feuer auftreiben? Doch dann plötzlich empfängt seine Nase einen leichten Rußgeruch. Sollte er wirklich so viel Glück haben? Hastig blickt er sich um. Um sich her sieht er noch immer kaum etwas anders als eine riesige Flut aus Käfern und die dunklen Felsen hier in der Einöde. Doch dann fällt sein Blick wieder voraus in die Richtung in die sie gerade gehen und dort an der Stelle wo der allgegenwärtige Dunst gerade eben den Blick voraus gewährt, entdeckt er etwas, dass ihn hoffen lässt. Der angesengte Geruch in der Luft kommt von einem gewaltigen, breiten Lavafluss der in einiger Entfernung ihren Weg kreuzt.

Sein Entschluss ist rasch gefasst. So schnell ihn seine Beine tragen bewegt er sich direkt auf den Lavastrom zu. Zwar ist dies leichter gesagt als getan, denn noch behindern die Insekten auf seinem Körper jede seiner Bewegungen und die Last die auf seinem Körper liegt, nimmt nun Schritt um Schritt zu. Doch der Wille des Daiyoukais ist ungebrochen und hartnäckig kämpft er sich weiter vorwärts.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis der Feuerfluss soweit in der Nähe ist, dass man die aufsteigende Hitze nun deutlich spüren kann. Offenbar haben das die Blutwanzen auch bemerkt, denn der Ansturm wird immer zögerlicher und immer mehr der Tiere ziehen es vor den Rückzug anzutreten. Doch noch immer verfolgt ein beträchtlicher Schwarm die beiden Youkai und gönnt ihnen keine Verschnaufpause.

Allmählich bekommt Sesshomaru den Eindruck, dass er bald kaum noch in der Lage sein wird, auch nur noch die Hand zu heben. Seine Gliedmaßen fühlen sich tonnenschwer an und an den Stellen wo die spitzen Rüssel im das Blut aussaugen, geht eine unangenehme Taubheit in seinem Körper aus. Hoffentlich wird die Lava sie endlich vertreiben. Es ist nur noch ein kurzes Stück bis zum Ufer.

Nun bemerkt auch Doro das Vorhaben des Daiyoukais. Aufgeregt hüpft er auf seiner Schulter auf und ab und klopft aufdringlich auf Sesshomarus Kopf. "Hey, gib acht! Komm nicht auf komische Ideen, hörst du? Berühre auf keinen Fall die Lava! Ich warne dich!"

Nur flüchtig nimmt Sesshomaru die Warnung wahr, beschließt jedoch, sie zu beherzigen. Als er das Ufer erreicht, hängt noch immer eine beträchtliche Traube der Angreifer an seinem Körper. Ungemütlich heiß steigt die Hitze des Stroms zu ihm auf und in kürzester Zeit ist er schweißgebadet. Hastig blickt er sich um. Nicht weit vom Ufer der Lava befindet sich eine kleine Insel von etwa drei Schritt Durchmesser. Wenn er es bis dahin schafft, sollte er in der Lage sein, seine Angreifer endgültig abzuschütteln. Wie jedoch dahin gelangen? Die Insel ist gut und gerne vier Schritt entfernt. Der Versuch wie gewohnt hinüber zu schweben, wäre aussichtslos in seiner momentanen Verfassung und ob er in der Lage ist so weit zu springen, ist fraglich. Aber bleibt ihm eine andere Wahl als es zu versuchen?

Er spürt wie ihm immer mehr die Kräfte schwinden und ihm wird klar, wenn es ihm jetzt nicht gelingt, dann wird es das nie. Die Entscheidung fällt in wenigen Augenblicken. Ein letztes Mal nimmt er all seine verbliebene Kraft zusammen und ohne noch einmal darüber nachzudenken, oder auf Doros panischen Angstschrei, hinsichtlich des irrsinnigen Unterfangens, zu achten, nimmt er kurz Anlauf und springt.

Einen kurzen Augenblick in der Luft, ist er überzeugt, dass er es nicht schafft, doch nur wenige Herzschläge später trifft er stolpernd auf festem Boden auf. Er ist tatsächlich bis hinüber gelangt. Unmittelbar darauf fegen seine Klauen wie von selbst die verbliebenen Wanzen von seinem Körper fort und die die nicht in der schmerzhaften Hitze des Lavaflusses verglühen, ziehen sich wütend schnarrend auf die Uferseite zurück und brausen und krabbeln schließlich von dannen.

Schwer atmend hockt Sesshomaru auf der lavaumringten Insel und stützt schwer die Arme vor sich auf. Seine Glieder zittern vor Anstrengung und der Schweiß rinnt ihm von Rücken und Gesicht. Zum ersten Mal hat er Gelegenheit seinen Körper eine Inspektion zu unterziehen. Er ist erschöpft und fühlt sich ungewohnt schwach. An den Einstichstellen breitet sich das Taubheitsgefühl immer mehr in seinem Körper aus und ein unangenehmer Schmerz macht sich jetzt ebenfalls darin bemerkbar. Ihm wird schummrig vor Augen und er ringt in der heißen, trockenen Luft die ihn umgibt, immer mehr nach Atem.

Er bemerkt kaum, dass Doro neben ihm steht, an seinem Gewand zupft und ununterbrochen auf ihn einredet. Im Augenblick wünscht er sich nur einen Augenblick zum Verschnaufen. Dann plötzlich schwinden ihm die Sinne, er fällt nach vorne auf die Brust und das wilde Geschnatter des Krötenyoukais verstummt.

Den Berg besteigen

Inu Yasha und seine Freunde kommen an zahlreichen Gebäuden vorbei auf ihrem Weg über das Gelände des Westpalastes. Im Gegensatz zum Palast des Ostens, der zwar meisterlich gestaltet war, jedoch im allgemeinen eine sehr bedrückende Atmosphäre besaß, fühlt er sich hier durch die weitläufigen schlicht gehaltenen Parkanlagen zwischen den einzelnen Häusern nicht so eingeengt. Die würdevolle Youkaifrau Karashina führt ihn zwischen den zahlreichen Gebäuden hindurch offenbar wirklich auf direktem Weg zu den Bereichen des Palastes wo die Soldaten untergebracht sind. Je weiter sie vorankommen um so zweckdienlicher werden die Bauten und nun kann er sogar leisen Kampflärm vernehmen welcher immer mehr zunimmt.

Schließlich biegen sie um eine Häuserecke und stehen nun zwischen zwei Gebäuden mit Blick auf einen großen, freien Platz der nur aus einem festgestampften Sandboden besteht. Dies muss der Trainingsplatz für die Krieger des Westheers sein. Und tatsächlich sind bereits zu dieser frühen Stunde mehrere Soldaten mit ihrem Morgentraining beschäftigt.

Die kleine Truppe um Inu Yasha tritt nun näher heran und nun wendet sich eine Gestalt zu ihnen um die bisher mit wachsamem Blick ihre Aufmerksamkeit auf das Training gerichtet hatte. Es ist Chitsurao. Er hebt kurz seine Hand und stößt einen kurzen Ruf aus, der unmittelbar darauf alle Soldaten in ihrem Tun innehalten lässt. Sämtliche Köpfe auf dem Platz gehen nun zu ihnen herum und sogleich danach fallen alle Soldaten prompt auf ein Knie herab und senken den Kopf um ihrem neuen Fürsten den ihm zustehenden Respekt zu erweisen.

Inu Yasha verzieht ein wenig das Gesicht, sagt aber nichts dazu. Vermutlich wird er sich daran gewöhnen müssen, dass man ihm neuerdings immer wieder unaufgefordert Achtung entgegenbringt. Eigentlich kann ihm das ja nur recht sein, aber unbehaglich ist es ihm trotzdem noch immer.

Zu seiner Erleichterung gibt Chitsurao ihnen nun erneut ein Signal und die Krieger fahren sogleich in ihrer bisherigen Tätigkeit fort. Rasch tritt der Heerführer des Westens auf die kleine Gruppe zu.

„Inu Yasha-sama, willkommen!“, verneigt er sich höflich. „Hätte ich mit Eurem Erscheinen gerechnet, hätte ich für Euch ein Appell der Truppen eingerichtet. Soll ich die Einheiten zur Inspektion zusammenrufen?“

„Nur keine Umstände“, wehrt Inu Yasha seinen Eifer ab. „Ich sehe mir nur erst einmal den Palast an.“

Chitsurao nickt verstehend. „Selbstverständlich, Inu Yasha-sama. Wenn ich Euch irgendwie zu Diensten sein kann, zögert nicht zu fragen.“ Mit einer erneuten Verbeugung will er sich wieder dem Training zuwenden.

„Ähm, da gibt es vielleicht noch eine Sache“, ringt sich Inu Yasha zu der Frage durch.

„Mein Fürst?“, sogleich widmet der Youkai ihm wieder seine volle Aufmerksamkeit.

Einen Moment zögert der Hanyou doch dann fragt er: „Du hast nicht zufällig eine Vorstellung davon, wohin Matsuba verschwunden ist, oder? Wie ich höre ist er heute morgen recht früh aufgebrochen.“

Die bis eben so entgegenkommende Miene des Heerführers verliert nun ein wenig an Elan. Täuscht der Hanyou sich oder fliegt sein Blick für einen kurzen Moment zu der würdevollen Youkaifrau neben ihm hinüber? Doch sogleich blickt er ihm wieder direkt ins Gesicht.

„Matsuba-sama bat heute morgen um eine Leibgarde für eine Reise die er unternehmen wollte. Takarakanshu hat ihm vier unserer besten Leute mitgegeben. Seid also ohne Sorge. Es wird ihm unterwegs nichts geschehen. Bestimmt ist er bald wieder hier um Euch zur Verfügung zu stehen.“

Inu Yasha seufzt leicht. Hier wird er also vermutlich auch nicht weiter kommen. Doch nun ergreift Karashina mit einem ruhigen Tonfall das Wort. „Ich glaube, das war nicht die Frage, die dein Fürst dir gestellt hat, Chitsurao.“

Für einen kurzen Moment verzieht der kräftige Youkai missmutig den Mund dann sagt er beschwichtigend: „Sicher nicht, Karashina-sama. Bedauerlicherweise wurde ich über seinen expliziten Zielort nicht in Kenntnis gesetzt.“

Hier wird Inu Yasha nun doch hellhörig. Offenbar verheimlicht der Heerführer ihm irgendwas. Aber was könnte ihn dazu veranlassen Geheimnisse vor seinem eigenen Fürsten zu haben? Bisher war ihm Chitsurao immer als ein sehr loyaler und verlässlicher Soldat des Westens vorgekommen. Sogar Sesshomaru war um sein Wohlergehen besorgt gewesen. Was also entgeht ihm hier?

Selbstbewusst tritt er nun einen Schritt näher. „Aber du wirst doch vermutlich eine ungefähre Vorstellung haben, oder?“, meint er nun betont freundlich. Fast scheint es ihm, als würden dem Youkai vor ihm etwas unwohl in seiner Haut.

„Nun...“, druckst Chitsurao ein wenig herum, „anhand der Vorbereitungen die er getroffen hat, rechne ich mit einer Reise von schätzungsweise vier oder fünf Tagen.“

„Und das Ziel der Reise?“, Inu Yasha lässt nicht locker.

„Man setzte mich darüber in Kenntnis, dass das Ziel dieses Unternehmens geheim sei“, gibt der Youkai nun ein wenig unglücklich bekannt. Er meidet den Blick der anderen.

„Geheim?“, gibt Inu Yasha verwundert zurück. „Etwa auch für euren Fürsten, oder wie?“

So beiläufig wie möglich atmet Chitsurao einmal durch. „Ich bin nicht sicher, mein Fürst. Ich werde Takarakanshu hinzuziehen. Er teilt die Leibwachen zu. Sicher kann er Euch mehr sagen.“ Rasch wendet er sich zum Gehen.

„Was wird hier gespielt Chitsurao?“, kommt nun die ruhige, skeptische Frage von Karashina. Die Youkai hat leicht die Arme verschränkt und behält den Soldaten nun nachdrücklich im Auge.

Sehr widerstrebend wie es scheint hält der Heerführer inne und dreht sich so würdevoll wie möglich wieder zu der Gruppe um. Er scheint kurz mit sich zu ringen, dann sagt er: „Alles was ich weiß, ist dass er in diplomatischer Mission unterwegs ist. Richtung Norden.“ Dann senkt er ehrbekundend den Blick.

„Richtung Norden?“, lässt sich Kagome nachdenklich vernehmen. „Was kann er denn da wollen?“

Doch nun hört sie plötzlich ihren Freund neben sich mit den Zähnen knirschen. „Das kann ja wohl nicht wahr sein“, grollt er ärgerlich. Dann richtet er verstimmt das Wort an Chitsurao: „Hol mir auf der Stelle diesen Takarakanshu her, klar? Ich will gefälligst genau wissen, wo Matsuba hin ist. Und wenn der Kerl der Chef von unserem Geheimdienst ist, gehe ich jede Wette ein, dass er das weiß.“

Chitsurao verneigt sich gehorsam vor ihm und nur Augenblicke später ist er verschwunden.

„Hält man's denn für möglich?“, schimpft Inu Yasha inzwischen leise vor sich hin.

„Was ist den los?“, stellt Kagome besorgt die Frage. „Gibt's wieder Ärger?“

„Keh!“, schnaubt Inu Yasha. „Gut möglich, aber vermutlich bin ich diesmal nicht mal schuld.“

In diesem Moment erscheint Chitsurao wieder vor ihm und im Schlepptau hat er einen zweiten würdevollen Youkai den Inu Yasha bereits vom Rat her kennt.

„Wie kann ich Euch zu Diensten sein, Inu Yasha-sama?“, fragt Takarakanshu ernsthaft.

„Ich möchte gern was wissen“, antwortet der Hanyou gereizt. „Sehe ich das richtig, dass Matsuba sich auf den Weg in Richtung des Nordreiches gemacht hat um Kontakt zu diesem ominösen übermächtigen Youkai aufzunehmen?“

Im Gegensatz zu Chitsurao verzieht Takarakanshu keine Miene bei seiner Antwort. „Das ist richtig, mein Fürst.“

Ungläubig reißt Inu Yasha die Augen auf. „Und das entgegen meiner Anweisung?“, hakt er sarkastisch nach.

„Ja, mein Fürst.“

Ein beleidigtes Schnaufen entfährt dem Hanyou und er dreht sich steif mit verschränkten Armen weg. „Das ist ja mal wieder typisch!“, entfährt es ihm zutiefst gekränkt. „Jetzt bin ich schon mal offiziell Fürst und trotzdem meinen alle sie können einfach wild über meinen Kopf hin Entscheidungen fällen. Wie mich diese elenden Youkai ankotzen!

Nun werfen sich Takarakanshu und Chitsurao verstohlen vielsagende Blicke zu. Schließlich ergreift Chitsurao wieder das Wort. „Bitte, mein Fürst, glaubt mir, die Entscheidung Euch über die Sache im Unklaren zu lassen, wurde nicht von uns getroffen.“

„Und von wem dann?“, kommt es verstimmt. Doch sogleich gibt er sich selbst Antwort. „Nein, sagt es mir nicht! Ich glaube ich kann es mir denken!“ Er fletscht leicht die Zähne. „Den kauf ich mir!“ Dann blickt er wieder zu Chitsurao hoch. „Wo finde ich Kagemori?“
 

In seinem Zimmer an seinem Schreibtisch sitzt der Truchsess des Westreiches und studiert einige Unterlagen. Auf einmal ist draußen Stimmengewirr zu vernehmen. Einige aufgebrachte Stimmen versuche offenbar jemanden von seinem Vorhaben abzubringen, wenn auch auf denkbar respektvolle Art. Allerdings scheinen sie damit wenig Erfolg zu haben.

„Das ist mir völlig schnuppe!“, tönt nun eine verärgerte Stimme im Vorraum. „Ich will auf der Stelle zu ihm, basta!“ Ein Tisch wird umgestoßen und einige verschreckte Stimmen schreien auf.

Kagemori legt die Unterlagen vor sich ab. Nun, das hat ja nicht lange gedauert.

Wieder ist ist die verärgerte Stimme zu hören. „Aus dem Weg! Ist er da drin? Ich wette er ist da drin. Weg da!“

Das energische Tapsen bloßer Füße ist zu hören und dann wird mit einem schwungvollen Ruck die Tür aufgerissen. Mit funkelnder Miene fixiert Inu Yasha den Mann der würdevoll hinter seinem Schreibtisch kniet und ihm gleichmütig entgegenblickt.

„Aha!“, lässt sich Inu Yasha triumphierend vernehmen und kommt rasch auf ihn zu. Vor dem Tisch bleibt er hoch aufgerichtet stehen und verschränkt empört die Arme. „Ich habe gerade erfahren, dass Ihr Matsuba in den Norden geschickt habt, damit er sich mit diesem fremden Youkai trifft. Hatte ich nicht ganz klar gesagt, dass ich das nicht will? Aber Ihr habt es trotzdem gemacht. Da wundert es mich dann auch gar nicht, dass Ihr das auch noch vor mir verheimlicht habt. Was habt Ihr Euch verdammt noch mal dabei gedacht?“

Der ehrwürdige Youkai vor ihm hat während des ganzen Ausbruchs keine Miene verzogen. Nun blickt er ruhig zu ihm auf und sagt: „Seid mir gegrüßt mein Fürst. Ich habe Euch nicht erwartet.“

Das glaub ich auf der Stelle!“, fällt Inu Yasha ihm ins Wort. „Und wenn Ihr gegen meine Befehle verstoßt, dann spart Euch gefälligst auch das 'mein Fürst!'“

Der alte Youkai blickt noch immer gänzlich unbeeindruckt zu ihm auf. Schließlich sagt er: „Bitte setzt Euch doch, Inu Yasha-sama, damit ich Euch mein Vorgehen erläutern kann.“

Noch immer steht der Hanyou heftig schnaufend da. Er scheint einen Moment mit sich zu ringen, dann lässt er sich sehr widerwillig auf das angewiesene Sitzkissen plumpsen.“ Ich erwarte eine Erklärung dafür, und sie sollte besser gut sein.“

„Nun“, beginnt Kagemori sachlich, „Ihr seid offenbar mit den Abläufen in diesem Schloss noch nicht vertraut. Es lag in meinem Sinne Euch an Eurem ersten Amtstag nicht sogleich mit einer Vielzahl an Pflichten zu überfordern.“

Inu Yasha will etwas einwerfen, doch Kagemori redet schon weiter. „Für gewöhnlich wird der Fürst nicht über jeden Befehl und jedes Detail im Ablauf des Schlosses informiert. Mit solchen profanen Logistiken wird der Fürst nicht belästigt, nachdem er einmal eine Entscheidung getroffen hat...“

Hier setzt sich Inu Yasha rasch energisch auf und fährt dem Youkai verbal in die Bresche. „Jawohl! Entscheidung getroffen! Ich hatte doch gesagt was ich entschieden habe und Ihr tut dann genau das Gegenteil. Was soll ich davon halten, hä? Wenn das so ist, dann möchte ich doch lieber über diese profanen... Dingsda informiert werden.“

Geduldig mustert der Truchsess den Hanyou. „Meine Aufgabe besteht darin das Reich zu schützen und Eure Befehle nach bester Absicht auszuführen. Und nichts anderes habe ich getan, mein Fürst. Auf meine Frage hin habt Ihr selbst Euch doch deutlich für eine friedfertige Lösung dieses Konfliktes ausgesprochen. Die Aussendung eines Unterhändlers habt Ihr ebenfalls nicht völlig untersagt. Lediglich Chitsurao sollte nicht entsandt werden, und so ist es auch geschehen.“

Inu Yasha blickt nun ein wenig verdattert drein. Angestrengt versucht er sich zu entsinnen, was genau er dazu eigentlich gesagt hatte. Kann es sein, dass er sich vielleicht wirklich etwas unklar ausgedrückt hat? „Aber...“, wendet er ein, „so hatte ich das nicht gemeint.“

„Ich kann verstehen, dass Euch die Gepflogenheiten Eurer neuen Stellung noch ungewohnt sind, da dieses Amt noch neu für Euch ist.“ Nachsichtig blickt der Truchsess den Hanyou an. „Ihr werdet sicher noch lernen Eure Wünsche unmissverständlich mitzuteilen. Seid unbesorgt, Eure Bediensteten werden Euch dabei nach Kräften unterstützen. Bis dahin habt Ihr ja den Rat der Euch zur Seite steht und Euch die Schritte in Eure neue Führungsrolle leichter machen möchte.“

Für eine Weile sagt Inu Yasha kein Wort. Doch dann hebt er wieder den Kopf und der stechende Blick den der Hanyou ihm jetzt zuwirft, lässt Kagemori für einen kurzen Moment an einen anderen Youkai aus dieser Familie denken.

„Mit anderen Worten: Du hast keine Ahnung, also halt dich da raus und lass uns das schön machen, wie?“ Inu Yashas Blick ist finster und er verzieht missmutig den Mund. „Das hättet Ihr wohl gern, was, dass ich Euer eigenmächtiges Verhalten einfach absegne, weil ich es ja nicht besser weiß?“ Nun erhebt sich der Hanyou verächtlich. „Aber den Gefallen tu ich Euch nicht, nur damit Ihr es wisst! Sesshomaru hat mir die Verantwortung für sein Reich überlassen. Ich soll es beschützen und das habe ich auch vor. Aber das kann ich nicht, wenn seine ganzen hohen Beamten gegen mich arbeiten.“

Mit einem kühlen Blick wendet er sich zum Gehen. „Wenn ich mich nicht auf den Rat verlassen kann, dann werde ich die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. Ich gehe jetzt und hole diesen Matsuba zurück bevor noch ein größeres Unglück geschieht. Denn ich bin der Fürst und wenn einer meiner Untertanen gegen meinen Willen loszieht und Mist baut, fällt das auf mich und mein Reich zurück. Glaubt mir, ich weiß genau wovon ich rede“, fügt er bitter hinzu. Noch einmal wendet er sich kurz zu Kagemori um. „Ihr könnt davon ausgehen, dass Ihr Matsuba nicht mehr lebend wiedersehen werdet, auf die eine oder andere Weise. Und wenn dem so ist, dann tragt Ihr dafür die Verantwortung.“

Mit diesen Worten wendet er sich zum Gehen und knallt lautstark die Tür zu.

Mit regloser Miene blickt Kagemori ihm nach. „Einer muss sie ja tragen“, meint er bei sich. Dann erhebt er sich, öffnet die Tür zum Vorzimmer und wendet sich an einen auf dem Boden kauernden Bediensteten. „Sorge dafür, dass die Unordnung hier beseitigt wird“, gibt er Anweisung, „Und dann schick mir Takarakanshu her.“
 

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Sesshomarus Besinnungslosigkeit hält nicht lange an. Im Grunde vergehen nur wenige Momente bis er wieder die Augen öffnet. Er liegt auf dem Bauch und sein Blick wird zwei dürrer Füße gewahr, die um ihn herumspringen. Das damit verbundene aufgeregte Geplapper ignoriert er. Stattdessen gestattet er sich einen Moment der Erholung von den bisherigen Strapazen. Langsam dreht er sich auf den Rücken, blickt ziellos zum rötlich dunstigen Himmel über sich und hängt eine Weile seinen Gedanken nach, während sein Körper damit beschäftigt ist, die letzten Reste des Käfergiftes in seinem Körper zu neutralisieren.

Er kann sich nicht erinnern, sich jemals so schwer mit einer Sache getan zu haben. Bisher ist alles was er hier im Jenseits erlebt hat eine einzige Kraftprobe gewesen. Nun gut, er hat auch nicht erwartet, dass dies hier ein Spaziergang wird. Dennoch waren seine Vorstellungen ein wenig anders gewesen. Zwar hat er damit gerechnet bis an seine Grenzen gehen zu müssen, doch er hatte nicht erwartet, seine Grenzen so rasch zu erreichen. Dies ist umso frustrierender, da er gerade erst eingetroffen ist und seine bisherigen Gegner lediglich ein Schwarm lästiger Käfer war. Unter normalen Umständen wäre dieses Ungeziefer kaum der Rede wert gewesen, doch hier kann er von Glück reden, wenn er überhaupt in der Lage ist, sein Schwert zu heben. Was soll erst geschehen, wenn er auf wirkliche Gegner trifft, die es hier zweifelsfrei gibt?

Er stutzt bei sich ein wenig. Woher kommen diese zögerlichen Gedanken? Es ist doch sonst nicht seine Art sich solche Sorgen zu machen. Lässt er sich bereits jetzt schon so einschüchtern, dass er am Ende gar nicht mehr wagt weiterzugehen? Übersteigt dieses Unterfangen diesmal vielleicht wirklich seine Kräfte? Das wäre verheerend, zumal von dem Erfolg seiner Mission vermutlich das Bestehen seines ganzen Reiches abhängt. Was wird geschehen, wenn er versagt? Und warum gehen ihm diese Zweifel einfach nicht aus dem Kopf?

Gerade trifft ihn der harte Schlag mit dem Kopf einer Pfeife seine Stirn und der alte Krötenyoukai neben ihm funkelt ihn wütend an.

"Hey, ich rede mit dir!", keift er erbost, "Komm gefälligst wieder zu dir, Kleiner! Immerhin hast du uns diese Suppe hier eingebrockt, also wirst du sie auch wieder auslöffeln. Ich weiß ja nicht wie es mit dir ist, aber ich habe keine gesteigerte Lust, mich hier weiter rösten zu lassen, wa'?"

Mühsam richtet Sesshomaru sich auf. Das Taubheitsgefühl ist fast vollständig aus seinem Körper verschwunden. Lediglich das immense Gewicht das auf ihm lastet, ist geblieben. Nun bemerkt er auch die Hitze die von dem Lavastrom aufsteigt und allmählich doch unangenehm wird.

Sie befinden sich noch immer auf der kleinen Insel mitten im Fluss und im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten wieder das sichere Ufer zu erreichen. Zum einen der Weg der sie hergebracht hat, zurück woher sie gekommen sind. Doch es ist fraglich, ob er hier genug Anlauf für einen Sprung nehmen kann. Zum anderen wäre da noch die Strecke hinüber auf das gegenüberliegende Ufer, die jedoch noch um ein Beträchtliches weiter ist als der Weg zurück. Letztlich müssen sie aber wohl doch den Strom überqueren. Es wäre also sinnvoll diesen Abschnitt zu wählen. Jedoch die Frage bleibt immer noch wie?

Sesshomaru kommt schwerfällig auf die Füße und schätzt die Entfernung zum anderen Ufer ab. Es sind etwa zwanzig Schritt bis dorthin. In seiner jetzigen Verfassung ist das auf jeden Fall zu weit zum Springen und er möchte es lieber nicht riskieren zu versuchen hindurch zu waten oder gar zu schwimmen, selbst wenn ihn Doro nicht davor gewarnt hätte. Die einzige Möglichkeit die ihm überhaupt noch bleibt, wäre zu schweben, doch er ist sich nicht sicher ob er die nötige Kraft dazu aufbringen kann.

Verstimmt beobachtet der alte Torwächter Sesshomarus abschätzenden Blick. "Ich weiß ja nicht was du vorhast, aber ich würde dir auf jeden Fall davon abraten. Was auch immer es ist, gemessen an den irrsinnigen Ideen die du bisher hattest, kann das ja gar nicht gutgehen."

Sesshomaru beschließt den Youkai an seinen Gedankengängen teilhaben zu lassen. "Wenn wir diesen Strom überqueren müssen, sollte das der schnellste Weg sein", sagt er sachlich.

Doro reißt die Augen auf. "Ja, der schnellste Weg uns umzubringen!", zetert er lautstark, "Erzähl mir nicht, du willst hinüber zur anderen Seite, nachdem wir es gerade mal bis hier geschafft haben. Aber ohne mich!"

Sesshomaru würdigt den kleinen Krötenyoukai keines Blickes. Stattdessen atmet er kurz ein und beginnt dann sich zu konzentrieren. Sogleich steigt er ein Stück vom Boden auf in die heiße Luft. Dort hält er sich einen Augenblick und sinkt dann wieder hinab.

Ein leichter Schnaufer entfährt ihm. Allein schon dieses kurze Schweben war anstrengender als er es je für möglich gehalten hätte. Langsam beginnt dieses extreme Gewicht seiner selbst wirklich lästig zu werden. Fast meint man der Boden selbst würde ihn verschlingen wollen, wenn er nur die Möglichkeit dazu hätte.

Doch es nützt ja nichts. Sie können unmöglich noch länger hier bleiben, denn die Hitze beginnt nun wirklich schmerzhaft zu werden. Die einzige Chance die ihnen bleibt, ist es zu versuchen.

"Ich vermute, du würdest es eben so wenig begrüßen, hierzubleiben", bemerkt Sesshomaru mit einem zynischen Seitenblick.

"Oh ja, ganz toll!", grollt Doro und verschränkt die Arme, "Ich habe also die Wahl zwischen langsam oder ganz schnell geröstet zu werden. Wirklich beruhigende Aussichten! Du bringst mich hier am laufenden Band in Schwierigkeiten, ist dir das eigentlich klar? Alles lief gut bei mir, bis du aufgetaucht bist, du blöder Hund."

Nun strafft sich Sesshomaru ein wenig und dann wirft er dem kleinen Kröterich einen frostigen Blick zu. "Du kannst von Glück reden, dass ich dich noch brauche", sagt er leise, "Es bereitet mir eben so wenig Vergnügen mich mit solch permanentem Gejammer abzugeben, und wenn ich nach meinem ersten Impuls handeln würde, kämst du weit früher in den Geschmack von der Lava geröstet zu werden, als dir lieb ist. So solltest du dankbar sein, dass ich mir die Mühe mache dich bei diesem schweren Unterfangen überhaupt mitzunehmen. Jedes zusätzliche Gewicht ist nämlich ein Risiko und ich werde meine ganze Konzentration dafür benötigen, also wäre es hilfreich wenn du für eine Weile ganz und gar nichts mehr sagst, verstanden?"

Trotzig funkelt Doro ihn an. "Pff, ich hatte dich ja gewarnt, dass es hier für dich unangenehm wird, aber du wolltest ja nicht hören. Also beschwere dich nicht. Ich weiß zwar nicht was du hier eigentlich willst, aber es muss ja wichtig sein, wenn du so wild darauf bist, dich immer wieder umzubringen."

Der Daiyoukai versteift sich. Sein Blick wird hart. "Ich werde nicht sterben!", sagt er fest, "Nicht hier und nicht so! Und erst recht nicht gebe ich meine Mission auf! Ein Scheitern ist keine Option!"

Mit diesen Worten packt er Doro am Genick, und noch ehe der Krötenyoukai weiß wie ihm geschieht, stößt der Daiyoukai sich entschlossen mit aller Kraft vom Boden ab und schwebt über dem glühenden Lavastrom dahin, hinüber zur anderen Seite.

Die Strecke erscheint wesentlich weiter als angenommen und Sesshomaru spürt wie ihm bereits vor Hitze und Anstrengung die Schweißperlen auf die Stirn treten. Verdammt, es wäre doch gelacht, wenn er diesen kleinen Katzensprung nicht überwinden könnte. Es ist nur eine geradezu lächerliche Entfernung und doch fordert ihm die Anstrengung alle Kraftreserven ab, die er noch hat. Ihn überkommt das gleiche Gefühl wie schon oben am Tor. Ein Gefühl der vergeblichen Anstrengung und des Versagens. Bereits sinken sie tiefer mit jedem Stück Strecke das überwunden wurde. Es sind vielleicht noch knapp fünf Schritt Weg, und für einen kurzen Moment zuckt der Gedanke durch Sesshomarus Kopf, dass sie es vielleicht doch nicht schaffen.

Sich der unmittelbaren Gefahr bewusst, ist der alte Torwächter nun dazu übergegangen, den Daiyoukai lieber doch anzufeuern. "Na los, nur noch ein paar Schritt!", ruft er besorgt, "Das schaffst du auch noch. Berühre nur auf keinen Fall die Lava! Du würdest es ewig bereuen. Noch ein bisschen, du hast es fast geschafft!"

Zwar weiß Sesshomaru nicht recht was er von Doros Warnung halten soll, doch der Wille sie zu befolgen, gibt ihm noch einmal Kraft für den letzten Rest der Wegstrecke. Mit letzter Kraft erreichen sie tatsächlich das rettende Ufer der anderen Seite, wobei es sich der Krötenyoukai nicht nehmen lässt, rasch in Sicherheit zu hüpfen, kaum dass das Ufer in seiner Reichweite ist. Die letzten zwei Schritte legt Sesshomaru allein zurück und als er endlich seinen Fuß wieder auf die Erde setzt, trennen ihn kaum ein paar Handbreit von den glühenden Lavamassen.

Doch niemand konnte vorhersehen was nun geschieht. Der Boden direkt am Ufer ist bröckelig und als der Fuß des erschöpften Daiyoukais ihn belastet, bricht eine Handbreit Erde weg und taucht zusammen mit dem Fuß des Westfürsten in den Lavastrom ein.

Wenn Sesshomaru schmerzhafte Hitze erwartet hatte, dann ist diese Vorstellung nur ein lächerlicher Abklatsch dessen was er nun wirklich empfindet. Kaum hat sein Fuß die glühenden Massen berührt, durchzuckt ein rasender Schmerz seinen ganzen Körper, als würde er augenblicklich bei lebendigem Leibe verbrennen. Und Sesshomaru erinnert sich nur allzu gut an diesen Schmerz. Erst kürzlich hat er ihn einen ganzen Tag erleiden müssen.

Vor namenloser Pein kurzzeitig völlig paralysiert, kippt er schwer nach vorne und fällt regungslos auf sein Gesicht. Sein Glück dabei ist, dass dadurch sein Fuß aus dem Strom gezogen wird. Er nimmt Doros Entsetzensschrei kaum wahr. Lediglich seine Instinkte, die in diesem Moment die Kontrolle übernommen haben, zwingen ihn dazu so hastig wie möglich den lavagetränkten Schuh von seinem Fuß zu reißen und von sich zu schleudern.

Nun macht sich das Brennen auch in seinen Händen breit und er registriert kaum wie sein gepeinigter Körper Fuß und Hände in den harten Erdboden rammt, um das glühende Brennen zu ersticken und den Schmerz irgendwie zu betäuben.

So verharrt er eine ganze Weile starr in dieser Position, bis ihm bewusst wird, dass der enorme Druck auf seiner Brust daher kommt, dass er die Luft anhält. Nur mit großer Selbstbeherrschung kann er seinem Körper befehlen wieder gegen den Schmerz anzuatmen. Und im gleichen Sinne wie seine Existenz wieder am Leben teilnimmt, stürzen jetzt wieder Bilder auf ihn ein, die versuchen ihm den Verstand zu rauben.

Noch immer ist Sesshomaru nicht in der Lage einen Muskel zu rühren oder nur einen Ton von sich zu geben und so gewährt er sich erneut den Luxus, eine Weile einfach nur still leiden zu dürfen.

Bekannte Gesichter tauchen auf vor seinem inneren Auge die ihn verhöhnen und verspotten, oder deren gequälte Schreie gnadenlos damit beginnen seine Seele in Fetzen zu reißen. Das alles sind zu Sesshomarus Glück nur bruchstückhafte Erscheinungen, kurz wie Wimpernschläge, sodass keines der Bilder in der Lage ist ihn lange zu peinigen, doch die immense Flut an quälenden Eindrücken reicht aus, um dem Daiyoukai kurzzeitig seine Sinne schwinden zu lassen.

Irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit lässt das Brennen allmählich nach und die Bilder verblassen zunehmend. Doch erst als das letzte Flackern verschwunden ist, kommt langsam wieder Leben in den Youkaifürsten. Mit zittrigen Armen bemüht er sich, sich aufzustützen und es verlangt ihm alles an Kraft ab, was er noch hat. Sein Gesicht ist weiß wie Kalk und die Goldfarbe seiner Augen ist einem blassen Gelb gewichen.

Aufgeregt hüpft Doro um ihn herum. Seine Miene ist fassungslos.

„Alles in Ordnung mit dir, Bursche?“

Benommen setzt Sesshomaru sich hin und fährt sich kraftlos mit der Hand über die schweißgetränkte Stirn.

„Ja, alles in Ordnung“, erwidert er matt. Eher beißt er sich die Zunge ab als zuzugeben, wie er sich tatsächlich fühlt.

Der alte Torwächter macht große Augen. „Bei allen Göttern! Ich dachte schon, du stehst nie wieder auf“, ruft er ungläubig. „Du bist `n verdammt zäher Hund, weißt du das eigentlich? Ich kenne kaum einen der die Qualen des Höllenstroms erdulden musste und hinterher wieder zur Besinnung gekommen wäre, geschweige denn sinnvolle Worte von sich gegeben hätte.“

Der Daiyoukai atmet einmal schwach durch. „Ich sagte doch bereits: Ein Scheitern meiner Mission ist keine Option.“

Doro schnaubt einmal verdrießlich aus. „Ja, das sagtest du wohl“, brummelt er verächtlich. „Wenn ich das sagen darf: Du hast offenbar mehr Glück als Verstand, du armer Irrer! Du kostest mich noch den letzten Nerv, wenn das so weitergeht.“

Nun geht Sesshomarus Blick hinab zu seinem geschundenen Fuß und auf seine Handflächen in denen noch immer der Schmerz nachbebt. Die Haut ist fast überall verbrannt und darunter kommt blutiges, krebsrotes Fleisch zum Vorschein. Es ist kein angenehmer Anblick und jede kleinste Bewegung schmerzt beträchtlich. Schweigend betrachtet Sesshomaru seine Verletzung. Schon lange hat ihm nichts mehr einen solchen Schaden zugefügt. Aber vermutlich herrschen hier in der Hölle ausschließlich solche Extreme, um es selbst einem Daiyoukai, dessen vorbestimmter Ort zur letzten Ruhe dies ist, so unangenehm wie möglich zu machen. Sesshomaru beißt die Zähne zusammen. Er wird sich damit abfinden müssen, wenn er je sein Ziel erreichen will.

Er schließt kurz die Augen und konzentriert sich auf seine Verletzung. Zunächst geschieht nichts, doch dann versiegen die Blutungen zusehends und über den bloßliegenden Muskeln bildet sich neue Haut. Sie ist voller unansehnlicher Narben und hat ein fleischiges Rot, doch sie wird ihren Zweck erfüllen.

Wieder muss Sesshomaru kurz erschöpft innehalten. Selbst das Heilen ist hier mit unglaublicher Anstrengung verbunden. Für einen kurzen Moment gehen seine Gedanken zu seinem Halbbruder. Er will lieber nicht daran denken, wie sich Inu Yasha in solch einer Umgebung schlagen würde. So hoch seine Meinung von seinem Bruder auch sein mag, vermutlich wäre er hier nicht einmal in der Lage sich vom Boden zu erheben.

Im Grunde ist Sitzenbleiben gerade ein äußerst verlockender Gedanke, doch den Luxus kann er sich leider nicht gönnen. Er hat schon viel zu viel Zeit an diesem Ort verschwendet.

Schwerfällig stemmt er sich in die Höhe und gibt sich dabei alle Mühe den sengenden Schmerz in seinem Fuß zu ignorieren. Verbissen erträgt er es und richtet sich stattdessen wieder zu seiner vollen Größe auf. Steif blickt er auf Doro hinab und fragt dann knapp: „ Welcher Weg nun?“

Ungläubig beäugt der alte Kröterich ihn. „Wie? Hat dir das hier etwa immer noch nicht gereicht? Soll das heißen, du willst immer noch weiter gehen?“

Kühl erwidert Sesshomaru seinen Blick. „Habe ich zu irgendeinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen lassen?“

Schmollend verschränkt Doro die Arme. „Ich wünschte, du hättest es“, grollt er. „Also schön. Hier entlang!“, er winkt ihm mit der dürren Hand und stampft dann los.

Innerlich ist Sesshomaru beinahe froh, dass der kleine Youkai es offenbar nicht sonderlich eilig hat. Sein Fuß schmerzt bei jedem Schritt und er muss sich zusammenreißen, um sich nicht die Blöße eines Humpelns zu geben.

Währenddessen ist der alte Torwächter nun dazu übergegangen, eifrig vor sich hinzuplappern, scheinbar um sich die Zeit ihrer sonst recht eintönigen Wanderung etwas zu vertreiben.

„Was man heute in meinem Alter so alles mitmachen muss. Jetzt spiele ich hier den Reiseführer für einen übereifrigen, selbstzerstörerischen Daiyoukai. Hat man dafür Worte? Aber weißt du, Kleiner, so langsam wächst du mir tatsächlich ans Herz. Ich weiß ja nicht was du hier eigentlich genau suchst, aber wer so hartnäckig ist wie du, der verdient es vermutlich Erfolg zu haben. Wollen wir mal hoffen, dass der Rest der Strecke nicht noch weitere Überraschungen parat hält, wa‘? Hätte ich gewusst was hier so alles los ist, hätte ich nie diese Strecke genommen. Bin ja nicht lebensmüde. Normalerweise ist das hier eine recht ereignislose und verhältnismäßig ungefährliche Gegend. Na ja, bis auf den Höllenstrom natürlich.

Früher war das übrigens noch `n normaler Lavastrom, aber irgendwann ist das Zeug da drin richtig eklig geworden. Der Fluss entspringt aus der Essenz des Fujiyamas, musst du wissen, und irgendwann ist da wohl mal irgend so ein Youkai reingefallen. Seit dem ist der Strom vergiftet, könnte man sagen. Scheußliches Zeug! Lässt einen Bilder sehen, die die Seele selbst angreifen. Gibt nicht viele die in der Lage sind, sich ihren eigenen Ängsten zu stellen.“

Hier horcht Sesshomaru unwillkürlich auf. Zunächst war ihm das Geplapper ganz recht, da es ihn von seinen Schmerzen ablenkt, aber nun bietet sich hier offenbar die Gelegenheit mehr über seinen geheimnisvollen Widersacher zu erhalten. Ob sein Gegner nun besagter Youkai aus dem Vulkan ist oder nicht, sei dahingestellt. Doch es scheint wohl klar zu sein, dass er zumindest mit ihm zu tun hat. Die Fähigkeiten sind sich zu ähnlich.

„Wie lange ist es her, seit dieser Youkai in den Fuji-san fiel?“, fragt er den Krötenyoukai.

„Was weiß ich?“, zuckt Doro mit den Achseln. „Der Verlauf von Zeit spielt für gewöhnlich in der Hölle keine Rolle. Alles hier ist für eine Ewigkeit in Qualen konzipiert. Aber ich schätze es ist schon ein Weilchen her.“

„Und was genau bewirkt diese Vergiftung?“, hakt Sesshomaru nach. Zu gerne möchte er genauer verstehen was diese sonderbare Fähigkeit mit ihm anstellt.

„Das sagte ich doch bereits“, antwortet Doro genervt. „Es lässt einen Dinge sehen und erleben, die den eigenen tiefsten Ängsten und Qualen entspringen. Und wenn man keinen wirklich starken Willen besitzt, dann verbrennen diese Bilder Stück für Stück die Seele, sodass schließlich nichts mehr von einem übrig ist als immerwährende, grenzenlose Pein, bis letztlich selbst der Körper zu Asche verbrennt. Je mehr Leid jemand erlebt hat, umso stärker ist die Qual und umso schneller geht es natürlich vonstatten. Es ist also von Vorteil, möglichst keinerlei derartige Gefühle zu besitzen.“ Schief blickt Doro Sesshomaru von der Seite an. „Ich schätze, das ist wohl auch der Grund warum du so glimpflich davongekommen bist, wa‘? Immerhin bist du ein Daiyoukai. Mit Gefühlen hast du vermutlich nicht viel am Hut.“

Sesshomarus Miene ist regungslos. „Vermutlich“, gibt er verhalten zurück. Dann verfällt er wieder in Schweigen.

Aufbruch

Als Inu Yasha zum Kampfplatz zurückkommt, wird er von Kagome und der Youkai Karashina bereits erwartet. Sie stehen ein wenig abseits und eifrig winkt Kagome ihren Freund zu sich. Mürrisch schlendert der Hanyou zu den beiden hinüber.

Als Kagome die tiefen Stirnfalten ihres Freundes sieht, sinken auch ihre Mundwinkel herab. „Du machst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Was ist denn los?“

„Das Gespräch mit Kagemori-sama lief offenbar nicht wie erhofft“, erlaubt sich nun Karashina zu vermuten.

„Keh!“, schnaubt Inu Yasha düster. „Das kann man wohl sagen!“

„Was hat er denn gesagt?“, will Kagome wissen. „Hat er gesagt, warum er hinter deinem Rücken gegen deine Befehle gehandelt hat?“

Nun zieht sich Inu Yashas Miene noch mehr zu. „Ich will jetzt nicht darüber reden!“, grollt er. „Und ich hab auch keine Zeit dazu. Ich muss jetzt nämlich sofort los und diesen verdammten Matsuba zurückholen.“

„Aber warum so plötzlich?“, fragt Kagome nun verwundert.

Ärgerlich hebt Inu Yasha den Kopf. „Erinnerst du dich an die Angelegenheit mit Raiuko?“, fragt er unwirsch.

Kagomes Augen weiten sich erschrocken.

„Darum!“, schnaubt Inu Yasha.

„Hat er etwa vor ihn umzubringen?“, fragt Kagome besorgt nach.

„Schlimmer noch!“, entgegnet Inu Yasha bitter. „Er versucht mit ihm zu verhandeln. Mal abgesehen, dass er ihn wahrscheinlich eh nicht töten könnte, wenn ich nach dem gehe was Sesshomaru widerfahren ist. Aber du weißt ja sicher noch wie das damals war. Ich weiß es noch recht lebhaft. Sesshomaru war ernsthaft bereit mich umzubringen, nur weil ich zugelassen habe, dass einer meiner Untergebenen sich abgesetzt hat um in einem fremden Reich Amok zu laufen.“

„Ich denk, er will ihn nicht umbringen?“, hakt Kagome verwirrt nach.

„Das ist überhaupt nicht der Punkt!“, braust Inu Yasha auf. „Als Fürst hab ich die Verantwortung für meine Untergebenen. Wenn einer sich selbstständig macht und meine Befehle ignoriert, fällt das auf mich zurück. Würde sich das Ganze nur in unserem Reich abspielen, dann wäre es egal. Dann kann er sich meinetwegen gern sein eigenes Grab schaufeln, aber wenn er dazu in das Reich des Nordens geht, sieht die Sache schon anders aus. Ich weiß ja nicht viel über die Gepflogenheiten eines Fürsten, aber wenn ich eine Sache aus dieser Geschichte mit dem Hohen Rat damals gelernt habe, dann ja wohl das! Es ist also meine Verantwortung und ich habe nicht vor, mich ihr zu entziehen, das habe ich Sesshomaru versprochen.“

Für einen Moment herrscht betretene Stille. Dann nickt Kagome langsam. „Ja, du hast Recht, ich verstehe. Dann lass uns am besten schnell aufbrechen!“

„Moment mal!“, unterbricht Inu Yasha sie nun. „Was soll das heißen: 'Wir'? Du bleibst selbstverständlich hier!“

„Das soll ja wohl ein Witz sein!“, stemmt nun ihrerseits Kagome den Arm in die Seite. „Natürlich komm ich mit. Wozu bin ich denn hergekommen?“

„Na weil...“, kommt Inu Yasha etwas ins Stocken. „So kann ich dich besser im Auge behalten und weiß genau wo du steckst.“

„Oh, das wird ja immer schöner!“, meint Kagome schnippisch. „Damit ich dir nicht in die Quere komme oder was?“

„Nein, das mein ich doch nicht“, rudert Inu Yasha etwas hilflos zurück. „Aber diesmal kann es wirklich sehr gefährlich werden. Ich will dich nicht unnötig in Gefahr bringen.“

Nun hellt sich Kagomes Miene auf und ein leichtes Lächeln liegt auf ihren Lippen. „Ach, Inu Yasha, du hast dir doch schon immer Sorgen um mich gemacht und auch wenn es brenzlich wurde, ist es doch immer gut ausgegangen, denn du beschützt mich doch. Und ich beschütze dich. Wir beschützen uns gegenseitig. Was kann denn da schief gehen?“

„Aber...“, Inu Yasha gerät nun doch ein wenig verzagt ins Stocken. „Aber ich mach mir nun mal Sorgen um dich. Wenn selbst Sesshomaru so zugerichtet wird, dann muss das ein wirklich starker Gegner sein.“

„Weißt du“, entgegnet Kagome sanft, „bisher haben nur Dämonen und Dämonenjäger gegen ihn gekämpft. Vielleicht hat eine Miko da ja mehr Chancen. Du wirst mich vermutlich gut brauchen können. Und so“, fügt sie nun neckisch hinzu, „weiß ich dann auch immer wo du steckst und ob du in Ordnung bist. Gleiches Recht für alle!“

Für einen Moment bleibt dem Hanyou die Sprache weg und er spürt wie unwillkürlich sich sein Puls beschleunigt. „Kagome...ich wollte...“, ringt er sich ab. Na los, so schwer ist das doch nicht!, schimpft er mit sich selbst. Jetzt oder nie!

„Ich wollte dich...“, setzt er noch mal an. Dabei wird ihm abwechselnd heiß und kalt. „Ich wollte dich... nicht kränken.“ Die totale Niederlage!

„Also schön. Du kannst mitkommen.“ Resigniert lässt der Hanyou den Kopf hängen.

Kagome strahlt. „Ausgezeichnet! Ich geh nur schnell meine Sachen packen.“

„Das wird nicht nötig sein“, meldet sich nun Karashina zu Wort. Sie klatscht dreimal leicht in die Hände und wie aus dem Nichts stehen plötzlich drei Dienerinnen vor ihnen und verneigen sich ehrerbietig.

„Richtet sofort das Reisegepäck von Inu Yasha-samas Gefährtin für einen mehrtägigen Erkundungsgang her und bringt es zum Haupttor. Und vergesst nicht für eine Menschenfrau zu packen.“

Sogleich nicken die drei folgsam und im nächsten Augenblick sind sie auch schon aufgesprungen und wieder spurlos verschwunden.

„Verzeiht mir, die Eigeninitiative, mein Fürst, aber so wird es vermutlich am schnellsten gehen, wenn Ihr rasch aufzubrechen gedenkt.“

Noch immer etwas verwirrt blickt Inu Yasha sie an. „Ähm ja, vermutlich. Danke!“

„Oh, keinen Dank, Inu Yasha-sama“, wehrt die Frau züchtig ab, „Ihr beschämt mich. Ich tue lediglich meine Pflicht.“

„Na, wenigstens eine der das wichtig zu sein scheint“, brummt Inu Yasha.

„Zuviel der Ehre, mein Fürst“, die Frau senkt nun demütig den Blick. „Ich bin lediglich Eure untertänige Dienerin.“

„Lassen wir es dabei“, winkt der Hanyou müde ab. „Wir sollten jetzt gehen.“

Die Frau verneigt sich sittsam vor ihm.

„Nun komm schon, Inu Yasha!“, ruft Kagome. Sie ist bereits ein Stück vorausgegangen.

Inu Yasha seufzt tief. Er wirft Karashina noch einen letzten Blick zu und da ist es wieder dieses kaum merkliche Schmunzeln um ihre Mundwinkel, das er einfach nicht deuten kann.

„Was denn?“, will er ein wenig trotzig wissen. „Wer hätte da noch etwas gegen sagen können?“

Das Schmunzeln nimmt noch ein wenig zu. „Oh, seid unbesorgt, mein Fürst“, entgegnet sie mild. „Von mir werdet Ihr keine Kritik zu hören bekommen.“

„Na, wenigstens etwas!“, brummt der Hanyou missmutig und dann macht er sich rasch daran seiner Freundin zu folgen.
 

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Schmerz! Das ist das erste was Samushi wahrnimmt als er wieder zu sich kommt. Scheußliche Schmerzen in jedem einzigen Körperteil. Er kommt sich vor wie durch die Mangel gedreht und bringt es nicht einmal fertig auch nur einen Finger krumm zu machen. Er kann sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so paralysiert von purem Schmerz gewesen ist. Wie zum Teufel ist er bloß in so eine beschissene Verfassung geraten? Diesbezüglich lässt ihn gerade sein Gedächtnis schmählich im Stich.

Auf einmal vernimmt er neben sich eine mürrische Frauenstimme. „Na, endlich wieder wach, du Vollidiot?“

Samushi verzieht genervt das Gesicht, was allein schon in ihm eine neue Welle an Schmerz auslöst. „Jetzt weiß ich zumindest schon mal wo ich bin“, nuschelt er gereizt.

„Wundert mich überhaupt nicht, dass dein kümmerliches Hirn dir ein paar Aussetzer beschert, so zermust wie du hier angekommen bist“, kommt es flapsig von Ki-sensei.

Mühsam wendet Samushi sein Gesicht in ihre Richtung. Dabei fühlt es sich an, als versucht jemand ihm den Kopf abzudrehen. Die Heilerin hockt ein Stück entfernt von ihm auf einem kleinen Felsbrocken und behält ihn wachsam im Auge. Dabei wirft sie ihm einen äußerst geringschätzigen Blick zu.

„Spar dir deine blöden Bemerkungen!“, brummt er schwerfällig. „Du machst deinen Job, ich meinen.“

„Ach“, kommt es gehässig, „Ist es neuerdings dein Job dich von einem übermächtigen Gegner zerlegen zu lassen?“

In Samushis Schädel brummt es als wollte er jeden Moment platzen. Er kann sich einfach nicht konzentrieren. „Keine Ahnung. War es so?“, gibt er verstimmt zurück.

„Woher soll ich das denn wissen?“, gibt sie schnippisch zurück. „Als wenn mir mal irgendwer was erzählt was ihr so treibt. Ich darf euch hinterher nur wieder zusammenflicken. Aber so wie du zugerichtet warst, musst du wohl endlich deinen Meister gefunden haben.“

„Ach, halt die Klappe!“, brummt er und versucht sich aufzusetzen. Dadurch lassen zwar die Kopfschmerzen ein wenig nach, aber dafür dreht sich nun alles vor seinen Augen. Seine Hand fährt schwach über sein Gesicht. „Wo sind die anderen?“ Der Gedanke kommt ihm nun wage, dass er nicht allein war.

Es dauert nun einen Moment ehe die Heilerin antwortet. „Itakouri hat sich Yarinuyuki-sama angeschlossen, als das Heer heute morgen ausgerückt ist. Man sagte mir nicht wohin, aber ich nehme an, da es direkt nach Itakouris Bericht über euer kleines Abenteuer war, dass es etwas mit dem zu tun hat, der dich so plattgemacht hat.“

Angestrengt bemüht sich Samushi darum, die Erinnerungen an die vergangenen Ereignisse zurückzurufen. Doch es gelingt ihm nicht. „Und wo ist Kegawa?“

Wieder dauert es einen Moment ehe Ki-sensei antwortet. „Itakouri kam nur mit dir zurück. Ich schätze wenn Kegawa noch leben würde, wäre er jetzt wohl hier.“

Urplötzlich mach das gepeinigte Herz des Youkais einen schmerzhaften Satz. Ungläubig weiten sich seine Augen, als er versucht das Gehörte zu realisieren. „Was soll das denn heißen?“, grollt er nun wachsam in ihre Richtung.

Unbeeindruckt hockt die Youkai da. „Das heißt, dass er vermutlich tot ist.“

Wieder flammt der Ärger in Samushi auf und im nächsten Moment packt er einen Wasserkrug neben seinem Bett und schleudert ihn in ihre Richtung. Doch scheinbar hat sie damit gerechnet, denn sie weicht dem Wurfgeschoss mit einer kleinen galanten Bewegung aus, so dass es hinter ihr an der Wand zerschellt.

„Nein!“, schnauft Samushi, „Das kann unmöglich sein!“

„Sag du es mir!“, entgegnet sie herausfordernd. „Du warst ja wohl schließlich dabei.“

„Du kannst mich mal!“, schreit Samushi sie an. Wieder fliegt ein improvisiertes Wurfgeschoss zu ihr herüber. Diesmal ist es eine Schüssel.

„Nicht doch, nicht doch“, erwidert sie zynisch, nachdem sie wieder flink aus dem Weg gesprungen ist und die Schüssel hinter ihr an der Wand zerplatzt. „Das gehört sich aber überhaupt nicht.“

„Ist mir scheißegal!“, faucht Samushi; diesmal bekommt er einen Hocker zu fassen.

„Was ist mit ihm passiert, hmm?“, kommt es nun schnippisch von der anderen Seite des Raumes. Wieder ist sie unmenschlich flink ausgewichen. „Habt ihr Euch wieder in Schwierigkeiten gebracht und Kegawa durfte diesmal den Preis bezahlen? Lass mich raten, du hast sie wieder reingeritten, oder?“

In diesem Augenblick schwillt der Schmerz in Samushis Kopf wieder an und für einen Moment ist sein Brustkorb wie gelähmt; er bekommt keine Luft mehr. Hilflos presst er sich die Fäuste gegen die Augen um die Starre von sich zu lösen und der Qual Einhalt zu gebieten. Und nun, als wäre der Damm gebrochen, prasseln die ganzen Erinnerungen der vergangenen Ereignisse wie Peitschenhiebe auf ihn ein. Er erinnert sich an alles und ein unwillkürliches Keuchen entfährt ihm.

„Ich habe Recht, oder?“, setzt die Heilerin ungerührt nach. Ihre Worte schmerzen wie Nadelstiche.

„Halt die Schnauze!“, keucht Samushi, das Gesicht in den Händen vergraben.

„Ich hab's dir immer gesagt“, fährt die Youkai gnadenlos fort, „irgendwann wird deine schwachsinnige Kampfverliebtheit mal jemanden das Leben kosten, der dir was bedeutet.“

„Du sollst dein verdammtes Maul halten!“, schreit Samushi nun voll inbrünstigem Ärger, dabei starrt er sie wütend aus eisblau funkelnden Augen an.

Doch die Heilerin verzieht keine Miene. „Krieg dich mal wieder unter Kontrolle, ja?“, meint sie trocken. „Man könnte ja meinen, ihr beide hattet was miteinander.“

Ein wildes Knurren schwillt nun in Samushis Brust an und trotz der Verletzungen und Schmerzen kämpft sich der nur noch mit Lendenschurz bekleidete Youkai von seinem Lager hoch und schlägt grimmig aber unbeholfen mit seiner Klaue in ihre Richtung, verfehlt sie aber um Längen.

Die Heilerin hockt noch immer regungslos auf einem kleinen Tischchen und lässt ihn nicht aus den Augen, während er torkelnd auf sie zukommt. „Hmmm, ins Schwarze, was? Wie ist das gelaufen? Habt ihr euch gegenseitig bestiegen, oder war er nur dein Uke?“

Ein Jaulen entfährt Samushi, dann packt er einen größeren Holzscheit vor sich und schleudert ihn mit voller Wucht in ihre Richtung. Geschmeidig duckt sie sich darunter hinweg und geschwind wechselt sie zur anderen Seite des Raumes.

„Halt dein widerliches Maul, klar?“, schnaubt Samushi nun ernsthaft mordlüstern. „Du hast doch nicht die geringste Ahnung!“ Wütend packt er einen kräftigen Holzprügel der neben ihm liegt und kommt nun grimmig auf die Heilerin zu.

Doch jetzt blitzt es kurz in ihren Augen auf, und dann vollführt sie aus dem Stand heraus einen grazilen Salto auf ihn zu, landet auf seiner Keule und reißt diese damit aus seiner Hand und zu Boden. Und noch ehe der angeschlagene Youkai reagieren kann, zieht sie mit beiden Händen seinen Nacken herunter, rollt sich über seinen Rücken, wobei sie seine Arme packt, unbarmherzig nach hinten biegt, und fegt ihm letztlich noch mit einem unbarmherzigen Tritt die Knie weg, so dass er mit auf dem Rücken fixierten Armen unsanft auf dem Hüttenboden zu liegen kommt, und sie sich gnadenlos auf seine Schulterpartie setzen kann, mit ihren Beinen links und rechts neben seinem Kopf und ihn ohne Mitleid zu Boden presst. Samushi schnauft heftig auf vor Schmerz, Ärger und Anstrengung, doch der gemarterte Youkai kann sich nicht mehr rühren.

Nun neigt sich Ki-sensei langsam zu ihm hinab und raunt ihm ins Ohr: „Doch, ich verstehe sehr gut.“ Ihre Stimme klingt nun etwas milder. „Ich verstehe, mehr als du denkst.“

Samushi fletscht die Zähne.

Mit einer Hand hält sie seine Arme noch immer in ihrer Position fest, die andere legt sie nun sanft auf sein Haupthaar. Wärme dringt von ihren Handflächen durch seine Haut und die bohrenden Kopfschmerzen nehmen nun langsam ein wenig ab. Wieder neigt sie sich zu ihm herunter. „Kegawa hat mir alles erzählt. Ich glaube du warst die wichtigste Person in seinem Leben. Dein Verlust tut mir aufrichtig leid, Otouto (jüngerer Bruder)!“

Nun entfährt dem aufgebrachten Youkai unter ihr ein langezogenes Schnaufen und langsam sackt er kraftlos unter ihr zusammen. Sein Blick geht nun starr in die Ferne.

Nun erst wagt sie es ihren Griff an seinen Armen zu lockern, doch der erschöpfte Youkai stellt keine Gefahr mehr da. Entschlossen fasst sie nun unter seine Achseln und hievt ihn wieder hinüber auf die zerwühlte Lagerstätte. „Ich musste dich leider ein wenig reizen, Bruder. Ich musste sichergehen, dass das Blutsiegel an deinem Herzen hält und deine Lebensenergie zurückkehrt. Du kannst wirklich von Glück reden, dass wir das gleiche Blut teilen. Jemand anderen hätte ich so vermutlich nicht mehr retten können.“ Bedächtig breitet sie die Decke wieder über ihm aus, doch der Youkai beachtet sie gar nicht. Ihre Mundwinkel sinken ein wenig herab.

„Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis du wieder völlig hergestellt bist“, sagt sie mild. „Am besten bleibst du solange hier. Es gibt verschiedene Arten von Wunden, und die tiefen brauchen immer am längsten.“ Sie streift einmal fast wie beiläufig über seine Brust. „Solange Lebensenergie in dir ist, solange wird das Blutsiegel halten, also verliere sie besser nicht.“

„Ich hasse dich!“, murmelt der verletzte Youkai.

„Damit kann ich leben“, erwidert sie gelassen. „Solange du noch hassen kannst, bist du noch nicht tot.“

Noch immer blickt der ehemalige Streuner apathisch drein. Kraftlos legt er sich die Hand auf die Brust. „Es schmerzt hier so sehr. Meinst du durch meinen Ausbruch hat sich das Siegel gelöst?“

Die Heilerin legt kurz den Kopf schief. „Nein, du Volltrottel, bestimmt nicht“, antwortet sie schließlich ruhig.

„Aber es tut echt verdammt weh“, raunt Samushi kraftlos. „Was kann das sein?“

Wieder schweigt die Heilerin eine Weile und für einen Moment bekommt ihr mürrischer Blick etwas Weiches. „Das erkläre ich dir ein andermal. Im Augenblick ist es wichtig, dass du wieder zu Kräften kommst. Du wirst mir hier nämlich jede Pfütze und jeden Splitter wieder wegräumen, damit das klar ist, du Vandale!“

Samushi schließt die Augen. „Unsere Mutter hätte dich gleich nach der Geburt ersäufen sollen, weißt du das, Ki?“

Die Heilerin verzieht keine Miene. „Ging nicht, der See war grade zugefroren, und jetzt halt den Mund und versuch ein bisschen auszuruhen. Je schneller du wieder fit bist, um so schneller kommst du hier wieder raus und ich muss dein ungehobeltes Benehmen und deine hässliche Visage nicht mehr ertragen.“

Doch Samushi antwortet nicht. Mit halb geschlossenen Augen liegt er nur da und rührt sich nicht mehr.

Die Heilerin mustert ihn noch ein wenig und ihr Gesicht spiegelt nun leichte Besorgnis wieder. Sie hatte schon immer ein gutes Gespür dafür gehabt, wenn sich etwas anbahnte und bei dem Gedanken in welcher Verfassung sich ihr Bruder gerade befindet, kribbelt es sie am ganzen Körper. Etwas Großes wird geschehen, und es wird nichts Angenehmes sein. Vielleicht hätte ihre Fürstin doch nicht so überstürzt aufbrechen sollen. Es ist gut möglich, dass sie schon bald ihre Hilfe benötigen werden und zwar genau da wo sie jetzt sind.

Ohne länger zu überlegen beginnt sie routiniert damit ihre Heilertasche zu packen. Sie lebt schon viel zu lange, als dass sie solch einer starken Ahnung nicht sofort Folge leisten würde. Sie löscht still das Licht und blickt noch einmal zu ihrem Patienten hinüber. Er wird ohne sie auskommen müssen, sie kann ohnehin nicht mehr für ihn tun. Dann schließt sie leise die Tür hinter sich und macht sich daran einem unbekannten Schicksal ihres Clans entgegenzugehen.
 

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Durch einen blassen Schleier aus Nebel scheint die Mittagssonne auf eine weite Ebene im Norden herab und beleuchtet fahl ein schauriges Bild. In der weiten Talsenke, gastierte vor noch nicht allzu langer Zeit ein größeres Menschenheer. Nun ist die Gegend verlassen und erschreckend still. Die meisten Zelte sind heruntergebrannt und der Rauch von versenktem Holz und Tuch zieht mit einer leichten Brise davon. Dazu gesellt sich der immer ärger werdende Gestank von Blut und verrottendem Fleischüberresten. Ein wahrlich trostloser Anblick.

Gerade treten unvermittelt fünf Personen aus dem Waldstück, das auf einer Anhöhe dahinter beginnt. Es sind Matsuba und seine vier Begleiter. Es dauert nicht lange bis sie die grausigen Überreste des Heeres entdeckt haben.

Matsuba rümpft angewidert die Nase. Der Gestank des Todes ist geradezu unerträglich. Seine Leibwächter sehen kaum weniger angeekelt aus.

Schließlich schüttelt der Hofmeister des Westpalastes seine Benommenheit ab. „Wer hat die Marke gesetzt?“, richtet er die Frage an den großen, hageren Youkai neben sich.

„Nach dem Wachplan müsste es Yuushigaku sein, Herr“, gibt dieser bereitwillig Auskunft.

Der höhergestellte Youkai senkt kurz den Blick und richtet die Aufmerksamkeit seiner Sinne auf die Umgebung. Schließlich hebt er den Kopf wieder. „Dort drüben!“, weist er in eine Baumkrone nahe des Waldesrandes. „Yuushigaku!“, ruft er streng. „Es ziemt sich gar nicht einen Vorgesetzten warten zu lassen.“

Nun kommt Bewegung in die Zweige des Baumes. Fast als würde nun ein Schleier von ihm abfallen, gibt das was zuvor nur Geäst war nun den Blick auf einen schlanken, hellhaarigen Youkai frei. Grazil springt er sogleich vom Baum herab und landet geschickt vor dem Ratsmitglied auf einem Knie.

„Verzeiht, Herr!“, neigt er ergeben den Kopf. „Ich war überrascht Euch hier anzutreffen und wollte erst sicher gehen, dass wir von der anderen Seite der Grenze nicht von Wachposten beobachtet werden. Aber wie es aussieht, sind hier schon länger keine mehr vorbeigekommen.“

„Das wundert mich gar nicht“, rümpft Matsuba erneut die Nase. „Der Gestank hier ist auch nicht zu ertragen. Was ist hier vorgefallen?“

„Ich war nicht hier zu dem Zeitpunkt“, gibt der Späher ein wenig kleinlaut zu, „Ich stieß durch reinen Zufall auf die Fährte des Fremden. Er hatte seine Spur gut getarnt. Als ich hier eintraf, war er schon drüben.“

„Hattet ihr nicht den klaren Auftrag ihn ohne Unterlass im Auge zu behalten?“, tadelt Matsuba streng. „Wie konnte er euch da entwischen?“

„Ich kann es mir auch nicht erklären“, erwidert Yuushigaku schuldbewusst. „Er tarnt seine Aura fast perfekt und seine Fährte war meist sprunghaft und fast willkürlich. Wir haben ihn immer wieder aus den Augen verloren. Erst hier konnte ich ihn wieder aufspüren, habe ihn jedoch leider verpasst. Aber dies ist die Stelle an der der Fremde die Grenze überquert hat. Ich nehme darum an, dass er für dieses Blutbad verantwortlich ist.“

„Kaum anzunehmen“, entgegnet Matsuba, „Ein einzelner Youkai kann nicht in solch kurzer Zeit so großen Schaden anrichten. Sicher wird hier kurz zuvor eine Schlacht stattgefunden haben. Er wird lediglich dazu gestoßen sein.“

„Das erscheint mir nicht so, Herr“, wagt der Wachposten zu erwidern. „Nur die Banner eines Heeres sind vorhanden. Entweder haben sich die Soldaten untereinander umgebracht, oder sie wurden von etwas überrascht dem sie nichts entgegenzusetzen hatten.“

„Das feindliche Heer wird weitergezogen sein. Eine einfache Erklärung“, entgegnet Matsuba.

„Aber hier liegen nicht mal Leichen, nur einzelne Fleischstücke“, kommt einer seiner Leibwächter, ein schmaler, drahtiger Youkai mit geflochtenem Zopf, dem Späher zur Hilfe.

Ein verächtliches Schnaufen ist vom Hofmeister des Westpalastes zu vernehmen. „Sesshomaru-sama erwähnte, dass der Youkai Menschen verschlingt um Energien zu sammeln. Sicher wird er hier ähnliches versucht haben und die übrigen Soldaten sind geflohen. Menschen sind ja so furchtbar schreckhaft.“

Die Begleiter werfen sich unauffällige Blicke zu, sagen jedoch nichts mehr dazu. Sie treffen jedoch den Entschluss, was diesen ominösen Youkai angeht, sehr auf der Hut zu sein.“

„Nun“, richtet Matsuba sich geschäftig auf, „gehen wir unserer Pflicht nach und spüren ihn auf. Sottokawa, Shida! Geht, findet seine Spur. Unsere Mission duldet keinen Aufschub.“

Der große, hagere Youkai und sein Kamerad mit dem Zopf nicken kurz, dann eilen sie davon um einen Hinweis über den Verbleib ihres Ziels zu finden.

„Also los!“, setzt sich Matsuba in Bewegung, direkt auf die verwüstete Ebene zu.

„Überqueren wir die Grenze?“, meldet sich jetzt Yuushigaku noch einmal zu Wort. „Hat Sesshomaru-sama das genehmigt?“

Nun bleibt der Hofmeister noch einmal stehen und wendet sich mit verärgerter Miene dem Wachposten zu. „Unterstellst du mir ich würde ohne Auftrag die Grenze eines befeindeten Reiches überqueren?“

Der Youkai duckt sich ehrerbietig zusammen. „Natürlich nicht, Matsuba-sama.“

„Außerdem“, fügt dieser nun geringschätzig hinzu, „gilt im Augenblick Sesshomarus Halbbruder Inu Yasha als Fürst des Westclans. Sesshomaru selbst ist derzeit unabkömmlich. Aber das konntest du natürlich nicht wissen.“ Erhobenen Hauptes schreitet er nun hinunter in des flache Tal und die drei übrigen Youkai folgen ihm, wenn auch ein wenig verhalten.

Während sie die Ebene überqueren die die Grenze zum Nordreich bildet, kommen sie an zahlreichen Zelten, Waffen, Rüstungen und allerlei anderem für Reisen gedachten Hausrat vorbei, ebenso wie an reichlich Blutlachen und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Körpern. Wachsam beobachten die drei Leibwächter die Umgebung. Viele der Zelte sind brutal auseinandergerissen worden, Planen zerfetzt und Stangen zertrümmert. Rüstungen sind eingedellt oder schlicht an ungesunden Stellen zerteilt worden. Kaum etwas lässt auf ernsten Widerstand schließen. All das macht hier den Eindruck als wären die Männer überrascht worden und hätten nicht einmal die Zeit gefunden um etwas dagegen zu unternehmen.

Je tiefer die vier in das Trümmerfeld hineingeraten, umso schlimmer wird der Verwesungsgestank sowie auch der Geruch eines Dämonenhundes und die Überbleibsel einer erschreckend boshaften Aura die immer mehr auf sie herabdrückt. Was ebenfalls zunimmt ist die Anzahl der Knochen die, wild verstreut herumliegen. Die Frage wohin die Soldaten verschwunden sind, scheint sich immer mehr zu klären. Selbst der Hofmeister des Westpalastes ist nun recht still geworden.

Auf einmal machen sie zwischen all der Verwüstung eine aufschlussreiche Entdeckung. Hier wo anscheinend ein großer Topf mit Wasser umgekippt ist, kann man deutlich einen beträchtlich großen Fußabdruck im halb getrockneten Schlamm erkennen. Er misst beinah zwei Schritt.

Matsubas Miene hellt sich ein wenig auf. „Seht ihr, was habe ich gesagt. Gemessen an der Pfote könnte man unseren Gegner auf etwa zehn bis fünfzehn Meter schätzen. Dies ist nicht wesentlich größer als Sesshomaru-sama selbst misst. Die ganze Angelegenheit hat also noch eine überschaubare Brisanz. Wir können also zuversichtlich sein, unsere Mission erfolgreich zu beenden.“

Mit einem leichten Wink weist er die drei an ihm weiter zu folgen, und auch wenn seine Begleiter auf Grund von langjähriger Kampferfahrung seine Zuversicht nicht unbedingt teilen, so sind sie ihm immer noch zum Gehorsam verpflichtet und folgen ihm bereitwillig.

Gerade tauchen von der Seite her die anderen beiden Leibwächter wieder auf und erstatten Bericht. „Er hat die Grenze vermutlich gestern passiert und das Nordreich betreten. Der Spur ist gut zu folgen diesmal, aber wir haben auch Fährten von Kita-aitsu (Youkai des Nordens) gefunden. Sie scheinen ihm ebenfalls zu folgen, wir sollten versuchen nicht entdeckt zu werden um nicht unnötig Kämpfe zu provozieren.“

Einer der Leibwächter, ein schlanker Youkai mit blassem Gesicht und silbergrauen langen Haaren, nickt einmal kurz. Er schließt die Augen und murmelt kurz etwas. Dann vollführt er eine kurze Handbewegung in die Runde und sogleich verblassen die Gestalten seiner Kameraden und das getäuschte Auge vermag nur noch einen leicht flimmernden Schemen in der Umgebung wahrzunehmen. So getarnt machen sie sich wieder auf den Weg, immer der Spur ihres Gegners folgend.

Unterwegs

Eine ganze Weile wandern Sesshomaru und sein unfreiwilliger Begleiter nun schon schweigend einen Pfad entlang der sie durch zunehmend felsiges Gebiet führt. Um sie her türmen sich jetzt immer mehr Steinformationen auf und der Weg beginnt nun des Öfteren anzusteigen und wieder abzufallen. Diese hügelige Einöde wirkt so leer und kahl wie alles hier. Nur hin und wieder säumt der eine oder andere Dornenbusch ihren Weg. Der alte Krötenyoukai wird nun zunehmend nervöser. Schließlich, als sie erneut eine Anhöhe erreichen, von der man die Gegend im Umkreis ein ganzes Stück überblicken kann, bleibt er stehen. Vor ihnen liegt, über eine gewaltige Ebene verteilt, wie ein unüberschaubares Labyrinth, ein großer, zerklüfteter Canyon, in dessen Felsspalten am Grund große Mengen dieser Dornenbüsche wachsen.

Er weist auf einige Gebirgsausläufer die in der Ferne gerade noch aus dem rötlichen Dunst hervorragen. „Dort hinten müsste das Revier der Höllenhunde sein. Ich habe dich schon viel weiter gebracht, als ich eigentlich vorhatte. Ich schätze den Rest der Strecke findest du auch alleine. Geh einfach diesen Felskamm entlang.“ Er zeigt mit dem Finger auf einen schmalen Pfad der sich am äußersten Rand des riesigen Canyons entlangwindet.

Der Daiyoukai folgt seinem Fingerzeig mit den Augen und dann schürzt er leicht die Lippen.

„Gibt es keinen direkten Weg dorthin? Dieser Pfad kostet mich gewiss mehrere Tage.“

Etwas unbehaglich verzieht Doro das Gesicht. „Nun ja, es mag einen direkten Weg geben, aber ich denke nicht, dass du den gehen willst.“

„Und weshalb nicht?“, fragt Sesshomaru unwirsch.

„Weil dieser Weg vermutlich mehr Zeit kostet als der Pfad außen herum“, gibt Doro nicht minder flapsig zurück.

„Wie kommst du darauf?“, hakt Sesshomaru weiter nach.

Der alte Torwächter macht ein verdrießliches Gesicht. „Ein einfaches ‚weil ich es sage‘ genügt dir wohl nicht, wa‘? Tss, diese Jugend heutzutage! Keinen Respekt mehr vor dem Alter! Na schön, also die Schluchten in der Felsenebene sind fast vollständig mit Dornenranken überwuchert und bis du dich da hindurch gekämpft hast, in deiner momentanen Verfassung, vergehen sicher auch einige Tage. Abgesehen davon…“, er zögert kurz, „soll es da unten auch noch einen Wächter geben. Zumindest wird das behauptet. Bisher ist kaum je einer von dort unten wieder herausgekommen. Sei also ein kluger, kleiner Youkai und hör auf das was dir ein alter Mann sagt, ja?“

Der Youkaifürst sinnt einen Moment angestrengt nach. Es wäre vermutlich, gemessen an den Umständen hier, ratsam den einfachen Weg zu nehmen, auch wenn ihm der Gedanke noch mehrere Tage hier zu verbringen, gar nicht behagt. Schließlich ringt er sich zu einer Entscheidung durch.

„Also gut. Wir werden den Umgehungspfad nehmen“, beschließt er.

„Du missverstehst mich“, stellt Doro nun ernsthaft klar. „Du wirst diesen Weg mal schön alleine gehen. Ich habe dich weit genug geführt, und ich muss mich langsam mal um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Wenn du dem Pfad folgst, dann kommst du direkt bis zum Fuße des Gebirges. Von da findest du auch alleine weiter. Du brauchst mich also nicht mehr.“

Sesshomarus Miene verfinstert sich. Schon will er etwas erwidern, doch dann hält er inne. Schließlich entspannt er sich wieder.

„Geh!“, meint er knapp. „Kümmere dich um das Tor!“ Doch fügt er noch hinzu: „Aber wenn ich zurückkehre, stell dich besser darauf ein, mich gleich hindurch zu lassen. Anderenfalls wird dein nächster Weg umsonst gewesen sein.“

Mit biestiger Miene funkelt Doro ihn an. „Ich werde es mir merken, du Vandale! Hoffentlich hast du bald erledigt weshalb auch immer du hergekommen bist. Ich bin erst wieder froh, wenn du wieder für eine lange Zeit im Diesseits verschwindest.“ Mit diesen Worten dreht sich der alte Kröterich um und hüpft dann ein wenig schwerfällig von dannen.

Sesshomaru bleibt allein zurück. Dann reckt er einmal mehr würdevoll das Kinn, und ohne seinem schmerzenden Fuß Achtung zu zollen, schlägt er den schmalen Bergpfad ein und schreitet unbeirrt voran.
 

- - -
 

Hastig trappeln Inu Yashas bloße Füße über den weichen Waldboden dahin. Die Tatsache, dass er seine Freundin samt ihrem Gepäck auf dem Rücken trägt, scheint ihn dabei nicht sonderlich zu behindern. Sie waren schon ein wenig überrascht gewesen, dass sie Kagomes Rucksack ordentlich mit Reisezeug und Proviant gepackt bereits am Haupttor vorfanden, obwohl seit dem Befehl kaum drei Minuten vergangen sein mochten. Nach dem Kagome sich kurz vergewissert hatte, dass nichts Wesentliches fehlte, machten sie sich schon auf den Weg Richtung Norden, immer auf der Fährte des 'Abtrünnigen'. Sie haben keine rechte Vorstellung wie lange die Reise dauern wird, doch es ist ihnen klar, dass sie keine Zeit verlieren dürfen. Der Hanyou folgt unbeirrt seiner Nase und lässt sich durch das zusätzliche Gewicht nicht weiter beirren.

Die Spur führt direkt durch den nahen Wald. Gerade taucht vor ihnen eine größere Lichtung auf. Der Hanyou verlangsamt irritiert seinen Lauf, als er die freie Fläche betritt. Irgendetwas hier fühlt sich unbehaglich an, wie ein kalter Hauch der nicht vom Wind her rührt. Er sieht sich kurz um. Auf dieser Lichtung wächst nichts. Keine Bäume, Sträucher oder nur Gras. Vereinzelt sieht er ein paar kleinere tote Tiere herumliegen, mehrere Mäuse und einige Eichhörnchen. Aber sonst ist kein Lebewesen auszumachen. Eine unheimliche Stille liegt über dem Platz.

Behutsam zieht Inu Yasha die Luft ein. Er scheint für einen Moment zu überlegen, dann strafft er sich wieder und sprintet weiter.

Kagomes neigt den Kopf zu ihm. „Was war das gerade?“, fragt sie ein wenig beklommen. „Eine düstere Aura hing über dem Platz.“

„Ich hab keinen Schimmer“, antwortet Inu Yasha, „Und irgendwie möchte ich auch gar nicht darüber nachdenken.“

Für einen Moment schweigt Kagome, dann fragt sie erneut: „Wenn du Matsuba gefunden hast, was wirst du dann tun?“

„Darüber möchte ich eigentlich auch nicht nachdenken“, brummt Inu Yasha verstimmt.

„Du wirst wohl nicht drum herumkommen“, gibt Kagome zu bedenken. „Hast du wirklich vor ihn zu töten?“

„Wenn ich nicht drum herumkomme, dann ja“, gibt Inu Yasha sarkastisch zurück.

„Das ist eigentlich sonst nicht deine Art“, erwidert Kagome etwas besorgt.

„Sonst bin ich ja auch nicht für einen ganzen Youkaiclan verantwortlich“, brummt Inu Yasha verstimmt.

„Du nimmst das wirklich ernst, wie mir scheint“, bemerkt Kagome verwundert.

Zunächst antwortet Inu Yasha nicht. Dann sagt er: „Ich hab es Sesshomaru versprochen. Es kommt selten genug vor, dass er sich auf mich verlässt. Was hab ich also für eine Wahl?“

„Du möchtest ihn nicht enttäuschen“, stellt Kagome anerkennend zurück. „Das verstehe ich.“

„Ehrlich?“, entgegnet Inu Yasha. „Ich versteh es nämlich gar nicht.“

„Ist das so schwer zu verstehen?“, erwidert Kagome. „Er ist dein großer Bruder. Er ist stark, unerschrocken, zielstrebig und konsequent. Es ist nur logisch, dass du ihn ein wenig bewunderst.“

„Bewundern?“, entrüstet sich Inu Yasha. „Ich? Ihn? Keh, das ist ja wohl lächerlich! Wenn ihn hier offenbar einer bewundert, dann ja wohl du.“

„Ich?“, empört sich Kagome. „Wie darf ich denn das bitte verstehen?“

„Wie soll ich das denn verstehen“, entrüstet sich seinerseits Inu Yasha, „wenn du hier abhebst mit 'Sesshomaru ist ja soo stark und soo mutig'!“

„Das hab ich so nicht gesagt“, schimpft Kagome, „und das weißt du genau!“

„Ja, aber wer weiß, ob du es so gemeint hast“, gnatzt Inu Yasha beleidigt zurück.

Danach herrscht eine Weile frostige Stille zwischen den beiden, während Inu Yasha stoisch weiterläuft. Schließlich nach einer ganzen Weile des Schweigens, verlangsamen sich seine Schritte bis er schließlich anhält.

Er lässt den Kopf hängen. „Es tut mir leid“, sagt er leise. Behutsam setzt er sie ab und dreht sich zu ihr um. „Manchmal sind meine Instinkte einfach schneller als mein Kopf.“ Verschämt blickt er zur Seite.

Da legt sich eine Hand an seine Wange und zieht sein Gesicht wieder hoch. Vor ihm steht Kagome und lächelt ihn mild an. „Das weiß ich doch, Inu Yasha“, sagt sie sanft. „Und nur damit es dich beruhigt, ich habe keinerlei Interesse an Sesshomaru.“

Der Hanyou spürt, wie sein Herz wieder heftiger in der Brust klopft. Wieder einmal steht sie vor ihm und lächelt ihn auf diese bestimmte Art an. „Kagome, kann ich dich etwas fragen?“, bringt er zögernd hervor.

Die junge Frau schmunzelt ihn neckisch an. „Wäre es nicht besser so bald wie möglich Matsuba zu finden im Moment?“, fragt sie.

Inu Yasha atmet tief durch. „Du hast recht“, gibt er bekümmert zu.

„Wäre es dann nicht besser so schnell wie möglich wieder seine Spur aufzunehmen?“, drängt Kagome lächelnd weiter.

Der Hanyou versteift sich ein wenig. „Sicher doch... ja....“ Er beginnt ein wenig mit den Füßen im Boden zu scharren.

„Und was ist das Problem dabei?“, fragt die angehende Miko ein wenig ungeduldig.

„Na ja....“, meint Inu Yasha etwas kleinlaut, „die Sache ist die...., dass ich seine Spur schon vor ner ganzen Weile verloren habe.“

Kagome klappt die Kinnlade herunter. „Ist das dein Ernst?“, fragt sie trocken. „Und warum, zum Henker rennen wir dann weiter als sei nichts gewesen durch die Büsche? Nein, sag es mir nicht!“, unterbricht sie sich genervt selbst. „Falscher Stolz!“

„Ähm...“, ist alles was der Hanyou hervorbringt.

„Und was machen wir jetzt?“, zuckt Kagome herausfordernd mit den Achseln.

„Ähm...“, ist wieder Inu Yashas einzige Antwort.

„Na, großartig!“, gestikuliert Kagome ausladend. „Mit anderen Worten wir haben keine Ahnung wo wir suchen sollen.

„Ähm...“, bemerkt Inu Yasha schuldbewusst.

„Du bist keine große Hilfe, dass weißt du, oder?“, kommt es zynisch von Kagome.

„Vielleicht könnte ich euch helfen“, meldet sich nun eine ihnen unbekannte Stimme höflich zu Wort.

Die Köpfe der beiden fahren herum. Vor ihnen aus dem Unterholz tritt eine schlanke Person hervor. Es ist ein Inuyoukai des Westens in einem fein verzierten Kimono und als er sich nähert, sinkt er respektvoll vor den beiden auf ein Knie herab und stützt sich mit der anderen Faust auf den Boden. Dabei senkt er sein Haupt.

Etwas verdattert betrachten die beiden den Fremdling.

„Wer bist du?“, platzt es als erstes aus Inu Yasha heraus.

„Mein Name ist Nogusa, mein Fürst“, antwortet der Youkai gehorsam. „Ich bin Yuugure-sama unterstellt.“

Inu Yasha hebt die Brauen. „Du bist ein Magier?“, fragt er zurück.

„Ja, mein Fürst“, gibt Nogusa zurück.

„Und wie willst du uns helfen können?“, fragt Inu Yasha. Langsam besinnt er sich wieder seiner Fürstenstellung.

„Wenn ich es recht gedeutet habe, dann seid Ihr auf der Suche nach Matsuba-sama“, antwortet der Youkai. „Er kam vor einer Weile hier vorbei. Er war auf dem Weg in den Norden des Reiches.“

Inu Yasha zuckt zusammen. „Du hast ihn gesehen? Wann war das? Wo ist er hingegangen?“

Der Youkai hebt den Kopf. „Er ließ ein Portal öffnen um zur Nordgrenze zu gelangen. Es ist die schnellste Art um zu reisen.“

„Ein Portal?“, kommt es skeptisch von Inu Yasha zurück.

„Ja, mein Fürst“, bestätigt der Youkai. „Vor einigen Stunden. Er hatte vier Männer der Leibgarde dabei. Aber er sagte mir nicht, was seine Mission war. In der Regel müssen wir das auch nicht wissen.“ Respektvoll senkt er den Blick.

„Nun, ich kann dir sagen was seine Mission war“, schnaubt Inu Yasha. „Er verstieß gegen meine Befehle und ist vermutlich gerade dabei aus Blödheit einen Krieg anzuzetteln.“

„Tatsächlich?“, entfährt es dem Youkai unwillkürlich. Er scheint ehrlich überrascht zu sein.

„Ja, tatsächlich!“, meint Inu Yasha sarkastisch. „Wir müssen ihn so schnell wie möglich zurückholen. Zu dumm nur, dass wir kein solches Portal haben. Du weißt nicht zufällig, wie man so ein Ding öffnet?“

Nogusa blickt ihn arglos an. „Sicher doch“, antwortet er. „Ich habe Mabusa-samas Portal geöffnet. Das ist meine Aufgabe hier. Die Passage über große Strecken zu ermöglichen.“

„Was?“, schnappt Inu Yasha. „Und das sagst du erst jetzt?“

„Ich nehme an, deshalb hat er uns ja seine Hilfe angeboten“, versucht Kagome ihren Freund zu beschwichtigen.

Der Youkai nickt. „Natürlich, mein Fürst. Möchtet ihr die gleiche Passage durchqueren wie Matsuba?“

„Ob ich die gleiche Passage durchqueren möchte?“, knirscht Inu Yasha mit den Zähnen.

„Ja, bitte!“, antwortet nun Kagome an seiner statt. „Das wäre sehr nett!“

„Natürlich, sehr gerne, mein Fürst“, nickt Nogusa. „Folgt mir bitte!“

„Warum nicht gleich hier?“, grollt Inu Yasha ungeduldig.

„Nun“, entgegnet der Youkai etwas verwundert, „weil das Portal alle Lebensenergie aus der Umgebung abzieht. Deshalb wird es ja auch hier und nicht im Schloss geöffnet.“ Er wirft Inu Yasha einen Blick zu als wäre das allseits bekannt.

Der Hanyou wirft ihm einen tödlichen Blick zu. Doch Kagome nickt nur sachlich. „Natürlich. Geht nur voraus. Ihr werdet den passenden Platz schon wissen.“ Der Youkai folgt ihren Worten und geht voraus während sich hinter seinem Rücken Inu Yasha und Kagome vielsagende und züngelnde Blicke zuwerfen.

Schließlich erreichen sie eine kleine Lichtung, wo Nogusa anhält.

„Hier sollte es unbedenklich sein.“ Er richtet sich auf und beginnt sich zu konzentrieren.

Interessiert beobachten Inu Yasha und Kagome wie seine Hände flammende Symbole in die Luft zeichnen. Schon wenige Momente später beginnt sich eine Art dunkler Wirbel vor Nogusas Gesicht zu bilden. Jetzt ändern sich die Symbole und beginnen tiefviolett zu leuchten. Geräuschlos driftet der Wirbel von ihnen weg bis in die Mitte der Lichtung, einige Schritt entfernt. Das Leuchten wird im gleichen Maße greller wie der Wirbel an Dimension zunimmt.

Schließlich ist er etwas mehr als zwei Schritt breit. Und nun zieht ein scharfer Luftzug an den Dreien vorbei, während alles um sie her plötzlich an Farbe verliert. Es macht den Eindruck als würde sämtliche Wärme von dem Wirbel aufgesogen.

Neben ihnen steht Nogusa und vollführt einige Schutzzeichen mit den Händen. Er wirkt hochkonzentriert.

„Es ist soweit, Inu Yasha-sama“, nickt er. „Das Portal wird Euch zu der gleichen Stelle bringen wie Matsuba und seine Männer. Bedauerlicherweise, kann es nur kurz geöffnet werden. Für den Rückweg werdet ihr einen anderen Weg suchen müssen.“

Ein wenig Misstrauisch blickt der Hanyou auf den fast schwarzen Trichter der sich in der Mitte der Lichtung gebildet hat und von dem ein nachdrücklicher Sog ausgeht.

„Sieht ein wenig aus wie Mirokus Kazana“, murmelt er.

„Lass dich nur nicht verunsichern, Inu Yasha“, meint Kagome neckisch. „Du hast doch sonst keine Angst.“

„Angst, ich?“, empört sich Inu Yasha. „Keh, von wegen!“ Mit diesen Worten schnappt er sich seine Freundin und spurtet direkt auf den Wirbel zu. Kaum dass sie das Phänomen erreicht haben, spüren sie auch schon seine Wirkung. Unaufhaltsam werden sie nun hineingesogen bis das Portal sie völlig verschluckt hat und der dunkle Wirbel sich schließlich wieder in nichts auflöst.
 

Für einen kurzen Moment fühlt sich Inu Yasha an die körperlose Reise mit seinem Bruder erinnert. Doch diese Transportmethode ist wesentlich angenehmer, auch wenn er für einen kurzen Moment nicht weiß wo oben und unten ist. Zudem ist es vom Gefühl her ein Durchgezogen-werden und kein Sich-völlig-auflösen. Er kommt mit sich überein, dass er kein Interesse hat letzteres noch einmal zu erleben. Außerdem geht dies hier viel schneller. Nur wenige Herzschläge vergehen und er befindet sich am Rande einer großen Ebene wieder. Und im selben Moment schlägt er sich unwillkürlich die Hand vors Gesicht. Der Gestank, der sich ihm hier in der schwülen Luft aufdrängt, ist beträchtlich. Er braucht einen Moment um zu Atem zu kommen, damit sein Mageninhalt keine Bekanntschaft mit dem Erdboden macht.

„Puh, stinkt das hier!“, stellt Kagome angeekelt fest.

„Sag bloß!“, kommt es zynisch von Inu Yasha, doch gleich muss er schon wieder an sich halten, so sehr setzt ihm der Gestank zu.

Kagome macht ein paar Schritte und blickt sich um. Als ihr Blick auf den verheerenden Zustand der Talsenke vor ihnen fällt, verliert auch ihr Gesicht einiges an Farbe. „Ich glaube ich weiß woher der Gestank kommt“, bemerkt sie schwach.

Der Hanyou gesellt sich zu ihr und blickt mit einer Hand vor der Nase in die Runde. „Offenbar sind wir hier richtig“, stellt er düster fest.

„Glaubst du wirklich dass war dieser Youkai der Sesshomaru so zugerichtet hat?“, fragt Kagome bange.

„Wenn ich mir das hier so ansehe“, antwortet Inu Yasha, „dann halte ich das durchaus für möglich.“ Er spürt wie Kagome seinen Arm umschließt. „Möchtest du lieber wieder nach hause?“, fragt er umsichtig.

Sogleich strafft sich die junge Frau wieder. „Nein!“, meint sie fest. „Ich habe mich für diese Welt entschieden und beschlossen bei dir zu bleiben. Ich weiß, dass es hier gefährlich ist. Aber ich bin eine Miko, oder werde es zumindest sein, wenn Kaede-baba mit meiner Ausbildung fertig ist. Ich muss meinen Platz in dieser Welt finden, und als Miko gehört dazu eben gefährliche Dämonen zu bekämpfen. Also kann ich ja wohl nicht kneifen.“

Mit einer Mischung aus Bewunderung und Besorgnis schaut Inu Yasha seine Freundin an. „Niemand würde schlecht von dir denken, wenn du dich diesmal lieber in Sicherheit bringen möchtest“, startet er noch einmal einen schwachen Versuch sie zu schützen.

„Doch!“, erwidert Kagome bestimmt. „Nämlich ich.“

Mit sehr gemischten Gefühlen blickt der Hanyou die junge Frau an. Innerlich nimmt er noch mal alle Mut zusammen. Na los! „Wo du gerade sagtest, dass du dich entschieden hast, hier zu bleiben“, beginnt er stockend, „ich habe mich gefragt, ob du...“

Doch wieder kommt er nicht dazu den Satz zu beenden. In diesem Moment fällt direkt vor ihnen eine Person von einem Baum herab und geht vor ihm auf die Knie.

„Willkommen, Inu Yasha-sama!“, grüßt ihn der Westyoukai vor ihm. „Ich habe nicht mit Eurer Ankunft gerechnet. Mein Name ist Yuushigaku. Zu Euren Diensten!“

Für einen Moment aus dem Konzept gebracht, starrt Inu Yasha den Neuankömmling an. „Müsst ihr Typen eigentlich immer aus dem Nichts auftauchen?“, meint er gereizt.

Der Youkai senkt schuldbewusst den Blick. „Verzeiht, mein Fürst, ich werde mich in Zukunft ankündigen.“

Inu Yasha seufzt. „Ach, lass gut sein! Bist du hier zur Wache eingeteilt?“

„Ja, mein Fürst!“, antwortet Yuushigaku geflissentlich.

„Und ist Matsuba hier zufällig lang gekommen?“

„Ja, mein Fürst“, bestätigt er auch das. „Er hat vor einer Weile die Grenze überquert. Er sagte er wäre beauftragt worden.“ Das finstere Gesicht Inu Yashas, bestätigt Yuushigakus Vermutung, dass dem wohl doch nicht ganz so war.

„Einen Auftrag hatte er wohl“, meint Inu Yasha bitter. „Allerdings nicht von mir.“

Der Wachposten sieht nun ziemlich kleinmütig aus. „Hätte ich ihn aufhalten sollen, mein Fürst?“

Inu Yasha verzieht das Gesicht. „Mach dir mal keine Sorgen, das ist jetzt meine Aufgabe.“

„Ich verstehe!“, senkt der Krieger ergeben den Blick.

„Welchen Weg ist er gegangen?“, fragt der Hanyou weiter.

„Dort entlang, mein Fürst“, er weist in Richtung des Schlachtfeldes. „Aber vielleicht möchtet Ihr dieses verseuchten Bereich gerne umgehen, dann würde ich empfehlen die Senke in dieser Richtung zu umrunden. Dort müsstet Ihr dann wieder direkt auf seine Spur treffen.“

„Danke!“, meint Inu Yasha knapp, und damit nimmt er Kagome wieder auf den Rücken und läuft los. Hinter sich lässt er einen Inuyoukai zurück, der erleichtert ist so glimpflich davongekommen zu sein.

„Du scheinst dich ja inzwischen ganz gut an deine Fürstenrolle gewöhnt zu haben“, bemerkt Kagome belustigt hinter ihm. „Du machst ja gar keine Szene mehr, wenn dir einer unterwürfig kommt.“

„Na ja“, meint Inu Yasha achselzuckend, „irgendwann muss ich ja auch mal erwachsen werden.“ Dann beschleunigt er seinen Schritt. Der beeindruckte Blick den ihm Kagome nun hinterrücks zu gedenkt, entgeht ihm.

Diplomatie

Die Mittagssonne scheint verhangen auf zerklüftete Berghänge herab. Ein unangenehmer Wind fegt kühl durch die tiefen Schluchten des Gebirges. Das Wetter zieht sich offenbar zu. Hier oben ist das Klima oft launisch. Innerhalb von Minuten kann es sich vollkommen verändern. Gerade jetzt sieht es verdächtig nach Regen aus.

Der Inuyoukai der sich Katsuken nennt, blickt kurz zum Himmel. Er sitzt gerade auf der obersten Kante des Felsmassives und lässt seinen Blick in die Runde gehen. Vom Gipfel dieser steil abfallenden Gebirgswand kann man weit über das Land sehen. Er lächelt zufrieden. Sein zukünftiges Reich macht einen guten Eindruck.

Prüfend ballt er die Faust. Es ist eben doch ein erheblicher Unterschied, ob einem Menschen oder Youkai als Nahrung dienen. Die Medizin seiner neusten Dienerin tut ihre Wirkung und wie es aussieht, ist sein Körper inzwischen kräftig genug um auch die Energie von Youkai verdauen zu können. Sehr gut, dann braucht er sich nicht länger die Mühe mit diesen erbärmlichen Kreaturen machen.

Ein ganzes Heer hat er verspeist und trotzdem war es eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Zumindest haben sie ihn so sehr gestärkt, dass er sich diesen anderen köstlichen, kleinen Köter hat schmecken lassen können. Er kann richtig spüren, wie die verlorene Kraft in ihm wieder wächst. Nicht mehr lang und er wird zu seiner ursprünglichen Stärke zurückgekehrt sein. Vergnüglich beginnt er ein wenig mit den Füßen zu wippen, die noch immer über dem schwindelerregenden Abgrund baumeln.

Jetzt wo er ausgeruht ist, steht wohl als Nächstes an, sich über diese Region einen Überblick zu verschaffen und neue Nahrung zu suchen. Dieser Youkaischlag hier hat eine hohe Lebenskraft. Sie werden ihm sicher gut schmecken.

Er lässt die vergangene Begegnung noch einmal Revue passieren. Eine Frau! Dieser Stamm hat doch tatsächlich eine Frau als Anführerin. Er schnaubt einmal verächtlich auf. Wie beschämend! Diesen Haufen dreister Raufbolde abzuernten wird wohl keine große Herausforderung werden. Sie sind wirklich bemitleidenswert schwach; wenn er sich etwas aus Mitleid machen würde. Und mit Hilfe seiner Untergebenen wird er auch kein Problem damit haben, sich ihre Energien innerhalb kürzester Zeit anzueignen. Anscheinend war es doch ein rechter Glücksgriff diesem widerspenstigen kleinen Biest begegnet zu sein.

Er wirft aus den Augenwinkeln einen Blick zurück. Sie steht einige Schritte hinter ihm und hat züchtig und abwartend den Blick gesenkt. Er verzieht ein wenig das Gesicht. Was für ein Abschaum, aber immerhin kennt sie ihren Platz.

„He, Hinosei!“, ruft er. Sogleich hebt sie den Kopf und tritt näher. „Hast du schon mal von dem Inu no Taishou gehört?“

Sie schüttelt den Kopf. „Nein, Nushi, mit dem Volk der Hunde hatte ich bisher nichts zu schaffen. Bisher bin ich aber auch nicht viel herumgekommen.“

Er schnaubt verächtlich. „Hätte ich mir denken können.“ Sie senkt betroffen den Kopf. „Hör gut zu!“, befielt er. Sogleich schaut sie wieder auf. „Der Inu no Taishou war der mächtigste Fürst den das Volk der Inuyoukai je gesehen hat. Er war unvergleichlich in Stärke, Intelligenz und Kühnheit, sogar noch über die Grenzen seines Reiches und seines Volkes hinaus. Und ich bin für seinen Tod verantwortlich. Vergiss also niemals, wem du dienst. Vergiss niemals, wem du Treue geschworen hast!“

„Sicher nicht, Nushi!“, sagt sie mit fester Stimme.

Ein boshaftes Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit, während er den Blick wieder über das Land schweifen lässt. Er weiß zwar noch immer nicht wie viel Zeit vergangen ist seit er in den Vulkan fiel, aber dass der Inu no Taishou inzwischen das Zeitliche gesegnet hat, erfreut ihn dann doch sehr. Es war auch wirklich an der Zeit dazu. Hat er wirklich geglaubt davonkommen zu können nach allem was war? Es ist sehr befriedigend, dass dieses Kapitel nun ein Ende hat. Nun wird ihm niemand mehr im Weg stehen, sich das zu eigen zu machen, was schon immer seines hätte sein sollen.

Ein dicker Regentropfen fällt hinab auf sein Knie und zerplatzt dort in viele winzige Perlen. Weitere fallen herab und in kürzester Zeit geht ein wahrer Sturzregen auf Katsuken herab. Der schwarzhaarige Inuyoukai verzieht sein Gesicht zu einem breiten, unnatürlichen Grinsen wobei er viele spitze Reißzähne entblößt. Ein fast fieberhaftes Funkeln liegt in den roten Augen und dann entfährt ihm ein triumphierendes Lachen. Immer weitere missgünstige Lachsalven sprudeln aus ihm heraus. „Siehst du?“, ruft er hinaus in den Regen. „Ich gewinne!“

Er steht auf und stellt sich nun mit ausgebreiteten Armen direkt an die Kante des Kliffs in dessen immenser Tiefe sich Geröll, Felsbrocken und Bäume über den Talboden ausbreiten. Noch immer gluckst er vor lachen.

„Hast du gehört?“, schreit er zum Himmel. „Ich habe gewonnen, und du bist tot! Ich lebe und dich fressen die Würmer und du konntest es nicht verhindern!“

Mit diesen Worten lässt er sich glückselig nach vornüber fallen und stürzt in die Tiefe. Den leisen Aufschrei seiner Begleiterin ignoriert er. Wie ein Stein stürzt er hinab. Mit lautem Krachen schlägt er durch das Blätterdach, dem Erdboden entgegen. Jedoch nur knapp über dem Boden vollführt er eine geschmeidige, blitzschnelle Drehung in der Luft und fängt die Wucht des Aufpralls akrobatisch präzise durch das gezielte Nachgeben der Gliedmaßen ab. Nicht einmal einen leichten Abdruck hinterlässt er in der Erde. Ein genüssliches Grinsen zieht über sein Gesicht.

Ein kontrollierter, minimalistischer Schwung bringt ihn wieder auf die Füße. Um ihn herum ist Nadelwaldgebiet. Der Boden ist mit herabgefallenen Fichtennadeln übersät nur unterbrochen von einigen Stellen an denen Kraut über den Boden wuchert und hier und da liegen Fichtenzapfen herum. Die Bäume um ihn herum ragen hoch hinauf und lassen ihre dunklen Wipfel im Wind aneinander rauschen. Der Regen kommt hier kaum noch an, aber am Boden ziehen sich kleine Rinnsale über den Boden und schwemmen die Nadeln gemächlich mit sich davon.

Seine Füße sind bloß. Die vorigen Schuhe passen ihm bereits nicht mehr. Er wird sich neue besorgen müssen. Auf dem Boden läuft es sich weich und dumpf, doch er empfindet es als angenehm. Mit sicherem Schritt begibt er sich nun den leichten Hang hinab und schlägt dann eine Richtung gen Norden ein. Es wird nicht nötig sein auf seine Begleiterin zu warten. Wenn sie weiß was gut für sie ist, wird sie seiner Spur folgen. Mit Sicherheit ist sie in der Lage dazu. Und falls nicht wird er sie finden. Doch jetzt verspürt er zuerst einmal neuen Hunger. Hunger auf Youkai.
 

Bestimmt eine Stunde lang marschiert er durch den langsam lichter werdenden Nadelwald, einem unbestimmten Ziel entgegen. Noch immer regnet es. Es hat sogar noch zugelegt an Niederschlag. Er folgt einem kleinen Flusslauf, der nun von den Wassermassen von oben gespeist wird und an Fahrt zugenommen hat.

An einer Wiese die sich neben dem Flüsschen gebildet hat bleibt er stehen. Er senkt leicht den Kopf. Dann sagt er halblaut: „Na los, zeigt euch endlich. Oder wollt ihr mir noch länger hinterher schleichen?“

Zunächst ist der kontinuierlich prasselnde Regen das einzige was zu hören ist. Langsam wendet er den Kopf in die Runde. In seinen roten Augen glimmt es deutlich auf. Langsam hebt er eine Hand und streckt Mittel- und Zeigefinger aus. Doch noch ehe er dazu kommt etwas zu tun, beginnt die nasse Luft ein Stück vor ihm plötzlich prismatisch zu flackern und gibt schließlich den Blick auf fünf Männer frei.

Einer von ihnen ist sehr wohlhabend gekleidet. Er tritt auf den schwarzhaarigen Daiyoukai zu, lässt sich nun ehrerbietig auf ein Knie herab und senkt den Blick; die vier anderen tun es ihm gleich.

„Mein Name ist Matsuba“, stellt er sich höflich vor. „Dies sind meine Begleiter“, weist er auf die vier Männer hinter ihm. „Wir dienen Fürst Sesshomaru, Herr über die Inuyoukai des Westens. Wir wurden ausgesandt um mit Euch in Kontakt zu treten.“

Im ersten Moment zeigt Katsuken keine Reaktion, doch dann zieht sich langsam seine Miene zu. „Sesshomaru!“, speit er verächtlich aus. „Ihr wollt mir doch wohl nicht erzählen, der Kerl lebt immer noch.“

Im ersten Moment ist Matsuba ein wenig aus dem Konzept, doch rasch fängt er sich wieder. „So ist es!“, bestätigt er selbstbewusst. Offenkundig ist der Andere von diesem Umstand wenig erfreut. Es ist sicher klug ihn erst einmal zu beschwichtigen. „Jedoch die Leichtigkeit mit der Ihr gegen ihn gewonnen habt, hat ihn sehr beeindruckt. Er betrachtet Euch als ernstzunehmenden Gegner.“ Ihm etwas Honig um den Bart zu streichen, kann sicher nicht schaden.

„Tatsächlich?“, meint der schwarzhaarige Youkai geringschätzig.

„Allerdings wünscht er keine Feindschaft mit Euch. Ihr habt vielmehr sein Interesse geweckt“, fügt Matsuba nun rasch hinzu. Es ist wohl besser ihm nicht zu erzählen, wie Sesshomarus tatsächliche Ansichten zu ihm sind. Wozu auch? Es würde nur unnötig für Zwietracht sorgen. Und die wirkliche Stärke dieses Fremden ist ihnen noch immer unbekannt.

Immerhin hat er ihren Tarnzauber durchschaut. Glücklicherweise hat Shirogetsu die Geste rechtzeitig erkannt, die er vollführen wollte. Diese Technik hätte sie nicht nur umgehend enttarnt, sondern ihnen zugleich noch unangenehmen Schaden zugefügt. Dieser junge Mann scheint über ein breites Spektrum an Fähigkeiten zu verfügen. Außerdem verhält er sich recht skrupellos. Es ist sicher klug ihn nicht zu unterschätzen. Mit Anspannung, aber einem höflichen Lächeln wartet Matsuba auf die Reaktion des Youkais.

Katsuken verzieht unwillig das Gesicht. Nicht zu fassen, dass diese kleine Kröte beim Tempel Recht behalten hat, denkt er bei sich und stemmt einen Arm in die Seite.

Laut fragt er: „Und was sollte dann das Versteckspiel?“

Matsuba hebt den Kopf. „Eine reine Vorsichtsmaßnahme, falls wir auf dem Weg zu Euch Inuyoukai des Nordens begegnen.“

Katsuken lächelt schadenfroh. „Das bedeutet wohl, ihr vertragt euch nicht sonderlich“, stellt er die Vermutung an.

Matsuba beschließt ein wenig auszuweichen. „Jeder unserer Clans lebt autark. Wir kommen nur selten in Kontakt miteinander. Aus diesem Grund sind Begegnungen untereinander immer eine sensible Situation.“ Hier sieht er Gelegenheit zum eigentlichen Thema zu kommen. „Deshalb betrachtet Sesshomaru-sama die Begegnung mit Euch auch als einen Umstand dem gebührende Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Zu seinem großen Bedauern kam es jedoch bei dem letzten Treffen mit Euch zu einem kleinen Missverständnis. Da es ihm deshalb bedauerlicherweise nicht möglich war, Eure expliziten Intensionen in Erfahrung bringen, um den Weg für weitere Gespräche und Verhandlung zu ebnen, soll dies auf diesem Wege nachgeholt werden, mit Eurer überaus geschätzten Erlaubnis.“ Wieder verneigt er sich respektvoll.

Zunächst blickt der fremde Youkai ihn nur abschätzend an, dann sagt er: „Oh, aber das war kein Missverständnis. Ich hatte tatsächlich vor ihn zu töten. Und ich werde dies auch zu ende bringen sobald er mir wieder über den Weg läuft.“

Nun wird es Matsuba doch etwas mulmig zumute, er widersteht der Versuchung mit seinen Leibwächtern Blickkontakt zu suchen; dies könnte als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden. Mit Sicherheit sind sie auch so im Moment äußerst wachsam. Das hier läuft nicht gerade gut.

Matsuba versucht es erneut. „Ich ersuche Euch diese Entscheidung nicht zu übereilen. Ich bin sicher eine Einigung könnte für beide Seiten von Vorteil sein.“

„Ich habe keinerlei Interesse an Gesprächen mit Deinesgleichen!“, unterbricht Katsuken ihn ungerührt. „Was könntet ihr mir schon anbieten, was ich mir nicht auch selbst hole?“

Dem Hausverwalter des Westens schwimmen die Felle weg. So wie es aussieht fruchten seine Versuche nicht. Und langsam bekommt er eine Ahnung davon, warum ihr Fürst ihnen abgeraten hatte das Gespräch mit ihm zu suchen. Doch ganz will er sich noch nicht geschlagen geben.

„Ich habe Auftrag Euch, so Ihr es Euch doch anders überlegen solltet, in den Palast des Westens einzuladen, damit alles weitere besprochen werden kann und Unstimmigkeiten aus der Welt geschafft werden können.“

Nun atmet Katsuken einmal tief durch. „Ich nahm an, ich hätte mich gerade klar ausgedrückt“, sagt er nun nachdrücklicher. „In was für einer Position glaubst du eigentlich zu sein, dass du mir so ein absurdes Angebot unterbreitest?“ Nun kommt er langsam auf Matsuba zu, und wenn auch der junge Mann vor ihm kaum älter als achtzehn zu sein scheint, so liegt doch eine schmerzliche Endgültigkeit in seinem Blick, die Matsuba unverzüglich dazu veranlasst die Augen zu senken.

Nun steht der junge Inuyoukai direkt vor ihm. „Richte deinem 'Fürsten' aus“, und das Wort klingt beunruhigend abwertend, „er braucht sich gar nicht darum reißen, dass ich ihn töte. Jeder Anführer eurer verachtenswerten Brut steht auf meiner Liste. Er soll gefälligst warten bis er an der Reihe ist!“ Und in diesem Moment flammt um ihn her eine Aura auf, dessen Intensität so schmerzhaft erdrückend ist, dass die fünf Westyoukai unweigerlich auf beide Knie hinab gepresst werden.

Kalter Schweiß läuft Matsuba über den Rücken. Er kann nicht sagen, wann er zum letzten Mal solche Furcht verspürt hat. Diese angsteinflößende Präsenz raubt ihm schlichtweg den Atem und er muss schwer schlucken. Wie hat sein Fürst bei dieser Aura überhaupt kämpfen können? Er selbst schafft es kaum einen Muskel zu rühren, so sehr eingeschüchtert ist er. Es ist etwas was seine tiefsten animalischen Instinkte anspricht und sich nahezu gänzlich seiner Kontrolle entzieht.

Ein taktischer Rückzug ist sicher das Klügste vorerst. Doch ganz so kann er das hier nicht belassen. Mit aller Selbstkontrolle die er aufbringen kann, hebt er den Kopf und nickte respektbekundend. „Wie Ihr wünscht!“, sagt er bedacht höflich. „Ich werde es Sesshomaru-sama ausrichten.“

Doch nun legt sich unverkennbarer Ärger auf das Gesicht des dunklen Daiyoukais. Bitterböse funkelt er Matsuba an. „Ein für alle Mal: Es gibt nur einen Sesshomaru, und das bin ich!“ Mit diesen Worten holt er blitzschnell mit seiner gespreizten Klaue aus und noch ehe Matsuba auch nur reagieren kann, geht sie auch schon auf ihn hernieder. Doch nur einen Sekundenbruchteil bevor sie ihn erreichen, wird er von seinem hageren Begleiter heftig zur Seite gestoßen und an seiner statt wird nun dieser von vier tödlich scharfe Krallenklingen der Länge nach in fünf gleichmäßige Scheiben geschnitten und wodurch er augenblicklich sein Lebenslicht aushaucht.

Fassungslos starrt Matsuba auf die Stelle an der er eben noch gestanden hat. Sein Leibwächter hat wahrlich seine Pflicht erfüllt. Über ihm steht nun sein Mörder und kostet eingehend das Blut auf seinen Klauen.

„Interessante Note!“, bemerkt er anerkennend. „Macht irgendwie Appetit auf mehr.“ Dabei grinst er unheilvoll.

Nun ist es um Matsubas Fassung geschehen. Rückwärts strauchelnd strebt er panisch von dem fremden Daiyoukai wegzukommen. Noch immer erdrückt ihn dessen bedrohliche Aura fasst völlig, und er kann keinen klaren Gedanken fassen.

Doch zu seinem Glück ist er nicht alleine dort. Rasch stellen sich seine drei verbliebenen Begleiter vor ihn und ziehen ihre Schwerter. „Flieht, Matsuba-sama!“, ruft ihm einer von ihnen zu. „Wir halten ihn solange auf!“ Tapfer verstellen sie ihrem Gegner den Weg, auch wenn man deutlich merkt, wie viel Überwindung sie das kostet.

Mit einem kurzen Schlenker seiner Hand schüttelt Katsuken das Blut von seinen Krallen und wendet sich zu ihnen um. Mit geschmeidigen Schritten kommt er nun direkt auf sie zu. „Wie witzig!“, sagt er genüsslich, und dann ist er schon da.

„Hasshite, Achtung!“, ertönt der Ruf, von dem Youkai namens Shida um seinen Kameraden zu warnen. Dieser holt sofort mit seiner Klinge aus um nach seinem Gegner zu schlagen, doch der duckt sich nur unter dem Schlag weg und packt von innen die Schwerthand des Kriegers um sie nach außen zu drehen und ihn somit sehr effektiv zu entwaffnen. Dass er ihm dabei zusätzlich die Schulter ausrenkt und den Arm bricht, scheint ihm nicht mal aufzufallen.

Hasshite entfährt ein kurzer Schmerzschrei, doch so leicht gibt er sich nicht geschlagen. Ein wuchtiger Tritt zielt auf den Kopf seines Gegners, doch dieser sieht es kommen. Er rückt ein Stück näher heran und duckt sich, sodass das Bein des anderen auf seiner Schulter landet. Dann richtet er sich mit einem Ruck auf und gleichzeitig versetzt er ihm mit beiden Handflächen einen heftigen Stoß, sodass er ein ganzes Stück weit gegen eine Fichte geschmettert wird, die durch die Wucht des Aufpralls gefällt zu Boden geht. Der Westkrieger ächzt auf und ist bemüht wieder auf die Füße zu kommen.

Die beiden verbliebenen Leibwächter erbleichen zusehends, doch sie bilden sogleich wieder den Schulterschluss um ihren Schutzbefohlenen zu sichern. „Matsuba-sama, rasch!“, drängt Shida beschwörend. Doch der Hofmeister des Westpalastes ist praktisch starr vor Angst. Wie paralysiert sitzt er ein Stück entfernt an einem Baum auf dem nassen Boden während der Regen unaufhaltsam auf die Gruppe hernieder prasselt.

Der magisch versierte Krieger des Westens, überlegt rasch und trifft eine Entscheidung. „Shida, bring ihn weg! Ich halte euch den Rücken frei!“

„Shirogetsu, du kannst nicht...“, will der Krieger mit dem langen Zopf widersprechen.

Geh!“, schreit der andere entschieden.

Shida zögert nicht länger. Zu intensiv hat man sie auf die Einhaltung ihre Pflichten gedrillt. Widerwillig aber gehorsam dreht er sich eilig um, um seinem Herrn beizustehen.

In diesem Moment hat Katsuken schon den Youkai Shirogetsu erreicht. Dieser vollführt ein paar rasche Fingerzeichen und augenblicklich ist er unsichtbar.

Katsuken stutzt einen Moment. Doch dieses Zögern nutzt der andere aus um seinem Feind mit aller Kraft sein Schwert durch die Rippen zu treiben. Der Daiyoukai fletscht die Zähne. Blitzschnell fasst seine linke Hand zielsicher zu und quetscht die Schwerthand des Magiers gnadenlos zusammen. Ein kurzes Stöhnen entfährt diesem. Nun langt die andere Hand zu und umschließt unbarmherzig Shirogetsus Kehle, woraufhin dieser wieder sichtbar wird.

Katsuken ergreift das Schwert seines Gegners und zieht es verächtlich aus seiner Brust. Achtlos lässt er es fallen. Für einen Moment treffen sich ihre Augen. Doch dann legt sich ein ergebenes Lächeln auf Shirogetsus Lippen. „Fahr zur Hölle!“, quetscht er hervor, dann vollführt er mit der linken Hand geschwind ein paar Fingerzeichen und dann packt er den anderen mit aller Kraft am Arm. Nur einen Moment später bricht eine gewaltige Feuerwelle aus dem Körper des Westyoukais hervor die alles in einem Umkreis von mehreren Schritt augenblicklich in ein hellloderndes Flammenmeer verwandelt.

Mit bleichem Gesicht und rasendem Puls, registriert Shida dies aus den Augenwinkeln, während er den verstörten Hofmeister des Westens auf die Füße zieht und dann sehr nachdrücklich vor sich her schiebt. Er kannte den Magier schon eine Weile, wenn sie auch nicht in der selben Einheit dienten. Es schmerzt ihn doch, dass er nun in Erfüllung seiner Pflicht sein Leben lassen musste. Doch zum Trauern ist jetzt keine Zeit. Zuerst muss er seinen Herrn aus der Gefahrenzone bringen.

Hinter ihnen lichtet sich nun der Rauch und gibt den Blick auf einen völlig verkohlten Bereich frei. Einige Bäume brennen immer noch und die Vegetation der Umgebung ist schwarz und heruntergebrannt.

Inmitten dieses Infernoüberbleibsels steht hoch aufgerichtet eine Person, die nun einen unförmigen Haufen von sich wegstößt. Mit rotglühenden Augen starrt Katsuken abfällig auf den verbrannten Youkai herab. Die Flammen scheinen ihm keinerlei Schaden zugefügt zu haben, nicht mal seine Haare sind angesenkt. Selbst die Schwertwunde ist nicht mehr zu sehen. Lediglich seine Kleidung ist verkohlt und bröselt an ihm herunter.

„Du armseliger Narr!“, stößt er verächtlich hervor. „Ich bin die Hölle!“

Dann wendet er sich zu den beiden entschwindenden Youkai um. Inzwischen hat sich auch Hasshite wieder zu ihnen gesellt und gemeinsam flankieren sie ihren Herrn so eilig es irgend geht aus dem Gefahrenbereich heraus.

„Wer hat euch erlaubt zu gehen?“, murmelt Katsuken finster bei sich, und dann setzt er ihnen nach. Es tut gut mal wieder ausgiebig rennen zu können, und rennen muss er, denn die drei Fliehenden Youkai haben es sehr eilig. Mit weit ausholenden Schritten verfolgt er seine Beute den dicht bewaldeten Berghang hinab und holt dabei stetig auf. Schon trennen sie nur noch wenige Schritte und selbst das Haken schlagen der Westyoukai kann nicht verhindern, dass ihr Verfolger unaufhaltsam näher kommt.

Ein befreiendes Lachen entfährt Katsuken. Von Zeit zu Zeit ist es wirklich angenehm, sich mal ein bisschen zu fordern. Sich selbst anspornend beschleunigt er seinen Schritt noch einmal und dann hat er sie erreicht.

Shida spürt nur noch, wie ihn eine unbändige Kraft von hinten wie eine Stoffpuppe zur Seite schleudert und ihn ein beträchtliches Stück entfernt eine steilen, steinigen Hang herunterkullern lässt. Mehrere schmerzhafte Überschläge vollführt er bis er schließlich am Grund des Hanges in einem kleinen Flussbett zu liegen kommt. In seinem Kopf dreht sich alles und mehrere Knochen sind durch den Schlag und den darauffolgenden Aufprall gebrochen oder zertrümmert worden. Einen Moment lang bleibt er wie betäubt liegen. Aus der Ferne vernimmt er nun Hasshites Kampfgeschrei das jedoch urplötzlich in ein scheußliches Gurgeln übergeht und dann gänzlich verstummt. Der jungen Westkrieger erstarrt unwillkürlich.

In diesem Moment vernimmt er die schrillen Schreie seines Herrn und seine empfindlichen Ohren tragen ihm außerdem noch Geräusche zu, die ihn in blankem Horror zusammenfahren lassen. Es sind Fressgeräusche.

In diesem Moment gibt es für den jungen Krieger kein Halten mehr. In hilfloser Panik hievt er sich aus dem Flusslauf empor und straucheln und stolpernd ergreift er die Flucht. Vor blankem Entsetzen schlottert er am ganzen Körper. Sein einziger Gedanke ist es so viel Strecke wie möglich zwischen sich und seinen Gegner zu bringen. Innerhalb kürzester Zeit ist er zwischen den hohen Bäumen hinter dem grauen Vorhang aus Regen verschwunden.

Der Nordclan

Nachdem Inu Yasha und Kagome die verpestete Talsenke umrundet haben, sind sie tatsächlich wieder auf die Spur der abtrünnigen Westyoukai gestoßen. Inu Yasha ist also in zweierlei Hinsicht erleichtert. Rasch nimmt er wieder die Verfolgung auf. Dass es nun erst zögerlich und dann allmählich immer heftiger zu Regnen anfängt, macht die Sache nicht gerade einfacher, und Kagome ist doch ganz dankbar, dass die Miko-Robe, die sie nun für gewöhnlich trägt, einigermaßen wasserfest ist. Was Inu Yasha jedoch im Moment ein wenig beunruhigt ist die andere Fährte die an dieser Stelle seinen Weg kreuzt.

„Hier waren Nordyoukai unterwegs“, teilt er seiner Freundin mit. „Und ich möchte wetten, dass sie mitbekommen haben, dass hier etwas gar nicht gut läuft.“

„Meinst du sie haben Matsuba und seine Leute entdeckt?“, fragt Kagome.

„Weiß nicht“, gibt Inu Yasha zu. Die Nordspuren sind etwas älter. Fürs Erste scheinen sie sie noch nicht entdeckt zu haben.“

„Und wenn doch?“, hakt Kagome nach.

„Dann können sie nur hoffen, dass Yarinuyukis Leute sie erledigen, ehe ich sie in die Finger bekomme.“

Kagome schmunzelt „Du klingst schon genau wie Sesshomaru.“

Eilig läuft der Hanyou weiter. Seine Füße überspringen federnd die größeren Pfützen die sich nun auf dem Boden bilden. Die Spur verläuft ein wenig willkürlich durch das Gelände. Vermutlich versuchen sie herauszufinden wohin es diesen Katsuken verschlagen hat. Das ist in der Tat knifflig. Dafür dass er offenbar eine so mächtige Aura besitzt, hat er wirklich kaum eine Spur hinterlassen. Er kann nicht einmal seine Fährte wittern. Fast möchte er es auf den Regen schieben, doch dafür nimmt er die üblichen Spuren in der Umgebung viel zu genau wahr. Kleintiere, einige niedere Dämonen, Fährten vom Nordclan, sogar ein paar Wölfe, doch von seinem Gegner, keine Spur. Verflixt, der Typ ist wirklich gruselig, wenn er sich so gut verbergen kann. Daran gemessen könnte er plötzlich hinter einem stehen, ohne dass man es merkt bis es zu spät ist.

In diesem Augenblick flammt einige hundert Schritt Luftlinie von ihm entfernt eine gewaltige Aura auf und Inu Yasha fährt unwillkürlich zusammen.

„Inu Yasha...“, vernimmt er zögernd von Kagome.

„Ja, ich spüre es auch“, nickt er ernst.

„Ist das... Er?“

Umsichtig zieht Inu Yasha die nasse Luft durch den Regen ein. „Bin mir nicht sicher. Zu riechen ist nichts“, bemerkt er wachsam.

„Dafür macht es aber Gänsehaut am ganzen Körper“, fügt Kagome hinzu. „Müssen wir da wirklich hin?“

„Hilft alles nichts“, meint Inu Yasha, „Das ist die Richtung in die Matsuba gegangen ist.“

„Na dann...“, kommt es etwas eingeschüchtert von Kagome.

Inu Yasha beißt die Zähne zusammen und läuft weiter. Ganz wohl ist ihm bei der Sache nicht. Immerhin hatte Sesshomaru klargemacht, dass sie sich möglichst von ihm fernhalten sollen, und hier ist er nun. Irgendwie erinnert ihn das verdammt an die Ereignisse damals im Ostpalast. Auch dort hatte er versucht einen Abtrünnigen zurückzuholen obwohl sein Bruder ihm befohlen hatte im Schloss zu bleiben.

Aber diesmal ist es anders. Diesmal ist Sesshomaru nicht da und er ist der Fürst. Diesmal trifft er die Entscheidung, und trägt die Verantwortung. Aber bei einer Sache hatte Kagemori wohl recht. Wenn Sesshomaru ihm nicht die Entscheidungsgewalt übertragen hätte, hätte er einfach klare Anweisungen hinterlassen, statt ihn als Fürsten einzusetzen. Das heißt er traut ihm zu diese Situation zu beurteilen und entsprechend zu handeln. Verdammt, dass ich echt ein großer Packen Verantwortung.

Wenn der Regen nur nicht innerhalb kürzester Zeit alle Spuren wegwaschen würde, aber in dieser Hinsicht leistet er gerade ganze Arbeit. Inu Yasha ballt die Fäuste. So kommen sie nicht weiter. Die Gegend hier ist ihm gänzlich unbekannt und die letzte Spur hat sich verflüchtigt. Er bleibt stehen. Aufmerksam reckt er die Ohren und lauscht in das Rauschen des Regens. So steht er eine Weile angespannt da.

Schließlich wendet er sich in eine andere Richtung und läuft weiter bis er an eine größere Waldlichtung kommt. Sie wird von einem kleinen Fluß zerteilt, der durch einen Wasserfall gespeist wird, der sich, angeschwollen vom heftigen Regen, mit kräftigem Rauschen und Spritzen aus mehreren Mannshöhen in die Tiefe stürzt. Wieder blickt er sich wachsam um.

„Hörst du etwas, Inu Yasha?“, fragt Kagome ihren Freund.

„Es ist weniger hören“, meint Inu Yasha abgelenkt. „Aber ich habe irgendwie das Gefühl...“

In diesem Moment erscheinen an mehreren Stellen um sie her am Waldrand ziemlich finster dreinblickende Inuyoukai des Nordclans und strecken ihm grimmig ihre Waffen entgegen. „Als würden wir beobachtet werden!“, beendet Inu Yasha seinen Satz.

Kagome rutscht von seinem Rücken und nun stehen sie inmitten mehrerer Gruppen von Nordyoukai und versuchen fieberhaft zu überlegen, was nun zu tun ist. Mit einem entschlossenen Griff zieht Inu Yasha Tessaiga und geht in Verteidigungsstellung.

Doch plötzlich teilt sich die Gruppe am hinteren Ende der Wiese und eine schlanke Gestalt erscheint und marschiert jetzt mit sichtbar wütenden Schritten auf sie zu. Es ist Yarinuyuki.

„Inu Yasha!“, faucht sie giftig während sie auf ihn zukommt. Wie auch bei den anderen Youkai scheint der Regen um sie herum von ihrer Aura verdampft zu werden. Dann baut sie sich vor den beiden auf, stemmt die Arme in die Seite und funkelt Inu Yasha bitterböse an. „Was, in drei Teufels Namen, hast du hier zu suchen?“

Innerlich atmet Inu Yasha etwas auf. Die Nordfürstin hat sich seit damals kein bisschen verändert und immerhin kennt sie auch noch seinen Namen. Allein die Tatsache, dass sie nicht sofort den Befehl gegeben hat sie zu töten, zeigt dass man mit ihr noch reden kann. Aber Yarinuyuki hat auch beim letzten Mal schon dem Gespräch und der Logik einen kleinen aber entscheidenden Raum in ihrem Verhaltensrepertoire eingeräumt, was letztlich einen erheblichen Beitrag zur Entschärfung der ganzen Angelegenheit beigetragen hat. Dies ist eine Qualität die sie allen bisherigen Nordfürsten voraushat, bei denen es sonst hieß: Erst zuschlagen, dann werden Fragen gestellt!

„Ich suche einen Abtrünnigen aus meinem Reich, der sich ohne meine Erlaubnis hierher verkrümelt hat“, gibt Inu Yasha Auskunft. „Ich will ihn zurückholen.“ Er überlegt kurz wie viel Etikette er als amtierender Fürst an den Tag legen sollte, doch da ihm das gestelzte Reden nicht so liegt wie Sesshomaru, beschließt er lieber darauf zu verzichten. Schließlich hat die Nordfürstin auf so etwas auch noch nie großen Wert gelegt.

Nun verzieht sich Yarinuyukis Mund zu einem schiefen Grinsen. „Was soll das heißen: Dein Reich?“

Der Hanyou verdreht etwas die Augen. War ja klar, dass die Frage kommen musste. „Das bedeutet ich bin der amtierende Fürst“, erklärt er schlicht.

„So?“, kommt es gedehnt von der Nordfürstin. „Ist Sesshomaru tot? Hast du ihn letztlich doch noch umgebracht?“

Nun stemmt Inu Yasha ebenfalls den Arm in die Seite. „Hättest du wohl gerne, was? Aber ich muss dich leider enttäuschen. Sesshomaru ist nur ne Weile nicht da, also bin ich so was wie ein zeitweise... Ersatz-... Übergangsfürst.“

„Interims“, raunt Kagome ihm hilfsbereit zu.

„Was?“, fragt Inu Yasha verständnislos zurück.

„Interims“, wiederholt Kagome.

Was bitte?“, kommt es gereizt von Inu Yasha.

„Schon gut, vergiss es!“, winkt Kagome ab

„Halt dich einfach raus, ok?“, zischt er ihr zu.

„Entschuldigung!“, ruft Yarinuyuki aufgebracht. „Ich dulde nicht, dass du mich ignorierst wenn ich mit dir rede, klar?“ Beide Gesichter wenden sich ihr wieder zu. Langsam umschreitet sie nun die beiden Neuankömmlinge. „Kommen wir noch mal auf den Kerl zurück der sich hier ohne Erlaubnis in mein Reich eingeschlichen hat, ja? So was kann ich überhaupt nicht leiden.“ Sie lächelt und entblößt dabei beängstigende Reißzähne.

„Da bin ich mal mit dir völlig einer Meinung“, rechtfertigt sich Inu Yasha mürrisch. „Das ist ja auch der Grund warum ich gekommen um ihn wieder einzufangen. Du kannst dir sicher sein, dass er um eine gehörige Strafe nicht herum kommt.“

„Das siehst du verdammt richtig!“, Yarinuyukis Lächeln verschwindet. „Den Kerl werden wir uns zur Brust nehmen, dass ihm Hören und Sehen vergeht!“

„Vergiss es!“, wettert Inu Yasha nun gegen an. „Er kommt aus meinem Reich und deshalb kümmere ich mich um ihn!“

„Aber er befindet sich in meinem Revier!“, erzürnt sich die Nordfürstin. „Und er hat einen meiner Krieger getötet. Als Fürst des Westens hättest du gefälligst darauf achten müssen, dass so was nicht geschieht!“ Wütend neigt sie sich zu Inu Yasha. „Du hast doch wohl noch nicht das letzte Mal vergessen, als es zu Toten kam, weil jemand unerlaubt die Grenze überquert hat, oder?

Inu Yashas Miene verfinstert sich. „Wie könnte ich das je vergessen“, entgegnet er düster. „Und damit es diesmal gar nicht erst soweit kommt, bin ich persönlich gekommen um den Kerl zurückzuholen.“

Yarinuyuki legt etwas den Kopf schief. „Vielleicht willst du ja euren kleinen Meuchler nur vor meiner Rache schützen“, entgegnet sie süffisant.

„Sehe ich so aus als wenn mir als erste Amtshandlung nichts besseres einfällt als irgendwelche Attentäter in dein Reich zu schicken?“, empört sich Inu Yasha. „Ich weiß zwar nicht genau was Matsuba vorhat, aber ich habe immerhin eine Vermutung. Und bestimmt war es nicht sein vorrangiges Ziel hier jemanden umzubringen. Wahrscheinlich haben deine Leute zuerst angegriffen und er hat sich nur verteidigt“, geht er nun zum Gegenangriff über.

Verteidigt?“, verächtlich schnappt Yarinuyuki nach Luft. „Er hat ihn gefressen! Nennst du das etwa 'sich verteidigen'?“

Nun zuckt Inu Yasha doch kurz erschrocken zusammen, und langsam begreift er den Irrtum der hier vorliegt.

„Ähm, Moment!“, meint er nun beunruhigt. „Ich bin ziemlich sicher du meinst da einen ganz anderen Kerl als ich?“

„Ach ja?“, schnappt Yarinuyuki aufgebracht. „Wie viele von euch Nishiaitsu (Westyoukai) rennen denn hier sonst noch herum, hää?“

Doch noch ehe Inu Yasha dazu kommt zu antworten, vernimmt er einen Geräusch von der oberen Kante des Wasserfalls her. Mit einem mächtigen Sprung stürzt sich gerade eine schlanke Gestalt von der Kante herunter und kommt straucheln und völlig außer Atem auf dem Boden auf. Es ist ein Youkai. Er trägt einen langen geflochtenen Zopf und ist von Kopf bis Fuß mit Schlamm verschmiert und völlig durchnässt. Als er nun der anderen Personen gewahr wird, bleibt er stehen und mit angsterfüllten, goldenen Augen starrt er wie gelähmt in die Runde.

Inu Yasha schaltet rasch. „Ich würde mal fast vermuten, nur noch der da!“, bemerkt er zähneknirschend.

Yarinuyukis Augen werden schmal. Gleich gibt sie einigen ihrer Leute ein Signal und sofort stürzen sich mehrere Krieger auf den verstörten Westkrieger und nageln ihn erbarmungslos am Boden fest. Dem Umstand, dass sein Gesicht dabei in eine große Schlammpfütze gedrückt wird, schenken sie keine Beachtung. Hilflos muss dieser es über sich ergehen lassen.

„Hey!“, ärgerlich blitzt Inu Yasha die Nordfürstin an. „Das ist einer von meinen Leuten, und ohne meine Erlaubnis vergreift sich hier niemand an ihm, klar?“

„Ach, meinst du!“, gibt Yarinuyuki herausfordernd zurück. „Das hier ist mein Reich, und hier kann ich tun und lassen was ich will!“

Grimmig beißt Inu Yasha die Zähne aufeinander.

„Beim letzten Mal war das aber anders“, wagt sich jetzt Kagome einzumischen.

Was hast du gesagt?“, schreit Yarinuyuki sie aufgebracht an. Sofort schiebt sich Inu Yasha demonstrativ zwischen sie und seine Freundin.

Doch Kagome bietet der Nordfürstin trotzig die Stirn. „Ich sagte, beim letzten Mal durfte auch keiner die Streuner anrühren, weil Inu Yasha als Fürstensohn für sie gebürgt hat und sie somit unter seinem Schutz standen.“

Yarinuyuki stutzt einen Moment. Dies nimmt Inu Yasha zum Anlass sich zu seiner vollen Größe aufzurichten und ihr kühn ins Gesicht zu blicken. „Ganz genau so ist es! Dieser Krieger gehört zu meinem Volk und ich als sein Fürst bin für seinen Schutz verantwortlich. Oder willst du die Gesetze der Drei Brüder brechen, Yarinuyuki-sama?“

Für einen Moment kann man direkt sehen wie sehr die Nordfürstin mit sich ringt. Sie scheint hin und hergerissen zwischen dem was sie gerne tun würde und dem was althergebrachtes Gesetz ist und damit unumstößlich bindend für sie.

Letztlich trifft sie eine Entscheidung. Sie presst wütend die Lippen aufeinander und gibt dann Inu Yasha den Weg frei. An ihre Soldaten gerichtet ruft sie: „Na, wird’s bald? Lasst ihn schon los.“ Reichlich widerwillig geben die Krieger ihren Gefangenen frei und ziehen sich wieder zurück.

Inu Yashas Herz klopft bis zum Hals. Das war knapp. Was so ein bisschen Bürokratie doch bewirken kann. Er muss Kagome wirklich dankbar sein, dass sie so schnell mitgedacht hat. Ihm wäre diese Begründung vermutlich nicht so schnell eingefallen. Zum Glück hält der Nordclan die Statuten und Gesetze ihrer Vorfahren geradezu hörig in Ehren.

Eilig marschiert er nun an Yarinuyuki vorbei, hin zu dem Westkrieger der gerade schwerfällig darum bemüht ist sich aus der Schlammpfütze aufzurichten. Inu Yasha atmet einmal tief durch. Er hat nun etwas an Boden zurückgewonnen, wenn er sich aber den Respekt der Nordyoukai bewahren will, muss er jetzt Stärke zeigen.

Mit einem harten Griff packt er den Krieger hinten am Zopf und reißt ihn auf die Füße hoch. Dieser blickt ihn nur beklommen an.

„Wie ist dein Name?“, schreit der Hanyou ihn ärgerlich an.

„Shida... mein Fürst“, stammelt der Krieger verängstigt.

Inu Yashas Miene verfinstert sich. „Spar dir gefälligst das 'mein Fürst'!“, ruft er aufgebracht. „Den Befehl hier herzukommen hast du nicht von mir gekriegt, oder?“

„Nein, mein F... Inu Yasha-sama“, gibt der Krieger kleinlaut zu.

Der Hanyou schnauft vernehmlich aus. „Ich will jetzt auf der Stelle wissen, wo die anderen von euch stecken. Wo ist Matsuba?“

Selbst unter dem ganzen Schlamm kann man erkennen, dass Shida erbleicht. Dann mit einem Ruck reißt er sich aus Inu Yashas Griff los und dann wirft er sich ihm zitternd vor die Füße, wobei er sein Gesicht beinah wieder im Schlamm vergräbt.

„Bitte vergebt mir, Inu Yasha-sama!“, fleht er eindringlich. „Ich... wir konnten nicht das geringste gegen ihn ausrichten. Der Feind war einfach übermächtig. Matsuba-sama ist aller Wahrscheinlichkeit nach tot. Ich... hörte wie Er ihn tötete.“ Blankes Entsetzen ist in das Gesicht des jungen Kriegers gezeichnet.

Inu Yasha blickt abschätzend auf den unterwürfigen Youkai herab. Sein Zorn ist inzwischen halbwegs verraucht. Die Angst die dieser Krieger empfindet, ist fast greifbar. Wenn selbst Sesshomaru in der Gegenwart dieses Gegners der Angstschweiß ausbricht, ist es vermutlich nicht gerechtfertigt weiter wütend auf diesen verängstigten und verletzten Soldaten zu sein.

„Schon gut, komm wieder hoch!“, fordert ihn Inu Yasha unwirsch auf.

Nur zögerlich wagt Shida es der Anweisung Folge zu leisten. Mit großen angsterfüllten Augen blickt er den Hanyou an, sagt aber kein Wort.

„Guck mich nicht so verhuscht an“, meint Inu Yasha genervt. „Von jetzt an stehst du unter meinem Schutz. Es passiert dir also nichts, klar?“ Die Augen des Kriegers weiten sich ungläubig.

Doch urplötzlich beginnt um sie her eine Art Geraune unter den Nordkriegern. Auf der Klippe über dem Wasserfall erscheint gerade eine fremde Gestalt und bezieht dort oben abschätzend Stellung. Der Westkrieger neben Inu Yasha beginnt nun wieder zu zittern als er den Mann bemerkt der von dort oben auf die Gruppe herunterblickt

Sofort wendet Inu Yasha sich dem Neuankömmling zu. Er spürt wie sich sein Puls vor Aufregung beschleunigt. Dies ist er also, der ominöse Fremde der seinen Bruder mit solch spielerischer Leichtigkeit so zugerichtet hat. Nervös fasst er Tessaiga fester.

Der Fremde sieht aus wie ein junger Mann mit langen, tiefschwarzen Haaren, die er auf dem Haupt zusammengebunden hat. Die beschlagene Lederrüstung die er trägt, wirkt ein wenig abgenutzt und stellenweise blutbefleckt. Offenbar hat er sie einem seiner Opfer abgenommen. Arm- und Beinschienen sind ebenfalls beschlagen und an seinen Füßen trägt er nun ein Paar Zouri-Sandalen aus Reisstroh, an dessen Spitze schwarze, lange Fußnägel hervorragen. Auch die Nägel an seiner Hand sind schwarz und bilden einen beunruhigen Kontrast zu der blassen Haut. Am unheimlichsten sind jedoch seine Augen. Tiefrote Iriden schauen zu den versammelten Youkai herüber und dieser Blick verursacht Kagome einmal mehr eine Gänsehaut. Mit diesem Youkai ist sicher nicht zu spaßen.

Wachsam verfolgen die Nordyoukai jede seiner Bewegungen, bereit jederzeit ihrer Fürstin zur Seite zu stehen, sollten sie den Befehl erhalten.

Auch Yarinuyuki blickt dem Fremden entgegen und ihre Kiefer sind hart aufeinandergepresst. Mit eisblauen Augen funkelt sie ihm grimmig entgegen. Ihr Schwert, das in einer fast durchsichtigen Scheide steckt, ruht noch immer an ihrer Seite. Hoch aufgerichtet steht sie da und hat demonstrativ die Arme verschränkt.

Der schwarzhaarige Mann nimmt die Anwesenden von seinem erhöhten Standpunkt aus abschätzend in Augenschein. Dann sagt er leicht amüsiert: „Da ist man auf der Suche nach einer Maus und findet ein ganzes Nest.“ Er hat nicht laut geredet aber da die meisten Anwesenden Youkai sind, haben sie ihn trotzdem gehört.

Bestimmt tritt Yarinuyuki vor: „Du bist also der Kerl, der durch meine Länder strolcht und meine Krieger frisst, was?“

Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwindet. „Und ich vermute du sollst die besagt Fürstin dieser degenerierten Bande sein.“ Er schüttelt verächtlich den Kopf. „Unglaublich, du bist ja noch ein halbes Kind.“

Ein Ruck geht durch Yarinuyukis Körper, doch sie reißt sich gerade noch zusammen. Jedoch fletscht sie wütend die Zähne und ballt die Hände zu Fäusten.

„Du dreister Hundesohn!“, quetscht sie mühsam kontrolliert hervor. „Du hast es gerade nötig! Als ob das Alter eine Rolle spielt. Ich hab schon Youkai den Hintern versohlt die älter und weniger dreist waren als du. Und als Herrin dieses Reiches erwarte ich gefälligst etwas mehr Respekt, wenn du mit mir redest. Andernfalls kann ich ihn dir auch gern scheibchenweise beibringen, klar?“

Einen Moment herrscht Schweigen, dann legt sich ein geringschätziges Schmunzeln auf seine Lippen. „Kleine vorlaute Mädchen, ringen mir keinen Respekt ab!“, meint er. „Du könntest mir nicht in hundert Jahren das Wasser reichen, also setzt dich brav hin und halt den Mund!“

Im selben Augenblick leuchten seine Augen hellrot auf und eine gewaltige Aura überschwemmt die Umgebung, sodass sämtliche Nordyoukai für einen Moment die Knie weich werden und sie eingeschüchtert den Blick senken.

Inu Yasha trifft die Wucht dieser Aura wie einen Dampfhammer vor die Brust. Etwas in ihm schreit danach sich augenblicklich zu Boden zu werfen und auf das Schlimmste zu hoffen. Sein Herz macht einen Sprung und rast dann weiter und kalter Schweiß bricht ihm aus jeder Pore. Er spürt wie seine Hände zu zittern beginnen und fasst deshalb Tessaiga umso fester. Er registriert gerade noch, dass sich Shida neben ihm wimmernd auf dem Boden windet und nun begreift er was es ist das alle, die diesem Youkai begegnen, in Panik verfallen lässt. Der Drang einfach Hals über Kopf davonzustürzen, oder sich unterwerfend zu Boden zu schmeißen, ist fast übermächtig. Doch er rührt keinen Muskel sondern behält seinen Blick nur starr auf den fremden Dämon gerichtet.

Neben sich bemerkt er eine Regung. Es ist Yarinuyuki. Sie steht hoch aufgerichtet da und nun liegt ihrerseits auf ihrem Gesicht ein verwegenes Grinsen.

„Spar dir deine Dominanz-Aura“, ruft sie ihm verächtlich zu. „Mit solchen kindischen Tricksereien kannst du mir nicht imponieren. Jeder rechtmäßige Fürst beherrscht diese Technik auch und gegen uns ist sie völlig wirkungslos.“

Nun wird sein Blick wieder ernst. „Dann solltest du vielleicht mal überlegen, weshalb meine Aura so gut bei deinen Leuten wirkt“, bemerkt er kühl.

Sofort zieht sich Yarinuyukis Miene wieder zu. „Du bist kein Fürst!“, stellt sie klar. „Ich kenne die Fürsten dieses Landes und du bist keiner davon. Das wäre ja ganz was Neues.“

„Wer hat denn gesagt, dass ich etwas Neues bin?“, antwortet der schwarzhaarige Daiyoukai nun unheilvoll.

Die Nordfürstin schnaubt verächtlich auf. „Ist mir völlig egal was du bist. Aber wenn du mich auf meinem Grund und Boden herausfordern willst, wirst du dich gefälligst an die geltenden Bestimmungen halten. Dazu gehört, dass du dich wenigstens mal vorstellen solltest.“

Nun hebt der Fremde würdevoll den Kopf. „Mein Name ist Sesshomaru, Sohn des Inu no Taishou und das ist nicht dein Grund und Boden, sondern meiner!“

Nun entfährt Yarinuyuki unvermittelt ein gehässiges Lachen. „Du willst Sesshomaru sein?“, gluckst sie. „Du könntest ihm vermutlich nicht unähnlicher sein. Aber deine bodenlose Dreistigkeit muss man fast bestaunen.“ Ihre Augen verraten jedoch, dass sie alles andere als amüsiert ist. „Aber nun noch mal im Ernst. Wer bist du? Ich hasse nämlich Aufschneider. Und Lügner ganz besonders.“ Ihre Miene ist nun ernst.

Inu Yasha hat dem ganzen Wortgefecht nur schweigend zugehört. Immer wieder geht sein Blick zwischen den beiden hin und her. Er kann sich nicht helfen, aber er bestaunt Yarinuyuki dafür, dass sie noch immer solche selbstbewussten Reden führen kann. Ihm selber hat es gründlich die Sprache verschlagen und ihm wird abwechselnd heiß und kalt. Was ist das bloß? Wenn er nicht mit beiden Händen in den Stoff seines Gewandes krallen würde, würden seine Finger vermutlich unkontrolliert zittern.

Er schluckt schwer. Was er gerade fühlt ist eine undefinierbare Angst, die ihn mit aller Macht dazu bringen möchte die Flucht zu ergreifen. Er versteht nicht einmal wieso. Vom Äußeren her macht der Fremde gar keinen so bedrohlichen Eindruck. Doch allein in seiner Gegenwart zu sein, löst in ihm etwas aus, das ihm die Knie weich werden lässt. Eiskalt läuft es ihm den Rücken herunter wenn er es nur wagt den Kopf zu heben. Wenn es das ist, was Sesshomaru auch gespürt hat, dann ist es kein Wunder, dass sein Bruder so durch den Wind war. Die Aura die dieser Youkai aussendet ist einfach übermächtig und er ist kaum in der Lage sich auch nur zu rühren.

Wieder geht sein Blick hinüber zu Yarinuyuki. Die Fürstin des Nordens steht mit hoch erhobenem Haupt da und begegnet unverwandt dem Blick des Fremden. Doch wenn er genau hinsieht, scheinen auch ihre Finger leicht zu zittern, was sie kaschiert indem sie jetzt demonstrativ die Arme verschränkt.

Auch der Fremde beobachter die Nordfürstin eingehend und obwohl er noch immer einen munteren Eindruck macht, spürt Inu Yasha, dass sein Lächeln längst nicht so ehrlich ist wie es den Anschein hat. Gerade jetzt hat er eher den Eindruck, dass der Youkai, der sich hier Sesshomaru nennt, ohne jede Gewissensbisse den nächsten der ihm dumm kommt einen Kopf kürzer machen wird. Und warum überhaupt Sesshomaru, Sohn des Inu no Taishou? Was kann er sich davon versprechen gerade diesen Namen anzunehmen? Was auch immer der Grund sein mag, er ist ihm offenbar ernst, denn gerade blickt er Yarinuyuki auf wirklich beängstigende Weise an.

„Spottest du etwa über mich?“, kommt es nun gefährlich von dem Schwarzhaarigen. „Aber ich muss dir recht geben. Zu behaupten dieser jämmerliche Wicht von neulich hätte auch nur irgendetwas mit mir gemein, wäre die reinste Anmaßung.“

Nun bekommt Yarinuyukis Stimme Grabeskälte. „Maß du dir besser nicht an, so über Fürst Sesshomaru zu reden! Wenn er davon Wind bekommt, wirst du deines Lebens nicht mehr froh, verlass dich drauf! Ich weiß wovon ich rede.“

Nun lässt der selbsternannte Sesshomaru seine Nackengelenke knacken. „Und ich bin ziemlich überzeugt davon, dass dieser Wicht keinerlei ernste Bedrohung mehr für mich darstellt.“ Nun geht sein Blick zu Inu Yasha hinüber. „Kann es sein, dass du mit diesem besagten Kerl etwas zu tun hast? Du riechst ihm ähnlich.“

Nun da das Wort an ihn gerichtet wird, fährt Inu Yasha unwillkürlich zusammen, als hätte ihn etwas gestochen. Er ertappt sich dabei, dass er sich wünscht, der Andere möge ihn einfach vergessen haben. Nur mit Mühe unterwirft er seine Zunge seiner Kontrolle. „Ich bin sein Bruder.“ Es abzustreiten brächte vermutlich keine Vorteile. Er atmet noch einmal tief durch, fasst den Griff seines Schwertes fester und hebt dann so entschlossen wie möglich den Kopf. „Mein Name ist Inu Yasha, und ich bin stellvertretend für ihn gekommen, um dir Manieren beizubringen.“

Doch sogleich fällt ihm Yarinuyuki ins Wort. „Gar nichts wirst du! Das ist immer noch mein Land und ich werde das hier mit ihm klären, klar?“

„Wo ist er denn, dein Bruder?“, unterbricht der Schwarzhaarige sie nun seinerseits; das letzte Wort klingt verächtlich. Ein genüssliches Schmunzeln liegt um seine Lippen. „Da er hier nicht persönlich erschienen ist, muss ich wohl annehmen, dass er sich momentan in keiner guten Verfassung befindet. Zumindest war er in keinem besonders passablen Zustand als wir uns zuletzt begegnet sind.“

Inu Yasha beißt die Zähne zusammen. Er hat noch nicht vergessen wie knapp sein Bruder dem Tod von der Schippe gesprungen ist nach dieser Begegnung. Man muss Sesshomaru schon bewundern. Er ist manchmal geradezu abartig hart im nehmen. Und der Hanyou hat auch noch nicht vergessen, was er beabsichtigt mit dem Verursacher diese Verletzungen anzustellen. Keiner vergreift sich ungestraft so unbarmherzig an seinem Bruder! Keiner außer ihm! Jedoch im Augenblick könnte er nicht weiter von der Umsetzung dieses Vorsatzes entfernt sein. Noch immer drängen ihn alle seine Instinkte darauf einfach die Flucht zu ergreifen. Doch noch ist er nicht bereit sich unterkriegen zu lassen.

Trotzig reckt Inu Yasha das Kinn. „Träum weiter!“, meint er so selbstbewusst wie er es fertigbringt. „Ich muss dich wohl enttäuschen, aber da hast du dich offensichtlich mit dem Falschen angelegt. So schnell lässt sich Sesshomaru nicht unterkriegen. Was immer du ihm antust, er steckt es weg, verlass dich drauf!“

Der Fremde schnauft einmal vernehmlich aus. Nun lächelt er nicht mehr. „Und wo ist er dann? Wäre es nicht seine Aufgabe hier zu erscheinen und sich mir erneut zu stellen, statt einem... was bist du überhaupt?“ Es klingt irgendwie angewidert.

Inu Yasha ignoriert die Beleidigung. „Nicht nötig“, entgegnet er betont selbstsicher. „Das kann ich auch für ihn erledigen, und keine Sorge ich werde dir schon genug zu tun geben. Er hat Besseres zu tun, als sich mit dir zu messen. Er ist nämlich grade auf dem Weg in die Hölle um seinen Sohn wieder zurückzuholen.“

Für einen Moment weiten sich die Augen des blassen Daiyoukai vor Überraschung. „Was?“, entfährt es ihm.

Doch er ist nicht der Einzige. „Was?“, stößt Yarinuyuki ungläubig hervor. Ungehalten packt sie Inu Yasha am Kragen und zieht ihn zu sich heran. „Erzähl mir nicht, dass das tatsächlich stimmt!“

„Gut, dann erzähl ich es dir nicht“, entgegnet der Hanyou ein wenig überrumpelt.

Sie lässt ihn aufgebracht los. „Dieser Hund ist irre! Er hat sich tatsächlich auf so ein wahnsinniges Vorhaben eingelassen und geht da runter nur um diesen... diesen... Streuner zurückzuholen?“

Inzwischen bereut Inu Yasha längst, dass ihm das herausgerutscht ist. Vermutlich war es keine gute Idee das einfach so frei auszuplaudern. Aber irgendwie ist es wirklich schwer diesem düsteren Youkai eine ehrliche Antwort schuldig zu bleiben. Und nun ist es zu spät. „Doch, er holt ihn zurück“, gibt er zu. „Und solange er weg ist, habe ich das Kommando. Und deshalb liegt es nun an mir, ihn für seine Verbrechen in meinem Reich zu bestrafen.“ Er wünschte selbst er wäre nur halb so zuversichtlich wie er es gerade klingen lässt.

Doch fast schon zu seiner Erleichterung kommt bereits die Gegenwehr. „Kommt nicht in Frage!“, verkündet die Nordfürstin aggressiv. „Er ist in mein Reich eingefallen, hat meinen Krieger gefressen und erhebt Anspruch auf mein Land. Ich kann und werde diese unverschämte Herausforderung nicht einfach ignorieren!“ Erhobenen Hauptes tritt sie einen Schritt vor und zieht ihr Schwert. Hell schimmert es selbst noch im stetig niederprasselnden Regen.

„Hyouamejin ist durstig heute!“, verkündet sie mit einem grimmigen Funkeln in den Augen. „Lass dich nicht länger bitten, sondern stell dich zum Kampf, sofern du den Mut dazu hast. Lass es uns hinter uns bringen!“ Sogleich nimmt sie eine wachsame Kampfpose ein und blickt dem Fremde unverwandt entgegen.

Inu Yasha tritt rasch bei Seite. Die tödliche Entschlossenheit im Gesicht der jungen Fürsten ist unverkennbar. Wie es aussieht hat sie wirklich die stärkeren Rechte sich der Herausforderung des Fremden zu stellen. Und im Grunde reißt er sich wahrhaftig nicht darum, sich mit einem Daiyoukai dieses Kalibers anzulegen, schon gar nicht jetzt wo Kagome in der Nähe ist. Zudem ist er sich nicht einmal sicher, ob er es überhaupt fertig brächte ihm entgegenzutreten. Verflixt! Furcht hat ihn noch nie ausgebremst bisher, aber im Moment wird der Drang, einfach irgendwo anders sein zu wollen, immer stärker, und er begreift nicht wieso. Wie kommt es bloß, dass ihm ein solch unscheinbarer Youkai eine solche Angst macht?

Zu seiner Erleichterung sieht es so aus, als müsse er sich gedulden ehe er es auf ein Kräftemessen mit dem Fremde ankommen lassen kann, denn die Fürstin des Nordens wird keine Einmischungen dulden, das ist ihr deutlich anzusehen.

Innerlich dankbar für die Galgenfrist räumt der Hanyou nun rasch das Kampffeld und weist mit einer kurzen Handbewegung Kagome und den noch immer zitternden Shida an, ihm zu folgen. Zu seiner Erleichterung gibt es keinerlei Widerstand sondern alle Anwesenden scheinen eilig darauf erpicht zu sein, möglichst viel Raum zwischen sich und die beiden Kontrahenten zu bringen.

Allerdings ist noch immer nicht zu erkennen ob der Youkai der sich einmal mehr Sesshomaru nennt, auch auf diese Herausforderung eingehen wird, denn noch immer steht er nur im strömenden Regen und schaut auf die Nordfürstin mit ausdrucksloser Miene herab. Die Spannung die nun in der Luft liegt ist fast schon greifbar.

Schließlich kommt Bewegung in ihn. Mit einem eleganten Sprung stößt er sich ab und setzt leichtfüßig ein Stück entfernt von der Nordfürstin auf der Ebene auf.

„Mir soll es recht sein“, bemerkt er geringschätzig. „Früher oder später wärst du ohnehin mein Opfer geworden. Außerdem bekomme ich langsam wieder Hunger.“

Wütend flackern Yarinuyukis Augen auf bei diesen Worten und lange Reißzähne schieben sich nun unter ihren Lippen hervor. „Na, komm schon her, du unverschämter Bastard! Stell dich und zieh endlich deine Waffe!“ Grimmig hebt sie ihr Schwert zum Angriff, bereit jederzeit vorzustürmen.

„Für jemanden wie dich brauche ich keine Waffe“, grinst er nun gefährlich. Langsam kommt er auf sie zu.

Nun hält Yarinuyuki inne und mustert ihn abschätzend. Dann lässt sie empört die Klinge sinken.

„Du hast keine Waffe?“, schnaubt sie verstimmt. „Ist das dein Ernst? Du bist unbewaffnet? Na, das ist ja hervorragend!“, von ihren Worten trieft es nur vor Zynismus. Verächtlich stemmt sie den Arm in die Seite. „Gegen Unbewaffnete kämpfe ich nicht! Das ist keine faire Herausforderung. Da müsste ich mich den Idealen meiner Ahnen ja schämen.“

Nun ist der fremde Youkai stehengeblieben. Geringschätzig blickt er zu ihr hinüber. „Was soll das, kleines Mädchen? Hast du jetzt doch kalte Füße bekommen und suchst jetzt Ausflüchte?“

Frostig erwidert Yarinuyuki seinen Blick. „Als ob!“, grollt sie. „Du machst mir keine Angst. Aber ich dachte mir schon, dass du eine Kreatur ohne Ehre bist, als ich hörte, dass du Deinesgleichen frisst. Stell mich nicht auf eine Stufe mit dir, ehrloses Gezücht!“

„Es waren mit Sicherheit nicht Meinesgleichen“, erwidert er düster, „und mich auf eine Stufe mit dir zu stellen, käme dir höchstens noch zugute, dummes Mädchen.“ Ärgerlich mahlen seine Kiefer während er kurz überlegt. „Na schön“, meint er schließlich. „Ich werde es dir einfach machen. Ich werde mit dir kämpfen und wenn du es nur einmal schaffst, mich mit deinem Schwert zu treffen, werde ich mich auf der Stelle ergeben und du darfst mit mir verfahren wie du möchtest.“ Amüsiert grinst er sie an.

Yarinuyuki schnauft vernehmlich. „Machst du dich lustig über mich?“, faucht sie grimmig. „Dir wird das Lachen schon vergehen. Ein Treffer mit meinem Schwert ist mehr als ich brauche.“

Mit einem tiefen Grollen in der Kehle hebt sie erneut das Schwert zum Angriff und dann stürmt sie mit grimmiger Entschlossenheit auf ihn los. Doch noch ehe sie ihn erreicht hat, stößt sie sich vom Boden ab und katapultiert sich hinauf in die Luft. „Hisame no mai (Eisregentanz)!“, ruft sie aus und schwingt ihr Schwert Hyouamejin einmal kräftig vor sich durch die Luft. Im selben Augenblick sinkt die Umgebungstemperatur schlagartig um mehrere Grade und zeitgleich gefrieren sämtliche der unzähligen Regentropfen mitten in der leeren Luft. Doch damit nicht genug, die gefrorenen Regentropfen halten zunächst noch inne doch dann kommt wieder Bewegung in sie und sie nehmen dabei solche Fahrt auf, dass jeder Einzelne von ihnen mit erschreckendem Tempo zur Erde rast und ein regelrechtes, flächendeckendes Trommelfeuer an Eiskügelchen die gesamte Ebene mit kleinen Kratern übersät, wobei offenbar kein Ende in Sicht scheint, solange es regnet.

Inu Yasha und Kagome haben es gerade noch geschafft in den Schutz der umstehenden Bäume zu springen, zusammen mit den anderen Kriegern des Nordclans. Keinen Moment zu früh. Nicht ein Grashälmchen steht noch auf der Lichtung. Die Wiese ist eine einzige Kraterlandschaft.

Hoch über ihnen schwebt die Fürstin des Nordens. Der weiße Pelz auf ihrer Schulter weht heftig um sie herum. Noch immer hat sie das Schwert erhoben und eisig blaue Augen glimmen auf ihren Gegner herab der nach wie vor an der selben Stelle steht und mit schmalem Blick zu ihr hinaufschaut. Direkt um ihn herum ist das Gras noch unberührt.

„Mit dieser kümmerlichen Kälte kannst du mir nicht beikommen, kleines Mädchen“, sagt er mit einem missgünstigen Lächeln.

Doch Yarinuyukis Miene fehlt jeglicher Humor. „Spar dir das! Ich habe noch nicht mal angefangen.“ Dann stößt sie einen wütenden Schrei aus und im sofort stürzt sie aus der Höhe mit unglaublicher Geschwindigkeit auf ihn herab, das Schwert grimmig zum Schlag erhoben.

Er sieht sie kommen und lässig weicht er dem Hieb aus, doch sie lässt sich nicht täuschen. Schon im nächsten Moment fährt sie herum und schwingt das Schwert nach ihm. Doch wieder verfehlt sie ihn um Haaresbreite.

Ruckartig fliegt ihr Kopf herum, und wieder setzt sie ihm nach. Ihre Hiebe sind kraftvoll und kontrolliert, doch noch immer weicht er jeder ihrer Bewegung aus. Yarinuyuki beißt die Zähne zusammen. Er ist verflixt schnell, das muss sie ihm lassen, doch sie tritt nicht zum Zweikampf an um zu verlieren. Wenn er sich mit einer wahren Daiyoukai anlegt, muss er die Konsequenzen tragen.

„Hör auf wegzurennen und stell dich endlich, du Feigling!“, ruft sie wütend.

„Um mich zu treffen, wirst du dich etwas mehr anstrengen müssen“, kommt es ungeniert von ihm zurück, während er mit geschmeidigen Bewegungen ihren Schlägen ausweicht, als wüste er schon vorher wohin sie schlagen wird. „Deine Strategie ist wirklich erschreckend vorhersehbar.“

Tödlich grinst die Fürstin ihn nun an. „Was für eine Strategie? Ich schlage einfach so lange zu bis ich dich treffe.“ Hell leuchten ihre Augen auf.

Wieder weicht er einem mächtigen Hieb aus. Geringschätzig schnaubt er auf. „Hmp, wie erbärmlich!“

„Findest du?“, gibt Yarinuyuki frostig zurück. „Du solltest mich besser nicht unterschätzen!“ Dann nur einen Wimpernschlag später setzt sie die Schwertspitze für einen Moment auf der Erde auf. „Suosen no Hyouyari!“, sagt sie kalt berechnend und im selben Augenblick schießen aus jedem einzelnen der unzähligen Krater ein langer dünner Eisspieß hervor und verwandeln die gesamte Fläche in ein unabsehbares Meer dicht an dicht stehenden, meterhohen, nadelspitzen Klingen aus Eis, die alles durchbohren, was das Pech hat direkt über ihnen zu stehen.

Genüsslich grinsend blickt Yarinuyuki auf. „Damit hast du nicht gerechnet, was? Du wirst es bitter bereuen, mich herausgefordert zu haben.“ Elegant schwingt sie sich wieder in die Höhe um sich von der Wirkung ihrer Technik einen Eindruck zu verschaffen.

Doch schon im nächsten Moment fliegen ihre Augen auf und sie fährt herum. Der Angriff kommt von hinten und noch ehe sie reagieren kann, befördert sie ein heftiger Tritt hinab in den Wald aus spitzen Eisspießen. Mit heftigem Krachen bricht sie durch die Eislanzen und kommt erst ein ganzes Stück weiter mit einem kurzen Ächzen auf dem Boden zu liegen. Mit einem leichten Schnaufen rappelt sie sich wieder auf. Die meisten Spitzen haben sie verfehlt, doch ein paar haben ihr doch die eine oder andere Wunde verpasst. Der Schmerz ist aber zu vernachlässigen, im Gegensatz zu dem in ihren Rippen. Der Kerl hat wirklich einen ganz schönen Tritt drauf.

Grimmig schaut sie zu ihrem Gegner hoch. Der fremde Youkai schwebt noch immer ein Stück über ihr, doch aus seinem Gesicht ist nun jede Spur von Humor verschwunden. Seine Augen leuchten tiefrot auf und dann senkt er sich langsam wieder auf die Erde hinab. Jedoch in mehreren Metern Umkreis um ihn, beginnen die Eisspieße nun in beängstigendem Tempo zu schmelzen und lassen lediglich Pfützen über.

„Ich sagte doch, dass deine mickrige Kälte mir nichts anhaben kann“, kommt es unheilvoll von ihm. „Spar dir also den Unsinn, und lass uns lieber wieder Platz zum kämpfen machen.“ Nun geht eine kurze Energiewelle von ihm aus und jetzt schmelzen auch noch die letzten Eislanzen zu Pfützen zusammen.

Ein wenig irritiert blickt Yarinuyuki drein, doch rasch fängt sie sich wieder. Sie fletscht die Zähne. „Schön, wie du willst. Lassen wir die Spielereien!“ Wieder hebt sie ihre Waffe zum Angriff.

Kühl blickt er ihr entgegen. „Komm!“, sagt er nur.

Das lässt sie sich nicht zweimal sagen. Mit einem wütenden Kampfschrei stürmt sie auf ihn los. Noch im Laufen hebt sie ihr Schwert. Ein weißes Schimmern hüllt nun die Klinge ein und nun manifestiert sich direkt über der Schneide eine mannshohe, halbmondförmige Sichel aus glasklarem Eis. Mächtig schwebt es gewaltige Objekt über ihr. „Itekama!“, schreit sie und dann ruckartig lässt sie ihre Waffe in seine Richtung nieder gehen und schickt damit die riesige Eissichel auf den Weg. Ein unheimliches Sirren erklingt in der Luft und in rasendem Tempo rotiert das Eisgeschoss um die eigene Achse und direkt auf ihren Gegner zu.

Doch dieser sieht es kommen und reagiert blitzschnell. Eine rasche Bewegung und er duckt sich unter der rotierenden Sichel weg. Jedoch kaum, dass das Eisgeschoss ihn passiert hat, bemerkt er noch etwas anderes. Auf der Seite seines Körpers die der Sichel zugewandt war, bilden sich jetzt zahllose kleine Eiskristalle und Raureif und sein linker Arm ist für einen kurzen Moment unbeweglich geworden.

Ein wenig verwundert sieht er auf die Erfrierungen an seinem Körper herunter. Das ist kein gewöhnliches Eis. Diese Kälte ist dämonischen Ursprungs. Er beißt kurz die Zähne zusammen. Dann lässt er seine Energien fließen und sogleich kehrt die Wärme in seinen Körper zurück. So einfach wird ihn die Kälte nicht überwinden. Er blickt wieder hoch, doch im selben Moment steht sie schon vor ihm und lässt ihre Waffe auf ihn niedergehen. Durchtriebenes, kleines Biest!

Wieder dreht er sich zur Seite um ihr auszuweichen, doch dieses Mal hat sie damit gerechnet und ihre Klinge ein Stück angehoben. Damit streift die äußerste Spitze ihres Schwertes die Haut seiner Wange und hinterlässt eine winzige rote Linie.

Sofort springt er aus dem Weg, doch nun bekommt er die Macht ihres Schwertes zu spüren. An der Stelle wo seine Haut aufgeritzt wurde, brechen nun dicke Eiskristalle aus seinem Körper und beginnen damit in beunruhigendem Tempo seine gesamte Gesichtshälfte zu vereisen. Ein ungläubiges Schnaufen entfährt ihm und sein Atem hinterlässt dicke Kondensstreifen in der Luft.

Hoch aufgerichtet steht Yarinuyuki vor ihm und hat ihm triumphierend ihr Schwert entgegengestreckt. „Ich sagte doch, ich brauche nicht mal einen wirklichen Schlag um dich zu besiegen. Hyouamejin lässt alles gefrieren was es schneidet. Leugnen ist somit zwecklos, also ergib dich!“

Die umstehenden Nordyoukai brechen nun laute Begeisterungsrufe aus. Leidenschaftlich applaudieren sie ihrer Fürstin zu ihrem Darbietung. Erstaunt hat auch Inu Yasha den Kampf verfolgt. Bisher hat er die Fürstin des Nordens noch nie kämpfen gesehen. Ihre Techniken mögen ein wenig brachial sein, aber dafür sind sie sehr präzise ausgeführt und vor allem überaus kräftig. Sie ist schnell und stark und er ist wirklich dankbar, dass nicht er es ist, der sich gerade mit ihr anlegen muss. Kein Wunder, dass ihre Leute sie so bejubeln. Allerdings möchte er auch genau so wenig gerade an ihrer Stelle sein. Ihr Gegner ist einfach nur beängstigend stark.

Doch ist der Kampf damit jetzt wirklich entschieden? So wie es aussieht, scheint für Yarinuyuki kein Zweifel daran zu bestehen. Fraglich bleibt jedoch, ob der Fremde sich auch tatsächlich daran hält und Inu Yasha beschleicht das dumpfe Gefühl, dass der Andere es ganz bestimmt nicht damit bewenden lassen wird.

Wie Recht er damit haben soll, wird sich ihm gleich zeigen, denn nun richtet sich der schwarzhaarige Youkai zu seiner vollen Größe auf. Seine Augen glühen erneut tiefrot auf und sein Blick ist tödlich. Die Luft um ihn her beginnt jetzt zu flimmern und man kann direkt dabei zusehen wie die Eiskristalle in seinem Gesicht schmelzen und sogleich zu feinem Wasserdampf verdunsten.

„Du widerliches, kleines Gör!“, knurrt er zornig. „Für diese Frechheit werde ich dich in Stücke reißen!“

Nun zieht sich Yarinuyukis Miene zu. „Zeter nur so viel du willst, doch wie du siehst hat mein Schwert dich getroffen, also steh zu deinem Wort und ergib dich auf der Stelle, wie du es zugesagt hast!“

Nun legt sich ein gefährliches Lächeln auf sein Gesicht. „Du bist wirklich unfassbar naiv! Hast du wirklich geglaubt, ich würde mich einer wie dir ergeben? Und das nur weil du mich einmal mit deinem Eisstäbchen gestreift hast? Wie dumm kann man eigentlich sein?“

Nun schießt der Nordfürstin unweigerlich die Zornesröte ins Gesicht. „Du dreckiger, ehrloser Bastard! Bist du dir nicht einmal zu schade um wortbrüchig zu werden? Du besitzt wirklich keinen Funken Ehre im Leib. Jemand wie du ist eine wahre Schande für unser Geschlecht!“

„Was weiß eine Frau schon von der Ehre der Männer?“, kommt es herablassend von ihm. „Du solltest wirklich besser deinen Platz kennen und vor allem wissen, wann ein Kampf aussichtslos ist. Bisher habe ich nur mit dir gespielt, aber wenn du wirklich darauf bestehst diesen Kampf fortzusetzen, habe ich keine Nachsicht mehr für dich. Besser du und deine Sippe ergebt euch gleich. Euer Reich wird über kurz oder lang ohnehin mir gehören, also warum wollt ihr sterben? Mit mir als Fürst wird dieses Reich endlich wieder richtig geführt werden. Noch habt ihr also Gelegenheit euch unterzuordnen und mir die Treue zu schwören. Anderenfalls werde ich nicht zögern euch einen nach dem anderen auszulöschen.“

Entrüstetes Schimpfen und Fluchen von Seiten der Nordkrieger ist die Folge. Man kann ihnen direkt ansehen, wie sehr sie die Worte in Rage versetzt haben. Wie kann dieser Fremde nur so ungeheuerlichen Reden schwingen?

Inu Yasha und Kagome beobachten das Geschehen mit wachsender Besorgnis. Das hier entwickelt sich nicht gerade gut. Der Hanyou blickt nun wieder hinüber zu Yarinuyuki, die bis jetzt noch kein Wort gesagt hat, doch er kennt sie gut genug, um zu wissen, dass das nicht so bleiben wird.

Zunächst ist die Nordfürstin zu perplex über die unverschämten Worte um darauf zu reagieren, doch dann kann man direkt sehen wie die Luft um sie her abkühlt und lange Reißzähne treten unter ihren Lippen hervor. Stechende blaulodernde Augen starren ihren Gegenüber an und sie atmet vernehmlich ein und aus.

Als sie spricht ist ihre Stimme mehr ein Knurren. „Einem ehrlosen Gezücht wie dir, werden wir uns niemals unterordnen, du mieser, wortbrüchiger Verräter! Nur aus Achtung vor unseren Traditionen habe ich dir gestattet, dich mit mir im Zweikampf zu messen, doch du hast diese Ehre mit Füßen getreten. Das wirst du bitterlich büßen! Erwarte keinerlei Nachsicht mehr von mir. Wir werden dich erbarmungslos zur Strecke bringen! Itakouri!“ Laut fliegt der Name über den Platz und im selben Moment steht der angesprochene Hauptmann stramm. Da ertönt auch schon der erwartete Befehl: „Na los, macht ihn nieder! Kein Erbarmen mehr!“

Apokalypse

Unmittelbar nach den Worten ihrer Fürstin sind sämtliche blaue Augenpaare unbeirrbar auf ihren Gegner gerichtet. Genüsslich gehen die Krieger in Angriffsstellung und von allen Seiten ist kehliges Knurren zu vernehmen. Reißzähne verzerren die sonst menschlichen Gesichter zu tierhaften Fratzen und Waffen werden ungeduldig fester gegriffen. Die muskulösen Körper sind so angespannt dass sie vor freudiger Erwartung beben.

Da endlich ertönt von Itakouri das ersehnte Signal: „Angriff!“ Im selben Moment schnellen sämtliche Krieger wie von der Sehne geschossen mit wildem Knurren und grimmig erhobenen Waffen zwischen den Bäumen hervor und stürmen mit wütendem Kampfgeschrei auf ihren Feind zu um ihm wie befohlen fachgerecht den Rest zu geben.

Inu Yashas Augen weiten sich erschrocken. Nie zuvor hat er ein Heer aus Youkaikriegern auf diese Weise entfesselt erlebt. Er hat in seinem Leben schon einiges gesehen aber wenn er sieht mit welcher Wut und Entschlossenheit diese Nordkrieger nun zur Sache gehen, bekommt er plötzlich ein wirklich unangenehmes Gefühl in der Magengegend.

Und zum ersten Mal beginnt er zu verstehen, warum die Drei Brüder einen Krieg zwischen den Reichen als wirklich allerletztes Mittel festgelegt haben. Es ist völlig unabsehbar wie diese wilde Horde, die sich nun immer mehr aus den umliegenden Bäumen ergießt, jemals wieder gestoppt werden soll. Es werden immer mehr. Viel mehr als man zunächst den Anschein hatte. Offenbar hat die Nordfürstin tatsächlich ihr ganzes Heer mitgebracht. Und allesamt stürzen sich nun mit wildem Geschrei auf den schwarzhaarigen Youkai der sich ihrer Fürstin gegenüber gerade so unverschämt geäußert hat. Von so einer Loyalität kann ich nur träumen, denkt Inu Yasha bei sich.

Doch er kommt nicht mehr dazu den Gedanken zu beenden, denn nun bleibt sein Blick an dem fremden Youkai, der sich Sesshomaru nennt, hängen. Der Fremde blickt der heranstürmenden Armee mit einer finsteren Miene entgegen. Jetzt richtet er sich zu seiner vollen Größe auf und lange schwarze Krallen schieben sich aus seinen Fingern hervor. Mit einem heftigen Hieb fegt er die erste Salve der Angreifer einfach beiseite. Mit dem zweiten Hieb die nächste und nun weiten sich Inu Yashas Augen fassungslos.

Der Fremde beginnt jetzt jedem Hieb, jedem Schlag und jedem Waffenstoß auszuweichen. Mit fast schwindelerregender Sicherheit duckt und wendet er sich unter den Attacken hindurch, weicht Schwerthieben aus und entgeht Speerstößen, als gäbe es nichts leichteres auf der Welt. Dabei nutzt er jede noch so kleine Lücke um seinerseits präzise Schläge und Tritte zu verteilen, die seine Kontrahenten immer wieder von sich schleudern.

Inu Yasha kann beinah nicht glauben was er da beobachtet. Eine solch gruselig perfekte Körperbeherrschung ist einfach nicht normal. Er selbst ist davon noch um Längen entfernt. Sesshomaru ist bereits einer der stärksten Gegner der ihm je untergekommen ist und selbst er konnte bisher nicht mit einer solchen Geschwindigkeit und Geschicklichkeit aufwarten. Nun wundert es ihn nicht länger, dass sein Bruder so vernichtend geschlagen wurde. Beim Anblick dieser tödlichen Präzision bleibt ihm beinah die Luft weg. Wer zum Teufel ist dieser Kerl?

Gerade als sich wieder ein ganzer Trupp Soldaten auf den schwarzhaarigen Youkai stürzen will, hat dieser offenbar genug von dem Geplänkel, denn urplötzlich duckt er sich kurz zusammen nur um sich dann mit einem Ruck wieder aufzurichten. Und im selben Moment bricht eine heftige Druckwelle aus flimmernder Luft aus ihm hervor und stößt alles und jeden der ihn umgibt mit enormer Wucht in alle Richtungen hin von sich weg. Mindestens zwanzig Youkai werden somit quer über den Platz geschmettert und schlagen mit lautem Krachen in den umstehenden Bäumen auf. Doch die verbliebenen Kämpfer lassen sich davon nicht beirren. Sofort stürzen sie sich wieder auf ihn.

Hoch aufgerichtet steht er da. Geschwind macht er einige Handzeichen und nun formen Daumen und Zeigefinger ein 'O'. Er holt einmal tief Luft und dann bläst er durch die Fingerlücke hindurch. Direkt dahinter verwirbeln sich jetzt die Luftströme und Funken schlagen hervor. Lediglich einen Wimpernschlag später hat sich dieser Luftwirbel in einen gewaltigen Tornado aus grell leuchtenden Flammen verwandelt, der nun wild lodernd und brachial all denen seiner Gegner entgegenwalzt die es wagen in seine Nähe zu kommen.

Im ersten Moment sind die Nordyoukai ein wenig eingeschüchtert. Das wütende Feuer behagt ihnen gar nicht. Jedoch sind sie weit davon entfernt sich davon völlig abschrecken zu lassen. Wütendes Knurren entfährt ihnen und schon rücken die Krieger wieder näher, wenn auch mit ein wenig mehr Achtsamkeit.

Noch immer lodert ein gewaltiger Ring aus Feuer um das Ziel ihres Angriffes. Jetzt taucht Itakouri neben seinen Untergebenen auf. Seiner Miene fehlt jeglicher Humor. „Nicht nachlassen!“, befiehlt er scharf. „Er geht in die Defensive. Greift ihn!“ Und mit diesen Worten holt er mit dem kräftigen Speer in seiner Hand aus, seine Augen lodern grell auf und schon einen Moment später geht seine Waffe in Richtung seines Gegners hernieder. Doch damit nicht genug. Durch den Schwung lösen sich plötzlich mehrere mächtige, dünne Kegel aus Eis aus der Spitze seiner Waffe und fliegen quer über den Platz. Wo sie den Boden berühren, löscht ihre dämonische Kälte jede Flamme aus und eine Schneise in dem Flammenring entsteht.

Diese Gelegenheit lassen seine Krieger nicht ungenutzt. Mit wütendem Schrei durchqueren jetzt mehrere der Krieger die Flammen und greifen erneut an. Wie es aussieht ist Itakouri längst nicht der einzige Nordkrieger, der im Kampf über das Element Eis verfügt. Zahlreiche andere Soldaten sehen dies nun als Signal um mit verhängnisvollen Eistechniken in die Schlacht einzugreifen. Nur wenige Augenblicke später ist die Luft erfüllt von umherfliegenden Eisspießen, Schneebällen und Blizzards und die Ebene verwandelt sich zusehends in eine Eislandschaft.

Den fremden Youkai scheint das jedoch wenig zu beeindrucken. Seine Gegner können immer nur in kleinen Gruppen angreifen, ohne sich anderenfalls gegenseitig zu behindern. Diesen Vorteil nutzt er sehr geschickt dazu die angreifenden Grüppchen auseinander zu sprengen. Immer wieder kontert er ihre Eisattacken mit gleißenden Feuertornados und verdampft das Eis zu reichlich Wasserdampf. Immer mehr Nebelschwaden ziehen nun über den Kampfplatz und die Sicht wird schlechter.

Zudem verlieren die Angriffe der Nordyoukai nun allmählich an Elan. Das mag daran liegen, dass die Temperatur auf der schwadenüberzogenen Wiese langsam immer mehr ansteigt und die Luft zunehmend Saunaqualität bekommt. Diese Hitze scheint den kältegewöhnten Kriegern immer mehr zu schaffen zu machen. Das stellt nun auch Itakouri fest. Schon jetzt rinnt ihm der Schweiß aus jeder Pore und das Luftholen wird immer schwieriger. Ein Blick zu ihrem Gegner sagt ihm, dass dies wohl auch ihm aufgefallen ist. Nicht nur das, seinem genüsslichen Grinsen zufolge, war das womöglich sogar einkalkuliert. Hier muss schnell gehandelt werden.

„Lasst die Eisattacken!“, ruft er seinen Untergebenen zu.“Greift ihn frontal an! Treibt ihn umher! Hier spielt ihm die Hitze in die Hände.“

Dass das Lächeln des anderen nun verschwindet, zeigt ihm, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Aber seine Soldaten sind fähig. Sogleich machen sie sich daran, seine Befehle zu befolgen. Mit grimmiger Wut attackieren sie ihn von Neuem und treiben ihn immer mehr von der Wiese weg. Fort von diesem stickigen Dunstkreis. Stattdessen setzen sich die Scharmützel jetzt im umliegenden Wald fort, wobei die Krieger eifrig bemüht sind ihren Feind umher zu hetzen und nur nicht zur Ruhe kommen zu lassen.

Inu Yasha hat sich unterdessen noch nicht vom Fleck gerührt, sondern er beobachtet mit weit geöffneten Augen das umliegende Kampfgeschehen. Nun zupft ihn Kagome behutsam am Ärmel Er zuckt unwillkürlich zusammen. „Willst du gar nicht eingreifen?“, fragt sie. Für einen Augenblick denkt der Hanyou scheinbar sehr angespannt über ihre Worte nach. Normalerweise wäre es nicht einmal nötig die Frage mit 'Ja' zu beantworten. Was ist es also, das ihn noch zurückhält? Ist es die Etikette die die Kampfhandlungen zwischen den verschiedenen Clans regeln, oder ist es doch diese undefinierbare unterschwellige Furcht vor einem klar übermächtigen Gegner? Er ist sich wirklich nicht sicher. Unruhig richtet er seinen Blick wieder auf das Kampfgetümmel im umliegenden Wald. Immer wieder sieht man große Staubwolken aufsteigen, Bäume krachend umstürzen und die umherfliegende Felsbrocken von weggesprengten Gebirgsteilen und bei jedem lauten Knall zuckt der Hanyou einmal kurz zusammen. Wildes Rufen und zornige Kampfschreie sind zu hören und hier und dort schießt eine mächtige Feuersäule in den Himmel hinauf.

Inu Yashas Augen suchen Yarinuyuki. Auch die Nordfürstin steht noch ein Stück entfernt auf der Lichtung und verfolgt angespannt jedes Detail des Kampfes. Man sieht ihr deutlich an, dass sie wütend aber auch ein wenig ratlos ist. Offensichtlich hatte sie nicht angenommen, dass das ganze Unterfangen so lange dauert.

„Ich glaube, das ist im Moment keine gute Idee“, beantwortet er Kagomes Frage. „Ich bin ziemlich sicher, dass Yarinuyuki mir das übelnehmen würde, wenn ich sie womöglich um einen Sieg bringe.“

Abschätzend mustert Kagome ihren Freund. Er wirkt gerade unheimlich nervös und hibbelig. Sein Gesicht ist ungewöhnlich blass und der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Zudem scheint er wesentlich öfter als normal zu blinzeln und sein Atem ist ebenfalls beschleunigt. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie sagen, er ist kurz davor in Panik zu verfallen. Und die Tatsache, dass dies wirklich ungewöhnlich ist, beschert auch ihr ein überaus mulmiges Gefühl in der Magengrube. „Bist du sicher, dass das der einzige Grund ist?“, beschließt sie anzumerken.

Inu Yashas Blick geht flüchtig hinüber zu dem verstörten Youkai aus dem Westen, der sich neben ihnen fast panisch zusammengekauert hat und die Arme um seine Knie schlingt. Der Hanyou beißt sich unbehaglich auf die Lippen. „Ich... bin mir nicht sicher“, gibt er schließlich zu.

Kagomes Augen weiten sich ein wenig. „Soll das heißen, du hast Angst?“, versucht sie sich Gewissheit zu verschaffen.

Inu Yasha lässt einmal bedächtig die Luft entweichen. „Du kannst das nicht verstehen“, meint er verhalten und ballt krampfhaft eine Faust. „Dieser Kerl hat etwas an sich... ich weiß nicht was, aber alles in mir schreit danach wegzulaufen.“ Es ist ihm anzusehen, wie ungern er das zugibt. „Vielleicht hat Yarinuyuki recht mit dieser Dominanz-Aura. Vielleicht ist es einfach das Hundeblut in meinen Adern.“ Seine andere Hand greift Tessaigas Griff fester. „Aber irgendetwas an ihm lässt einem wirklich die Knie weich werden, ob man will oder nicht.“

„Und doch bist du immer noch hier“, bemerkt Kagome zuversichtlich.

Inu Yasha krallt seine Finger um den Griff seines Schwertes.“Ich wünschte ich könnte beschreiben was für ein elendiges Gefühl das ist“, setzt er unbehaglich an. „Mein Kopf sagt, dass ich geschworen habe den Kerl zur Verantwortung zu ziehen, aber mein Instinkt sagt: Lauf weg so schnell du kannst! Kein Wunder, dass Sesshomaru so durch den Wind war.“

Mitleidig betrachtet Kagome ihren Freund. Es scheint ihm wirklich sehr zu schaffen zu machen. Sie selbst spürt von dieser seltsamen Furcht-Aura nichts und der einzige Grund warum ihr inzwischen auch immer mulmiger zumute wird, ist weil Inu Yasha sich so völlig untypisch gebärdet. Was immer dem Hanyou so viel Angst einjagt, dass er nicht einmal mehr kämpfen kann, ist bestimmt ein großer Grund zur Sorge.

Nun blickt auch Kagome zu der Nordfürstin hinüber. „Denkst du, dass Yarinuyuki Recht hatte als sie meinte es hätte keine Wirkung auf sie? Sie sieht etwas unentschlossen aus.“

Inu Yasha verzieht das Gesicht. „Keine Ahnung. Aber sie sagte, dass es auf rechtmäßige Fürsten nicht wirkt. Vielleicht ist das der Grund warum es bei mir so gut funktioniert.“

„Ach, Unsinn!“, gibt Kagome tadelnd zurück. „Sesshomaru hat dich offiziell zum Fürsten erklärt. Von daher musst du dir darüber keine Gedanken machen.“

„Na ja, so offiziell war es ja nun nicht“, wendet Inu Yasha ein. „Das war doch eher so eine Aktion durch die Hintertür. Von offiziell kann da eher keine Rede sein.“

„Du suchst doch nicht etwa eine Ausrede?“, hakt Kagome skeptisch nach.

„Das nicht, aber...“, weiter kommt er nicht. In diesem Moment braust direkt über ihnen eine mächtige Feuerwalze entlang und äschert sämtliche Baumkronen auf ihrem Weg ein. Gerade noch im letzten Moment reagieren die Reflexe des Hanyou. Rasch schnappt er sich Kagome und springt mit ihr hastig aus dem Weg. Keinen Moment zu früh, denn schon im nächsten Moment explodieren die Bäume hinter ihnen in einem gewaltigen Inferno. Im letzten Augenblick schafft es auch Shida noch aus dem Weg zu hechten und zu den beiden aufzuschließen. Er zittert am ganzen Körper. Und jetzt ist es um Inu Yashas Fassung endgültig geschehen. Sein Körper verselbstständigt sich und mit einem geübten Schwung setzt er sich Kagome auf den Rücken und in heilloser Panik rennt er völlig kopflos davon so schnell ihn seine Füße tragen, dicht gefolgt von dem keuchenden Shida und nur wenige Momente später sind sie schon außer Sicht.

Mit einer finsteren Miene hat die Nordfürstin es beobachtet. Sie schnaubt einmal verächtlich aus während sie sieht wie die drei zwischen den Bäumen verschwinden. Dieser kleine Feigling!, schimpft sie bei sich. War ja klar, dass der Westen Fersengeld gibt sobald die Sache etwas brenzlig wird. Am Rande ihres Bewusstseins ist ihr zwar klar, dass diese Aura der Furcht, die noch immer über ihnen hängt, nicht ganz unschuldig daran sein mag, doch sie hat keine Zeit diesem Gedanken jetzt weiter Raum zu geben. Auch sie spürt diese instinktive Panik noch immer bis hinunter in ihre Knochen, doch sie wird den Teufel tun, das irgendjemanden mitbekommen zu lassen. So tief ist sie noch nicht gesunken.

Ein Youkai des Nordens hat keine Angst! Und ihre Fürstin schon gar nicht. Ihre Krieger sind ohnehin nur deshalb überhaupt noch in der Lage zu kämpfen, weil sie als ihre Anführerin sich keinerlei Blöße in der Hinsicht gibt. Das ist das tückische an dieser elenden Dominanz-Aura. Solange sie Stärke zeigt, werden ihre Soldaten ihr folgen und nicht dem Anderen. Doch sobald sie nur die kleinste Schwäche zeigt, wird die fremde Aura sie übermannen und unschädlich machen. Es liegt also allein an ihr und diese Verantwortung lässt ihr das Herz bis zum Halse schlagen. Für gewöhnlich wirkt es sich nicht so extrem aus, aber diese Aura ist einfach wirklich übermächtig und sie darf sich nicht gestatten auch nur ein kleines Bisschen an Boden zu verlieren.

Grimmig schiebt sie einige größere, brennende Äste aus dem Weg. Eben ist sie noch geschickt dem Feuer ausgewichen und ein Großteil der Feuerwalze ist an ihr vorbeigerauscht. Allerdings hatten viele ihrer Krieger nicht so viel Glück. Eine ganze Reihe von ihnen hat die Feuersbrunst mitgerissen und nun liegen ihre Leichen noch immer glimmend zwischen den Geröllhaufen.

Yarinuyuki beißt die Zähne zusammen und ballt die Fäuste. Sie kann nicht länger dulden, dass dieser Kerl ihren Leuten auf diese Weise so ungestraft zusetzt. Sie ist die Fürstin. Sie ist verantwortlich für all diese Leben und es ist ihre Pflicht sie zu schützen, komme was wolle. Genauso wie ihre Krieger im Gegenzug verpflichtet sind, ihr Leben zu geben wenn sie es von ihnen verlangt. Was diese dynamische Wechselbeziehung wirklich bedeutet, durfte sie vor einigen Jahren lernen, kurz nachdem sie ihr Amt angetreten hat. Und sie verdankt es Sesshomaru dem Fürsten des Westclan, dass sich ihr das Prinzip so nachdrücklich eingeprägt hat. Sie gibt es ungern zu, aber sie schuldet ihm was. Und sie respektiert ihn. Umso mehr verstimmt es sie, dass sein Bruder jetzt sein Heil in der Flucht sucht. Hart beißen ihre Kiefer aufeinander. Doch damit kann sie sich jetzt nicht befassen. Es wird Zeit, dass sie sich in den Kampf mit einmischt.

Nur aus Respekt vor ihren Vorvätern, hat sie ihm das Recht zugestanden, sich mit ihr im Zweikampf zu messen. Dieses Privileg hatte er in dem Moment verspielt, als er sein Versprechen gebrochen und sich nicht, wie von ihm selbst vorgeschlagen, nach dem ersten Schmiss ergeben hatte. Jemand mit einem solch ehrloses Verhalten verdient es nicht besser als nun im Gegenzug von all ihren Soldaten auseinandergenommen zu werden. Doch jetzt ist ihre Geduld am Ende. Nun wird sie selbst Hand anlegen. Dieser Hund darf einfach nicht ungeschoren davon kommen. Suchend blickt sie sich um, wo sie am besten eingreifen kann.

Doch genau in diesem Moment ertönt eine ohrenbetäubende Explosion und eine gewaltige Druckwelle aus kochend heißem Wasserdampf rast in unbeschreiblichem Tempo auf sie zu wobei sie jeden Baum und jedes Lebewesen mitnimmt, das ihr im Weg ist.

Yarinuyukis Augen weiten sich ungläubig, doch zum Glück reagiert ihr Körper schneller, als dass sie erfassen kann was gerade geschieht. Blitzschnell wirft sie sich reflexartig zu Boden, und es ist keinen Augenblick zu früh bevor die kataklystische Dampfwolke über sie hinwegfegt und keinen Stein mehr auf dem anderen lässt.

Mit zusammengebissenen Zähnen spürt Yarinuyuki wie siedend heißer Dampf über sie hinweg rauscht und auf allen freiliegenden Körperpartien empfindliche Brandblasen verursacht. Lediglich wo mehrere Schichten ihrer Kleidung übereinanderliegen, sind die Verbrennungen nicht ganz so heftig. Das Ganze dauert mehrere Herzschläge bis die gesamten Energien vollständig über sie hinweggezogen sind. Was zum Henker war das?

Sie keucht vernehmlich auf. Das hätte auch ins Auge gehen können. Hätte sie nur eine Sekunde länger gezögert, wäre sie bei lebendigem Leibe gekocht worden. Zu ihrem Glück war noch ein kleiner Felsbrocken im Weg gewesen, der den größten Teil der Druckwelle abgeleitet hatte, wodurch sie nur oberflächlich getroffen worden war.

Steif kommt sie wieder auf die Füße. Ihr ganzer Oberkörper brennt wie Feuer und ihr Kimono ist mit heißem Wasser durchtränkt. Ein leichtes Stöhnen entfährt ihr. Am liebsten würde sie jetzt ihre Kleidung abstreifen, doch welchen Eindruck würde das machen? Soll sie sich wirklich diese Blöße geben? Schließlich trifft sie eine Entscheidung. Sie muss zumindest ein wenig aus dieser Kleidung heraus. Hastig streift sie sich die zwei oberen Lagen ihres kochenden Gewandes vom Rücken. Nun trägt sie nur noch ihren Unterkimono doch auch der ist bereits durchtränkt und das warme Wasser tut ihrer verbrühten Haut nicht gerade gut, aber so ist es schon etwas angenehmer. Doch die Luft ist noch immer mit heißem Dampf geschwängert und kein kühler Windhauch sorgt hier für Linderung. Yarinuyuki beißt die Zähne zusammen.

Wachsam sieht sie sich um. Der Verursacher dieses Infernos kann immer noch in der Nähe sein. Aufmerksam schreitet sie nun über das Schlachtfeld und mit verbissener Miene registriert sie, dass alle Krieger die hier verstreut liegen, durch die gewaltige Explosion ihr Leben verloren haben. Überall zieht unangenehm warmer Dunst umher und schränkt ihre Sicht und ihren Geruchssinn erheblich ein. In der heißen, feuchten Luft kann man fast keinen Atemzug machen ohne sich die Lungen zu verbrühen. Die Nordfürstin knirscht grimmig mit den Zähnen und sie ist so angespannt, dass sie fast bebt.

So war das nicht geplant gewesen. Wie konnte es geschehen, dass sie eine solch vernichtende Niederlage erlitten haben? Sie haben doch wirklich mit vollem Einsatz gekämpft und trotzdem sind offenbar die meisten ihrer Krieger tot. Eine bedrückende, fast unwirkliche Stille liegt nun über dem Kampfgebiet und Yarinuyukis Herz schlägt mit jedem Schritt schneller. Hat überhaupt einer ihrer Krieger diese Schlacht überlebt? Bis jetzt ist sie noch keiner lebenden Seele begegnet und je weiter sie geht um so mehr beginnt ihre Unterlippe verdächtig zu zittern.

Überall um sie her liegen die verbrannten oder verbrühten Leichen ihrer Krieger und ihr Atem beschleunigt sich zusehends. Was für eine erbärmliche Fürstin gibt sie hier ab? Sie alle haben tapfer und aufopferungsvoll für sie gekämpft und dabei ihr Leben gelassen, und sie ist sich nicht einmal sicher, ob sie dabei ihren Gegner auch vernichtet haben. Ist das Ganze womöglich völlig sinnlos gewesen? Hat sie ihre Krieger vielleicht ganz unnötig in den Tod geschickt. Der Youkai, der sich selbst Sesshomaru nannte, hatte ihr zu Beginn gesagt, dass sie keine Chance haben würden. Hat sie seine Worte falsch eingeschätzt? Hätte sie besser darauf hören sollen? Hätte sie sich ergeben sollen? War ihr Stolz ihr womöglich auf fatale Weise im Weg?

Und jetzt sind sie alle tot. Yarinuyuki kann es noch immer gar nicht fassen. Es muss doch irgendwelche Überlebenden geben. Irgendwo! Aber um sie her ist es geradezu unnatürlich still. Was soll sie jetzt tun? Was wird jetzt von ihr erwartet? Auf eine solche Situation hat sie niemand vorbereitet. Beklommen schreitet Yarinuyuki weiter über die Ebene, wobei sie den brennenden Schmerz überall auf ihrer Haut und im Gesicht so gut wie möglich ignoriert.

Auf einmal vernimmt sie ein leises Geräusch und sie spitzt die Ohren. Irgendwo hier atmet jemand, und das sogar ungewöhnlich hastig. Ihr Kopf ruckt herum. Das Geräusch kommt von dort zwischen den Bäumen. Eilig tritt sie näher, wobei sie den Griff ihres Schwertes fest umschlossen hält. Mit nur wenigen Schritten ist sie da und nun weiten sich ihre Augen als sie vor sich eine bekannte, kniende Person sieht.

Mit zittrigen Bewegungen versucht Itakouri sich vom Boden hoch zu stemmen. Dies gestaltet sich schwieriger als beabsichtigt. Die Oberfläche seiner Arme und die linke Hälfte seines Gesichtes weisen schwere Verbrennungen bis ins Fleisch hinein auf. An Brust und einem Großteil seiner Unterschenkel ist die Haut beinah verkohlt. Sein Atem geht stoßweise und er muss sich mit aller Macht zusammenreißen, damit er nicht vor Schmerzen stöhnt. Sein Unterkiefer zittert unkontrolliert und bei aller Anstrengung gelingt es ihm nicht auf die Beine zu kommen.

Nun wird er sich seiner Fürstin gewahr und er keucht vernehmlich auf. Als sie nun vor ihm steht, sackt er kraftlos in sich zusammen und krümmt sich vor ihren Füßen zusammen. „Yarinuyuki-hime!“, es ist ein tonloses Keuchen. „Vergebt mir!“ Wieder wird sein Körper von Schmerzen geschüttelt. „Ich habe schmählich versagt! Er hat die ganze Zeit nur mit uns gespielt. Als er begann ernst zu machen... hatten wir keine Chance mehr. Er hat alle anderen erbarmungslos niedergemacht und... ich bin einfach geflohen... schon wieder.“ Soviel Selbstvorwurf liegt in seiner Stimme, dass es ihn beinahe würgt. Seine Stirn berührt fast den Boden. „Ich... stand ihm schon einmal gegenüber. Ich konnte... es nicht aushalten. Ich habe Euch verraten, Yarinuyuki-hime. Ich werde jede Strafe akzeptieren.“

Wie betäubt steht Yarinuyuki da. Das ist es? Es stimmt also wirklich, sie waren ihm nicht gewachsen? Selbst ihr sonst so wackerer Hauptmann, ist nur noch ein Häufchen Elend, und so wie es aussieht ist er wirklich alles was ihr noch geblieben ist. Ihre Miene bekommt etwas schmerzlich Betrübtes. Langsam und kontrolliert atmet sie durch. Nur ab und an, entfährt ihr ein leises Wimmern.

Dann neigt sie sich zu ihrem Oberbefehlshaber herunter und legt ihm behutsam die Hand auf die Schulter. Es bedarf nur einer kurzen Konzentration und dann lässt sie ihre Energien in seinen Körper fließen. Nur wenige Augenblicke später weiten sich Itakouris Augen ein wenig. Er kann spüren wie sich Kälte in seinem Körper breit macht, und dass sich auf seiner Haut eine dünne Schicht Raureif bildet. Unwillkürlich keucht er auf. Das scheußliche Brennen seiner versengten Körperregionen nimmt ein wenig ab und die Kühle die nun in ihm aufsteigt, verschafft ihm ein wenig Linderung. Kraftlos sackt er in sich zusammen und er wird sich gewahr, dass er zum ersten Mal seit einer ganzen Weile wieder freier atmen kann. Er erlaubt sich nicht den Blick zu heben und seine Gönnerin anzusehen, aber er kommt mit sich überein, dass diese Fürstin ihm einmal mehr bewiesen hat, dass niemand sonst er wert ist, sein Leben, seine Ehre und alles was er hat um ihretwillen herzugeben. Dieser Fürstin würde er sogar ohne zu zögern in die Hölle folgen.

Nun richtet sie sich wieder auf. „Komm!“, sagt sie ungewöhnlich leise. „Wir sind es unseren Kameraden schuldig sie zu bestatten.“ Ihre Stimme klingt hohl.

Doch nur einen Augenblick später fliegen ihre Augen ruckartig auf. Hinter ihr ist gerade jemand lautlos aus dem Wipfel eines der wenigen noch stehenden Bäumen herabgefallen und steht nun hinter ihr. Augenblicklich dreht sie sich zu ihm um. Vor ihr steht der Youkai der sich Sesshomaru nennt und blickt sie mit einem unheilvollen Schmunzeln an.

„Das werde ich nicht gestatten!“, stellt er unbarmherzig klar. „Niemand rührt diese Leichen an, verstanden?“

Unwillkürlich ist Yarinuyuki zusammengefahren. Es ist überdeutlich, dass er sie gerade auf dem falschen Fuß erwischt hat. „Was nimmst du dir heraus, du widerlicher, ehrloser Bastard?“, zischt sie ungehalten. „Von was für einem Belang könnten die toten Krieger meines Volkes für dich sein?“

Nun schnellt seine Klaue blitzartig vor und packt grob ihren Unterkiefer und hält ihn wie in einem Schraubstock fest, so dass sie ihn ansehen muss. „Ganz einfach“, macht er unmissverständlich klar, „Der Kampf mit euch Ungeziefer hat mich viel zu viel Kraft gekostet. Die Körper deiner Krieger werden mir helfen die verlorene Energie rasch wieder zurückzugewinnen.“

Yarinuyukis Augen weiten sich fassungslos. Er will sie fressen? Sie alle? Alle ihre treuen Soldaten, ihre Kampfgefährten? Das kann sie unmöglich geschehen lassen! Auf gar keinen Fall! Ihre Miene bekommt nun etwas Wildes und mordlüsterndes und ihre Kiefer sind so hart aufeinandergepresst, dass es knirscht.

„Nur über meine Leiche!“, kommt es so bitterböse frostig von ihr, dass davon die Hölle zufrieren könnte.

Doch ihr Gegner zeigt sich davon nur mittelmäßig beeindruckt. „Warum glauben immer alle, dass das nicht machbar ist?“, kommt es gefährlich zynisch von ihm und dann blitzen seine Augen tiefrot auf und mit aller Kraft rammt er nun seine andere Klaue mitten in ihre rechte Brust.

Ein hässlicher Ruck geht durch Yarinuyukis Körper und ein erstauntes Schnaufen entfährt ihr. Entgeistert starrt sie ihn an und dann wird sie von einem auf den anderen Moment kalkweiß. Sie ist unfähig sich zu bewegen, denn auf einmal ist da in ihrem Körper diese unaussprechliche Hitze die von der Klaue in ihrer Brust herrührt und sich in erschreckender Geschwindigkeit in ihrem ganzen Körper ausbreitet. Gegen diese Pein ist der Schmerz, der von ihren Verbrühungen herrührt, völlig bedeutungslos. Es fühlt sich an, als würde ihr das Fleisch von den Knochen gebrannt und sie selbst bei lebendigem Leib eingeäschert. Zunächst ist die Qual so übermächtig, dass sie nicht mal Luft holen kann, doch dann auf einmal entfährt ihrer Kehle ein lauter, schriller, von wahnsinniger Agonie gefärbter Schrei, dass es einem das Blut in den Adern gerinnen lassen könnte.

Das ist zu viel für Itakouri. Völlig kopflos springt er auf und sucht so schnell ihn seine verletzten Füße tragen das Weite, in der Hoffnung, dass dieser gnadenlose Widersacher ihn nicht zu fassen bekommt. Etwas anderes hat keinen Platz in seiner Wahrnehmung und kurz darauf ist er verschwunden.

Der gequälte Schrei verklingt eine ganze Weile nicht. Erst als das letzte bisschen Luft die Lunge der Nordfürstin verlassen hat und sie leblos verstummt, zieht er seine Hand mit einem Ruck aus ihrer Brust. Ihre Füße tragen sie längst nicht mehr. Wie eine Stoffpuppe hängt sie in seiner Hand. Ein genüssliches Funkeln liegt nun in seinen Augen. Dann überkommt es ihn und ein paar Mal schwenkt er die leblose Youkai herum und schleudert sie schließlich in hohem Bogen über die Bäume davon.

Zufrieden blickt er ihr nach. „Wie schade für dich, dass du kein Salamander bist, dummes Mädchen“, murmelt er vor sich hin. Dann wendet er sich wieder dem Schlachtfeld zu. Nun hüllt ihn erneut ein düsterer Dunst ein und seine Gestalt verzieht sich schauerlich und nimmt an Masse zu. Das wird ein Festmahl werden!

Der amtierende Fürst

„Bleib stehen!“

Er hört sie ja.

„Halt sofort an!“

Er weiß was sie von ihm will.

Inu Yasha, du sollst gefälligst stehen bleiben! Auf der Stelle!“

Er möchte ja gern gehorchen, aber kann es einfach nicht. Etwas ganz urtümliches in seinem Blut hat von ihm Besitz ergriffen und peitscht ihn in panischem Lauf immer weiter vorwärts. Seine Lunge rasselt bereits und er ist nassgeschwitzt. Und auf seinem Rücken sitzt seine Freundin und hämmert wie wild auf seine Schultern ein. Nicht dass das viel bringen würde. Er will einfach nur noch weg.

Bitte halt doch endlich an!“

In ihrem Aufschrei liegt nun eine solche Verzweiflung, dass es ihn schon fast erreicht. Wenn es irgendetwas gibt, dass ihn wieder auf den Boden der Tatsachen holt, dann das, dass Kagome in Gefahr sein könnte. Gehetzt wirft er einen Blick über die Schulter zu ihr. Er sieht ihr erschrockenes Gesicht und das Mitgefühl in ihrer Miene und sein Herz macht einen Satz. Wenn er sich doch nur dazu durchringen könnte, stehenzubleiben.

„Kagome... ich...“, ist alles was er herausbekommt. Seine Schritte straucheln bereits.

Bestürzt erkennt sie die Panik in seinem Gesicht. Sie ist sich bewusst, dass er völlig unwillkürlich handelt. Aber was kann ihn nur so aus der Fassung gebracht haben?

Hat dieser fremde Youkai ihm wirklich so eine Heidenangst eingejagt? So sehr, dass er wirklich nur noch flüchten kann? Aber wie kann das sein? Nie zuvor war ihr Freund aus nackter Furcht nicht mehr Herr seiner selbst. Bisher hat er immer seinen Mann gestanden, auch wenn er Angst hatte. Und nie zuvor hat er es sich so sehr anmerken lassen. Flüchtig geht ihr Blick zu dem anderen Westyoukai neben sich. Auf seinem Gesicht erkennt sie den selben panischen Gesichtsausdruck, obwohl der Mann sicher nicht wie ein Schwächling aussieht. Wenn sie zwei und zwei zusammenzählt, wird das einer der Leibwächter von Matsuba sein und einem Leibwächter sollte man doch eigentlich zutrauen, sich etwas mehr in der Gewalt zu haben. Irgendetwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu.

Ob das Ganze tatsächlich doch etwas mit dieser sogenannten Dominanzaura zu tun hat, die Yarinuyuki erwähnte? Aber wenn es das ist, dann ist dies keine normale Angst. Dann ist sie dämonischen Ursprungs und das bedeutet, sie als Miko muss irgendetwas dagegen tun können. Im Augenblick wünscht sie sich wirklich, Kaede hätte ihr bereits viel mehr beibringen können. Zum ersten Mal bekommt sie das Gefühl, dass ihr Entschluss, ihrem Freund in dieses Abenteuer zu folgen, vielleicht doch etwas überstürzt und blauäugig war.

Aber irgendetwas muss sie doch unternehmen können. Bisher haben sie beide sich doch immer gut ergänzt. Fieberhaft überlegt sie was sie tun kann. In der Vergangenheit hat sie ihm immer wieder in ausweglosen Situationen eine Hilfe sein können, auch wenn sie meist gar nicht wusste wie sie das angestellt hat. Die eigenartigen Mikokräfte, die sie von Kikyou geerbt hat, sowie ihre eigenen, sind selbst für Kaede noch immer ein Rätsel. Aber meistens wirken sie dann besonders stark, wenn sie ihren Hanyoufreund vor einer wirklichen Gefahr schützen will. Und meistens hat sie dann... Kagome errötet unwillkürlich ein wenig. Aber warum auch nicht.

Sacht legt sie jetzt von hinten ihre Arme um Inu Yashas Oberkörper und drückt ihn sanft an sich. Wenn es ihm die Angst nimmt, wird sie ihn gerne immer wieder umarmen.

Der Hanyou schreckt kurz zusammen. Er strauchelt erneut. Sein Herz macht einen Satz und ihm wird plötzlich so eigenartig zumute. Was macht sie da? Wieso schmiegt sie sich grade so zärtlich an ihn. Gerade jetzt wo er... wo er? Ihm fällt für einen Moment gar nicht mehr ein was er eigentlich gerade vorhatte. Er läuft noch ein Stück weiter dann verlangsamen sich seine Schritte und er bleibt schließlich stehen. Nur aus den Augenwinkeln sieht er wie sich nun auch die Schritte des Westkriegers verlangsamen und er schließlich ein Stück entfernt von ihm gänzlich kollabiert. Schwer atmend und noch immer recht zittrig steht er da und wirft einen fragenden Blick über seine Schulter zurück.

„Kagome?“, kommt es zögernd. Er sucht nach den richtigen Worten, denn so allmählich geht ihm auf was sie da gerade tut. Und langsam kommt auch die Erinnerung wieder, nur dieses Mal nicht ganz so übertrieben verhängnisvoll. Und im gleichen Maße wie die Rationalität zurückkehrt, wird ihm auch bewusst, wie unglaublich unangemessen und beschämend er sich verhalten hat. Und es ist kein schönes Gefühl. Wirklich nicht. Am liebsten möchte er gerade im Boden versinken vor Scham. Dass sie ihn jetzt so behutsam umarmt, macht es nicht gerade einfacher.

„Kagome...“, es ist nur ein leises Raunen, „du kannst mich jetzt loslassen.“ Er schämt sich. Nicht nur deshalb, weil sie gerade zu zutraulich ist, sondern auch aus dem Grund weshalb es nötig war. Der schmerzhafte Kloß in seiner Kehle schnürt ihm beinah die Luft ab. Bedächtig setzt er sie nun ab; sachte hat sie sich dabei von ihm gelöst. Auch sie blickt ihn nun ein wenig verschämt an, obwohl sie sicher nicht so viel Grund dafür hat wie er. Unbehaglich meidet er ihren Blick.

„Inu Yasha?“, wagt sie nun behutsam zu fragen. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

Er ist nicht mal zu einer Antwort fähig. Er steht von ihr abgewandt und schüttelt leicht den Kopf. Sein Gesicht ist zum Boden gerichtet. Nun tritt sie näher und legt ihm sachte die Hand auf die Schulter. Er erstarrt unwillkürlich unter ihrer Berührung.

„Es muss dir nicht peinlich sein, dass du Angst hattest.“

Er knirscht leise mit den Zähnen. Warum muss sie ihn immer sofort durchschauen? Warum kann er seine Gefühle einfach nicht vor ihr verheimlichen? Vor ihrem ehrlichen Mitgefühl liegt seine Seele offen wie ein weites Feld. Und eigentlich hatte er angenommen, dass er längst darüber hinweg ist, dass ihn das stört. In der letzten Zeit, seit sie wieder durch den Brunnen zurück ist, war er eigentlich mit sich überein gekommen, dass sie die Einzige ist, der er uneingeschränkt erlaubt, in ihn zu blicken. Bis jetzt!

Im Augenblick wünscht er sich händeringend, dass seine Freundin nicht so schrecklich scharfsinnig wäre, denn er weiß wirklich nicht wie er ihr sein Verhalten von eben erklären soll. Und zudem spürt er noch immer dieses beklemmende Gefühl in der Magengegend, dass ihn eben noch dazu veranlasst hat, kopflos die Flucht zu ergreifen. Ohne es zu wollen, zittert er noch immer bis in die Fingerspitzen und es gibt nichts was er dagegen machen kann. Sie blickt ihn an, das weiß er, doch er bringt es nicht fertig ihr in die Augen zu sehen.

Und auf einmal ist ein lauter Knall zu hören und selbst noch aus dieser Entfernung hört es sich an, als würde in unmittelbarer Nähe irgendetwas explodieren. Sofort schießt Inu Yasha das Adrenalin in die Adern. Er zuckt heftig zusammen und ehe er sich selbst zurückhalten kann, zwingt ihn die neu aufkeimende Panik sich erneut umzudrehen und sein Heil in der Flucht zu suchen.

Doch dieses Mal kommt er nicht weit. Ein lautes verzweifeltes „Sitz!“ dringt an seine Ohren und schon im nächsten Moment findet er sich lang ausgestreckt auf dem Boden wieder. Er will sich aufrappeln, doch ein erneutes „Sitz!“, presst ihn erneut auf die Erde und diesmal gibt er sich kraftlos geschlagen. Mit starrem Blick und zittrigen Fingern blickt er vor sich hin und wünscht sich im Augenblick nichts anderes als das die Erde ihn verschlingen möge.

Doch diesen Gefallen tut sie ihm nicht. Stattdessen fühlt er jetzt sanfte, warme Hände auf seinem Rücken und nimmt den vertrauten Geruch seiner Freundin wahr. Er schließt schwach die Augen. Am liebsten wäre er jetzt tot!

„Inu Yasha?“, kommt es nun zaghaft von Kagome. „Bitte bleib hier, ja?“ Sanft streicht ihre Hand über seinen Rücken. Der Kloß in seiner Kehle verwehrt ihm eine Antwort. „Ich weiß, dass du Angst hast, aber das bist nicht du!“, kommt es nun von ihr. „Was auch immer er da mit dir gemacht hat, ich weiß du kannst dem widerstehen. Denn ich kenne wirklich niemanden der so mutig ist wie du. Und ich würde niemals auch nur ein bisschen schlechter von dir denken, nur weil du auch mal weggerannt bist.“ Ihre Hand krault sanft die Haare in seinem Nacken und urplötzlich wird ihm eigenartig blümerant zumute. Warum weiß sie so genau wie er sich gerade fühlt? Er hat doch gar nichts gesagt. Und warum macht sie ihm keine Vorwürfe für seine unrühmliche Flucht? Er hätte welche verdient.

Mit aller Überwindung die er aufbringen kann, dreht er sich nun auf die Seite und blickt sie beschämt an. Der Kloß in seiner Kehle bleibt. „Du bist viel nachsichtiger mit mir, als ich es mit mir selbst sein kann“, quetscht er schwer heraus. Dabei schlägt er die Augen nieder.

Sie kniet direkt vor ihm und blickt ihn betrübt an. „Ich kann verstehen, dass das bestimmt hart ist für dich. Egal was Sesshomaru vielleicht denkt, auch du hast deinen Stolz.“ Beschämt blickt er zur Seite. Doch Kagome redet schon weiter. „Aber in meinen Augen hätte er niemand besseren finden können um ihn zu vertreten. Und genau jetzt hast du die Chance ihm das zu beweisen.“

Nun blickt Inu Yasha doch auf. Er scheint schwer mit sich zu ringen. „Ich... Er ist... so unheimlich stark! Wie soll ich auch nur die leiseste Chance gegen ihn haben, wenn nicht mal Yarinuyuki gegen ihn etwas ausrichten konnte? Und sie ist immerhin ein echter Daiyoukai, und ich nur ein Hanyou...“, wieder wendet er den Blick ab.

Nun atmet Kagome einmal vernehmlich durch. „Ist das dein Ernst?“, fragt sie nun skeptisch. „Du fängst jetzt auch noch mit diesem blöden Argument an? Du hast nun wirklich überhaupt keinen Grund dich klein zu reden. Immerhin hast du Naraku besiegt und darf ich dich daran erinnern, was du damals mit Sesshomaru angestellt hast? Und du willst doch sicher nicht behaupten Yarinuyuki wäre mächtiger als dein Bruder, oder? Du bist doch schon längst mit ihm auf Augenhöhe. Hinter irgendwelchen blaublütigen Daiyoukai brauchst du dich bestimmt nicht verstecken!“

„Aber er...“, will Inu Yasha einwenden.

„Nichts 'Aber'!“, unterbricht sie ihn. „Ich weiß vermutlich wird es schwer werden, gegen ihn zu kämpfen, oder vielleicht ja auch nur ihm gegenüberzutreten“, fügt sie nachsichtig hinzu, „aber das darf dich nicht abhalten es trotzdem zu tun. Und wenn du darüber nachdenkst, dann wirst du das genau so sehen, denn zum einen hast du dich noch nie vor einer Herausforderung gedrückt, und zum anderen musst du dir eines endlich klar machen!“

Etwas verunsichert schaut Inu Yasha sie jetzt an. „Was denn?“

Ernst begegnet Kagome seinem Blick: „Du bist der amtierende Fürst des Westens! Und dieser Youkai bedroht dein Reich! Soldaten, Frauen, Kinder... und natürlich die Menschen die uns lieb und teuer sind. Wenn du ihn nicht aufhältst, wer wird es dann tun?“

Wie als makabere Antwort auf diese Frage vernehmen sie jetzt plötzlich einen Schrei. Einen Schrei der es ihnen eiskalt den Rücken runter laufen lässt. Es ist ein Schrei voller tiefster Verzweiflung, haltloser Qual und unaussprechlichem Schmerz und Inu Yasha weiß genau von wem er kommt.

Namenlose Furcht macht sich in ihm breit. Seine Augen weiten sich geschockt und er beginnt am ganzen Körper zu zittern. Doch sogleich legen sich Kagomes Hände nun auf seine und halten sie nachdrücklich fest. Ernst blickt sie ihn an, doch wenn man genau hinsieht, kann man erkennen, dass ihre Lippe leicht zittert.

„Niemand sonst ist mehr übrig, der sich zwischen ihn und seine Opfer stellen kann. Sie verlassen sich auf dich, so wie Sesshomaru sich auf dich verlässt, und ich mich auch!“

Noch immer spürt Inu Yasha sein Herz bis zum Hals schlagen. Doch langsam dringt die Erkenntnis zu ihm durch, dass Kagome Recht hat. Seine Hände greifen ihre nun behutsam fester. Er kann einfach nicht wieder davonlaufen. Auch wenn ihm noch immer diese unsägliche Furcht die Kehle zuschnürt, darf er sich einfach nicht länger davon vereinnahmen lassen. Er atmet tief durch. Es stimmt, mit Sesshomaru hat er nun schon mehrfach gleichauf gekämpft. Und selbst wenn sein Bruder gegen diesen Youkai keinen Stich gesehen hat - und diesen Gedanken schiebt er rasch beiseite - so steht es dennoch außer Frage, dass er im Augenblick noch immer die Verantwortung hat für viele Leben. Er hat zwar nicht darum gebeten, aber er ist sich durchaus klar, dass er es niemals mit seinem Gewissen vereinbaren könnte, wenn er jetzt kneift und deshalb jemand zu Schaden kommt, der sich auf seinen Schutz verlassen hat.

Mit leichtem Zähneknirschen kommt er jetzt langsam wieder auf die Füße und zieht Kagome mit sich. „Du hast Recht“, sagt er gepresst. „Dieser Kerl muss aufgehalten werden. Er darf so auf keinen Fall weiter machen!“ Ein erleichtertes Lächeln liegt nun auf Kagomes Gesicht, trotz allem wirkt sie gerade ziemlich blass. Dann lässt er ihre Hände los.

Nun richtet sich Inu Yasha bedächtig zu seiner vollen Größe auf und atmet einmal langsam und vernehmlich durch. Er ist noch immer blass, aber die Entschlossenheit ist in sein Gesicht zurückgekehrt. Dann wendet er den Kopf und geht dann zu dem am Boden liegenden Leibwächter hinüber. Der Youkai liegt zusammengekauert auf der Seite mit dem Gesicht von ihm abgewandt und atmet vernehmlich ein und aus. Man kann noch immer deutlich erkennen, dass er stark zittert.

„Hey, du!“, nachdrücklich stupst Inu Yasha ihn mit dem Fuß an. „Shida war dein Name, nicht wahr? Ich denke, ich könnte deine Hilfe brauchen.“

Noch immer kommt nicht viel mehr als panisches Keuchen von dem Soldaten.

„Ich werde jetzt zurückgehen und dieses Monster davon abhalten unser Volk anzugreifen. Kommst du mit?“, versucht Inu Yasha es erneut. Doch noch immer zittert der Youkai am ganzen Körper wie Espenlaub.

Langsam lässt Inu Yasha die Luft entweichen. „Also schön. Von mir aus, dann nicht!“, sagt er ernst. „Ich verlange von niemandem, mir gegen seinen Willen zu folgen. Wenn ich eines damals gelernt habe, dann dass man echte Loyalität nicht erzwingen kann.“ Er richtet sich wieder auf. „Es ist nicht das erste Mal, dass ich allein dastehe, und dass ich es mit einem übermächtigen Gegner zu tun habe. Aber auch nicht das erste Mal, dass ich ihn besiegt habe“, fügt er nun mit ernsthaftem Nachdruck hinzu. „Wenn du dich irgendwie nützlich machen willst, dann lauf zurück zum Palast und erzähle ihnen was passiert ist! Sag ihnen, ich halte ihn so lange auf, wie ich kann, und sie sollen alle nötigen Vorkehrungen treffen um den Clan zu schützen, für den Fall, dass ich nicht zurückkehre. Meinst du, du bekommst das hin?“

Nun lässt das Zittern des Youkai ein wenig nach. Er wirkt stattdessen recht angespannt und blickt starr zu Boden. Schließlich kommt es zögerlich aber bitter: „Ich habe solche Nachsicht nicht verdient, mein Fürst! Mein feiges Verhalten ist unverzeihlich! Ich habe keinerlei Entschuldigung dafür! Gestattet mir, dass ich um meiner Ehre Willen mein Ableben selbst herbeiführe!“

Unwillkürlich zieht Inu Yasha scharf die Luft ein. Dann packt er den Inuyoukai vor ihm grob am Kragen und reißt ihn hoch. Er holt aus und verpasst ihm einen solch heftigen Faustschlag ins Gesicht, dass dessen Kopf schmerzhaft zur Seite fliegt.

„Nein, gestatte ich nicht!“, schreit er ihn erbost an. „Das fehlt mir grade noch, dass ich meinen Soldaten jetzt, wo ich sie tatsächlich mal brauchen kann, erlaube, sich aus dämlichen Stolz heraus selbst umzubringen! Wenn du sonst zu nichts Brauchbarem im Stande bist, dann erstatte gefälligst unserem Heer Bericht, damit sie vorbereitet sind wenn etwas schief geht. Mit deiner Bestrafung befasse ich mich später. Jetzt muss ich erst mal diesen Kerl aufhalten, ehe er noch weiteren Schaden anrichtet.“

Er zieht Shida noch etwas dichter an sich heran und in seinen Augen funkelt es enthusiastisch. „Eins noch! Sag Kagemori, ich komme auf jeden Fall zurück. Er soll es sich auf seinem Thron bloß nicht zu bequem machen! Ich hab noch ein Wörtchen mit ihm zu reden.“ Dann lässt er ihn unvermittelt los. Shida strauchelt ein Stück zurück. Ein wenig unschlüssig starrt er Inu Yasha an. Doch der macht nun eine eindeutige Geste mit der Hand. „Verschwinde schon!“, befiehlt er nachdrücklich.

Zunächst zögert der ehemalige Leibwächter noch, doch dann dreht er sich rasch um und verschwindet mit flinken Sätzen im Unterholz.

Bebend steht Inu Yasha da; noch einmal atmet er tief durch. Kagome tritt zu ihm. „Du kannst ja doch ganz gut Befehle geben“, stellt sie anerkennend fest.

Inu Yashas Nacken versteift sich. „Es funktioniert am Besten, wenn ich sauer auf diese ganze selbstverliebte Bande bin.“

„Du scheinst mir jetzt auch viel zuversichtlicher zu sein“, stellt sie behutsam fest.

Nun wendet er sich ihr zu. „Was habe ich für eine Wahl?“, fragt er ernst. „Du hattest Recht. Ich muss ihn aufhalten, oder niemand tut es! Ist ja nicht so, als hätte ich keine Erfahrung mit so was, nicht wahr?“ Seine Stimme klingt bitter.

Nun spürt er wie sie behutsam ihre Hand auf seine wütend geballte Faust legt. Mit klarem Blick sieht sie ihn nun an.

„Aber eines hast du vergessen, Inu Yasha“, sagt sie ernsthaft. „Du stehst nicht allein da! Das hast du noch nie, denn ich bleibe bei dir, egal was passiert!“ Ein eigenartiger Ausdruck liegt nun auf ihrem Gesicht und Inu Yasha stutzt leicht. Schon wieder wird ihm so blümerant wenn er ihr hier in die Augen sieht. Er schluckt unwillkürlich.

So vieles haben sie schon zusammen durchgestanden. Ob Verletzungen, Gefahr oder bitterer Streit, sie ist immer wieder zu ihm gekommen. Und sie haben immer schon gemeinsam gekämpft. Jeder von ihnen leistet seinen Beitrag. Und obgleich er noch immer Angst verspürt bei dem Gedanken Katsuken wieder gegenüber zu treten, hat er nun verstanden, dass es nötig ist und er diesmal nicht kneifen wird. Und auch wenn jede Faser seines Körpers danach schreit Kagome aus der Gefahrenzone herauszuhalten, weiß er, dass sie das nicht zulassen wird. Er hat es oft genug versucht und es hat nie funktioniert. So atmet er innerlich noch einmal durch und beschließt zu akzeptieren, dass sie bei diesem Kampf an seiner Seite bleiben wird. Und er ertappt sich dabei, dass er darüber doch von Herzen dankbar ist.

Er empfindet eine enorme Erleichterung dabei, seinem Feind nicht alleine gegenüber treten zu müssen und still kommt er mit sich überein, dass er um keinen Preis zulassen wird, dass Kagome zu Schaden kommt.

Ein milder Blick geht nun auf seine Freundin herab und dann zieht er sie sachte an sich und legt behutsam die Arme um sie. Still ruht sie nun an seiner Brust. Er spürt ihr heftig pochendes Herz noch durch sein Gewand und er spürt wie sie leicht zittert. Ein leichter Kloß bildet sich ihm im Hals. Natürlich hat sie auch Angst. Wie sollte sie auch nicht, bei dem was vor ihnen liegt? Innerlich schilt er sich selbst einen Dummkopf. Wie kann er sich nur immer wieder in Selbstmitleid ergehe, während Kagome ihn trotz ihrer Furcht versucht wieder aufzubauen und ihm ins Gewissen zu reden? Er kommt sich so schäbig vor bei dem Gedanken. Sanft zieht er sie noch etwas dichter und streicht ihr behutsam über ihr Haar.

„Du brauchst keine Angst haben, Kagome!“, sagt er nun fest. „Ich werde auf dich aufpassen!“ Er kann spüren wie ihr erleichtert die Luft entweicht und für einen Moment wünscht er sich jetzt etwas ganz anderes als gleich in den Kampf ziehen zu müssen. Wenn es nach ihm ginge, könnte dieser Moment ewig anhalten.

Doch das tut er nicht. Langsam löst Inu Yasha sich von Kagome und dann nickt er ihr aufmunternd zu. „Na, komm! Steig auf! Da gibt es eine Daiyoukai der um eine Abreibung bittet!“

Nun hellt sich auch ihr Gesicht auf. Sie nickt demonstrativ. „Ja, lass ihn uns fertig machen!“
 

Der Regen hat etwas nachgelassen. Nur noch vereinzelte Tropfen rieseln auf diesen Teil des Landes hernieder. Doch im Grunde macht das keinen Unterschied. Die Ebene auf der bis vor kurzem noch so vehement gekämpft wurde, ist nun in dichten Nebel getaucht. Die Luft ist unangenehm schwül und feucht und man kann kaum ein paar Schritte weit sehen.

Vorsichtig betreten Inu Yasha und Kagome den Rand der Lichtung. Inu Yasha hat Tessaiga wachsam vor sich gestreckt, und rechnet jeden Augenblick damit sich und seine Freundin verteidigen zu müssen. Alle seine Sinne sind aufs Äußerste angespannt. Zu dumm nur, dass man hier kaum etwas erkennen kann.

Die Luft ist voller heißer Dampfschwaden und jeder Atemzug brennt unangenehm in der Lunge. Vorsichtig bewegt er sich auf die verwüstete Wiese hinaus und blickt sich um. Hier und da treibt ein träger Windhauch den warmen Nebel auseinander und nun weiten sich seine Augen langsam, denn der Anblick der sich ihm bietet, ist in der Tat erschreckend.

In einem Umkreis von bestimmt einem Kilometer ist kein einziger Baum mehr auszumachen. Der Wald besteht nur noch aus unzähligen Trümmern aus Holz und Gestein. Überall ziehen Dunstschwaden über die Ebene und hier und da erkennt Inu Yasha mehrere Körper die leblos zwischen dem Geröll klemmen oder über den Holzresten hängen. In erfasst das ungute Gefühl, dass der Zustand des Schlachtfeldes etwas mit der Explosion von vorhin zu tun hat und es hat tatsächlich den Anschein, dass ein Großteil der Nordkrieger diesen offenbar finalen Schlag nicht überlebt hat. Eine unheimliche Stille liegt in der Luft, lediglich der Regen tröpfelt jetzt wieder verstärkt auf das Schlachtfeld herab und betont damit noch einmal die Tragik der Szenerie.

Neben Inu Yasha hat Kagome zu ihm aufgeschlossen und wachsam ihren Bogen gespannt. „Hörst du etwas?“, wispert sie angespannt, erhält jedoch keine Antwort.

Inu Yashas Ohren sind hoch aufgestellt und er lauscht auf noch das kleinste Geräusch, damit ihm nur nichts entgehen möge. Umsichtig bewegen sie sich weiter vorwärts. Und plötzlich vernimmt Inu Yasha ein Geräusch das ihn aufhorchen lässt. Es ist kein angenehmes Geräusch, denn es klingt nach dem Knacken von Knochen und er spürt wie es ihm trotz der heißen Luft kalt den Rücken herunterläuft. Irgendwer scheint hier ganz in der Nähe zu fressen und seine langjährige Erfahrung ordnet diese Fressgeräusche einer großen Gestalt zu. Einer sehr großen!

So sehr es eine Wohltat ist, dass der zunehmende Regen die unangenehm heißen Nebelschwaden zu Boden tröpfeln lässt, so sorgt er doch im gleichen Maße dafür, das der Ausblick über die verwüstete Ebene sich immer mehr lichtet und in einiger Entfernung ein gewaltiger dunkler Schemen enthüllt wird. Zwischen Dunst und herabfallendem Regen ist noch immer kaum etwas zu sehen, doch diese ominöse Dunkelheit dort hinten lässt auch so keine näheren Konturen erkennen. Es erscheint wie ein riesiger, nebulöser Bereich aus reiner Schwärze und seine Ausmaße überragen die wenigen noch stehenden Bäume um gut das doppelte. Wenn man die Gestalt, die sich offenbar darinnen befindet, auch nicht sehen kann, so ist sie noch immer gut zu hören.

Inu Yasha atmet einmal tief durch, dann reckt er sich, fasst Tessaiga fester und tritt dann resoluten Schrittes auf die riesenhafte Erscheinung zu. Kagome folgt direkt hinter ihm. Sie hat einen Pfeil auf der Sehne und all ihre Sinne sind auf die Gefahr vor ihnen gerichtet. Doch gemessen an den fortwährenden Fressgeräuschen hat die hünenhafte Gestalt sie noch nicht bemerkt, oder sie beachtet sie nicht weiter.

Inu Yashas Finger schließen sich fest um seinen Schwertgriff. Er ist etwas unschlüssig. Soll er sich bemerkbar machen, oder einfach einen Angriff starten. Einerseits ist es nicht seine Art einen Gegner hinterrücks anzugreifen, doch in diesem Fall bietet diese Strategie vermutlich mehr Aussicht auf Erfolg.

Noch einmal atmet er durch, dann hebt er sein Schwert, beißt hart die Kiefer aufeinander und dann lässt er mit einem mächtigen Hieb Tessaiga herniedersausen. „Kaze no Kizu!“, ruft er grimmig und sofort walzen die gleißenden Energien des Schwertes von seiner Schneide hinüber auf diese nebulöse Dunkelheit zu.

Für ein paar Herzschläge halten Inu Yasha und Kagome gespannt die Luft an. Dann trifft die Macht Tessaigas mit einem wütenden Prasseln auf ihrem Ziel auf. Doch der gewünschte Effekt bleibt aus. Ein leichtes, rötliches Flackern widersetzt sich den herannahenden Energiemassen und blockt sie rigoros ab. Doch immerhin hat die Attacke den Erfolg, dass durch die Windenergien, die ihr zu eigen sind, der diffuse Nebel um ihren ominösen Gegner zerrissen und davongeblasen wird.

Und nun ist die gigantische Gestalt zum ersten Mal deutlich zu sehen. Unwillkürlich klappt Kagome die Kinnlade herunter. Wie im Grunde schon erwartet, stellt die Erscheinung einen gewaltigen Hund da. Trotzdem lässt sein Anblick den beiden einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

Von der Größe her steht er dem Skelett von Inu Yashas Vater, im Jenseits, in nichts nach. Jedoch erscheint die Gestalt vor ihnen ein wenig schlanker und drahtiger. Lange jedoch nichtsdestotrotz massive und kraftvolle Gliedmaßen tragen einen kräftigen, muskulösen Rumpf dessen Nacken und Schultern von einer voluminösen Mähne umrahmt ist. Diese ganze Gestalt ist in ein tiefschwarzes Fell gehüllt und nur ihre Augen leuchten ein einem dunklen Blutrot.

Auf diese Weise enttarnt, hält er gigantische Hund nun in seiner Tätigkeit kurz inne. Gerade hängt ihm noch der Körper eines der Nordyoukai aus dem Maul. Nun wendet er langsam seinen Kopf den beiden Neuankömmlingen zu. Mit einem kurzen Ruck der Schnauze befördert er die Leiche des Kriegers in seinen Rachen, zerkaut ihn kurz und schluckt ihn dann herunter. Dann wendet er sich Inu Yasha und Kagome ganz zu. Ein tiefes Knurren dringt aus seiner Kehle und nun bleckt er leicht die Zähne.

Kraftlos sackt Tessaiga in Inu Yashas Griff hinunter gen Boden. Der Hanyou steht da wie zur Salzsäule erstarrt. Seine Knie werden ihm weich, sein Herz rast und er beginnt unkontrolliert zu zittern. Doch im selben Moment spürt er eine warme Hand auf seiner Schulter.

„Nur Mut, Inu Yasha!“, raunt sie ihm fast beschwörend zu. „Lass dich nicht einschüchtern von ihm. Ich bin direkt an deiner Seite!“

Ein paar mal atmet Inu Yasha vernehmlich durch um die irrationale Angst in ihm niederzukämpfen. Dann beißt er die Zähne zusammen, krallt seine Hände um Tessaigas Schwertgriff und hebt es wieder auf Kampfhöhe. Verbissen begegnet er dem Blick der furchteinflößenden Gestalt vor ihm.

Nun macht er mächtige Hund einen Schritt auf ihn zu und Inu Yasha muss sich gewaltsam zwingen dabei keinen Schritt rückwärts zu machen, doch sein Herz pocht bis zum Hals.

Der schwarze Hund hebt leicht den Kopf. „Wie kannst du es wagen, mich anzugreifen, du erbärmliche Kreatur?“, ertönt es schauerlich aus dem gewaltigen Maul.

Mit aller Kraft zwingt Inu Yasha seiner Zunge seinen Willen auf. „Irgendwer muss deinem Treiben ja ein Ende setzen.“

„Und du glaubst ausgerechnet du bist geeignet dafür?“, kommt die herablassende Antwort? Wieder kommt der schwarze Hund einige Schritte auf sie zu. Inu Yasha beißt die Zähne zusammen, bleibt aber stehen. Doch der monströse Hund redet schon weiter. „Mit deinen kümmerlichen Fähigkeiten bist du keine Gefahr für mich. Wenn dein Unterfangen nicht so hoffnungslos absurd wäre, könnte ich deinen sinnlosen Mut fast bemerkenswert finden.“

„Spiel dich bloß nicht so auf!“, trotzt im Inu Yasha nun grimmig. „Man hat mich schon oft unterschätzt. Dass ich jetzt hier stehe, straft all die überheblichen Besserwisser Lügen!“

„Was du nicht sagst!“, kommt es nun gefährlich von dem Riesenhund. „Schneid hast du wohl, doch der allein wird dich nicht retten!“ Mit diesem Worten macht er einen kräftigen Satz auf Inu Yasha zu und schnappt mit seinen Kiefern nach ihm.

Doch der Hanyou hat schon damit gerechnet. Mit gefletschten Zähnen holt er blitzschnell aus und ein rotes Tessaiga geht auf die herannahende Schnauze nieder. Zu seiner Erleichterung scheint sein Konter den erwünschten Effekt zu haben, denn das bannbrechende Tessaiga durchdringt ohne Mühe das was wohl ein Schutzschild um die Gestalt gewesen ist und verpasst ihm einen beträchtlichen Schmiss quer über die Nase.

Tatsächlich überrascht, zuckt der riesige Hund kurz zurück und bedenkt den Hanyou nun mit einem äußerst missgünstigen Blick.

„Du mickrige kleine Laus!“, grollt er. Und schon im nächsten Moment springt er erneut auf Inu Yasha zu. Doch der Hanyou reagiert blitzschnell, schnappt sich rasch Kagome und springt hastig mit ihr aus dem Weg. Behutsam setzt er sie ein Stück entfernt ab.

„Halte dich fern von ihm!“, zischt er nachdrücklich. „Wenn er dich erwischt, bist du Geschichte!“ Dann läuft er wieder auf seinen Gegner zu.

Kagome zittert noch immer am ganzen Körper, so angespannt ist sie. Auch wenn sie als Miko ungewöhnlich mächtig ist, im Nahkampf wird sie kaum etwas ausrichten können. So bleibt ihr im Moment kaum etwas anderes als aus einiger Entfernung zu beobachten wie sich ihr Freund wieder in den Kampf stürzt und auf ihre Gelegenheit zu warten.

Mit raschem, festem Schritt stürmt Inu Yasha auf seinen Gegner zu, der ihn lauernd erwartet. Im Grunde hat er nur eine einzige Chance gegen diesen übermächtigen Gegner. Er muss seinen Youketsu, seinen Energiewirbel zerschlagen, das Zentrum seiner Macht. Nur so kann er ihm womöglich genug Schaden zufügen um ihm beizukommen, oder ihn zumindest in die Flucht zu schlagen. Wie als Antwort auf diesen unausgesprochenen Wunsch ziehen nun fahl glänzende Schuppen über Tessaigas Oberfläche und tragen dem Begehr seines Herrn Rechnung.

Grimmig fletscht Inu Yasha die Zähne während seine Augen höchst wachsam nach dem Youketsu seines Gegners Ausschau halten. Doch so sehr er sich auch umsieht, er kann ihn nicht entdecken. Unbehaglich verhärten sich Inu Yashas Kiefer je mehr diese Erkenntnis in sein Bewusstsein dringt. Das kann doch gar nicht sein. Jeder Youkai hat einen Youketsu. Es ist unmöglich, dass so ein mächtiger Dämon keinen besitzen sollte. Wo also ist er?

Doch weiter kommt er in seinen Überlegungen nicht. Schon schwingt ihm eine gewaltige Pfote entgegen und es gelingt ihm nur im letzten Moment sich darunter hindurch zu ducken. Doch sofort schnappt auch schon wieder die riesige Schnauze nach ihm und wieder entgeht er den gefährlichen Kiefern nur mit knapper Not.

Wieder und wieder muss er aus dem Weg springen um den Attacken der hünenhaften Gestalt zu entgehen. Und noch immer kann er den Energiewirbel seines Gegners nicht ausmachen. Es ist zum verrückt werden!

Also schön, dann muss es eben anders gehen. Verbissen holt Inu Yasha erneut aus. „Kaze no....!“, doch er bringt die Worte nicht zu ende, denn in diesem Moment erwischt ihn eine mächtige Pranke und schmettert ihn mit aller Kraft quer über den Platz, mitten in die Bäume.

Inu Yasha!“, entfährt es Kagome besorgt und unwillkürlich läuft sie in die Richtung in die ihr Freund geschleudert wurde.

Nun ruckt der Kopf des mächtigen schwarzen Hundes zu ihr herum und Kagome erstarrt. Mit tiefem beängstigendem Knurren kommt er nun auf sie zu und die junge Frau weicht erschrocken zurück. „Menschlein, du bist hier fehl am Platze“, kommt es so drohend, dass Kagome alle Farbe aus dem Gesicht weicht.

Doch nur einen Moment später ertönt ein grimmiger Ruf hinter dem Monstrum: „Kongousouha!“ Im selben Moment entlädt sich eine beachtliche Ladung an langen, spitzen Diamantspeeren auf den riesigen Hund und bleibt herausfordernd in seiner rechten Schulter stecken. Sogleich wendet der Hund sich seinem Angreifer zu, dabei ignoriert er geflissentlich die Spieße in seiner Schulter. Das Knurren in seiner Kehle ist jetzt noch bedrohlicher.

Vor ihm steht Inu Yasha. Er sieht ein wenig ramponiert aus doch er steht aufrecht und trotzt seinem Gegenüber mit entschlossenem Blick. „Ich bin dein Gegner, Kerl!“, schnaubt er wütend.

„Darüber solltest du dich besser nicht freuen!“, grollt es von der riesenhaften Gestalt zurück. „Und du hast mich Katsuken zu nennen!“

„Ach, jetzt plötzlich doch nicht mehr Sesshomaru, was?“, gibt Inu Yasha herausfordernd zurück?

Ein tödliches Funkeln liegt nun in den Augen des Hundes dann springt er mit einem Satz auf Inu Yasha zu, der ihm sofort eine weitere Ladung Diamantspeere entgegenschleudert und dann rasch aus dem Weg springt. Doch er muss nun wirklich flink sein, denn sein Gegner wirkt jetzt richtig aufgebracht. Wann immer er auf dem Boden aufsetzt, bebt die Erde und selbst Kagome in einiger Entfernung fällt es nicht leicht auf den Füßen zu bleiben.

Sie befindet sich nun in direkter Schusslinie zu ihrem Gegner und dieser beachtet sie auch nicht weiter, jedoch bewegt er sich so geschwind, dass sie kein klares Schussfelds bekommt. Wenn er nur für einen Moment stillhalten würde. Mehr als einen Schuss wird sie wohl nicht bekommen, doch noch immer hetzt er ihren Freund durch die letzten verbliebenen Bäume und sie kann nur hoffen, das Inu Yasha noch ein wenig durchhält.

Wieder dreht sich dieser um und schießt eine Salve Kristallspeere auf seinen Feind ab. Auch wenn einige tatsächlich in seiner Haut steckenbleiben, hat man nicht gerade den Eindruck, dass ihm das sonderlich viel ausmacht. Diesem Kerl ist einfach nicht beizukommen und langsam kommt er doch etwas außer Puste. Immer wieder landet er neben dem einen oder anderen Nordkrieger und der Gedanke bemächtigt sich seiner, ob diese stolzen Krieger sich kurz vor ihrem Tod ebenso hoffnungslos unterlegen gefühlt haben.

Noch einmal wirbelt er herum und lässt eine weitere Attacke auf ihn los. Dieses Mal wieder ein Kaze no Kizu. Viel mehr bleibt ihm einfach nicht. Nichts was er tut scheint irgendeine Wirkung zu haben und so bleibt ausweichen scheinbar die einzige Option.

Doch offenbar hat der mächtige Hund nun langsam auch keine Lust mehr auf die lästige Verfolgungsjagd. Er hält kurz inne, sieht das Kaze no Kizu auf sich zukommen und auf einmal reißt er seinen furchtbaren Rachen auf und ein gigantischer Feuerwirbel löst sich aus seinem Mund und rast dem Kaze no Kizu brachial entgegen.

Inu Yashas Miene verzieht sich zu einem Grinsen. Sollte er wirklich so viel Glück haben? Von einem Moment auf den anderen wendet er sich zu seinem Gegner um. „Du willst es wirklich so haben? Das kommt mir gerade recht! Bakuryuuha!“ Mit aller Kraft lässt er Tessaiga hernieder sausen und nun vermengen sich die Wirbel des Kaze no Kizu mit den Energien der herannahenden Feuersbrunst und die gigantische daraus erwachsene Explosionswelle umschlingt die dämonischen Energiemassen und sendet sie umgehend postwendend zu dem gewaltigen Riesenhund zurück.

Katsuken hält überrascht inne als er die heraneilende Energiemasse realisiert. Doch dann überzieht sein Gesicht ein schauerlichen Grinsen. „Zwecklos du Wanze! Deine Energie reicht niemals aus für mich!“ Sofort flammt ein wütend flackernder roter Schutzwall um ihn her auf. Grinsend erwartet er die Attacke. Doch im selben Moment bemerkt er etwas in seinen Augenwinkeln, ein eigenartiges Glimmen. Er wendet den Kopf. Es ist ein leuchtender Pfeil. Und ein ganzes Stück dahinter steht die Menschenfrau die ihn abgeschossen hat. Sie hält den Bogen noch immer erhoben und selbst von hier vernimmt er ihre gemurmelten Worte: „Und los!“

Seine Augen weiten sich ungläubig als der Pfeil beinah gleichzeitig mit den herannahenden Energiemassen auf seinem Schutzschild auftrifft, ihn flackernd verpuffen lässt und ihn somit dem Bakuryuuha schutzlos ausliefert.

Die Explosion die dem mächtigen Aufprall folgt, holt Inu Yasha beinah von den Füßen. Es besteht kein Zweifel daran, dass sein Gegner von der Attacke voll getroffen wurde. Die Druckwelle und die darin enthaltenen Flammen brausen gefährlich über die Lichtung und hinterlassen nichts als eine düstere Staubwolke die sich schließlich über den Platz herabsenkt. Inu Yasha und Kagome halten angespannt den Atem an in der Hoffnung darauf, dass ihr vereinter Angriff ihren Feind ausgeschaltet hat.

Es vergehen einige bange Sekunden als sich die Dunstschwaden beginnen wieder zu lichten und Kagomes Herz schlägt bis zum Hals. Noch immer steht dort unverändert diese monströse Gestalt und blutrote Augen funkeln nun beängstigend zu ihnen herüber. Je mehr sich der Staub lichtet um so mehr ist er zu erkennen. Hoch aufgerichtet und scheinbar unversehrt steht der gewaltige Hund da. Lediglich sein Fell brennt an einigen Stellen, was ihn jedoch nicht weiter zu kümmern scheint.

Finster blickt der Riesenhund nun zu Inu Yasha hinüber. „Gar nicht mal so schlecht, du kleiner Bastard. Zu deinem Pech macht mir Feuer nicht wirklich etwas aus. Das einzige was du damit erreichst, ist dass ich Lust darauf bekomme deiner gesamte Familie so qualvoll wie nur möglich den Garaus zu machen.“

Mit erhobenem Haupt und starrer Miene bietet Inu Yasha ihm die Stirn. „Ich habe gar keine Familie mehr an du deine Wut auslassen könntest, du elender Mistkerl. Und du hast es schon einmal nicht fertig gebracht Sesshomaru umzubringen. Wenn er wieder zurück ist, wird er kurzen Prozess machen mit dir, verlass dich drauf. Er ist nämlich noch viel nachtragender als ich. Du kannst dich da schon mal auf was gefasst machen.“

Nun verziehen sich die Lefzen des Riesenhundes zu einem schauerlichen Grinsen. „Ich werde es mit Spannung erwarten, doch du wirst es leider nicht mehr miterleben.“

Inu Yasha packt sein Schwert fester. „Wollen wir wetten?“

„Du bist wirklich ein sturer, kleiner Mistkäfer“, schnaubt Katsuken verächtlich. „Es ist nicht so, als ob ich solche Leute in meinem Gefolge nicht brauchen könnte. Ich würde dir ja anbieten in meine Dienste zu treten, aber dafür verachte ich dich und deine Sippe zu sehr.“

„Warum?“, gibt Inu Yasha verächtlich zurück. „Weil wir dir bewiesen haben, dass du doch nicht so unfehlbar bist wie du vorgibst zu sein, du Heuchler?“

Ein boshaften Lächeln legt sich auf Katsukens Gesicht. „Die kleine Menschenfrau da hinten gehört doch nicht zufällig zu dir, oder?“ Inu Yashas Augen weiten sich unwillkürlich. „Dachte ich es doch!“, meint der Riesenhund genüsslich und dann wendet er sich demonstrativ von Inu Yasha ab und Kagome zu.

Die junge Frau legt einen neuen Pfeil auf, doch sie zittert am ganzen Körper denn nun kommt wie von der Sehne geschossen der gewaltige Hund mit raschen Sprüngen auf sie zugesprungen.

Inu Yasha wird es heiß und kalt. Er muss etwas tun und zwar schnell. Doch momentan befindet sich sein Gegner zwischen ihm und Kagome und keine seiner Attacken ist stark genug um ihn aufzuhalten. Und einholen wird er ihn so schnell auch nicht. Was kann er also tun?

Blitzartig zuckt eine Idee durch seine Gedanken. Nun muss er schnell handeln. Für einen kurzen Moment hält er inne und konzentriert sich und unmittelbar darauf verfärbt sich Tessaigas Klinge schwarz. Ein eigenartiges, unwirkliches Glimmen umgibt sie und als Inu Yasha die Augen wieder öffnet, weiß er was er zu tun hat.

Der riesige Hund hat Kagome fast erreicht, die vor Schreck wie erstarrt ihrem Ende entgegen sieht. Doch in diesem Moment holt Inu Yasha aus und von der Spitze seines Schwertes löst sich eine schwarze Kugel und saust in rasendem Tempo auf den mächtigen Hund zu, der seine Freundin fast erreicht hat.

Meidou Zangetsuha!“, verkündet er bestimmt und nur einen Wimpernschlag später findet die Kugel ihr Ziel.

Im allerletzten Moment wird sich Katsuken der herannahenden Attacke gewahr und duckt sich geschmeidig unter ihr hinweg. Jedoch ein Teil der Kugel streift seine linke Schulter und wo sie seinen Körper berührt, nimmt sie unwiederbringlich einen kleinen Teil davon mit.

Und das Unmögliche geschieht. Der gigantische Dämonenhund strauchelt und kommt dann zum Stehen. Für einen Augenblick scheint er völlig überrumpelt von der Wirkung dieser Technik, doch dann reißt er seinen Körper herum und wutschnaubend funkelt er Inu Yasha an. Grimmiger Geifer tropft aus seiner Schnauze und ein wütendes Grollen entfährt ihm.

„Was war das? Was hast du getan, du dreckige Made?“, schreit er. „Woher, zum Teufel, kennst du diese Technik?“

Ebenfalls erstaunt über die Wirkung seiner Technik richtet sich Inu Yasha hoch auf. „Sag bloß die Meidou Zangetsuha ist dir bereits einmal untergekommen“, gibt er betont gelangweilt zurück. „Ja, ich kann schon verstehen, dass es etwas beängstigend ist, wenn ich einfach so Teile von dir in die Hölle schicken kann. Aber keine Sorge, beim nächsten Mal ziele ich nicht daneben, dann schicke ich dich in einem Stück runter zu Sesshomaru, damit er kurzen Prozess mit dir machen kann!“

Bedrohlich kommt Katsuken jetzt langsam auf Inu Yasha zu. „Dies ist eine Technik des Inu no Taishou. Wie kommst du zu diesem widerlichen Relikt?“

Trotzig erwidert Inu Yasha seinen Blick. „Wie schon, ich bin sein Sohn! Und ich kann dir gerne jederzeit beweisen, dass ich damit umzugehen vermag.“

Ein wütendes Schnauben entfährt Katsuken. „Du, sein Sohn? Das ist unmöglich!“ Ein tödliches Knurren dringt aus seiner Kehle, während er nun bedrohlich auf Inu Yasha zukommt. „Du dürftest diese Technik nicht besitzen. Sie gehört einzig dem Inu no Taishou!“

„Und er hat sie von seinem Urheber dem Dämon Shishinki“, gibt Inu Yasha unbeirrt zurück. „Und nachdem ich diesen Kerl ebenfalls aus dieser Welt entfernt habe, habe ich mir diese Technik gänzlich zu eigen gemacht, verlass dich drauf!“

Für einen Moment starrt Katsuken Inu Yasha nur verblüfft dann hasserfüllt an, und dann zieht sich seine Miene wieder zu. „Shishinki! Dieser miese, kleine Wurm!“, grollt er bitterböse. „Hat er wirklich behauptet, diese Technik wäre von ihm? Alleine schon dafür müsste ich ihn in Stücke reißen!“

„Da kommst du ein bisschen spät!“, gibt Inu Yasha großspurig zurück. „Um den Kerl habe ich mich schon fachgerecht gekümmert.“

Nun fliegt Katsukens Blick wieder zu Inu Yasha hinüber. „Es bleibt dabei, diese Technik steht dir nicht zu!“

„Wollen wir wetten?“, gibt Inu Yasha fest zurück und hebt bedrohlich das schwarze Tessaiga.

„Na komm!“, fordert Katsuken humorlos, „Versuch ruhig dein Glück! Setze die Meidou ein, wenn du es vermagst!“

„Wie du willst!“, gibt Inu Yasha zurück. Jedoch fühlt er sich mit einem Mal nicht mehr so ganz zuversichtlich wie noch gerade. Zwar kann er noch immer die kleine Stelle an der Schulter seines Gegners sehen, wo er ihn eben noch mit der Meidou erwischt hat. Die Wunde blutet nicht und auch sonst sieht es lediglich so aus als fehle dort ein kleines Stück. Doch das Selbstbewusstsein mit dem der riesige Hund sich ihm jetzt entgegenstellt, verunsichert Inu Yasha doch etwas.

Doch er kann jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Zu viele Leben hängen jetzt davon ab, ob er hier seinen Mann steht. Immerhin ist er jetzt der Fürst und deshalb, wie sagt es Sesshomaru immer, ist Scheitern keine Option!

Mit aller Kraft holt er aus und schleudert die schwarze Kugel an der Spitze seines Schwertes auf seinen Gegner. „Meidou Zangetsuha!“

Der gewaltige Dämonenhund sieht die für seine Ausmaße winzige Kugel direkt auf sich zufliegen. Doch urplötzlich leuchten seine Augen kurz hell auf und direkt vor ihm beginnt die Kugel sich nun aufzulösen und letztlich verschwindet sie in der leeren Luft.

„Lächerlich!“, schnaubt der Dämonenhund verächtlich. „Das eben war allenfalls ein Glückstreffer. Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, an wem du deine gestohlenen Techniken hier ausprobierst?“ Nun richtet auch er sich zu seiner vollen Größe auf. „Mein Vater war der Inu no Taishou! Der Fürst der Inuyoukai und diese Technik dient nur dem, dem es bestimmt ist über die Hölle zu herrschen. Ganz sicher nicht so einem mickrigen Abkömmling wie dir!“

Mit diesen Worten stürzt er sich nun auf Inu Yasha der ihm beklommen entgegenblickt. Ihm fällt nichts mehr ein was er noch versuchen kann.

In diesem Moment vernimmt er Kagomes lauten Ruf: „Inu Yasha, schlag zu!“ Doch nicht nur Inu Yasha hat ihre Worte gehört. Der gewaltige Dämonenhund wendet ihr ebenfalls augenblicklich den Kopf zu und entdeckt nun den prismatisch schimmernder Pfeil der direkt auf ihn zukommt und schon fast erreicht hat.

Sofort hebt Inu Yasha sein Schwert für die hoffentlich letzte Attacke. Wenn Kagomes läuternder Pfeil ihn noch einmal trifft, hat er vielleicht eine kleine Chance mit der Meido durchzukommen. Doch die Hoffnung erfüllt sich nicht. In eben diesem Moment stößt der Dämonenhund einen kurzen, scharfen Feuerstrahl in Richtung des Pfeiles, was ihn augenblicklich in Asche verwandelt und die herannahende Gefahr beendet. Kagome schluckt.

„Beleidige mich nicht, kleine Hexe!“, grollt er. „Deine Tricks wirken kein zweites Mal bei mir.“ Und dann setzt er sich in Bewegung und trabt unverwandt auf Kagome zu. Diese spürt wie ihr nun doch alle Farbe aus dem Gesicht weicht und hastig legt sie einen neuen Pfeil auf und schießt erneut auf das Monster, dass nun direkt auf sie zukommt. Doch auch dieser Pfeil zerfällt unter den Flammen des Daiyoukai zu Staub. Und nun wird ihr wahrlich unbehaglich zumute, denn der riesige Hund ist schon fast bei ihr und sie kann nichts dagegen tun.

Kagome!“, vernimmt sie den panischen Ruf hinter dem Monstrum. Gerade jetzt sieht sie ihren Freund, der, so schnell ihn seine Füße tragen, versucht den riesigen Hund zu überholen um ihr beizustehen. Deutlich erkennt er die Angst in seiner Miene. Doch es hilft nichts, Katsuken ist schneller.

Noch einmal spannt Kagome ihren Bogen und richtet ihn direkt auf die herannahende Hundeschnauze. Wenn sie ihn im allerletzten Moment abschießt, kann er vielleicht nicht mehr reagieren und ihr Angriff hat Erfolg und dann hat Inu Yasha immerhin eine Chance ihm den Rest zu geben. Innerlich wird ihr das Herz schwer dabei. Tut mir leid, Inu Yasha. Ich kann dir wohl doch nicht länger helfen.

Doch sie kommt nicht dazu den Pfeil abzuschießen. Der letzte Schritt des riesigen Hundes ist offenbar bewusst heftig aufgesetzt und für einen Moment verliert sie das Gleichgewicht. Und noch während sie schwankt, spürt sie wie etwas ihren Bogen packt und nach oben reißt. Ihr bleibt keine Zeit mehr ihre Waffe loszulassen, denn schon baumelt sie in dreißig Meter Höhe und nun wäre diese Entscheidung fatal. So klammert sie sich lediglich verzweifelt an das dünne Stück Holz und versucht nicht abzustürzen.

Kagome, nein!“ Verzweifelt steht Inu Yasha nun direkt vor dem riesigen Hund der den Bogen seiner Freundin im Maul hat und boshaft und irgendwie sehr zufrieden auf ihn hinunterblickt.

„Erstaunlich, dass so ein Wesen dir anscheinend so viel bedeutet“, stellt der gewaltige Hund zwischen den Zähnen fest. „Du bist ja noch armseliger als ich dachte.“

Inu Yasha fletscht die Zähne und packt Tessaiga fester. „Lass sie auf der Stelle runter, oder...“

„Oder was?“, kommt die spöttische Rückfrage. „Du bist doch wohl nicht so dumm, oder? Greifst du mich an, lasse ich sie fallen. So einfach ist das.“ Ein Knurren entfährt Inu Yasha.

„Lass dich nicht beirren!“, ruft Kagome ihm trotzig zu. Die Bogensehne schneidet in ihre Hand, aber sie hält verbissen aus. „Mach ihn fertig, wenn du kannst! Denk nicht an mich!“

Inu Yasha wird es heiß und kalt bei den Worten. Er kann sie doch nicht einfach so ihrem Schicksal überlassen. „Auf keinen Fall!“, schreit er zurück. „Ich habe versprochen dich zu beschützen!“

„Du hast auch versprochen noch andere zu beschützen!“, ruft sie entschlossen zurück. Ihre Hände zittern und die Bogensehne schneidet immer mehr in ihre Finger, doch grimmig hält sie weiter fest, auch wenn ihr immer mehr die Arme lahm werden. „Denk dran, du bist jetzt der Fürst. Du bist für sie alle verantwortlich!“

Erschrocken zuckt Inu Yasha zusammen. Grimmig beißt er sich auf die Zähne und ballt die Fäuste. „Kagome, ich...“, er bebt am ganzen Körper so angespannt ist er.

„Denk dran, was du Sesshomaru versprochen hast!“ Inu Yasha hebt erschrocken den Kopf.

Doch nun kommt wieder Leben in den mächtigen Hund. „Du willst der Fürst sein?“, ertönt es verächtlich. „Verspottet mich besser nicht! Das ist sogar noch lächerlicher als die Führung einem Weib zu übergeben.“ Er hebt ruckartig den Kopf und Kagome schreit kurz auf vor Schmerz und vor Schreck.

„Für was du dich auch hältst, ich werde dich auf deinen Platz verweisen. Doch wenn es dir so schwer fällt mich anzugreifen, werde ich dir die Entscheidung abnehmen.“ Mit diesen Worten schlenkert er einmal den mächtigen Kopf zur Seite und dann lassen seine Zähne den Bogen urplötzlich los. Mit einem spitzen Schrei wird Kagome einmal quer über den Platz und noch ein ganzes Stück weiter in die dahinter stehenden Bäume geschleudert.

Nein, Kagome!“, schreit Inu Yasha in heller Panik auf. Sofort will er hinterherrennen, doch schon einen Herzschlag später trifft ihn eine gewaltige, schwarze Pfote und begräbt ihn gnadenlos unter sich. Vernehmlich keucht der Hanyou auf.

Unbarmherzig presst ihn die gigantische Tatze tiefer in den Boden hinein und Inu Yasha weicht jegliche Luft aus den Lungen. Er spürt einen rasenden Schmerz in seinem gesamten Körper und für einen Augenblick ist er kurz davor die Besinnung zu verlieren.

Das darf nicht wahr sein! Kagome darf nicht tot sein! Er hatte ihr doch versprochen, dass er auf sie aufpassen würde, aber diesen Sturz kann sie unmöglich überlebt haben. Diese Erkenntnis schmerzt fast mehr als es seine Verletzungen könnten. Dieser elende Mistkerl! Damit darf er nicht durchkommen, das wird er ihm büßen!

Gerade hebt sich die riesige Pfote um noch einmal erneut zuzuschlagen und ihm den Rest zu geben. Doch in eben diesem Moment packt Inu Yasha noch einmal sein Schwert dass noch immer neben ihm liegt und obwohl er sehr wohl spürt, dass sein Arm gebrochen ist, nimmt er all seine verbliebene Kraft zusammen für einen letzten Streich. Ein letztes Mal geht das schwarze Tessaiga hernieder und direkt unter dem Körper des mächtigen Dämonenhundes formt sich erneut eine Meido.

Gerade als dieser erneut zuschlagen will, dringt die Kugel in seinen Körper ein. Unaufhaltsam durchquert sie seinen Leib vollständig und hinterlässt ein zwar kleines jedoch unübersehbares Loch durch seine Mitte und verpufft dahinter.

Unwillkürlich hält der mächtige Daiyoukai inne. Ein schauerlicher Schrei gellt über den trostlosen Platz; er ist gezeichnet von Schmerz, Wut und Hass. In scheußlichen Zuckungen bäumt sich der Dämonenhund auf. Mühsam hebt Inu Yasha etwas den Kopf und nun kann er für einen winzigen Moment durch das Loch im Leib des Daiyoukai etwas erkennen: Ein Stück von einem grauen Wirbel. Das Youketsu! Der Energiewirbel des gewaltigen Hundes befindet sich also wohl geschützt in seinem Inneren. Kein Wunder, dass er ihn dort nicht entdecken konnte. Die Meidou muss ihn wirklich nur um Haaresbreite verfehlt haben. Zu dumm!

In diesem Moment geht eine Verwandlung durch den massigen Körper. Unter scheußlichem Aufbäumen und wütendem Heulen verwandelt der gewaltige Hund sich in seine Menschengestalt zurück, jedoch nur für einen kurzen Moment, dann formt sich auch diese Gestalt zu einer tiefroten Kugel aus Energie und nur wenige Augenblicke später saust die Kugel davon und verschwindet über den Bäumen aus seinem Blick.

Neue Verbündete?

Mit einem schrillen Schrei spürt sich Kagome durch die Luft geschleudert. Unter sich sieht sie schemenhaft die Verwüstung der Ebene die von dem Kampf herrührt. Um sie dreht sich alles und die Behauptung so kurz vor dem Tod zöge das ganze Leben noch einmal an einem vorbei, kommt nicht von ungefähr. Auch wenn ihr schicksalhafter Flug mit dem unabwendbaren Ende vermutlich nur einige Sekunden dauert, scheinen sich die Augenblicke in die Länge zu ziehen.

So endet es also. Zwar hatte sie sich ihr Ende nie wirklich vorgestellt, aber es überrascht sie doch, dass es so schnell geht. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so. Man bekommt gar keine Gelegenheit sich noch davor zu fürchten.

Als letzte Gedanken schießt ihr noch durch den Kopf, dass Inu Yasha vermutlich sehr traurig darüber sein wird. Hoffentlich schafft er es dieses Monster auch ohne ihre Hilfe zu besiegen. Hoffentlich geschieht ihm nichts.

Schon spürt sie wie sie durch das Blätterdach der Bäume rauscht. Die harten Äste schmerzen heftig beim Aufprall und der Waldboden kommt unaufhaltsam näher. Sie schließt die Augen. Mit der nächsten Erschütterung wird alles vorbei sein.

Da plötzlich huscht ein Schatten aus dem Blätterdach heraus und bewegt sich mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zu. Kräftige Arme ergreifen sie und fangen ihren Sturz ab. Ihr Schwung ändert seine Richtung und schließlich spürt sie wie sie hart aber doch mit einem leichten Abfedern auf dem Boden aufkommt.

Für einen kurzen Moment kneift Kagome noch sinnend die Augen zusammen. Kann das sein? Ist die Gefahr wirklich gebannt? Stürzt sie nicht länger ab? Ganz langsam wird sie sich gewahr, dass irgendjemand sie offenbar auf Händen trägt. Noch immer mit klopfendem Herzen hebt sie jetzt ihren Kopf und öffnet zögernd ihre Augen um ihren Retter zu ermitteln. Doch nun entgleisen ihr die Gesichtszüge vor Überraschung und ihre Augen weiten sich.

Du?“
 

Eine ganze Weile liegt Inu Yasha reglos in der Kuhle die die gewaltige Hundepfote seines Gegners unter ihm hinterlassen hat. Unabänderlich tröpfelt der beständige Regen auf ihn herunter. Es kann nicht sein, dass sie tot ist. Es darf einfach nicht sein! Er muss sich darüber Gewissheit verschaffen, aber er kann sich kaum rühren. Jedes einzelne Körperteil schmerzt höllisch und in seinem Kopf kreist es noch immer unangenehm vor Schmerzen und vor Trostlosigkeit. Er hat seinen Feind vertrieben, aber zu welchem Preis?

Verzweifelt klammert er sich an die Hoffnung, dass irgendein glücklicher Umstand das Schlimmste verhindert haben mochte, aber Kagome ist nur ein Mensch. Die Chance, dass sie diesen Sturz unbeschadet überstanden hat, ist so gut wie ausgeschlossen.

Inu Yasha kneift die Augen zusammen. In seinem Inneren tut sich ein tiefer, dunkler Abgrund auf. Was soll er nur tun, wenn es sie wirklich nicht mehr gibt? Gerade jetzt wo er sie endlich wiederhat. Er muss herausfinden wie es um sie steht, doch noch immer versagen seine Gliedmaßen ihren Dienst.

Auf einmal fällt ein Schatten auf ihn. Mühsam dreht er den Kopf und öffnet die Augen. Vor ihm, am Rande der Vertiefung steht eine Gestalt. Sie ist offenbar in einen dicken Fellmantel gehüllt und trägt einen fein geflochtenen Kasa der ihr tief ins Gesicht hängt und von dem stoisch der Regen hinabtropft. Darunter hervor mustert ihn nun ein wachsames, eisblaues Augenpaar.

Inu Yasha wird es unbehaglich zumute. Er weiß nicht wer dieser fremde Nordyoukai ist, aber so wie es hier gerade aussieht, könnte er zu dem falschen Schluss kommen und das wäre ziemlich ungünstig für ihn.

Unbehaglich versucht er sich irgendwie in eine sitzende Position zu befördern, doch es will ihm einfach nicht gelingen. So robbt er nur ein Stück weiter von dem Neuankömmling weg. Für einen Moment mustert ihn der Fremde nur abwägend dann sagt er: „Du bist Inu Yasha, der Hanyou vom Westclan.“ Zu Inu Yashas Überraschung ist die Stimme eindeutig weiblich. Zudem klingt sie nicht wirklich aggressiv, allerdings auch nicht freundlich. Es ist lediglich eine Feststellung.

Wieder versucht er sich aufzurichten und wieder misslingt es.

„Was ist hier passiert?“, fragt die Fremde streng.

Inu Yasha ist sich nicht sicher was er antworten soll. Er kennt die Frau nicht und kann auch nicht einschätzen was für ein Interesse sie an diesen Ereignissen hat, doch wenn er irgendeine Chance auf Hilfe habe möchte, sollte er sich darum bemühen, dass sie nicht allzu schnell wieder verschwindet.

„Wer bist du?“, quetscht er mühsam hervor. Jede seiner gebrochenen Rippen heult schmerzhaft auf bei dieser Kraftanstrengung.

Wieder mustert sie ihn abschätzend. „Du kannst mich Ki-sama nennen. Ich bin die Heilerin des Nordclans. Wenn du weißt wo sich meine Fürstin befindet, dann solltest du es mir besser verraten.“

Inu Yashas Anspannung wächst und wird mit einer erneuten Schmerzwelle quittiert. Eine Heilerin! Er könnte tatsächlich Glück haben. Allerdings ist es äußerst fraglich ob sie einem Fremden, der mutmaßlich ihre Gefolgsleute angegriffen haben könnte, überhaupt helfen würde.

„Ich weiß es nicht“, kommt es gepresst. „Aber ich könnte dir bei der Suche helfen. Ich... vermisse auch jemanden.“

Das Gesicht der Heilerin ist ausdruckslos. Schließlich fragt sie barsch: „Bist du für das alles hier verantwortlich?“

Mühsam atmet Inu Yasha gegen den Schmerz an. „Nein. Aber ich habe den erst mal vertrieben der es getan hat. Ich weiß nicht wie viel Zeit wir haben bis er wieder auftaucht.“

Die Youkai scheint kurz zu überlegen dann tut sie einen grazilen Sprung und landet direkt neben Inu Yasha in der Grube. Eisig funkeln ihre Augen ihn an, als sie sich zu ihm herunterbeugt.

„Versuche keine Tricks, Hanyou!“, warnt sie ihn kühl. „Du wärst tot ehe du es überhaupt mitbekommst.“ Dann kniet sie sich neben ihm nieder, lässt ihre Finger kurz sinnend über seinen zerschmetterten Leib streifen und dann schließt sie die Augen und lässt ihre heilenden Kräfte wirken.
 

Es dauert eine kleine Weile ehe die Heilerin ihr Werk vollendet hat. Geschafft hält sie einen Moment inne. „Ich hasse Hanyou“, murmelt sie missmutig. „Wie kann man mit solch chaotischer Energie überhaupt leben?“

Langsam richtet Inu Yasha sich auf. Die meisten Schmerzen sind verschwunden und offenbar sind auch seine Brüche wieder fundamental geheilt. Jedoch fühlt er sich noch immer steif und geschunden und bis an seine Grenzen erschöpft. Etwas ungelenk kommt er wieder auf die Füße und hebt dann Tessaiga auf um es wegzustecken. Seine Miene ist hart.

„Ich muss dir wohl danken“, meint er.

„Ich will deinen Dank nicht“, bekommt er die kühle Antwort. Nun steht auch sie wieder auf. „Ich will, dass du dein Wort hältst und mir bei der Suche nach meiner Fürstin hilfst.“

Er blickt zu ihr hinüber. „Dann sollten wir besser keine Zeit mehr verschwenden. Komm mit!“

Sofort setzt er sich in Bewegung und sogleich folgt sie ihm. Natürlich beabsichtigt er ihr bei der Suche zu helfen, doch zuerst hat für ihn etwas anderes Priorität. Bevor er nicht herausgefunden hat, was mit Kagome passiert ist, hat er ohnehin keine ruhige Minute mehr. Also versucht er sich so gut wie möglich daran zu erinnern in welchem Abschnitt des Waldes Kagome zu Boden gegangen ist. Und eben jenen Bereich steuert er nun an.

Er hat den Saum der Bäume schon fast erreicht, als er unwillkürlich zusammenzuckt. Jemand ist da gerade zwischen den Bäumen aufgetaucht. Nun beschleunigt dieser Jemand seinen Schritt und läuft direkt auf ihn zu und Inu Yashas Herz schlägt bis zum Hals. Ein dicker Kloß steckt in seiner Kehle als er die Person erkennt. Kagome!

Sie läuft geradewegs auf ihn zu und soweit er es erkennen kann, ist sie noch nicht einmal verletzt. Seine Schritte beschleunigen sich immer schneller und schneller bis er sie wenige Augenblicke später endlich wieder in seine Arme schließen kann.

Tränen stehen ihr in den Augen „Inu Yasha!“, schnieft sie während sie ihn innig an sich drückt. „Ich hatte solche Angst, dass dir was passiert ist!“

„Dass mir was passiert ist?“, gibt er beklommen zurück. „Ich dachte schon du bist... Wie hast du den Sturz bloß überstanden?“ Fast schon krampfhaft hält er sie umschlossen.

In diesem Augenblick trifft ihn unvorbereitet eine harte Kopfnuss am Hinterkopf. „Dein Verdienst ist das ganz sicher nicht, du dämliche Flohschleuder!“

Inu Yasha erstarrt augenblicklich und er spürt wie sich ihm umgehend die Nackenhaare aufstellen. „Kouga!“, grollt er grimmig. Er lässt Kagome los und dreht sich zu der nur allzu bekannten Stimme um.

Mit verschränkten Armen steht der stattliche Wolfsyoukai in voller Lebensgröße vor ihm und starrt ihn finster an. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du gefälligst auf Kagome aufzupassen hast, du blöder Vollidiot? Was fällt dir eigentlich ein, sie schon wieder in solch eine schreckliche Gefahr zu bringen?“

„Kouga war zufällig gerade in der Nähe als ich runtergefallen bin. Er hat mich aufgefangen.“

„Ich war nicht 'zufällig gerade in der Nähe', ich habe was überprüft“, stellt der Wolfdämon mürrisch klar. „Ich weiß ja nicht was bei euch Hunden schon wieder los ist, aber immer wenn es bei euch Stress gibt, dürfen wir Wölfe das ausbaden. Glaub ja nicht, dass ich das diesmal so einfach hinnehme.“

Nun tritt Ki-sama ein paar Schritte näher auf die Gruppe zu. „Seit wann sind die O-kami schon wieder in unserem Revier?“, kommt es geringschätzig in Kougas Richtung. „Ich nahm an, Yarinuyuki-sama hätte alle Wölfe aus der Gegend vertrieben.“

Hoch baut sich Kouga vor ihr auf. „Was gehen uns die Reviere der Hunde an? Ihr teilt das Land auf wie ihr wollt und wir wie wir wollen. Ihr habt uns überhaupt nicht vorzuschreiben wo wir zu sein haben und wo nicht, nur damit das klar ist!“ Ki-sama schnaubt verächtlich.

„Aber davon mal abgesehen“, fährt Kouga fort, „habe ich auch gar nicht vor länger zu bleiben, keine Sorge. Aber dieser abscheuliche Gestank nach Hund juckt einfach in meiner Nase und nach diesem Massaker in der großen Talsenke dachte ich mir, ich gehe der Sache mal lieber nach.“

„Diesmal war es wirklich ein glücklicher Zufall, dass du da warst“, lächelt Kagome nun freundlich.

„Ja, das sehe ich auch so!“, wieder verschränkt Kouga demonstrativ die Arme und blickt vorwurfsvoll auf Inu Yasha herab.

Mit undeutbarer Miene erwidert Inu Yasha seinen Blick. Er atmet einmal tief durch, dann richtet auch er sich zu seiner vollen Größe auf und tritt auf den jugendhaften Wolfsdämon zu.

„Kouga“, sagt er fest, „deinetwegen ist Kagome nicht zu Schaden gekommen. Das war anständig von dir. Ich schulde dir was. Aber jetzt müssen wir mit Ki-sama zusammen erst mal herausfinden wo die Fürstin des Nordens geblieben ist. Wenn du uns bei der Suche helfen willst, wäre das eine große Hilfe. Aber du brauchst dich nicht verpflichtet dazu fühlen. Wir werden es notfalls auch alleine schaffen, keine Sorgen.“

Mit diesen Worten dreht er sich von ihm weg, nickt Ki-sama einmal kurz zu und wendet sich dann zu Kagome um. „Komm, Kagome, wir sollten hier nicht länger als nötig bleiben.“ Dabei ignoriert er geflissentlich den verblüfften Gesichtsausdruck seiner Freundin.

Auch Kouga ist bei diesen Worten die Kinnlade runter gesackt. „Warte, was?“, schnappt er entgeistert. „Das war anständig von mir? Und du schuldest mir was? Ich hör wohl nicht richtig!“ Empört stemmt er die Arme in die Seite. „Ich fühle mich überhaupt nicht 'verpflichtet' euch zu helfen, klar? Soweit kommt das wohl noch!“

„Deshalb sag ich ja, wir schaffen das schon alleine“, entgegnet Inu Yasha in aller Seelenruhe während er sich anschickt Kagome auf seinen Rücken steigen zu lassen.

„Als ob du blöder Köter überhaupt mal was alleine schaffen würdest!“, schnaubt Kouga aufgebracht. „Wenn ich Kagome mit dir alleine lasse, bringst du sie bloß wieder in Gefahr. Je schneller ihr aus der Gegend hier verschwindet desto besser! Dieser monströse Kerl kann nämlich immer noch in der Nähe sein.“

Mit einem süffisanten Schmunzeln blickt Inu Yasha nun zu ihm herüber. „Wir sind schneller fertig wenn du uns hilfst. Am besten du nimmst die rechte Seite des Waldes und wir die linke.“

Verstimmt reckt Kouga das Kinn. „Könnte dir so passen mich herumzukommandieren. Ich nehme die linke Seite, kapiert?“

„Na schön, dann geht’s eben nach dir. Melde dich wenn du jemanden gefunden hast der noch lebt!“

„Darauf kannst du wetten!“, Zähneknirschend funkelt Kouga Inu Yasha noch einmal an und dann macht er sich aus dem Staub.

Inu Yasha grinst genüsslich. Dann blickt er zu Kagome hinüber dessen Miene sowohl Erstaunen als auch Bewunderung sowie auch eine gewisse Faszination widerspiegelt.

„Inu Yasha“, kommt es in einem Tonfall als hätte er gerade die Höchstpunktzahl im Mathe-Leistungskurs absolviert. „Was war das denn gerade?“

Inu Yashas Grinsen wird breiter. „Ach, ich habe mich nur für einen Moment daran erinnert wie sehr es mich immer auf die Palme bringt, wenn Sesshomaru sich mal wieder so gar nicht aus der Ruhe bringen lässt.“ Er atmet einmal kurz durch dann sinken seine Mundwinkel wieder herab. Was er nicht laut ausspricht ist: „Außerdem wäre ein Faustschlag ins Gesicht sicher nicht die angemessene Reaktion darauf, dass er dich schon wieder retten musste, weil ich dich in Gefahr gebracht habe.“ Stattdessen sagt er: „Aber es ist nun mal so, mit seiner Hilfe sind wir hier schneller wieder weg.“

Kagomes Miene wird wieder ernst. Sanft legt sie eine Hand auf seine Schulter. „Ob du es glaubst oder nicht, in dir steckt mehr von einem Fürsten als du denkst.“

Seine Hand legt sich auf ihre. „Vielleicht, aber ich muss auf jeden Fall noch lernen, die Personen, die mir wichtig sind, nicht immer in Gefahr zu bringen.“

Für einen Moment blickt sie ihn nur an, dann umrundet sie ihn und schwingt sich dann auf seinen Rücken. „Lass uns Yarinuyuki suchen!“

Er nickt, dann geht sein Blick zu Ki-sama hinüber, die die ganze Szene schweigend aber aufmerksam beobachtet hat. „Ich garantiere dir, wir finden sie!“, verkündet er fest.

„Ich habe nichts anderes angenommen, Hanyou“, entgegnet sie gelassen.

Dann setzen sie sich in Bewegung und sind sogleich zwischen den verbliebenen Bäumen verschwunden.
 

- - -
 

In gemäßigtem Tempo beschreitet Sesshomaru nun schon eine unsäglich lange Weile den Pfand entlang der Felswände die den Canyon umgeben. Zwar gefällt es ihm nicht, nur so langsam voranzukommen, aber sein unverhältnismäßiges Gewicht und der noch immer beträchtlich schmerzende Fuß lassen keine andere Marschgeschwindigkeit zu. Dafür verläuft seine Wanderung zumindest ereignislos. Auf seiner linken Seite steigt eine steile Felswand in die Höhe die gut und gerne ihre zehn Schritt hoch ist und auf seiner rechten Seite fällt der Pfad fast ebenso steil hinab in die Schlucht die soweit das Auge reicht mit Felsen und Dornenranken gepflastert ist. Wie tief der Grund unter den höchsten Zweigen der Dornen liegt, ist von hier schwer abzuschätzen.

Hier und da ranken die dornigen Sträucher sogar bis hinauf zu seinem Weg, doch soweit er es sehen kann, überwuchern sie ihn nirgends sondern sind nur stummes Mahnmal, dass er sich hier in einer äußerst unwirtlichen Gegend befindet.

Schon viele Stunden folgt er dem kaum zwei Schritt breiten Weg der sich am Schluchtrand entlanghangelt und es ist nicht abzusehen, dass in Bälde ein Ende oder nur eine Weggabelung zu erwarten ist. Fast bedauert Sesshomaru es seinen Führer gehen gelassen zu haben. Nun da er mit sich allein ist, versuchen immer wieder einige Bilder aus seinem jüngsten Martyrium vor seinem inneren Auge Gestalt anzunehmen und das behagt ihm gar nicht.

Doch gerade als er wieder eines dieser inneren Szenarien mental demonstrativ beiseite wischt, erweckt etwas seine Aufmerksamkeit. Direkt vor ihm macht der Weg einen scharfen Knick um die Ecke, sodass man nicht länger sehen kann, was hinter dem Felsvorsprung, um den sich der Weg windet, liegt. Doch das allein ist es nicht was ihn aufhorchen lässt. Seine Nackenhaare stellen sich auf und er spürt, dass er einmal mehr beobachtet wird. Und es sind keine freundlichen Augen, soviel ist sicher.

So lästig eine erneute Unterbrechung seiner Reise auch ist, es kommt ihm dennoch gelegen seine Aufmerksamkeit auf konkrete Dinge richten zu können. Wachsam blickt er sich um. Weder vor noch hinter ihm ist irgendetwas oder irgendjemand auszumachen. Doch vor ihm bröckeln nun einige Steinchen herunter und er ahnt woher die Bedrohung kommt.

Er hebt den Kopf und über sich auf dem Bergkamm sieht er nun mehrere gedrungene Wesen die von dort oben auf ihn hinunterstarren und beunruhigendes Knurren und Fauchen von sich geben. Noch ehe Sesshomaru näher abschätzen kann, was da auf ihn lauert, schieben sich diese Wesen auch schon über den Rand und ungebremst schlittern und springen sie aus der schwindelnden Höhe zu ihm auf den Weg hinab.

Drei der unheimlichen Gestalten landen hinter ihm und vier vor ihm. Ihre Vorderläufe sind stämmig und sehnig und beinah doppelt so lang wie die krummen aber beachtlich kräftigen Hinterbeine. Ihre Haut ist schwarz und lederartig und mit dicken, roten Beulen übersät. Auf dem verschwindend kurzen Hals sitzt ein mächtiger, schauriger Schädel mit unheimlichen, gelben Raubtieraugen und einem riesigen geifernden Maul das mit unzähligen, fingerlangen, scharfen Reißzähnen besetzt ist. Sie reichen dem Daiyoukai knapp bis zur Hüfte und beginnen nun ihn zu belauern, wobei sie ein schauerliches Knurren von sich geben. Ihre kurzen, fleischigen Schwänze pendeln unruhig hin und her.

Sesshomarus Augen werden schmal. Es ist nicht zu erkennen ob es sich bei diesen Wesen eher um Affen oder Hunde handelt, doch es steht wohl fest, dass er ihnen nicht ohne Kampf entkommen kann. Also schön, wenn sie es so haben wollen.

Sein Körper versteift sich und nun entfährt auch seiner Kehle ein gefährliches Grollen. Reißzähne und Klauen treten hervor und seine Augen nehmen eine rötliche Färbung an.

Die fremden Wesen nehmen es offenbar wahr, doch sie zeigen sich nur einen Augenblick lang davon irritiert. Nun wird ihr Knurren aggressiver und abwägend tänzeln sie ein wenig auf und ab, doch dann wie auf ein unsichtbares Signal stürmen alle zugleich los und mit wilder Wut stürzen sie sich auf den Daiyoukai.

Die Wucht des ersten massigen Körper der ihn aus vollem Lauf anspringt, reißt Sesshomaru beinah von den Füßen. Schon sind die scharfen Zähne nur noch wenige Fingerbreit von seiner Kehle entfernt, doch der Youkaifürst packt seinen Widersacher mit beiden Händen und hält ihn auf Abstand. Dann schleudert er ihn von sich und reißt dabei einen weiteren der Angreifer zu Boden. Doch schon schlagen sich von hinten zwei Kiefer in seine rechte Schulter und die nadelspitzen Zähne graben sich tief in sein Fleisch.

Doch wieder reagiert der Daiyoukai sofort und mit seiner linken Hand greift er nach dem bezahnten Oberkiefer und reißt ihn grob nach oben. Ein kurzes Kläffen ertönt und der Biss löst sich. Wieder versucht es eine der Ungestalten ihn von vorne anzuspringen. Doch der Daiyoukai packt nur einmal gnadenlos die beiden Vorderläufe des Viehs und mit einem einzigen kraftvollen Ruck reißt er das Wesen in Stücke.

Jedoch nur Augenblicke nachdem er die beiden Körperhälften von sich geschleudert hat, trifft ihn von hinten ein mächtiger Stoß als ihn erneut eines der Tiere anspringt. Unwillkürlich strauchelt Sesshomaru einige Schritte Richtung Abgrund, doch er kann sich eben noch aufrecht halten. Gerade dreht er sich um, um sich dem neuen Angreifer gebührend zu widmen, als zwei weitere der Untiere ihn mit voller Wucht anfallen und somit vollends aus dem Gleichgewicht bringen. Er taumelt einmal mehr und der heftige Aufprall der Geschöpfe lässt ihn über den Rand treten und gemeinsam mit den beiden Wesen stürzt er den hohen Abhang hinunter und rutscht auf der schrägen Felswand unaufhaltsam hinab in die Schlucht.

Ohne seinen Fall abbremsen zu können, purzelt Sesshomaru dem Grund entgegen und nur wenige Herzschläge vergehen bis er mit erschreckendem Tempo durch das schwarze Dornengestrüpp rauscht. Die Ranken bremsen seinen Fall zwar, doch sie zerfetzen auch seine Kleidung und kratzen ihm die Haut von Gesicht und Gliedmaßen auf. Ein paarmal prallt er von einem dicken Ast ab und bleibt letztlich zerschunden und benommen am Grund der Schlucht in einem niedrigen Dornengebüsch hängen.

Zunächst rührt der Daiyoukai sich nicht, doch dann regt er sich langsam wieder. Behutsam streckt Sesshomaru seine Gliedmaßen. Die fingerlangen Dornen haben sich hartnäckig in seiner Kleidung und seiner Haut verfangen und geben ihn nur höchst widerwillig wieder frei.

Mühsam wendet er den Kopf. Über ihm in einiger Höhe entdeckt er die beiden Kreaturen die mit ihm herab gestürzt sind. Auch sie sind in den Dornen hängen geblieben und haben sich hoffnungslos im Gestrüpp verheddert. Ein kurzes Keifen und Jaulen ertönt, doch dann hängen sie still und rühren sich nicht mehr.

Weit über sich am Rand des Felsenpfades kann Sesshomaru die anderen Wesen ausmachen. Sie stieren mit boshaftem Blick hinab. Ein missgünstiges Knurren und Kläffen ertönt, doch dann schnaufen sie verächtlich und trotten davon.

Zumindest dieser Umstand hebt Sesshoumarus Laune etwas. Bedächtig beginnt er nun damit, sich aus dem tückischen Gestrüpp zu befreien. Leider geht dies nicht vonstatten, ohne dass er sich weitere tiefe Schrammen und Kratzer zufügt. Doch letztlich nach einer ganzen Weile hat er es geschafft sich freizukämpfen.

Ein wenig schwankend steht er da und ist zunächst bemüht, sich zu orientieren. Er befindet sich in einer Felsenschlucht von gut sieben Schritt Höhe, die, wie schon von Doro angekündigt, fast völlig mit diesen dicken, schwarzen Dornenranken zugewuchert ist. Es wird nicht einfach sein, sich dadurch einen Weg zu bahnen. Manche der Äste sind dick wie Oberarme.

Erneut unterzieht der Daiyoukai seinem Körper eine Inspektion. Sein Haori ist fast vollständig zerfetzt und somit ist die Haut an Bauch und Oberkörper mit vielen roten, dünnen Schlitzen übersät. Es schmerzt nicht wirklich, doch die Kratzer brennen unangenehm, und vereinzelt stecken noch die spitzen Dornen in seinem Fleisch. Behutsam zupft er sie heraus und stellt befriedigt fest, dass seine Selbstheilungskraft offenbar nur wenig Probleme mit diesen oberflächlichen Verletzungen hat. Lediglich die Wunde wo diese Kreatur seine langen Zähne in seine Schulter versenkt hat, brennt zunehmend wie Feuer und noch immer sickert ein dünnes Rinnsal Blut heraus.

Sesshomaru atmet einmal tief durch. Davon kann er sich nicht aufhalten lassen. Er muss einen Weg aus der Schlucht hinaus finden und das wird ihn viel Zeit kosten, also setzt er sich entschlossen in Marsch und beginnt sich einen Weg durch die Dornenranken hindurch zu suchen, immer in der Richtung in der er sein Ziel vermutet.

Scherben

Mit wachen Sinnen eilt Inu Yasha zwischen den Bäumen des Schlachtfeldes hindurch. Er prüft die Luft, er lauscht, er sucht nach der kleinsten Spur die darauf hindeutet, dass sich die Fürstin des Nordens in der Nähe befindet, doch bis jetzt ist kein Lebenszeichen von ihr auszumachen.

Auch Kagome sieht sich aufmerksam und sinnend um. Ihre Fähigkeiten, die Aura eines Youkais zu erspüren sind in der letzten Zeit durch das Mikotraining bereits etwas besser geworden, aber auch sie kann keine Spur der Nordfürstin ausmachen. Ihr Mut sinkt mit jeder Leiche an der sie vorbeikommen mehr. Betrübt blickt sie sich um. So viele Nordkrieger haben hier ihr Leben lassen müssen. Und dabei hieß es doch, dass gerade der Nordclan aus robusten und unaufhaltsamen Inuyoukai besteht mit denen man sich lieber nicht anlegt. Hier wurden sie ganz offensichtlich eines Besseren belehrt.

Auch wenn sie die Personen hier um sie her nicht kennt, spürt sie doch Trauer und Wut in sich aufsteigen. Ein solches Ende haben sie nicht verdient. Wer ist bloß dieser schreckliche, schwarze Riesenhund der auf solch spielerische und vernichtende Art mit ihnen kurzen Prozess gemacht hat?

Wieder blickt sie sich um, doch außer ihrem Freund und der eigenartigen Frau aus dem Nordclan, und ganz entfernt noch Kouga kann sie niemanden spüren, der eine dämonische Aura aussenden würde. Die Hoffnung, die Nordfürstin noch lebend vorzufinden, schwindet immer mehr.

„Ich kann noch immer keine andere Aura spüren“, wendet sie sich beklommen an Ki-sama. „Wir müssen uns wohl leider mit dem Gedanken abfinden, dass Yarinuyuki nicht mehr am Leben ist.“

Doch die Miene der zierlichen Nordyokai ist unverändert hart. „Du täuschst dich, Mensch!“, zischt sie leise. „Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass sie noch lebt. Du kennst Yarinuyuki-sama wirklich gar nicht. Es ist einfach nicht möglich, dass diese Frau stirbt.“

Verwundert erwidert Kagome ihren Blick. Yarinuyukis Gefolgsfrau wähnt sich ihrer Sache offenbar wirklich sicher. Entweder ist es eisernes Wunschdenken, oder sie weiß tatsächlich mehr über die Sache als sie.

In diesem Moment bleibt Inu Yasha kurz stehen und hebt sinnend den Kopf. „Ich bin nicht sicher“, bemerkt er unschlüssig, „doch ich glaube ich rieche ihre Witterung.“

Sogleich bleibt auch Ki-sama stehen und schließt einen Moment die Lider. Sie scheint die erwähnte Note ebenfalls zu prüfen. Dann plötzlich fliegen ihre Augen auf und sie wendet sich ruckartig nach rechts. „Dort!“, murmelt sie und sogleich springt sie so leichtfüßig davon, dass Inu Yasha ihr kaum folgen kann.

Hastig durchqueren sie das Unterholz des Waldes und schließlich gelangen sie an ein schmales Flussbett, kaum mehr als ein kleiner Bach. Und dort im feuchten Morast des Ufers liegt der reglose Körper der Nordfürstin. Ihre Beine hängen schlapp im Wasser und ihr Gesicht ist fast völlig im muffigen Schlick versunken.

Kaum haben sie sie ausgemacht, ist Ki-sama auch schon bei ihr und dreht sie behutsam aber mit sicherem Griff auf den Rücken. Trübe Brühe überzieht die Vorderseite der Fürstin und sowohl Kleidung als auch die feinen weißen Haare triefen nur so vor schmutzigem Brackwasser.

Inu Yasha und Kagome treten hinzu und beobachten schweigend wie die Heilerin damit beginnt den Zustand ihrer Fürstin zu überprüfen. Inu Yashas Augen weiten sich leicht. Hat er gerade tatsächlich einen Herzschlag vernommen? Nein, kein Zweifel, er ist schwach und ungesund langsam, aber er ist da.

Die Erleichterung auf Ki-samas Gesicht deutet darauf hin, dass sie es ebenfalls festgestellt hat. Umsichtig wischt sie den Schlamm von Yarinuyukis Gesicht. Dabei stellt sie fest, dass sich der Körper ihrer Fürstin unangenehm heiß anfühlt. Ihre Stirn legt sich in Falten. „Sie hat hohes Fieber, aber sie lebt“, stellt sie leise fest.

Inu Yashas Blick streift bei diesen Worten unwillkürlich hinauf zu Yarinuyukis Brust. Selbst trotz des Matsches auf ihrer Kleidung erkennt er deutlich die fünf markanten Einstiche in ihrer Herzgegend und seine Miene verfinstert sich. Er hat eine ziemlich klare Vorstellung davon, woher diese rühren und der Gedanke bereitet ihm Grund zur Sorge.

„Du solltest sie wieder ins Wasser legen“, bemerkt er mit starrer Miene.

Ärgerlich funkelt Ki-sama ihn an. „Misch dich nicht ein, Hanyou!“, zischt sie, „Die Heilerin hier bin ja wohl immer noch ich.“

Auch Kagome hat inzwischen begriffen worauf ihr Freund hinaus will. „Wir kennen diese Verletzung“, kommt sie Inu Yasha zur Hilfe. „Es ist eine Technik unseres Feindes. Ein Seelen verbrennendes Feuer. Auch Sesshomaru hatte schon damit zu kämpfen. Er hatte hohes Fieber und war nicht ansprechbar. Es wurde erst besser als wir ihn im Wasser heruntergekühlt haben.“

Für einen langen Moment starrt Ki-sama die beiden bitterböse an, aber sie wirkt dabei sehr hin und her gerissen. Schließlich hat sie sich zu einer Entscheidung durchgerungen. Entschlossen fasst sie nach ihrer Fürstin und mit einem Ruck hebt sie sie hoch. Behutsam legt sie sie dann im trüben Flussbett ab und ihre Augen weiten sich verwundert, als zischender Dampf von dem umliegenden Wasser aufsteigt.

„Was ist das für eine scheußliche Technik?“, brummt sie grimmig, doch sie redet dabei eher mit sich selbst. Dann dreht sie sich wieder zu Inu Yasha und Kagome um. „Was wisst ihr sonst noch darüber? Raus damit!“

Mit knappen Worten gibt Kagome die Maßnahmen wieder, die Kaede vor ein paar Tagen ergriffen hat um Sesshomaru aus seinem beängstigenden Gesundheitszustand herauszuholen. Die Heilerin hört aufmerksam zu, sagt aber kein Wort. Nur ihre Augen funkeln in einer Intensität als würde sie Kagome am liebsten das Wort verbieten, doch sie tut es nicht. Als die junge Miko geendet hat, sind Ki-samas Kiefer hart aufeinandergepresst. Sie überlegt einen Moment, dann blickt sie wieder auf.

„Wir werden eine Zeit lang hierbleiben. In dieser Verfassung kann ich sie nicht mitnehmen. Ich werde mich hier vor Ort um sie kümmern. Was beabsichtigt ihr nun zu tun?“

Inu Yasha und Kagome sehen sich unschlüssig an und Kagome wirft ihrem Freund einen auffordernden Blick zu.

Einen Moment überlegt Inu Yasha, dann sagt er: „Wir kamen her um Matsuba zurückzuholen. Das hat sich inzwischen wohl erledigt.“ Er kratzt sich leicht am Kopf. „Ich schätze wir werden wohl in unser Reich zurückkehren.“

Ein durchdringender Blick und ein leichtes Kopfrucken von Kagome trifft ihn.

„Es sei denn... ihr benötigt noch unsere Hilfe“, fügt er rasch hinzu.

Ki-samas Augen werden schmal. „Hast du überhaupt die Vollmacht das anzubieten, Hanyou?“, kommt es zynisch von ihr.

Inu Yasha reckt sich. „Das will ich mal meinen“, stellt er klar. „Immerhin bin ich im Augenblick der amtierende Fürst des Westens.“

Ki-samas Miene bleibt unverändert. „Ach was?“, kommt es trocken von ihr. Dann seufzt sie einmal leicht und erhebt sich dann. „Ich kann zwar nicht behaupten, dass Yarinuyuki-sama mich in irgendeiner Form für Verhandlungen bevollmächtigt hätte, aber so wie die Dinge im Augenblick stehen, bin ich erst mal euer Ansprechpartner was die Sachverhalte hier im Norden anbelangt.Wenn ihr euch also irgendwie nützlich machen wollt, dann könntet ihr euch umsehen, ob es hier sonst noch irgendwelche Überlebende gibt. Inzwischen werde ich hier eine Notunterkunft errichten. Hoffen wir dass der Verursacher dieses Gemetzels nicht zurückkommt, solange wir gezwungen sind hier zu bleiben.“

Inu Yasha nickt knapp. „In Ordnung. Wir werden euch warnen falls wir etwas Gefährliches entdecken.“

Dann lässt er Kagome wieder aufsitzen und die beiden verschwinden zwischen den Bäumen.

Nachdenklich blickt Ki-sama ihnen hinterher. Ein seltsamer Kerl, dieser Hanyou. Aber Fürst Sesshomaru hätte es vermutlich mit seinem Ersatz schlechter treffen können. Es ist ihr tatsächlich eine große Hilfe, dass sie ihm die Suche nach möglichen Überlebenden überlassen kann, denn so ist sie nicht gezwungen ihre Fürstin alleine zu lassen. Ihr Zustand ist in der Tat äußerst besorgniserregend. Wäre da nicht der zittrige Herzschlag der stoisch gegen ihre fatale Verfassung anpocht, könnte man meinen, dass sie bereits tot wäre. Doch es gibt ihr eine gewisse Genugtuung, dass sich ihre Annahme bestätigt hat. In all ihren Jahren ist ihr nie eine Person untergekommen, die sich, ungeachtet ihrer Verfassung, auf so kompromisslose Weise ans Leben klammert wie die junge Fürstin. Vielleicht mit Ausnahme ihres dummen Bruders.

Sie blickt hinüber zu der jungen Daiyoukai. Noch immer steigen Dampfschwaden von dem Wasser um sie auf. Mit einem leichten Seufzer beginnt sie nun ihr Gepäck zu durchstöbern und mit Hilfe einiger junger Baumstämme aus der Umgebung ein behelfsmäßiges Zelt zu errichten. Wenn sich der Zustand ihrer Fürstin ein wenig stabilisiert hat, wird sie eine geschützte Stelle zum arbeiten benötigen.

Während sie noch damit beschäftigt ist die Unterkunft zu errichten, verlieren ihre Bewegungen unwillkürlich ein wenig an Elan und schließlich kommen sie ganz zum Erliegen. Mit gesenktem Blick steht Ki-sama da. Langsam atmet sie durch. Dann fährt sie sich müde mit der Hand über das Gesicht. Was zum Teufel mag hier bloß geschehen sein? Wenn die beiden Fremden aus dem Westen zurück sind, wird sie sich von ihnen erklären lassen müssen, wie zur Hölle es dazu kommen konnte, dass das gesamte Heer des Nordens in einer einzigen Schlacht ausgelöscht worden ist. Was soll jetzt nur aus dem Nordclan werden, wenn nahezu alle seine Männer an einem einzigen Tag den Tod gefunden haben?
 

Mit gemischten Gefühlen spurtet Kouga durch das verwüstete Waldstück. Er kann sich nicht recht helfen, aber irgendwie wird er das Gefühl nicht los, dass Inu Yasha ihn auf irgendeine Weise übers Ohr gehauen hat, wenn er auch nicht genau versteht warum. Tatsache bleibt, dass der Hanyou sich heute irgendwie seltsam aufführt. Der Wolfsyoukai sieht sich weiterhin suchend um und seufzt leicht. Wie lange ist es her, dass er Kagome das letzte Mal gesehen hat? Zwar achtet er im allgemeinen wenig auf das Verstreichen der Zeit, aber es muss bestimmt schon eine ganze Weile her sein.

Und nun wo er nicht einmal damit rechnet sie zu treffen, fällt sie ihm buchstäblich aus dem Himmel in den Schoß. Er verzieht das Gesicht. In was haben diese blöden Hunde sich da schon wieder verwickeln lassen? Dass eine neue, unheimlich mächtige Energie aufgetaucht ist, haben selbst seine Leute mitbekommen. Doch niemand vom Nordrudel hatte den Mumm der Sache auf den Grund zu gehen. Und da war er ins Spiel gekommen. Als Ayames Verlobter habe er eine Verpflichtung ihrem Rudel gegenüber.

Er schnaubt einmal verächtlich. Diese elenden Feiglinge! Immer muss er für sie die Kohlen aus dem Feuer holen. Inzwischen kennt er den Verursacher dieses ganzen Aufruhrs. War ja klar, dass es mal wieder ein Hund ist. Aber umso besser, dann muss er sich nicht weiter damit befassen. Das Rudel wird weiterwandern und abwarten bis die Bedrohung vorbei ist. Ihnen kann es ja nur recht sein, wenn die Hunde sich gegenseitig die Köpfe einschlagen.

Das Einzige was ihn nun wurmt ist die Tatsache, dass Kagome mal wieder mitten drin steckt. Eigentlich ist es ihm überhaupt nicht recht, dass sie in Gefahr gebracht wird. Zu dumm, dass diese Frau einen solchen Dickkopf hat, aber eigentlich hatte er angenommen, dass dem Hanyou doch so viel an ihr liegt, dass er sie von ihrem unsinnigen Vorhaben abbringt, an diesem beunruhigenden Abenteuer teilzunehmen. Aber wie es aussieht, steht er mal wieder unter ihrem Pantoffel, der blöde Köter! Nichts kann man ihm überlassen!

Seltsam nur, dass er es irgendwie geschafft hat, ihn dazu zu bringen gemeinsam mit ihm nach Überlebenden dieses Gemetzels zu suchen. Er weiß noch immer nicht genau wie das passieren konnte. Trotzdem wird er diesem Gesuch nachkommen. Wenn Kagome dadurch schneller diese Gegend verlässt, dann kann ihm das nur recht sein.

Mit wachen Sinnen durchstöbert er die Gegend, doch das gestaltet sich durch Staub, Nebel und Regen schwieriger als erwartet. Durch die herabfallenden Tropfen sind Herzschläge kaum auszumachen und mehr als einmal dreht er ergebnislos eine der zahlreichen Leichen um, nur um sie dann angewidert wieder fallen zu lassen.

Seine Miene verfinstert sich. Entweder taugen diese dämlichen Hunde wirklich nichts, oder ihr Gegner war einfach nur anormal übermächtig. Viele Körper sind verstümmelt, verbrannt oder, wie es fast aussieht, einfach nur gar gekocht. Kougas Nackenfell stellt sich auf. Auf seine Instinkte konnte er sich immer gut verlassen. Wer immer das hier war, bereitet ihm erhebliche Magenschmerzen. Doch langes Zögern und Lamentieren liegt nicht in seiner Natur, also arbeitet er sich weiter durchs Gesträuch.

Plötzlich tragen ihm seine spitzen Ohren einen Laut zu, der seinen Kopf herumfahren lässt. Es klingt wie ein leises Stöhnen. Sofort ändert er die Richtung und folgt den verdächtigen Lauten. Es dauert auch nicht lange da hat er den Verursacher entdeckt. Es ist offenkundig tatsächlich ein Inuyoukai des Nordstammes. Er hockt zusammengekauert neben einem großen Felsen und lehnt schwer mit der Schulter dagegen. Der Großteil seines Körpers ist mit tiefen Brandverletzungen übersät und weist überall verkohlte und offene Wunden bis tief ins Fleisch hinein auf. Sein Atem geht stoßweise und erschöpft stützt er sich noch immer an dem kühlen Stein in die Senkrechte. Man sieht ihm deutlich an, dass er Schmerzen hat.

Kouga bleibt in gebührendem Abstand stehen und mustert den Fremden eingehend. Zwar hat er nun einen Überlebenden gefunden, doch jetzt wo er ihm gegenübersteht, wird ihm bewusst, dass er gar nicht genau weiß wie er ihn zurückbringen soll. Ob der Andere mit diesen Verletzungen die ganze Strecke zu Fuß zurückschafft, ist fraglich und tragen lassen wird er sich sicher nicht.

„Gehörst du zu den Hunden des Nordens?“, beschließt er erst mal zu fragen. „Hast du die Schlacht hier überlebt?“

Ein trotziges Funkeln blitzt in den Augen des schwerverletzten Youkais auf. „Verzieh dich, O-kami!“ Ein rasselndes Husten entfährt ihm. Schon diese Anstrengung raubt ihm die letzte Kraft und er sackt in sich zusammen.

Etwas unschlüssig tritt Kouga näher. Besser er spielt gleich mit offenen Karten. „Man hat mich gebeten nach Überlebenden zu suchen. Ich weiß wo du Hilfe bekommen kannst.“

Schwach hebt der Krieger den Kopf. Verachtung liegt in seinem Blick. „Ich will keine Hilfe! Und... schon gar nicht von dir.“ Mühsam versucht er sich hochzustemmen, doch es gelingt ihm nicht.

Kouga schnaubt verächtlich. „Pff, spinn' nicht rum! Von mir doch nicht. Ich bin sowieso nur hier weil der blöde Hanyou mich gebeten hat. Er sucht gerade zusammen mit dieser 'Ki-sama' nach eurer Fürstin und mir ist es nur recht wenn ihr alle so schnell wie möglich hier aus der Gegend verschwindet, also liefere ich dich bei ihnen ab und mehr brauchst du nicht von mir erwarten, klar?“

Entschlossen tritt er an den Inuyoukai heran und fasst nach seinem Arm um ihn hochzuziehen. Doch dieser reißt ihm einfach die Hand wieder weg und starrt zu Boden.

Kouga verdreht die Augen. „Komm, lass den Scheiß! Ich kann dich auch nicht ausstehen, aber ich stehe zu meinem Wort. Also mach jetzt keine Zicken und komm mit!“

Doch der Krieger schüttelt nur schwach den Kopf. „Nein!“, wispert er. „Du kannst mich ruhig hier lassen. Ich will keine Hilfe. Hau ab und sag am besten niemanden, dass du mich gefunden hast.“

Kouga verzieht das Gesicht. „Was soll das werden? Irgend so ein unsinniger Ehrenscheiß weil ihr nicht gewonnen habt? Euch Hundetypen geht wirklich jeder Selbsterhaltungstrieb ab.“

Der verletzte Youkai lässt müde den Kopf hängen. „Das kannst du... nicht verstehen, O-kami. Aber ist schon in Ordnung. Geh einfach...!“

Einen langen Moment geschieht nichts, dann bewegen sich zwei Füße in geschmeidigen Fellstiefeln in sein Blickfeld. Direkt vor ihm geht nun Kouga in die Hocke, greift seinen regentriefenden Haarschopf und hebt sein Gesicht an um ihn anzusehen. Ernsthaftigkeit liegt nun in seinem Blick. „Erklär' es mir!“, fordert er ihn auf.

Der verletzte Nordkrieger zögert einen Moment dann sagt er leise. „Ich verdiene keine Hilfe, denn statt meiner Fürstin beizustehen, habe ich sie schon zwei Mal im Stich gelassen. Einmal weil ich so starr vor Angst war, dass ich meinen Untergebenen nicht helfen konnte, was sie alle mit ihrem Leben bezahlt haben. Und gerade als mir meine Fürstin dieses unsagbare Versäumnis verziehen hat, lasse ich sie gleich darauf erneut im Stich. Ich bin einfach vor dem Gegner, der sie zu fassen bekommen hat, davongelaufen um meine Haut zu retten, statt sie bis in den Tod zu verteidigen.“

Schmerzhaft beißt er die Kiefer aufeinander. „Ich bin ein solcher Feigling, ich verdiene es nicht zu leben. Ich werde mir nie verzeihen, dass ich ihr nicht zur Hilfe kam als sie mich brauchte. Also lass mich einfach hier, verstanden?“ Ein verzweifeltes Funkeln fliegt zu Kouga hinüber.

Kougas Mund wird schmal bei diesen Worten. Schließlich meint er: „Wann werdet ihr blöden Köter endlich kapieren, dass es keine Schande ist vor einem übermächtigen Gegner davonzulaufen? Spar dir dein dämliches Märtyrer-Getue und komm gefälligst mit. Die anderen werden schon auf dich warten.“

Doch nun bäumt sich der Nordkrieger auf einmal wild auf und glüht Kouga wütend an. „Ich sagte doch, du verstehst das nicht, Wolf!“, ereifert er sich. „Meine Kameraden, meine Kriegsbrüder, mein ganzer Clan ist tot! Und ich konnte nichts unternehmen um es zu verhindern. Ich bin nur weggerannt. Ich hab sie alle im Stich gelassen und jetzt sind sie tot und kommen niemals wieder! Ich werde mir nie wieder ins Gesicht sehen können! Ich werde das niemals vergessen können! Ich wünschte, ich wäre tot, dann wäre ich wenigstens bei ihnen!“ Nach diesem Ausbruch bricht er keuchend zusammen und liegt nun mit rasselndem Atem im regendurchweichten Schlammboden.

Einen langen Moment kommt von dem Wolfsyoukai kein Wort doch seine Miene ist hart. Schließlich sagt er bitter: „Du nutzt niemandem mehr wenn du tot bist. Wenn du tot bist, wer soll dann noch die Ideale deiner Brüder hochhalten? Wer soll sich ihrer erinnern? Wer erinnert sich an all die wertvollen Momente mit ihnen? All die Abenteuer, die Kämpfe, den Spaß? Soll das alles im Nichts verschwinden als sei es nie passiert? Und wer soll deine Kameraden rächen? Wer beschützt deine Fürstin dann? Jemand der schlechter ist als du? Damit sie beim nächsten Mal noch mehr in Gefahr ist? Du bist es deinem Rudel schuldig, dass du für sie weiterlebst. Und wenn es dir jetzt das Herz zerreißt, dann sorg dafür, dass du so etwas nie wieder zulässt. Nur so kannst du ihnen irgendwann erhobenen Hauptes im Jenseits gegenübertreten.“

Reglos liegt der Nordkrieger nun auf der Seite und blickt gedankenverloren geradeaus. Sein Atem rasselt noch immer doch er geht nun etwas ruhiger.

Kouga richtet sich nun wieder auf und blickt auf den Youkai herab. „Wie ist dein Name, Inu?“

„Itakouri“, kommt es schwach von dem Liegenden.

„Mein Name ist Kouga“, entgegnet er. „Ich sage dir eines, Itakouri, wenn dir Feigheit zuwider ist, dann ist es der völlig falsche Weg sich durch einen sinnlosen Tod aus der Verantwortung zu stehlen. Jeder kann für seine Kameraden sterben. Für sie zu leben ist wesentlich schwerer. Ich weiß wovon ich rede.“

Noch immer kommt von Itakouri keine Reaktion, doch damit hält sich Kouga nicht länger auf. Er greift hinunter, packt den Nordkrieger am Arm und zieht ihn hoch, was dieser ohne weiteren Widerstand mit sich geschehen lässt. Mit zittrigen Knien kommt er auf die Füße und schwankt leicht, doch er steht, wenn auch mit schmerzhaft verzogener Miene. Kougas halbherziger Versuch ihm Unterstützung anzubieten, wischt er mit einer unwirschen Handbewegung weg.

„Schon gut, lass mich!“, zischt Itakouri bitter, doch er meidet seinen Blick.

In schleichendem Tempo machen sich die beiden auf den Weg, wobei Kouga sich sichtlich schwer mit der Geschwindigkeit tut, doch er beißt genervt die Zähne zusammen und schlendert gemächlich neben dem schwer verletzten Inuyoukai her, der sich stoisch Schritt für Schritt voran kämpft mit dem Ziel rasch wieder zu seinen Gefährten zu gelangen.
 

Mit aller gebotenen Vorsicht betreten Inu Yasha und Kagome den Bereich in dem bis vor kurzem noch bitter gekämpft wurde. Inu Yasha hat Kagome abgesetzt und gemeinsam wagen sie sich mit erhöhter Wachsamkeit hinaus auf das verwüstete Schlachtfeld. Schließlich kann niemand sagen für wie lange Inu Yashas letzte Attacke ihren Feind vertrieben hat.

Betroffen blickt Kagome sich um. Nun hat sie zum ersten Mal Gelegenheit sich das ganze Ausmaß der Zerstörung und die vielen Leben die es gekostet hat bewusst zu machen. Auch wenn der gewaltige Hund wohl einen Großteil der Leichen gefressen hat, liegen hier noch immer zahlreiche tote Körper herum. Und das wo der Nordclan doch für seine Kraft und Zähigkeit bekannt ist. Es ist fast nicht zu glauben.

„Wie hast du dieses Monster bloß besiegen können?“, lässt Kagome sich gedankenverloren vernehmen.

Zunächst kommt keine Antwort. „Ich konnte ihn mit der Meido vertreiben“, erklingt es dann schlicht hinter ihr. „Aber auch diese Technik kannte er. Er konnte sie sogar auflösen. Letztlich habe ich ihn überrascht. Ich hatte Glück. Genau... wie Sesshomaru“, fügt er noch bitter hinzu.

Kagome wendet sich um. Inu Yasha hat ihr den Rücken zugekehrt und lässt den Kopf hängen. Behutsam tritt sie näher.

„Ob Glück oder Können spielt doch keine Rolle“, meint sie nachsichtig. „Die Hauptsache ist doch, dass du gesiegt hast.“

Inu Yasha steht noch immer mit dem Rücken zu ihr aber er ballt die Faust. „Habe ich das?“, fragt er angespannt. „Letztlich habe ich ihn nur vertrieben. Ich bin sicher er kommt zurück. Wir sollten uns beeilen.“ Mit diesen Worten setzt er sich in Bewegung und beginnt das Feld nach Überlebenden abzusuchen.

Nachdenklich blickt Kagome ihm nach. Der jüngste Kampf ist nicht spurlos an ihrem Freund vorbeigegangen. Sicher gibt es da einiges was er erst mal verdauen muss. Vielleicht ist es besser ihn vorerst nicht weiter darauf anzusprechen. Abgesehen davon hat er Recht. Sie sollten sich mit der Suche beeilen.

Gewissenhaft arbeiten sich die beiden über das Schlachtfeld und auch wenn es Kagome widerstrebt, sie untersucht tapfer jede Leiche auf Lebenszeichen, egal wie entstellt sie ist. Doch bisher hat sie kein Glück. Der Kloß in ihrem Hals wird dabei immer dicker. Das hier war so schrecklich unnötig.

Auf einmal bemerkt sie am gegenüberliegenden Waldrand eine Bewegung. „Inu Yasha!“, macht sie ihren Freund darauf aufmerksam. Dieser schaut auf. Dort drüben ist jetzt ein kräftig gebauter Youkai aufgetaucht und so wie es aussieht stammt er eindeutig aus dem Nordclan. Er überragt Inu Yasha bestimmt um gut und gerne zwei Köpfe und seine Schultern sind bestimmt doppelt so breit wie die des Hanyous. Sein Oberkörper hat den Umfang eines Fasses und jede sichtbare Körperpartie ist mit eindrucksvollen Muskeln bestückt.

Seine Haare jedoch sind offenbar durch das Feuer fast bis auf den Schopf hinunter versenkt und stehen in schmutzig grauen, wilden Zotteln in alle Richtungen vom Kopf ab. Sein Gesicht ist grobschlächtig mit dicken Augenwülsten und breiten Nasenflügeln und sein Unterkiefer ist markant eckig und mit zwei spitzen Eckzähnen bestückt die sich unter den wulstigen Lippen heraus schieben.

Mit einer Pranke, fast so groß wie ein Armschild, hält er den Fuß eines weiteren Youkais umfasst, den er ohne größere Anstrengungen hinter sich herschleift. Als er Inu Yasha und Kagome gewahr wird, ziehen sich sie Augenbrauen düster zusammen. Ein grimmiger Zug legt sich um seine Mundwinkel und achtlos lässt er den Fuß des offenkundig besinnungslosen Kameraden zu Boden plumpsen. Ohne längere Umschweife fletscht er die Zähne, fixiert Inu Yasha mit einem wütenden Blick und mit einem lauten Kampfschrei stürmt der Koloss bereits auf den Hanyou los.

Inu Yasha bleibt für Verwunderung kaum Zeit. Zwar haben sie jetzt einen Überlebenden gefunden, doch im Augenblick ist das nicht gerade Grund zur Freude, denn ganz offensichtlich sieht ihn der Nordyoukai als Feind an. Inu Yasha bleibt nicht viel Zeit zu reagieren, denn der große Krieger hat ihn schon fast erreicht.

Rasch springt er erst mal aus dem Weg und der Sturmlauf des Anderen geht ins Leere. Das hindert ihn jedoch nicht daran, es erneut zu versuchen. Wutschnaubend fährt er herum und stürmt erneut auf den Hanyou zu.

„Pass auf, Inu Yasha!“, ruft Kagome ihm besorgt zu.

„Was glaubst du was ich hier mache?“, kommt es verstimmt zurück.

„Verletze ihn nicht! Er weiß vermutlich nicht, dass wir Freunde sind“

„Was heißt hier Freunde?“, kommt es zynisch zurück. Gerade hat Inu Yasha den anderen mit einem groben Stoß zur Seite geschubst und nun tut ihm die Hand weh. Die Muskeln dieses Typen sind hart wie Stahl. Wenn er ihn zu fassen bekommt, na dann herzlichen Dank!

Wieder hat der Nordyoukai Kehrt gemacht und versucht erneut Inu Yasha über den Haufen zu rennenn. Dieser ist auch weiter bemüht ihm auszuweichen. Sicher könnte er Tessaiga ziehen, doch eigentlich will er den Hünen nicht verletzen.

Mit einem grimmigen Knurren schlägt der mächtige Krieger auf Inu Yasha ein während diese versucht den Schlägen auszuweichen, oder sie abzuwehren. Verbissen fängt er die riesige Faust ab und muss zu seiner Verwunderung feststellen, dass es ihn alle Mühe kostet gegen die Kraft des Mannes anzukommen. Der Nordkrieger ist einfach anormal stark.

Grimmiger Kampfrausch steht dem Koloss ins Gesicht geschrieben während Inu Yasha mit aller Kraft bemüht ist, die Hand des Inuyoukais zur Seite zu biegen. Dabei kommt er gehörig ins Schwitzen. Verdammt, der Kerl hat fast schon so viel Kraft wie Sesshomaru!

„Lass den Scheiß sein!“, zischt er ihm nachdrücklich zu. „Wir sind nicht eure Feinde! Wir sind hier um zu helfen.“

Doch der massige Krieger lässt sich davon in keiner Weise beirren. Mit einem triumphierenden Grollen nähert sich seine Klaue immer mehr Inu Yashas Hals und der Hanyou hat wahrlich zu kämpfen um der schieren Muskelkraft des Anderen entgegenzuwirken.

„Halt durch, Inu Yasha!“, ruft Kagome ihm zu. „Du musst ihn überzeugen, dass wir auf seiner Seite sind!“

Vergeblich versucht Inu Yasha sich von seinem Gegner zu lösen, ohne sich einen Passierschlag einzufangen. „Das sagt sich so leicht!“, kommt es verbissen zurück.

„Hey, du!“, versucht es nun auch Kagome. „Wir sind auf der Seite eurer Fürstin. Sie ist verletzt und eure Heilerin hat uns gebeten, alle Überlebenden zu ihr zu bringen. Es gibt keinen Grund für einen Kampf!“

Doch die Worte scheinen überhaupt nicht zu dem Nordkrieger durchzudringen. Das Einzige was Kagome erreicht, ist dass der riesige Inuyoukai nun von Inu Yasha ablässt und sich Kagome zuwendet. Und Kagome stellt fest, wie ihr im gleichen Moment das Herz in die Schuhe rutscht. Wutschnaubend starrt der Krieger sie an. Dann stößt er ein wildes Knurren aus und im selben Moment setzt er sich auch schon in Bewegung direkt auf die junge Frau zu. Kagome weicht alle Farbe aus dem Gesicht.

Auch Inu Yashas Herz schlägt nun bis zum Hals. Unweigerlich geht seine Hand zu Tessaigas Griff. Jetzt muss er den Typen wohl doch töten. Ihm bleibt wohl nichts anderes übrig. Wirklich zu ärgerlich, aber Kagomes Leben steht unangefochten an erster Stelle.

Doch genau in diesem Moment fliegt ein scharfer Ruf über den Platz: „Nadare! Hör sofort auf damit!“

Der mächtige Youkai stockt unwillkürlich und sein Schritt verlangsamt sich. Etwas verunsichert blickt er sich zu dem Verursacher des Rufes um und bleibt schließlich stehen. Nur seine Augen funkeln noch angriffslustig.

Ein Stück entfernt hat sich jetzt der andere Nordyoukai schwach aufgesetzt und reibt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf. Sogleich trottet der kräftige Inukrieger gemächlich zu seinem Kameraden hinüber, bückt sich, packt ihn an der Kleidung und stellt ihn ohne große Umschweife wieder auf die Füße. Der Andere schwankt kurz und lehnt sich dann mit einem Keuchen an seinen Gefährten an. Offensichtlich ist er noch etwas wackelig auf den Beinen.

Wachsam wenden sich Inu Yasha und Kagome den beiden zu. Der zweite Nordkrieger ist bei weitem nicht so massig wie sein Partner. Er ist eher schlank und hochgewachsen, doch auch bei ihm zeigen sich deutliche Muskeln ab. Er wirkt jedoch um einiges jünger als der Andere, was zum Großteil an dem deutlich jugendlichen Gesicht liegen mag.

Er hat die Haare hinten zusammengenommen jedoch hängt der Zopf gerade in deutlicher Unordnung und auf seinem Körper zeigen sich zahlreiche Brandwunden, sie jedoch zum Glück nicht sehr schwer erscheinen.

Hingegen können Inu Yasha und Kagome nun auf dem Rücken des Kriegers namens Nadare eine wirklich großflächige Brandverletzung erkennen, die sich über die gesamte Breite erstreckt und deutlich bis ins Fleisch hinein geht. Allerdings macht der kräftige Krieger keine Andeutungen, dass ihn das in irgendeiner Form tangiert. Er steht nun lediglich wie festgewachsen neben seinem Kameraden und lässt es zu, dass dieser ihn weiterhin als Stütze verwendet.

Wachsam treten Inu Yasha und Kagome näher. Doch noch ehe sie dazu kommen etwas zu sagen, ergreift der schlanke Nordkrieger das Wort.

„Du bist dieser Inu Yasha, nicht wahr? Der Prinz aus dem Westen.“ Er keucht dabei vernehmlich.

Ein wenig ziert er sich das zuzugeben, doch dann nickt Inu Yasha ernsthaft.

„Nehmt es meinem Kameraden nicht übel“, entgegnet der Andere beschwichtigend. „Er kann mit Verhandlungen wenig anfangen.“ Diese Äußerung beschert ihm einen schmalen Blick von Seiten seines Gefährten und ein missmutiges Brummen, jedoch steht er nach wie vor neben ihm, hat die Arme verschränkt und mustert Inu Yasha und Kagome mit einem unfreundlichen Blick.

„Wir sind auch nicht zum Verhandeln hier, sondern weil wir den selben Feind haben“, entgegnet Inu Yasha. „Es sieht so aus, als könntet ihr etwas Hilfe gebrauchen.“

Die beiden Nordkrieger sehen sich ein wenig skeptisch an. Es vergeht eine ganze Weile ehe der Jüngere wieder antwortet. „Normalerweise würde ich sagen: Scher dich zum Teufel, Hanyou!“ Er senkt den Blick. „Aber das überlasse ich im Moment lieber Yarinuyuki-hime.“ Er knirscht leicht mit den Zähnen.

Inu Yasha begreift, dass er da ein empfindliches Thema aufgegriffen hat. Natürlich müssen sich die Krieger des Nordclans unter diesen Umständen gedemütigt fühlen. Die meisten ihrer Gefährten sind tot. Ihnen so plump Hilfe anzubieten, kommt einer erneuten Herabsetzung gleich. Innerlich beißt er sich auf die Zunge. Offensichtlich hat er als Fürst noch sehr viel zu lernen. Aber man kann es wohl immerhin als positiv ansehen, dass sie sein Angebot nicht direkt abgeschmettert haben. Sie sind sich vermutlich sehr bewusst darüber, dass sie Hilfe nötig haben.

Unbehaglich verzieht Inu Yasha ein wenig die Lippen. Er hatte nicht vor die Krieger, die gerade mit dem Leben davongekommen sind, zu demütigen. Es bleibt ihm wohl nichts übrig als sich einmal mehr seine aktuelle Stellung bewusst zu machen und solche Angelegenheiten direkt mit dem Oberhaupt des Clans zu klären. Es ist nur fraglich wie bald Yarinuyuki wieder ansprechbar sein wird. Besser er wechselt hier erst mal das Thema, hoffentlich ohne erneut in irgendein Fettnäpfchen zu treten.

„Wie ist dein Name?“, fragt er seinen Gegenüber.

„Shimogawa“, antwortet dieser. „Und das ist Nadare. Er ist nicht sonderlich gesprächig.“ Ein zynischer Blick fliegt zu dem Hünen hinauf der ihn lediglich mit einem tiefen Schnaufen quittiert.

„Mein Name ist Inuyasha, der aktuelle Fürst des Westclans“, er beschließt sich lieber einmal mit ganzem Titel vorzustellen und merkt dabei selbst wie falsch sich das im Grunde anhört. „Und das ist Kagome. Sie reist mit mir.“

„Sehr erfreut!“, verneigt sich Kagome kurz höflich. Sie hat beschlossen sich, wie üblich bei diesen Clanangelegenheiten, lieber etwas im Hintergrund zu halten.

„Ein Mensch?“, kommt es skeptisch von Shimogawa. „Das erlebt man auch nicht alle Tage.“ Dann verzieht er das Gesicht und hält sich schmerzhaft die Seite. Sein Atem beschleunigt sich.

Inu Yasha atmet einmal tief durch. „Besser wir bringen euch gleich mal zu dieser Ki-sama. Sie wartet ohnehin darauf, dass wir alle Überlebenden zu ihr bringen. Also los!“ Er winkt den beiden ihm zu folgen. Noch mal Hilfe anbieten möchte er nicht. Er ist ohnehin nicht sicher ob das jetzt diplomatisch genug war.

„Ki-sama ist hier?“, kommt die überraschte Rückfrage von Shimogawa, doch er lässt sich tatsächlich nicht länger bitten. Folgsam beschließen die beiden Nordkrieger der Aufforderung nachzukommen und wenn der Jüngere auch noch immer mit schleppenden Schritten unterwegs ist und sein Kamerad mit gemäßigtem Trott an seiner Seite läuft, so schließen sie sich ohne weitere Proteste den beiden Fremden an und folgen ihnen zum Aufenthaltsort der Heilerin, wobei sie jedoch schweigend ihren Gedanken nachhängen.

Gewissensfragen

Mehrere Stunden schon arbeitet sich Sesshomaru beharrlich durch das Gestrüpp des Canyons, klettert über Äste, biegt stachelige Ranken beiseite oder durchtrennt sie mit seinen Klauen. Es ist eine mühsame Arbeit, zumal man kaum den Eindruck hat, voran zu kommen. Immer wenn er sich kurz umwendet, erscheint es als hätte der gerade gebahnte Weg nie existiert.

Mit der Zeit kommt der Daiyoukai immer mehr außer Atem. Fuß und Schulter schmerzen beträchtlich und noch immer kämpft er mit seinem unnatürlichen Gewicht, dass ihn mit jedem weiteren Schritt zu Boden ringen will. Doch Sesshomaru gibt nicht auf. Stoisch setzt er einen Fuß vor den anderen und zwingt sich weiter und weiter zu klettern. Dennoch wird er wohl bald eine Rast einlegen müssen. Allmählich schwinden ihm die Kräfte, sehr zu seinem Leidwesen.

Wieder überklettert er eine dicke Ranke in Kniehöhe und nur einen Moment ist er unachtsam, als sein verletzter Fuß die Höhe falsch abschätzt und an dem Gestrüpp hängen bleibt. Unwillkürlich verliert er das Gleichgewicht und stürzt vor sich zu Boden, wobei sich erneut zahlreiche Stacheln in seinen Körper bohren. Sesshomaru beißt die Zähne zusammen. Er ist erschöpft, blutig und verschwitzt und es kostet ihn große Anstrengung sich wieder hochzustemmen. Doch gerade als er sich nicht sicher ist, ob er es schafft, streckt sich ihm plötzlich eine Hand entgegen.

„Keh, also du hast wirklich schon besser ausgesehen, Sesshomaru.“

Der Daiyoukai traut seinen Ohren kaum. Die Stimme kommt ihm nur allzu bekannt vor. Schwach hebt er den Blick und zunächst entdeckt er vor sich nur zwei bloße Füße die in einem feuerroten Gewand stecken, doch je weiter er den Kopf hebt, um so deutlicher sieht er nun Gestalt und letztlich Gesicht seines Bruders vor sich, der mit einem zynischen, fast belustigten Blick auf ihn hinunterblickt und ihm noch immer die hilfreiche Hand ausstreckt. Doch das kann überhaupt nicht sein. Inu Yasha dürfte überhaupt nicht hier sein. Was also geht hier vor?

Äußerst wachsam mustert Sesshomaru die Gestalt vor ihm. Demonstrativ stemmt er sich selbstständig wieder hoch und ignoriert dabei die dargebotene Hand.

Inu Yasha zieht eine Flunsch. „Wohl noch immer zu fein, um sich helfen zu lassen, was? Aber das wundert mich irgendwie nicht.“

Skeptisch beäugt Sesshomaru seinen Bruder. „Wer bist du?“, fragt er ernst. Im Grunde kann es nur ein Betrüger oder eine Illusion sein.

In dem vertrauten Gesicht zeigt sich nun deutliches Missfallen und die Person stemmt verächtlich den Arm in die Seite. „Wer soll ich schon sein, Blödmann? Dein ach so hoch geschätzter Bruder Inu Yasha natürlich.“

“Inu Yasha befindet sich nicht in der Hölle“, kommt es nüchtern zurück.

Nun seufzt der andere vernehmlich. „Tja, wäre schön, wenn es so wäre, das kannst du mir glauben. Leider läuft es nicht immer so wie man sich das wünscht.“

Eine leichte Spur der Verunsicherung zieht über Sesshomarus Gesicht. „Du willst mir erzählen, du wärst der echte Inu Yasha? Das glaube ich keinesfalls.“

Nun wird Inu Yashas Blick ebenfalls ernst. „Glaub doch was du willst, du Besserwisser! Tatsache ist nun mal, dass dieser Kerl der dich so vertrimmt hat, mit mir noch viel weniger Probleme hatte. Es hat gar nicht lange gedauert und der Mistkerl hat mich zerfleischt. Und als ich aufwachte, befand ich mich hier, in der Hölle.“ Gehässig weist er in die Runde.

Noch immer ist sich Sesshomaru unsicher was er davon halten soll. Schweigend mustert er die Person vor ihm.

Doch Inu Yasha redet schon weiter. In seinen Worten klingt nun deutlicher Vorwurf mit. „Ich hatte dir gleich gesagt, dass das ne blöde Idee ist, mich zum Fürsten zu erklären. Hast du denn wirklich geglaubt, ich würde auch nur den Hauch einer Chance gegen diesen Kerl haben? Du hast doch gleich gemerkt was für ein Kaliber das ist. Wolltest du mich verheizen, oder was hattest du vor, häh?“

Zögernd steht Sesshomaru da. Kann es wahr sein? Hat eine Begegnung mit diesem übermächtigen Gegner seinen Bruder wirklich viel eher als erwartet hierher gesandt? Aber würde das nicht bedeuten, dass sein Vorhaben bereits gescheitert wäre? Ein unangenehmes Gefühl macht sich in Sesshomarus Magengrube breit.

„Ich habe meinem Bruder vertraut. Deshalb überließ ich ihm diese verantwortungsvolle Aufgabe.“ Noch immer ist er nicht völlig bereit zu glauben, dass es sich hierbei wirklich um seinen Bruder handelt.

„Und du hast ja gesehen wohin das geführt hat“, gibt Inu Yasha ärgerlich zurück. „Ich hab dir von vornherein gesagt, dass ich der falsche für den Job bin, aber du wolltest ja mal wieder nicht hören. Du wusstest es ja mal wieder besser. Das hast du nun davon. Ich bin tot! Verstehst du, tot! Kagome ist tot! Alle meine Freunde, die dir helfen wollten sind tot! Und über dein Reich herrscht nun dieser elende Kerl, nachdem er alles dem Erdboden gleich gemacht hat was ihm im Weg war. Und warum das Ganze?“, ereifert sich Inu Yasha. „Weil mein lieber Bruder es einfach nicht ertragen konnte, dass er vor vier Jahren einen schweren Fehler begangen hat. Gib es zu, du willst Tenmaru doch nur zurückholen um dein Ego aufzubessern, damit du dich nicht mehr so schuldig fühlst. Dein Reich ist dir doch völlig egal, sonst hättest du es doch nicht unter meiner armseligen Führung zurückgelassen.“

Sesshomaru zieht bei Tenmarus Namen unwillkürlich die Luft ein. Dann verhärten sich seine Züge. „Du bist nicht Inu Yasha. Mein Bruder würde sich nie so klein machen.“

„Ach, würde ich nicht?“, schreit Inu Yasha wütend. „Ist dir schon der Gedanke gekommen, dass ich tierisch angepisst bin, weil ich wegen dir ins Gras beißen musste? Ich mache mich nicht klein, ich sage es nur wie es ist. Ich beschönige die Realität nicht so wie du. Das habe ich nie getan, falls du dich erinnerst. Wenn es jemanden gibt, der dir hin und wieder den Kopf zurecht rücken muss, dann bin ich das, weil du einfach nicht den Schneid hast, dich deinem eigenen Versagen zu stellen, und wenn dein Reich oder deine Familie vor die Hunde geht, dann ist das ganz allein deine Schuld!“

Sesshomaru schluckt hart. So ruhig wie möglich atmet er einmal durch und bemüht sich dabei seine Fassung zu bewahren. Dann sagt er leise: „Du bist nicht Inu Yasha.“

„Da, siehst du, du tust es schon wieder“, ereifert der Hanyou sich. „Wenn dir was nicht in den Kram passt, dann wird es erst mal verleugnet. Genau wie du es mit Tenmaru gemacht hast, oder mit der Tatsache, dass die Prophezeiung ihn betrifft. Du leugnest einfach alles und andere müssen es dann hinterher ausbaden. So wie ich, oder wie Tenmaru damals.“

Sesshomarus Gesicht ist bleich, doch seine Miene verfinstert sich zunehmend. „Du bist nicht Inu Yasha, also wage es nicht noch mal Seinen Namen auszusprechen!“

„Und was sonst?“, fragt Inu Yasha spöttisch. „Willst du mich dann töten? Du kommst etwas spät. Ich bin nämlich schon tot. Und das nur weil dir dein Stolz wichtiger als alles andere war und genau diese Arroganz und Blasiertheit hat auch deinen Sohn getötet. Du mogelst dich durchs Leben und andere halten dann den Kopf dafür hin, wie zum Beispiel Tenmaru!“

Nun flackert wilde Wut in Sesshomarus Gesicht auf und im nächsten Moment hebt er die gezückte Klaue und lässt sie gnadenlos auf die Gestalt vor ihm niedergehen. „Du bist nicht Inu Yasha!“, schreit er wild.

Doch seine Krallen zerfetzen nur leere Luft als seine Hand widerstandslos durch die Erscheinung vor ihm hindurch gleitet, sie wie eine Nebelgestalt zerteilt und beiseite wischt. Rasch verblasst das Bild vor seinen Augen. Lediglich ein gehässiges Lachen ist noch zu vernehmen, das ihm noch im Verhallen zuruft: „Dadurch änderst du gar nichts. Das weißt du doch!“ Dann herrscht wieder Stille um ihn her.

Schwer atmend und mit heftig klopfendem Herzen steht Sesshomaru da. Er braucht einen Moment um zu begreifen was geschehen ist. Noch immer klingen die gehörten Worte in ihm nach und erneut schluckt er schwer. Ein paar Augenblicke hält er inne, dann sacken seine Schultern herab und er fährt sich schwach mit der Hand über das verschwitzte Gesicht. Nimmt das denn niemals ein Ende?

Nein, er bringt es nicht fertig schon wieder über die Ereignisse von damals nachzudenken, einmal mehr seine tatsächlichen Beweggründe für alles was geschehen ist in Frage zu stellen. Ob es nun irgendeine Feindeslist, oder nur ein übler Streich ist, den sein erschöpftes Hirn ihm spielt, die Wirkung ist stets die Selbe. Dennoch ist er erleichtert, dass es nur eine Illusion war. So besteht noch Hoffnung für sein Reich und auch für seine Familie, und all das hier ist nicht vergebens.

Noch immer fest entschlossen macht er sich wieder auf den mühsamen Weg. Je eher er seine Mission erfüllt, desto besser. Für alle Beteiligten. Wer kann sagen, ob ihm noch weitere Heimsuchungen solcher Art bevorstehen, und das möchte er lieber vermeiden. Es ist schon schlimm genug, dass er sich als Daiyoukai überhaupt mit solchen Gedanken herum quälen muss. Wie sehr wünschte er, Doros Worte wären wahr, und Gefühle würden für ihn keine Rolle spielen. Doch bedauerlicherweise muss er feststellen, dass dem nicht so ist. Nicht genug, dass es im Grunde unter seiner Würde ist, er macht sich damit auch angreifbar und das ist momentan äußerst ungünstig. Fast schon wünscht er sich, er wäre dieser Frau niemals begegnet. Es bewahrheitet sich mal wieder, Liebe kann für Dämonen nichts als Schmerz und Leid bedeuten. Sie sind schlicht nicht dafür geschaffen.

Schwerfällig überklettert Sesshomaru eine weitere Ranke. Und dann eine Weitere, und noch eine, und noch eine. Der Dornenwald scheint einfach kein Ende zu nehmen. Seine Kräfte allerdings schon. Mit jedem Schritt wird das Vorankommen mühsamer und der Wunsch in ihm, einfach eine Pause einzulegen, auf unbestimmte Zeit, wird immer stärker.

Schließlich hält er doch an. Doch diesmal aus anderem Grund. Irgendetwas bewegt sich da vor ihm. Nun kommt dieses kleine Etwas auf ihn zu gestürmt. Sofort ist Sesshomaru in Alarmbereitschaft, doch noch ehe er richtig realisieren kann, was da auf ihn zu kommt, hängt ihm auch schon eine ihm vertraute Gestalt am Hosenbein, krallt sich vehement in den Stoff und schluchzt jämmerlich.

„Sesshomaru-sama!“, heult Jaken. „Wie gut, dass ich Euch gefunden habe! Ihr seid also wohlauf. Es ist ja so furchtbar! Es ist schrecklich! Also nicht, dass Ihr wohlauf seid, versteht mich bitte nicht falsch. Ich meine nur, es ist nur... Wie soll ich es Euch nur sagen? Bitte tötet mich nicht! Oh nein, verzeiht mir, dafür ist es ja bereits zu spät.“

Mit überraschter Miene hat Sesshomaru dem aufgeregtem Geplapper seines kleinen Dieners gelauscht. Zwar ist ihm nach dem jüngsten Erlebnis mit seinem Bruder klar, dass es sich hierbei auch um ein Trugbild handelt. Trotzdem verwundert ihn die Erscheinung, denn er sieht und hört den kleinen Youkai nicht nur, sondern er kann auch deutlich das Zupfen an seiner Kleidung spüren. Offenbar ist dies hier nicht auf sein müdes Gehirn zurückzuführen, sondern irgendjemand hier lässt ihn das bewusst sehen, nur wer?

Verächtlich blickt Sesshomaru auf ihn herab. „Ein lächerlicher Versuch, mich in die Irre zu führen“, sagt er laut. „Doch die kümmerliche Bemühung erneut an meine Gefühle zu appellieren, ist ein sinnloses Unterfangen.“

Nun blickt Jaken groß zu ihm hoch. „Ich weiß nicht wovon Ihr sprecht, Sesshomaru-sama. Ich wollte Euch gerade mitteilen...“, er stutzt. „Es ist so schrecklich! Wir sind getötet worden, von dem Youkai der Euer Reich angegriffen hat und nun hier in der Hölle gelandet.“

„Ach, tatsächlich?“, bemerkt Sesshomaru mit so viel Verachtung in der Stimme wie ihm nur möglich ist.

Doch der kleine Youkai scheint den geringschätzigen Tonfall gar nicht zu bemerken. „Ja, wirklich! Ich weiß nicht was ich tun soll, Sesshomaru-sama. Rin bewegt sich immer noch nicht!“

Bei diesen Worten krampft sich für einen kurzen Moment Sesshomarus Magen zusammen, obgleich er fast schon mit so etwas gerechnet hat. Natürlich weiß er, dass dies höchstwahrscheinlich wieder dazu dient ihn mental zu quälen und zu zermürben und nicht der Realität entspricht. Dennoch versetzt ihm der Gedanke einer leblosen Rin einen schmerzhaften Stich. Abschätzend mustert er seinen kleinen Diener. „Rin ist hier in der Hölle?“

„Ja. Ich weiß, ich hätte besser auf sie aufpassen sollen, aber sie ist so vorlaut und dickköpfig geworden, nun ja, mehr als sonst. Sie wollte nicht auf mich hören und ist mitgekommen, als Inu Yasha gegen Euren Widersacher gekämpft hat. Ich konnte sie nicht abhalten. Das hat sie das Leben gekostet. Bitte verzeiht mir. Ich habe schmählich versagt!“

Zunächst hält Sesshomaru kurz inne, dann verfinstert sich seine Miene. „Verschwinde!“, knurrt er ärgerlich.

Doch so einfach lässt sich der kleine Gnom nicht abschütteln. „Ich weiß, Ihr seid sauer auf mich, und Ihr habt auch alles Recht dazu, aber ich flehe Euch an, schickt mich nicht von Eurer Seite! Ich lebe doch nur um Euch zu dienen. Ich würde für Euch sterben. Ähm, na ja, das bin ich ja schon, auch wenn es völlig sinnlos war, aber ich kann Euch noch immer dienlich sein. Ich bleibe bei Euch noch über den Tod hinaus.“ Mit diesen Worten wirft er sich vor Sesshomaru zu Boden und beginnt seinen verletzten Fuß zu küssen und zu tätscheln.

Angewidert schüttelt Sesshomaru ihn ab und mit einem großen Schritt steigt er über ihn hinweg und lässt ihn hinter sich. Noch immer gellen die verzweifelten Schreie des kleinen Krötenyoukais hinter ihm her. Sesshomaru ignoriert sie eisern und würdigt sie keines Blickes. Bis sie von einem Moment auf den anderen verstummen und wieder bedrückende Stille in dem Dornenwald einkehrt.

Beunruhigt wendet der Daiyoukai den Kopf und blickt zurück. Von seinem Diener fehlt jede Spur. Ein kühler Windzug fegt durch die Ebene und Sesshomarus Nackenhaare richten sich unwillkürlich auf. Ein verächtliches Schnaufen entfährt ihm und dann wendet er sich nur gleichgültig wieder nach vorne um seinen Weg fortzusetzen.

Doch sofort stutzt er erneut und seine Augen weiten sich. Vor ihm einige Schritt entfernt auf dem kargen Boden liegt einen kleine, blasse Gestalt. Ihre Kleidung ist zerrissen und ihre Gliedmaßen befinden sich in unnatürlichen Positionen. Ihr Körper ist mit Blut beschmiert und unter ihr breitet sich eine verdächtige dunkle Pfütze aus. Ihr Gesicht ist von ihm abgewandt.

Zunächst rührt Sesshomaru keinen Muskel. Er erkennt sehr wohl wer das sein soll, doch Rin wird ebenso wenig real sein wie Inu Yasha oder Jaken. Auch wenn diese Erscheinung erstaunlich echt wirkt, er kann sogar das Blut riechen, so wird es wohl das Beste sein, diese neue Illusion auch zu ignorieren. Lästig nur, dass sie direkt auf seinem Weg liegt.

Erhobenen Hauptes bewegt er sich auf sie zu. Noch immer liegt sie reglos dort. Sesshomaru stutzt einen Moment. Was war das? Hat sich das Bild kurzzeitig verändert? Wie ein kurzes Aufflackern verändert sich die Gestalt vor ihm, immer mal wieder. Sesshomaru wird unbehaglich zumute. Die andere Erscheinung zeigt eine etwas jüngere Rin, jedoch ebenso leblos und bleich und der Daiyoukai weiß genau wo er dieses Bild schon einmal gesehen hat.

Es war damals, als er dem Mädchen zum ersten Mal begegnet war, genau so zerfetzt, genau so blutend, kurz bevor er sie damals mit Tenseiga wiedererweckte. Die Miene des Youkaifürsten verfinstert sich.

Ein weiteres Flackern und die andere Rin ist ein wenig gealtert, doch wieder liegt sie nur reglos da. Sesshomaru beißt die Kiefer aufeinander. Auch diese Begebenheit hat er in Erinnerung. Damals war Rin zum zweiten Mal gestorben und dieses Mal konnte er nichts dagegen unternehmen. Nie zuvor hatte er sich so machtlos gefühlt, oder so betroffen. Es war das erste Mal, dass er realisiert hatte, wie viel Endgültiges im Tod lag. Lange hatte er es sich nicht eingestehen wollen, doch die Tatsache, dass Rin damals noch einmal wiederbelebt werden konnte, hatte ihn sehr erleichtert. Er hatte sich darauf geschworen, es niemals wieder soweit kommen zu lassen. Nicht noch einmal!

Erst bei der unseligen Geschichte mit den Streunern damals, war es wieder zu einer Situation gekommen, in der ihr Leben auf Messers Schneide stand. Arashitsume, ehemalige Fürst des Ostclans, hatte versucht seine Zuneigung zu dem Mädchen für sich auszunutzen und sie als Schutzschild benutzt. Letztlich hatte er damit keinen Erfolg, aber Sesshomaru kann sich des Gedankens nicht erwehren, wie die Sache ausgegangen wäre, hätte er nicht bereits kurz zuvor seinen Sohn verloren, weshalb er nicht gewillt gewesen war auch noch sein Ziehkind sterben zu lassen.

Da ist er wieder, der Gedanke an den jungen Mann, der sein eigen Fleisch und Blut war. Stark, entschlossen und bedingungslos loyal. Wieder spürt Sesshomaru den vertrauten Druck in seiner Brust wenn die Erinnerungen an damals wieder in ihm hochsteigen. Es lässt ihm noch immer keine Ruhe und das ist letztlich der Grund warum er jetzt hier ist. Doch sein Ziel ist noch weit von ihm. Alles Grübeln hilft nicht, er wird weitergehen müssen.

Schon fast hat er die Gestalt vor sich erreicht. Nur noch wenige Schritte, doch im diesem Moment ruckt plötzlich der Kopf herum und wendet sich ihm zu. Die halbe Gesichtshälfte ist zerfetzt und von Blut verkrustet. Unter der zerfleischten Wange ist sogar der Knochen zu sehen. Der Daiyoukai bleibt stehen, und dann öffnet das Mädchen die Augen. Sesshomaru erstarrt unwillkürlich. Ein durchdringender Blick fixiert ihn, doch was noch weit beunruhigender ist als die bisherige Erscheinung, ist die unerwartete Augenform des Mädchens. Es sind eindeutig Youkaiaugen, und sie sind violett.

Sprachlos steht Sesshomaru da. Damit hat er nicht gerechnet. Nun kommt Bewegung in die Gestalt vor ihm. Das eigenartige Mädchen setzt sich langsam auf, ohne jedoch Sesshomaru dabei aus den Augen zu lassen. Mit wackeligen Beinen kommt es zum Stehen und wenn ihre geschundenen Gliedmaßen auch etwas fehlstellig aussehen, so steht sie letztlich fest auf ihren Füßen und stiert unverwandt zu ihm herüber.

Der weißhaarige Youkaifürst gibt keinen Laut von sich und rührt keinen Muskel. Wie eingefroren steht er da und blickt zu ihr hinüber.

Schließlich bricht das Mädchen die Stille. „Hallo, Sesshomaru-sama!“, lächelt sie schaurig.

Der Daiyoukai sagt kein Wort. Es ist nur eine Illusion, sagt er sich. Doch das ihm so vertraute Menschenmädchen mit den Augen seines Sohnes vor sich zu sehen, wühlt ihn mehr auf, als er sich eingestehen mag.

Langsam schwankt des Mädchen nun auf ihn zu und das selige Lächeln auf ihren Lippen bietet einen grotesken Gegensatz zu dem schwer entstellten Gesicht. Noch immer rührt Sesshomaru keinen Muskel. Schließlich hat sie ihn erreicht und baut sich vor ihm auf.

Groß blickt sie ihn an. „Freust du dich gar nicht, mich zu sehen, Sesshomaru-sama?“, fragt sie unschuldig.

„Du bist nur eine Illusion“, erwidert Sesshomaru knapp.

„Was macht dich da so sicher?“, kommt die interessierte Rückfrage.

Sesshomaru verspürt wenig Lust der Erscheinung Rede und Antwort zu stehen. Entschlossen setzt er seinen Weg fort, bemüht, sie nicht weiter zu beachten. Doch das erweist sich als schwieriger als gedacht.

„Willst du mir nicht antworten?“ Rasch hat sie ihn eingeholt und schlendert neben ihm her.

Der Youkaifürst ignoriert sie. Mühsam überklettert er eine weitere dicke Ranke und blickt nur starr geradeaus.

Doch Rin lässt sich davon nicht beirren. „Dachtest du, ein harmloses, kleines Menschenmädchen wird wohl nach ihrem Tod kaum in der Hölle landen?“

Noch immer schenkt Sesshomaru ihr keine Beachtung, sondern klettert stur weiter. Innerlich hofft er jedoch, diese Erscheinung möge verschwinden, wenn er sie nur lange genug ignorierte. Wie erwartet wirft auch dieses Trugbild Fragen auf die er lieber vermeiden möchte.

Ein amüsiertes, kleines Lachen erklingt. „Natürlich dachtest du das.“ Rin weicht nicht von seiner Seite und lächelt ihn munter an. „Du bist ganz schön naiv, Sesshomaru-sama. Ich bin jahrelang mit dir und Jaken umhergezogen. Selbst als man mir die Wahl ließ, habe ich mit Freuden die Gesellschaft von Dämonen die der Menschen vorgezogen. Dachtest du wirklich, das würde ohne Folgen bleiben? Tu nicht so, als wüsstest du nicht, dass du mich damit verdammst. Du hast es wissentlich und bereitwillig in Kauf genommen. Oder wolltest du einfach nicht darüber nachdenken?“

Sesshomaru antwortet nicht, doch Rin redet schon weiter. „Ich bin dir ans Herz gewachsen, nicht wahr?“ Wissend schmunzelt sie ihn an. „Dir einem Daiyoukai. Auch wenn du es nicht zugeben willst, du hast mich gern. Das muss wirklich sehr demütigend sein, für jemanden wie dich.“ Sie legt den Kopf schief. „Aber andererseits hast du dich ja auch wie ein wahrer Daiyoukai verhalten und deine Bedürfnisse vor die meinen gestellt. Du warst nicht bereit mich aufzugeben, also hast du mich abhängig von dir gemacht und mich bei dir behalten. Du hast mir meine kindliche Vernarrtheit nicht ausgetrieben, obwohl du tief in deinem Inneren wusstest, was das einmal für mich bedeutet. Aber vermutlich war das nicht weiter von Bedeutung für dich, hmm?“

Nun bleibt Sesshomaru doch stehen. Er atmet einmal durch, dann wendet er sich an die Gestalt neben sich. „Bist du endlich fertig?“, fragt er gereizt. „Verschwinde endlich!“ Mit diesen Worten schleppt er sich weiter.

Unbeirrt gleicht sie ihr Schritttempo dem seinen an. „Ich fange gerade erst an, Sesshomaru-sama“, sagt sie freudig.

„Spar dir das -sama!“, brummt Sesshomaru „Du bist nicht Rin. Sie würde nie auf diese Art sprechen.“

Nun wird das Mädchen ernst. „Vielleicht bin ich auch nur etwas reifer geworden. Vielleicht habe ich nur meine Naivität verloren, die mir dich als strahlender Held vorgaukelte.“

Sesshomaru schnaubt verächtlich. „Das Argument habe ich schon nicht der Illusion meines Bruders abgekauft. Wer oder was immer du bist, du bist keiner von ihnen, sondern lediglich ein Trugbild, dass es offenkundig gerade auf mich abgesehen hat. Oder hast du nichts Besseres zu tun als mir auf die Nerven zu gehen?“

Ein boshaftes Blitzen funkelt in den Augen des Mädchens. „Natürlich nicht, oder was dachtest du wozu die Hölle sonst da ist?“

Nun wirft Sesshomaru ihr einen kritischen Blick zu. „Bedeutet das, dass du jemand bist, der mich quälen soll, weil ich hier in der Hölle bin?“

Ein breites Grinsen erscheint über Rins zerfetzten Lippen. „Dich quält also was ich sage?“, fragt sie spitzbübisch. „Du als Daiyoukai bist also nicht über so etwas wie Gefühle erhaben?“

„Hör auf jede meiner Fragen mit einer Gegenfrage zu beantworten.“, faucht Sesshomaru ärgerlich.

„Du tust es doch ebenso“, erwidert das Mädchen leichtfertig. „Abgesehen davon bin ich dir keine Rechenschaft schuldig.“ Im selben Moment ist sie verschwunden und der verletzte Daiyoukai bleibt allein zurück.

Sesshomaru blickt einen Moment lang lediglich starr geradeaus. Das sind ja reizende Aussichten. Nun muss er sich nicht nur durch diesen schier endlosen Dornenwald kämpfen, sondern als ob das nicht schon genug wäre, bekommt er nun auch eine permanente Begleitung, die nicht nur seine Gedanken lesen kann, so wie es aussieht, sondern dies auch nutzt um ihm jede unausgegorene Entscheidung seines Lebens noch einmal vorzuhalten. Wenn das tatsächlich die Hölle ist, dann wird es wohl Zeit seine Aufgabe so schnell wie möglich zu beenden und dann schleunigst von hier wieder ins Diesseits zu verschwinden.

Energisch stapft er weiter, als urplötzlich direkt vor ihm erneut dieses befremdliche Augenpaar auftaucht und ihn unschuldig anlächelt.

„Ach, weißt du, ich habe es mir anders überlegt“, das sonderbare Mädchen verschränkt die Arme hinter dem Kopf und ihre blutige Zunge spielt durch die zerfetzte Wange hindurch mit einem Fleischzipfel, was äußerst grotesk wirkt. „Ich leiste dir noch ein wenig Gesellschaft, Sesshomaru-sama, dann bist du nicht so alleine.“

„Mir ist 'alleine' sehr recht!“, schnaubt Sesshomaru verächtlich und drängt sie aus dem Weg.

Doch die fremde Rin lässt sich davon nicht beirren, sondern folgt ihm einfach weiter. „Ach, hast du mich deshalb bei dir aufgenommen?“, fragt sie zynisch, „Weil du allein sein wolltest?“

„Du bist nicht Rin“, bemerkt er trocken und versucht sie zu ignorieren.

„Als ob das irgendeine Rolle spielt“, meint das Mädchen gelangweilt.

„Für mich schon!“, brummt der Dauyoukai.

„Aha!“, kommt er genüsslich von der falschen Rin. Im selben Moment ist sie hinter ihm verschwunden um sich ein Stück weiter vor ihm auf einer Ranke des Gestrüppes wieder zu materialisieren. „Du gibst also zu, dass du ihre Gegenwart genießt.“

„Das habe ich nie gesagt.“

„Dass du sie gern hast.“

„Wenn du meinst.“

„Dass du sie liebst.“

„Mach dich nicht lächerlich!“

Das Mädchen verzieht die Lippen zu einem breiten Schmunzeln. „Hab ich da einen wunden Punkt getroffen?

„Wenn du wildes Raten 'einen Punkt treffen' nennst.“

„Aber getroffen hab ich ihn, hmmm?“ Spielerisch wippt Rin mit den Füßen.

Sesshomaru verliert allmählich die Geduld. Diese kindischen Spekulationen hindern ihn daran, sich zu konzentrieren. Schultern und Fuß brennen noch immer wie Feuer, sein ganzer Körper ist zerschunden und mit jedem Schritt den er macht, fühlt er wie das immense Gewicht seiner Selbst ihn zunehmend niederdrückt. Da kommt es ihm äußerst ungelegen sich auch noch Gedanken um seine Adoptivtochter machen zu müssen. Wen kümmert es was und wie er von ihr denkt?

„Verschwinde einfach!“, grollt er unwirsch.

Das Mädchen zieht eine gespielte Flunsch. „Oh, nicht doch, Sesshomaru-sama!“, meint sie, „Du brauchst es gar nicht zu leugnen. Warum sonst hättest du sie adoptieren sollen?“

Sesshomaru setzt zu einer Antwort an, verzichtet aber dann doch darauf. Nichts was er sagt, wird diese Erscheinung mundtot machen, das steht fest, wozu ihr also noch weiteren Zunder liefern? Stattdessen setzt er schwerfällig seinen Weg fort wobei er bemüht ist, sie keines Blickes zu würdigen.

Nun bekommt Rins Blick etwas Boshaftes. „Oh, natürlich!“, meint sie zynisch, „Du bist ein Daiyoukai. Solche tiefen wohlwollenden Gefühle sind dir natürlich fremd. Ein Dämon wie du kennt nur den puren Eigennutz, ist es nicht so?“ Nun schwingt sie sich geschmeidig von ihrem Sitz hinab und noch während sie direkt vor ihm zum Stehen kommt, schließen sich vor seinen Augen die zahlreichen Wunden auf ihrem Körper und ihre Haut wird wieder von einem dezent rosigen Teint überzogen. Mit großen, dunklen Menschenaugen blickt sie ihn nun an. „Du kannst mir nichts vormachen, Sesshomaru-sama. Ich kenne jeden deiner Gedanken, auch die von denen du denkst, niemand sonst wüsste davon.“ Nun bekommt ihre Stimme wieder etwas kindliches, „Dazu sind wir zu lange gemeinsam durch das Land gezogen. Du leugnest deine Zuneigung zu mir? Also schön, nennen wir es nicht Liebe, doch wie ist es mit Begierde?“ Direkt vor ihm steht sie nun und ein scheuer Blick geht zu ihm hinauf, während sie schüchtern eine Schulter entblößt. „Nimm mich, Sesshomaru-sama! Tu wonach du dich schon immer gesehnt hast! Und ich mich auch!“ Mit diesen Worten streift sie ihren Yukata ab und steht nun völlig nackt vor ihm, wobei eine Hand verstohlen ihre Blöße bedeckt und ein leichter Rotschimmer ihre Wangen überzieht, dabei lassen verführerische schüchterne Augen ihn nicht aus dem Blick.

Sesshomaru erstarrt. Er spürt wie ihm unwillkürlich die Farbe aus dem Gesicht weicht. Im ersten Moment weiß er nicht wie er reagieren soll doch dann reckt er sich. „Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn!“, brummt er, „Denk dir was besseres aus um mich zum Narren zu halten oder verschwinde einfach. Ich habe Wichtigeres zu tun, als das hier.“

Im selben Augenblick ist die bloße Kindergestalt vor ihm verschwunden. Doch Sesshomaru rechnet nicht damit, dass seinem Wunsch nach Ruhe so rasch Rechnung getragen wird. Und damit soll er Recht haben denn schon im nächsten Augenblick spürt er einen warmen Körper direkt hinter sich an ihn geschmiegt und zwei Hände, die beginnen sinnlich über seinen Körper zu streichen. Jedoch sind es die Hände eines Erwachsenen.

„Oh, sei nicht albern, Sesshomaru-sama!“, säuselt eine warme Frauenstimme ihm ins Ohr, „Vielleicht war ich damals ja noch zu jung für dich, aber was bedeutet Zeit schon für einen Youkai? Das Warten hat sich gelohnt. Ich bin nun endlich so alt wie du mich haben wolltest. Lang genug hast du mich dir hörig gemacht, und nun gehöre ich ganz dir. Du kannst mit mir tun was dir beliebt, mein Herr!“, flüstert die Stimme anzüglich in sein Ohr, während ihre Hände weiterhin sinnlich über seine Brust streichen.

Sesshomaru rührt keinen Muskel sondern hält nur starr aus. Er weiß nicht was er sagen soll. Nie zuvor hat er irgendjemandem von diesen Gedanken erzählt. Ja, er selbst hat sie niemals weiter verfolgt. Er kann nicht leugnen, dass ihm von Zeit zu Zeit Gedanken dieser Art durch den Sinn gekommen sind, doch jedes Mal hat er sie als völlig absurd abgetan. Und seit den Ereignissen damals die ihn dazu veranlassten Rin zu adoptieren, war das Thema gänzlich vom Tisch. Wie kann also diese Person, wer immer sie auch ist, davon wissen, und vor allem wie und warum verwendet sie dies nun gegen ihn? Er kann sich nicht helfen, erneut mit diesen intimen Fantasien konfrontiert zu werden, löst ihn ihm so etwas wie Unbehagen aus und er braucht eine Weile um zu begreifen, dass es Scham ist. Er schließt die Augen. Wie tief soll er noch sinken, zumal er feststellen muss, dass seine Selbstbeherrschung in seinem momentanen geschwächten Zustand wesentlich weniger seiner Kontrolle unterliegt als gewöhnlich.

Geschickte Finger finden zielsicher jeden seiner empfindlichen Punkte und für einen kurzen Moment ertappt er sich dabei, wie er sich den kundigen Händen, die ihn seine Verletzungen so geschickt vergessen machen könnten, nur zu gern weiter aussetzen würde.

Doch noch ist sein Wille nicht gebrochen. Mit eiserner Entschlusskraft reißt er sich von den verführerischen Liebkosungen los und tritt rasch ein paar Schritte vor. Er atmet schwer, dann ruckt sein Gesicht zu der fremden Gestalt herum. Nun sieht er sie zum ersten Mal richtig. Es ist unverkennbar Rin, wenn jedoch auch inzwischen zur Frau herangereift. Noch immer ist sie völlig unbekleidet und ein lasziver Blick liegt auf ihrem Gesicht.

„Hör auf damit!“, keucht Sesshomaru um seine Fassung ringend, „Wie kannst du es wagen? Leg noch einmal Hand an mich und deine Existenz endet hier und jetzt!“

Für einen kurzen Moment scheint die Fremde überrascht, doch dann kehrt das süffisante Grinsen auf ihr Gesicht zurück. „Nun tu doch nicht so, als würde dir so etwas nicht gefallen, Sesshomaru-sama. Ich kenne dich besser als du dich selbst. Würdest du nicht alles geben, um wenigstens eine Weile dieser entwürdigenden, kräfteaufzehrenden Situation zu entkommen?“

Der verletzte Daiyoukai wendet sich nun grimmig ab. „Darauf kann ich verzichten. Allein das Angebot ist eine Beleidigung!“ Ohne der nackten Frauengestalt hinter ihm noch weitere Beachtung zu schenken, stapft er wütend von dannen. Doch nur ein paar Schritte kommt er weit. In dem Moment wo er erneut eine dicke Ranke übersteigen will, übersieht er einen langen Dorn im Schatten und durch seine geschundene Fußsohle bohrt er sich bei dem Schritt von unten einmal bis hindurch zum Fußspann. Ein kurzer Schmerzenslaut entfährt ihm, dann knickt ihm der Fuß weg und dann liegt er mit verbissener Miene und unterdrücktem Schmerz auf der Seite und für einen Moment versucht er sich verzweifelt an den Grund zu erinnern warum er diese ganze Tortur auf sich genommen hat.

Gerade in diesem Moment schiebt sich Rins Gestalt wieder in sein Blickfeld. Noch immer unbekleidet lässt sie sich geschmeidig neben ihm nieder und streicht ihm zärtlich durch die Haarsträhnen die jetzt verschwitzt und blutgetränkt sein Haupt hinabfallen. Wütend schlägt der Daiyoukai die Hand weg, doch zu mehr fehlt ihm einfach die Kraft.

„Oh, Sesshomaru-sama“, schmeichelt die sanfte Frauenstimme, „Findest du nicht auch, dass du dir etwas Ruhe verdient hast? Was musstest du nicht alles schon erdulden um hierher zu kommen? Und das alles nur für andere? Du bist ein Daiyoukai, meinst du nicht, es wird Zeit, dass du einmal an dich selbst denkst? Wer könnte es dir verübeln? Lass mich dir ein wenig Erleichterung spenden. Ein paar flüchtige Augenblicke in den Armen der Liebsten, können sehr wohl die Leiden und Strapazen deiner bisherigen Reise aufwiegen. Dies ist ohne Zweifel ein Moment in dem man gerne egoistisch sein darf. Alles was du tun musst, ist dir ein wenig Pause zu gönnen. Ich werde mich gut um deine Bedürfnisse kümmern, Sesshomaru-sama.“ Sanft säuselt ihm Rins erwachsene Stimme ins Ohr und zu seiner eigenen Überraschung gibt es eine kleine Stimme in ihm, die ihr nur zu gerne zustimmen möchte. Er wäre wirklich verlockend eine kleine Pause einzulegen, sei es gleich was dann dabei geschieht. Er fühlt sich so geschunden und erschöpft wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr und vielleicht macht gerade das es so schwer dem Angebot zu widerstehen.

Aber da ist noch immer sein Instinkt der ihn zur Vorsicht mahnt und bisher tat er stets gut daran, auf ihn zu hören. Mit aller Willensstärke die er aufbringen kann, setzt er sich wieder auf und schüttelt dabei ihre liebkosenden Hände ab.

„Kein Interesse!“, grollt er. „Scher dich gefälligst weg. Ich habe auch schon ohne dich genug Scherereien hier. Und wenn du dich noch einmal ungefragt in meine Gedanken einmischst, wirst du den nächsten Tag nicht mehr erleben!“

Ein wenig erstaunt hebt Rin den Kopf. Sie scheint einen Moment zu überlegen, doch dann lächelt sie wieder. „Sei doch nicht so garstig zu einer junge Frau die dir nur gefällig sein möchte. Aber vielleicht ist dir einfach noch nicht die passende Frau begegnet.“

In diesem Augenblick vollzieht sich an ihr eine Veränderung. Ihre Haare werden länger und bekommen die Farbe von glänzendem Obsidian. Ihre Augen funkeln nun in einem strahlenden Purpur und ihre blasse Haut schimmert in einem matten, überirdischen Schein. „Gefällt dir was du siehst?“, fragt eine klare wohltönende Frauenstimme und lächelt Sesshomaru anzüglich an.

Sesshomaru bringt keinen Laut heraus, er ist wie vor den Kopf geschlagen. Ein derartig starkes Deja vu hat er lange nicht mehr verspürt. Es ist als würde er Ihr noch einmal wie damals gegenüberstehen und zugleich weiß er, dass sie es nicht ist. Sie ist es nicht! Niemals kann sie es sein, die sich ihm hier so vulgär anbietet und im gleichen Maße wie ihn diese Erkenntnis nun überschwemmt, steigt auch ein unbändiger Zorn in ihm auf der nun rasch zunehmend alle anderen Gefühle in den Hintergrund drängt.

Ohne an die Schmerzen in seinem Fuß zu denken, steht er auf und dreht sich dann zu seiner Heimsuchung um. Wutschnaubend fletscht er nun die Zähne und dann schließt sich seine Hand um Bakusaigas Schwertgriff.

„Es steht dir nicht zu, wie Sie auszusehen!“, grollt er tödlich, „Mach das weg!“

Für einen Moment flackert Unsicherheit auf dem Gesicht der Frauengestalt vor ihm. Dann entspannen sich ihre Züge wieder. „Bist du sicher, dass du das willst, Sesshomaru-sama? Du wolltest mich doch so sehr wiedersehen. Freust du dich denn nicht, dass ich wieder bei dir bin, Liebster?“

In diesem Moment fliegen Sesshomarus Augen auf und ungezügelte Wut steht ihm ins Gesicht geschrieben. „Raus aus meinem Kopf!“, brüllt er. Mit einem wilden Schrei reißt er Bakusaiga aus seiner Scheide und lässt sie mit aller Kraft auf die Gestalt vor ihm niederrauschen.

Dort wo die Klinge des herabsausenden Schwertes auftrifft, entfalten sich grell züngelnde Blitze und augenblicklich zerpufft die Gestalt vor ihm und verschwindet vollständig. Jedoch setzt sich die zerstörerische Macht Bakusaigas in den umliegenden Dornenranken fort und äschern alles ein im Umkreis von gut zehn Schritt. Im selben Augenblick ertönt ein schrilles Geräusch um ihn herum, das immer mehr anschwillt und von einem heftigen Vibrieren des Bodens begleitet wird.

Der geschundene Daiyoukai wird dabei heftig durchgerüttelt und er hat Mühe sich auf den Beinen zu halten. Doch dann kommt das Erdbeben wieder zum Stillstand und gehetzt blickt Sesshomaru sich um. Was war das gerade? Es hatte fast wie ein Schmerzensschrei geklungen. Doch wie kann er einem Trugbild Schmerzen zugefügt haben? Ob der Beherrscher dieser Täuschungen sich möglicherweise in der Nähe befindet? Doch wo? Es scheint fast, als hätte er die Erde selbst gegen sich aufgebracht. Oder ist es womöglich...?

Sesshomaru kommt nicht mehr dazu den Gedanken zu beenden, denn in genau diesem Moment, beginnt der Boden unter ihm erneut zu beben und Sekundenbruchteile später, kommt Leben in die verbliebenen Ranken und Äste um ihn her. Mit brachialer Gewalt reißen sie sich aus dem Boden heraus und Augenblicke später stürzen die meterlangen, dornenbestückten Triebe auf ihn herab wobei sie den Himmel über ihm regelrecht verdunkeln.

Der Youkaifürst überlegt nicht lange, er reagiert. Mit einer blitzartigen Kraftanstrengung springt er den peitschenden Ästen aus dem Weg. Jedoch muss er feststellen, dass sich nun hinter ihm eine gewaltige Wand aus Dornenranken aufgerichtet hat, die ihrerseits zahlreiche schwingende Äste ausstreckt um ihn zu fassen zu bekommen. Gehetzt sieht er sich zwischen zwei Fronten gefangen und in seiner momentanen Verfassung gibt es wenig Hoffnung auf ein unbeschadetes Entkommen.

Schon haben die Ranken hinter ihm ihn erreicht und ehe er noch einmal die Kraft für einen rettenden Sprung aufbringen kann, knüppeln ihn die heranschwingenden Triebe erbarmungslos zu Boden und begraben ihn unter sich.

Nun kommt erneut Bewegung in die Dornenwand und aus einem Pulk aus Ranken schiebt sich eine Art dickes Wurzelknäuel hervor, auf dessen Oberfläche sich nun ein humanoides Abbild abzeichnet. Die bräunliche Gestalt nimmt immer mehr menschliche Züge an und schließlich ist das Gesicht und der Oberkörper einer Frau zu erkennen. Ihre Haut ist grünlich und ihre Haare, die zu einer aufwendigen Frisur hochgesteckt sind, haben ein dunkles Blutrot. Ihre Kleidung ist ein aus unzähligen roten und schwarzen Blättern gestaltetes Gewand, jedoch nur bis zur Hüfte, denn unter dem Nabel befinden sich keine Beine sondern nur ein Gewirr aus unzähligen Dornenranken, die ihrem Schoß zu entspringen scheinen.

Mit verächtlich geschürzten dunkelgrünen Lippen und missgünstig blickenden, tiefschwarzen Augen verfolgt sie nun, wie die Wogen aus Ranken sich vor ihr teilen und den vielfach durchbohrten, zerkratzten und zerschlagenden Körper des Daiyoukais zum Vorschein bringen. Mehrere Triebe winden sich nun gnadenlos um die besinnungslose Gestalt, die selbst noch in ihrer Bewusstlosigkeit den Griff ihres Schwertes, wie eine letzte Bastion, fest umklammert hält, und heben sie empor.

Geringschätzig blickt die Gestalt auf den Daiyoukai hinab. „Einfältiger Narr!“, schnaubt sie. „Ich wollte es ihm angenehm gestalten, doch manche Männer bevorzugen offenbar Leiden und Schmerzen. Ein Jammer!“

Die Ranken befördern den leblosen Körper des Daiyoukais zu ihr hinauf auf Augenhöhe. Vollkommen schwarze Augen mustern ihn während der Oberkörper der Gestalt sich mit seltsam unnatürlichen Bewegungen zu ihm vorbeugt.

"Recht ansehnlich für einen Inuyoukai. Es ist fast schon eine echte Verschwendung.", kommentiert sie ihre Inspektion. Aus der Masse ihrer Triebe schieben sich nun zwei schmale Ranken zu ihm hinüber und heben leicht sein Kinn an. Die Gestalt legt den Kopf schief. "So viel Trauer, so viel Leid. Du wirst mir guter Dünger sein."

"Wie ich es mir dachte." In diesem Moment schlägt Sesshomaru die Augen auf und unverhehlte, grimmige Wut steht ihm ins Gesicht geschrieben, auch wenn er noch immer schwer in den ihn umklammernden Dornenranken hängt. Seine Kleidung ist inzwischen völlig zerfetzt und seine Haare hängen in blutverkrusteten Strähnen in sein zerschlitztes Gesicht. Tödlich funkelt er seine Gegenüber an. Dann im nächsten Augenblick packt er Bakusaiga fester und ein unmenschlicher Schrei entfährt seiner Kehle. Nur einen Herzschlag später lodern grelle Energien um den Youkai herum und die Ranken die ihn umschließen, zerbersten wie Papierschnipsel und geben seinen Arm frei. Im gleichen Moment da dieser frei ist, geht sein Schwert auch schon auf die nächstgelegene Ranke nieder und augenblicklich entfaltet Bakusaiga seine vernichtende Attacke die sich in Windeseile in dem Dornengestrüpp fortsetzt.

Ein wildes Kreischen entfährt der weiblichen Gestalt und augenblicklich lösen sich die übrigen Ranken von Sesshomaru und lassen ihn zurück auf die Erde plumpsen. Seine Gegnerin jedoch wird augenblicklich zurückgerissen und von ihren eigenen Ranken umsponnen, während Bakusaigas Energien noch immer ein ganzes Stück entfernt den Dornenwald einäschern.

Hart trifft Sesshomaru auf dem Boden auf. Er keucht vernehmlich. Der Aufschlag hat ihm die linke Schulter ausgekugelt, doch inzwischen hat es keinen Sinn mehr seine Verletzungen zu zählen, es sind mittlerweile einfach zu viele. Mühsam rafft er sich auf und packt fast verzweifelt Bakusaigas Schwertgriff, doch seine Gegnerin lässt er nicht aus dem Blick. Wild wuchernde Ranken versuchen die sonderbare Erscheinung zu beschützen und ein wütendes Zischen liegt in der Luft.

Bitterböse starrt Sesshomaru zu ihr hoch. "Ich weiß zwar nicht, wie du hierherkommst, aber wer essen muss und Schmerzen verspürt, der hat einen lebendigen Körper und das bedeutet ich kann dich mit Bakusaiga vollständig und endgültig vernichten, also wage es nicht mich noch einmal anzufassen!"

Für einen kurzen Moment herrscht Stille, doch dann urplötzlich erklingt hinter ihm erneut eine junge, diesmal vorwurfsvolle, Stimme. "Das ist nun der Dank dafür, dass ich es dir angenehm machen wollte. Ihr Youkai seid so unglaublich arrogant und undankbar."

Sesshomaru fährt wütend herum. Vor ihm sieht er erneut Rins Kindergestalt die ihn geringschätzig anblickt.

"Angenehm?", stößt er verachtend hervor, "Dachtest du ernsthaft, ich würde deine kleinen Spielchen genießen?"

Unschuldig legt Rin den Kopf auf die Seite. "Du hättest dich mir nur hingeben müssen. Ich hätte dir unzählige Freuden bereitet und du hättest nicht einmal gemerkt was dann mit dir geschehen wäre. Was mehr kannst du erwarten wenn du hier so bereitwillig in mein Tal kommst?"

Sesshomaru fletscht die Zähne. "Du bist also der Wächter", stellt er grimmig fest. "Du bist ein Pflanzendämon, und all diese Ranken hier", er blickt wachsam kurz in die Runde, "sind dein Körper. Deshalb bereitet es dir Schmerzen wenn ich sie zerstöre."

Nun lächelt Rin unheilvoll. "Gut erkannt! Mein Name ist Kagebara-hime und wer sich in meinen Leib verirrt, den gebe ich nicht wieder her. Du wirst diesen Ort nicht mehr lebend verlassen."

Wütend schnaubt Sesshomaru auf. "Das denkst du dir so. Unterschätz mich nicht!"

Belustigt blickt Rin nun drein. "Sieh dich nur an! Dein Körper ist zertrümmert, du hast viel Blut verloren und ein mobiles, lebendes Wesen wie du gehört nicht in die Hölle. Es richtet dich zugrunde, du kannst es fühlen. Allein deine Sturheit hält dich noch auf den Beinen. Wie willst du da auch nur noch den Hauch einer Chance gegen mich haben? Meine Äste zerquetschen dich schneller als du auch nur deinen Schwertarm heben kannst."

Nun dringt ein tödliches Grollen aus der Kehle des Daiyoukais. "Mein Name ist Sesshomaru, Herr über die westlichen Länder und du solltest es besser nicht darauf ankommen lassen!"

Und im selben Moment geht sein Schwert blitzschnell hernieder und augenblicklich entfaltet sich eine mächtige Energiewelle in den Ranken die ihm am nächsten sind. Doch damit belässt es der Daiyoukai nicht. Gnadenlos lässt er die Energien weiter fließen, sodass sich die Vernichtung der Zweige immer weiter fortsetzt.

Im selben Moment entfährt der Rin vor ihm ein schriller Schmerzensschrei und ihr Bild beginnt stark zu flackern. Panisch vergräbt sie ihr Gesicht in den Unterarmen. "Hör auf damit! Hör sofort auf, sage ich!"

"Den Teufel werde ich tun!", schreit Sesshomaru wütend zurück. Wild schaut er sich um bis sein Blick an dem wild zuckenden Rankenbündel mehrere Meter über ihm hängenbleibt und er bleckt die Zähne. Sofort beendet er seinen Angriff und wendet sich um. Seine Sicht ist verschleiert und er schwankt. In seinen Gliedern hat er kaum noch Gefühl. Eigentlich ein Segen, denn so lässt endlich der permanente, quälende Schmerz nach, wenn das nicht bedeuten würde, dass sein Körper kurz vor der Aufgabe steht. Im Grunde hat dieses Wesen recht, lediglich sein Wille hält ihn noch aufrecht und würde er nur für einen Sekundenbruchteil zögern, wäre er nicht mehr in der Lage auch nur noch einen Schritt zu machen, doch so ist es sein lodernder Zorn der ihn zielgerichtet und unbarmherzig voranprügelt und ihn mit nur wenigen fliegenden Schritten die Höhendifferenz zu seiner verhassten Gegnerin überwinden lässt.

Wild glühen seine roten Augen als er das Rankenbündel erreicht und gnadenlos sein Schwert in die Höhe reißt um es tief in den grünen Kokon aus Dornenwucherungen zu rammen.

"Ein niederer Youkai wie du wird mich niemals besiegen!", brüllt er und schon will er zustechen.

Doch da ertönt unmittelbar davor eine panisch kreischende Stimme: "Warte!"

Aber Sesshomaru hört nicht darauf, selbst wenn er hätte innehalten können, er ist ferner denn je davon. Jedoch noch ehe er den unvermeidlichen Stoß ausführen kann, zerteilen sich urplötzlich die Ranken und der Hieb geht ins Leere.

Aus dem Konzept gebracht verharrt Sesshomaru für einen Wimpernschlag, doch das genügt, dass sich erneut ein dicker Strang an Ranken um seinen Körper winden und ihn an der Bewegung hindern kann. Diesmal haben die Zweige jedoch keine Dornen. Verzweifelt reißt Sesshomaru daran und tatsächlich kann er seinen Arm befreien, nur jedoch damit sich sogleich andere Ranken um ihn winden können.

Mitten in seinem wilden Kampf um seine Freiheit, teilen sich auf einmal die Ranken vor ihm erneut und nun schiebt sich die eigenartige Pflanzendämonin zu ihm heraus und nähert sich ihm scheinbar unerschrocken.

Ernsthaft taxiert sie den kämpfenden Daiyoukai. "Ich bat dich einen Moment innezuhalten, Sesshomaru-sama", sagt sie und diesmal ist ihre Stimme eindringlich und fern von jeder Überheblichkeit.

Wild blitzt Sesshomaru sie an. Seine Zähne sind gefletscht."Ich reiß dich in Stücke du elendes Biest!"

"Ich schwöre bei den Pforten der Hölle, ich werde dir kein Leid antun, doch bitte höre mich nur einen Augenblick an!"

Noch immer bäumt Sesshomaru sich auf in dem verzweifelten Versuch freizukommen.

"Wenn du dich einen Augenblick beruhigst, werde ich dich freigeben", beteuert Kagebara fest.

Sesshomarus Atem geht heftig. Nur allzu gern möchte er ihren Worten folgen, denn schon spürt er wie ihm sein Körper nicht länger gehorchen will. Viel weiter über sein Limit wird er sich nicht mehr treiben können. Aber schon zuvor hat sie versucht ihn mit Worten einzuwickeln. Mit Sicherheit ist das wieder ein Trick.

Doch Kagebara nutzt dieses kurze Innehalten um ihren Körper noch dichter an ihn heranzubringen, bis die beiden Gesichter nur noch eine Handbreite trennt. Tiefschwarze Augen in einem anmutigen, sehr weiblichen Gesicht mustern ihn eingehend.

"Hör mich an!", sagt sie, "Eine Macht wie deine ist mir noch nie begegnet. Noch nie zuvor konnte jemand meinem Körper einen solchen Schaden zufügen wie du und ich habe schon seit sehr langer Zeit nicht mehr solchen Schmerz empfunden. Du beeindruckst mich und deshalb werde ich jetzt absolut ehrlich zu dir sein."

Ihr Körper entfernt sich wieder ein Stück von ihm. "Vermutlich glaubst du mir das nicht, doch ich versichere dir, dass lügen nicht zu meiner Natur gehört. Ich bin es gewöhnt meiner Beute ihre Wahrheiten zu erzählen, da gewöhnt man sich das wohl an. Also glaube mir wenn ich dir sage, dass dein Leben nur noch an einem seidenen Faden hängt. Dein Körper ist schwer verletzt und wenn du weiterkämpfst wirst du mit Sicherheit sterben."

Sesshomarus Bewegungen erschlaffen zusehend doch sein Blick spiegelt noch immer seinen Kampfeswillen wieder. Er spürt, dass sie recht hat mit ihren Worten. Mit jeder Sekunde die vergeht, fühlt er wie seine Lebenskraft mit jedem weiteren Tropfen Blut aus seinem Körper rinnt. Doch er darf einfach nicht aufgeben, nicht jetzt! Nicht nach all den Entbehrungen und nachdem er schon so weit gekommen ist. So darf es einfach nicht enden, aber er spürt, dass es nicht mehr viel gibt, was das verhindern kann. Doch sang- und klanglos wird er nicht abtreten. Lieber reißt er sie mit in den Tod, als sich mit solch einem unrühmlichen Ende abzufinden.

Nun nickt Kagebara ernst. "Ja, genau so habe ich dich eingeschätzt. Selbst im Angesicht des Todes würdest du deine letzten Energien darauf verwenden mich zu vernichten und höchstwahrscheinlich würde dir das sogar gelingen."

Nun hält Sesshomaru doch einen Moment inne. "Du liest wieder meine Gedanken", grollt er eisig.

Würdevoll nickt Kagebara mit dem Kopf. "Wer sich an meinen Dornen verletzt, dessen Gedanken sind ein offenes Buch für mich. Selbst die tiefsten Geheimnisse und intimsten Gedanken offenbaren sich mir dadurch. Ich kenne dich vermutlich besser als du dich selber kennst."

"Und dann gaukelst du demjenigen Bilder von Personen vor die er kennt", stellt Sesshomaru grimmig fest.

"Nein, nur von Personen, die der Betreffende gut kennt. Nur solche Erinnerungen sind schmerzhaft genug, dass ich mich davon ernähren kann."

Sesshomarus Augen fliegen auf. "Du ernährst dich von Erinnerungen?"

"So ist es", meint Kagebara beiläufig."Doch ich glaube nicht, dass die Art meiner Nahrungsaufnahme jetzt unser vorrangiges Gesprächsthema sein sollte, denn dir läuft die Zeit davon, Sesshomaru-sama, und wir haben Wichtigeres zu bereden."

"Was sollte das sein?", stößt der Daiyoukai verächtlich hervor.

Nun richtet sich die Pflanzendämonen würdevoll auf. "Ich weiß du hättest die Macht mich noch mit den letzten Energien deines Ablebens vollständig zu verbrennen, und du würdest es tun. Da ich aber an meinem Leben hänge, ist es mir ein Anliegen, dass du deines behältst. Ich schlage dir also ein Abkommen vor. Ein Abkommen mit dem wir beide unser Leben behalten und dennoch unserer Mission weiter folgen können. Interessiert?"

Das Abkommen

Abschätzend beobachtet Kagebara den keuchenden Daiyoukai, den lediglich noch ihre Ranken aufrecht halten. Seine Bewegungen sind schlaff und kraftlos, jedoch in seinen Augen liegt noch immer ein Funkeln, das verdeutlicht, dass der Kampfeswille des Youkais noch nicht völlig erloschen ist.

Sesshomarus Gedanken überschlagen sich. Was hat sie nun wieder vor? Lohnt es sich ihren Worten auch nur eine Sekunde zu glauben, nach allem was bisher war? Doch noch ehe er seine Lippen unter Kontrolle hat, fragt er: "Interessiert? Woran? Was führst du nun im Schilde?"

"Wie ich schon sagte", antwortet sie gemächlich, "ich versuche unser beider Leben zu retten. Wobei dein Tod vermutlich näher bevorsteht als meiner. Aber ich möchte lieber sicher gehen."

Ihre Ranken befördern den erschöpften Youkai wieder auf Augenhöhe und kommt sehr dicht an ihn heran. "Ich weiß wen du suchst, und auch warum", raunt sie. "Es steht doch viel zu viel bei der Sache auf dem Spiel, als dass du die einmalige Chance, die ich dir biete, nicht annehmen könntest." Eindringlich beäugt sie ihn.

Für einen kurzen Moment werden Sesshomarus Gedanken von vertrauten Bildern und Gesichtern überflutet und fast drängt sich im der Gedanke auf, dass sie recht haben könnte. Er spürt bereits wie sein Widerstand immer mehr schwindet.

Er zögert noch einen langen, verzweifelten Augenblick, dann fragt er zerknirscht: "Sagen wir, ich wäre interessiert. Was hast du mit mir vor? Was soll ich tun?"

Nun verbreitert sich ihr sanftes Lächeln. "Oh, das ist ganz einfach", zirpt sie, "du musst sterben!"

Augenblicklich verkrampft sich Sesshomaru wieder und sein Argwohn ist erneut geweckt. Grimmig fletscht er die Zähne. "Vergiss es!", faucht er schwach.

Doch Kagebara bleibt gelassen. "Nur die Ruhe", beschwichtigt sie ihn. "Lass mich erklären. Für ein Wesen, dass sich fortbewegen kann, ist es aus gutem Grund nicht ratsam lebendig in die Hölle zu gehen. Du bringst deinen Körper mit und dadurch alles Gewicht deiner Lebenszeit. Nur Seelen haben hier die Möglichkeit sich frei zu bewegen. Nun ja, so frei wie das in der Hölle möglich ist. Ihnen haftet nicht mehr das Gewicht lebender Materie an, sie sind nur noch reine Energie. Wenn du also jemals deine volle Kraft hier nutzen willst, dann musst du diesen Ballast hinter dir lassen."

"Bedaure", keucht Sesshomaru verbissen. "wenn du alles von mir weißt, dann weißt du auch, dass ich nicht beabsichtige in der Hölle zu bleiben. Ich muss zurückkehren und im Diesseits benötige ich meinen Körper noch, also was immer du vorhast, ich verzichte!"

"Sei doch nicht so voreilig", rügt Kagebara ihn sanft, "Ich wollte es dir ja gerade erklären. Ich kann dir helfen. Ich vermag deine Seele von deinem Körper zu trennen und ihn sorgsam aufzubewahren, bis du deine Mission erfüllt hast. Dabei wird er verbleiben wie er ist und sich sogar noch erholen. Es wird sein, als würde er tief und fest schlafen, während deine Seele fortziehen kann um das zu tun, weshalb du hier bist."

Skeptisch beäugt der Daiyoukai die Pflanzendämonin. "Und wie willst du das anstellen?"

Nun erhebt sich zwischen den beiden eine weitere Ranke und an ihrer Spitze hält diese nun so etwas wie ein kleines Samenkorn. Urplötzlich beginnt es zu keimen und zwei hellgrüne Keimblätter schieben sich zusammen mit einem zarten Geflecht an kurzen Wurzeln aus der Schale hervor.

"Dieser Keimling", erklärt Kagebara, "wird in deinen Körper eingepflanzt und damit verfällt er in eine tiefe Starre, so dass ich ihn sicher verwahren kann. Die Starre wird so tief sein, dass dein Körper deine Seele nicht mehr zu halten vermag und du ihn hinter dir lassen kannst während mein Setzling damit beginnt deinen Körper zu konservieren und zu heilen. Wenn du dein Ziel erreicht hast, kommst du zurück und nimmst deinen Körper wieder in Besitz, frisch ausgeruht und fern des Todes. Was meinst du, klingt das nicht erstrebenswert?"

Ein verächtliches Krächzten entfährt Sesshomaru. "Du hast bisher noch nicht erwähnt, was du von der ganzen Sache hast."

Kagebara seufzt theatralisch. "Nun ich will nicht verschweigen, dass auch ich von diesem Abkommen profitiere. Wie du bereits weißt, ernähre ich mich von schmerzhaften Erinnerungen und Gefühlen. Solange mein Setzling in deinem Körper ist, habe ich direkten Zugang zu deinen Erinnerungen und kann mich davon ernähren. Das funktioniert allerdings nur solange du lebst. Du siehst also, es liegt in meinem Interesse, dich am Leben zu halten. Ich habe somit keinen Grund dir Schaden zuzufügen. Ich nehme sozusagen deine schmerzhaften Gedanken als Mietzoll für das Bewahren deines Körpers. Gemessen an der Tatsache, dass dein Körper schon beinah seine Grenzen erreicht hat und dich nur noch ein Wimpernschlag vom Tode trennt, solltest du mein Angebot wirklich bald in Erwägung ziehen, Sesshomaru."

Ungläubig starrt Sesshomaru zu ihr hinauf. Sollte es wirklich möglich sein? Ist sie tatsächlich in der Lage nicht nur seinen Tod zu verhindern, sondern auch die infernalischen Beschränkungen, die seinen Kräften auferlegt wurden, zu entfernen? Und das nur auf Kosten seines Körpers und seiner Erinnerungen? Ersteren wird er ihren Aussagen zufolge letztlich zurückerhalten, was schon mal ein weiterer Gewinn wäre. Und hängt er an seinen schmerzlichen Erinnerungen wirklich so sehr? Eigentlich kann sie sie doch wirklich haben, schließlich wollte er diese Gedanken schon immer loswerden.

Aber kann er ihr wirklich trauen? Was wenn sie versucht irgend ein linkes Ding mit ihm abzuziehen? Soll er wirklich seinen Körper hinter sich lassen um seine Mission zu erfüllen? Hat er überhaupt eine Wahl? Ein roter Schleier legt sich bereits auf seine Sinne und das Schwindel- und Taubheitsgefühl nimmt stetig zu. Lange schon ist er dem Tod nicht mehr so nahe gewesen, doch er kann spüren wie er kalt und unausweichlich näher kriecht.

Letztendlich kann es nur eine Entscheidung geben, wenn er sein Ziel überhaupt noch erreichen will. "Also gut", haucht er kraftlos. "Tu es! Doch wehe wenn du mich hintergehst, dann rettet dich nichts mehr vor meiner Rache!"

Das Lächeln in Kagebaras Gesicht wird breit und dann nähert sich die Ranke mit dem Keimling Sesshomarus Brust. Der Atem des Daiyoukai geht schneller bis er fast hyperventiliert. Dann setzt die kleine Pflanze auf seiner Haut auf und nur Sekunden später beginnen sich die winzigen Fädchen in Sesshomarus Haut zu graben und dort zu verwurzeln.

Zunächst spürt der Youkaifürst nichts davon, doch dann mit einem Mal verspürt er einen eigenartigen Druck auf der Brust. Ein leichtes Brennen breitet sich nun in seinem Oberkörper und zunehmend in seinen Gliedmaßen aus und auf einmal fühlt er wie ihm der kalte Schweiß ausbricht. Er schnappt nach Luft, doch seine Lungen gehorchen ihm nicht. Scheinbar versagt ihm die Kontrolle über seinen Körper. Ein dumpfer beunruhigender Trommelschlag pocht ihm in seinen Ohren und er benötigt ein paar Augenblicke bis er begreift, dass dies sein Herzschlag ist der beinahe zum Erliegen gekommen ist. Panik steigt in ihm auf. Er versucht sich zu wehren, sich freizustrampeln, doch keine seiner Gliedmaßen rührt sich. Ein hilfloses Keuchen entfährt ihm.

Da säuselt ihm eine leise, warme Stimme ins Ohr: "Bleib ruhig, Sesshomaru! Wehre dich nicht, dies muss geschehen. Wenn du dich nicht widersetzt, wird es angenehmer."

Sesshomaru Gedanken sind in höchstem Aufruhr. Es ist ein wirklich bizarres Gefühl in höchster Alarmbereitschaft zu sein und weder einen erhöhten Puls noch eine beschleunigte Atmung zu haben. Ist er wirklich bereit all das Vertraute aufzugeben? Doch er kommt zu dem Schluss, dass er nun ohnehin nicht mehr zurück kann. Es kostet ihn eine enorme Überwindung, doch dann gibt er den verzweifelten Widerstand gegen das Unvermeidliche auf. Er spürt wie sein Herzschlag immer langsamer wird und schließlich ganz aussetzt. Seine Lunge tut noch einen letzten Zug und dann entweicht die Luft dem geschundenen Körper ein letztes Mal. So ist es also wenn man stirbt, stellt Sesshomaru fest und dann schließt er die Augen.

Im nächsten Moment fühlt er etwas anderes. Ein unangenehmes Ziehen und Reißen zerrt an seinen Gliedern, als würde sein Körper schmelzen und auseinanderfließen, ohne etwas dagegen tun zu können. Doch nur wenige Augenblicke, dann stellt er fest, dass ihn eine unbändige Kraft einfach ein Stück beiseite zu schubsen scheint, so dass er lang zu Boden fällt.

Für einen Moment weiß er nicht recht wie ihm geschieht, doch dann bemerkt er zu seiner eigenen Überraschung, dass seine sämtlichen Schmerzen verschwunden sind. Behutsam versucht er sich aufzurichten und mit nicht unerheblicher Erleichterung stellt er fest, dass die unerträgliche Last, die ihn bis gerade noch so gnadenlos niedergedrückt hat, verschwunden ist und das Bewegen ihm wieder so einfach wie das Atmen fällt. Nun, wenn er atmen würde. Bei seiner Eigeninspektion kommt er nicht umhin zu bemerken, dass weder seine Brust sich vertraut hebt und senkt, noch aus seinem Körper auch nur das leiseste Geräusch ertönt.

Er blickt an sich herunter und registriert, dass sich seine Kleidung wieder in tadellosem Zustand befindet. Allerdings bemerkt er jetzt auch zwei kleine, hell leuchtende Blättchen, die aus seiner Brust herausragen. Ein eigentümliches Glühen geht von ihnen aus. Unwillkürlich will er danach greifen, doch eine vollmundige Stimme gebietet ihm Einhalt.

"Berühre sie nicht! Sie verbindet deine Seele mit deinem Körper. Wenn du sie beschädigst, wirst du augenblicklich zurück in deinen Körper versetzt, mit allen Konsequenzen die das hat."

Sesshomaru lässt die Hand sinken. Dann wendet er sich um. In ein paar Schritt Entfernung erkennt er nun eine Gestalt mit einem vertrauten Gesicht. Seine Augen weiten sich kaum merklich. Er hatte nicht erwartete, dass sein Körper so ramponiert aussähe. Die gesamte Kleidung ist zerfetzt und der ganze Körper ist mit tiefen Schnitten, Schrammen oder klaffenden Wunden verunstaltet. Wie ein roter gefrorener Wasserfall hängen seine Haare vor seinem Gesicht in dicken, starren Strähnen herab und einige seiner Gliedmaßen beschreiben einige recht unnatürliche Winkel. Gerade beginnen sich zahlreiche Ranken mit sorgfältiger Gründlichkeit um seinen Körper zu winden und ihn letztlich gänzlich zu umschlingen. Von seiner gönnerhaften Vertragspartnerin ist nichts mehr zu sehen.

Während er noch beobachtet, wie der Pflanzenkokon sich nun tiefer in das Gewirr aus Ranken zurückzieht, wird ihm allmählich bewusst wie sehr ihn das extreme zusätzliche Körpergewicht eingeschränkt hatte. Statt kaum einen Finger mehr heben zu können, fühlt er sich so unbeschwert wie schon lange nicht mehr. Was ihm hier bisher verwehrt war, ist ihm nun wieder möglich, und sei es nur aufrecht zu stehen. Sesshomaru reckt den Kopf und ein unwillkürliches Lächeln schiebt sich auf seine Lippen. Der nächste Gegner der sich ihm in den Weg stellt, kann ihm jetzt schon leidtun.

Doch dieser Gedanke verfliegt so schnell wieder wie er gekommen ist, als ihm aufgeht, dass ihm etwas Entscheidendes fehlt. Seine Schwerter. Sie befinden sich nicht an seiner Hüfte wie erwartet und es braucht ein paar verärgerte Augenblicke seinerseits bis ihm langsam dämmert, dass sie sich noch immer an seinem echten Körper befinden, da sie nicht zu seinem Selbstbild gehören und auch ein Abbild von ihnen niemals die ihnen innewohnenden Mächte entfalten können würde.

Für einen Moment spielt er mit dem Gedanken sie sich zurückzuholen, doch er verwirft ihn wieder. Zum einen haben seine Waffen bei den üblichen Gegnern hier ohnehin keine Wirkung und zum anderen ist das Rankenknäul, das seinen Körper bewahrt nicht mehr auszumachen und er hat bereits schon viel zu viel Zeit hier vergeudet um sie jetzt noch auf die Suche nach nutzloser Ausrüstung zu verschwenden.

Mit erhobenem Haupt wendet sich Sesshomaru um und schreitet würdevoll von dannen. Nun ist die Fortbewegung hier für ihn eine Leichtigkeit und er beschließt Gebrauch davon zu machen. Von einem Moment auf den anderen beschleunigt er seine Schritte und stellt befriedigt fest, dass der unüberwindbar scheinende Dornenwald nun praktisch nur noch unter seinen Füßen dahinfliegt, während er dessen kaum noch eine Beachtung schenken muss. Er atmet zufrieden auf. Es ist fast wie früher.

Doch wie er urplötzlich feststellen muss, hat er sich zu früh gefreut, denn von einem Moment auf den andren zuckt ein rasender Schmerz durch seine linke Schulter und die ungebetene Überraschung holt ihn im vollen Lauf von den Beinen. Mit voller Wucht stürzt er in eine Wand aus spitzen Dornen, die ihn boshaft durchbohren.

Aus lauter Gewohnheit stößt Sesshomaru einen Schnaufer aus, doch er ist nicht auf Atem angewiesen. Irritiert sitzt er im Rankengestrüpp und hält sich den linken Arm. Er brennt wie Feuer und seine Schulter schmerzt so sehr, dass ihm die Hand zittert. Zudem kommen noch zahlreiche Verletzungen an den Stellen, wo sich die dicken Dornen in sein Fleisch gebohrt haben. Jedoch stellt er erstaunt fest, dass die Wunden sich praktisch sofort wieder schließen, wenn er die Stacheln herauszieht und auch die Schmerzen verblassen rasch. Jedoch die schmerzende Schulter bleibt und sein linker Arm fühlt sich nun ungewöhnlich taub und gefühllos an.

Argwöhnisch rappelt sich der Daiyoukai wieder auf. Ob dies ein unerwähnter Nebeneffekt des seltsamen Keimlings in seiner Brust ist? Doch niemand ist hier, der ihm darüber Antwort geben kann. Also beschließt er seinen Weg fortzusetzen.

Rasch kommt er wieder auf die vorige Geschwindigkeit und mit Leichtigkeit überwindet er Ranken und Dornengeflechte als wären es Farngräser. Sein Arm ist noch immer taub, doch er beschließt es zu ignorieren. Ungehindert strebt er weiter dem Ende der riesigen Schlucht mit ihrer pflanzlichen Bewohnerin zu.

Doch kaum einige Sekunden vergehen, als ihn urplötzlich eine weitere scheußliche Schmerzattacke trifft und ihn äußerst unsanft zu Boden zwingt. Diesmal fühlt es sich an als würde er mitten entzwei gerissen und obwohl er nicht einmal atmen muss, hat er das Gefühl keine Luft mehr zu kriegen. Hilflos japsend liegt er auf dem Rücken und verkrampft wartet er darauf, dass die paralysierenden Schmerzen verebben. Was zum Teufel geht hier wieder vor? Bis auf die paar vernachlässigbaren Schrammen, die ihm sein jüngster Sturz zugefügt hat, kann er keine Verletzung an sich ausmachen.

Auf einmal kommt ihm ein unbequemer Gedanke. Diese Schmerzen hat er schon einmal verspürt, doch das ist schon eine Weile her. Und beide Male war dabei sein Bruder anwesend. Sesshomarus Miene verfinstert sich. Es ist wie eine Erinnerung die aufflammt und wieder verblasst. Diese verdammte Kagebara! Das also hat sie damit gemeint, als sie sagte, sie würde seine Erinnerungen als Mietzoll nehmen. Seine Erwartung, dass sie ihm die unliebsamen Erinnerungen entziehen wird, so dass er sich nicht länger damit befassen muss, ist also hinfällig.

Sein Blick geht hinab zu dem Keimling in seiner Brust. Die grünen Blätter leuchten friedlich vor sich hin. In einem Anflug von Ärger will er ihn schon herausreißen, doch er besinnt sich. Ohne dieses elende Ding, wird er vermutlich dazu verdammt sein für immer hier zu bleiben, wenn sein geschundener Körper den Geist aufgibt, im Sinne des Wortes. Er braucht dieses Abkommen noch, so sehr es ihn auch wurmt.

So würdevoll wie möglich steht er auf. Was macht schon ein bisschen Schmerz, wenn er dadurch seine Mission erfüllen kann. Schmerz hat ihn noch nie von etwas abgehalten. Ein wenig zerknirscht setzt er sich wieder in Bewegung, wenn diesmal auch lieber etwas langsamer. Er möchte vermeiden durch ein neue unerwartete Schmerzattacke wieder aus vollem Lauf zu Boden gestreckt zu werden. Das schadet mit der Zeit seiner Würde. Zwar macht ihn das wieder erheblich langsamer, doch zumindest nicht so langsam wie das Schneckentempo zuvor. So zügig wie er sich erlaubt, klettert er nun über die Ranken die ihm den Weg versperren, immer dem grade eben sichtbaren Ausgang des Canyons zu.

Die nächste Schmerzwelle lässt nicht lange auf sich warten, doch diesmal ist er zumindest vorbereitet. Das verhindert bedauerlicherweise nicht, dass ihm die Knie einknicken und er sich unter Schmerzen zusammenkrümmt, als diesmal sein ganzer Körper sich anfühlt als hätte man ihn mit etwas sehr schwerem und scharfen eine beträchtliche Weile lang bearbeitet.

Als er sich mühsam wieder aufrichtet ist sein Gesicht äußerst angespannt. „Ich hoffe, du hast deinen Spaß“, richtet er grimmig die Worte an die Ranken um ihn herum. „Aufhalten wirst du mich damit nicht.“

Oh, das liegt auch gar nicht in meiner Absicht“, vernimmt er nun die Antwort, doch die Worte scheinen direkt aus seinem eigenen Kopf zu kommen.

Ärgerlich zieht sich sein Gesicht zu. „Du liest schon wieder meine Gedanken, nicht wahr?“, grollt er verstimmt.

Selbstverständlich“, kommt die Antwort, „Und ich muss sagen, das Leid, dass ich hier in deiner Seele finde, ist noch exquisiter als ich es mir vorgestellt habe.“ Die Worte klingen unangenehm vergnügt.

Dem Daiyoukai liegt bereits ein düsteres „Fahr zur Hölle!“ auf den Lippen, doch er besinnt sich und schweigt lieber.

Nichtsdestotrotz antwortet die Stimme darauf. „Das bin ich bereits und glaube mir, wirklich bereut habe ich es nie. Hier gibt s so viel herrliches Elend an dem man sich laben kann.“

„Antworte gefälligst nicht auf das was ich denke!“, fordert Sesshomaru verärgert. Dann setzt er seinen Weg fort.

Verzeih!“, entschuldigt sich die Stimme die eigentlich viel zu euphorisch für Reue klingt. „Was du sagst und was du denkst macht im Augenblick keinen Unterschied für mich.“

„Geh einfach davon aus, dass ich keinerlei Interesse habe mit dir zu reden“, erwidert Sesshomaru säuerlich.

Das weiß ich doch“, meint die Stimme vergnügt. Dann hört man nur noch ein Kichern, das schließlich verstummt.

Brodelnd beschließt der Youkaifürst seinen Weg fortzusetzen. Wenn er dieses Weibsbild je in die Finger bekommt, wird er Kleinholz aus ihr machen und diesmal hofft er sogar, dass sie seine Gedanken liest.

Deinen Bruder würde ich gerne einmal kennen lernen“, vernimmt er urplötzlich wieder die verhasste Stimme hinter seiner Stirn und er zuckt fast schon ein wenig zusammen dabei. „Kaum ein anderer deiner Gegner hat es je geschafft dich immer wieder dermaßen zuzurichten. Muss ein interessanter Bursche sein. So forsch und ungestüm, nicht so ein steifer Spaßverderber wie du.“

Der Daiyoukai ignoriert es, doch die Stimme lässt nicht locker. „Er hat dir den Arm abgeschnitten, nicht wahr? Und ein anderes Mal hat er dich fast mittendurch geschlitzt. Und dabei wusste er nicht einmal was er da tat.“ Der letzte Satz klingt unverhohlen spöttisch.

Stur klettert Sesshomaru weiter, ohne ihren Worten Beachtung zu schenken.

Und erst damals beim Palast des Ostens“, witzelt die Stimme verächtlich weiter, „da hat er dich nach allen Regeln der Kunst niedergemacht. Im wahrsten Sinne des Wortes.“ Ein Lachen erklingt. „Und dabei ist er nur ein Hanyou!“, das Lachen hallt von allen Seiten seiner Schädeldecke wieder.

„Das Wort 'nur' ist bei meinem Bruder nicht angebracht“, murmelt Sesshomaru eisig während er eine weitere Ranke hinter sich lässt.

Oh!“, kommt die geringschätzige Erwiderung. Das Lachen verstummt. „Eine Laudatio des älteren Bruders. Was sagt man dazu? Was für ein Akt wahrer Größe, die eigene Unzulänglichkeit so bereitwillig einzugestehen“, spottet die Stimme.

Nun wird auch Sesshomarus Stimme gehässig. „Alle denken zunächst über ihn wie du. Selbst ich. Wenn man irgendwann seine Stärke akzeptiert, lebt man wesentlich... entspannter.“

Als wäre es dein Wunsch entspannter zu leben“, gibt die Stimme zynisch zurück ohne auf seine Worte weiter einzugehen. „Du hast von jeher versucht deinen Willen durchzusetzen. Dafür schrecktest du auch vor Gewalt nicht zurück. Und einige Male hast du dabei so kläglich versagt, dass es mir eine wahre Freude ist.“

Auf einmal spürt er etwas an seiner Hand. Er blickt hinab und sieht, dass jemand zärtlich seine Hand in die seine gelegt hat. Unwillkürlich zuckt er vor der jungen Rin zurück die so urplötzlich neben ihm aufgetaucht ist. Unwirsch zieht er seine Hand zurück.

„Untersteh dich!“, fordert er erbost.

Doch die Gestalt Rins blickt nur unschuldig zu ihm hoch. „Also, Sesshomaru-sama“, sagt sie sanft, „von mir geht doch nun wirklich keine Gefahr aus. Das solltest du doch wohl wissen. Warum hast du Angst vor mir?“

Angewidert blickt der Daiyoukai auf sie herab. „Du sollst das lassen!“, zischt er böse.

Doch das Mädchen geht gar nicht darauf ein. „Warum hat Inu Yasha-san dich eigentlich damals so zugerichtet?“, fragt sie unbefangen.

Der Inuyoukai beißt die Zähne zusammen. Er gibt sich alle Mühe die Gedanken daran nicht wieder aufleben zu lassen. Wozu ihr neues Futter geben? „Geht dich nichts an!“, faucht er zurück und geht grimmig weiter.

Rin schlendert neben ihm her. Dann als sei ihr das wie beiläufig eingefallen fragt sie: „Oto-san, wo ist eigentlich mein Bruder?“

Sesshomaru erstarrt. Die Haare in seinem Nacken kräuseln sich unbehaglich zusammen bei der Frage.

Aufgebracht fährt er zu ihr herum, doch sogleich sieht er wie die junge Rin die Hand hebt und mit dem Finger hinter ihn zeigt. „Ach, da ist er ja!“

Sesshomaru läuft es kalt den Rücken herunter als er sich zu der angewiesenen Stelle umdreht. Was jetzt? Eine weitere Todesszene? Unwillkürlich weicht ihm bei der Vorstellung die Farbe aus dem Gesicht.

Dann hebt er doch den Blick und seine Augen weiten sich. Das hat er sicher nicht erwartet. In einiger Entfernung sieht er eine hochaufgerichtete Gestalt auf ihn zukommen. Sie ist von drahtiger Statur und trägt eine zweckdienliche Lederrüstung. Die hellgrauen Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden und ein Stirnband hält die störrischen Fransen aus dem Gesicht. Leuchtend violette Augen funkeln aus dem jugendlichen Gesicht hervor und dann hebt die Gestalt ihre Hand und winkt ihm mit einem freudigen Lächeln im Gesicht zu, während sie weiter auf die beiden zukommt.

Wie zur Salzsäule erstarrt blickt Sesshomaru der erschreckend vertrauten Gestalt entgegen und ist nicht in der Lage auch nur einen Finger zu rühren.

„Tenmaru!“, ertönt es auf einmal freudig neben ihm. Strahlend winkt Rin dem Fremden zu und dann läuft sie los. „Tenmaru, hallo!“

Das Lächeln auf dem Gesicht des Neuankömmlings erhellt sich weiter. „Ah, Rin!“, kommt die erfreute Antwort. Mit einer fröhlichen Miene breitet Tenmaru die Arme aus und das Mädchen wirft sich lachend hinein und wird dann mehrfach ausgelassen herumgeschwungen, ehe er sie auf den Arm nimmt und ein unbeschwertes Lachen ertönt aus seiner Kehle. Begeistert gluckst Rin vor sich hin und liebevoll streichelt der kräftige Youkai über ihre Wange und schenkt ihr ein warmes Lächeln.

Einige Schritt davon entfernt hat Sesshomaru die Szene beobachtete und kein Wort kommt über seine Lippen. Sein Gesicht ist aschfahl und er bringt es nicht fertig den Blick von dem Geschehen abzuwenden. Der Kloß in seiner Kehle lässt sich einfach nicht wegschlucken, sosehr er es auch versucht. Kraftlos steht er da und ein leichtes Zittern bemächtigt sich seiner Unterlippe.

„Du bist wirklich grausam!“, flüstert er kaum hörbar. „Warum zeigst du mir das?“

Sag nicht du hast dir nie vorgestellt wie es vielleicht hätte sein können“, säuselt die Stimme in seinem Kopf versonnen. „Wenn du nicht so unglaublich stolz und dumm gewesen wärst“, fügte sie mit einem süffisanten Nachsatz hinzu.

Nun tritt der junge Mann mit dem Mädchen auf dem Arm an Sesshomaru heran und schenkt ihm ein offenes Lächeln. Keine Spur von Furcht, Hass, Trauer oder Unterwürfigkeit. Nein der Youkai vor ihm scheint die Begegnung mit ihm zu genießen. Und Sesshomaru wird es heiß und kalt bei dieser Vorstellung. Der Knoten in seiner Brust wird immer schmerzhafter.

„Schau mal, Tenmaru“, jubiliert Rin gerade, „Ich hab Vater mitgebracht. Ist er nicht der stärkste und tollste Vater, den man sich vorstellen kann?“

Der grauhaarige Youkai lächelt sanft. „Ja, in der Tat, du hast recht“, bestätigt er und jedes seiner Worte klingt aus tiefstem Herzen aufrichtig.

Sesshomaru schließt die Augen. Er erträgt es nicht länger. Nie zuvor hat er seinen Sohn auf diese Weise lächeln gesehen. Eigentlich hat er ihn überhaupt nicht lächeln gesehen. Und er selbst trägt dafür die Verantwortung. Dennoch besteht gerade kein Zweifel daran, dass dies hier genau so gut auch Realität hätte sein können. In einem anderen Leben. Wenn er sich damals anders entschieden hätte. Wenn er nicht so abgrundtief dumm gewesen wäre, um seinen Stolz vor sein Glück zu setzen. Auf diese Weise so plastisch an seinen Fehler erinnert zu werden ist fast mehr als er ertragen kann.

„Hör sofort auf damit!“, raunt er schwach der Stimme in seinem Inneren zu. „Das genügt.“

Ich fürchte das genügt noch lange nicht“, entgegnet Kagebaras Stimme in ihm.

Urplötzlich verwischt die Szenerie vor seinen Augen und neue Gestalten bilden sich ein Stück entfernt. Es sind zwei und gerade sind sie dabei sich bis aufs Blut zu bekämpfen. Mit diffusen Gefühlen beobachtet der Daiyoukai das Geschehen und sein Unbehagen wächst noch als er erkennt wer da kämpft und wo dies damals stattgefunden hatte. Er selbst kämpft dort mit seinem Sohn und gerade ist er ernsthaft gewillt ihm den Garaus zu machen, was sich jedoch unerwartet schwierig gestaltet.

Angespannt beobachtet er sein jüngeres Ich und nur zu deutlich erkennt er den grimmigen Hass und die irrationale Abscheu in seinem eigenen Gesicht.

„Ich will gar nicht mit Euch kämpfen!“, kommt es drängend von dem Streuner.

„Danach wirst du gar nicht gefragt!“, kommt die unbarmherzige Antwort.

Sesshomaru verfolgt unbehaglich den weiteren Verlauf des Kampfes und wie sein Sohn ihn immer wieder anfleht das Kämpfen einzustellen. Um ihn nicht verletzen zu müssen, wie er jetzt weiß. Der Junge war wirklich außergewöhnlich stark. Selbst im Vollbesitz seiner Kräfte wäre es nicht abzusehen gewesen wie der Kampf ausgegangen wäre, räumt der Youkaifürst nun ein. Doch das war ihm in diesem Moment völlig egal gewesen. Alles was er wollte, war sein Blut sehen. Für eine Demütigung die er nicht verursacht hatte, und die letztlich auch gar keine gewesen war.

Gerade hat der jüngere Sesshomaru Tenmaru zu Boden geschleudert. „Du wirst mich nicht besiegen! Du bist nur ein Streuner, du stehst unendlich weit unter mir! Dein Tod ist beschlossen! Wofür kämpfst du also noch? Für die Ehre? Oder vielleicht für ihn?“ Der verächtliche Blick galt Inu Yasha, erinnert sich Sesshomaru.

„Du stehst nicht mehr in seinem Dienst! Du schuldest ihm nichts!“

„Das mag stimmen!“, gibt Tenmaru entschlossen zurück, „Aber ich tue es trotzdem! Nicht weil ich es muss, sondern weil ich es will!“

Der kämpfende Daiyoukai schnauft hörbar auf. „Das ist so unglaublich lächerlich! Was kann er dir schon bedeuten? Du bist von deinem Schwur befreit, also warum hältst du immer noch zu ihm?“

Mit steinerner Miene schaut Tenmaru ihn an: „Aus dem gleichen Grund, weshalb Ihr mich so hasst!“

Reglos beobachtet Sesshomaru wie sein jüngeres Selbst seinen unehelichen Sohn für diese Antwort schonungslos zur Strecke bringen will. „Ich war ein solcher Narr!“, stellt er bei sich fest. „Es war, weil er zur Familie gehörte. Der einzigen ihm verbliebenen Familie. Deshalb hat er ihn auch nicht auf mein Angebot hin getötet. Er schwor unserer... seiner Familie Treue. Wie hätte er dann Inu Yasha verraten können? Er war doch alles was er noch hatte. Der einzige Verwandte der ihn zumindest ein wenig akzeptiert hat. Der einzige...“ Er bricht ab.

Allmählich nähert sich der Kampf seinem Höhepunkt. „Hast du noch immer nicht genug?“, kommt es tödlich vom jüngeren Sesshomaru.

„Nicht bevor Ihr genug hattet!“, kommt es grimmig von Tenmaru zurück.

„Vorlauter Bengel!“, mit diese Wutausbruch schlitzt der Daiyoukai seinem Sohn gnadenlos die Brust auf und dieser bricht zusammen.

Sesshomaru senkt den Blick. Warum nur hat er sich von dieser kleinen Dreistigkeit nur so aus der Ruhe bringen lassen. Wäre er unverletzt gewesen, wer weiß, vielleicht hätte er dann den Angriff der Miko überlebt.

Er war nicht dreist“, raunt die warme Stimme. „Er war sich nur im Klaren darüber, dass dieser Kampf niemals zu ende sein würde, ehe du nicht deine Wut zur genüge an ihm ausgelassen hättest. Er gab dir einmal mehr die Erlaubnis mit ihm zu verfahren wie und solang es dir beliebte. Und niemals hätte er zugelassen, dass du ihm unterliegst.

Sesshomaru beißt hart die Kiefer aufeinander. „Halt den Mund!“, schreit er. Wie gern würde er diese elende Youkai jetzt mit seinen eigenen Händen erwürgen.

Das Bild verblasst.

Unvermittelt setzt sich Sesshomaru nun wieder in Bewegung. Es ist ihm egal, dass er Vorsicht walten lassen sollte. Er will nur noch weg von hier. Er ist sicher, hätte er einen Pulsschlag würde er gerade laut und heftig rasen. Immer schneller werden seine Schritte und fast schon fliegt er über die Landschaft dahin.

Oh, warum auf einmal so eilig, Sesshomaru?“, gurrt die Stimme in seinem Kopf boshaft. „Gefällt es dir etwa nicht bei mir?“

Nur einen Wimpernschlag später lässt ihn ein heftiger Sturz seine Ungeduld bereuen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht wälzt er sich am Boden und hält sich den Fuß. Da ist es wieder, das scheußliche Brennen, dass ihm Hören und Sehen vergehen lässt und ihm suggeriert, dass sämtliches Fleisch in Flamen von seinen Knochen abtropft.

So einfach lass ich dich nicht weg!“, Kagebaras Stimme hat nun jeglichen Humor verloren. „Du nährst mich so wunderbar! Wie erfreulich, dass du sogar im Flammenfluss gewesen bist. Du würdest dich wundern wie selten ich diese Art von Schmerzen bisher genießen konnte. Die meisten sterben allein schon an der Qual und der Rest verfällt dem Wahnsinn und gelangt nie zu mir. Du bist ein wahrer Glücksgriff. Das Kokorokaji macht es mir noch viel leichter deine Erinnerungen abzurufen.“

Schweißgebadet beißt Sesshomaru die Zähne zusammen. Die Schmerzen sind nahezu unerträglich und auch die Tatsache dies schon vorher erlitten zu haben, macht es in keinster Weise angenehmer. Wieder flackern Bilder vor seinem inneren Auge auf. Es sind die selben Bilder wie beim letzten Mal. Er sieht seinen Sohn. Kurz bevor er geläutert wird. Er hört die aufrichtig wohlwollenden Worte und den Stolz in seiner Stimme als er schließlich wagt ihn Vater zu nennen. Und immer wieder durchlebt er die Gefühle die ihn bei diesem Erlebnis begleitet haben. Die Verachtung und die Erinnerung an die Demütigung seiner Mutter und den Schwur der ihm untersagte ihn anzuerkennen. Und erneut hört er sich die Argumente aufsagen, die ihn in seinem Entschluss bekräftigen. Fast schon verzweifelt sagt er sie innerlich auf. Nur jetzt nicht das Gesicht verlieren. Nicht jetzt! Bis es dann schließlich für immer zu spät ist. Das bodenlose Loch, dass sich dabei unter ihm auftut, wird notdürftig geflickt mit Statuten, Traditionen, Ausreden und Ignoranz, was ihm bisher doch immer so gute Dienste geleistet hat.

Und dann kommt er! Inu Yasha! Er lässt ihm nichts davon durchgehen. Er widerlegt jedes Argument, das er sich zurechtgebastelt hat. Er zerschmettert jeden Schutzwall. Er schreit, er schimpft, er droht, er schickt ihm all seinen Zorn und all seine Verachtung, solange bis ihm bewusst wird, dass es seine eigene ist. Und plötzlich ist da nichts mehr was ihn vor dem Fall in das Loch bewahren kann.

„Kein Vater lässt sein Kind im Stich!“

Doch, genau das hat er getan. Er verabscheut sich selbst so sehr, dass es ihn würgt. Und es gibt nichts mehr was er dagegen tun kann. Sein Sohn, sein unehelicher Sohn von dem er bis vor kurzem noch nicht einmal etwas wusste, das Kind mit Ihr, ist tot!

Sie ist ebenfalls tot. Sie starb weit weg von ihm. Sie hatte ihn verraten, und doch hatte er sie so sehr geliebt. So sehr! Warum konnte er nicht einfach dankbar sein, dass etwas von ihr geblieben war? Etwas das ihr so ähnlich war und so unglaublich... wertvoll und annehmbar in seiner ganzen Art. Warum nur hatte er diesen Schwur geleistet? Warum musste er es schwören? Warum nur?

Ich weiß es“, säuselt es mit triumphaler Genüsslichkeit in seinem Kopf.

Nein! Er will es nicht hören! Mit einem Ruck setzt er sich auf. Seine Augen glühen gefährlich rot.

„Wage es ja nicht!“, grollt er zähnefletschend.

Was soll ich nicht sagen?“, lacht Kagebara verspielt.

„Du weißt ganz genau wovon ich spreche!“, schreit der Daiyoukai wild. „Noch ein Wort von dir und unser Abkommen endet auf der Stelle!“

Urplötzlich schiebt sich aus dem Rankengestrüpp vor ihm eine große Kugel aus dornenbesetzten Trieben und Sesshomaru erkennt in ihr den Kokon der seinen sterblichen Körper beinhaltet.

Aber, aber!“, ermahnt Kagebaras Stimme ihn tadelnd. „Dein Körper ist noch längst nicht wieder hergestellt. Er ist gerade mal eben über den Berg. Ich fürchte du wirst noch eine Weile mitspielen müssen.“

„Das ist kein Spiel für mich!“, entgegnet Sesshomaru mit Grabeskälte. „Kein Tod der Welt kann so grausam sein, wie das was du mit mir anstellst.“

Oh, bitte!“, erwidert Kagebara geringschätzig. „Du solltest dich mal hören! Du bist nur ein kleiner Youkai gemessen an den Kreaturen die mir Zeit meines Lebens schon untergekommen sind. Willst du wirklich das kümmerliche Elend deiner armseligen Existenz schwerer wiegen lassen, als das all der Wesen, denen du bisher schon Leid angetan hast? Wie unglaublich anmaßend von dir!“

„Du hast recht!“, nun liegt auf Sesshomarus Gesicht ein beunruhigendes Lächeln. „Nichts ist anmaßender, egoistischer und hartnäckiger als ein Wesen mit Gefühlen.“

Hast du deshalb geschworen deinen Sohn niemals anzuerkennen und deine Geliebte mit eigenen Händen zu töten“, gibt nun Kagebara genüsslich zurück, „weil du dir nie völlig sicher warst ob deine Gefühle echt waren oder nur von ihrem verlockenden Duft herrührten?“

Ein scharfer Ruck geht durch Sesshomarus Gestalt der ihn sich zusammenkrümmen lässt. Er ballt krampfartig die Fäuste und fletscht die Zähne. Dann mit einer entschlossenen Bewegung geht seine Hand zu seiner Brust.

Was tust du?“, fragt Kagebara alarmiert.

Die Hand des Daiyoukais umschließt die glimmenden Keimblättchen.

Nein, lass das! Du wirst sterben!“, ruft sie aufgebracht.

Grimmig packt er die Blättchen fester.

Nein! Aufhören! Fass sie nicht an!“

Mit einem gequälten Aufschrei und einem kräftigen Ruck reißt er sich die Pflanze aus der Brust, deren inzwischen beträchtliches Wurzelwerk hellgelb leuchtet.

Nein!“, Kagebaras panischer Schrei gellt durch den ganzen Canyon.

Wütend schleudert Sesshomaru die Pflanze auf den Boden vor sich. Und dann geschehen mehrere Dinge gleichzeitig. Die Ranken um ihn herum fangen an wild und unberechenbar umherzuschwingen, Ein wütendes Zischen ist zu hören und im gleichen Moment kommt es Sesshomaru vor als hätte jemand mit einer schweren Keule gegen seinen Brustkorb geschlagen. Die Beine knicken ihm ein und er findet sich auf Knien wieder. Ein weiterer Schlag raubt ihm den Atem und bei dem dritten heftigen Schlag der ihn mit ausgestreckten Händen zu Boden zwingt, realisiert er, dass dies sein Herzschlag ist, der wieder in Gang kommt. Wieder bildet sich ein enormer Druck auf seiner Brust und er ringt heftig um Luft.

Dann plötzlich spürt er erneut ein Reißen in seiner Nabelgegend und mit zunehmender Geschwindigkeit stürzt er auf den dicht umwucherten Rankenkokon zu und verschwindet darin. Dann plötzlich ist alles um ihn dunkel und so still als hätte es nie Geräusche gegeben. Die Stille hält eine gefühlte Ewigkeit an, bis ein unregelmäßiges aber beständiges Pochen ihn aus seiner Taubheit herausholt.

Mühsam hebt er die Lider. Um ihn her ist alles schwarz. Es dauert eine weitere ganze Weile bis ein zunehmender Schmerz in seiner Brust ihn daran erinnert, dass sein Körper auch atmen muss. Er tut einen ersten Zug und sofort strömt muffige warme Luft in seine Lungen, doch für seinen geschundenen Körper ist es eine wahre Wohltat. Nach ein paar weiteren Zügen wird er sich wieder darüber bewusst wo er sich befindet. Gerade stellt er fest wie die ihn umgebenden Ranken sich enger um ihn schnüren. Doch mit zunehmendem Bewusstsein kommt auch die Erinnerung wieder und mit der Erinnerung kommt der Hass und der Selbsterhaltungstrieb.

Wie er sich gewahr wird, hält seine Hand noch immer den Griff seines Schwertes umschlossen und mit einer einzigen wütenden Kraftanstrengung schlitzt er den Pflanzenkokon um ihn herum der Länge nach auf.

Ein wütendes Heulen ist um ihn her zu vernehmen als er schwerfällig auf den harten Boden vor sich purzelt. Zittrig rappelt er sich auf. Das enorme Gewicht seines Körpers ist zurückgekehrt und will ihm kaum gestatten auch nur den Kopf zu heben.

„Du törichter Idiot!“, faucht die Stimme Kagebaras um ihn her und dann wölbt sich die Pflanzendämonin aus einem Pulk aus dornigen Ästen hervor. Sie zittert regelrecht vor Wut. „Du trittst also mein Angebot mit Füßen?“, sie schnaubt verächtlich auf. „Ich hätte dich wirklich für klüger gehalten. Dir sollte klar sein, dass dein Körper kaum Zeit hatte sich zu regenerieren. Du bist nur noch einen Schritt vom Tod entfernt, du dummer Narr! Aber offenbar ziehst du es wirklich vor zu sterben.“

Nun hebt Sesshomaru den Kopf und ein rotes Glühen liegt in seinen Augen. Seine Zähne sind gefletscht und lange Reißzähne schieben sich unter seinen Lippen hervor. Mit einem unbeholfenen Ruck kommt er wieder auf die Füße, doch nun hat er Bakusaiga gefährlich zum Schlag erhoben und die Klinge schimmert beängstigend. Ein unheilverkündenes Grinsen liegt auf Sesshomarus Gesicht als er zischt: „Einen Schritt vom Tod entfernt ist mehr als ich brauche!“ Und dann mit einem Wutschrei der in ein wildes Grollen übergeht, lässt er seine Waffe niedersausen, direkt auf die ihm nächstgelegene Ranke und im selben Moment wo sich die enormen Energien des Schwertes in dem Gestrüpp aus Dornen fortsetzen, ist ein spitzer gepeinigter Schrei im Canyon zu hören, der einem durch Mark und Bein geht.

Doch der gebeutelte Daiyoukai gibt nicht nach. Jeden Augenblick der vergeht, leitet er mit der vernichtenden Energie auch all seinen Hass und seine Verzweiflung in seine Waffe, unbewusst dankbar dafür ein Ventil für all die peinigenden Gefühle zu haben, und kein Ende ist in Sicht.

Die Vernichtung breitet sich immer schneller und weiter in den Ranken aus und nach und nach scheint die gesamte Schlucht in ein grelles, gelbgleißendes Licht getaucht zu sein, aus dem, ausgehend vom Epizentrum der Zerstörung, die zerfetzten Holzsplitter und Äste nur noch wild durch die Gegend fliegen und in den unbändigen Energien Bakusaigas letztendlich zu Staub zermahlen werden. Über all dem gellt ein schauriger, spitzer Schrei der langsam aber zunehmend verklingt und letztlich ganz verstummt.

Das ganze Geschehen dauert kaum drei Minuten, bis sich die Vernichtung bis in die hintersten Winkel des Tals ausgebreitet hat und ein paar weitere lange Augenblicke vergehen bis das Licht verblasst und der Staub sich allmählich wieder lichtet. Im gesamten Canyon herrscht nun Stille. Kein Laut ist zu vernehmen, nicht einmal der Wind weht um die scharfen Kanten der nun freigeräumten Wege des Schluchtenlabyrinthes.

Das einzige Geräusch, das man vernimmt ist das krampfhafte Keuchen einer Person, der stoßweise der Atem entweicht und bei der sich mit jedem Ausatmen ein verzweifeltes Wimmern seinen Weg bahnt.

Sesshomaru liegt auf dem Bauch, den Oberkörper auf die Unterarme gestützt und lässt kraftlos den Kopf hängen. Schwer ringt er um seine Fassung, doch er kann einfach nicht beeinflussen welche Geräusche sich aus seiner Kehle herauswinden, während er nach Luft schnappt. Dies hier ist wahrlich die Hölle, denkt er, daran besteht kein Zweifel mehr. Wo sonst ist es möglich ihn physisch und psychisch dermaßen an seine Grenzen zu bringen? Dies hier ist alles so demütigend untypisch für ihn und trotzdem ist er offensichtlich nicht in der Lage sich seines Standes angemessen zu verhalten. Im Gegenteil, er kommt sich klein, schwach und zerschunden vor. Zwar scheint ein Großteil seiner Verletzungen notdürftig verheilt zu sein, doch noch immer strahlen Wellen der Schmerzen von jedem Bruch, jeder Prellung und jeder Biss- oder Schnittwunde aus, als wollten sie ihm verwehren je wieder aufzustehen.

Doch das ist nichts im Vergleich zu den Qualen die ihm seine Erinnerungen nun bereiten. Er hatte zumindest teilweise wieder vergessen können, was er damals empfunden hatte. Er hatte sich so sehr bemüht, es zu verdrängen. Doch nun sind die Schuldgefühle zurück und die Trauer über den Verlust. Diese elende Kagebara hat alle alten Wunden wieder aufgerissen und darin herumgerührt zu ihrem eigenen köstlichen Vergnügen. Warum musste sie ihn daran erinnern, dass er sich auch hinterher noch regelmäßig fragte, ob das Ganze wirklich diese Gefühle auch wert waren? War es denn wirklich Liebe gewesen? War seine Verbundenheit zu ihr je wirklich echt? Oder waren es doch nur ihre Pheromone? Allein diese Frage war es, die ihn bisher davon abgehalten hatte, diese Reise schon früher anzutreten, denn wie sollte es schließlich weitergehen, wenn es wirklich nur eine lockstoffbedingte Vernarrtheit gewesen war? Niemals wieder könnte er sich von dieser Demütigung erholen. Es würde ihn vernichten.

Doch hier ist er nun. Bereit sich dieser Frage zu stellen. Aber ist er wirklich bereit dazu? Was wenn er ihr hier begegnet, oder Ihm? Wie soll er seinem Sohn je unter die Augen treten können, nach allem was war? Und dennoch ist genau das sein Ziel hier. Sesshomaru schließt matt die Augen. Noch vor kurzem war er sich seiner Sache so sicher. Doch all seine Entschlossenheit, seine Würde und seine Gewissenhaftigkeit mit der er sich zuvor noch dafür gewappnet hatte, ist nun verschwunden und zurück bleibt nur ein Häufchen Elend. Oder?

Es vergeht eine halbe Ewigkeit bis er seinen Atem wieder unter Kontrolle hat und noch einmal so lange bis er es fertigbringt seinen Körper wieder in die Senkrechte zu befördern. Welchen Sinn hat es, jetzt noch aufzugeben? Er wird diesen Weg weitergehen müssen, bis zu seinem bitteren Ende, denn dies ist nun mal sein Weg und sein Ziel und es führt nun mal kein Weg daran vorbei.

Schwerfällig blickt er sich um. Von seiner Gegnerin ist keine Spur mehr zu sehen. Der gesamte Canyon ist wie leergefegt. Wie angenehm, keine weiteren Hindernisse mehr, denkt der Daiyoukai noch flüchtig. Dann setzt er sich wieder in Bewegung und mit mühseligen Schritten torkelt er dem Ausgang der Schlucht entgegen.

Die Lage ist ernst!

Als die kleine Gruppe um Inu Yasha zu der Stelle zurückkehrt an der sie Yarinuyuki bei der Heilerin zurückgelassen haben, ist die Nacht bereits hereingebrochen. Ki-sama hat inzwischen ein behelfsmäßiges Zelt errichtet und gemessen an der Tatsache, dass die Nordfürstin nicht länger am Ufer des schmutzigen Flüsschens liegt, hat sie sie wahrscheinlich bereits in der Notunterkunft untergebracht. Gerade als sie dort ankommen, sitzt die zierliche Youkai vor einem frisch entzündeten Feuer, direkt vor dem Zelt und hantiert konzentriert mit einigen ihrer Habseligkeiten. Etwas köchelt in dem Kessel über dem Feuer und hin und wieder wirft sie etwas hinein.

Als sie sich Inu Yasha und den Anderen gewahr wird, blickt sie auf. Ihre Stirn legt sich in Falten und sie scheint etwas abzuwägen. Dann seufzt sie leicht, erhebt sich von ihrem Platz und kommt auf sie zu. Direkt vor Inu Yasha hält sie an und blickt ihm ernst in die Augen. Man kann sehen wie ihre Kiefer angespannt mahlen.

Doch dann senkt sie den Blick, sinkt hinab auf die Knie und drückt ihre Stirn auf den Boden. Verdattert beäugt Inu Yasha ihr Gebaren, doch noch ehe er dazu kommt eine entsprechende Frage zu stellen, kommt bereits die Erklärung.

„Ich bitte Euch untertänigst um Vergebung, Fürst Inu Yasha!“, kommt es züchtig. Jedoch liegt deutlich Anspannung und auch Unwillen in der Stimme. „Durch die jüngsten Ereignisse habe ich die Etikette zur angemessenen Begrüßung eines Fürsten der anderen Reiche außer Acht gelassen. Wie ich bereits erwähnte, bin ich nicht offiziell bevollmächtigt in Yarinuyukis Namen sprechen zu dürfen, doch ersuche ich Euch Nachsicht walten zu lassen, dass ich Euch nicht den Euch gebührenden Respekt habe zukommen lassen und erbitte Euer Einverständnis, dass Ihr in dieser ungewöhnlichen Situation die Gnade haben mögt, mit meiner bescheidenen Person, was weitere Absprachen anbelangt, Vorlieb zu nehmen.“

Für einen langen Moment herrscht Schweigen über dem Platz. Alle Augen sind nun auf Inu Yasha gerichtet. Lediglich die von Ki-sama sind noch immer dem Boden zugewandt. Und jetzt kommen offenbar auch die beiden Nordyoukai wieder zur Besinnung und langsam, wenn auch zähneknirschend sinken auch sie nun auf die Knie herab.

Inu Yasha wird es ein wenig heiß und kalt dabei und ganz allmählich dämmert ihm, dass er nicht nur der amtierende Fürst des Westens ist, sondern auch die mit Abstand ranghöchste Person die gerade anwesend ist und irgendwie flattert ihm bei dem Gedanken die Magengrube. Wie soll er nun reagieren? Soll er das ganze höfische Getue einfach beiseite lassen, oder soll er das Spiel mitspielen? Beide Möglichkeiten bereiten ihm Unbehagen, aber er erinnert sich nur zu gut, dass es zwischen den einzelnen Clans strikte Reglementierungen darüber gibt, wie sich die Fürsten einander gegenüber zu verhalten haben und auch welche Achtung sie von jeglichen rangniederen Angehörigen der Clans erwarten dürfen. Besonders der Nordclan nimmt es sehr genau damit. Das verkompliziert die ganze Angelegenheit natürlich noch zusätzlich. Innerlich wünscht er sich, er würde sich mit solchen Statuten doch etwas besser auskennen. Wie würde Sesshomaru in dieser Situation reagieren? Ratlos lässt er die Luft entweichen, dann fasst er einen Entschluss.

„Es ist in Ordnung“, sagt er bedächtig. „Solange eure Fürstin nicht ansprechbar ist, bin ich bereit über das Protokoll hinwegzusehen und die nötigen Dinge mit dir zu besprechen. Aber vielleicht, können wir auf die adlige Ausdrucksweise verzichten. Ich denke, dass wir uns verständlicher ausdrücken können, wenn wir so reden wie wir es gewohnt sind.“

Nun hebt die Heilerin den Kopf. „Ich danke Euch für Eure Rücksichtnahme. Ihr habt mein Wort, dass ich sicherstellen werde, dass Euch dadurch nicht der nötige Respekt abhanden kommen wird.“

Dann kommt sie wieder auf die Beine. Für einen kurzen Moment mustert sie Inu Yasha nachdenklich, dann winkt sie ihn hinüber zum Feuer. „Wenn Ihr hier drüben Platz nehmen mögt. Es gibt in der Tat einiges was besprochen werden müsste.“

Bereitwillig folgen Inu Yasha und Kagome ihrem Fingerzeig. Sie stellen jedoch fest, dass die beiden Krieger noch immer mit starrem Blick auf ihren Knien ausharren und kaum einen Finger rühren, auch wenn man Shimogawa ansieht, dass er vor Erschöpfung leicht vor und zurück schwankt.

„Willst du dich nicht erst mal um die beiden Verletzten da kümmern?“, weist Inu Yasha mit dem Daumen hinter sich.

Missmutig schaut Ki-sama zu den beiden Soldaten hinüber. „Die beiden Dummköpfe da drüben können noch ein bisschen warten, bis ich Zeit für sie habe. Es schadet ihnen gar nichts, wenn sie mal ein bisschen ihre Geduld trainieren und nicht immer nur ihre Muskeln.“

Von den beiden Soldaten kommt bei diesen harten Worte keine Reaktion, doch Kagomes Miene spiegelt Mitleid wieder. „Aber die beiden sind doch schwer verletzt. Wir haben doch bestimmt noch so viel Zeit bis die beiden versorgt sind.“

Ein schiefer Blick von Ki-sama geht zu Inu Yasha hinüber und der Hanyou merkt, dass sie offenbar seine Erlaubnis abwartet.

„Sicher doch“, nickt er leicht. „Ich denke wir können jeden Kämpfer gebrauchen der einigermaßen bei Kräften ist.“

„Setzt Euch schon einmal!“, fordert die Heilerin ihn auf. „Es wird nicht lange dauern.“ Mit diesen Worten spaziert sie erhobenen Hauptes an ihm vorbei und geht zu den beiden verletzten Youkai hinüber, während Inu Yasha und Kagome sich bereits ans Feuer setzen. Verstohlen linsen sie zu Ki-sama hinüber die sich wie eine Rachegöttin vor den zwei Soldaten aufgebaut hat und nun ein wahres Wortgewitter über Pflichtvergessenheit, mangelndem Ehrgefühl und nicht vorhandener Leidensfähigkeit über sie herniedergehen lässt. Dabei benutzt sie einige Schimpfwörter die Inu Yasha nie zuvor gehört hat und die Kagome die Schamröte ins Gesicht treiben. Die Heilerin macht keinen Hehl daraus, dass sie die Verfassung ihrer Fürstin zu großen Teilen den beiden vor ihr Knieenden anlastet. Entsprechend geknickt blicken die zwei Krieger auch drein.

Nachdem die Standpauke verhallt ist, fasst Ki-sama zu und greift nach Shimogawas Kiefer. Unsanft dreht sie sein Gesicht hin und her und mustert ihn eingehend. Ein verächtliches Schnaufen entfährt ihr. „Soll das ein Witz sein? Du hast ne Gehirnerschütterung, mehr nicht!“ Die Brandwunden auf seinen Armen scheint sie nicht weiter zu beachten.

„Nadare ist auf mich gefallen als er mich vor der Wucht der letzten Attacke beschützt hat“, nuschelt der junge Youkai kleinlaut.

„Verschwende nicht meine Zeit, du Jammerlappen!“, kommt die harte Erwiderung. Dann wendet sie sich dem Hünen zu, der selbst auf Knien noch größer ist als sie. Missmutig umrundet sie ihn und begutachtete die Brandverletzungen auf seinem Rücken. „Nichts, was einige nasse Umschläge nicht kurieren könnten“, stellt sie kühl fest. „Ich werde dir nachher einen Sud zubereiten. Wenn das alles ist, dann macht euch gefälligst nützlich und haltet Wache falls der Kerl, der das getan hat wieder zurückkommt.“

Mit einem kurzen Nicken springen die beiden auf und nach einem kurzen Blick zwischen sich teilen sie sich auf und beziehen ein Stück entfernt um das improvisierte Lager herum Posten. Gemächlich kehrt Ki-sama nun zum Feuer zurück und nimmt gegenüber von Inu Yasha und Kagome Platz. Sie sieht fast ein bisschen sehr selbstzufrieden aus.

„Von mir aus hättest du sie ruhig behandeln können“, bemerkt Inu Yasha, der mit verschränkten Armen dasitzt.

„Das ist schon in Ordnung“, meint Ki-sama gönnerhaft. „Die Typen sind hart im Nehmen.“

„Aber war es nötig sie so sehr herunterzuputzen?“, wirft Kagome zweifelnd ein. „Sie sind verletzt und haben gerade eine schwere Niederlage hinter sich. Eine kleine Pause tut ihnen doch sicher gut.“

„Junge Frau“, lächelt Ki-sama nun und neigt sich Kagome ein Stück zu. „Diese Kerle kennen nur zwei Verfassungen: Auf den nächsten Kampf aus sein und kurz vorm Abnippeln. Solange sie sich noch auf ihren eigenen zwei Füßen fortbewegen können, gibt es wirklich keinen Grund zur Besorgnis. Die sind ein zäher Haufen, glaub es mir. Und keiner von denen erwartet nach einem verlorenen Kampf eine Sonderbehandlung.“

„Also im Prinzip: Ehrenvoll kämpfen oder sterben! Ist es das?“, hakt Kagome kühl nach.

„So könnte man es ausdrücken, ja“, grinst Ki-sama genüsslich und entblößt dabei nadelspitze Zähne.

„Reizend!“, entgegnet Kagome zynisch. „Bleibt die Frage, was machen wir jetzt, da sie das ja nun so prima hinbekommen haben?“ Der Ärger in ihrer Stimme ist ihr deutlich anzuhören. Doch es zeigt Wirkung. Ki-samas Mundwinkel sinken herab. Ihre Lippen formen sich zu einem dünnen Strich, ihre Nasenlöcher weiten sich und ihre Stirn legt sich in Falten.

„Genau das ist es, was es zu besprechen gilt, weshalb ich diese beiden Idioten so schnell wie möglich abgehandelt habe“, kommt es zähneknirschend von der Heilerin und aus ihren Augen schießen nun kleine Dolche in Kagomes Richtung. Doch sie rührt sich nicht vom Fleck.

Inu Yasha, der die Spannung zwischen den beiden Frauen nun auch bemerkt hat, sieht hier seine Gelegenheit um einzugreifen.

„Das ist ja auch eine wichtige Frage“, wirft er rasch ein. „Was soll nun als Nächstes geschehen? Wir können ja schließlich nicht hierbleiben. Dieser Kerl kann jederzeit zurückkommen.“

„Es wäre mir eine Ehre dazu Eure Vorschläge zu hören, Fürst Inu Yasha!“, kommt es nun giftig von der Heilerin. Dass sie noch immer vor Wut brodelt ist ihr deutlich anzusehen.

Und erneut wird Inu Yasha bewusst, dass man in seiner neuen Position nicht nur Fragen stellen, sondern auch Antworten liefern muss. Gerade wird er von zwei durchdringenden Augenpaaren traktiert und ihm ist deutlich unbehaglich zumute.

Gerade in diesem Moment fliegt ein kurzer Ruf zu ihnen hinüber und verschafft ihm ein wenig Galgenfrist. „Ki-sama!“ Drei Köpfe drehen sich herum. Gerade sehen sie zwischen den Bäumen Kouga auftauchen mit seinem verletzten Begleiter im Schlepptau, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann und bei jeden Schritt bedenklich schwankt.

Verbissen kämpft sich Itakouri die letzten Meter bis zum Lager wo er schließlich, kaum dass er es erreicht hat, ohnmächtig zusammenbricht.

Ki-sama erhebt sich rasch. Trotzig starrt sie Kagome an und zeigt auf den am Boden Liegenden.„Das ist ein Notfall!“ Ihr Blick geht kurz zu Inu Yasha hinüber. „Mit Eurer Erlaubnis?“ Und als der Hanyou nickt, springt sie geschwind an Itakouris Seite.

Während die Heilerin sich dem verletzten Hauptmann widmet, gesellt sich Kouga zu den anderen beiden. Hoch baut er sich vor dem Hanyou auf.

„Eines wollen wir doch mal klarstellen, Köter“, schnappt er verstimmt. „Das war das letzte Mal, dass ich für dich Botengänge gemacht habe. Such deine kleinen Hundefreunde in Zukunft gefälligst selbst zusammen!“

Inu Yashas Miene zieht sich zu. „Ich bin im Grunde auch nicht scharf darauf, dich um Hilfe zu bitten, Kouga, aber wenn du dich hier in der Gegend auskennst, könnte uns das tatsächlich dabei helfen zu überlegen wie wir mit Ihm fertig werden können.“

Kouga verschränkt die Arme. „Ich lege gar keinen gesteigerten Wert darauf mit dem Kerl fertig zu werden. Wir Wölfe werden uns einfach für eine Weile aus der Gegend verziehen bis sich die Sachlage geklärt hat und wenn Gras drüber gewachsen ist, kommen wir wieder her. Im Gegensatz zu euch Hunden halten wir Wölfe nämlich nicht mit solch einer ätzenden Verbissenheit an den Grenzen unserer Gebiete fest. Da wo wir sind, ist unser Revier, so einfach ist das.“

Nun springt Inu Yasha auf und bietet Kouga grimmig die Stirn. „Soll dass heißen du willst uns nicht unterstützen im Kampf gegen dieses Monster?“

Verächtlich blickt Kouga ihn an. „Du sagst es ja selbst: Er ist ein Monster. Warum sollte ich mein Leben und das meiner Leute riskieren, wenn er schon mit euch kurzen Prozess gemacht hat?“

„Ich hab's ja immer gewusst, dass du ein Feigling bist!“, schnaubt Inu Yasha düster.

„Das ist keine Feigheit, das ist Vernunft“, gibt Kouga hitzig zurück. „Etwas wovon eine Töle wie du eben nichts verstehst.“

Ärgerlich packt Inu Yasha Kouga am Kragen. „Das muss ich mir von jemandem, der immer beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten stiften geht, nicht sagen lassen. Du verstehst eben nichts von Verantwortung und Loyalität. Du überlässt lieber die Leute die dir schon zig Mal die Haut gerettet haben ihrem Schicksal. Na, auf so eine Hilfe können wir sowieso verzichten!“

In Kougas Blick glühen kleine Flammen auf: „Sag das noch mal!“

Zum Glück schreitet Kagome jetzt ein. „Hey, beruhigt euch!“, schiebt sie die beiden energisch auseinander. Dann wendet sie sich an ihren Freund: „Inu Yasha, du musst grade reden von Loyalität und Verantwortungsgefühl! Gerade erst vor ein paar Tagen hat dir Sesshomaru angeboten dir all das beizubringen, was du jetzt gut gebrauchen könntest und wie hast du es ihm gedankt?“ Etwas verdattert blickt der Hanyou nun doch drein, aber Kouga kommt kaum dazu seinen Triumph zu genießen denn sofort dreht sich ihm Kagome mit flammenden Blick zu und piekt ihm demonstrativ die Fingerspitze auf die Brust. „Und du! Du würdest uns deine Freunde tatsächlich im Stich lassen, jetzt wo wir alle in Gefahr sind und vor der größten Herausforderung seit langem stehen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das wirklich tun würdest.“

Ein wenig betreten stehen die beiden Männer nun da und vermeiden es eisern sich gegenseitig anzusehen. Kagome atmet vernehmlich durch. „Wenn ihr beide dann aufgehört habt euch aufzuspielen, vielleicht können wir uns dann erst mal zusammensetzen und wenigstens über die Sache sprechen. Kouga?“, ihr Blick ist nun etwas milder. „Es wäre uns wirklich eine große Hilfe, wenn du uns wenigstens mit deinen Kenntnissen über die Gegend zur Seite stehen könntest.“

Der jugendhafte Wolfshäuptling verzieht missmutig das Gesicht. „Na, schön!“, lenkt er schließlich ein. „Zuhören schadet ja nichts.“

Gerade will Kagome erleichtert nicken, doch unwillkürlich hält sie inne. Auf einmal überkommt sie ein ganz eigenartiges Gefühl. Eine Gänsehaut zieht über ihren Arm und sämtliche ihrer Körperhaare stellen sich auf. Urplötzlich hinterlässt jeder Atem von ihr Kondensstreifen und die Umgebungstemperatur sinkt schlagartig um mehrere Grad.

Wachsam sehen sich die Umstehenden an, auch sie haben es bemerkt. Ki-sama hebt erschrocken den Kopf. „Oh, verdammt!“, murmelt sie. Laut schreit sie dann: „Runter! Sofort!“

Reflexartig schmeißen sich nun alle Anwesenden zu Boden. Keine Sekunde zu früh. Es ist als würde sich für einen kurzen Moment eine elektrische Ladung auf der Lichtung aufbauen und nur wenige Augenblicke später löst sich aus dem Notzelt hinter ihnen eine immense, ringförmige Druckwelle und fetzt unmittelbar darauf in alle Richtungen davon, wobei alles was ihr im Weg steht augenblicklich tiefgefroren wird und direkt im Anschluss zu einer glitzernden Frostwolke zerplatzt. Das Feuer geht dabei aus und taucht die Lichtung in fast völlige Dunkelheit.

Gerade noch rechtzeitig haben die Umstehenden Deckung gefunden. Beunruhigt blicken sie nun zum Epizentrum der Zerstörung hinüber, das lediglich vom Mond beschienen wird. Hoch aufgerichtet steht dort Yarinuyuki. Noch immer hängen ihr die Lagen ihres Kimonos vom Oberkörper herab und auf ihrer Brust ist nun deutlich die noch immer stark blutende Wunde in Herzgegend zu sehen. Mit eisblau glühenden Augen und langen, vorgeschobenen Reißzähnen steht sie schwer atmend da und im nächsten Augenblick stößt sie einen solch unmenschlichen Schrei aus, dass einem das Blut gerinnen könnte. Schmerz und Verzweiflung liegt darin und dann macht sie wie von Sinnen auf dem Absatz kehrt und rennt davon so schnell sie ihre Füße tragen.

Für einen kurzen Moment sind die Anwesenden zu schockiert um zu reagieren. Doch dann kommt wieder Leben in sie.

Ki-sama lässt Itakouri zu ihren Füßen liegen und wendet sich an Inu Yasha: „Ihr müsst sie zurückholen. Wenn sie sich in dieser Verfassung zu sehr verausgabt, richtet sie sich womöglich doch noch zu Grunde.“

„Warum gerade ich?“, kommt es verstimmt von Inu Yasha. „Schließlich ist es doch deine Fürstin. Jeder kümmert sich um die Leute seines Clans, ist es nicht so?“

Die Heilerin presst kurz die Lippen aufeinander, dann sagt sie betont höflich: „Für gewöhnlich ist das auch so, mein Fürst. Aber seien wir ehrlich, ich hätte nicht die leiseste Chance sie einzufangen und abgesehen davon, ist es niemandem von unserem Rang gestattet, Hand an unsere Fürstin zu legen, wenn sie es nicht erlaubt hat. Ihr allerdings seid ein Fürst. Euch ist es erlaubt.“

Für einen Moment will Inu Yasha widersprechen. Es erscheint ihm fast etwas so, als solle hier eine unliebsame Aufgabe wieder auf ihn abgewälzt werden. Schließlich gibt es klare Regeln dazu wie Kampfhandlungen zwischen Fürsten ablaufen. Nicht dass er versehentlich einen Krieg auslöst, weil diese Ki-sama zu feige oder zu faul ist.

Doch dann erinnert er sich an die kurze Begebenheit bei dem Hohen Rat damals. Für einen kurzen Moment hatte Yarinuyuki völlig die Beherrschung über sich verloren, und das nur weil Tenmaru dort aufgetaucht war und er den verführerischen Geruch seiner Mutter vererbt bekommen hatte. Auch damals hatten Arashitsume und Sesshomaru eingreifen müssen um sie zu bändigen bis Tenmaru wieder außer Sicht und sie wieder zur Besinnung gekommen war. Scheinbar ist es tatsächlich in Ordnung einen anderen Fürsten von einer großen Dummheit abzuhalten, solange man ihn nicht tatsächlich angreift. Und dass er der einzige ist, dem dies rangtechnisch zusteht, muss man ihm nicht sagen, das spürt er deutlich in jeder Faser seines Körpers.

„Fein!“, seufzt er mürrisch. „Ich fange sie ein. Aber ich garantiere für nichts!“ Bestimmt wendet er sich an seine Freundin: „Kagome, du bleibst hier! Kouga!“, ernst nimmt er den verhassten Wolf in Augenschein. „Pass gut auf sie auf!“ Noch einmal wendet er sich an Ki-sama. „Am besten ihr folgt mir in sicherer Entfernung, ich kann nämlich nicht sagen in was für einer Verfassung sie hinterher sein wird.“ Dann dreht er sich um und setzt sich entschlossen auf die Fährte der Nordfürstin und schon kurz darauf ist er nicht mehr auszumachen.
 

Es ist nicht schwierig Yarinuyukis Fährte zu folgen. Die Daiyoukai hat bei ihrer kopflosen Flucht nicht gerade Rücksicht auf ihre Umgebung genommen. Wie eine weiße Schneise die noch dazu vom Mondlicht beleuchtet wird, zieht sich ihr Weg durch das Unterholz und im vorbeirennen erkennt Inu Yasha dass die Sträucher und Äste und das Moos auf dem sie lief nicht einfach abgebrochen, sondern eher zu Eis gefroren und dann in einer Schneewolke verpufft sind.

Ein wenig unbehaglich ist ihm dabei schon zumute. Die Frage drängt sich auf wie er jemanden aufhalten will, der in seiner Panik alles was er berührt in Raureif verwandelt. Wenn er darüber nachdenkt, kommt ihm die Fürstin des Nordens schon etwas gruselig vor und er ist dankbar, dass der Westen niemals Krieg mit dem Norden angefangen hat.

Zumindest scheint es die Daiyoukai bei ihrer heillosen Flucht nicht übermäßig eilig zu haben. Vielmehr scheint es eine Art zielloses Straucheln zu sein, jetzt wo die erste Energie verraucht ist. Inzwischen kann er sie vor sich sogar schon ausmachen. Doch noch wagt er es nicht, sich ihr zu nähern, nicht solange er keinen Plan hat der ihn davor bewahrt in eine Wolke aus Schnee verwandelt zu werden, kaum dass er sie berührt.

Zu seiner Erleichterung zeichnet sich nun direkt vor ihnen, im düsteren Schwarz der Nacht, ein gewaltiges Bergmassiv mit einer riesigen Steilwand ab. Dieses natürliche Hindernis wird sie eine Weile ausbremsen. Natürlich wäre dieser Felsen üblicherweise keine große Herausforderung für sie, aber vielleicht wird es sie in ihrer jetzigen Verfassung zumindest so lange aufhalten bis er sich etwas ausgedacht hat um sie einzufangen ohne sie zu verletzen.

Tatsächlich werden ihre Schritte nun langsamer. Wirr fliegt ihr Blick umher auf der Suche nach einem Ausweg aus dieser Sackgasse. Und zu seiner Erleichterung bemerkt Inu Yasha nun auch, dass die letzten Pflanzen, die sie berührt hat, zwar mit Raureif überzogen, aber noch immer intakt sind. Das lässt darauf hoffen, dass die ihr innewohnende Kälte ihn vielleicht nicht mehr schädigen wird. Doch er sollte besser kein Risiko eingehen. Noch immer dreht Yarinuyuki sich wie ein gehetztes Tier im Kreis, das einen Ausweg aus seiner misslichen Lage sucht. Er hat jedoch nicht den Eindruck, dass sie viel von dem um sie her mitbekommt.

Und unwillkürlich muss er an Sesshomaru denken, als er vor einigen Tagen zu ihnen ins Dorf gestolpert kam, mehr tot als lebendig, und an die lange Nacht die darauf folgte. Flüchtig berührt er seine Wange, dort wo ihn Sesshomarus Klaue in einem unachtsamen Moment voll erwischt hat. Er weiß noch sehr gut wie hart er kämpfen musste um seinen Bruder auf seinem Lager halten zu können. Der Daiyokai war selbst nach der Rosskur im Fluss noch immer so von Sinnen, dass er mit aller Kraft gegen jegliche Behandlung angekämpft hatte, so dass Kaede-baba ihre liebe Not mit ihm hatte.

Inu Yasha will lieber keine Vermutungen darüber anstellen, welche Alpträume sein Bruder offenkundig durchlitten hat dabei, doch anhand einiger Worte die ihm dabei entwichen waren, hat er eine ungefähre Vorstellung davon, wovon sie gehandelt haben könnten.

Am schlimmsten daran war es jedoch dabei das Gesicht seines Bruders zu sehen, dass so erschütternd von Leid und Verzweiflung geprägt war, dass er schließlich niemand mehr in seine Nähe gelassen hatte, bis dieser sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.

Den gleichen Ausdruck erkennt er nun auf Yarinuyukis Gesicht und es presst ihm unliebsam das Herz zusammen. Flammende Wut keimt in ihm auf. Dieser schwarze Bastard wird seine Rechnung noch bekommen. Er darf einfach nicht zulassen, dass noch irgendjemand auf diese Weise leiden muss.

Behutsam tritt er nun näher auf die Nordfürstin zu, diese scheint ihn nicht mal wahrzunehmen. Ihr Atem geht heftig und sie ringt schwer nach Luft. Langsam bewegt er sich auf sie zu, doch noch immer reagiert sie nicht. Doch das heißt nichts. Wenn er nicht aufpasst, könnte jeder Moment sein letzter sein.

Nun ist er bis auf wenige Schritte an sie herangetreten. Er hört ihr hilflos wimmerndes Schnaufen und stellt fest, dass ihre Augen nicht länger dämonisch leuchten. So steht sie nur erschöpft da. Dann plötzlich geht ein Ruck durch ihren Körper und Inu Yasha zuckt wachsam zusammen, doch dann sieht er wie sie lediglich wie in Zeitlupe nach vorne kippt. Reflexartig tritt Inu Yasha vor, fasst beherzt zu und fängt die ohnmächtige Daiyoukai mit sicheren Armen auf, noch ehe sie den Boden erreicht.

Fast ist Inu Yasha schon etwas erleichtert, dass dieses Unternehmen wesentlich leichter vonstatten gegangen ist, als er es sich in seiner Sorge schon ausgemalt hat. Wenn er da an die Aktion mit Sesshomaru damals im Ostreich zurückdenkt, dann ist er hier wirklich noch glimpflich davongekommen. Als Sesshomaru damals erfuhr, dass Arashitsume, der damalige Fürst des Ostens, für den Tod seiner Frau und seines Sohnes verantwortlich war, gab es für ihn in seiner Trauer kein Halten mehr. Seinen Bruder in seinem wahnsinnigen Lauf als Riesenhund aufzuhalten, hatte sie beide ein Beträchtliches an Gesundheit gekostet. Nur im allerletzten Moment und auch nur mit Kagomes Hilfe hatte er seinen Bruder vor dem größten Fehler seines Lebens bewahren können und er weiß bis heute nicht, wie er das damals überhaupt angestellt hat. Sie beide waren hinterher dem Tod näher als dem Leben gewesen und so ist er wirklich heilfroh, dass die junge Nordfürstin hier lediglich völlig erschöpft in seinen Armen kollabiert ist. Er wird seine Kräfte höchstwahrscheinlich schon bald wieder brauchen.

Umsichtig nimmt Inu Yasha die besinnungslose Daiyoukai auf seine Arme. Sie wiegt weit weniger als vermutet. Kaum zu glauben, was für eine unglaubliche Kraft in diesem schlanken Körper steckt und doch war sie für ihren Feind überhaupt kein ebenbürtiger Gegner.

Abschätzend mustert er sie. Ihr Gesicht ist schweißgetränkt und ihre Brust hebt und senkt sich ungesund schnell während sie nach Atem ringt. Besorgt blickt Inu Yasha sich um. Er ist kein Arzt, aber auch er erkennt, dass es um ihre Verfassung nicht zum Besten steht. Wenn doch nur diese Heilerin hier wäre.

Aufmerksam sieht er sich um. Gerade fängt es wieder an zu regnen und vermutlich ist es besser erst mal einen Unterschlupf zu finden. Er läuft ein Stück an der Felswand entlang und schließlich findet er das was er sucht. Vor ihm, hinter einem Haufen aus Geröll und Steinen, entdeckt er einen tiefen Einschnitt in die Felswand. Die kleine Höhle ist hoch genug um aufrecht darin stehen zu können, bleibt noch die Frage, wie tief sie in den Felsen hineinführt. Letzteres kann ihm erst mal egal sein, denn vorerst braucht er lediglich einen Unterstand wegen des Regens.

Mit wachen Sinnen betritt er die Höhle. Obwohl es stockfinster ist, lassen ihn seine Hanyouaugen genug erkennen, um festzustellen, dass die Höhle noch ein ganzes Stück in den Berg hineingeht, und dass sie höchstwahrscheinlich unbewohnt ist. Zügig späht er einen günstigen Platz in der Nähe des Eingangs aus, legt die Nordfürstin dort behutsam nieder und beginnt mit etwas herumliegendem Holz ein Feuer neben ihr zu entzünden. Dann setzt sich dann in den Eingangsbereich, in der Hoffnung, dass die Anderen ihm wie abgesprochen in gebührendem Abstand folgen und nicht darauf zu warten, dass er irgendwann zu ihnen zurückkommt. Nur ungern möchte er die verletzte Daiyoukai jetzt weiter durch den Regen schleppen, wenn sie hier erst mal sicher sind.

So sitzt er nun still da, lauscht auf den ungleichmäßigen aber kräftigen Herzschlag der Nordfürstin, vernimmt ihren rasselnden Atem und ihr leises Gewimmer und blickt stoisch hinaus in den Regen. Erinnerungen steigen in ihm auf und er wischt sie rasch wieder beiseite. Das hier ist ihm gerade viel zu vertraut mit der Situation von neulich und schon damals hat er sich unangenehm beklommen dabei gefühlt. Wenn dieser Kerl sogar gestandene Daiyoukai mit Leichtigkeit besiegen kann, dann kann er wahrlich von Glück reden aus der Begegnung mit ihm lediglich einige Knochenbrüche und Quetschungen davongetragen zu haben.

Er spürt die Schmerzen noch immer in allen Gliedmaßen und erfahrungsgemäß wird das wohl noch eine ganze Weile so bleiben. Aber er ist erleichtert, dass er nicht durchleben musste was Sie offenkundig gerade durchmacht. Ein kurzer Blick geht hinüber zu Yarinuyuki. Die Daiyoukai liegt mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und atmet flach. Sie muss sehr erschöpft sein und mit Sicherheit hat sie Schmerzen. Doch wenn diese Technik einen auch seine schlimmsten Albträume durchleben lässt, möchte er wirklich nicht in den Genuss davon kommen. Wer weiß, ob die Heilkunst dieser Ki-sama da überhaupt etwas ausrichten kann?

Sein Bruder hat sich irgendwann von selbst wieder gefangen und selbst danach war er noch eine ganze Weile angeschlagen. Er hat zwar nichts gesagt, aber ein Blick in sein blasses Gesicht mit den tiefen Augenringen haben Inu Yasha gereicht. Es ist wirklich eine scheußliche Technik.

Noch einmal lugt Inu Yasha zu Yarinuyuki hinüber und es wurmt ihn einmal mehr, dass er bei solchen Sachen so hilflos ist. Bitte, Kagome, komm bald!
 

- - -
 

Im Palast des Westens senkt sich bereits die Dunkelheit über die zahlreichen Gebäude und Anlagen. Doch noch immer herrscht hier rege Betriebsamkeit auch wenn man stets um Diskretion bemüht ist. Gerade verlassen Kagemori und Takarakanshu den Verwaltungsflügel und setzen das bereits angefangene Gespräch in den besinnlich angelegten Gärten fort.

„Wir können die Konsequenzen nicht völlig ignorieren, die ein solches Vorgehen mit sich bringt“, lässt der Hauptmann des Geheimdienstes sich gerade vernehmen.

„Ich bin mir über die Konsequenzen durchaus im Klaren“, erwidert Kagemori gelassen. „Doch mit ihnen können wir uns immer noch befassen wenn es nötig sein sollte.“

„Glaubt Ihr, er wird es einfach so hinnehmen? Ihr wisst wozu er fähig ist.“

Nun bleibt der Truchsess stehen und blickt seinen Begleiter würdevoll an. „Und wozu ist dieser Hanyou fähig?“, fragt er schlicht.

Takarakanshu verzieht leicht das Gesicht. „Vergesst nicht, Sesshomaru-sama hat ihm die Fürstenwürde übertragen. Er steht im Rang über Euch.“

„Auch dessen bin ich mir bewusst“, erwidert Kagemori ungerührt. „Doch solltet Ihr zu keinem Moment annehmen, dass ich deshalb meine Verantwortung unserem Reich gegenüber außer Acht lassen würde.“

„Ihr solltet trotzdem auf der Hut sein“, gibt Takarakanshu zu bedenken. „Wenn Ihr nun schon hinter seinem Rücken seine Entscheidungen außer Kraft setzt, ist das ein sehr sensibles Unterfangen.“

Streng beäugt der Truchsess seinen Gegenüber. „Bezichtigt Ihr mich des Verrates, Takarakanshu?“

Dieser erwidert jedoch ernst seinen Blick. „Auch ich habe Verantwortung unserem Reich gegenüber“, stellt er ruhig klar. „Meine Aufgabe ist es unser Reich vor allem zu schützen was ihm schaden könnte, besonders vor den Dingen, die nicht unbedingt etwas mit offenen Angriffen zu tun haben.“

Kagemoris Augen werden schmal. „Und Ihr seid der Meinung von meiner Person geht diesbezüglich Gefahr aus?“ Für einen Moment findet ein stilles Ringen zwischen den Blicken der beiden statt. Dann strafft sich Kagemori wieder. „Seid unbesorgt. Meine Sorge liegt grundsätzlich zuerst und vor allem beim Wohlergehen und Fortbestehen unseres Reiches. Und wer immer diesem meinem Ansinnen dabei im Wege steht, hat von mir keinerlei Nachsicht zu erwarten.“ Würdevoll setzt er seinen Weg fort.

Gleich schließt Takarakanshu wieder zu ihm auf und passt sich seinem Schritt an. „Mir ist noch nicht ganz klar inwiefern mich dies beruhigen soll. Ich gehe davon aus, dass Euch sehr wohl bewusst ist, was das im Bezug auf Sesshomaru-samas Bruder zu bedeuten hat.“

Nun wirft ihm Kagemori einen kurzen Seitenblick zu. „Wollt Ihr damit andeuten, dass man die aktuelle Regentschaft des Hanyou als interne Bedrohung für das Reich auslegen könnte?“

„Ich habe die Sorge, dass Ihr dies gegebenenfalls so auslegen könntet“, gibt Takarakanshu unverblümt zurück.

Nun lächelt der Truchsess leicht. „Ihr nehmt nie ein Blatt vor den Mund, Takarakanshu“, sagt er. „Das schätze ich so an Euch. Aufrichtigkeit ist ein Kostbares Gut.“

„Ein Gut, das um so höher geschätzt wird, je weniger es verwendet wird“, kommt es ungerührt zurück.

„Ebenso wie Scharfsinnigkeit“, nun lächelt Kagemori nicht mehr.

Nun fasst ihn Takarakanshu fest am Arm, was ihm einen finsteren Blick des Truchsess einbringt. Doch das beeindruckt ihn nicht sehr. Ernst schaut er den Anderen an. „Sesshomaru-sama hat ihn zum Fürsten erklärt und meine Pflicht ist es nicht nur das Reich sondern auch den Fürsten zu schützen. Treibt also meinetwegen Eure Spielchen mit ihm, aber ich werde nicht zulassen, dass er dabei zu Schaden kommt!“

Unbeeindruckt hält Kagemori seinem Blick stand. „Es ist und war niemals meine Absicht, ihn zu Schaden kommen zu lassen. Sich überstürzt ins Reich des Nordens aufzumachen, war seine eigene Entscheidung. Doch auch ungeachtet solcher unüberlegten Aktionen, bleibt es dennoch unsere Aufgabe, das Reich zu schützen, sollte sein amtierender Fürst nicht mehr wiederkehren. Vielleicht solltet Ihr Euch lieber darüber Gedanken machen, Takarakanshu.“ Damit löst er seinen Arm aus Takarakanshus Griff.

„Ihr habt ihn also bereits aufgegeben“, stellt der Hauptmann des Geheimdienstes fest.

„Sagen wir einfach, ganz gleich ob er lebt oder stirbt, es wird die Arbeit für uns nicht unbedingt einfacher machen.“, erwidert Kagemori kühl.

In diesem Moment bemerken die beiden eine Bewegung ein Stück entfernt. Und nur wenige Momente später hält ein schwer atmender Youkai direkt vor ihnen an und fällt augenblicklich vor ihnen auf die Knie. Abschätzend mustern die beiden den Neuankömmling. Seine Rüstung ist beschädigt und verdreckt und auch sein Haar hängt ihm verschwitzt ins Gesicht während er seinen etwas fehlstelligen Arm umsichtig an sich drückt.

„Shida!“, stellt Takarakanshu überrascht fest. „Ihr seid zurück?“

Noch immer muss der Inuyoukai schwer nach Luft ringen. Schließlich stößt er hervor: „Nur ich, Takarakanshu-sama. Matsuba-sama und die anderen... haben ihr Leben verloren. Ich bin hier... um Bericht zu erstatten!“ Damit verneigt er sich noch einmal, diesmal vor Kagemori.

Zunächst steht der ehrwürdige Youkai nur stumm da. Dann meint er: „Also schön, berichte! Was ist vorgefallen?“

Einen kurzen Moment sammelt sich der Krieger, dann beginnt er. „Wir begleiteten Matsuba-sama bis über die Grenze des Nordreiches. Alles verlief ohne Probleme und wir wurden auch nicht entdeckt. Es dauerte auch nicht lange bis wir den fremden Youkai ausfindig gemacht hatten. Er entdeckte uns rasch und Matsuba-sama versuchte gleich mit ihm in diplomatische Verhandlungen zu treten, doch daran hatte er kein Interesse. Er griff uns an und tötete ohne große Probleme zwei von uns.

Hasshite und ich verhalfen Matsuba-sama zur Flucht, doch der Andere holte uns ein. Er verletzte mich und setzte dann Matsuba-sama nach. Ich konnte nur noch vernehmen wie...“, er kommt ins Stocken.

„Wie?“, fordert Kagemori zum Weiterreden auf.

„Wie er ihn offenbar fraß, Kagemori-sama“, gibt der Krieger verhärmt Auskunft.

Ausdruckslos ruht Kagemoris Blick auf ihm. „Du hast es aber nicht gesehen“, hakt er nach.

Shida zögert einen Moment. Er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. „Nein, Kagemori-sama“, gibt er schließlich zu.

„Das heißt, sein Tod ist nicht bestätigt.“

„Nein, Kagemori-sama“, die Stirn des Kriegers sinkt immer tiefer.

Für einen Moment hängt schweres Schweigen über der Stätte. „Was ist dann geschehen?“, fragt der Truchsess nun erneut.

Shida richtet sich wieder ein Stück auf. „Ich floh. Dieser Fremde hat eine wirklich beängstigende Aura“, fügt er noch hinzu, wie um seine Schande etwas abzumildern. „Dann traf ich auf Inu Yasha-sama. Er befand sich gerade im Gespräch mit der Fürstin des Nordreiches. Sie hatte eine große Armee dabei und gab an ebenfalls auf der Suche nach dem seltsamen Fremden zu sein.“

„Oder sie hatte andere Pläne“, erwidert Kagemori bei sich. „War sie überrascht euch dort vorzufinden?“, richtet er wieder das Wort an Shida.

„Sie schien keine Ahnung von unserer Abordnung zu haben, bis Inu Yasha-sama es erwähnte“, gibt der Krieger Antwort.

Kagemoris Mund wird schmal. „Und weiter, was geschah dann?“

„Der Fremde tauchte dort auf und die Fürstin des Nordens forderte ihn zum Kampf. Doch als sie vermeinte ihn bei einem Regelverstoß zu ertappen, ließ sie ihr gesamtes Heer angreifen.“

„Hat Inu Yasha-sama sich an dem Kampf beteiligt?“, kommt die harsche Rückfrage.

„Nein, Kagemori-sama“, kommt es nun zögernd von Shida. „Er...“

„Nun sprich schon!“, kommt es gereizt von dem würdevollen Inuyoukai.

Shida blickt auf. „Er floh, Herr. Und ich mit ihm.“

Kagemoris Miene zieht sich zu. „Und wo ist er jetzt?“, fragt er schließlich unwirsch.

„Er blieb dort, Kagemori-sama“, gibt Shida Auskunft. „Er wollte noch einmal zurückgehen und den Nordclan unterstützen. Vorher schickte er mich aber hierher zurück mit dem Befehl, dass alle nötigen Vorkehrungen getroffen werden sollen, falls es doch noch zu einem Angriff durch diesen Fremden kommen sollte.“

Kagemori verschränkt gemächlich die Arme. „So, das befiehlt er also.“ Er wendet sich an seinen Begleiter. „Was ist deine Meinung dazu, Takarakanshu?“

Der Hauptmann des Geheimdienstes macht ein ernstes Gesicht. „Ich meine, dass wir einem Befehl des Fürsten Folge leisten sollten.“

„Ich frage nach deiner Meinung, nicht nach dem Offensichtlichen“, erwidert Kagemori.

Nun blickt der Hauptmann ihn direkt an. „Wenn sich das gesamte Heer des Nordens mit diesem Kerl befasst hat, dürfte für unser Reich nur noch eine geringe Gefahr bestehen.“

„Der Meinung bin ich auch“, nickt Kagemori langsam. „Nichtsdestotrotz werden wir die Anweisungen natürlich umsetzen.“ Er blickt auf. „Besetzt die äußeren Posten mit häufig wechselnden Schichten und verlangt einen stündlichen Bericht für den Fall, dass sich etwas an der Grenze tut. Und gebt Chitsurao Bescheid, er soll unsere Krieger in Alarmbereitschaft versetzen. Mehr ist im Augenblick wohl nicht zu tun.“

Dann wendet er sich noch einmal an Shida. „Du darfst jetzt gehen und deine Verletzungen versorgen lassen.“

Ein wenig unschlüssig blickt Shida drein. Noch immer hält er auf Knien vor dem Truchsess aus.

Kagemori zieht leicht die Stirn kraus. „Gibt es noch etwas?“

Shida beißt sich ein wenig auf die Lippen. „Inu Yasha-sama gab mir noch eine Botschaft für Euch persönlich mit.“

„So“, kommt es trocken, „Und wie lautet diese Botschaft?“

„Er lässt Euch ausrichten, dass er auf jeden Fall zurückkommen wird, und dass... Ihr es Euch auf Eurem Thron nicht zu bequem machen sollt. Er hätte noch ein Wort mit Euch zu reden.“ Bei den Worten ist der Krieger immer mehr in sich zusammengesunken.

Die Miene des ehrwürdigen Youkai zeigt keine Regung. Dann sagt er: „Du darfst jetzt gehen!“

Das lässt sich der Krieger nicht zweimal sagen und in Kürze ist er aus ihrem Sichtfeld verschwunden.

Nun wendet sich Kagemori an Takarakanshu. „Seht Ihr? Dies ist womit wir es nun zu tun haben. Eine Ungebührlichkeit jagt die nächste. Ich will dem Knaben ja nicht absprechen aus lauteren Motiven zu handeln, jedoch fehlt ihm offenbar noch immer jegliche Reife und Erfahrung, die ihn ermächtigen würde den ihm auferlegten Posten angemessen auszufüllen.“

„Zumindest ist er bemüht Verantwortung zu übernehmen“, gibt Takarakanshu zu bedenken.

Ernst wendet Kagemori sich ihm zu. „Ihr wisst selber, dass dies nicht genügt. Er ist launisch, ungebildet und dreist. Hinzu kommen Unzuverlässigkeit und eklatante Fehleinschätzungen der Situation. Ich kreide es ihm nicht an, denn schließlich weiß er es nicht besser. Doch ich muss es noch einmal erwähnen, dass ich Sesshomarus-samas Entscheidung ihm die zwingend benötigte Ausbildung freizustellen, besonders unter diesen Umständen nicht gutheißen kann.“

„Es ist nun wie es ist“, entgegnet Takarakanshu. „Es ist nicht zu ändern und wir müssen einen Weg finden diesen Umständen Rechnung zu tragen.“

„Das werden wir, seid dessen gewiss!“, damit wendet sich Kagemori wieder zum Gehen.

„Zumindest bis Sesshomaru-sama wieder zurückkehrt“, kommt die bedächtige Erwiderung.

„Takarakanshu“, bemerkt Kagemori während er gemächlich den Weg durch den Garten entlang schreitet. „Ich denke wir sind uns wohl darüber einig, dass wir Sesshomaru-sama vermutlich nicht mehr wiedersehen werden.“

Brennender Hass

Das kleine Bergdorf liegt friedlich eingebettet zwischen zwei höheren Gebirgszügen und die einfachen Holzhütten formen ein überschaubares Zentrum in dem bunten Gewirr aus Wegen, dem kleinen Fluss und den Gemüse- und Reisfeldern die die umgebende Landschaft dominieren. Die Dämmerung senkt sich hernieder und noch immer geht der Regen unnachgiebig auf die Gegend herab, weshalb kaum jemand von den Bewohnern draußen zu sehen ist. Lediglich ein älterer Mann hat sich einen wetterfesten Umhang übergeworfen und sitzt mit einem Kasa geschützt am Flussufer um seine Angel ins Wasser zu halten. Dabei lässt er immer mal wieder den Blick über das Land streifen.

Auf einmal sieht er wie sich aus der Ferne durch den Regen jemand nähert. Zunächst ist durch die schlechte Sicht, die der Regen bietet, kaum etwas auszumachen. Doch je näher die betreffenden Personen kommen, um so besser sind sie zu erkennen.

Es sind ein Mann und eine Frau. Der Mann ist groß und kräftig und seine ganze Erscheinung wirkt düster. Seine Haare sind pechschwarz und sogar seine Augen erscheinen auf diese Entfernung wie glimmende Kohlestücke. Die Frau, die züchtig ein Stück hinter ihm schreitet, ist das direkte Gegenteil von ihm. Sie ist klein, zierlich und fast völlig in weiß gekleidet. Sogar ihre Haare und Haut haben einen fast unnatürlich hellen Teint.

Der fremde Mann scheint verletzt zu sein, denn er torkelt des öfteren und presst sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand auf den Leib. Womöglich ist er ein Überlebender irgendeines Regimentes. Gerade erst soll ja ein größeres Heer in Richtung Süden aufgebrochen sein. Zum Glück liegt dieses Dörfchen so abgelegen, dass nur sehr selten die Rekrutierer hier auftauchen und ihre jungen Leute mit sich fort führen.

Der alte Mann setzt sich auf und blickt den beiden Neuankömmlingen entgegen. „He da!“, ruft er. „Seid gegrüßt! Benötigt ihr ärztliche Hilfe? Wir haben einen kundigen Mönch im Dorf.“

Nun kommt Bewegung in den fremden Mann. Seine Schritte beschleunigen sich und nur wenige Augenblicke später könnte man meinen, er vermöge zu fliegen. Die Augen des Alten weiten sich erschrocken. Youkai! Das ist das Letzte was ihm durch den Kopf geht. Schon hat der Fremde ihn erreicht. Seine Augen haben aus der Nähe tatsächlich eine tiefschwarze Farbe in denen es unheilvoll rot funkelt. Sein Mund ist zu einer unnatürlichen, schaurigen Fratze mit zahlreichen, nadelspitzen Zähnen verzerrt. Und noch ehe der Alte einen Ton von sich geben kann, graben sich messerscharfe Reißzähne gnadenlos in seinen Hals und bringen ihn für immer zum Verstummen.
 

Die Nacht ist sich bereits über das Dorf hereingebrochen, doch es kehrt keine Dunkelheit in der Talsenke ein. Dies liegt daran, dass die wenigen Hütten der Siedlung gerade in einem enormen Feuer verglühen dessen Flammen hoch in den Himmel hinauf schlagen.

Überall liegen zerfetzte und verkohlte Leichen von Menschen und Tieren herum und bis auf die beiden Personen in der Mitte des Infernos ist keine Seele mehr am Leben.

Schwer auf alle Viere gestützt, kauert Katsuken auf dem Boden. Die Haarbüschel, die ihm wild ins Gesicht hängen, sind von Schweiß durchtränkt und aus seinen Mundwinkel läuft bitterer Geifer. Hin und wieder durchläuft seinen Körper ein unschönes Zittern und Würgen und sein Gesicht ist eine einzige Fratze des Zorns.

Neben ihm steht seine Begleiterin und hat ihm nachdrücklich die Hände auf den Rücken gelegt. Sie scheint von seiner Gemütsverfassung nur mäßig beeindruckt zu sein.

Ein tödliches Grollen entfährt ihm. „Ich bring diesen Kerl um! Ich werde ihn so dermaßen fertig machen! Wenn ich ihn in die Finger bekomme, reiße ich ihn in winzig kleine Fetzen, das schwöre ich!“ Wütend bäumt er sich auf dabei.

„Ihr müsst still halten, Nushi!“, gibt die junge Frau zu bedenken. „Ich kann Euch nicht helfen, wenn Ihr so zappelt!“

Ein grimmiger Blick fliegt zu ihr herum. „Deine lächerlichen Fähigkeiten können diese Wunde nicht heilen, du armselige Stümperin!“, knurrt er wütend und stößt sie unbarmherzig aus dem Weg, so dass sie ein Stück entfernt zu Boden fällt. Doch dessen ungeachtet schüttelt sie sich kurz, steht wieder auf und kommt erneut auf ihn zu.

„Das ist mir klar, Nushi“, nickt sie. „Doch ich vermag zumindest Euch Linderung zu verschaffen.“

Linderung!“, er stößt das Wort mit voller Abscheu aus. „Ich brauche keine Linderung, ich brauche Energie. Und die bekomme ich nicht, wenn ich sie nicht verdauen kann!“ Wütend steht er auf und wischt sich Staub und Ruß von seiner Kleidung. Wieder läuft ein leichter Schauer über seinen Körper, doch er versucht es nicht zu beachten.

Grimmig blickt er um sich und mustert geringschätzig die toten Körper die seinem jüngsten Wutanfall zum Opfer gefallen sind. Seine Stirn legt sich in tiefe Falten und seine Kiefer mahlen. „Dieser elendige, abscheuliche, kleine Wicht!“, knirscht er. „Warum musste dieser Halbmensch ausgerechnet meinen Magen beschädigen? Nicht mal mehr dieses minderwertige Fleisch hält mein Körper aus!“ Ein ganzer Schwall lautstarker Flüche ergießt sich über seinen jüngsten Gegner und im selben Moment löst sich ein Ring aus weißglühendem Feuer von seinem Körper und driftet in alle Richtungen davon. Nur wenige Augenblicke später trifft der Flammenring auf die umstehenden Gebäude auf und mit einem mächtigen Knall explodieren sämtliche Hütten des Dorfes und gehen schicksalsergeben in lodernde Flammen auf.

Schwer atmend steht Katsuken da. Sein Gesicht hat animalische Züge bekommen und seine Lefzen sind gebleckt.

„Sprecht Ihr von einem Hanyou?“, erlaubt sich nun die junge Frau die Frage zu stellen. Bedächtig ist sie näher getreten. „Ein Hanyou hat Euch so zugerichtet?“

Sogleich ruckt sein Gesicht herum und mit zwei großen Schritten ist er bei ihr. Blitzschnell packt seine Faust ihre Kehle und zieht sie unbarmherzig näher. Wütend funkeln seine tiefschwarzen Augen sie an. „Diese widerlichen Kreaturen werden nach der Seite die sie stärkt benannt?“, kommt es gefährlich.

Sie nickt eilig, sofern dies möglich ist. „Die Menschen geben ihnen diese Bezeichnung“, quetscht sie gurgelnd hervor. „Für gewöhnlich sind sie nicht sehr stark.“

Ein grimmiger Zug fliegt über sein Gesicht und wütend drückt er einmal kräftig zu und bricht ihr das Genick, dann stößt er sie zu Boden. Jedoch schon einige Momente später richten sich ihre Nackenwirbel wieder mit einem schauerlichen Knirschen und sie hebt den Kopf wieder gerade soweit um eine demütige Verneigung anzudeuten, jedoch sagt sie nichts weiter.

Zähneknirschend wendet er sich von ihr ab. „Dieser... Hanyou war nicht wirklich stark. Doch das Schwert, das er führte, trägt die Technik meines Vaters.“ Er ballt die Faust. „Er hat behauptet sein Sohn zu sein, doch das ist nicht möglich! So tief würde selbst Er nicht sinken!“ Spitze Reißzähne schieben sich unter seinen Lippen hervor. „Und auch diese unverfrorene Dreistigkeit werde ich ihn büßen lassen! Niemand beschmutzt ungestraft das Ansehen des Einzigen, der mir ebenbürtig war.“

„Was gedenkt Ihr jetzt zu tun, Nushi?“, kommt erneut die emotionslose Frage hinter ihm.

Langsam dreht er sich zu seiner Begleiterin um. „Das werde ich dich schon zu gegebener Zeit wissen lassen, Hinosei!“, entgegnet er verächtlich. „Richte nicht immer ungefragt das Wort an mich!“

„Verzeiht, Nushi!“, senkt sie ergeben den Blick. Ihr Tonfall ist höflich, zeugt aber nicht unbedingt von Reue. „Ich dachte nur, wenn ihr diese Menschen hier nicht fressen könnt, wie wollt Ihr sonst Energie zurückgewinnen?“

Ärgerlich zieht er die Luft ein. Ungehalten baut er sich vor ihr auf. „Willst du noch mal sterben, Hinosei?“, kommt es wild. „Spar dir gefälligst die zynischen Bemerkungen, sonst zermahle ich dich und führe dich in einer Kalebasse mit mir!“

Trotzig hebt sie den Kopf. „Versucht es nur, Nushi!“, entgegnet sie ungerührt. „Doch zum Einen vermögt Ihr es momentan ja nicht einmal Eure wahre Gestalt anzunehmen, noch würde Euch dies irgendwie weiterführen in dem Bestreben Eure Energie zurückzugewinnen.“

Nun schieben sich lange Klauen aus seinen Fingern und diese krallenbewehrte Hand schließt sich bedrohlich um ihren Kopf. Beunruhigend tief dringen die Spitzen in ihre Kopfhaut ein. Seine Zähne sind wütend gefletscht. „Aber mit Sicherheit fühle ich mich hinterher besser, du kleine Bazille!“ Blutrot funkeln seine Augen sie an. „Es ist weder nötig noch gewünscht, dass du mich auf meine Unpässlichkeiten hinweist. Wenn ich erst einen Weg gefunden habe, den gestohlenen Teil meiner Selbst an seinen angestammten Platz zurückzubringen, wird die Verwandlung in mein wahres Ich keinerlei Probleme mehr darstellen.“

Sie blickt zwischen seinen Krallen von unten hoch. „Und bis dahin?“

Ein wildes Knurren entfährt ihm und dann schleudert er sie mitten hinein in die Trümmer des brennenden Hauses, dass ihm am nächsten steht. „Sei nicht immer so verdammt frech, du dämlicher Molch!“, schreit er wütend.

Zunächst passiert nichts, doch einige Momente später erhebt sich eine hellhäutige Person aus den Flammen und klettert geruhsam über die lodernden Balken ins Freie. Hoch aufgerichtet steht sie da. Ihr Körper ist unversehrt, lediglich ihr Kimono hat an einigen Stellen erhebliche Brandlöcher bekommen. „Salamander“, korrigiert sie erneut, jedoch nicht überheblich, sondern fast als würde sie es freundlich jemandem erklären der offensichtlich ein wenig begriffsstutzig ist.

Nun tritt sie wieder an ihn heran. Noch immer steht ihm echter Ärger ins Gesicht geschrieben. Ungeniert begegnet sie seinem Blick und hält ihm stand. „Es gibt vielleicht eine Möglichkeit Euch die Energie dieser Menschen zu verschaffen, ohne dass Ihr sie fressen müsst“, sagt sie frei heraus.

Für einen kurzen Moment huscht Skepsis über sein Gesicht, dann sagt er: „Was scheren mich diese wertlosen Körper? Ich will die Youkaikrieger die ich tötete!“ Ganz dicht kommt er an ihr Gesicht heran. „Und ich will sie alle, verstanden?“

Für einen kurzen Moment erwidert sie seinen Blick, dann schlägt sie die Augen nieder. „Natürlich, Nushi, betrachtet Euren Wunsch als bereits erfüllt!“ Sie verneigt sich züchtig. „Wenn Ihr geruhen wollt eine Weile hier zu rasten, werde ich mich sogleich auf den Weg machen um Eurem Ansinnen Folge zu leisten.“

Er überlegt einen langen Moment, dann richtet er sich hoch auf. „Ich bin einverstanden. Ich gebe dir einen Tag! Danach ist meine Geduld mit dir am Ende. Dann wird es mir ein Vergnügen sein, dir streifenweise, das Fleisch von deinen Knochen zu schälen. Und jetzt verschwinde gefälligst!“

Sie verneigt sich noch einmal und wendet sich dann zum Gehen. Sie tut ein paar Schritte dann stößt sie sich grazil vom Boden ab und mit einigen schlängelnden Bewegungen hebt sie sich weiter durch die Luft davon und ist schon bald nicht mehr zu sehen.

Katsuken rümpft die Nase. Dieses ungezogene, kleine Luder! Wenn sie nicht ab und zu ganz nützlich, und nebenbei nicht so lästig schwer zu töten wäre, hätte er schon längst kurzen Prozess mit ihr gemacht. Zumindest ist sie gewillt von Nutzen zu sein. So lange das der Fall ist, wird es wohl möglich sein, sie noch eine Weile zu ertragen.

Mürrisch wendet er sich ab und sieht sich aufmerksam um. Ein ganzes Stück entfernt von den anderen Häusern steht noch ein Gebäude dort zwischen die Felsen gebaut, dass von der Feuersbrunst bisher verschont geblieben ist. Dort sollte es vorerst erträglich sein, die Zeit bis zu ihrer Rückkehr zu verweilen. Mit festen Schritten steuert er auf das Haus zu.

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür und ein betagter Mönch tritt hinaus. Er wirkt etwas fülliger um die Körpermitte, aber sein Schritt ist fest. Seine buschigen Augenbrauen sind ernst zusammengezogen und entschlossen nimmt er den Neuankömmling in Augenschein. Nachdrücklich streckt er seinen Mönchsstab vor sich um dem Fremdling Einhalt zu gebieten.

„Keinen Schritt weiter, Dämon!“, befiehlt er autoritär. „Deine Macht endet hier!“

Für einen kurzen Moment hält Katsuken inne und mustert den Alten, dann geht er weiter. Nur noch wenige Schritte trennt ihn von dem heiligen Mann. Dieser zückt nun rasch einige Bannzettel und murmelt halblaut einige Beschwörungsformeln. Dann schickt er sie energisch auf die Reise.

Kurz blitzen Katsukens Augen auf und und direkt vor seinem Gesicht verpuffen die Zettel in einer kleinen Stichflamme. Erschrocken weicht der alte Mönch einen Schritt zurück. Es dauert nur wenige Momente bis Katsuken die letzten Stufen zu ihm überwunden hat. Unbarmherzig hebt er seine Klaue und noch im Vorbeigehen zerteilt er den Mann in zwei Hälften. „Ich hab keine Zeit für so etwas“, murmelt er ohne den Toten eines Blickes zu würdigen. Nun hat er die Tür der Hütte erreicht. Ein Stück daneben steht ein Schrein, der aussieht als würde er regelmäßig gepflegt werden. Zu etwas anderem sind diese Kerle wohl offensichtlich nicht gut. Der Widerstand der ihm von diesem Priester entgegengebracht wurde, ist kaum erwähnenswert. Selbst Mönche sind wohl auch nicht mehr das was sie mal waren.

Nicht ohne eine gewisse Abscheu betritt er sein neues Domizil. Der Innenraum ist doch recht groß. Es gibt eine Feuerstelle in der Mitte wo gerade ein munteres Herdfeuer flackert und verschiedene Schlafstellen. In der hinteren Ecke scheint der Arbeitsbereich des Mönches zu sein. Dort hängen jede Menge getrocknete Kräuter von der Decke und mehrere Säcke mit Reis und Krüge voll Sake stehen dicht gedrängt neben einem Schemel und einer Werkbank. Scheinbar war der Mönch tatsächlich als Heiler tätig. Er schnaubt verächtlich auf. Solche Medizin ist im Moment von keinerlei Nutzen für ihn. Was er benötigt, ist von anderer Art und vielleicht weiß diese Salamanderfrau ja doch was sie tut. Er kann diesem dreisten kleinen Lurch nur ja raten sich nicht all zu viel Zeit zu lassen. Im Grunde ist jede Verzögerung eine Zumutung und gerade im Augenblick kommt er praktisch um vor Hunger.

Wieder verspürt er das verwirrend widerliche Gefühl von der Stelle an der etwas sein sollte und nicht da ist. Es ist wie ein permanentes Ziehen und Frösteln und er spürt immer mehr seiner Energie dadurch herausrinnen und im Nichts verschwinden. Wieder schwankt er einen Moment. Schwerfällig lässt er sich auf einen Schemel plumpsen und schließt für eine kurze Weile erschöpft die Augen. Diesem Hanyou wird er den Kopf nach hinten schrauben, wenn er ihm wieder begegnet, soviel steht schon mal fest, aber nicht bevor er ihn nicht bei lebendigem Leibe gehäutet hat. Langsam! Wie konnte er es nur wagen, ihn so zu verletzen? Jetzt muss er sich schon dazu herablassen unter einem menschlichen Dach zu lagern.

Er hat noch nie verstanden, was an diesen Wesen so interessant sein soll. Sie sind schwach, wankelmütig und einfach nur erbärmlich. Und alles was er über sie bisher herausgefunden hat, ist dass er ihnen bei weitem in allem überlegen ist.

Kurz blitzen Bilder vor seinem inneren Auge auf, Bilder aus längst vergangenen Tagen. Und nur für einen kurzen Moment gestattet er sich, ihnen nachzugeben.
 

Grün! Die Welt ist grün, und braun und gelb und wenn die Sonne durch das Blätterdach des Waldes fällt, malt sie noch eine Vielzahl mehr an Farben auf den kühlen Waldboden. Die frische Luft mit der Note aus Moos und vergilbten Laub streicht um seine Nase und ihre Düfte muten viel interessanter an, als das wohin er gerade genötigt wird zu gehen.

Bloße Füße schmiegen sich in den Morast der vom Regen der letzten Nacht herrührt und geben beim Laufen ein schmatzendes Geräusch und ein amüsantes Gefühl von sich.

Er bleibt stehen und wirft einen langen aufregenden Blick in die Runde. Hier ist er noch nie gewesen. All diese Eindrücke sind so neu und so faszinierend und er wünscht, er könnte hier länger verweilen.

Doch schon hört er jemanden seinen Namen rufen und sogleich versteift er sich. „Komm weiter!“, ist die ruhige Aufforderung, jedoch gebietet es die Autorität der Stimme ihr augenblicklich Folge zu leisten.

Heute steht wieder eine Lehrstunde auf dem Plan. Es gibt also keine Zeit zum Lustwandeln. Stattdessen suchen sie wieder ein Dorf dieser unterentwickelten Kreaturen auf. Er hat noch nie begreifen können, was er von ihnen lernen sollte. Ihre Kampffähigkeiten und ihr Wissen über die Magie sind kaum erwähnenswert. Was also soll er hier?

Gerade haben sie auf einem leicht erhöhten Berghang Stellung bezogen und blicken hinab. „Was machen wir hier?“, erlaubt er sich die Frage zu stellen.

„Wir beobachten sie!“, kommt die schlichte Antwort.

Innerlich sackt er etwas zusammen. Das verspricht wieder langweilig zu werden. Nichts empfindet er als öder als diese Menschen bei ihrem bedeutungslosen, eintönigen Tagewerk zu beobachten. Seine Faust wringt sich um den Stamm einer jungen Esche und schält ihr dabei problemlos die Rinde vom Stamm. Doch Widerrede wird nicht geduldet.

„Und was beobachten wir?“, die Frage kommt ein wenig trotziger als im ersten Moment beabsichtigt. Sogleich wird sie mit einem strengen Blick quittiert.

„Wir beobachten, wie sie miteinander umgehen. Wie sie sich umeinander kümmern.“, erhält er Antwort.

Er zieht eine leichte Schippe. „Wozu?“

„Um zu lernen, was sie so stark macht“, ertönt es bestimmt.

Ein spöttisches Glucksen entfährt ihm. „Stark?“, kommt es nun offen verächtlich. „Diese Wesen sind doch nicht stark. Ich könnte sie alle in wenigen Augenblicken töten.“

Nun ruht ein ernster Blick auf ihn. „Vielleicht könntest du das. Aber möglicherweise könntest du auch eine Überraschung erleben.“

Verächtlich schnaubt er aus. „Wohl kaum! Ich bin ihnen in allem überlegen. Es ist nur natürlich, dass ich sie dominieren würde.“

Wieder trifft ihn ein eindringlicher Blick. „Jedoch besitzen sie eine Sache von der du noch nichts verstehst.“

Verstimmt blickt er auf: „Und welche soll das sein?“

„Um das herauszufinden, bist du hier!“, kommt die Antwort. „Wenn du sie eine Weile beobachtest, wirst du es sicher bald feststellen.“

Mürrisch verschränkt er die Arme. „Ich wüsste nicht wozu mir irgendetwas nütze wäre was von diesen Menschen kommt.“

Zunächst herrscht Stille auf diese Frage doch dann kommt die bedächtige Antwort: „Weil man nur dadurch zu wirklicher Stärke gelangst.“

Für einen kurzen Moment flackert so etwas wie Interesse in seinen Augen auf. „Und wie gelange ich zu wirklicher Stärke?“, hakt er nach.

Nun wenden sich ihm zwei ernste Augen zu. „Wenn du jemanden hast, den du beschützen möchtest, weil er dir viel bedeutet“, vernimmt er die Antwort.

Nun erstarrt seine Miene für einen Augenblick. Dann ziehen sich seine Brauen zusammen und er schürzt leicht die Lippen. Mehr Unmut wagt er über diese Antwort nicht zu äußern. Vergrämt wendet er sich wieder dem Menschendorf zu. Als ob so etwas Lächerliches jemanden stärker macht. Für dieses Gewürm da unten reicht seine Kraft alle Mal aus, ganz gleich wie sehr sie sich gegenseitig beschützen, und er rechnet nicht damit, dass ihn irgendetwas je vom Gegenteil überzeugen kann. Doch wer kann das schon sagen?

„Ich werde diese Menschen weiter studieren!“, gibt er bekannt. „Es mag vielleicht doch ganz aufschlussreich sein.“

„Das ist eine vernünftige Einstellung“, kommt die anerkennende Antwort. „Seinen Horizont stets zu erweitern ist ein lobenswerter Charakterzug. Ich bin stolz auf dich, Sesshomaru!“

Mit diesen Worten entfernen sich die Schritte von ihm und verschwinden nach kurzer Zeit ganz.

„Das werdet Ihr, Chichi-ue!“, murmelt er leise und wachsame Augen verfolgen nun jeden Handschlag der sich dort unten im Dorf tut.
 

In diesem Moment holt ihn ein Geräusch zurück in die Gegenwart. Er setzt sich auf und blickt sich um, doch zu sehen ist niemand. Das kurze Poltern kam aus der Ecke, in der die Arzneiutensilien stehen. Rasch zieht er die Luft ein und seine Augen werden schmal. Ein messerdünnes Lächeln legt sich auf sein Gesicht.

„Komm hervor!“, fordert er laut. „Ich weiß, dass da da bist.“ Es klingt fast etwas verspielt. Doch es kommt keine Reaktion. „Muss ich erst nachhelfen?“, fragt er noch mal, doch diesmal etwas strenger.

Zunächst geschieht nichts. Doch dann lugt vorsichtig ein kleiner Kopf hinter einem der Säcke hervor und blickt zitternd zu ihm herüber. Katsuken legt den Kopf leicht schief. „Was haben wir denn da?“, meint er leicht amüsiert. „Ich dachte schon es ist eine Ratte.“ Er wippt mit dem Finger. „Komm heraus, du!“

Noch immer scheint die Person zu zögern, doch dann schiebt sich langsam ein kleiner Junge hinter dem großen Reissack hervor. Er ist kaum älter als vier Jahre und trägt einen einfachen Yukata. Seine Füße sind bloß. Sein Gesicht und sein Gewand sind schwarz von Ruß und durch den Schmutz, der offenbar von dem Feuer im Dorf herrührt, laufen unter den Augen einige helle Linien hinab. Zitternd vor Angst gibt er sich zu erkennen, die Hände hinter dem Rücken verborgen.

Gelassen hat sich Katsuken auf dem Schemel aufgesetzt. „Was soll ich sagen, es ist ja doch eine kleine Ratte!“, bemerkt er mit einem ironischen Schmunzeln. „Ein kleines, wehrloses Ungeziefer.“

Der Junge steht noch immer wie erstarrt auf der Stelle, doch sein Gesicht wird selbst unter dem Ruß blass.

Abschätzend schürzt Katsuken die Lippen. Dann schmunzelt er wieder gehässig. „Weißt du was ich bin?“

Wieder kommt lange keine Reaktion von dem verängstigten Kind.

Unwillig zieht sich nun seine Miene zu. „Antworte besser wenn du etwas gefragt wirst“, kommt es ruhig aber streng. „Weißt du was ich bin?“

Ein paar bange Herzschläge vergehen doch dann nickt der Kleine rasch.

Katsukens Mundwinkel heben sich. „Und was bin ich? Na, sag schon!“

„Ein Dämon!“, haucht der Junge kaum hörbar.

„Sehr richtig!“, Katsukens Miene hellt sich wieder auf. „Siehst du, so schwer war das doch gar nicht. Und jetzt noch eine Frage: Was glaubst du sollte ich mit einem wie dir jetzt machen?“

Schreckensblass starrt der Junge ihn einfach nur an.

Der Daiyoukai mustert ihn einen Moment eingehend, dann fragt er: „Wie ist dein Name, kleine Ratte?“

Dem Jungen schlagen vor Angst die Zähne aufeinander.

„Dein Name!“, wiederholt Katsuken langsam, aber allmählich macht sich doch Unmut in ihm breit. Diese kleine Kröte ist einfach nur nutzlos.

„Taro...“, piepst der Kleine ängstlich.

Der Daiyoukai atmet kurz durch. „Nun, Taro, ich vermute mal, dass ich dich nicht sofort entdeckt habe, liegt wohl daran, dass der Mönch dir irgendwas zugesteckt hat, nicht wahr?“

Nun doch ein wenig mutiger nickt der Junge erneut.

„Dachte ich es mir doch“, stellt er fest. „Was könnte es wohl gewesen sein? Magst du es mir vielleicht mal zeigen?“

Am liebsten möchte der Junge den Kopf schütteln, doch er wagt es nicht. Stattdessen holt er zaghaft eine goldene, sonnenförmige Insignie hinter seinem Rücken hervor und streckt sie ihm zögernd hin.

Katsuken lächelt. „Siehst du, es geht doch.“ Nun blickt er den Jungen direkt an. „Du weißt doch, dass Dämonen die Macht haben heilige Reliquien zu zerstören, oder?“

Taro erwidert nun tapfer den Blick. „Furugi-sama sagte, das können sie nicht, weil die heiligen Amulette Dämonen vertreiben.“

„Oh, ein paar können es schon“, erwidert Katsuken. Nun senkt er die Stimme als würde er ein Geheimnis verraten. „Weißt du, die ganz mächtigen Dämonen können so ein Amulett ohne weiteres einfach schmelzen lassen.“

Nun bekommt der Junge große Augen, aber das ängstliche Zittern hat aufgehört. „Bist du so ein ganz mächtiger Dämon?“, fragt er neugierig zurück.

Leicht neigt der Daiyoukai sich ihm zu. „Oh ja!“, beteuert er. „Ich bin sogar der mächtigste Dämon den es gibt.“

„Und wie heißt du?“, fragt er Junge nun unschuldig weiter.

Katsukens Miene zieht sich nun leicht zu. Wieder mustert er den Knaben einen langen Moment dann winkt er ihn zu sich. Zögernd kommt Taro näher. Der Daiyoukai senkt die Lautstärke. „Also schön, ich verrate es dir. Aber du erzählst es niemandem, klar?“ Taro nickt eifrig. „In Wirklichkeit heiße ich Sesshomaru, aber man kennt mich als Katsuken.“ Mit großen Augen sieht der Knabe ihn an.

Nun schiebt sich eine Kralle aus Katsukens Zeigefinger und dann langt er einmal behäbig vor sich, fängt mit der Klauenspitze Taros Gewand ein und zieht ihn langsam aber unaufhaltsam daran dichter zu sich hin. „So“, sagt er gelassen, „und jetzt hätte ich gerne, dass du mir mal das heilige Amulett da gibst!“

Die Furcht kehrt wieder in Taros Augen zurück.

„Keine Bange!“, fügt der Daiyoukai hinzu. „Ich will dir nur mal etwas Lustiges zeigen.“

Doch ein wenig beklommen streckt Taro nun unsicher die Hand mit der Insignie aus und legt das Objekt in Katsukens ausgestreckte Hand. Sogleich beginnt aus der Hand feiner Rauch aufzusteigen und es riecht nach Ruß und nach Schwefel. Erstaunt verfolgt der Junge was geschieht.

„Siehst du!“, meint Katsuken. „Das passiert, wenn ein schwacher Youkai so ein Amulett in Händen hält, wohingegen...“, er lässt mit einem kurzen Impuls seine Aura aufflammen und der Rauch verpufft schlagartig, „wenn ein mächtiger Youkai dieses Amulett hält, so schadet es ihm herzlich wenig.“ Er lässt seine Aura mehrfach aufwallen und abklingen und beobachtet dabei belustigt wie der Junge darüber staunt, dass die Rauchfahne immer wieder erscheint und verschwindet.

Letztlich schließt er die Faust um das Amulett und setzt sich würdevoll auf. „Und nun zeige ich dir, was geschieht wenn jemand wie ich dieses Amulett in die Finger bekommt.“ Noch einmal wallt seine Aura auf und eine blendend helle Feuerflamme hüllt urplötzlich seine Faust ein. Dann nach wenigen Augenblicken erlischt sie wieder und demonstrativ öffnet er die Faust und schüttelt sie lässig aus. Von dem heiligen Gegenstand ist nichts mehr zu sehen.

Verblüfft starrt Taro auf die leere Hand, als könne er nicht begreifen wie das passiert ist.

„Siehst du?“, schmunzelt Katsuken.

„Wie hast du das gemacht?“, fragt Taro.

„Ich habe sie geschmolzen“, gibt der Daiyoukai Antwort.

„Einfach so?“

„Einfach so!“

„Und...“, kommt es nun zögernd, „willst du auch mich schmelzen?“

Skeptisch mustert er den Kleinen. Dann sagt er: „Nein.“

„Und wirst du mich fressen?“, kommt noch einmal die Frage.

Wieder wird Katsukens Mund ein dünner Strich. „Nein“, bekundet er erneut.

„Aber das machen Dämonen doch sonst so“, kommt die arglose Erwiderung.

Katsukens Miene wird kühl. „Ja, das machen Dämonen sonst so“, bestätigt er.

„Aber du nicht?“

„Nein!“

„Warum nicht?“

Nun neigt der Daiyoukai sich wieder zu ihm herunter und starrt ihn durchdringend an. „Wäre es dir lieber ich würde dich fressen?“

Vehementes Kopfschütteln ist die Folge.

„Dann sei dankbar und stell nicht so viele dumme Fragen!“

Verschreckt duckt sich der Kleine unter den ärgerlichen Worten.

Mit zusammengekniffenen Augen nimmt Katzuken den Knaben in Augenschein. „Wohnst du hier, oder bist du aus dem Dorf hierher geflohen?“, stellt er schließlich die Frage.

Taro hebt wieder den Kopf aber er schnieft jetzt ein wenig. „Ich wohne im Dorf.“

Ein genüssliches Lächeln zieht über Katsukens Lippen. „Du dachtest wohl, der alte Mönch beschützt dich, was?

Wieder nickt der Kleine. Das Schniefen wird lauter.

„Du solltest ihm vermutlich dankbar sein“, bemerkt Katsuken ungerührt. „Immerhin hat er sein Leben gegeben um dich zu schützen.“

Tränen treten nun in Taros Augen und er wischt sich die Nase an seinem Yukata-Kragen ab.

„Und jetzt hast du wohl niemanden mehr, hmmm? Keine Mama, keinen Papa. Du bist ganz alleine hier, nur mit mir.“ In seinen Augen liegt nun ein unheimliches Funkeln.

Nun ist es um Taros Fassung geschehen. Der kleine Junge bricht in lautes Schluchzen aus und dicke Tränen laufen ihm über die Wangen. Doch zu Katsukens aufrichtiger Überraschung streckt der Kleine nun die Ärmchen aus und schlingt sie um seinen Hals. Aufgelöst klammert er sich an den Daiyoukai und lässt seinen Tränen freien Lauf. Verdutzt lässt Katsuken ihn gewähren und sein Körper versteift sich unwillkürlich dabei. Noch immer quält sich ein hilfloses Wimmern aus der Kehle des kleinen Jungens und schwer hängt er ihm am Hals. Langsam entspannen sich Katsukens Gesichtszüge wieder. Seine Hand legt sich auf Taros Kopf und behutsam tätschelt er sein Haar.

„Du ahnungslose kleine Seele“, murmelt er. „Du schenkst deine Trauer dem Falschen.“

Noch immer rinnen Kindertränen in sein Gewand und scheinbar kuschelt der Kleine sich nun trostsuchend an ihn.

Schließlich hebt Katsuken wieder die Stimme. „Mäßige dich wieder, kleine Ratte! Bereite nicht all denen Schande, die dich jetzt nur noch aus dem Jenseits zu trösten vermögen.“ Demonstrativ löst er die Arme des Kleinen von seinem Hals und stellt ihn auf Armeslänge vor sich hin. Schniefend guckt der Junge ihn an.

„Hast du schon vergessen, dass ich ein Dämon bin, und was ich zu tun vermag?“ Streng blickt er den Kleinen an. Doch der erwidert seinen Blick nur mit arglos aufgerissenen Augen.

„Aber du bist doch nett“, meint er treuherzig.

Ungläubig weiten sich Katsukens Augen? „Nett?“ In seinem Mund klingt es wie ein Schimpfwort.

Taro nickt ein wenig befangen.

Mit harter Miene blickt Katsuken auf den Knaben herunter. „Ich bin nicht nett, naiver kleiner Rattenjunge!“, stellt er kühl klar. Dann atmet er einmal ruhig durch. Nun zeigt er mit einer Klaue hinaus durch die Tür auf die Leiche des Mönchs. „Glaubst du der Priester war nett?“

Taro folgt seinem Blick doch dann schaut er wieder den Daiyoukai an. Wieder nickt er. „Furugi-sama, hat uns immer was zu Essen gegeben und er hat mit uns gespielt“, erklärt er.

Verächtlich schnaubt Katsuken auf. „Du verwechselst Umsicht mit Zuneigung, aber was will man auch erwarten, du bist bloß ein dummes, kleines Menschenkind!“ Wieder neigt er sich ihm zu. „Glaubst du, der Priester hatte dich gern?“

Wieder zögert Taro kurz. „Ich glaub schon.“

Nun schließen sich Katsukens schlanke Finger sachte um Taros Kinn und die scharfen Krallen ruhen leicht aufgesetzt auf seiner Haut. Direkt blickt er ihm in die Augen. „Und du meinst, darum hat er versucht dich zu beschützen?“

Wieder nickt der kleine Junge, was im Griff des Daiyoukai ein wenig schwierig ist.

Doch nun verschwindet das Lächeln in Katsukens Gesicht und kühle Berechnung tritt an seine Stelle. „Nun, das hat dann ja wohl nicht so ganz geklappt!“, sagt er geringschätzig und im selben Augenblick, geht ein kurzer Ruck durch den Körper des Jungen. Seine Augen fliegen auf und dann verlässt sie jegliches Leben. Aus seinem Mundwinkel rinnt ein kleiner Blutfluss und sein Körper erschlafft, nur noch gehalten von dem Griff des Daiyoukais dessen schwarze Klauen nun aus dem Hinterkopf des Knaben herausragen.

Zynisch blickt Katsuken auf das leblose Gesicht des Kindes. „Tss, von wegen 'wahre Stärke'!“, murmelte er verächtlich dann lässt er den kleinen Leichnam von seinen ausgefahrenen Klauen gleiten und wischt das Blut an dessen Gewand ab.

Missmutig erhebt er sich. Es ist doch immer wieder das Selbe. Die Behauptung, man würde stärker werden, ja, sogar über sich hinaus wachsen, wenn man jemanden zum Beschützen hat, entbehrt jeglicher Grundlage. Keiner ist ihm bisher gewachsen gewesen. Keiner!

Niemand hat dieses Kind beschützen können. Vermutlich wäre er ohne Schutz und Hilfe sowieso in Bälde verhungert oder getötet worden. Im Grunde ist er noch viel zu gnädig mit diesem nutzlosen kleinen Geschöpf. Der Stärkere überlebt, so ist der Lauf der Natur. Und wer überlebt, wird eines Tages herrschen und das wird Er sein!

Wenigstens ist dieses lästige Amulett nun vernichtet und immerhin verliert er keine weitere Energie mehr. Er verzieht das Gesicht. Diese Verletzung macht ihn empfindlich angreifbar. Die heilige Magie entzieht ihm seine Essenz doch das Problem ist glücklicherweise jetzt erledigt. Jetzt muss nur noch seine kleine Dienerin zurückkommen und ihm die versprochene Nahrung mitbringen. Und wenn sie damit fertig ist, kann sie noch die Unterkunft herrichten und den Unrat entsorgen. Wenn er schon bereit ist, sich hier niederzulassen, möchte er es zumindest auch annehmlich haben.

Abfällig schielt er hinüber zu einer der Bettstellen. Nach diesen letzten Strapazen hätte er nichts gegen ein kleines Nickerchen einzuwenden, doch die Vorstellung nicht in seiner wahren Gestalt schlafen zu können, ruft in ihm regelrecht Abscheu hervor. Und dabei geht es weniger um Bequemlichkeit, als mehr um die Tatsache, dass er es sich im Moment nicht aussuchen kann. Er knirscht ärgerlich mit den Zähnen.

Unwillig geht er zu einer der Schlafstätten hinüber. Ein Schauer des Ekels zieht über seinen Rücken. Dies ist also wie Menschen schlafen. Kritisch beäugt er die schlichte Matratze mit dem Deckbett. Von Luxus ist diese Einrichtung weit entfernt. Skeptisch lässt er sich darauf nieder und streckt sich schließlich lang aus, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Mit finsterer Miene starrt er zur Zimmerdecke die durch regelmäßigem Feuergebrauch schon ganz schwarz ist von Ruß und nach verbranntem Fleisch, Gemüse und Kräutern riecht.

Wie konnte das alles nur passieren? Vor seinem inneren Auge sieht er die Gesichter zweier Personen. Sie sind sich nicht unähnlich und sie riechen auch beinah gleich. Der Eine hat mit seinem vermaledeiten Schwert sein Energiegefüge beschädigt, so dass er die dringend benötigte Energie nur noch schwer absorbieren kann und der Andere, dieser Bastard, hat nun mit der gestohlenen Technik seines Schwertes dafür gesorgt, dass er noch nicht einmal mehr Nahrung aufnehmen kann.

Und zu allem Überfluss verhindert der fehlende Teil sogar, dass er sich in seine wahre Gestalt verwandeln kann. Es funktioniert einfach nicht wenn nicht alles von ihm beieinander ist. Je mehr er über diesen Umstand nachsinnt um so mehr brodelt die grimmige Wut in ihm. Gerade verspürt er einen solch brennenden Hass in sich auf diese beiden armseligen Emporkömmlinge die es fertiggebracht haben ihn derartig auszubremsen, dass er nicht einmal weiß was er mit ihnen anstellen wird, wenn er sie je zu fassen kriegen sollte. Er weiß nur es wird schmerzhaft werden, und es wird lange dauern, und er wird jede Sekunde aus vollem Herzen genießen.

Mit diesen Gedanken driftet er schließlich doch noch in einen leichten Schlaf hinüber.

Kriegsrat

Noch immer sitzt Inu Yasha am Eingang der kleinen Höhle und starrt hinaus in die Dunkelheit. Innerlich wird er jedoch von Minute zu Minute unruhiger. Wo bleiben die Anderen denn nur? Vielleicht hätte er doch zurückzugehen sollen. Auch wenn er kein Arzt ist, spürt er doch, dass es mit Der Nordfürstin nicht gerade zum Besten steht. Ob die Heilerin ihn irgendwie missverstanden hat?

Doch zu seinem Glück ist seine Sorge unbegründet. Gerade als er sich dazu entschließen will, doch lieber den Weg zurück zu riskieren, sieht er nun durch den nassen Vorhang hindurch mehrere Personen auftauchen. Es sind tatsächlich Kagome und die Anderen. Itakouri wird von dem Youkai Nadare über der Schulter getragen und Kagome sitzt auf Kougas Rücken, die Heilerin und der andere Youkai gehen zu Fuß. Jetzt haben sie Inu Yasha entdeckt und deutliche Erleichterung ist auf Kagomes Gesicht zu lesen. Rasch sitzt sie ab und läuft auf ihren Freund zu.

„Ich wusste, dass du es schaffst!“, strahlt sie. „Als wir gar keinen Kampflärm von euch mitbekommen haben, habe ich Ki-sama gleich gesagt, dass du bestimmt Erfolg hattest. Sie hat mir nicht geglaubt“, ein schiefer, triumphierender Blick geht zu der Heilerin hinüber, die sich jedoch nicht weiter um sie schert sondern gleich ihrer Fürstin zur Seite eilt. „Aber ich habe Recht behalten.“

Mit gemischten Gefühlen blickt Inu Yasha seine Freundin an. Immer wenn sie so heraus posaunt was für eine hohe Meinung sie von ihm hat, wird ihm ganz blümerant zumute. Sanft ergreift er ihre Hand. „Kagome“, setzt er an, „es bedeutet mir wirklich viel, dass du so an mich glaubst. Deshalb würde ich gerne...“

„Bild dir mal nicht zu sehr was darauf ein!“, platzt Kouga dazwischen und hängt überschwänglich seine Arme um Inu Yashas und Kagomes Nacken. „Wer Kagome ja immer wieder aus der Patsche holen muss, bin schließlich ich.“

Inu Yashas Körper wird steif wie ein Brett und seine Zähne malen so laut, dass es knirscht. „Na warte, duuu!“ Sofort geht das Gerangel los. Und Kagome seufzt entnervt.

Währenddessen hat Nadare den bewusstlosen Itakouri an einer geschützten Stelle in der Höhle abgelegt und sich dann wieder hinaus in den Regen gestellt. Unter dem kühlen, herabprasselnden Nass entspannt er sich sichtlich. Shimogawa legt inzwischen das mitgebrachte Gepäck neben dem Feuer ab und setzt sich daneben während Ki-sama vollends damit beschäftigt ist sich um ihre Fürstin zu kümmern. Das Gezanke im vorderen Teil der Höhle beachtet sie gar nicht weiter.

Ein wenig deprimiert gesellt sich Kagome nun zu Shimogawa ans Feuer. „Warum müssen sich die beiden ständig zanken?“, seufzt sie betrübt. „Als ob es nichts Wichtigeres im Moment gibt.“

Shimogawa schaut auf. „Hm?“, macht er irritiert. „Ach, du meinst den Streit da vorne?“, als hätte er ihn gerade erst bemerkt. „Mach dir mal nichts draus. So was ist normal. Bei uns im Clan gibt es ständig irgendwelche Reibereien. Eine ordentliche Klopperei ist da an der Tagesordnung. Wie sonst soll man die Rangordnung festlegen?“ Unschuldig blick er sie an.

„Könnte man nicht einfach miteinander reden?“, fragt Kagome ein wenig unglücklich zurück. „Muss es denn immer in Gewalt ausarten?“

„Muss es natürlich nicht“, meint Shimogawa gedehnt, „aber wenn eine Uneinigkeit nie völlig geklärt wurde, ist das für alle kein Spaß, glaub mir.“

Verständnislos blickt Kagome ihn an.

„Nimm nur mal Itakori zum Beispiel“, er deutet auf den verletzten Youkai ein Stück entfernt. „Vor ein paar Jahren ist er von Samushi besiegt worden. Itakouri ist unser oberster Heerführer und Samushi war zu dem Zeitpunkt nur ein Streuner und trotzdem hat er ihn in einem fairen Zweikampf besiegt.“

Kagome hebt überrascht den Kopf. „Ich erinnere mich an Samushi. Er wurde später wieder in den Clan aufgenommen, ist es nicht so?“

„Durchaus“, nickt Shimogawa. „Zusammen mit meinem Großonkel Kegawa. Und sie haben Samushi auch wieder seinen ehemaligen Rang angeboten. Er hätte Heerführer werden können wie früher. Er war schon damals legendär. Aber er wollte nicht. Es hat ihm offenbar völlig gereicht Befehlsempfänger zu sein.“

„Aber dann ist doch alles klar“, meint Kagome, „Wenn er mit seiner Stellung zufrieden war, dann ist doch alles gut, oder nicht?“

„Eben nicht“, schüttelt Shimogawa den Kopf. „Samushi hat Itakouri unterworfen und alle wissen das. Es ist nicht rechtens, dass Itakouri weiter Heerführer ist, obwohl er von einem Niederrangigeren besiegt wurde. Auch wenn Samushi sich meistens an seine Anweisungen hält, er muss es nicht. Und auch wenn wir Itakouri vorbehaltlos zu gehorchen haben, er hat verloren. Das macht ihn schwach. Und uns bleibt der Zweifel, ob wir ihn nicht auch besiegen könnten. Das macht uns schwach. Und schwach zu sein....“, hier kommt er ins Stocken, „schwach zu sein, bedeutet Niederlage.“ Er lässt den Kopf hängen und wirre Fransen verdecken nun sein Gesicht.

„Willst du damit sagen, dass Itakouri schuld ist, dass ihr verloren habt?“ Inu Yasha und Kouga haben aufgehört zu rangeln und sind nun hinzu getreten. Ernst blickt der Hanyou dem Nordkrieger an.

Grimmig guckt Shimogawa auf. „Er hätte Samushi schon längst herausfordern müssen. Er hätte versuchen müssen ihn endlich zu bezwingen. Alle haben das erwartet. Doch er hat es nie getan. Er ist ein Feigling und seiner Stellung nicht würdig. Er ist immer den leichten Weg gegangen. Er war viel zu sehr darauf erpicht seine Stellung zu behalten. Alles andere war ihm egal.“

„Das nimmst du auf der Stelle zurück!“ Hoch hat sich nun Kouga vor ihm aufgebaut und finster schaut er auf den Nordkrieger hinab.

„Was geht das dich an, O-kami?“, gibt Shimogawa bissig zurück.

„Wenn du es so viel besser weißt, warum hast du dann nie Samushi herausgefordert?“, grimmig starrt er den Inuyoukai an.

„Ich bin doch nicht verrückt!“, schnaubt Shimogawa. „Samushi ist viel zu stark. Ich hätte niemals gewonnen.“

„Dachte ich es mir doch“, brummt Kouga, „Große Klappe aber nichts dahinter. Nur zu deiner Information. Egal wie mutig, oder stolz oder entschlossen jemand ist, es wird immer jemanden geben, der einfach besser ist. Manchmal verliert man einfach. Und manchmal...“, er zögert kurz und beißt die Zähne zusammen. „Und manchmal verliert man einfach alles. Ich kenne eure dummen Bräuche nicht, Inu, aber ich glaube, dass kaum jemand so treu eurem Clan und eurer Fürstin gegenüber ist wie dieser Itakouri. Und jetzt halt besser die Klappe, ehe ich sie dir mit meiner Faust stopfe.“ Grimmiger Ärger liegt in der Miene des Wolfdämons und Inu Yasha und Kagome bekommen ein eigenartiges Gefühl wenn sie ihn so sehen. Selten scheint Kouga irgendetwas wirklich ernst zu meinen und hier ergreift er Partei für einen Inuyoukai den er gerade erst kennengelernt hat und die beiden fragen sich, was wohl zwischen den beiden vorgefallen sein mag.

Gerade da gesellt sich Ki-sama wieder zu ihnen. „Sie schläft jetzt“, verkündet sie ernst. „Nutzen wir die Zeit um die wichtigen Dinge zu besprechen. Auch du, O-kami!“, dabei geht ein durchdringender Blick in Richtung Kouga.

Für einen kurzen Moment scheint der Wolfsyoukai mit sich zu ringen, doch dann lässt er sich missmutig am Feuer niederplumpsen. Kagome und Inu Yasha tun es ihm gleich und nun sitzen sie alle angespannt um das Feuer und warten darauf, dass jemand den Anfang macht.

Dies übernimmt Ki-sama. „Yarinuyuki-sama erholt sich nun. Ich kann noch nicht sagen, wann sie wieder genesen sein wird, aber wie ich sie kenne, wird es sicher bald sein. Es bleibt trotzdem die Frage, was wir bis dahin unternehmen werden.“

Nun meldet sich Kagome zu Wort: „Wir wissen ja auch nicht wer unser Gegner eigentlich ist und ob und wann er zurückkehrt. Er nennt sich Katsuken und auch Sesshomaru aber wir wissen nicht, was er damit bezwecken will.“

„Will er damit überhaupt etwas bezwecken, oder will er sich bloß aufspielen?“, gibt Ki-sama zurück.

„Ich weiß nicht warum er den Namen meines Bruders fordert“, meldet sich nun Inu Yasha ernst zu Wort. „Aber er sagte er sei auch ein Sohn des Inu no Taishou und das bereitet mir wahrlich Kopfschmerzen. Ich habe immer angenommen, Sesshomaru und ich wären die Einzigen Geschwister. Wenn es da noch jemanden in unserer Familie gibt, dann... möchte ich da lieber Gewissheit haben.“

Verwunderte Blicke gehen nun zu Inu Yasha hinüber. Schließlich meint Kagome: „Glaubst du wirklich es stimmt und dieser Katsuken ist dein Bruder?“

„Woher soll ich das wissen?“, brummt Inu Yasha verstimmt. „Ich weiß fast nichts über meine Familie und Sesshomaru war auch nie wirklich gesprächig, was das anbelangt. Aber wenn er gewusst hätte, dass wir noch einen Bruder haben, dann bin ich sicher, dass er das gleich erzählt hätte und nicht erst Kamukiku befragt hätte.“ Plötzlich fliegen seine Augen auf. „Kamukiku!“, ruft er aus. „Die alte Schachtel weiß ganz bestimmt wer der Kerl ist! Sonst hätte sie nicht so ominöse Andeutungen gemacht, dass wir uns in ernster Gefahr befinden und all der Kram. Ich glaube wir sollten dringend noch mal mit ihr reden. Vielleicht erfahren wir dann endlich wer Er ist. Schließlich sagte sie uns ja, dass sie es uns erzählt, wenn wir ihr sagen können wer das Kind in der Prophezeiung ist.“

„ Und das ist Tenmaru!“, ergänzt Kagome aufgeregt. „Du hast Recht. Jetzt muss sie es uns verraten.“

„Das klingt ja alles sehr schön und gut“, bemerkt Ki-sama. „Aber der Kerl kann jederzeit wieder über uns herfallen. Im Augenblick ist er eine ständige Gefahr für unseren Clan und solange Yarinuyuki außer Gefecht gesetzt ist, fürchte ich, bin ich für unseren Clan verantwortlich.“

Ein wenig Betreten blicken Kagome und Inu Yasha sie an.

„Im Augenblick hat der Kerl es wohl hauptsächlich darauf abgesehen seine Macht zu stärken indem er andere Youkai verspeist.“, meint Inu Yasha nachdenklich. „Vielleicht lässt er euren Clan solange in Ruhe.“

Was bitte, er verspeist sie?“, fährt Ki-sama hoch. „Soll dass heißen, er beabsichtigt unsere Leute aufzufressen?“

„Es hat fast den Anschein“, entgegnet Inu Yasha. „Zumindest war er gerade dabei, als ich auf ihn gestoßen bin. Mit etwas Glück habe ich ihn erst mal verjagt, aber wer weiß für wie lange.“

Die Heilerin des Nordclans beißt hart die Kiefer aufeinander. Man sieht, dass sie schwer am Grübeln ist. „Das können wir nicht zulassen!“, schnaubt sie düster. „Wenn es ihm nur darum geht Macht zu erlangen indem der Youkai frisst, dann ist unser Volk im Augenblick im wahrsten Sinne des Wortes ein gefundenes Fressen für ihn. Und wir haben keine Möglichkeit etwas dagegen zu tun.“ Grimmig ballt sie die Faust.

Verständnislos schauen die anderen sie an. „Was ist los in eurem Clan?“, kommt nun die umsichtige Frage von Kagome. „Habt ihr denn nicht die Möglichkeit euch zu verteidigen wenn ihr angegriffen werdet?“

Vernehmlich atmet Ki-sama durch. Sie scheint schwer mit sich zu ringen. Dann blickt sie auf. „Die Sache ist die“, meint sie missmutig. „Alle unsere Krieger sind mit Yarinuyuki-sama ausgerückt. Und die Wenigen die überlebt haben, sind nun die letzte Verteidigung die unser Clan noch hat.“ Schmerzhaft krallen sich ihre Nägel in ihren Oberschenkel.

Ein wenig betreten schauen sich die Anderen an. Dann ergreift Kagome wieder das Wort: „Wie schlimm steht es um euch?“, fragt sich sachte.

Wieder ringt die Heilerin deutlich schwer mit sich um ihre Antwort. Dann atmet sie resigniert aus. „Unser Clan war schon immer klein. Jetzt besteht er fast nur noch aus Frauen. Als Heilerin weiß ich... über kurz oder lang... wird es unseren Clan bald nicht mehr geben.“

Unbehagliches Schweigen ist die Folge.

„Es gibt bei euch wirklich keine Männer mehr?“, fragt Inu Yasha schließlich verblüfft. „Keine Älteren oder Jüngeren, die nicht für den Kampf geeignet sind?“

Ki-sama lacht kurz belustigt auf. „So etwas gibt es bei uns nicht, Inu Yasha-sama. Wer eine Waffe führen kann, wird sie auch benutzen. Die Älteren schützen dabei die Jüngeren. Es ist eine Tradition die so schon viele Jahrhunderte hindurch besteht. Nein, es gibt wirklich kaum noch männliche Mitglieder des Clans die überlebt haben.“

„Kämpfen denn die Frauen eures Clans gar nicht?“, fragt nun Kagome verwundert.

Nun wirft die Heilerin Kagome einen langen abschätzenden Blick zu als müsse sie erst überdenken, was sie gerade gesagt hat. Dann sagt sie: „Nein, kleine Menschenfrau, die Frauen unseres Clans kämpfen nicht. Es war ihnen niemals erlaubt.“

„Aber was ist mit Yarinuyuki?“, hakt Kagome energisch nach. „Sie ist eine Fürstin und eine Kämpferin und was ich gesehen habe eine wirklich außergewöhnliche.“

Nun zieht ein kaum sichtbares Lächeln über Ki-samas Lippen. „Yarinuyuki-sama... ist eine Ausnahme!“, sagt sie ernst. „Selbst ihr Vater wollte ihr nicht die Führung überlassen. Stattdessen versuchte er sie umzubringen. In unserem Volk ist es Tradition, dass Kinder, sobald sie so verständig sind, dass sie Anweisungen befolgen können, hinaus in die Wildnis gebracht werden, wo sie versuchen müssen aus eigener Kraft zurückzukommen. Man nennt das Nibanme no Shussei, die zweite Geburt.“

„Das ist ja grausam!“, stößt Kagome betroffen hervor.

Ki-sama blickt sie hart an. „Aber unvermeidbar. Wir sind leben hier in harten Witterungsverhältnissen. Wir haben nicht die Ressourcen der anderen Clans. Es ist essenziell, dass unsere Leute robust und ausdauernd sind. Nur so haben wir seit Jahrtausenden überlebt und ich werde nicht die Art wie wir leben vor einer zimperlichen Menschenfrau rechtfertigen.“

Ein wenig missmutig beschließt Kagome nicht weiter darauf einzugehen. Doch Ki-sama redet schon weiter: „Inu Taihyouga ignorierte die Tradition. Er brachte Yarinuyuki direkt nach ihrer Geburt hinaus in die Kälte des Winters und jeder wusste, dass er niemals beabsichtigte zurückzukehren um nach ihr zu sehen, wie es üblich war. Als sie nach acht Tagen plötzlich wieder in seinen Gemächern aufgefunden wurde, musste er sie als seine Nachfolgerin anerkennen und jedem war klar, dass das Erbe der Ausdauer, das unseren Clan stets ausgemacht hatte, bei niemandem so ausgeprägt war wie bei ihr. Es stand außer Frage, dass sie nach seinem Tod durch die Streunerin Hanaki seinen Platz einnehmen würde. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn er auf andere Weise den Tod gefunden hätte, doch so war der Weg frei zu dem Titel den sie auch heute noch inne hat.

Doch auch wenn Yarinuyuki-sama nun den Nordclan anführt, so ist es noch längst nicht allen Frauen des Nordclan gestattet sich an der Waffe zu üben. Selbst wenn sie den Wunsch verspüren sollten...“, hier bricht Ki-sama ein wenig verhalten ab.

„Aber sollten sie sich nicht wenigstens verteidigen dürfen?“ Es ist Inu Yasha der fragt. „Falls es diesem Katsuken in den Sinn kommt und er greift euren Palast an, müssen sich die Leute dort doch verteidigen können.“

Ki-sama senkt den Kopf. „Es ist... kompliziert“, sagt sie verhalten.

Nun atmet Inu Yasha tief durch. „Ich kann nicht ewig hier bleiben. Auch ich habe Leute die sich auf mich verlassen und die ich beschützen muss. Das bin ich Sesshomaru schuldig. Aber ich möchte ehrlich gesagt auch nicht, dass den Leuten vom Nordclan etwas passiert. Ich muss unbedingt mit Kamukiku sprechen. Ich muss rauskriegen wer der Kerl ist!“ Nun blickt der Kouga an. „Du kennst dich doch hier in der Gegend aus. Wohin könnte er sich im Augenblick zurückgezogen haben?

Der Wolf verzieht ein wenig das Gesicht. „In der näheren Umgebung würde mir nichts einfallen was er als Unterschlupf nutzen könnte. Zumindest wenn er etwas auf sich hält. Die nächsten Menschendörfer oder Höhlen liegen alle etwas mehr erhöht in Richtung Berge. Mit etwas Glück hat er sich erst mal nach dahin verkrümelt.“

Für einen kurzen Moment überlegt Inu Yasha, dann blickt er den Wolf wieder an. „Meinst du, du kannst ein Auge auf die Leute hier haben solange ich weg bin? Oder wenigstens bis Yarinuyuki wieder fit ist?“

Unwillig meidet Kouga den Blick des Hanyous. „Ich wüsste nicht warum. Was gehen mich die Angelegenheiten der Inuyoukai an?“

Ernst taxiert Inu Yasha den Wolfshäuptling. „Weil du der Einzige bist der mir einfällt der dazu in der Lage bist. Und außerdem... hab ich so das Gefühl, dass dir das Schicksal von zum Beispiel Itakouri nicht völlig gleichgültig ist.“

Ärgerlich blickt Kouga zur Seite. Für einen Moment scheint er schwer mit sich zu ringen. Schließlich sagt er: „Na schön, ich werde ein Auge auf sie haben. Aber erwarte nicht, dass ich mich alleine in irgendeine aussichtslose Schlacht stürze.“

„Wenn du versprichst, aufzupassen, dass sie zumindest nicht von diesem Biest überrascht werden, dann bin ich schon zufrieden“, hakt Inu Yasha nach.

„Hey!“, braust Kouga auf. „Dir verspreche ich gar nichts!“

„Nicht mir!“, hält Inu Yasha ernsthaft dagegen. „Kagome! Sie hat sowieso immer mehr in dir gesehen als ich. Willst du sie Lügen strafen?“

Zerknirscht ballt Kouga die Fäuste. Dann blickt er auf in die arglosen Augen der angehenden Miko und trifft eine Entscheidung. „Schön! Na gut!“, blafft er ärgerlich. „Ich passe auf, dass er sich nicht heimlich anschleicht. Aber nur solange bis ihre Anführerin wieder auf den Beinen ist.“

Inu Yasha atmet unbemerkt auf. Eine Sorge weniger.

„Aber auch das ist nur eine kurzfristige Lösung“, entgegnet Ki-sama nun. Sie würdigt Kouga dabei keines Blickes, doch man merkt ihr den unterschwelligen Ärger an. „Was nützt es Euch, dass Ihr wisst wer er ist, wenn wir nicht wissen wie wir ihn bekämpfen sollen.“

Inu Yashas Miene wird ernst. „Wie wir ja nun eindeutig wissen, haben Verhandlungen keinen Zweck bei ihm“, stellt er fest. „Wenn er nicht von alleine aufhört, und ich glaube nicht, dass er das tun wird, müssen wir ihn bekämpfen. Wenn wir wissen wer er ist, finden wir vielleicht irgendeine Schwachstelle.“

„Oder“, wendet Kagome ein, „wir befolgen die Prophezeiung und die Clans vereinigen sich gegen ihn. Immerhin will Sesshomaru ja Tenmaru wieder zurückholen. Ich glaube da spielt die Prophezeiung eine wichtige Rolle.“

„Was für eine Prophezeiung?“, fragte Ki-sama kritisch.

Rasch schildert Kagome was sie von der alten Hündin über das Ganze erfahren haben.

Ein zynisches Schnaufen entfährt Ki-sama. „Das ist einfach lächerlich! Der Norden wird sich niemals mit einem der anderen Clans verbünden, nicht mal wenn es seinen Untergang bedeuten würde. Schon gar nicht mit den Feiglingen aus dem Osten. Dreitausend Jahre bitterer Hass lassen sich nicht so mir nichts dir nichts aus der Welt schaffen.“

Inu Yasha lässt leicht die Luft entweichen. „Genau das gleiche haben meine Leute auch gesagt. Aber vielleicht ist es trotzdem die einzige Chance die wir haben.“

„Das wird nie passieren!“, behauptet Ki-sama fest. „Nicht mal wenn noch dreitausend Jahre vergehen. Ich selbst habe die Wunden versorgt, die unseren Soldaten durch die anderen Clans zugefügt wurden. Ich kenne den Hass in den Herzen unserer Krieger und den Groll der an die nächste Generation weitergegeben wird.“ Ihr Mund ist ein dünner Strich. „Es ist wie ein Geschwür. Doch gegen dieses vermag ich nichts auszurichten. Das hieße...“, sie stockt unwillkürlich und ihre Augen werden starr.

Die anderen blicken sie an. Und ihnen geht auf, was sie nicht aussprechen möchte. Das hieße die Krieger selbst aus dem Clan zu entfernen!

Und allen Anwesenden ist gerade sehr bewusst, dass genau das vor kurzem passiert ist und die Erkenntnis trifft sie ein wenig unvorbereitet. Vielleicht ist ein großer Teil des Hasses gerade gestorben und ebnet somit den Weg der eine Zusammenarbeit vielleicht möglich macht, aber zu welch schrecklichem Preis? Betreten sehen sich die vier an. Keiner wagt es das auszusprechen, was ihnen allen gerade klar geworden ist. Der Weg in eine gemeinsame Zukunft mag nun leichter sein, doch es ist nichts, was man bejubeln könnte.

Schließlich ergreift Kagome behutsam wieder das Wort. „Vielleicht... ist jetzt einfach die Zeit gekommen um den Hass zu begraben und eine Möglichkeit der Zusammenarbeit zu suchen. Etwas dass alle Inuyoukai gemeinsam gegen diesen Angreifer kämpfen lässt, wie es in der Prophezeiung heißt.“

Ärgerlich schnaubt Ki-sama aus. „Die Prophezeiung!“, grollt sie verächtlich. „So ein Unsinn! Als würde unser Schicksal von irgendwelchen Worten bestimmt die vor ein paar tausend Jahren ausgesprochen wurden. Wir bestimmen unsere Zukunft selbst. Das war schon immer so. Wir sind kein Spielball des Schicksals!“

Inu Yasha muss leicht schmunzeln. Irgendwie mag er diese Frau. Genau das hat er auch schon Sesshomaru damals gesagt. Nicht alles ist vorherbestimmt. Es kommt auch immer auf die eigene Entscheidung drauf an.

„Außerdem“, fügt Ki-sama nun spöttisch hinzu, „ist die Behauptung, dass dieser Sohn Sesshomarus in irgendeiner Form auserwählt sein soll, einfach nur lächerlich. Yarinuyuki-sama hat nicht viel über die Vorgänge damals erzählt, aber soweit ich weiß, war dieser Tenmaru zu diesem Zeitpunkt nichts weiter als ein Streuner. Laut eurer Prophezeiung soll der Betreffende ja von allen drei Fürsten geliebt werden und seien wir mal ehrlich, es gibt wohl keinen plausiblen Grund weshalb Yarinuyuki-sama auch nur irgendetwas für einen Streuner empfinden sollte. Ich fürchte ihr müsst euch jemand anderen überlegen auf den diese Prophezeiung zutrifft.“

Inu Yasha und Kagome werfen sich nun einen eigenartigen Blick zu, als trügen sie einen stillen Kampf aus, wer die Ehre hat die Heilerin ins Bild zu setzen, doch schließlich lenkt Kagome ein.

„Nun...“, beginnt sie zögernd, „ich muss wohl sagen, dass damals ein bisschen mehr geschehen ist als offensichtlich von den beteiligten Fürsten bekanntgegeben wurde.“

Verständnislos schaut Ki-sama sie an: „Was soll das heißen?“, schnappt sie. „Etwa, dass sich Yarinuyuki-sama... in einen Streuner verliebt haben soll?“ Die Worte klingen sowohl abfällig als auch belustigt.

„Ob sie sich verliebt hat, kann ich nun nicht sagen“, gibt Kagome zu. „Aber auf jeden Fall ist da 'irgendwas' zwischen den beiden gewesen. Aber was genau sollte vielleicht doch besser Yarinuyuki erklären, wenn sie wieder fit ist.“

Die Heilerin wirft ihr nun einen Blick zu als wollte sie ihr am liebsten das Genick brechen und Kagome läuft ein kalter Schauer über den Rücken. „Pass besser auf was du dir herausnimmst, Mensch!“, verkündet sie frostig. „Wenn du es wagst Yarinuyuki-samas Ehre zu beschmutzen, werde ich dein Innerstes nach außen stülpen, klar?“

„Es reicht!“, ärgerlich starrt Inu Yasha die Heilerin an. Mit einem raschen Schwung zieht er Tessaiga und rammt die Klinge demonstrativ vor Ki-sama in den Boden Grimmig funkelt er sie an. „Nur, dass das klar ist: Legst du Hand an Kagome wird keine Prophezeiung der Welt verhindern können, dass ich den kümmerlichen Rest eures Clans dem Erdboden gleich mache. Ist das deutlich gewesen?“

Erschrocken blickt die Heilerin zu dem Hanyou hinauf. Das was sie nun in seiner Miene liest, zeigt deutlich, dass dies keine leere Versprechung ist. Ihr wird bewusst, dass sie einmal mehr aus dem Fokus verloren hat, dass dies der amtieren Fürst des Westclans ist, und dass natürlich die Bedrohung einer so vertrauten Beraterin einer schweren Beleidigung gleich kommt.

Zerknirscht sinkt sie nun vor ihm zu Boden. „Verzeiht mir meine Impertinenz, werter Fürst“, lenkt sie reumütig ein. „Es steht mir nicht zu Eure Gefährten zu bedrohen. Ich erbitte demütigst Eure Vergebung. Doch die Vorstellung, dass meine Fürstin für einen Streuner romantische Gefühle hegen sollte ist einfach nur... lächerlich!“ Ihr entfährt ein hilfloses Lachen.

Ärgerlich hält Inu Yasha sie noch einen Moment mit seinen Blicken gefangen, dann steckt er missmutig Tessaiga wieder ein und nimmt wieder Platz.

„Es ist schon noch ein bisschen komplizierter als das“, meint er verstimmt. „Ich denke nicht, dass es uns zusteht an dieser Stelle für Yarinuyuki zu sprechen, aber Tenmaru war kein gewöhnlicher Youkai. Er hatte etwas an sich, dass er von seiner Mutter vererbt bekommen hat. Einen Geruch, der ihn für weibliche Inuyoukai unwiderstehlich macht, auch gegen ihren Willen. Damals auf dem Hohen Rat im Palast des Ostens, musste mein Bruder sie regelrecht zurückhalten, sonst wäre sie über ihn hergefallen. Ich kann gut verstehen, dass sie darüber nie etwas erzählt hat. Mit Sicherheit war es ihr unangenehm und bestimmt hat sie hinterher viel darüber nachgedacht. Zu welchem Schluss sie da allerdings für sich gekommen ist, das kann nur sie beantworten.“

Ziemlich ungläubig blickt die Heilerin nun zu ihm hinüber. Hinter ihrer Stirn scheint es angestrengt zu arbeiten. „So ist das also“, murmelt sie leise bei sich. Dann setzt sie sich wieder auf.

„Nehmen wir also einmal an, dass... dieser Tenmaru tatsächlich das Kind aus der Prophezeiung ist. Was kann er schon tun um die Clans wieder zu vereinen?“

„Das wusste auch Sesshomaru nicht“, gibt Inu Yasha zu. „Aber er setzte so viel Vertrauen in diese Prophezeiung, dass er bereit war das Schicksal seines und das der anderen Clans in Tenmarus Hände zu legen.“

„Was vermag dieser Knirps, was alle anderen Inuyoukai nicht können?“ Ki-sama stemmt die Arme in die Seiten. „Was macht ihn so besonders?“

„Ich weiß es nicht!“, gibt Inu Yasha zu. „Vielleicht ist es auch einfach an der Zeit, dass dieses Monster seine gerechte Strafe erhält. Wer weiß das schon? Aber allein, dass diese komische Weissagung auf überhaupt jemanden zutrifft, sagt schon etwas aus. Und soweit ich weiß, standen sich die Reiche bisher niemals so nah wie gerade jetzt. Da wir offenbar wirklich die Zusammenarbeit aller Clans benötigen, können wir dieser Möglichkeit ja wenigstens eine Chance geben. Ich jedenfalls werde alles tun, damit dieser Kerl erledigt wird und wenn ich dafür höchstpersönlich die Clanoberhäupter an einen Ort schleifen muss.“ Entschlossen verschränkt er die Arme.

„Ich glaube nicht, dass Yarinuyuki-sama sich darauf einlässt“, gibt Ki-sama zu bedenken. „Aber versucht Euer Glück ruhig erst mal beim Fürsten des Ostens. Wenn er zustimmt, könnte es sein, dass sie sich eher gewogen zeigt, diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen.“

„Das habe ich auch vor!“, erklärt Inu Yasha. „Doch zunächst muss ich zurück in mein Reich und dort... ein paar Sachen klären“, seine Miene zieht sich zu. „Ich habe aber vor zurückzukommen, wenn meine Aufgabe dort erfüllt ist. Wollen wir hoffen, dass Yarinuyuki bis dahin wieder auf den Beinen ist.“

Ki-sama mustert ihn abschätzend und verschränkt dann gelassen die Arme. „Wir werden sehen“, meint sie verhalten. „Macht Euch um Yarinuyuki-sama keine Sorgen. Ich bin gewisse, wenn Ihr zurückkehrt, wird sie Euch bereits erwarten.“

Inu Yasha nickt zustimmend. Dann erhebt er sich schwerfällig. „Also gut, fürs Erste haben wir wohl alles Nötige geklärt. Besser wir brechen gleich auf, sonst verlieren wir kostbare Zeit.“

Doch nun richtet sich auch Ki-sama rasch auf. „Inu Yasha-sama...“, ruft sie rasch, dann besinnt sie sich wieder der Etikette und fährt sittsamer fort. „Erlaubt mir Euch untertänigst die Einladung zu unterbreiten heute Nacht noch unsere Gastfreundschaft zu genießen. Es ist üblich, dass der Fürst der einem anderen Clan eine Aufwartung macht, vom Gastgeber angemessen bewirtet wird. Ich möchte ungern mit dieser langen Tradition brechen.“

Ungeduldig wehrt Inu Yasha ab. „Ich glaube, im Augenblick ist nicht der geeignete Zeitpunkt dafür. Schon jetzt kann es um jede Minute gehen. Ein anderes Mal gern.“

„Inu Yasha-sama...“, nun senkt die Heilerin ruhig den Kopf. „Es ist bereits tiefe Nacht. Ein langer Tag und eine entbehrungsreiche, kräftezehrende Schlacht liegen hinter uns. Ich könnte mir vorstellen, dass alle Beteiligten von einer Nacht mit Speise, Ruhe und Besinnung nur profitieren können in Anbetracht dessen was womöglich noch vor uns liegt.“

Inu Yasha hält inne. Sein Blick geht hinüber zu Kagome und er stellt fest, dass die junge Frau mit bleichem Gesicht am Feuer sitzt und offensichtlich bemüht ist ihre Augen offen zu halten. Ki-sama hat recht. Sie alle sind schwer erschöpft an Körper und Geist und ein wenig Erholung tut ihnen sicher gut. Er seufzt leicht. Also schön, vielleicht ist ihnen ja diese eine Nacht in Ruhe gegönnt. Nötig haben sie sie auf jeden Fall.

Gemächlich nimmt er wieder am Feuer Platz und er muss sich eingestehen, dass ihm diese Entscheidung eigentlich ganz angenehm ist, gemessen daran wie er sich noch immer fühlt.

„In Ordnung. Ich bin einverstanden. Eine Nacht!“, gibt er bekannt, was ein leichtes Lächeln über die Lippen der Heilerin huschen lässt.

Resolut wendet sie sich nun an Shimogawa. „Na los!“, scheucht sie ihn hoch. „Besorge uns etwas zu Essen! Wir haben einen Fürsten zu bewirten.“

Ein wenig unwillig aber auf jeden Fall gehorsam springt der Krieger auf und verschwindet ohne Umschweife in der Dunkelheit. Währenddessen kramt Ki-sama ihre Kochutensilien und verschiedene Säckchen mit Pulvern und Kräutern zusammen und beginnt mit den Vorbereitungen für das Essen. Sie müssen nicht lange warten bis Shimogawa zurückkehrt. Er trägt ein Wildschwein mit sich und sogleich beginnt die Heilerin damit es in Windeseile auszuweiden, zu zerlegen, zu würzen und im Kochtopf und auf Holzspießen um das Lagerfeuer zu drapieren.

Nach kurzer Zeit schon zieht ein schmackhafter Duft um das Lagerfeuer und Inu Yasha und den Anderen läuft bereits das Wasser im Mund zusammen. Zum Glück müssen sie nicht mehr lange warten. Schließlich gibt Ki-sama das Essen frei indem sie Inu Yasha das beste und größte Stück überreicht und dann den Rest an Kagome und Kouga verteilt. Shimogawa erhält eine Schüssel mit Fleischeintopf und die Anweisung auch seinem Kameraden, der noch immer draußen Wache hält, etwas zu bringen.

Ein wenig beschämt senkt sie den Blick während Inu Yasha isst. „Es tut mir leid, dass ich Euch nichts Angemesseneres anbieten kann“, meint sie demütig.

„Ist schon ok“, erwidert Inu Yasha während er sich das warme, würzige Fleisch schmecken lässt. “Ich glaube, so was Leckeres habe ich noch nie gegessen!“ Doch noch während er das sagt, zuckt er unwillkürlich zusammen. Für gewöhnlich bringt ihm so eine unbedachte Äußerung einen strengen Tadel von seiner Freundin ein.

Doch die Sorge ist unbegründet. Ein unsicherer Seitenblick teilt ihm mit, dass Kagome neben ihm zusammengesunken und jetzt, schwer an ihn gelehnt, eingeschlafen ist. Der aufreibende Tag hat seinen Tribut gefordert. Unwillkürlich rutscht sie nun an ihm hinunter und kommt mit ihrem Kopf auf seinem Oberschenkel zu liegen während ihr das Fleischstück aus den Händen rutscht.

Zunächst blickt der Hanyou nur perplex auf sie herab, doch dann glätten sich seine Züge und ein sanftes Lächeln legt sich um seine Mundwinkel.

Auch Kouga hat das Ganze beobachtet. Seine Miene ist reglos. Doch dann erhebt er sich gemächlich von seinem Platz. „Ich denke“, sagt er ruhig, „wenn ich mein Versprechen halten möchte, wäre es wohl klüger wenn ich gleich zur Heimstatt eures Clans aufbreche. Ich bin nicht erschöpft. Ich habe ja nicht gekämpft.“ Direkt blickt er Ki-sama an. „Vielleicht sollte mich einer eurer Krieger begleiten. Jemand sollte ihnen Bericht erstatten, und jemand den sie kennen ist da sicher geeigneter.“

Ki-sama nickt. „Shimogawa wird dich begleiten.“

Nun wendet sich Kouga doch noch einmal Inu Yasha zu. „Pass gut auf sie auf, verstanden?“, meint er fest. Dann dreht er sich um und kurz darauf ist er zusammen mit dem Nordyoukai in der Nacht verschwunden.

Schweigend blickt Inu Yasha ihm nach. Worauf du dich verlassen kannst! Und für einen kurzen Moment empfindet er sogar fast so etwas wie Mitleid mit seinem Rivalen. Denn sie beide wissen sehr gut für wen Kagomes Herz wirklich schlägt.

Wieder blickt Inu Yasha auf die schlafende Kagome herab und ein Kloß bildet sich in seiner Kehle. Um ein Haar! Um nur ein Haar hätte er sie heute fast verloren. Wenn Kouga nicht gewesen wäre. Wenn er heute nicht dagewesen wäre... Er möchte den Gedanken lieber nicht zu ende denken. Allein nur schon dran zu denken verursacht ihm eine Gänsehaut und lässt seine Finger kalt und taub werden.

Behutsam legt er seine Hand auf ihre Schulter und er fühlt wie sich sein Magen zusammenkrampft. Beklommen schließt er die Augen. Auf keinen Fall darf er sie noch einmal zu Schaden kommen lassen. Er weiß genau, dass er das nicht ertragen könnte, dafür sind seine Gefühle für sie viel zu stark. Und ihm wird einmal mehr klar, was seinen Bruder veranlasst hat, den langen, beschwerlichen Weg in die Unterwelt auf sich zu nehmen, nur um seinen Sohn zurückzuholen. Wenn Sesshomarus Gefühle für seine Familie auch nur halb so stark sind, wie seine für Kagome, dann gibt er seinem Bruder mit Freuden alle Zeit die er braucht um sie zurückzuholen.

„Verzeiht meine Neugier, Inu Yasha-sama“, reißen ihn Ki-samas behutsame Worte aus seinen Gedanken, „aber vielleicht mögt Ihr mir die Frage beantworten: Warum seid Ihr so darum bemüht meinem Volk zu helfen? Was verspricht sich der Westen davon?“

Inu Yasha überlegt kurz, dann blickt er auf. „Ich verspreche mir davon, dass so viele Inuyoukai des Nordens wie möglich dadurch überleben“, sagt er ruhig.

Verwundert schaut sie ihn an. „Warum interessiert Euch das so? Die Clans sind seit Ewigkeiten verfeindet. Jeder kümmert sich seit jeher um seine eigenen Angelegenheiten. Dem Westen wäre es doch höchstens noch recht, wenn unser Volk eingeht.“ Ihre Worte klingen bitter.

Inu Yashas Augen funkeln im Licht des Feuers. „Ich bin aber nicht der Westen“, sagt er fest. „Mein Name ist Inu Yasha. Ich bin ein Hanyou und vertrete meinen Bruder solange er in der Unterwelt nach seinem Sohn sucht. Ich habe mir diese Aufgabe bestimmt nicht ausgesucht, aber ich habe vor sie nach besten Kräften zu erfüllen. Und da dieser Kerl unser aller Feind ist, ist es das Letzte was ich will, dass auch nur ein Kämpfer, der ihm die Stirn bieten könnte, fehlt. Wenn es doch dazu kommen sollte, dass unsere Clans sich gegen ihn verbünden müssen, dann möchte ich, dass sie es mit aller Stärke tun.“

Mit undeutbarer Miene mustert Ki-sama ihn über das Feuer hinweg. Und für einen kurzen Moment huscht ein Schatten wie von vielen Jahrhunderten über ihr Gesicht.

Schließlich sagt sie leise: „Ich glaube so viel Achtung hat noch nie zuvor ein Fürst des Westens unserem Volk entgegengebracht.“

„Dann war es vermutlich mal Zeit“, stellt Inu Yasha fest. „Außerdem schulde ich Yarinuyuki noch was.“

„So, was denn?“, kommt es verwundert von Ki-sama

„Vor vier Jahren war es ihre Besonnenheit und ihr Wohlwollen meinem Clan gegenüber, dass es nicht zum Krieg zwischen unseren Reichen gekommen ist. Das rechne ich ihr hoch an.“ Nachdenklich blickt Inu Yasha zu Boden. „Und sie war nachsichtig mit mir, als ich ein wenig frech zu ihr gewesen bin.“ Ein Schmunzeln entfährt ihm. „Ich spüre ihren kameradschaftlichen Klaps manchmal heute noch.“ Dann schaut er wieder auf. „Ich habe keinen Groll gegen den Nordclan. Und ich wüsste auch nicht warum ich damit anfangen sollte. Was hassen rein aus Tradition bedeutet, das ist mir bestens bekannt und ich habe kein Interesse diese Tradition fortzuführen.“

„Damit steht Ihr vermutlich recht alleine da“, merkt Ki-sama mit einem leichten Schnaufen an.

„Darf ich dir auch eine Frage stellen?“ Abschätzend mustert Inu Yasha die Heilerin.

„Nur zu, fragt nur!“, kommt die Antwort, doch sie klingt etwas überrascht.

„Wenn die Clans wirklich so verfeindet sind, warum begegnest du uns dann mit so viel Wohlwollen? Du hast mich geheilt, obwohl du kaum etwas von mir wusstest“, zählt Inu Yasha auf, „du hast unsere Hilfe angenommen, statt uns eures Landes zu verweisen, du hältst alle Statuten ein und behandelst mich mit allen gebührenden Ehren. Nicht dass ich darauf bestehe, aber ich wundere mich etwas. Warum bist du zu uns so nett?“

Ein wenig verhärmt meidet Ki-sama nun seinen Blick. „Ich tue das nicht unbedingt aus Sympathie“, erklärt sie schließlich, „aber ich bin um das Wohlergehen meines Volkes und meiner Fürstin bemüht und ich bin es ihr schuldig sie auch in ihrer Unpässlichkeit würdig zu vertreten. Ich würde alles tun um mein Volk zu schützen. Außerdem...“, hier zögert sie kurz, „bin ich diese ganze Blutfehde einfach nur leid.“ Betreten blickt sie zu Boden.

„Da sind wir schon zwei“, meint Inu Yasha leise.

Noch einmal blickt sie zu ihm auf. Eisblaue Augen treffen auf seine goldenen und für einen kurzen Moment genießen die beiden das flüchtige Gefühl der Einvernehmlichkeit. Dann bricht Ki-sama den Blickkontakt.

„Ihr solltet nun ruhen, Inu Yasha-sama. Nadare wird Wache halten, Ihr könnt also ganz unbesorgt sein.“

Langsam nickt Inu Yasha. Er rechnet nicht damit in dieser Nacht viel Schlaf zu bekommen, doch die Müdigkeit macht sich nun auch bei ihm bemerkbar. Innerlich lässt er das vergangene Gespräch noch einmal Revue passieren. Es darf einfach nicht so weitergehen, dass die Clans in so anhaltender Feindschaft liegen. Es fordert nur immer neue Verletzungen und das fördert neuen Hass der wiederum neue Verletzungen bringt. Das muss endlich ein Ende haben! Es kann doch nicht ewig so weitergehen. Besonders jetzt nicht, wo ihre vereinten Kräfte gebraucht werden. Jemand muss endlich deswegen etwas unternehmen. Und je länger er darüber nachdenkt um so mehr kommt er zu dem Entschluss dass er das sein wird. Diese verbohrte Holzköpfe bei sich zuhause müssen endlich kapieren, dass ihre altbackenen Vorurteile überholt sind, und dafür wird er schon sorgen. Darauf können sie sich verlassen! Mit diesem Gedanken nickt er schließlich weg.

Am Ende der Verzweiflung...

Wie lange er einfach immer weiter gelaufen ist, kann Sesshomaru nicht sagen. In seinem Kopf herrscht momentan eine wattige Leere vor, die es ihm gnädig ermöglicht seine Schmerzen auszublenden und sich nicht mit dem Grund seiner Reise zu befassen. Er hat nicht einmal wirklich registriert, dass er den Canyon hinter sich gelassen hat und nun die schmutzig roten Felsen der Berge dahinter erreicht hat. Schritt für Schritt schleppt er sich durch die Felsenlandschaft und innerlich ist er froh darüber bisher keiner weiteren Heimsuchung begegnet zu sein.

Erst als er an einen Scheideweg kommt, hält er an. Sein Weg spaltet sich auf in einen lichten Tunnelweg und einen sandigen Pfad der scheinbar in eine Art Talkessel führt. Der Daiyoukai zögert. Wohin soll er sich wenden? Auf der einen Seite sind ihm Schluchten und Tunnel inzwischen gründlich verleidet worden, jedoch der Talkessel sieht eher wie eine Sackgasse aus. Doch mit Sicherheit kann man das auch nicht sagen.

Ein paar mal geht sein Blick abschätzend hin und her. Schließlich entscheidet er sich für den Hohlweg. Wie er feststellt, ist dieser oben nicht gänzlich geschlossen, sondern diffuses rötliches Licht dringt von oben herein und vermittelt einmal mehr den Eindruck von staubiger Leere in dieser Gegend. Doch schon nach ein paar Kurven führt der Weg wieder ins Freie und schlängelt sich durch eine Landschaft aus Felsen die wie gigantische rostrote Termitenhügel anmuten.

Zu hören ist allenfalls das gelegentliche Pfeifen eines schwachen Windes der sich zwischen den Felstürmen hindurch windet. Sesshomaru hebt den Kopf. Jede Brise ist ihm willkommen. Sie vertreibt zumindest ein wenig den permanenten Zustand der Leblosigkeit der hier überall vorherrscht und möglicherweise bringt er sogar ein paar Erkenntnisse darüber mit wo er das Ziel seiner Reise finden kann. Doch schließlich muss er sich eingestehen, dass der einzige Geruch den der Wind mit sich bringt, der Geruch von Staub ist. Wie sollte es auch anders sein, wenn es hier unten nichts weiter als nur Seelen ohne Körper gibt?

Während er weiterwandert blickt er sich nun aufmerksamer um. Nach Doros Schilderung soll er hier die Höllenhunde finden, seine Verwandtschaft wenn man es genau betrachtet. Hoffentlich trifft er bald auf sie, damit seine Suche endlich ein Ende hat. Hat er erst mal einen von ihnen gefunden, wird es hoffentlich nicht allzu schwer werden seinen Sohn aufzuspüren.

Sesshomaru beißt die Zähne zusammen. Entschlossen humpelt er weiter, auch wenn er jetzt bemüht ist, es sich nicht mehr allzu sehr anmerken zu lassen. Schließlich will er seinen Verwandten mit dem bisschen verbliebener Würde gegenübertreten, das er noch besitzt.

Doch er hat kaum weitere hundert Schritt zurückgelegt, als ihn urplötzlich ein unbehagliches Kribbeln den Nacken herunter rieselt, dass ihm die Haare aufstellen lässt. Auch wenn er weder etwas sieht, hört oder riecht, so weiß er doch mit zuverlässiger Sicherheit, dass er beobachtet wird. Und dies sind keine freundlichen Augen. Schwerfällig atmet er durch, warum sollte es auch keine weiteren Schwierigkeiten geben?

„Ja, da soll mich doch gleich der Schlag treffe!“, ertönt es dann auch kurz darauf hinter ihm. „Dich hätte ich jetzt wirklich nicht hier erwartet, Sesshomaru.“

Eine schaurige Gänsehaut kriecht über Sesshomarus Rücken als er die verhasste Stimme erkennt. Er ballt zähneknirschend die Fäuste. Warum bei allen möglichen Begegnungen ausgerechnet Er? Langsam dreht er sich zu der Stimme um.

Ihr Verursacher steht ein Stück entfernt auf einer kleinen Felsenzeile neben dem Weg und blickt geringschätzig auf ihn herab. Er trägt einen roten Hakama und darüber einen silberweißen Haori mit blutroten Ornamenten. Die langen weiße Haare sind am Hinterkopf zu einem Samuraizopf hochgebunden und fallen weich über den Rücken herab.

Nun blickt Sesshomaru finster zu der Gestalt hoch und in seiner Stimme liegt so viel Zynismus wie er aufbringen kann. „Hallo, Arashitsume.“

Ein stechendes Paar violett funkelnder Augen starrt auf ihn herab. Der ehemalige Fürst des Ostclans der Inuyoukai legt leicht den Kopf schief und ein boshaftes Lächeln spielt um seine Lippen. „Du siehst so... unpässlich aus. Könnte es sein, dass du mitsamt deines lebenden Körpers hier bist?“, kommt die süffisante Frage.

„Scharfsinnig wie immer“, gibt Sesshomaru sarkastisch zurück. Innerlich kocht bereits wieder die Wut über den verhassten Daiyoukai vor ihm hoch.

„Na, so was!“, meint Arashitsume amüsiert. „Das bedeutet wohl, du bist noch gar nicht tot, hmm?“

„Und da bist du ganz alleine drauf gekommen?“, bemerkt Sesshomaru trocken. Schon jetzt widert ihn das Gespräch mit diesem elenden Verräter erneut an.

Doch der ehemalige Ostfürst überhört den Sarkasmus geflissentlich. „Bedauerlicherweise muss ich dich darauf hinweisen, dass die Hölle nur für Tote vorgesehen ist“, tadelt er. „Man könnte also sagen, dass du dich hier widerrechtlich aufhältst.“ Nun ertönt ein unschönes Knacken von seinem Handgelenk, als er seine scharfen Klauen ausfährt. „Aber ich bin gern bereit dir diesbezüglich aus der Klemme zu helfen.“ Bedrohlich macht er sich zum Sprung bereit.

Ohne Umschweife ergreift Sesshomaru Bakusaigas Griff und zieht sein Schwert. „Seit wann scherst du dich denn um Recht und Ordnung?“, entgegnet er mit Grabeskälte

Nur einen Wimpernschlag später stürzt sich der Ostyoukai mit einem wilden Schrei und gezückten Klauen auf den Youkai des Westclans herab, der sogleich den herabgehenden Schlag mit seiner Klinge pariert. Hart treffen die beiden Kontrahenten aufeinander und offenbar lässt sich der Daiyoukai des Ostens nicht davon abschrecken, dass er unbewaffnet einem Schwert gegenüber steht.

Eine rasche Folge an Schlägen und Hieben erfolgt und nach einem kurzen Kräfteringen, springt der Ostyoukai ein Stück zurück. Mit kindlichem Interesse beobachtet er seine Hände und Unterarme die vielfach von der Klinge seines Gegners aufgeschlitzt worden sind. Doch bereits jetzt schon fügen sich die Schnitte wieder zusammen, ohne die leiseste Spur zu hinterlassen. Ein breites, unnatürliches Lächeln zieht auf sein Gesicht. „Oh, was für eine köstliche Überraschung!“, meint er vergnügt. „So wie es aussieht, kannst du mich mit diesem Schwert gar nicht wirklich verletzen. Es tut noch nicht einmal weh.“

Sesshomarus starrer Blick entgeht ihm nicht. „Offenbar bin ich hier klar im Vorteil, meinst du nicht?“ Sein Grinsen wird breiter.

Der Westyoukai packt sein Schwert mit beiden Händen fester. Er hat es bereits befürchtet. Warum nur musste Tenseiga versiegelt werden? Selten hat er das Erbstück seines Vaters nötiger gebraucht als gerade jetzt.

Der ehemalige Ostfürst geht gemächlich ein paar Schritte auf und ab, wobei Sesshomaru ihn keinen Moment aus den Augen lässt. „Weißt du eigentlich, dass unser Zusammentreffen hier wahrlich ein glücklicher Zufall ist?“, sinniert Arashitsume vor sich hin. „Unsere letzte Begegnung stand ja unter keinem guten Stern. Wenn du wüsstest wie oft ich mir schon gewünscht habe, wir könnten unsere kleine Meinungsverschiedenheit von damals bereinigen.“

Sesshomaru schnaubt verächtlich auf, sein Schwert noch immer zum Kampf gehoben. „Du hast noch immer diesen widerlichen Hang zur Untertreibung“, grollt er finster. „Du hast meine Familie getötet, wolltest mich ermorden lassen, einen Krieg vom Zaun brechen und die Macht über das ganze Land an dich reißen und dafür hab ich dich letztlich einen Kopf kürzer gemacht.“

Nun wird Arashitsumes Blick gefährlich und seine Reißzähne schieben sich grimmig hervor. „Deshalb sagte ich ja, dass ich das bereinigt wissen will. Wie reizend von dir, dass du mir die Gelegenheit ermöglichst dich diesmal wahrhaftig ins Jenseits zu befördern!“ Mit diesen Worten stößt er sich vom Fleck weg ab und schnellt mit erhobenen Klauen auf den Westfürsten los. Seine Augen funkeln erbost.

Doch Sesshomaru reagiert und wehrt den Angriff erneut mit seinem Schwert ab. Auch wenn er seinen Gegner damit nicht verletzen kann, so hält er ihn dennoch auf Abstand. Doch der ehemalige Ostfürst ist schnell, erschreckend schnell. Schließlich ist er nicht durch übermäßiges Körpergewicht in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. Sesshomaru reagiert so schnell wie es ihm möglich ist, doch er spürt deutlich wie sehr die bisherige Reise ihm seine Kraftreserven dezimiert hat.

Zwei wuchtige Schläge wehrt er mit der Schwertschneide ab, beim dritten strauchelt er einen Moment und verfehlt den Schlag, woraufhin sich Arashitsume unter der Klinge hindurch duckt, sie mit der flachen Hand zur Seite schlägt und dann alle fünf Klauen seiner rechten Hand in Sesshomarus linke Schulter rammt.

Der Westyoukai keucht schmerzhaft auf und mit weit aufgerissenen Augen starrt er Arashitsume ins Gesicht, der sich jetzt hoch vor ihm aufgebaut hat und mit kühler geringschätziger Miene auf ihn herabblickt.

„Du hättest nicht herkommen sollen, Sesshomaru“, sagt der Daiyoukai berechnend. „Es gibt hier nicht die geringste Chance für dich, irgendetwas gegen mich ausrichten zu können. Und ich bin nicht dafür bekannt einen Vorteil zu verschenken, wenn er sich mir so bereitwillig anbietet.“

„Ich bin nicht deinetwegen gekommen!“, faucht Sesshomaru grimmig, während er versucht zu ignorieren, dass sein Gegenüber ihm die Klauen in der Wunde herumdreht.

Mit einem Ruck stößt Arashitsume den Westfürsten von sich. Seine Klauen sind blutverschmiert, doch es stört ihn nicht. Sesshomaru taumelt kurz zurück aber kann sich gerade noch auf den Beinen halten. Er beißt die Kiefer aufeinander und versucht den neuen Wunden keine Beachtung zu schenken.

„Das hatte ich auch nicht angenommen“, meint Arashitsume während er wie beiläufig seine blutigen Finger betrachtet. „Aber da du es schon mal ansprichst, würde es mich doch sehr interessieren, weshalb du diese beschwerliche und offensichtlich entbehrungsreiche Reise angetreten hast.“

„Das geht dich nicht das Geringste an!“, zischt Sesshomaru giftig zurück.

Nun hebt Arashitsume wieder den Kopf. „Na, so viele mögliche Gründe wird es wohl nicht geben“, erwidert er zynisch. „Du warst schon immer erschreckend durchschaubar, Sesshomaru. Und da ich nicht annehme, dass es dich durch puren Zufall gerade hierher verschlagen hat, kann es nur bedeuten, dass dein Anliegen einen Inuyoukai betrifft. Lass mich raten!“

„Erspare es mir!“, funkelt Sesshomaru bissig.

Doch der Daiyoukai tut als hätte er nichts gehört. „Vielleicht ein Plausch mit einem deiner Vorfahren, deinem Vater womöglich?“

„Das hat dich nicht zu interessieren!“, erwidert Sesshomaru erneut. Ärgerlich packt er sein Schwert fester.

„Ach nein“, redet Arashitsume weiter ohne ihn zu beachten. „Für ein simples Gespräch würdest du diese Strapazen nicht auf dich nehmen. Du bist doch um ein vielfaches dreister. Mit Worten gibst du dich nicht zufrieden.“ Nun hellt seine Miene sich auf. „Ja, sicher! Ein Sesshomaru würde doch ohne Weiteres die Frechheit besitzen, jemanden von den Toten zurückholen zu wollen. Das wird es sein!“

Wütend wendet Sesshomaru ihm den Rücken zu. „Ich muss mir diesen Unsinn nicht anhören.“ Steif setzt er sich wieder in Bewegung.

„Wie es aussieht habe ich Recht“, man kann Arashitsume grinsen hören. „Wer könnte wohl der Glückliche sein? Wer könnte dir wohl so viel bedeuten, dass du bis hier herunter kommst dafür?“

„Warum sollten persönliche Gefühle dabei eine Rolle spielen“, entgegnet Sesshomaru mit Grabeskälte. „Als ob es nicht Wichtigeres gäbe.“

„Vielleicht Hanaki?“, kommt die genüssliche Mutmaßung hinter seinem Rücken.

Sesshomaru bleibt stehen. Sein Nacken verspannt sich. Dann dreht er sich wieder langsam zu Arashitsume um. Mit funkelnden Augen blickt er den ehemaligen Ostfürsten an. „Nein, nicht Hanaki! Und jetzt scher dich weg, bevor ich noch einmal kurzen Prozess mit dir mache!“

Nun kommt Arashitsume langsam aber mit äußerst geringschätzigem Blick auf ihn zu. „Oh bitte!“, schnaubt er verächtlich. „Wir wissen doch beide, dass du dazu gar nicht mehr in der Lage bist. So wie du gerade aussiehst, brauche ich dich doch bloß mit dem Finger anzustoßen und du brichst zusammen.“ Er seufzt theatralisch. „Und das alles nur wegen meiner Schwester. Wie jämmerlich!“

„Ich sagte doch schon, es ist nicht wegen Hanaki!“, stößt Sesshomaru aufgebracht hervor. Ärgerlich hält er sein Schwert umklammert dabei, doch er spürt wie die Waffe in seiner Hand immer schwerer wird und seine Knie langsam anfangen zu zittern durch die Anstrengung schon alleine aufrecht stehen zu bleiben.

Nun bleibt Arashitsume nur wenige Schritte vor ihm stehen. Er scheint kurz zu überlegen. Dann hellt sich urplötzlich seine Miene auf. „Nicht Hanaki, wie?“, kommt es nun spöttisch von ihm. „Ich frage mich...“ Nun verzieht er sarkastisch das Gesicht. „Oh bitte, Sesshomaru, sag mir nicht du bist wegen Tenmaru hier.“

Die Augen des Westfürsten meiden seinen Blick nur für einen Wimpernschlag, doch Arashitsume ist das nicht entgangen. Mit einem triumphalen Lachen schlägt er sich kurz auf den Oberschenkel. „Ich glaub es ja nicht!“, ruft er missgünstig aus. „Du bist wirklich und wahrhaftig wegen Tenmaru hier!“ Und dann bricht ein schallendes Lachen aus ihm heraus.

Mit tödlichem Blick fixiert Sesshomaru seinen Gegenüber der sich offenbar gerade vortrefflich amüsiert zu seinen Missgunsten.

„Ist das wirklich so schwer vorstellbar für dich?“, fragt er mit so viel Verachtung wie er aufbringen kann.

Der Daiyoukai wischt sich theatralisch die Lachtränen aus den Augen. „Oh, Verzeihung!“, lächelt er spöttisch. „Das ist sehr unhöflich von mir. Aber die Vorstellung, was du wohl alles erdulden musstest um so völlig derangiert vor mir zu stehen, und ich wünschte du könntest sehen, wie du im Augenblick aussiehst“, fügt er verächtlich hinzu, „und das alles nur um Tenmaru aus der Hölle zurückzuholen. Das ist wirklich zum Lachen!“ Eine neue Lachsalve bricht aus ihm heraus.

Sesshomaru spürt wie ihm das Blut ins Gesicht steigt bei dem offen demütigenden Spott des ehemaligen Ostfürsten. Hart mahlen seine Kiefer gegeneinander und der Blick den er dem Daiyoukai zuwirft ist tödlich.

„Ich frage nochmal“, bringt er mühsam beherrscht hervor, „Warum ist das so abwegig für dich? Ich dachte gerade du solltest doch inzwischen begriffen haben, wie weit ich bereit bin dafür zu gehen, oder?“

Nun verstummt Arashitsumes Lachen und dann macht er drei Schritte auf Sesshomaru zu und baut sich hoch vor ihm auf. „Der Punkt ist, mein Lieber“, und das Wort trieft nur so vor Verachtung, „dass das alles, deine ganze Odyssee hierher, vollkommen vergebens war.“

Nun entgleisen Sesshomaru für einen kurzen Moment die Gesichtszüge. Dann fängt er sich wieder. „Was soll das heißen?“, bringt er scharf hervor.

„Das soll heißen“, kommt es mit einem fiesen Lächeln zurück, „dass Tenmaru sich überhaupt nicht in der Hölle befindet. Er war niemals hier. Und du hast dich völlig unnötig zugrunde gerichtet. Ist das nicht wirklich lachhaft?“

Sesshomaru merkt wie ihm bei diesen Worten alle Farbe aus dem Gesicht weicht. Innerlich hört er sich die Worte wiederholen, doch er weigert sich sie anzuerkennen.

„Unsinn!“, stößt er ungläubig hervor. „Du lügst, wie gewöhnlich. Aber dieses Mal falle ich nicht auf dich herein. Deine Lügen haben mein Leben schon einmal ruiniert, glaub nicht, dass ich das noch einmal zulasse!“

Nun hebt Arashitsume vergnüglich die Augenbrauen. „Tatsächlich? Mir war ja gar nicht klar, dass deine Naivität damals einen solchen Schaden angerichtet hatte. Da hab ich es ja gleich noch mal so gern gemacht. Aber warum sollte ich denn lügen? Ich könnte dich die Wahrheit auch allein herausfinden lassen. Du würdest ihn vergeblich hier suchen, bis du nur noch in Fetzen hängst, aber dann hätte ich keine Gelegenheit das ganze Ausmaß der Verzweiflung in deinen Augen zu bewundern, wenn du erkennst, dass all dein Leid und deine Zähigkeit völlig umsonst gewesen sind.“

Sesshomaru spürt wie ein unangenehmes Schwindelgefühl ihn zu übermannen versucht. Seine Gliedmaßen werden taub und er merkt wie jetzt auch seine Hände unkontrolliert zu zittern anfangen. Ein seltsames Rauschen erfüllt seinen Kopf und die Spitze seines Schwertes senkt sich Richtung Boden.

„Warum sollte ich deinen Worten auch nur einen Moment lang Glauben schenken?“, hört er sich schwach fragen.

Ein genüssliches Lächeln legt sich um Arashitsumes Lippen. „Aber das tust du doch schon bereits, Sesshomaru.“

„Das ergibt keinen Sinn! Tote Youkai kommen in die Hölle. Das ist ihr endgültiger Bestimmungsort. Tenmaru muss hier sein!“ Seine Stimme ist nur noch ein Flüstern während er sich noch immer verzweifelt an die Logik klammert die ihm immer so vertraut war.

Nun stemmt Arashitsume den Arm in die Seite. „Wenn du nur für einen Moment nachdenkst, wirst du selbst dahinterkommen“, entgegnet er herablassend. „Tenmaru wurde nicht getötet, er wurde geläutert! Geläuterte Seelen kommen nicht in die Hölle. Sie warten ihre Zeit ab um wiedergeboren zu werden. Ich bin sicher, auch du weißt das sehr genau.“

Nun erstarrt Sesshomaru unwillkürlich und ein entsetztes Keuchen entfährt ihm. Er hat recht! Wie hatte ihm das nur entfallen können? Wie konnte er nur so unglaublich töricht sein und diesen Umstand nicht bedenken? Und warum musste es ausgerechnet wieder Arashitsume sein, der ihn darauf hinweist? Der Schock darüber sitzt so tief, dass er nicht in der Lage ist auch noch einen Finger zu rühren. Erst ein harter Schlag mitten ins Gesicht, der ihm die Nase bricht und ihn sein eigenes Blut schlucken lässt, bringt ihn wieder zur Besinnung. Unkoordiniert taumelt er ein Stück zurück und hält sich das Gesicht. Einen kurzen Augenblick später spürt er einen harten Tritt gegen sein Knie der ihm äußerst schmerzhaft die Kniescheibe zertrümmert und ihn unsanft zu Boden zwingt. Unwillkürlich schnappt er nach Luft. Doch schon im nächsten Moment spürt er einen heftigen Schlag an der Brust und als er wie in Trance hinabblickt, sieht er erneut die Hand seines Gegners die ihre Klauen in sein Fleisch geschlagen hat.

In trägem Reflex packen seine Hände die fremde Klaue um sie herauszureißen, doch dem schwachen Griff seiner Finger entzieht sie sich schneller als er realisieren kann. Ihm kommt es vor als hätte mit der jüngsten Erkenntnis auch noch das letzte bisschen Kraft seinen Körper verlassen. Der Kampfeswille der ihn bis hierher geprügelt hat, ist wie eine Seifenblase zerplatzt und sein geschundener Körper trägt nun seinem wahren Zustand Rechnung.

Es war alles vergeblich! Tenmaru ist gar nicht hier! Wozu also noch weiterkämpfen? Welchen Sinn hat das Durchhalten nun noch? Er kann sich nicht mehr daran erinnern. Es ist ihm gleich.

Auf einmal spürt er einen kräftigen Arm der sich unerbittlich von hinten um seinen Hals legt und ihm gnadenlos die Luft abdrosselt. Direkt neben seinem Ohr hört er nun die verhasste Stimme: „Hat dir diese Erkenntnis so sehr zugesetzt, dass dich einmal mehr jeglicher Lebenswille verlassen hat? Heute muss wirklich mein Glückstag sein.“ Nun wird die Stimme hart. „Ich sagte es dir doch vorhin bereits, dass ich keinen Vorteil verschenke der sich mir so offen bietet. Dabei fällt mir ein, ich schulde dir ja noch was!“

Nun spürt Sesshomaru wie sich zwei kräftige Hände um sein Kinn legen und nur Augenblicke später fühlt er die Kraftanstrengung die unbarmherzig darum bemüht ist, ihm den Kopf von den Schultern zu drehen. Er bemerkt wie ihm der Puls in die Höhe schießt und wie seine Hände ganz automatisch hinauf greifen um seinem unabwendbaren Schicksal Einhalt zu gebieten, doch der Kraft, die auf sein Genick wirkt, hat er kaum etwas entgegenzusetzen. Schon merkt er wie der zunehmende Sauerstoffmangel seine Sicht schummrig macht und seine Arme in leblose Gliedmaßen verwandelt die einfach an ihm herabfallen. Der Schmerz im Nacken wird immer unerträglicher und er ist kurz davor sein Bewusstsein und damit dann auch sein Leben zu verlieren. Das war es also. Er hat versagt auf ganzer Linie und niemand wird jemals erfahren wie vollständig seine Niederlage ist. Zumindest das ist ein Trost.

Jeden Augenblick rechnet er mit einem trockenen Knacken und einem widerlichen Reißen, dem vermutlich letzten Geräusch seines Lebens, doch es bleibt aus. Stattdessen geht auf einmal ein heftiger Ruck durch seinen Körper und er stürzt zu Boden. Zu seiner Überraschung ebbt der Schmerz in seinem Nacken nun ab und er kann wieder atmen. Schwer nach Luft ringend liegt er da und begreift nicht, was gerade passiert ist. Er will den Kopf heben und nachsehen, doch er bringt es nicht fertig. Kraftlos liegt er da und ist kaum noch in der Lage die Augen zu öffnen. Verschwommene Geräusche dringen an sein Ohr und fast glaubt er Rufe und Schmerzensschreie zu hören, doch sein Bewusstseinszustand lässt kaum eine genauere Analyse zu.

Dann ist plötzlich Stille. Kein Laut ist mehr zu vernehmen und noch immer ist er nicht in der Lage nach dem Rechten zu sehen. Sein Atem geht schwer und rasselnd und sein Herz pocht nur noch schleppend von einem Schlag zum nächsten. Es ist fraglich ob sein Körper es diesmal schafft dem Tod noch einmal zu entrinnen. Vielleicht stirbt er diesmal wirklich und Sesshomaru stellt fest, dass ihm das inzwischen recht attraktiv erscheint. Nie wieder anstrengen, nie wieder Schmerzen, nie wieder Leid! Nie mehr... nie mehr...

Doch dann sind da plötzlich Hände auf ihm. Hände die seinen Oberkörper packen und in die Höhe richten. Da sind Hände die ihn leicht aber entschlossen rütteln und Finger die über sein Gesicht streichen. Und da ist eine Stimme. Eine Stimme die besorgt seinen Namen ruft.

„Sesshomaru! Sesshomaru, mach die Augen auf!“

Eine bekannte Stimme. Eine Stimme die immer mehr zu schwanken beginnt je eindringlicher sie auf ihn einredet.

„Sesshomaru! Kannst du mich hören? Komm zu dir, hörst du? Sesshomaru? Sesshomaru, bitte!“

Unter größer Anstrengung gelingt es ihm die Augen zu öffnen. Über ihm hängt ein Gesicht. Ein Gesicht das bleich auf ihn herabblickt und das mit deutlichen Sorgenfalten überzogen ist. Er braucht ein paar Augenblicke bis ihm klar wird woher er dieses Gesicht kennt, doch dann entgleisen ihm die Gesichtszüge und ein unkontrolliertes Zittern bemächtigt sich seiner Gliedmaßen.

Sie ist es! Niemals wird er dieses Gesicht vergessen. Der blasse Teint, die schwarz glänzenden, langen Haare, die hohen Wangenknochen und die purpur-funkelnden Augen in denen jetzt ernste Besorgnis liegt. Wie könnte er sie je vergessen? Und im selben Augenblick stürzen all seine Gefühle die in ihm toben auf ihn ein und schnüren ihm die Luft ab. Sie ist es! Sie ist hier! Hier bei ihm! Nach all der langen Zeit! Sie ist ihm so nah, dass er sie berühren kann! Wie sehr hat er sich danach gesehnt?

Es ist ihm nicht möglich den Blick von ihr zu wenden, und je länger er sie ansieht um so verlorener kommt er sich vor. So klein und schwach und verzweifelt und einsam. Mühsam hebt er eine Hand und wie in Zeitlupe berühren seine Fingerspitzen ihre Wange. Ein erleichtertes Lächeln huscht kurz über ihr Gesicht. Sesshomaru schluckt schwer. Dann urplötzlich streckt er die Arme aus, schlingt sie um ihren Oberkörper und presst sein Gesicht an ihre Schulter. Sein ganzer Körper zittert unkontrolliert.

„Hanaki...!“, kommt es erstickt aus dem Stoff ihrer Kleidung und dann schüttelt ein hilfloses Schluchzen sein Körper, während er sich krampfhaft an sie presst und nicht gewillt scheint, sie je wieder loszulassen.

Völlig überrumpelt lässt die Youkai den Gefühlsausbruch des Verletzen über sich ergehen. Kein Wort fällt, doch ihr Blick geht starr geradeaus und ihre Lippen beben verdächtig. Sanft hat sie ihre Arme um seine Schultern gelegt und ohne, dass sie sich dessen bewusst ist, streichen ihre Finger behutsam über seinen Nacken.

Schwer lehnt Sesshomaru an ihr. Heiße Tränen durchtränken ihr Gewand, doch er hat sich einfach nicht unter Kontrolle. Grenzenlose Erleichterung hat sich seiner bemächtigt. Wie sehr hat er diesen Augenblick gefürchtet. Wie viel Unsicherheit war mit dieser Begegnung verbunden und nun stellt er fest, dass seine Sorge völlig unbegründet war, denn er riecht sie nicht. Wie sollte er auch? Sie ist tot und hat keinen Körper mehr. Und dennoch möchte er lieber sterben, als sie jetzt in diesem Moment noch einmal gehen zu lassen. All die Gefühle waren doch echt. Es war weder eine Lüge noch ein Betrug. Und er liebt sie! Er spürt es mit jeder Faser seines Körpers. Eine Woge der Wärme überflutet seinen Körper und dieses Mal ist es nicht die brennende, zerstörerische Hitze aus dem Feuerfluss, sondern etwas anderes. Etwas viel angenehmeres.

Und dann spürt er noch etwas. Eine andere Wärme die von seiner linken Hüfte ausgeht. Ein grelles Leuchten erringt für einen Moment seine Aufmerksamkeit und er stellt zu seiner Überraschung fest, dass das helle Schimmern von Tenseiga ausgeht. Zwar ist das magische Schwert noch immer in Ketten gehüllt, doch zwischen den Kettengliedern sickert nun unaufhaltsam die Macht des heilenden Schwertes hervor und hüllt seinen Körper völlig ein. Und auf einmal spürt er wie die Schmerzen in seinem Körper immer mehr verblassen und wie hartnäckige Verletzungen verschwinden und Wunden sich schließen. Eine eigentümliche Stille kehrt in seinem Körper ein und es bedarf einiger verwunderter Augenblicke, bis er begreift, dass dies von der Abwesenheit der Schmerzen herrührt, die jetzt schon so lange Zeit sein ständiger Begleiter gewesen sind.

Langsam hebt Sesshomaru den Kopf und blickt in das Gesicht der Daiyoukai vor sich. Auch sie scheint erfasst zu haben was gerade passiert ist und ein erstauntes Lächeln spielt um ihre Mundwinkel als sie die unausgesprochene Frage zurückgibt.

Für einen kurzen Moment trifft dieses Lächeln Sesshomaru unvorbereitet. Und dann legen sich seine Hände wie von selbst an ihre Kinnlinie, zieht ihr Gesicht sanft aber begehrlich zu seinem heran und dann treffen seine Lippen auf ihre als wollten sie die vergangenen zweihundert Jahre Lügen strafen.

...da ist Hoffnung!

Einige gespannte Herzschläge hält der innige Kuss an, dann löst sie sich von ihm. Sesshomaru öffnet die Augen. Ihre Fingerspitzen berühren schwach ihre Lippen. Dann weiten sich ihre Augen langsam und ihre Hand schiebt sich über ihren Mund als wollte sie etwas bewahren. Ein Geräusch, das wie eine Mischung aus Lachen und Schluchzen klingt, entfährt ihr und ohne Fokus geht ihr Blick an ihm vorbei. Mehrmals atmet sie tief ein und aus, während sie um ihre Fassung ringt.

Dann schließlich blickt sie doch wieder zu ihm auf. „Du bist hier!“, bringt sie schwach hervor.

„Ich bin hier“, bestätigt Sesshomaru verhalten.

„Ich habe nicht erwartet, dich noch einmal zu treffen“, kommt die behutsame Erwiderung.

Sesshomaru zögert mehrere Herzschläge lang. Dann sagt er leise: „Natürlich musstest du das annehmen.“

Nun wendet sie den Blick ab. „Bitte glaube nicht, ich hätte kein Verständnis dafür. Es gibt keine Entschuldigung dafür, wie sehr ich an dir schuldig geworden bin.“

Nun versteift sich Sesshomaru. Für ein paar Augenblicke verharrt er in dieser Position. Dann richtet er sich auf und so würdevoll wie es ihm möglich ist, kommt er wieder auf die Füße. Mit unergründlicher Miene blickt er auf sie hinunter. Dann plötzlich streckt er die Hand aus und hält sie auffordernd der vor ihm knienden Youkaifrau hin.

„Hanaki...“, sagt er leise, „sage mir das nur immer wieder, denn wenn deine ehrliche Reue mich immer wieder aufs Neue zutiefst beschämt, habe ich vielleicht die Möglichkeit auch nur ein bisschen von der Schuld abzutragen, die ich an dir begangen habe als ich dich in all deinem Elend und Leid zurückgelassen habe.“

Unwillkürlich erstarrt die Inuyoukai. Dann hebt sie zerknirscht den Kopf und in ihren Augen liegt bittere Reue. „Nicht doch!“, bricht es aus ihr heraus. „Ich habe dich ohne ein Wort der Erklärung verlassen. Ich habe dich entehrt. Das ist unverzeihlich! Du solltest mich hassen!“

Nun beugt der hochgewachsene Daiyoukai sich zu ihr herab, nimmt ihre Hand in seine und zieht sie nachdrücklich zu sich hoch. Er sieht sehr blass aus und er meidet ihren Blick als er sagt: „Ich würde es wirklich vorziehen keine Schuld gegeneinander aufzurechnen. Ich denke nicht, dass ich dabei sonderlich gut abschneiden würde. Außerdem könnte ich dich nicht annähernd so sehr hassen, wie ich mich selbst dafür verabscheue dir nicht vertraut zu haben. Was immer ich je an Hass für dich empfunden habe, er hat längst seine Schuldigkeit abgegolten. Nun ist es lediglich noch an mir, dich um Verzeihung zu bitten für meine Hartherzigkeit und Unversöhnlichkeit, auch wenn ich weiß, dass es keinen Grund gibt, warum mir diese gewährt werden sollte.“

Mit großen Augen sieht sie ihn an. Für einen langen Moment sagt sie kein Wort. Ihr Gesicht ist einem regen Mienenspiel unterworfen, so unschlüssig ist sie wie sie dieses Geständnis aufnehmen soll. Doch schließlich glätten sich ihre Züge. Dann hebt sie ihre Hand und legt sanft ihre Finger an seine Wange. Ehrliches Mitgefühl liegt in ihrer Stimme als sie sagt: „Ich mag mir gar nicht ausmalen, was es dich gekostet hat zu dieser Einstellung zu kommen.“

Sesshomarus Hand reicht hinauf zu ihrer und seine Finger umfassen die ihren. Müde schließt er die Augen. „Tu es besser nicht, und bitte nötige mich nicht, es auszuführen.“

„Hat... Er dich gefunden?“, kommt die zögerliche Rückfrage.

Sesshomaru nickt leicht. „Ja! Und ja! Doch leider kam das zweite Ja etwas zu spät.“

Sie zieht ihre Hand zurück. „Was meinst du damit?“, ihre Stimme schwankt besorgt.

Nun öffnet Sesshomaru die Augen und echter Schmerz liegt darin. „Ich konnte nicht bewahren, was du mir zur Bewahrung gesandt hast. Ich wollte es nicht. Ich habe ihn meinen Hass auf dich spüren lassen. Und schlussendlich ist dieser Hass mit ihm zusammen gestorben.“

Nun weicht sie erschrocken einen halben Schritt zurück. „Tenmaru... ist tot?“, haucht sie.

Noch einmal nickt der Daiyoukai kraftlos und sein Gesicht ist dabei leichenblass. „Er starb um uns beiden... Ehre zu erweisen.“, wispert er.

„Aber... wie?“, kommt die ratlose Frage. „Ich habe ihn nie hier getroffen.“

„Er wurde geläutert“, erklärt Sesshomaru. „Ich bin wirklich überrascht, dass Arashitsume das für sich behalten hat. Er nutzt doch sonst jede Gelegenheit um Leid zu verbreiten.“

„Willst du damit sagen, er hat davon gewusst?“, kommt es aufgebracht von der Youkai zurück.

„Eigentlich hatte er sogar erheblichen Anteil daran“, antwortet Sesshomaru mit bitterer Miene. „Er beauftragte eine schwarze Miko mich zu töten, jedoch läuterte sie stattdessen Tenmaru.“ Die näheren Umstände behält er lieber erst mal für sich.

Nun kann man ein grimmiges Funkeln in Hanakis Augen erkennen als sie die Zähne fletscht. „Den bring ich um!“, verkündet sie unheilvoll. „Dieses Mal bringe ich ihn wahrhaftig um!“

Dies nutzt Sesshomaru als Gelegenheit um ein anderes Thema aufzugreifen. „Ich nahm an, das hättest du bereits. Nachdem ich ihn hier nicht mehr ausmachen konnte, ging ich davon aus, du hättest ihn unschädlich gemacht.“ Es ist ihm sichtlich unangenehm darüber zu sprechen, denn das bedeutet, das Gespräch wieder auf seine unrühmliche Niederlage zu bringen, doch er muss Gewissheit haben.

„Oh, vernichtet ist er nicht“, erwidert Hanaki grimmig, „Der Feigling ist geflohen als er merkte, dass er unterlegen war, wie üblich. Ich kann nur für ihn hoffen, er sitzt jetzt irgendwo, leckt seine Wunden, verflucht mich hingebungsvoll und lässt sich eine ganze Weile hier nicht mehr blicken.“

„Du warst damals schon stärker als er“, bemerkt Sesshomaru. „Früher hat er sich nie auf ein direktes Kräftemessen mit dir eingelassen. Die Wege die er wählte waren wesentlich verschlagener und leider auch effektiver. Was hat sich geändert?“

„Er ist gestorben“, fest blickt Hanaki ihn an. „Hier ist die Hölle. Alles ist anders. Hier hat er keine Macht mehr.“

„Er war ein intriganter, machtbesessener Wahnsinniger. Doch er war kein Schwächling“, wendet Sesshomaru ein. „Jemand wie er findet immer eine Machtposition.“

Ernsthaft aber milde blickt Hanaki ihn an. „Sesshomaru“, sagt sie leise, „du bist noch ein Lebender. Du kannst das nicht verstehen. Hier ist alles anders. Auch für ihn. Er wird niemals wieder zu Macht kommen. Das wird ihm nicht gestattet werden.“

Nun zeigt sich Sesshomaru doch interessiert. „Von wem?“

Die Daiyoukai zögert einen Moment. Dann meint sie: „Ich möchte es so ausdrücken. Mein Bruder ist auf alle Zeit in Ungnade gefallen. Gewisse Personen sind über seinen äußerst unrühmlichen Abgang mehr als ungehalten. Besonders deshalb weil er es fertig gebracht hat unsere Blutlinie enden zu lassen.“

Allmählich bekommt Sesshomaru eine Ahnung wovon sie spricht. „Du redest von deinen Eltern?“, mutmaßt er.

Nun legt sich ein leicht belustigtes Lächeln um ihre Mundwinkel, doch es verschwindet rasch wieder. „So in etwa“, nickt sie sachlich. „Er wurde dafür bestraft und ist für alle Zeit von unserer Heimstatt hier, dem Revier der Höllenhunde, verbannt worden. “

„Und was sucht er dann hier?“, der Ärger in Sesshomarus Worten lässt sich nicht völlig verbergen.

Unergründlich blickt sie ihn einen Moment an. Dann sagt sie: „Komm, ich werde es dir zeigen.“ Sie winkt ihm, ihr zu folgen und bereitwillig setzt er sich in Bewegung. Nachdem Tenseiga seine heilende Wirkung gezeigt hat, ist ihm Gehen endlich wieder schmerzfrei möglich, wenn jedoch noch immer nicht unbeschwert. Innerlich geht er seine Verletzungen durch und stellt fest, dass die meisten von ihnen zumindest fundamental geheilt sind. Dass er noch nicht ganz gesund ist, ist ihm durchaus bewusst. Seine Bewegungen sind noch recht steif und in seinen Gliedern spürt er dabei ein deutliches Ziehen. Wäre Tenseiga nicht versiegelt, hätte es vermutlich mehr ausrichten können, doch auch so ist es ihm eine große Hilfe gewesen. Jedoch sollte er in nächster Zeit dringend davon Abstand nehmen, seinen Körper mehr als unbedingt nötig zu beanspruchen, sonst könnten viele der Verletzungen wieder aufbrechen, da ist er sich sicher. Ob er sich allerdings die nötige Schonung gönnen kann, wird sich wohl noch zeigen. Immerhin befindet er sich noch immer in der Hölle, wenn jedoch auch zum ersten Mal in angenehmer Gesellschaft.

Gemächlich wandern die beiden nebeneinander den staubigen Weg entlang. Zu ihrer linken Seite ragt eine zerklüftete etwa drei Schritt hohe Wand aus rotem Gestein hoch. Sie säumt den leicht ansteigenden Weg noch ein ganzes Stück, dann gibt sie den Weg auf die tieferliegende Ebene frei. Bei der Felsschneise bleibt Hanaki stehen und gewährt Sesshomaru den Blick hinab in einen kleinen Talkessel. Er ist vollständig mit hellem grauen Sand bedeckt und von seiner Mitte aus ziehen sich in konzentrischen Kreisen, kleine Bodenwellen die zum Rand des Kessels ein wenig deutlicher und breiter werden. Sonstige Spuren gibt es dort nicht und in seiner Mitte befindet sich...

„Sou'unga!“, wispert Sesshomaru ungläubig.

Das magische Schwert, das sein Vater einst trug, steckt nun exakt in der Mitte des Felskraters mit der Spitze voran im Sand und erweckt den Eindruck von gänzlicher Leblosigkeit.

Aufgewühlt wendet sich der Daiyoukai zu seiner Begleiterin um. „Was tut dieses verfluchte Schwert hier?“

„Gar nichts!“, kommt die ernsthafte Antwort. „Es befindet sich noch immer unangetastet an der gleichen Stelle wo es vor einer ganzen Weile herabstürzte. Und meine Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt.“ Entschlossen funkeln ihre Augen bei diesen Worten.

Nun hebt Sesshomaru doch ein wenig überrascht seine Brauen. „Du bewachst Sou'unga?“

Hanaki nickt kurz, „Ich habe diese Aufgabe aus freien Stücken übernommen. Im Grunde gibt es nur eine einzige Person hier die machtgierig, verzweifelt und wahnsinnig genug ist, um es immer wieder zu versuchen dieses elende Schwert in seine Gewalt zu bringen. Alle anderen sind überein gekommen, Sou'unga am besten genau dort zu belassen, wo es sich im Augenblick befindet.“

„Arashitsume versucht Sou'unga zu stehlen, um sich seine Machtposition wieder zurückzuholen, ist es nicht so?“ Es ist eine rhetorische Frage.

„Ja“, Hanaki nickt. „Er begreift nicht, dass er dieses Schwert niemals völlig beherrschen kann. In seinen Händen würde es nur zahlreiche Katastrophen verursachen und womöglich Schlimmeres. Es war dein Vater der vorschlug es am besten dort zu belassen und niemanden in seine Nähe zu lassen. Da die einzige Gefahr dafür von meinem Zwillingsbruder ausgeht, ist es für mich eine Selbstverständlichkeit ihm Einhalt zu gebieten. Außerdem ist es mir ein persönliches Anliegen, dass er nicht noch mehr... Schaden anrichtet.“ Bei diesen Worten ist sie behutsam an ihn herangetreten und hat sacht seine Hand ergriffen. „Er darf niemals wieder solches Leid verursachen.“

Regungslos steht Sesshomaru da. Seine Bewegungen sind erstarrt und sein Nacken ist angespannt. Es dauert eine ganze Weile ehe er wieder redet. „Du hast... meinen Vater gesprochen?“, die Worte klingen mühsam beherrscht.

Langsam lässt sie seine Hand wieder los und schlägt kurz die Augen nieder. „Verzeih! Es war nicht meine Absicht dich mit meiner Bemerkung in Aufregung zu versetzen.“

Langsam atmet Sesshomaru durch. „Das ist es bei dir niemals“, entgegnet er matt. „Ich würde nur gerne erfahren... was du ihm erzählt hast.“

„Ich habe ihm nichts erzählt“, mit aufrichtigem Blick sieht sie ihn an. „Ich hielt es für... unangemessen. Außerdem begegnen wir uns nur selten.“ Bei dem letzten Satz schlägt sie die Augen nieder.

„Und Arashitsume?“, kommt die wachsame Rückfrage?

Hanaki schnaubt verächtlich aus. „Nicht eine Silbe ist über seine Lippen gekommen, als sie ihn befragt haben. Ich vermute er wollte sich selbst nicht noch mehr Unannehmlichkeiten bescheren.“

Nun wirkt Sesshomaru doch recht verwundert. „Wenn er nichts über die Ereignisse erzählt hat, die zu seinem Ableben führten, woher wisst ihr dann was damals geschehen ist?“

„Raiseimaru hat offenbar ein wenig geplaudert“, gibt sie Antwort. „Von ihm wissen sie, dass man Arashitsume die Fürstenwürde aberkannt hat. Du kannst dir gar nicht vorstellen was danach hier los war.“ Sie schmunzelt kurz als würde sie sich an etwas Amüsantes erinnern.

„Raiseimaru also...“,murmelt Sesshomaru leise. Dann fragt er argwöhnisch: „Was... hat er denn sonst noch über diesen Tag erzählt?“

„Das weiß ich nicht“, gibt Hanaki ehrlich Auskunft. „Ich bin nicht dabei gewesen. Ich habe auch nur Gerüchte gehört. Aber er sagte nichts über... Tenmaru.“ Hier unterbricht sie kurz und versucht ihre zitternden Lippen wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Ein wenig befangen steht der Daiyoukai da während seine Begleiterin die Trauer um ihren verstorbenen Sohn niederkämpft. Sie scheint besser damit umgehen zu können als er, doch das mag täuschen. Die Daiyoukai aus dem Osten hat sich noch nie in die Karten blicken lassen. Aber sie hat einen starken Charakter, daran besteht kein Zweifel. Auch das hat ihn damals so unwiderstehlich an ihr angezogen. Doch zugleich ist da diese andere Seite an ihr, die sinnlich, zart und sehr verletzlich ist und die auch sie niemals zeigen durfte. Ja, sie haben wirklich viel gemeinsam, wie zwei Hälften der selben Seele. Und diesmal wird er sie nicht noch einmal zurücklassen. Das wird er ihr nicht noch einmal antun. Oder sich.

„Vielleicht war es richtig von ihm, dass er dazu geschwiegen hat“, ergreift Sesshomaru jetzt behutsam wieder das Wort. „So musst du nun die Trauer über seinen Verlust nur eine kurze Zeit erdulden.“

„Wie meinst du das?“, fragt Hanaki so gefasst wie möglich zurück.

Jetzt ergreift Sesshomaru noch einmal sanft ihre Hand. „Der Grund weshalb ich hier bin, ist der, dass ich Tenmaru ins Leben zurückzuholen gedenke“, bestimmt blickt er sie an. „Und dich ebenfalls. Das verspreche ich dir!“

Unwillkürlich schüttelt sie den Kopf und weicht einen Schritt zurück. „Was redest du da?“, stößt sie überrascht hervor. „Das kann nicht dein Ernst sein!“

Reglos steht Sesshomaru da. Schweigend blickt er sie an, aber in seinen Augen liegt nun eine beklemmende Traurigkeit. Schließlich sagt er mit mühsam beherrschter Stimme: „Du reagierst, als hätte ich dich gebeten... meine Frau zu werden.“

Nun weiten sich ihre Augen erschrocken und hinter ihrer Stirn scheint es emsig zu arbeiten. Dann plötzlich schlägt sie unwillkürlich die Hand vor den Mund. „Sesshomaru...“, wispert sie kraftlos. „Ich...“, dann weicht ihr alle Farbe aus dem Gesicht und ihre Hände beginnen zu zittern. „Du hast recht! Wie... kann ich das je wieder gutmachen?“

Nun kommt Sesshomaru direkt auf sie zu. Ohne Umschweife fasst er ihre Hände und zieht sie zu sich. Direkt blickt er ihr in die Augen als er ernsthaft sagt: „Indem du dein Leben mit mir teilst.“

Im ersten Moment steht ihr nur tiefe Verunsicherung ins Gesicht geschrieben als sie zu ihm aufblickt. Doch dann urplötzlich bricht der Damm und mit befreiender Erleichterung schmiegt sie sich an seine Brust während ihr die Tränen über das Gesicht laufen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals die Möglichkeit erhalte, meine Antwort von damals zu korrigieren.“ Sanft streichen ihre Finger über seinen Oberarm und dann spürt sie wie auch er behutsam die Arme um sie legt und sie ein wenig dichter zieht.

„Würde ich denn diesmal ein Ja von dir erhalten?“, kommt die leise aber beharrliche Frage von ihm.

Nun zieht ein leichtes Lächeln über ihre Lippen. „Wären die Umstände anders gewesen, wäre es immer schon ein Ja gewesen.“

„Du bist tot und wir befinden uns in der Hölle. Wie viel anders können die Umstände noch werden?“, kommt es leicht sarkastisch zurück.

„Zumindest sind dies Umstände die dem Kern der Frage nicht unbedingt zuträglich sind“, weicht sie erneut neckisch aus.

Doch nun umfasst er erneut ihre Handgelenke und bringt sie auf eine Armlänge Abstand zu sich. Bekümmert blickt er sie an. „Hanaki... du musst das nicht länger machen, weißt du?“

Der Blick in seine warmen aber traurigen Augen lässt sie schwer schlucken. Dann schlägt sie den Blick nieder. „Du hast recht“, gibt sie zu. „Ich bin es viel zu lange schon gewöhnt meine Integrität zu bewahren und es ist dir gegenüber nicht fair.“

„Nun?“, leicht berühren seine Fingerspitzen ihr Kinn. „Wie lautet deine Antwort?“

Sie zögert einen langen Moment, als müsse sie einen stillen Kampf mit sich austragen. Dann hebt sie den Kopf. „Ja!“

Sesshomaru kann spüren wie sein Herz einen kurzen Sprung macht und dann mit erheblichem Tempo weiter galoppiert. Ein erleichtertes Lächeln liegt um seine Mundwinkel. Nie wieder möchte er sie sich anders vorstellen, als an seiner Seite.

„Und doch“, holt ihn nun ihre Stimme in die Gegenwart zurück, „wie stellst du dir das vor? Eine Seele aus dem Totenreich zurückzufordern ist ein Eingriff in die natürliche Ordnung der Dinge. Wie kannst du erwarten, Erfolg damit zu haben?“

Sesshomarus Miene wird ernst. „Ich habe dies schon öfter getan. Tenseiga ist ein sehr mächtiges Schwert. Nur im Augenblick... kann ich nicht auf seine ganze Macht zugreifen. Doch es vermag tote Körper wiederzubeleben.“

Ein wenig abschätzend betrachtet Hanaki das Schwert, um das noch immer die Schatten der magischen Ketten gewunden sind. „Bist du deshalb hierher gekommen“, fragt sie reserviert, „weil... Tenmaru geläutert wurde und es keinen Körper gab um ihn wiederbeleben?“

„Deine Familie ist sehr scharfsinnig“, bemerkt Sesshomaru mit leichtem Zynismus in der Stimme.

„Aber hast du denn nicht bedacht, das geläuterte Youkai...“

„Es ist nicht nötig, dass du mich auch noch einmal darauf aufmerksam machst!“, unterbricht der Daiyoukai sie demonstrativ.

„Oh...! Ich verstehe“, lenkt Hanaki ein.

„Aber glaube nicht, dass ich mich davon abhalten lasse“, stellt Sesshomaru klar. „Wenn er nicht hier ist, werde ich meine Suche nicht aufgeben, bis ich ihn gefunden habe. Mir bleibt auch keine Wahl“, gibt er nun etwas verhalten zu. „Meine Reise ist nicht rein... persönlicher Natur“, fügt er auf ihren fragenden Blick hin hinzu.

„Welchen anderen Grund könnte es geben, deinen Sohn wiederzubeleben?“, die Frage ist diesmal deutlich reservierter.

Sesshomaru atmet einmal durch. „Es gibt ein... Problem in meinem Reich. Ich benötige seine Hilfe dabei. Es ist ein wenig kompliziert. Ich kann dir wenig mehr erzählen, da ich auch nicht viel mehr weiß. Wie es aussieht treibt dort ein mächtiger Inuyoukai sein Unwesen und auf Anraten unserer Ältesten ist ihm nur mit Tenmarus Hilfe beizukommen. Das ist alles was sie mir verraten hat, aber ich werde alles in meiner Macht stehende tun um mein Reich zu schützen.“

Mit eigentümlicher Miene hat sie ihn bei dieser Schilderung beobachtet. Schließlich sagt sie mild: „Du hast dich überhaupt nicht verändert, Sesshomaru.“

„Wenn das ein Kompliment sein soll, wäre ich dir dankbar, wenn wir das auf später verschieben könnten“, erwidert er höflich, „Sobald meine Mission erfüllt ist, werden wir ausreichend Zeit für derlei Intimitäten haben, sei versichert.“

Unwillkürlich entfährt ihr ein kurzes Glucksen, dann presst sie rasch die Lippen aufeinander und fängt sich wieder. „Du hast natürlich recht!“, bestätigt sie ernsthaft mit einem kurzen Räuspern. „Wenn die Sachlage so ist wie du sie beschreibst, dann sollte ich dich wohl besser vor den Hohen Rat bringen.“

Sesshomaru verzieht ein wenig das Gesicht. „Der Hohe Rat? Ist das wirklich nötig?“ Seine letzten Erinnerungen an solch ein Treffen sind mit wenig angenehmen Gefühlen verbunden. „Der Hohe Rat von was?“

„Der Höllenhunde natürlich“, erklärt sie geduldig. „Kein Rudel kann ohne Rangordnung existieren, das weißt du doch.“

Sesshomaru wägt ihre Worte kurz ab, dann fügt er sich. „Sicher. Also in Ordnung, bring mich hin!“
 

Gemeinsam folgen sie eine ganze Weile dem staubigen Felsweg. Das Licht ist noch immer schummrig rot und die Luft schmeckt warm und abgestanden. Schweigend gehen sie nebeneinander her und keiner von beiden empfindet die Notwendigkeit ein Gespräch zu beginnen, obwohl noch immer viele Fragen zwischen ihnen unausgesprochen sind. Innerlich ist Sesshomaru erleichtert darüber. Selten zuvor musste er ein derartiges Wechselbad der Gefühle durchleben wie gerade vorhin. Und die Male wo er es musste, hat er in keiner schönen Erinnerung. Allein ihre Gegenwart genügt ihm im Augenblick und so verbringt er die Wanderung damit sich die Momente des vorangegangenen Gespräches in Erinnerung zu rufen, die sein Herz haben höher schlagen lassen. Sie hat Ja gesagt! Sie hat endlich Ja gesagt! Im Augenblick könnte er gar nicht seliger sein. Wäre da nicht die Bedrohung durch diesen ominösen Katsuken, dann wäre sein Glück vollkommen.

„Diese Wiederbelebung durch Tenseiga“, reißt ihn plötzlich ihre Frage aus seinen Gedanke, „wie geht das von Statten?“

Bereitwillig beschließt er zu antworten. „Sein Träger vermag die Diener des Jenseits zu erkennen, die einem getöteten Körper die Seele entreißen. Für gewöhnlich vernichtet Tenseiga diese Wesen und die Seele wird in ihren Körper zurückversetzt. Doch Tenseiga vermag auch zu heilen. Ist der Körper erst mal wieder hergestellt, hat die Seele eine neue Behausung und Tenseigas Macht versiegelt sie wieder an ihrem angestammten Platz.“

„Und du glaubst... das funktioniert auch bei mir?“, kommt nun die zögerliche Rückfrage. „Immerhin liegt mein Tod schon einige Jahre zurück.“

„Sei unbesorgt!“, beruhigt Sesshomaru sie. „Sobald ich von Yarinuyuki erfahren habe was sie mit deinem Leichnam angestellt hat, sollte es keine weiteren Probleme diesbezüglich geben.“

Nun zieht sich Hanakis Miene etwas zu. „Ich verstehe. Vermutlich war sie nicht sonderlich erfreut darüber, was ich ihrem Vater angetan habe. Man sollte meinen, sie wäre damit zufrieden gewesen, dass er mich getötet hat.“

Sesshomaru wirft ihr einen kurzen Seitenblick zu. „Urteile nicht zu vorschnell über sie. Zeitweise hat sie sich recht... anständig verhalten. Zu Beginn war sie natürlich erbost, da hast du recht, doch im Verlauf der weiteren Ereignisse, die zu Arashitsumes Entmachtung geführt haben, war durchaus mit ihr zu reden.“

„Es scheinen damals ja wirklich zahlreiche turbulente Ereignisse stattgefunden haben“, bemerkt sie ein wenig zynisch.

„Ich werde dir alles zur gegebenen Zeit erzählen“, verspricht Sesshomaru. „Doch im Augenblick sind andere Dinge wichtiger.“

„Ich bin wirklich gespannt dann davon zu hören“, bemerkt Hanaki leicht amüsiert.

„Und ich ebenso!“

Augenblicklich erstarrt Sesshomaru. Die Stimme kommt aus einer kleinen Felsennische ein Stück vor ihnen. Jemand hat dort auf einem flachen Stein gesessen und erhebt sich nun, um auf sie zuzukommen.

Sesshomaru spürt wie sich sein Herzschlag beschleunigt und unwillkürlich reckt er sich ein bisschen.

„Wenn du wüsstest, was für eine Wohltat es ist, deinen Herzschlag zu hören. Nichts hier hat einen Puls. Es ist eine wahrhaft willkommene Abwechslung.“ Die Gestalt kommt immer näher auf sie zu.

Innerlich atmet Sesshomaru einmal tief durch. „Seid gegrüßt, Chichi-ue!“, sagt er respektvoll.

„Es ist auch eine Freude dich wiederzusehen, mein Sohn!“, antwortet Inu Taishou.

Die beiden Daiyoukai stehen sich nun gegenüber und sehen sich an. Keiner sagt ein Wort. Schließlich bricht Inu Taishou das Schweigen. „Du siehst etwas mitgenommen aus.“

„Es ist nicht so dramatisch wie es erscheint“, wehrt Sesshomaru höflich ab, „Es ist der Preis dafür, wenn man als Lebender die Hölle aufsucht.“

„Du musst einen guten Grund haben, um hierher zu kommen“, redet Inu Taishou weiter.

Sesshomaru nickt steif. „Den habe ich“, bestätigt er knapp.

Abschätzend mustert sein Vater ihn. Dann fragt er: „Würdest du ihn mir verraten?“

Sesshomaru blickt ein wenig unbehaglich zur Seite.

„Wir sind gerade auf dem Weg zum Hohen Rat“, antwortet Hanaki an seiner statt. „Ich bringe ihn hin. Dort werdet Ihr alles erfahren, Inu Taishou-sama.“

„Ist es euch recht, wenn ich euch begleite?“, fragt der ältere Daiyoukai höflich.

Sesshomaru vermeidet es Hanakis Blick zu begegnen. „Natürlich, Chichi-ue“, antwortet er besonnen. „Es ist uns eine Ehre.“

Ein leichtes Seufzen entfährt Inu Taishou. „Ich höre noch immer deiner Mutter Erziehung in deinen Worten.“ Dann schließt er sich ihnen an und sie gehen weiter.

Doch ganz mag Sesshomaru die Bemerkung nicht auf sich beruhen lassen. „Aus Eurem Mund klingt das, als wäre Etikette etwas Schlechtes.“

„Es ist nicht die Etikette“, erwidert der Daiyoukai. „Es ist die Devotion. Das steht einem Fürsten der Inuyoukai nicht zu Gesicht.“

Nun bleibt Sesshomaru stehen und blickt seinen Vater verstimmt an. „Ihr nennt mich unterwürfig? Weil ich Euch Respekt entgegenbringe?“

„Weil wir nicht als Gleichrangige miteinander reden, Sesshomaru“, kommt die ruhige Antwort.

Nun stutzt Sesshomaru doch einen Moment. Erst will er widersprechen, doch dann überlegt er es sich anders und sagte eine Weile gar nichts. Währenddessen setzen sie sich wieder in Bewegung.

„Dir scheint Macht und Hierarchie noch immer sehr wichtig zu sein“, greift Inu Taishou das Thema noch einmal auf.

„Weshalb auch nicht?“, kommt es knapp zurück.

„Wenn dem so ist, ist es womöglich unpassend zu fragen wie es Inu Yasha geht“, lässt der ältere Daiyoukai wie beiläufig verlauten.

Nach kurzem Zögern sagt Sesshomaru: „Er ist wohlauf. Er vertritt mich solange ich fort bin.“

Der Daiyoukai neben ihm hebt ein wenig die Brauen. „Ich gebe zu, ich bin überrascht das zu hören. Euer Verhältnis scheint sich inzwischen deutlich gebessert zu haben.“

Sesshomaru zieht es vor den Blick seines Vaters zu meiden. „Die Umstände verschiedener Begegnungen haben dazu geführt, dass seine Qualitäten besser zur Geltung gekommen sind als zuvor.“

Ein leichtes Schmunzeln liegt um Inu Taishous Mundwinkel. „Es freut mich das zu hören“, bemerkt er betont höflich. Dann geht sein Blick an Sesshomarus Hüfte. „Du hast nun ein eigenes Schwert, wie ich sehe.“

„Bakusaiga, leistet mir gute Dienste“, erwidert Sesshomaru sachlich.

„Bakusaiga, hmm?“, wiederholt der andere Daiyoukai anerkennend. „Bedeutet das, du hast die Jagd nach Tessaiga aufgegeben, und Inu Yasha freiwillig sein Erbteil überlassen?“

„Ich sagte doch bereits“, wiederholt Sesshomaru leicht gereizt, „Bakusaiga leistet mir gute Dienste!“

„Ich bin überzeugt davon“, nickt Inu Taishou ernsthaft. „Kein Schwert harmoniert so sehr mit seinem Träger, wie eines das aus ihm selbst erwächst.“

Nun blickt Sesshomaru doch überrascht drein. „Woher...?“

Doch sein Vater unterbricht ihn. „Eure Verbindung ist spürbar. Du besitzt nun eine Waffe die deinem Gemüt entspricht. Du darfst dich glücklich schätzen. Ich habe niemals so eine Waffe besessen.“

„Ihr hattet niemals solch eine Waffe nötig, Chichi-ue“, erwidert Sesshomaru diesmal mit deutlicher Höflichkeit. „Eure Macht war außergewöhnlich. Ihr selbst seid diese Waffe gewesen.“

Nachdenklich blickt Inu Taishou seinen Sohn an. „Denkst du das könnte der Grund sein? Wer weiß. Vielleicht war es auch noch nicht an der Zeit. Nun werden wir es nie erfahren. Doch ich glaube nicht, dass es eine Frage der Macht ist. Jeder Youkai hat die Fähigkeit stärker zu werden im Laufe seines Lebens. Auch du, mein Sohn. Du könntest sogar einmal so stark werden wie ich. Du hast schließlich sogar die Meido gemeistert.“

Nun verzieht Sesshomaru doch etwas unwillig das Gesicht. „Ich empfand es als nicht besonders schmeichelhaft zu erfahren, dass ich niemals dazu bestimmt war, sie auch zu benutzen, nur dass Ihr es wisst.“

„Dafür habe ich Verständnis, mein Sohn“, nickt Inu Taishou leicht. „Doch wem sonst hätte ich diese schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe anvertrauen können? Es zeugt von wahrer Größe deinerseits, deinem Bruder dieses Geschenk zu machen. Die Anerkennung einer Person kann nicht erzwungen werden, es muss eine freiwillige Entscheidung sein und ich hatte keine Möglichkeit mehr in direkter Form diesbezüglich darauf einzuwirken. Dennoch war es mir ein ernstes Anliegen, dass ihr beide miteinander auskommt. Irgendwann wirst du das vielleicht verstehen können.“

Sesshomarus meidet Hanakis Blick der nun recht eindringlich auf ihm ruht. „Ich denke... ich verstehe es bereits jetzt nur zu gut“, sagt er.

„Ist das so?“, der Blick seines Vater bekommt nun etwas Abschätzendes.

Doch noch ehe er weiter fragen kann, fällt ihm Hanaki erneut ins Wort: „Wir sind angekommen. Dort ist es.“

Vorsätze

Das erste Licht des neuen Tages bricht über die Spitzen der nahen Berge. Man kann noch kaum die Hand vor Augen sehen. Über dem verlassenen Schlachtfeld, wo die meisten Krieger des Nordclans ihr Ende gefunden haben, hängen dichte Nebelfelder. Die Luft ist noch kühl und der Boden aufgeweicht vom Regen. Ein unangenehmer Geruch liegt in der Luft wie von verderbendem Fleisch, süßlich und ekelerregend. Kaum ein Laut ist zu hören. Kein Vogel begrüßt den Morgen mit Gesang, denn sämtliche Tiere haben diese Gegend verlassen.

Zwischen den traurigen Überresten dessen was einmal Bäume gewesen waren, nähert sich nun eine Gestalt. Sie wirkt schmal und zierlich und ist in weiße Gewänder gekleidet. Auch ihre Haut ist unnatürlich weiß und glimmende, orangefarbene Augen durchforsten aufmerksam die Dämmerung.

Die junge Frau schreitet gemächlich hinaus auf die Stätte der Verwüstung. Dies alles hat ihr Herr verursacht. Sie riecht noch immer seinen Geruch der hier überall in der Umgebung hängengeblieben ist. Was für eine Macht! Kaum ein Stein ist auf dem anderen geblieben und nur wenige Bäume stehen noch. Doch die meisten sind entwurzelt, zerstückelt oder abgebrannt worden. Das sieht ihm ähnlich. Zurückhaltung liegt offenbar nicht in seiner Natur.

Wachsam blickt sie sich um. Es ist immerhin möglich, dass noch einige Inuyoukai zurückgeblieben sind um Totenwache für die Verstorbenen zu halten und sie kann es jetzt nicht gebrauchen, dass man sie beobachtet; nicht bei dem was sie im Begriff ist zu tun.

Langsam schreitet sie über das Schlachtfeld und zählt im Stillen die Toten die sie beschaffen soll. So viele Leben mussten für den Hunger ihres Herrn herhalten. Sein Verlangen nach Energie muss wirklich gewaltig sein. Und gerade jetzt kann er all diese Körper nicht verwerten, weil dieser Hanyou ihm den Magen geraubt hat. Eine Schande! Und was für eine Verschwendung all dieser Überreste. Wem nutzen sie noch etwas, wenn sie hier im Schlamm verrotten?

Geschmeidig sinkt sie neben einem der Toten in die Hocke. Ihre schlanke Hand greift nach seinem Haarschopf und hebt sein Gesicht auf Augenhöhe. Mit regloser Miene mustert sie ihn. Wie grobschlächtig und wild er aussieht, von seinem Geruch ganz zu schweigen. Der ganze Körper und seine Kleidung stinken nach Blut, Schweiß und anderem Unrat. Dieser Mann hat sich gewiss schon längere Zeit vor seinem Tod nicht mehr gewaschen.

Sie lässt das Haar los und der Kopf sackt mit einem unschönen Klacken zurück auf einen Stein. Mit dem was jetzt mit ihnen geschieht, sind diese Krieger gewiss besser dran als zuvor. Sie erhebt sich wieder. Es macht keinen Sinn noch mehr Zeit zu verschwenden. Ihr Herr will die Energie dieser Männer und er will sie ehe der Tag herumgeht. Besser sie fordert seinen Zorn nicht heraus.

Auch wenn er es bisher nicht fertiggebracht hat sie zu töten, verspürt sie wenig Lust darauf erneut von ihm zerstückelt zu werden. Sie muss es ihm lassen, er ist kreativ. Er gibt sich wirklich Mühe ihrem Leben ein Ende zu setzen, doch manchmal fragt sie sich, ob er wirklich mit dem Herzen bei der Sache ist. Wenn er ihr wirklich den Rest geben wollte, würde er sicher einen Weg finden, statt ihr nur mit jedem neuen Versuch diese unaussprechlichen Schmerzen zu bereiten.

Nun ja, sie hat über die Jahre gelernt es nicht zu zeigen und dieser Agonie möglichst keine Beachtung mehr zu schenken. Die Leute reagieren immer so komisch wenn man aus vollem Hals schreit.

Diese Einsicht kommt ihr auch in der Hinsicht zugute auf das was sie gleich tun muss. Doch es ist der einzige Weg um an die Energie der Männer zu gelangen. Immerhin sind sie schon tot und ihr Lebensfunke hat sie verlassen. Dass bedeutet aber nicht, dass die als Youkai ihnen eigene Energie schon verschwunden ist. Nicht umsonst sind Gebeine und andere Teile von Youkai in gewissen Kreisen heiß begehrt. Diese ganzen Körper haben noch immer eine hohe Restenergie, die sich lediglich mit dem Zersetzungsprozess verflüchtigen wird. Es ist also Eile geboten.

Sie seufzt ein wenig. Wenn sie mehr Zeit hätte, würde sie sich mit jedem Körper einzeln befassen. Ihr zersetzendes Gift vermag die Körper aufzulösen und die Energie freizusetzen die noch in der rohen Masse steckt. Danach ist es nicht sehr schwierig sich diese Energie einzuverleiben. Allerdings hat sie noch nie zuvor eine solch große Menge aufgenommen. Die Schwierigkeit liegt darin sie in ihrem Körper zu speichern. Mal ganz abgesehen davon, dass es viel zu lange dauern würde jeden einzelnen Körper nacheinander aufzulösen, denn hier liegen hunderte von toten Körpern herum. Also muss sie zu einer anderen Strategie greifen.

Sie zieht ein schmales, silbernes Messer aus ihrem Gewand und beißt leicht die Zähne aufeinander. Wenn sie nicht überall zugleich sein kann, dann muss es ihr Körper sein. Sie zielt kurz auf die Finger ihrer anderen Hand und schlägt einmal rasch zu. Wie kleine Nüsse tropfen ihre Finger ins Gras und ein leichtes Schnaufen entfährt ihr. Sie beobachtet stoisch wie die abgeschnittenen Gliedmaßen umgehend wieder nachwachsen. Das wird sie noch einige Male wiederholen müssen. Mit starrer Miene ignoriert sie den schneidenden Schmerz der fortwährend in ihrer linken Hand nachebbt und hebt dann die abgetrennten Glieder auf.

Nun ist erkennbar, dass eine Art Flüssigkeit aus den Fingerkuppen heraus sickert; sie ist klar, und etwas zähflüssig. Ohne scheinbar einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, legt sie nun einen der Finger auf den Körper des Leichnams ab der am dichtestes bei ihr ist und wendet sich dann auf gleicher Weise dem nächsten zu.

Während sie fortfährt nach und nach jeden Toten mit ihren Körperteilen zu bestücken, kann man beobachten, wie sich die Flüssigkeit, bei den Körpern hinter ihr, über den ganzen Leib verteilt, als hätte sie ein Eigenleben, dann beginnen die Körper zu dampfen, und schließlich scheinen sie einer nach dem anderen in sich zusammenzuschmelzen als wären sie aus Wachs. Was letztlich übrig bleibt ist ein rötlicher Dunst der über der entsprechenden Stelle hängt wie eine unheilvolle Wolke.

Und nun kann man auch erkennen, wie sich dünne, feine Fäden aus den Wolken herausbilden und alle langsam aber beständig in Richtung der jungen Frau durch die Luft gleiten bis sie schließlich ihren Körper erreicht haben. Unablässig verschwindet nun der Energiestrom durch ihre Haut in ihrem Rücken und je länger dieser Strom anhält, um so schwerfälliger und zittriger werden ihre Bewegungen.

Es ist einfach viel zu viel. Sie kann jetzt schon spüren, dass diese gewaltigen Energiemaßen Gefahr laufen ihren Körper zu sprengen. Sie hatte stets gerade nur so viel Energie aufgenommen wie sie zum Leben brauchte, doch nun sammelt sie nicht für sich sondern für ihren Herrn und er braucht viel davon. Schon jetzt hat sie den Eindruck, dass diese Menge an Energie sie zerreißen droht und dabei hat sie noch nicht einmal die Hälfte der Inuyoukai absorbiert.

Keuchend knicken ihr die Knie ein. Nein, sie kann jetzt nicht aufgeben. Sonst war alles vergeblich und die Energien werden sich verflüchtigen und von niemandem mehr genutzt werden können. Auch wenn ihr Herr alle Energie wünscht, sie wird ein wenig davon selbst verwenden müssen um diese Prozedur zu überstehen. Verkniffen zweigt sie ein wenig davon für sich selbst ab und nun gelingt es ihr wieder auf die Füße zu kommen.

Und sie kann verstehen warum es ihren Herrn nach gerade diesen Youkai gelüstet. Die Energie ist wild und grob aber reichlich und gleich darauf fällt es ihr wieder leichter ihren Körper zusammen zu halten.

Unverdrossen arbeitet sie sich weiter über das Schlachtfeld. Die ersten Sonnenstrahlen zeichnen sich bereits am Horizont ab, doch allmählich spürt sie, dass sie die maximale Menge an Energie, die ihr aufzunehmen möglich ist, erreicht hat. Schwerfällig torkelt sie von Leiche zu Leiche um ihr schauriges Werk fortzuführen und noch immer sind reichlich davon da.

Schließlich kickt sie erneut zusammen. Ihre Gliedmaßen fühlen sich kraftlos an, ihr Körper ist ein einziger Schmerz und sie blutet aus Augen und Ohren. Nur noch ein Bisschen! Ein Bisschen mehr!

Es hilft alles nichts. Sie konzentriert sich einen Moment und lässt ihre eigenen Energien fließen. Ihre Augen leuchten für einen Moment auf und dann verzerren sich ihre Züge und werden immer animalischer, bis die Frauengestalt verschwunden ist und an ihrer Stelle ein drei Meter langer Salamander dort sitzt. Die ledrige Haut ist schneeweiß und über ihren Rücken ziehen sich versprenkelte, goldgelbe Musterungen bis hin zu ihrer Schwanzspitze.

Das große Geschöpf wirkt nun ein wenig entspannter. Nun nimmt der Energiestrom wieder zu und dieses Mal konzentriert er sich auf den hinteren Teil ihres Schwanzes, welcher nun in einen unwirklichen, rötlichen Schimmer getaucht wird. Die goldenen Symbole auf ihrem Rücken leuchten immer heller auf und mit schleppenden Schritten bewegt sich der Salamander vorwärts. So streift der mächtige Lurch weiter über das Schlachtfeld und sammelt Energie. Die Sonne schiebt sich bereits über den Horizont als endlich auch der letzte Leichnam in eine rötliche Wolke aufgegangen ist. Mit letzter Kraft wie es scheint, schleppt sich das riesige Tier dahin und als dann die letzte Spur von rötlichem Schimmer in ihrem Körper verschwunden ist, geht ein scheußliches Zittern über ihren Körper. Doch dann hebt sie sich schwerfällig jedoch nach mehreren Anläufen erfolgreich in die Luft und verlässt den Ort des Geschehens. Ihr Herr wartet und er duldet keine Verzögerung.
 

- - -
 

Der neue Tag ist hereingebrochen und die Morgensonne steigt gemächlich höher. Mit leicht unsicherem Schritt setzen Inu Yashas Füße auf dem Waldboden auf. Gerade hat er zusammen mit Kagome erneut eines dieser Portale durchquert mit denen man große Entfernungen überbrücken kann ohne viel Zeit zu verlieren. Er torkelt einen Moment lang und kommt dann zum Stehen. Noch immer trägt er seine Freundin auf dem Rücken und normalerweise ist dies keine große Belastung für ihn. Doch nun muss er für einen Moment innehalten und Luft holen. Erschöpft stützt er sich für einen Augenblick auf seinen Oberschenkeln ab. Schweiß läuft ihm über das Gesicht und sein Herzschlag ist unangenehm beschleunigt.

„Alles in Ordnung mit dir?“, lässt sich Kagome besorgt vernehmen.

Er richtet sich mühsam wieder auf. „Diese Portalreisen sind einfach nichts für mich“, erwidert er mürrisch. „Man fühlt sich hinterher wie durch die Mangel gedreht.“ Doch er weiß es besser. Bestimmt schon über eine Stunde rennt er so schnell ihn seine Füße tragen mit Kagome auf dem Rücken nur um so rasch wie möglich wieder die Grenze des Westreiches zu erreichen. Er kann von Glück reden, dass Ki-sama ihm vor seiner Abreise noch mitgeteilt hat, dass es noch einen kürzeren Weg von ihrem Standpunkt aus zur Grenze gibt, sonst hätte er den ganzen anderen Weg wieder zurücklaufen müssen, was mehrere Stunden gedauert hätte, und schon jetzt spürt er wie ihn allmählich die Kraft verlässt.

Nein, die Verletzungen aus seinem letzten Kampf sind, selbst nach der kurzen Nachtruhe, lange noch nicht ausgeheilt, das spürt er genau. Noch immer hat er überall Schmerzen und in jedem Knochen der gebrochen war, fühlt er nach wie vor ein unangenehmes Ziehen. Das alles zehrt unbarmherzig an seinen Kräften und im Grunde wäre er für eine kleine Pause jetzt ganz dankbar. Doch leider kann er sich diese im Augenblick nicht gönnen. Auch wenn ihm von dem langen Dauerlauf schon ein bisschen schwindelig ist, hat er noch immer eine Aufgabe zu erfüllen.

Er hofft nur, dass Kagome nicht mitbekommt wie zerschunden er sich noch immer fühlt. Auf ihr Mitleid möchte er jetzt gerne verzichten. Wenn er sich schon gedanklich dafür wappnet in Kürze Kagemori und den anderen arroganten Schnöseln zu begegnen, kann er es jetzt nicht brauchen, dass sie ihn bedauert. Wenn er sich auch nur ein bisschen Gehör verschaffen will muss er jetzt jedes bisschen Selbstbewusstsein und Fürstenwürde, das ihm verblieben ist, zusammenkratzen und das durchziehen wozu er sich entschlossen hat.

Es hilft alles nichts. Er reckt sich noch einmal, wischt sich kurz den Schweiß aus den Augen und dann läuft er wieder los, immer dem Palast des Westens zu.
 

Zum Glück ist es nicht mehr weit. In nur knapp einer Viertel Stunde hat er das Haupttor des Palastes erreicht. Eigentlich möchte er nicht zeigen wie sehr er erschöpft ist, aber trotzdem ist er außer Atem und mit jedem Schritt werden ihm die Glieder schwerer. Die letzten Schritte bis zum Eingang kommen nur noch schleppend und zum ersten Mal werden ihm die Arme lahm während er seine Freundin trägt.

Kagome hat es natürlich bemerkt, doch sie beschließt ihren Hanyoufreund nicht darauf anzusprechen. Was soll sie ihm auch sagen? Nur Mut, das wird schon? Gemessen an den Umständen erscheint ihr das höchstens wie eine hohle Phrase. Ihr fällt aber auch keine wirklich hilfreiche Aufmunterung ein. Zumal noch immer die Begegnung mit dem Rat des Westreiches aussteht und niemand kann sagen wie sie auf die neusten Entwicklungen reagieren werden. Sie hat aber den Eindruck dass Inu Yasha im Augenblick wenig Lust hat sich über den Mund fahren zu lassen.

Er hat sich verändert seit sie in den Norden aufgebrochen sind. Irgendwie ist er ernster geworden. Und wie er sie vor Ki-sama verteidigt hat, hat sogar ihr ein wenig Angst gemacht. Hätte er wirklich den ganzen restlichen Nordclan umgebracht nur um sie zu rächen? Frauen und Kinder? Sie kann es sich eigentlich nicht vorstellen, aber seine Stimme hat so unerbittlich geklungen dabei, dass ihr doch ein wenig unbehaglich wird bei dem Gedanken. Natürlich ist die Lage ernst und der Hanyou hat einiges mitgemacht seit dem, körperlich wie mental, aber dass es einen solchen Eindruck bei ihm hinterlässt, verwundert sie doch etwas.

Schließlich stehen sie vor dem Eingangstor und ohne, dass sie etwas sagen müssen, wird es auch schon geöffnet. Erleichtert setzt Inu Yasha Kagome ab. Da kommt ihm auch schon der Vizehauptmann Dokutoge entgegen, verneigt sich respektvoll und begrüßt sie. „Willkommen zurück, mein Fürst! Eure Rückkehr wurde bereits sehnsüchtig erwartet nach dem Bericht den wir erhielten. Wie gut, dass Ihr wohlauf seid.“

„Shida ist also schon wieder da. Immerhin das hat geklappt“, murmelt Inu Yasha bei sich. Dann reckt er sich steif und atmet einmal tief durch. Ernst blickt er Dokutoge an. „Ihr seid also schon im Bilde, das ist gut. Alles Weitere werde ich in Kürze bekannt geben. Richtet dem Rat aus, dass ich ihn in einer halben Stunde zu sprechen wünsche! Und schickt mir Myoga her, und sagt ihm, er soll sich diesmal gefälligst beeilen!“ Er wirft einen kurzen Blick auf seine Freundin. „Und Kagome wird solange bei Rin und Kohaku untergebracht, sofern die beiden noch da sind.“ Ein fragender Blick geht zu Dokutoge hinüber.

„Ja, sie sind noch hier, mein Fürst“, bestätigt dieser.

„Gut!“, nickt Inu Yasha. „Dann soll sie dort untergebracht werden und jemand soll sich um ihre Verletzungen kümmern!“

„Hey, Moment mal!“, meldet Kagome sich nun zu Wort. „Entscheide das nicht einfach über meinen Kopf hinweg.“

Nun wendet er sich ihr zu. „Bei dem Sturz gestern hast du dich doch bestimmt verletzt, oder nicht?“, meint er etwas bedächtiger. „Du hast noch immer überall Schrammen und dein Handgelenk ist grün und blau. Glaub nicht, das wäre mir nicht aufgefallen.“ Leicht verschämt wendet er den Kopf weg. „Du ziehst jedes Mal die Luft ein, wenn jemand dran kommt. Das sollte wirklich verarztet werden.“

„Inu Yasha...“, sprachlos blickt Kagome ihren Freund an. Sie wollte ihn mit ihrem verstauchten Handgelenk nicht beunruhigen, doch offenbar hat er es trotz all der turbulenten Ereignisse bemerkt.

„Brauchst du denn nicht ein wenig moralische Unterstützung auf dem Rat?“, hakt sie noch einmal nach. „Soll ich nicht doch lieber mitkommen?“

Er schüttelt den Kopf. „Nein, ich muss das alleine klären.“ Er blickt wieder auf und ihr direkt in die Augen. „Und da will ich dich diesmal nicht dabei haben!“

Verblüfft schaut sie ihn an. Doch sie bringt kein Wort heraus.

Ohne eine Antwort abzuwarten wendet sich Inu Yasha von ihr ab und richtet noch einmal das Wort an Dokutoge: „Ich wünsche, dass sie erstklassig versorgt wird und nicht vergessen: In einer halben Stunde im Ratszimmer!“ Dann marschiert er erhobenen Hauptes an dem Hauptmann der Garde vorbei, durchquert das Tor und ist kurz darauf nicht mehr zu sehen.

Ein wenig überrumpelt blicken die beiden ihm hinterher. „Wer hätte gedacht, dass er sich mal so verhalten würde?“, murmelt Dokutoge bei sich.

„Warum auch nicht?“, kommt es jetzt pikiert von Kagome. Hoch aufgerichtet steht sie da und bedenkt den Youkai mit einem erhabenen Blick. „Schließlich ist er der Fürst. Wie sollte er sich denn sonst verhalten?“ Mit diesen Worten lässt sie den verdatterten Youkaikrieger stehen und spaziert ebenfalls durch das Tor. Es ist nicht nötig, dass sie jemand eskortiert. Den Weg zurück zu den fürstlichen Quartieren getraut sie sich noch alleine zu finden. Und vermutlich werden auch dort ihre Freunde sein. Das hofft sie zumindest, es gibt viel zu besprechen.
 

„Kagemori-sama!“

Der würdevolle Inuyoukai hebt den Kopf. In der Tür zu seinem Arbeitszimmer kniet ein Diener und verneigt sich ehrerbietig. „Was gibt es?“

Der junge Diener hebt den Blick. „Mit Verlaub, mein Herr, Inu Yasha-sama ist in den Palast zurückgekehrt. Er wünscht den Rat in einer halben Stunde im Sitzungszimmer zu sprechen.“

Kagemori verzieht keine Miene. „Gut, du darfst gehen!“, weist er den Diener an, welcher sich auch rasch wieder zurückzieht.

Ruhig beginnt der Truchsess seine Unterlagen auf seinem Pult zu ordnen. Der Hanyou ist also nun doch wieder zurück. Das wird wohl bedeuten, dass der besagte Youkai inzwischen vom Heer des Nordens besiegt worden ist. Wie erwartet. Natürlich bleibt die Frage, was er nun mit dem Rat besprechen möchte.

Vielleicht sieht er es als seine Pflicht an, den gesamten Rat über den Stand der Dinge zu informieren. Natürlich ist ihm das dafür gängige Prozedere nicht geläufig, dass es unnötig macht, alle Verantwortlichen persönlich zu informieren. Doch sicher kann das in Bälde nachgeholt werden. Da der Bursche nun der Fürst ist, wird er nicht drum herumkommen, sich einiges an Wissen und Verhaltensmustern anzueignen, wenn die weitere Zusammenarbeit reibungslos klappen soll. Im Kopf geht er bereits einige Namen durch, die für die Aufgabe in Frage kommen würden, den neuen Fürsten in den Pflichten seines Amtes zu unterweisen.

Kagemoris Hände ruhen für einen Moment. Doch möglicherweise geht er auch von falschen Annahmen aus. Vielleicht will der Hanyou ihnen auch mitteilen, dass dieser Fremde mit dem Norden gemeinsame Sache macht und sie nun zusammen gegen den Westen mobil machen. Es wäre fahrlässig dies nicht in Erwägung zu ziehen. In diesem Fall muss die Erziehung des Hanyous noch eine Weile warten und die neue Bedrohung hat erst mal Vorrang.

Was auch immer der Grund für die Einberufung des Rates ist, es bringt hoffentlich endlich ein wenig Licht in diese undurchsichtige Situation. Aber wenn es eine ernste Angelegenheit wäre, würde er sicher nicht unnötig eine halbe Stunde verstreichen lassen. Also wird es wohl hauptsächlich zu informativen Zwecken sein. Doch das ist nicht weiter schlimm, zumal es noch den einen oder anderen Punkt gibt weshalb der Rat ohnehin hätte tagen müssen. Dass der junge Prinz sie nun zu sich zitiert ist also nicht die schlechteste Idee.

Gemächlich bringt Kagemori seine bürokratischen Pflichten zu ende. Eine halbe Stunde ist mehr als genug Zeit dafür.
 

Erstaunlich zügig hat Kagome den Weg zurück zu ihrer Unterbringung gefunden. Die Frage ob sie ihre Freunde hier antrifft, erübrigt sich, denn man hört ihre Stimmen schon vom Eingang des Flures aus.

„Und ob ich weiß was ich tue!“, ereifert sich Rin gerade in ihrem Quartier. „Ich weiß vermutlich besser was ich hier tue als du!“

„So? Was denn?“, kommt es herausfordernd von Kohakus Stimme. Er klingt ziemlich aufgebracht. „Willst du wirklich ganz alleine hier im Schloss bleiben? Nur umgeben von einem ganzen Rudel Youkai die dich hassen und am liebsten wieder los wären?“

Man hört ein entnervtes Geräusch. „Wie oft denn noch? Ich bin die Tochter von Sesshomaru-sama und deshalb werden sie mir bestimmt kein Haar krümmen. Und ich bleibe hier, weil es der Anstand nun mal so gebietet!“

„Was für ein Anstand?“, kommt der verzweifelte Ausruf von Kohaku. „Ob du nun hier auf ihn wartest, oder bei uns im Dorf ist doch gleich. In beiden Fällen kommt er ganz sicher um nach dir zu sehen, falls er zurückkommt.“

Wenn!“, der resolute Ausruf lässt keine Wiederworte zu.

„Also schön, wenn!“, grollt Kohaku. „Trotzdem, niemand weiß wie lange das sein wird. Willst du wirklich die ganze Zeit hier im Palast hocken, umgeben von Feinden, oder ist es nicht besser du kommst erst mal zurück zu uns?“

„Und was soll ich da? Kann ich da irgendetwas ausrichten?“, kommt es trotzig zurück. „Und du? Warum hast du es so schrecklich eilig hier wegzukommen?“

„Ich bin ein Dämonenjäger!“, kommt es grimmig. „Mich können sie genau so wenig leiden. Außerdem muss ich zurück zu Sango und sie warnen. Ich halt es nicht aus hier untätig herumzusitzen und dabei zu riskieren, dass dieses... Monster über unser Dorf herfällt.“

„Dann geh doch!“, drängt Rin nachdrücklich. „Niemand hält dich auf! Kümmere du dich um deine Familie und ich kümmere mich um meine.“

Man hört Kohaku mühsam beherrscht mit den Zähnen knirschen.

Diesen Moment beschließt Kagome zu nutzen um das Zimmer zu betreten. Zwei zunächst überraschte doch dann erfreute Gesichter fliegen zur Tür hinüber.

„Kagome-sama!“, ruft Kohaku erleichtert. „Du bist wieder da! Wie gut, dass dir nichts passiert ist. Ist Inu Yasha auch wieder zurück?“

Rin springt rasch auf und läuft auf sie zu. „Kagome-san!“ freudig herzt sie die junge Frau. „Erzähl, was habt ihr erlebt!“

Nur mühsam kann sich Kagome der Zutraulichkeit erwehren. Es ist nicht ganz leicht das Mädchen mit nur einer Hand von sich zu lösen, doch schließlich sitzen sie wieder alle im Kreis. Die beiden jungen Leute, die sich gerade noch emsig gezankt haben, sitzen nun ganz einvernehmlich und brav da und hängen an ihren Lippen während sie sie nötigen ihre Reise bis ins kleinste Detail zu erzählen.

Ein wenig beklommen schildert Kagome die vergangenen Ereignisse. Von ihrer Ankunft im Norden und dem verwüsteten Schlachtfeld, von ihrem Treffen mit dem Nordclan und dem Auffinden des kümmerlichen Rest der entsandten Abordnung. Und sie berichtet so gut sie es vermag von der Begegnung mit dem furchtbaren, schwarzen Hundedämon. Sie erzählt von der Aura die alle Inuyoukai vor Furcht erzittern lässt, und wenn auch widerwillig, von Inu Yashas Flucht, doch auch davon wie er sich besonnen hat und seinem Feind heldenhaft gegenübergetreten ist und ihn schließlich mit letzter Kraft in die Flucht geschlagen hat. Auch vom Auffinden der Nordfürstin und dem kläglichen Rest ihres Heeres erzählt sie, sowie von dem Rat der darauf folgte.

Als sie geendet hat, schauen die beide sie betreten aber auch überwältigt an. Rin ist blass geworden und Kohakus Mund ist ein dünner Strich. Hart ballt er die Hand zur Faust.

„Es ist noch schlimmer als ich zunächst vermutet hatte. Ich wusste immer er ist mächtig, aber nicht wie sehr.“

Kagome seufzt. „Ja, das ging uns wohl allen so. Aber immerhin wissen wir, dass wir wenigstens eine kleine Chance haben, solange Inu Yasha die Meido beherrscht.“

„Und wir haben die Prophezeiung!“, verkündet Rin selbstbewusst. „Ihretwegen ist Sesshomaru-sama in die Unterwelt gegangen, und er kommt bestimmt wieder, und ganz sicher nicht mit leeren Händen.“

„Dein Vertrauen in ihn in allen Ehren“, meint Kagome, „aber gerade im Moment ist er leider nicht hier und deshalb hat er Inu Yasha die Verantwortung überlassen. Und das heißt, dass wir uns jetzt mit dieser Sache befassen müssen. Und was wir tun können, ist erst mal Kamukiku nach dem Rest der Erzählung zu fragen, damit wir endlich erfahren wer dieser Kerl überhaupt ist.“

Gerade öffnet sich die Tür zum Quartier und der Heiler Yasugi kniet davor. „Mir wurde aufgetragen mich um die Verletzungen der Begleiterin von Inu Yasha-sama zu kümmern“, gibt er höflich an.

„Mein Name ist Kagome“, entgegnet Kagome ernsthaft. Warum nur die Youkai immer so viele Probleme haben sie beim Namen zu nennen?

Rasch erhebt der Arzt sich und kommt zu ihr herüber. Es bedarf keiner weiteren Aufforderung. Ohne weitere Umschweife nimmt er ihre Verletzungen in Augenschein. Er legt einen fachkundigen Verband um ihr verstauchtes Handgelenk und versorgt ihre Schürfwunden mit einer lindernden Salbe.

Wortlos lässt Kagome es geschehen. Doch schließlich richtet sie doch das Wort an ihn. „Ich habe schon bei Eurer Behandlung von Kohaku gesehen, dass Ihr viel herkömmliche Medizin verwendet. Verbände, Kräutersalben und so. So etwas Ähnliches lerne ich gerade von der Miko bei uns im Dorf. Es ist wirklich interessant, dass doch so viele Gemeinsamkeiten bestehen.“

Der Youkai blickt nun ein wenig unbehaglich drein, doch ehe er dazu kommt etwas dazu zu sagen, meldet sich Kohaku zu Wort. „Mit dem Unterschied, dass dämonische Arznei wesentlich schneller wirkt.“

Kagome nickt zustimmend. „Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Aber was ich eigentlich fragen wollte, gibt es noch eine andere Art des Heilens? Wir trafen gestern nämlich eine Heilerin des Nordclans. Sie scheint hauptsächlich durch eine Art Magie zu heilen. Jedenfalls legt sie den Verletzten nur die Hände auf und es geht ihnen hinterher besser. Könnt Ihr so etwas auch?“

Nun richtet sich Yasugi langsam im Sitzen auf. Er scheint nach den richtigen Worten zu suchen.

„Was Ihr da beschreibt, ist offenbar eine Art Magie um Energie zu übertragen. Sehr effektiv, aber auch sehr gefährlich für den Benutzer. Wenn ein Youkai keine exzellente Kontrolle über seine eigene Energie hat, funktioniert es höchstwahrscheinlich gar nicht und kann im schlimmsten Fall nicht nur gefährlich für den Anwender sondern auch für den Patienten sein. Aus diesem Grund verwenden wir in unserem Clan diese Technik nur sehr selten und nur im allergrößten Notfall. Als Leibarzt der Fürstenfamilie, steht es außer Frage, dass das Wohlergehen und die Gesundheit des Fürsten für mich oberste Priorität hat und keinen Raum für Eventualitäten einräumt.“

Kagome nickt zustimmend. „Das verstehe ich. Und ich bin wirklich froh das zu hören. Wenn Inu Yasha von seinem Rat zurückkommt, solltet Ihr ihn vielleicht auch einmal untersuchen. Er hat zwar nichts gesagt, doch ich bin mir sicher, dass er noch immer verletzt ist nach dem letzten Kampf. Ki-sama hat ihn zwar einigermaßen wieder hingekriegt mit ihrer Technik, aber ich bin sicher er hat noch immer starke Schmerzen.“

Abschätzend mustert der Heiler sie. „Diese Ki-sama vom Nordclan, hat Inu Yasha-sama mit ihrer Magie geheilt?“ Ein kaum wahrnehmbares Schmunzeln und eine leicht gehobene Augenbraue zieren nun sein Gesicht. „Interessant.“ Dann wendet er sich wieder seiner Arbeit zu.

Niemand in diesem Zimmer kommt auch nur auf den Gedanken, dass gerade in diesem Moment der Vizehauptmann Dokutoge am Haupttor des Palastes mit einem neuen Problem konfrontiert wird. Ein unerwarteter Neuankömmling begehrt Einlass und Dokutoge ist sich bewusst, dass ihm nur Sekunden bleiben um zu entscheiden ob er den Betreffenden passieren lässt.

Der ungewöhnliche Besucher scheint von seinen Bedenken keinerlei Notiz zu nehmen und trottet, ohne langsamer zu werden, weiter auf das Eingangstor zu. Für einen kurzen Moment ringt Dokutoge noch mit sich, doch dann gibt er rasch Befehl den Weg freizugeben. Ohne weitere Behinderung passiert der Neuankömmling den Eingang, bleibt kurz sinnend stehen, hebt dann den Kopf und schlägt dann ohne weitere Umschweife den Weg zu den Fürstenquartieren ein. Dass dabei sämtliche Bediensteten die ihm begegnen eilig aus dem Weg hechten, ignoriert er völlig. Mit wenigen Sätzen hat er die Treppe zum Eingang der Fürstenwohnung überwunden und tritt nun durch den Vordereingang, der keine Probleme hat die ungewöhnlich massige Gestalt passieren zu lassen.

Noch einmal hebt sie die Nase und stapft dann leichtfüßig zu dem hinteren Zimmer in dem Kagome gerade von Yasugi zu ende versorgt wird. Verwundert wenden Kagome und die Anderen sich der Tür zu, denn dahinter sind Schritte und leichte Erschütterungen zu vernehmen.

Und plötzlich stößt ein gewaltiger Kopf durch die dünne Papierwand und lässt die Anwesenden kurz erschrocken zusammenfahren und aufkreischen. Doch nicht für lange. Ein paar Schrecksekunden später hellt sich Rins Gesicht auf. „Kamukiku-sama!“, strahlt sie.

Die Lefzen der alten, weißen Youkaifrau in ihrer riesigen Hundegestalt heben sich amüsiert und eine tiefe Altstimme brummt: „Da ist ja meine kleine Urenkelin!“

Die Drei Brüder

Der steinerne Hohlweg, den die drei Inuyoukai gekommen sind, erweitert sich nun und gibt den Blick auf ein weites Tal frei. Sesshomaru schaut auf. In der Mitte der Senke ragt ein annähernd kegelförmiger, zerklüfteter Felsen auf und reicht mehrere hundert Schritt in die Höhe. Seine Spitze ist nicht auszumachen, denn irgendwo verschmilzt sie mit dem rötlichen Dunst der den gesamten Himmel hier bedeckt. Ein schmaler Weg führt von ihrem momentanen Aussichtspunkt hinab in die Ebene bis hin zu seinem Fuß. Von hier sieht es beinahe so aus als wären um ihn herum überall größere und kleinere Höhlen in den Felsen genagt worden.

Ihr Ziel vor Augen machen sich die drei an den Abstieg. Trotzdem sie nun ihre Schritte etwas beschleunigen, dauert es noch immer fast eine ganze Stunde bis sie den Fuß des gewaltigen Felsens erreicht haben. Dort angekommen finden sie einen Weg vor der rasch bergan steigt und sich dabei um den Berg herumwindet. Mit zügigem Schritt beginnen die drei Inuyoukai den Weg zu erklimmen.

Doch schon nach einer kurzen Weile stellen die beiden anderen fest, dass Sesshomaru zurückfällt. Zwar bemüht er sich verbissen mit ihnen Schritt zu halten, doch er kann es einfach nicht verhindern, dass sich seine Atmung deutlich tiefer wird und sein Herzschlag sich beträchtlich beschleunigt. Dieses elende Zusatzgewicht lastet noch immer nachdrücklich auf seinem Körper und auch wenn er sich inzwischen größtenteils damit abgefunden hat, bedeutet dieser steile Anstieg noch mal eine erhebliche Belastung für seine Kraftreserven.

Sesshomaru versucht den Blick der beiden zu meiden. Es setzt seinem Stolz noch einmal beträchtlich zu, dass gerade diese beiden Personen mitbekommen wie sehr er sich hier an dem kleinen Hügel abkämpft. Er kann nur innerlich hoffen, dass sie taktvoll genug sind, ihn nicht darauf anzusprechen.

Doch seine Hoffnung wird leider nicht erfüllt. Sein Vater mustert ihn dabei die ganze Zeit äußerst kritisch. Als er wieder zu ihnen aufgeschlossen hat, fragt er: „Du hast eine ganze Weile gebraucht um hierher zu gelangen, nehme ich an? Dein Anliegen muss sehr wichtig sein.“

„Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Man verliert hier leicht das Zeitgefühl ohne Tag und Nacht“, übergeht Sesshomaru unwillig die letzte Bemerkung. „Ich vermute es könnten zwei oder drei Tage gewesen sein.“

„Du willst sagen, du hast vom Höllentor hierher zwei oder drei Tage gebraucht?“, hakt sein Vater noch einmal skeptisch nach.

Missmutig verzieht Sesshomaru das Gesicht. „Da ich noch einen lebenden Körper besitze, ist mir die Fortbewegung hier deutlich erschwert. Ich wäre auch wesentlich glücklicher, wenn das nicht der Fall wäre.“

„Sesshomaru...“, will Hanaki ansetzen, doch Inu Taishou hebt demonstrativ die Hand.

„Belassen wir es dabei!“ Dann wendet er sich würdevoll zum Gehen und schreitet vorweg. „Wir müssen weiter. Kommt!“

Ein wenig zerknirscht macht sich Sesshomaru daran ihm zu folgen. Es wurmt ihn, einen solch mangelbehafteten Eindruck bei seinem Vater hinterlassen zu haben. Doch das ist nun nicht zu ändern. Verbissen kämpft er sich weiter den Bergpfad hinauf.

Zu seiner Erleichterung endet der Weg jedoch bald. Sie biegen noch um eine Kurve und stoßen dann auf einen breiten Einschnitt im Berg, der einen weiten, runden Platz umschließt. In die schräg abfallende Felswand sind zahlreiche roh behauene Nischen und Emporen eingefügt. Es ist nicht eindeutig erkennbar ob dies willentlich oder zufällig entstanden ist.

Am Ende des breiten Platzes geht eine extrem steile und schmale in den Fels gehauene Treppe hinauf. Sie führt zu einem Podest, das von einer großen, glatten, rostfarbenen Kuppel überspannt ist. Auf diesem Podest ist nun ein großer grau-gescheckter Hund auszumachen. Er liegt lang ausgestreckt auf der Seite mit dem Rücken zu ihnen und scheint ein Schläfchen zu halten. Zumindest ist in regelmäßigen Abständen ein entspanntes Schnaufen zu hören.

Inu Taishou tritt nun in die Mitte des Platzes und wendet sich dem großen Hund zu. „Mugen!“, ruft er vernehmlich doch von dem mächtigen Tier kommt keine Reaktion. „Mugen! Wach auf!“ Dieses Mal ist die einzige Antwort ein genüssliches Kratzen hinter einem der Ohren bevor der mächtige Rüde sich wieder zusammenrollt und unbeeindruckt weiterschläft.

Nun blickt Inu Taishou auffordernd zu Hanaki hinüber. Sogleich nickt die Daiyoukai folgsam und mit ein paar grazilen Sätzen hat sie auch schon die Empore erklommen. Nun steht sie mit missbilligender Miene neben dem riesigen Hund der ihr im Liegen bis zur Brust geht.

Dann urplötzlich verpasst sie dem riesigen Tier einen kräftigen Tritt in die Rippen. „Mugen! Du dämlicher Langschläfer!“, schimpft sie. „Schluss mit der Faulenzerei! Es gibt Arbeit für dich.“

Das zeigt Wirkung. Sofort springt der große Hund mit einem kurzen Aufjaulen auf die Füße und blickt verschlafen um sich. Große violette Augen mustern argwöhnisch die Frau vor ihm, doch dann entspannt er sich wieder. Er streckt sich einmal ausgiebig und rekelt sich genüsslich. Dann brummt er: „Musst du immer so grob sein, Hanaki-san? Ein sanftes Ohrenkraulen hätte es auch getan.“

Die Miene der Daiyoukai zieht sich zu. „Davon träumst du vielleicht“, entgegnet sie kühl.

„Ich kann dir gerne mal erzählen wovon ich träume“, meint der graue Hund anzüglich und streift ihr kurz wie beiläufig mit dem Schwanz über ihre Schultern als er sich umdreht.

Ein kurzes unwillkürliches Zusammenzucken Sesshomarus erlangt Hanakis Aufmerksamkeit. Der weißhaarige Daiyoukai durchbohrt den grauen Hund gerade mit vernichtenden Blicken. Es ist deutlich zu sehen wie sehr er gerade um seine Selbstbeherrschung bemüht ist.

Ohne Umschweife wendet sie sich wieder an den grauen Rüden vor ihr. „Mach dir besser keine falschen Hoffnungen, Mugen“, meint sie frostig. „Das könnte äußerst ungesund für dich enden.“

Der Inuyoukai seufzt. „Wie schade! Aber womöglich überlegst du es dir ja noch mal.“

„Wohl kaum!“, erwidert Hanaki trocken.

Nun setzt sich der graue Hund bequem auf seine Hinterpfoten und schaut die kleine Gruppe an. „Also schön, was kann ich denn nun für euch tun?“

„Na, was schon“, kommt es diesmal leicht zynisch von Inu Taishou. „Du sollst den Hohen Rat zusammenrufen.“

Der graue Hund schnaubt verächtlich. „War ja klar! Warum habe ich auch geglaubt, man hätte diesmal ein anderes Anliegen an mich?“

Nun wird Inu Taishous Miene ernst und ein strenger Unterton liegt in seiner Stimme. „Mugen, du weißt ja, dass du auch gerne eine andere Aufgabe übernehmen darfst. Sicher findet sich jemand, der deine Stellung hier gerne übernimmt.“

Ein wenig beleidigt blickt der Hundedämon zur Seite. „Schon gut, schon gut! Ich mach ja schon.“ Fügsam erhebt er sich und trottet in den hinteren Bereich der Plattform.

Inzwischen ist Sesshomaru an seinen Vater herangetreten und auch Hanaki hat ihre erhöhte Position verlassen und hat sich wieder zu ihnen gesellt.

Inu Taishou schmunzelt ein wenig. „Er würde seinen Posten dort niemals freiwillig aufgeben“, antwortet er auf Sesshomarus fragenden Blick hin.

„Weshalb?“, beschließt der jüngere Daiyoukai zu fragen.

In diesem Moment sehen sie wie Mugen mit einem gewaltigen Hammer im Maul wieder auftaucht. Dann beginnt seine Erscheinung zu schimmern und wenige Augenblicke später hat der Inuyoukai eine menschliche Gestalt angenommen. Er ist hochgewachsen aber ein wenig schlaksig. Seine dunkelgrauen Haare reichen ihm bis zum Nacken und sein Gesicht weist erstaunlich viele Rundungen auf für einen Ostyoukai als den ihn seine violetten Augen eindeutig ausweisen und mit denen er nun schelmisch in die Gegend blickt. Jetzt packt er mit beiden Händen den mitgebrachten Hammer und mit aller Kraft schwingt er ihn von außen gegen die rötliche Kuppel über dem Podest. Unmittelbar darauf ertönt der tiefe, volltönende Klang eines gewaltigen Gongs der mit seiner beeindruckenden Lautstärke selbst den Boden auf dem sie stehen zum vibrieren bringt.

„Prestige!“, beantwortet Inu Taishou nun mit einem kurzen Lächeln die Frage seines Sohnes, während er sich, wie dieser, die empfindlichen Ohren zuhält. „Er ist der einzige der das Recht hat diesen Gong zu schlagen. Es ist seine Belohnung gewesen.“

„Seine Belohnung? Wofür?“, fragt Sesshomaru über den Lärm zurück als der Hammer noch ein paar mal mehr auf der Glocke aufschlägt.

„Für die gute Idee und Arbeit die er geleistet hat.“

Noch immer presst der jüngere Daiyoukai irritiert die Hände über die Ohren. „Ich verstehe nicht.“

„Der Gong der den Rat zusammenruft. Er hat ihn entworfen und gebaut. Er durfte sich seine Belohnung selbst aussuchen.“ Die letzten Worte Inu Taishous dringen noch laut in die jüngst eingetretene Stille hinein.

„Ja, verdammt! Genau so war es“, tönt es gehässig von oben. „Und deshalb rührt keiner außer mir diesen verdammten Hammer an. Das will ich mir mal ausgebeten haben, klar?“ Mit einem schiefen Grinsen hockt Mugen auf der Kante des Podestes, hält den Hammer neben sich aufgestützt und linst zu ihnen hinunter. „Macht es euch bequem. Es dauert sicher nicht lange bis Sie hier auftauchen.“

Während Sesshomaru noch argwöhnisch in die Runde blickt, wendet sein Vater sich ihm noch einmal zu. „Was auch immer dich hierher geführt hat, versuche es so umfassend und aufrichtig wie möglich zu erläutern. Dadurch ersparst du dir weitreichendere Unannehmlichkeiten.“

Verärgert blickt Sesshomaru ihn an. „Unterstellt Ihr mir, ich würde meinen Bericht beschönigen wollen? Haltet Ihr mich für einen Lügner?“

Mit undeutbarer Miene erwidert Inu Taishou seinen Blick. „Das nicht, doch du verschweigst etwas vor mir. Ich darf darum bitten, dass nichts was diese Angelegenheit betrifft verheimlicht wird. Die anderen Ratsmitglieder sehen darüber vielleicht nicht so wohlwollend hinweg wie ich.“

Nun spiegelt sich deutliche Unsicherheit auf Sesshomarus Gesicht wieder. „Worauf spielt Ihr an?“

„Ich bin kein Narr, Sesshomaru“, gibt Inu Taishou ernst zurück. „Du und Hanaki, ihr kennt euch. Deine ganze Körpersprache verrät es. Vielleicht erfahre ich ja gleich mehr darüber, als lediglich raten zu müssen und im Stillen Schlussfolgerungen zu ziehen.“

Mit diesen Worten wendet er sich ab und ohne weitere Umschweife setzt er sich in Bewegung und strebt einem der erhöhten Podeste um sie her zu.

Mit deutlichem Unbehagen sieht Sesshomaru ihm nach. War es wirklich so offensichtlich? Konnte er seine Beziehung vor seinem Vater so wenig verheimlichen? Tatsächlich versucht hat er es nicht, doch er wusste einfach nicht wie er das brisante Thema zur Sprache bringen sollte. Erst jetzt wird ihm bewusst, dass sein Vater von 'den anderen Ratsmitgliedern' gesprochen hat. Soll das bedeuten, sein Vater wird mit über sein Anliegen befinden? Nun ja, es ist natürlich nachvollziehbar, immerhin ist er einer der mächtigsten Daiyoukai die existieren. Er kann nicht sagen, ob ihm das nun zusagt oder nicht. Schon sieht er wie sein Vater zu seiner vorderen linken Seite auf einem der Podeste Platz bezogen hat und nun abwartend auf ihn hinunterblickt.

„Warte hier!“, lässt ihn nun Hanakis Stimme sich zu ihr umwenden. „Beantworte alle ihre Fragen und zeige den nötigen Respekt, dann sollten wir es ohne große Schwierigkeiten hinter uns bringen.“

Der Daiyoukai will noch etwas erwidern, doch schon dreht auch die Ostyoukai sich um und mit raschen, grazilen Sprüngen erklimmt auch sie eine der Emporen und lässt ihn alleine auf dem breiten Platz zurück. Mit gemischten Gefühlen sieht er sie gehen. Auch sie? Ist sie ebenfalls Teil des Rates? Doch im Grunde ist es nur verständlich. Schließlich ist sie eine Daiyoukai und die rechtmäßige Erbin der Herrschaft über den Ostclan. Auch sie darf nun über sein Anliegen entscheiden und er kann sich des Gefühls nicht erwehren, sich ein wenig übergangen zu fühlen.

Doch noch ehe er darauf weitere Gedanken verwenden kann, wird er wieder in die Gegenwart geholt denn jetzt beginnen sich allmählich die Plätze der Arena zu füllen. Immer mehr Inuyoukai tauchen auf und blicken von den Emporen neugierig auf ihn herunter. Einige haben Menschengestalt doch auch viele sind in ihrer Hundegestalt anwesend. Blaue, purpurne und goldene Augen starren ihn belustigt, neugierig oder hasserfüllt an, doch kaum einer von ihnen gibt laute Geräusche von sich. Es ist als läge eine angespannte Erwartung über dem Platz die alle Anwesenden unter ihre Verfügung zwingt.

Und nur einige Momente später wird Sesshomaru eines bekannten Gesichtes gewahr, auch wenn das Treffen mit dieser Person schon eine Weile zurückliegt. Es ist Inu Taiarashi, der Vater von Arashitsume und Hanaki. Wie er feststellt bezieht dieser auf einem Podest über seiner Tochter Stellung und nickt ihr lediglich einmal steif zu, ehe er seinen Blick auf Sesshomaru richtet. Zu seiner Überraschung schenkt Hanaki ihrem Vater kaum mehr als einen flüchtigen Moment der Aufmerksamkeit und wendet sich dann von diesem ab um stattdessen ebenfalls zu ihm hinunterzusehen.

Doch damit nicht genug. Von der anderen Seite her betritt nun ein weiterer massiger Youkai das Rund. Seine blauen Augen leuchten bedrohlich in die Gegend. Ein kräftiger schneeweißer Pelz schwingt sich über seine Schultern hinab und seine Gesichtszüge sind verhärtet. Im ersten Moment meint Sesshomaru in dem Betreffenden Inu Taihyouga, den Vater Yarinuyukis erkannt zu haben, doch der Eindruck täuscht. Das Gesicht ist ähnlich, doch er ist es nicht.

Und plötzlich beschleicht Sesshomaru eine unangenehme Ahnung. Ist es möglich, dass, wenn vom Hohen Rat der Höllenhunde die Rede ist, damit alle bisherigen Fürsten ihrer Rasse gemeint sind? Alle ihre Ahnen bis hin zu den ersten drei großen Fürsten, den Drei Brüdern? Der jugendlich wirkende Daiyoukai spürt wie es ihm kalt den Rücken herunterläuft und sich seine Nackenhaare aufstellen.

Jedoch nur kurz darauf scheinen sich seine Befürchtungen zu bewahrheiten. Das unterschwellige Raunen, Grollen und Schnaufen um sie herum verstummt mit einem Mal und die Youkai ducken sich während vereinzelt unterwürfiges Winseln zu hören ist. Und dann erscheint auf einem der höchsten Plateaus eine weitere Gestalt. Sie überragt alle Inuyoukai die Sesshomaru bisher gesehen hat um mindestens zwei Kopfgrößen. Sie trägt eine kostbar gearbeitete Metallrüstung und über ihre Schultern wallen zwei prächtige graue Pelzstränge herab. Auch sein Haupthaar ist silbrig-grau doch das Gesicht lässt nicht das erahnte Alter vermuten. Die Gesichtszüge sind markant und so ebenmäßig wie beinah schon unwirklich. Auf seiner Stirn prangt ein tiefviolettes Blitzsymbol und selbst die zackige Wangenzeichnung ist fast schwarz. Nur die purpurfarbenen Augen sprühen ein helles und intensives Feuer in ihre Umgebung während sie die Szenerie erst einmal ausgiebig mustern.

Sesshomaru stellt fest, dass sich sein Puls unliebsam beschleunigt hat, kaum dass dieser Fremde aufgetaucht ist und die Erscheinung lässt im Grunde nur einen Schluss zu. Dies muss Warugashikomaru sein, einer der legendären Ersten Drei, und der erste Fürst des Ostens. Ihm verdankt der Ostclan den Fluch des Herrscherbannes. Der weißhaarige Daiyoukai konnte sich in der Vergangenheit selbst von dieser unabwendbaren Institution überzeugen und seine Erinnerungen daran sind alles andere als angenehm. Unter anderen Umständen hätte er sicher gerne dessen Schöpfer wissen lassen, was er von dieser Einrichtung hält, doch nicht jetzt. Im Augenblick ist Sesshomaru nicht in der Lage auch nur einen Finger zu rühren, zu erdrückend ist die machtvolle Aura die diesen Daiyoukai umgibt und ihm Respekt abverlangt.

Nun wendet sich der machtvolle Daiyoukai des Ostens an den Ostyoukai unter der Glocke. „Mugen!“, ertönt die kräftige maskuline Stimme, „Wozu rufst du uns her? Ich habe wenig Interesse mich wieder mit Kinkerlitzchen abgeben zu müssen.“

Ergeben senkt der Angesprochene den Kopf. „Inu Taishou-sama ersuchte um die Einberufung des Rates“, sagt er folgsam. „Wie es scheint gibt es Besuch von der anderen Seite.“

Nun wendet sich der große Inuyoukai zu Sesshomaru um und mustert ihn scharf. Es kostet den hochgewachsenen Westyoukai alle Selbstkontrolle um dessen Blick standzuhalten. Jedoch sein Puls beschleunigt sich noch einmal.

Nachdem Warugashikomaru seine Inspektion abgeschlossen hat, fragt er mit nicht zu überhörendem Missfallen in der Stimme: „Wer ist das? Was hat er hier zu suchen?“

Doch noch ehe Sesshomaru antworten kann, ergreift Inu Taishou an seiner statt das Wort. „Um das zu erörtern, wurde der Rat einberufen. Ich schlage vor, dass wir mit den Fragen warten bis alle eingetroffen sind, die die Antworten hören müssen.“

Nun dringt ein ärgerliches Grollen aus der Kehle des Daiyoukais des Ostens. „Seht Euch bloß vor, Inu Taishou! Nehmt Euch einmal zu oft solche Dreistigkeiten heraus und Ihr werdet es bereuen!“

„Ist das eine Drohung?“, ertönt nun eine ruhige, vollmundige Stimme hinter Inu Taishou. Ein hochgewachsener, kräftiger Inuyoukai tritt hervor und gesellt sich nun zu Sesshomarus Vater. Sein silberweißes Haar ist zu einem Samuraizopf zusammengenommen, das ihm lang über den Rücken bis zu den Knöcheln hinabfällt. Zwei massige Fellstränge umrahmen seine markante Schulterpartie mit den metallenen Schulterpolstern die gut auf seinen kupferfarbenen Schuppenpanzer abgestimmt sind. Auch er überragt den Daiyoukai neben sich um fast zwei Kopflängen. Sein Gesicht ist fein geschnitten und doch spiegelt es trotz seiner Jugendhaftigkeit eine lange Lebenserfahrung wieder. Die dunkle Wangenzeichnung vollführt einige ausgefranste Streifen und auf seiner Stirn ist die Silhouette eines tiefblauen Neumondes zu erkennen. Augen von der Farbe dunklen Goldes blicken nun durchdringend zu dem anderen Daiyoukai des Ostens hinüber.

Dieser fletscht kurz die Zähne, doch dann ruft er sich scheinbar zur Ordnung. „Eine Warnung, mehr nicht“, gibt er giftig zurück. „Besuch aus dem Diesseits gelangt nicht oft hier her. Ich wollte nur diesem ungewöhnlichen Umstand Rechnung tragen.“

„Indem du dir wie üblich eine Informationsvorteil uns anderen gegenüber zu verschaffen suchst, Warugashikomaru?“, kommt es nun zynisch von dem beeindruckenden Daiyoukai des Westens zurück.

„Die Antwort auf die Frage nach Name und Begehr, kann man wohl kaum einen Vorteil nennen, Reiseimaru!“, bricht es ungehalten aus dem ersten Ostfürsten hervor. „Heb dir deine Unterstellungen lieber für später auf!“

„Als ob du dich mit diesen Fragen zufrieden gegeben hättest“, entgegnet der Angesprochene belustigt.

Ein Ruck geht durch den Körper des ersten Ostfürsten, als wollte er dem anderen an die Kehle springen, doch er besinnt sich doch noch eines Besseren. „Wenigstens bemühe ich mich mein Wissen zu erweitern und gebe nicht vor schon alles zu wissen, wie du!“, zischt er zurück.

Der Angesprochene will gerade etwas erwidern, als Inu Taishou ihm sachte ins Wort fällt: „Reiseimaru, lass ihn! Wir brauchen ihn in einigermaßen verträglicher Stimmung. Wenn mein Sohn als Lebender zu uns kommt, dann muss die Lage ernst sein.“

„Ach, er ist dein Sohn?“, erklingt nun eine säuselnde Stimme von der rechten Seite. Sie stammt von einem leicht und kunstvoll gerüsteten Ostyoukai mit hellgrauen, langen Haaren. Er ähnelt ein wenig Arashitsume, doch seine Gesichtszüge sind deutlich maskuliner. „Warum die Geheimniskrämerei. Es kommt doch sowieso heraus, dass es wiedereinmal der Westen ist, der für Probleme sorgt.“ Dabei spielt er wie beiläufig mit einer Haarsträhne.

„Halt den Mund, Inu Kosame! Das ist nicht hilfreich“, schnappt Warugashikomaru ein Podest über ihm und der Ostyoukai verstummt missmutig. Dann setzt der erste Fürst des Ostens ein gezwungenes Lächeln auf. „Ich bin sicher, sobald wir alle da sind, wird sich diese Angelegenheit sicher rasch aufklären.“

„Ich finde er sieht ein wenig anders aus, als du ihn beschrieben hast, Inu Taishou“, klingt nun eine dunkle Frauenstimme von oben. Die dazugehörende Inuyoukai sitzt an der Kante einer höheren Empore als Reiseimaru und Inu Taishou und blickt auf die zwei hinunter. Sie trägt elegante Reisebekleidung und auf dem Rücken einen prächtigen Langbogen mit Köcher. Ihre langen weißen Haare sind zu zwei Kordeln gedreht und an ihrem Hinterkopf hochgesteckt. Strahlend goldene Augen gehen nun zwischen Inu Taishou und Sesshomaru hin und her. „Er wirkt ein wenig... schmächtig.“

Nun wendet sich Inu Taishou beherrscht zu der Frau um. „Gerade du, Dokukasumi, solltest doch wissen wie sehr der äußere Anschein täuschen kann.“

Nun legt sich ein verschmitztes Schmunzeln um die Mundwinkel der Inuyoukai. „Das war auch eher als Kompliment gemeint. Manchmal ist es durchaus von Vorteil, sich nicht gleich in die Karten...“

Doch noch ehe sie ihren Satz beenden kann, erschüttert urplötzlich ein mächtiger Erdstoß den Felsen. Und dann noch einer und noch einer und kurz darauf sind aus der Ferne gewaltige, schwere Schritte zu hören, die sich schnell nähern.

Dokukasumi schlägt entnervt die Augen nieder. „Er kann es einfach nicht lassen.“

„Was denn? So verschafft man sich einen angemessenen Auftritt!“, ertönt nun die laute Stimme des Daiyoukai aus dem Norden, der Inu Taihyouga ähnelt. „Wenn hier irgendjemand weniger von meinem Vater erwartet, möge er vortreten! Wir können das augenblicklich klären!“

„Das wird nicht nötig sein, Inu Kourishiba!“, schreitet Reiseimaru nun resolut ein. „Für Kämpfe ist jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt.“

In diesem Moment fällt ein mächtiger Schatten auf die Versammlung und über den Rand des Ratsplatzes schiebt sich nun ein gewaltiger, schneeweißer Hundekopf mit einem schwarz-schimmernden Kristall auf der Stirn und gefährlich langen Reißzähnen die unter den gigantischen Lefzen hervorragen. Die gesamte Erscheinung hat fast eine Höhe von beinah achtzig Schritt. Mit einem einschüchternden Grollen in der Kehle starrt der riesenhafte Hund auf die Anwesenden herab.

Gereizt blickt Warugashikomaru zu ihm hoch. „Bist du nun fertig mit der Prahlerei? Vielleicht könntest du uns dann nicht länger warten lassen und dich zu uns gesellen, damit wir endlich anfangen können.“

Das Knurren wird lauter und dann wird der majestätische Inuyoukai in ein grellblaues Licht getaucht, seine Konturen verschwimmen und schrumpfen und letztlich formen sie auf dem obersten Podest die massige Gestalt eines kräftig gebauten Mannes mit deutlich hervortretenden Muskeln unter der schweren, prunkvollen Eisenrüstung die ihm Torso, Arme und Beine bedeckt. Blendend weiße, zottelige Haare umranken sein Gesicht bis hinunter zu dem eindrucksvollen Bart an seinem Kinn, den Rücken hinab wo sie sich mit einem mächtigen, weißen Pelz verbinden und an den Augenbrauen die ihm so etwas Wildes und Animalisches verleihen.

„Wenn ich schon gerufen werde, dann komme ich auch wie es mir passt!“, kommt die Antwort der tiefen Bassstimme in der mit jedem Wort ein leichtes Grollen mitklingt.

„Tu eben was du nicht lassen kannst“, seufzt Warugashikomaru gehässig. „Aber vielleicht können wir uns jetzt endlich mit Inu Taishous Sohn befassen.“

Daraufhin verstummen erst einmal alle laufenden Unterhaltungen und alle anwesenden Augen wenden sich nun Sesshomaru zu. Und mit einem Mal beschleicht den sonst so stolzen Daiyoukai aus dem Westen ein Gefühl, der völligen Unterlegenheit. Es schreit aus den ursprünglichsten Instinkten seines Blutes zu ihm hinauf und fordert bedingungslose Unterordnung vor dieser großen Anzahl höherrangiger Daiyoukai. Es bedarf all seiner Selbstbeherrschung nicht sofort auf die Knie zu sinken und demütig den Kopf zu senken.

„Ein Lebender!“, lässt sich nun der weißbärtige Nordyoukai verlauten. „Na, das sieht man nicht oft hier.“

„Untertreib nicht so, Nezuyomaru!“, bemerkt Warugashikomaru geringschätzig.“Hier ist noch niemals ein lebendiger Inuyoukai gewesen.“

„Bah bah bah!“, winkt der Angesprochene ab. „Das heißt aber nicht, dass es noch nie ein Lebender hierher geschafft hat. Trotzdem kommt es selten vor, wegen der Bürde der Jahre. Die meisten verrecken noch auf dem Weg hierher. Sieh ihn dir nur an!“, er zeigt mit der ausgestreckten Hand auf ihn. „Der ist doch fast schon eher tot als lebendig.“

„Könnten wir uns wieder mit der Angelegenheit befassen?“, lässt sich nun Reiseimaru verlauten. „Wenn dieser Knabe es auf sich genommen hat, sich wochenlang bis hierher zu kämpfen, und dabei so zugerichtet zu werden, verdient er es wohl angehört zu werden.“

Sesshomaru ist sich nicht sicher was er von dieser Anrede halten soll. 'Knabe' wurde er schon länger nicht genannt. Aber gemessen an dem Alter der meisten Anwesenden hier, zählen seine knapp zweihundertfünfzig Jahre wohl nicht viel. Doch sein Vater holt ihn mit seinen Worten aus seinen Überlegungen.

„Drei Tage!“

Reiseimaru wendet sich zu ihm um. „Was sagst du?“

„Er hat drei Tage gebraucht von der Höllenpforte bis hierher. Vielleicht zwei!“

„Das ist nicht möglich!“, lässt sich nun Warugashikomaru ärgerlich verlauten. „Dafür reicht seine Kraft niemals aus.“

Von dem Podest über Inu Taishou erklingt nun ein genüssliches Glucksen. „Wie ich sagte“, schmunzelt Dokokasumi, „ein Kompliment!“

Doch nun stößt sich der erste Fürst des Nordens kräftig von seinem Platz ab und landet direkt vor Sesshomaru, den er ohne weiteres um eine Hauptlänge überragt. Argwöhnisch inspiziert er ihn von allen Seiten und prüft selbst seine Witterung. Während dieser eingehenden Prüfung beschleicht Sesshomaru der unbehagliche Gedanke, dass sich so Inu Yasha gefühlt haben muss, als damals er dem Gutdünken des Hohen Rates ausgeliefert war. Er muss eingestehen, dass dies kein angenehmes Gefühl ist. Doch seit er hier ist, hat er bedeutend Schlimmeres erdulden müssen, also erträgt er es mit Fassung.

Schließlich hat der Daiyoukai des Nordens seine Inspektion abgeschlossen. „Ein bisschen derangiert und mager sieht er aus“, stellt er kritisch fest. „Und ich mag mich täuschen, aber deine Nachfahren werden allmählich immer mickriger, Reiseimaru, wenn man von gewissen Ausnahmen mal absieht“, fügt er beiläufig hinzu. „Ich kann wirklich nichts außergewöhnliches an ihm entdecken, ihm haften höchstens einige seltsame Restdüfte an. Doch das ist auch schon alles.“

Sesshomarus Lippen bilden einen dünnen Strich, doch er ist klug genug, seine Bemerkung für sich zu behalten.

„Ja, hervorragend!“, meint Warugashikomaru gelangweilt. „Können wir jetzt fortfahren?“

Die Bemerkung seines Bruders ignorierend wendet sich Nezuyomaru wieder zu Sesshomaru um. „Wie heißt du, mein Junge?“, fragt er mit etwas in der Stimme, dass man als Belustigung deuten könnte.

„Mein Name ist Sesshomaru“, gibt dieser respektvoll Auskunft.

Nun heben sich Nezuyomarus buschige Brauen und er tritt leicht einen Schritt zurück. „So, Sesshomaru, wie?“, brummt er amüsiert. Dann geht sein Blick hinauf zu Inu Taishou. „Deinem Vater war offenbar schon immer eine gewisse Arroganz zu eigen“, fügt er geringschätzig hinzu. Dann wendet er sich um und mit einem kraftvollen Sprung nimmt er wieder auf seiner Empore Platz und verschränkt abwartend die Arme.

„Erzähle nun, weshalb du hier bist!“, fordert Reiseimaru Sesshomaru auf. Die Bemerkung seines Bruders ignoriert er dabei.

Dies ist der Moment der Sesshomaru schon eine Weile Unbehagen bereitet. Wie soll er beginnen? Was soll er berichten, was verschweigen? Und bei alledem fällt es ihm noch immer schwer sich gegen diese versammelte Ahnen zu behaupten. Ihnen gegenübergestellt, ist er nur ein Grashalm im Wind. Wie soll er sie so seinem Anliegen gewogen stimmen? Aber hat sein Vater nicht gerade deutlich gemacht, welche erstaunliche Leistung sein dreitägiges Martyrium darstellt? Wenn es tatsächlich außergewöhnlich ist, diese Reise als Lebender in drei Tagen zu schaffen, dann hat er wohl doch das Recht ihnen die Stirn zu bieten.

Er atmet noch einmal innerlich durch, dann reckt er sich etwas und beginnt dann zu sprechen. „In mein Reich ist ein fremder, sehr mächtiger Inuyoukai eingefallen. Da er noch immer stetig an Macht zunimmt, ist es unwahrscheinlich, dass selbst die gesamte Kraft meines Clans ihm Einhalt gebieten kann. Da ich strikt gewillt bin, mein Volk zu schützen, ziehe ich es in Betracht unsere Kräfte mit den übrigen Clans gegen ihn zu verbünden. Ich weiß, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist, doch mir wurde eine Prophezeiung zugetragen, die einen Weg aufweist wie die Kluft zwischen unseren Reichen gemindert werden kann. Laut dieser alten Überlieferung kann dies jedoch nur mit Hilfe einer bestimmten Person bewerkstelligt werden. Doch diese Person ist vor einigen Jahren gestorben. Ich habe also beschlossen, sie zurück ins Leben zu bringen, damit mein Reich wieder sicher sein kann.“

Zunächst folgt gespannte Stille diesen Worten. Dann entfährt ein verächtliches Schnauben Nezuyomaru. „Hört Euch den Kleinen an!“, dröhnt er geringschätzig. „Bildet sich ein, einfach hier herein zu marschieren und eine Seele zurückzufordern. Was für eine Arroganz!“

„Pff! Wenn das dein einziges Problem mit diesem unsinnigen und dummen Unterfangen ist“, lässt Warugashikomaru beiläufig verlauten. „Ich hätte angenommen, dass es dich mehr stört, dass dieser armselige kleine Feigling beim ersten Anzeichen einer Krise um die Hilfe der anderen Clans bettelt. Aber echte Würde ging dem Westen ja schon immer ab. Sich anzubiedern ist natürlich viel bequemer.“ Diese Worte haben sehr grimmige Blicke sämtlicher Westyoukai zur Folge.

„Vielleicht schaffen wir es diesen Rat ohne irgendwelche böswilligen Seitenhiebe eurerseits weiterzuführen“, bemerkt Reiseimaru mühsam beherrscht und wirft seinen Brüdern dabei durchdringende Blicke zu.

„Du hast Recht!“, gibt Warugashikomaru zynisch zurück. „Finden wir heraus warum er denkt, dass dieses schwachsinnige Unterfangen Erfolg haben sollte.“ Die Blicke wenden sich wieder Sesshomaru zu.

Der jugendliche Daiyoukai ist zwar noch immer bemüht sich seine Befangenheit nicht anmerken zu lassen, doch er spürt auch deutlich den Ärger über die vorangegangenen Worte. Es ist eine Ungeheuerlichkeit ihm schlicht Feigheit zu unterstellen, obgleich sie die tatsächliche Situation nicht kennen. Diese Männer stehen in Rang und Macht weit über ihm, doch es kostet ihn viel Selbstbeherrschung um sich nicht lautstark über diese Respektlosigkeit zu empören.

Trotz allem bereitet ihm diese letzte Frage deutliches Unbehagen. Die Clans leben schon lange in tiefer Zerstrittenheit und wenn er diese drei Ersten Ahnen hier erlebt, erscheint ihm das nicht mehr verwunderlich. Wenn der Hass also nun schon solange schwelt und von Generation zu Generation weitergegeben wurde, wie soll da eine einzige Person Abhilfe schaffen? Doch wenn er nicht der Meinung wäre, dass sein Sohn da Abhilfe schaffen könnte, hätte er diese strapazierende Reise niemals auf sich genommen.

Oder vielleicht doch. Vielleicht hatte seine jüngste Nahtoderfahrung ihn weich werden lassen, und vielleicht hat sie ihn einige seiner grundsätzlichen Ansichten hinterfragen lassen. Fest steht, dass er bereit ist zu glauben, dass eine Person einen Unterschied machen kann. Und die Vorstellung, dass es sich dabei um seinen Sohn handelt, kommt ihm recht gelegen.

Das Problem dem er sich jedoch noch immer gegenüber sieht ist die Frage wie er Tenmarus Wiedererweckung bewerkstelligen will. Da er nicht auf Tenseiga zurückgreifen kann im Moment, hat er sich diese Frage selbst schon ein paar Mal gestellt, jedoch immer wieder verdrängt. Doch mit einer ausweichenden Erklärung werden sich die ehemaligen Fürsten der Reiche sicher nicht zufrieden geben. Schließlich entscheidet er sich die Antwort zu nennen, die er sich selbst gegeben hat.

„Es steht mir nicht zu eine solch alte Prophezeiung in Zweifel zu ziehen, wenn es so viele Hinweise gibt, die sie bestätigen. Stattdessen habe ich beschlossen, ihr Folge zu leisten. Im Augenblick bin ich noch auf der Suche nach der betreffenden Person. Wenn ich sie gefunden habe, werde ich den Umständen entsprechend vorgehen. Scheitern ist jedoch für mich keine Option!“

„Wenn du vom Höllentor bis hierher tatsächlich nur drei Tage gebraucht hast, so sollte zumindest deine letzte Aussage damit belegt sein“, nickt Reiseimaru ernsthaft.

Warugashikomaru verdreht gereizt die Augen, „Oh, es war ja klar, dass du bei deinen eigenen Leuten mal wieder Bauchpinselei betreibst. Aber weder hat er bisher gesagt wie er das anstellen will, noch wer diese ominöse Person eigentlich ist. Vielleicht kann er uns das erst einmal erläutern.“

Für einen Moment herrscht gespannte Stille. Dann richtet Reiseimaru erneut das Wort an Sesshomaru. „Was weißt du genau über die Überlieferung die dich an diese Person brachte?“

Sesshomaru ist dankbar für die kleine Galgenfrist ehe er offen Farbe bekennen muss. „Nach meinen Kenntnissen besagt die Prophezeiung, dass diese Person die drei zerstrittenen Clans vereinen wird. Bei diesen vereinigten Kräften steht es außer Frage, dass es ihnen dann gemeinsam gelingt den Eindringling zu besiegen.“ Er beschließt seine Informationen lieber schrittweise bekannt zu geben. Er ist sich nicht sicher, wie viel davon ratsam ist hier zu erzählen, besonders da er weiß, dass die Weitergabe dieser Prophezeiung von eben jenen drei ersten Inufürsten streng verboten worden war.

Nun meldet sich Warugashikomaru zu Wort. „Und weshalb glaubst du, dass diese Prophezeiung dazu dient, gerade jetzt das Westreich vor diesem ominösen Eindringling zu schützen? Diese dubiose Prophezeiung könnte sich schließlich auch zu einer völlig anderen Zeit in einer ganz anderen Situation erfüllen. Oder sogar niemals. Wie kommst du darauf, dass ausgerechnet du dazu ausersehen bist sie zur Erfüllung zu bringen? Hältst du das nicht selbst für ein wenig anmaßend?“ Der Zug um seine Mundwinkel ist hart.

Sesshomaru strafft sich etwas. „Diese Art des Ansehens erstrebe ich sicher nicht. Und auch nicht ich brachte diese Prophezeiung mit diesem Gegner in Verbindung. Ich befragte eine unser Ältesten zu dem Feind dem wir gegenüberstehen. Sie erwähnte daraufhin die Prophezeiung.“

„So, eine Älteste brachte dich darauf“, wiederholt Warugashikomaru geringschätzig. „Dann wirst du dich sicher bei ihr bedanken wollen, wenn du umsonst hierhergekommen bist. Und ihr Name lautet?“

„Kamukiku!“, gibt Sesshomaru Antwort.

Ein entnervtes Seufzen entfährt Reiseimaru und er reibt sich die Augen. „Kamukiku. Ausgerechnet...!“

Über ihm ertönt ein das amüsierte Lachen einer Altstimme. „Das sture Weib hat sich kein bisschen verändert“, lacht Dokukasumi.

„Das ist ja alles sehr belustigend“, fährt Warugashikomaru aufgebracht dazwischen, „aber es gibt noch immer keinen Beweis, dass ausgerechnet jetzt dieser seltsame Inuyoukai die Erfüllung besagter Prophezeiung heraufbeschwören soll. Hat diese Geißel des Westreiches auch einen Namen?“, fügt er zynisch hinzu.

Sesshomarus Miene verhärtet sich zunehmend, wenn er auch noch immer bemüht ist seinen Antworten einen respektvollen Klang beizufügen. „Katsuken.“

Nun bekommt Warugashikomarus Miene etwas Schneidendes. Dann fragt er argwöhnisch: „Wer nennt ihn so?“

„So stellte er sich vor“, antwortet Sesshomaru wahrheitsgemäß. „Wobei...“, er zögert etwas, „dieser Titel scheint ihm nicht zu genügen. Wie mir zugetragen wurde, beansprucht er meinen eigenen Namen für sich, und alles was mir unterstellt ist. Doch diese dreiste Herausforderung werde ich nicht hinnehmen. Ich beabsichtige alle mir gebotenen Mittel auszuschöpfen, um mein Reich von diesem Störenfried zu befreien. Wenn ich dadurch in der Lage bin Frieden zwischen den Clans zu schaffen, um einen noch größeren Krieg zu verhindern, so nehme ich das bereitwillig in Kauf.“ Er kann nicht verhindern, dass seinen letzten Worten ein leichter Trotz anhaftet.

Nach diesen Worten herrscht zunächst bleierne Stille über dem Platz. Selbst die Daiyoukai geben keinen Ton von sich. Lediglich die Drei Brüder werfen sich nun schweigend bedeutsame Blicke zu. Es hat fast den Anschein, als würde hier eine stille Debatte geführt über etwas worüber sie geteilter Meinung sind.

Letztendlich bricht Reiseimaru den Blickkontakt ab und wendet sich erhobenen Hauptes wieder Sesshomaru zu. „Du sagst, dieser Inuyoukai sei sehr mächtig. Worauf stützt sich diese Annahme? Bist du diesem Katsuken bereits persönlich begegnet“, fragt er.

Es kostet Sesshomaru alle innere Stärke um seinem Blick stand zu halten. „Ja“, gibt er zu. „Ich kämpfte einmal gegen ihn und... unterlag.“

„Wie lief diese Begegnung genau ab?“, hakt der erste Westfürst nach.

Sich gedanklich zu diesen Momenten zurückzuversetzen, bereitet Sesshomaru deutlich Unbehagen, dennoch gibt er gehorsam Antwort auf die Frage. „Beinahe hätte er mich getötet, doch ich konnte ihm einen Hieb mit Bakusaiga versetzen, so dass er von mir abließ und floh. Die Wunde die er mir zufügte, setzte mir schwer zu, vergleichbar mit den Fluten des Flammenflusses, der auf dem Weg hierher lag. Jedoch durch eine glückliche Fügung überstand ich es.“

„Einen Moment!“, unterbricht nun Inu Taiarashi, der bisher nur schweigend zugehört hat, den Bericht. „Woher willst du wissen welche Qualen der Flammenfluss verursacht?“

„Als ich ihn überquerte, geriet ich mit dem Fuß hinein“, gibt Sesshomaru verhalten zu. Sogleich steigen die peinigenden Erinnerungen daran wieder in ihm auf und er drängt sie gewaltsam beiseite. Sie sind gerade nicht sonderlich hilfreich.

„Er lügt!“, ruft jetzt Inu Kourishiba aufgebracht dazwischen. „Er ist ein Lügner und ein Aufschneider! Er will die Qualen des Flammenflusses überstanden haben und trotzdem nur drei Tage hierher gebraucht haben? Dass ich nicht lache!“

„Nicht zu vergessen, dass er dies zuvor schon einmal durchlebt haben will“, bemerkt Inu Kosame mit einem missgünstigen Lächeln.

„Seht ihr?“, greift Inu Kourishiba das Gesagte auf. „Was für ein Unsinn! Dieser jämmerliche Schwindler reimt sich eine hübsche Geschichte zusammen und hofft uns damit beeindrucken zu können, dass er all das durchgemacht hat und es ihn auch noch nicht im Geringsten gestört hat! Glaubt dem Lügner kein Wort!“

„Ich habe niemals behauptet, dass es mir nichts ausgemacht hat!“, ärgerlich fliegt jetzt Sesshomarus Ruf über den Platz. Demonstrativ streckt er den Inuyoukai seine beiden Hände entgegen und setzt den verletzten Fuß einen Schritt vor. Dort wo die Flammen des Lavastromes seine Gliedmaßen berührt haben, konnte Tenseigas heilende Kraft kaum etwas ausrichten. Noch immer ist die Haut an der Stelle ungesund rot und schuppig. „Dies war der Preis für eine kleine Unaufmerksamkeit. Und es wäre eine Wohltat gewesen, wäre es lediglich bei den Verbrennungen geblieben. Mir ist die wahre Qual des Höllenstroms nur zu gut bekannt und ich werde es nicht dulden, dass man meine Worte diesbezüglich in Zweifel zieht!“

Grimmig presst der Daiyoukai die Kiefer aufeinander. Schon lange hat man ihn nicht mehr offen der Lüge bezichtigt. Mit jedem der bisher gefallenen Worte hier ist seine innere Anspannung gewachsen. Das ist doch alles lächerlich! Seine bisher so hochgeachteten Ahnen scheinen im Grunde nur daran Gefallen zu finden sich gegenseitig anzufeinden, statt sich ernsthaft mit der Thematik zu befassen. Und währenddessen läuft ihm hier die Zeit weg. Er kann sich mit diesem Theater hier wirklich nicht noch länger aufhalten. Gerade fragt er sich, wozu diese Versammlung hier überhaupt dienen soll. Wenn sie nicht dazu beiträgt seinen Sohn zu finden, hat er hier nichts mehr zu suchen. Besonders wenn man ihm dreist unterstellt, er hätte seine Seelenqualen auf dem Weg hierher lediglich erfunden.

Wütend blickt er in die Runde. „Niemand hier ist noch am Leben und deshalb wird keiner von euch in der Lage sein, nachzuvollziehen was es mich gekostet hat, jetzt vor euch zu stehen. Doch ich habe mich nicht drei Tage durch die Unbillen der Hölle gekämpft um mich jetzt hier vor euch dafür zu rechtfertigen. Eigentlich kam ich hierher in der Hoffnung auf Hilfe in dieser Angelegenheit. Doch mit diesem fruchtlosen Geplänkel hier, verliere ich nur Zeit, die dieser dreiste Kerl sicherlich nutzt um mein Reich in seine Klauen zu bekommen.Wenn mir also niemand sagen kann, wo ich die geläuterten Seelen finde, die auf ihre Reinkarnation warten, dann werde ich meine Suche jetzt fortsetzen müssen, bis ich ihn gefunden habe.“

Im ersten Moment herrscht schockiertes Schweigen über dem Platz. Solch dreiste Worte sind dort schon lange nicht mehr in Gegenwart des Rates ausgesprochen worden.

Dann urplötzlich verschwindet die Gestalt Warugashikomarus von seinem Platz nur um in Sekundenbruchteilen später direkt vor Sesshomaru aufzuragen. Tiefe Verachtung liegt auf dem erhabenen Gesicht des ersten Ostfürsten, als er urplötzlich die Hand hebt und dem jüngeren Daiyoukai vor ihm eine saftige Ohrfeige mit dem Handrücken verpasst. Der kräftige Schlag holt den Fürsten des Westens fast von den Füßen und erbost jedoch auch verblüfft hält er sich die schmerzende Wange und starrt den grauhaarigen Daiyoukai finster an.

„Unterstehe dich in diesem Ton mit deinen Ahnen zu reden, Balg!“, faucht der Daiyoukai des Ostens.

Doch in Sesshomaru brodelt der Ärger viel zu stark, als dass er der Vernunft Raum geben möchte. „Ach, ich vergaß!“, grollt er frostig. „Die Fürsten des Ostens legten schon immer Wert auf vollständige Unterwerfung und Gehorsam.“ Grimmig trotzt er seinem Blick. „Ich bin nicht von Eurem Volk!“, erklärt er mit Grabeskälte. „Über mich habt ihr keine Gewalt, und eher fahren sämtliche Inuyoukai zur Hölle, als dass ich mich Euch unterordne!“

Wilder Zorn funkelt in den Augen Warugashikomarus auf. Schon hat er die Klaue erneut zum Schlag erhoben, doch er führt ihn nicht aus. Eine kräftige Hand hat sich um sein Handgelenk gelegt.

„Es genügt!“, stellt Reiseimaru unmissverständlich klar und fixiert seinen Bruder mit eisiger Kälte im Blick.

Einige Herzschläge lang hängt die Spannung zwischen ihnen in der Luft, doch dann reißt Warugashikomaru seine Hand los und tritt ein paar große Schritte zurück. Tiefe Verachtung liegt in seiner Stimme als er sagt: „Es ist dein Sprössling! Richte du ihn, oder, bei Enma, ich schwöre, ich reiße ihn in Fetzen!“

Mit einem kurzen Aufwallen in der staubigen Luft hat sich nun auch Nezuyomaru zu den beiden gesellt. „Mäßige dich, Warugashikomaru!“, ertönt seine tiefe Stimme an den Daiyoukai des Ostens gewandt. „Mach dir lieber Gedanken darüber, dass Er wieder auferstanden ist.“

„Er hat recht“, bestätigt Reiseimaru eindringlich. „Das hätte niemals passieren dürfen. Keiner von uns hat damit gerechnet.“ Er wirft einen kurzen Seitenblick auf Sesshomaru, der noch immer mit sehr gemischten Gefühlen in der Gegenwart der drei legendären Fürsten steht und sich einerseits deren Erhabenheit nicht gänzlich erwehren kann, jedoch auch nicht mehr gewillt ist, sich alles gefallen zu lassen.

Derweil entbrennt zwischen den drei Ersten Fürsten eine Debatte deren Inhalt sich nur ihnen völlig erschließt.

„Der Welpe hat das Kokorokaji mehr als einmal überlebt. Vielleicht hat er eine Chance ihn zu besiegen.“

„Das schafft er niemals alleine!“, erwidert Warugashikomaru entschieden.

„Du sagst es!“, entgegnet Reiseimaru deutlich. „Er wird die Hilfe aller drei Clans brauchen.“

„Hör bloß mit dieser elenden Prophezeiung auf!“, schnaubt der erste Ostfürst wütend. Niemals, hörst du, niemals wird der Ostclan sich mit dem Westen verbünden. Das steht unumstößlich fest!“

„Wer will mit euch verlogenen Schleichern auch was zu tun haben“, brummt Nezuyomaru gehässig dazwischen.

„Oh, ja sicher!“, Warugashikosmarus Stimme ist eisig. „Was musst du eingebildeter Schwachkopf dich da jetzt auch noch einmischen? Wann hat auch nur einer von eurer Sippschaft irgendwas vernünftiges zustande gebracht?“

„Immerhin besteht meine Erblinie noch. Im Gegensatz zu deiner!“, grollt der erste Nordfürst bissig.

Warugashikomaru schießt augenblicklich die Farbe ins Gesicht und für einen Moment ist er zu wütend um auch nur ein Wort herauszubringen. Dann platzt es aus ihm heraus: „Das nennst du eine Erblinie? Dass dein Thron von einer Frau beschmutzt wird? Ein Mädchen das kaum alt genug ist, als das ihr Zitzen gewachsen sind! Oh, wirklich ein stolzer Nachkomme deiner Linie! Eure Sippe ist bestenfalls noch armselig. Dass ihr überhaupt irgendwelchen Grund und Boden euer eigen nennt, ist wirklich eine Schande!“

Kaum sind die Worte verhallt, als das Gesicht des Nordfürsten sich zu einer hasserfüllten Fratze verzieht. Seine Augen leuchten wütend auf und lange, scharfe Reißzähne schieben sich hervor. „Ich töte dich, winselnder Feigling!“, bellt er ungehalten und schon will er sich auf Warugashikomaru stürzen, der ihn mit nicht weniger feindseliger Miene zu erwarten scheint.

Doch nur Augenblicke ehe es zum Äußersten kommt, wird der wutschnaubende Nordyoukai von Reiseimaru gepackt und seine Arme gewaltsam auf den Rücken gedreht. Und nur einen Wimpernschlag später ragt direkt vor ihnen ein sehr ernst dreinblickender Inu Taishou auf. Mit kühler Berechnung steht er zwischen den beiden Brüdern aus dem Osten und Norden und allein schon seine Anwesenheit, scheint deutlich zu machen, dass es nicht zu diesem Kampf kommen wird.

Es vergehen noch einige bange Herzschläge, doch dann entspannt sich Nezuyomarus Körper wieder und er beschränkt sich darauf lediglich heftig ein und auszuatmen.

„Ich hasse dich, Reiseimaru!“, kommt es mit tiefem Grollen von ihm. „Ich hoffe du bist dankbar für deinen kleinen Helfer. Doch irgendwann wirst du mich nicht mehr aufhalten. Irgendwann schlage ich diesem widerlichen Großmaul den Schädel ein, verlass dich drauf!“

Nun lässt der Erste Westfürst seinen Bruder los. „Ihr beide benehmt euch entwürdigend!“, tadelt er missbilligend. „Wenn ihr zwei es nicht einmal für eine Stunde an einem Platz aushalten könnt, ist es gut möglich, dass über kurz oder lang keine unserer Linien mehr Bestand haben wird. Macht euch also gefälligst mal nützlich und überlegt wie wir ihm helfen können.“ Mit diesen Worten deutet er kurz auf Sesshomaru.

Nun ruckt Nezuyomarus Kopf zu dem jungen Daiyoukai herum. Hoch baut er sich vor ihm auf. „Ich mag deinen Ton nicht, Knabe, aber mir gefällt dein Schneid. Doch du hast noch immer nicht gesagt, wen du eigentlich suchst. Reden wir also mal Klartext! Jeder Fürst hier kennt die wahre Prophezeiung. Wir alle wissen also, dass es sich bei deinem Gesuchten nur um ein Fürstenkind handeln kann.“ Allgemeines Gemurmel bei den Schaulustigen ist Folge dieser Äußerung. Doch der bärtige Nordfürst lässt sich davon nicht beirren. „Ich frage also noch ein letztes Mal: Wen suchst du?“

Die Frage hängt schwer über dem Platz und Sesshomaru hatte bereits mit ihr gerechnet. Doch es überrascht ihn dennoch, wie schwer es ihm fällt, darauf eine Antwort zu geben. Es kostet ihn enorme Überwindung das zu offenbaren was so lange unter dem Mantel der Verschwiegenheit gehangen hat. Doch er sieht ein, dass ihm keine Wahl bleibt. Er wird es sagen müssen.

So gefestigt wie möglich hebt er den Kopf und begegnet unverwandt dem Blick des Ersten Nordfürsten. „Ich suche meinen Sohn“, sagt er ruhig. Er ist selbst überrascht, welche Ruhe in seinem Inneren einkehrt, kaum dass er diese Worte ausgesprochen hat.

Für einen kurzen Moment halten sämtliche Youkai den Atem an. Sesshomarus Blick geht flüchtig zu seinem Vater hinauf, doch Inu Taishou scheint nur leicht wissend zu nicken. Doch die Ruhe ist nur von kurzer Dauer.

„Was macht dich so sicher, dass gerade er das Kind aus der Prophezeiung ist?“, hakt Reiseimaru ernst nach.

„Er erfüllt sämtliche Voraussetzungen die in der Prophezeiung angegeben sind“, gibt Sesshomaru Auskunft.

Nun ist erneut Inu Kosames süffisante Stimme zu hören. „Das bedeutet dann ja wohl, dass du dich verliebt hast, nicht wahr?“

Sesshomaru schürzt leicht die Lippen. Natürlich sind es wieder die Ostyoukai die dazu neigen jemandem unliebsame Wahrheiten freudig ins Gesicht zu reiben.

„Wenn er sämtliche Voraussetzungen erfüllt, dann wird wohl auch das der Fall sein“, entgegnet Sesshomaru beherrscht, jedoch in seiner Magengrube brodelt es. Allein jetzt erneut all diese Emotionen in sich aufsteigen zu fühlen, bereitet ihm solches Unbehagen, dass er am liebsten irgendetwas zerschlagen würde. Oder jemanden.

„Nur aus reiner Neugierde“, fährt jetzt Inu Kosame ungeniert fort, „Da diese Gefühle ja offenkundig in beidseitigem Einvernehmen stattgefunden haben müssten, wer ist denn das glückliche Objekt deiner Begierde, wenn ich mal so dreist fragen darf?“

Allein schon für diese Frage, möchte Sesshomaru dem Sohn Warugashikomarus am liebsten die lächelnde Fratze einschlagen. Schon lange hat er niemanden mehr getroffen, der ihm ebenso zuwider ist wie Arashitsume. Doch dazu kommt es nicht, denn in diesem Moment meldet sich eine helle, klare Stimme zu Wort.

„Das bin ich!“

Sofort fahren sämtliche Blick zu der schlanken, schwarzhaarigen Daiyoukai des Ostens herum. Hanaki jedoch hat nur Augen für Sesshomaru. In ihrem Blick liegt eine drängende Sehnsucht auch wenn sie bemüht ist, die Form zu wahren und es sich nicht anmerken zu lassen. Doch ihre Fingerspitzen zucken leicht und ihre Unterlippe bebt ein wenig. Ansonsten steht sie lediglich stocksteif aber erhobenen Hauptes da.

Die Anspannung die nach diesen Worten in der Luft hängt ist fast greifbar. Schließlich stellt Reiseimaru die Frage die alle beschäftigt. „Ist das wahr, Junge?“

Ohne es verhindern zu können, wendet sich Sesshomarus Gesicht zu Hanaki um. „Ja!“, sagt er deutlich. „Und ich werde das niemals wieder leugnen!“

Für ein paar seiner Herzschläge liegt schockiertes Schweigen über dem Platz. Dann urplötzlich platzt neben ihm eine Bombe, so scheint es.

„“Was?“, bricht es fassungslos aus Warugashikomaru heraus. Wild lodert seine Aura auf und Wutschnaubend reißt er den Kopf zu Hanaki herum. Nur einen Wimpernschlag später ragt er direkt vor der überrumpelten Daiyoukai auf und es ist deutlich, dass sie nicht mit einer solch heftigen Reaktion auf ihr Geständnis gerechnet hat. Schon hat der Erste Ostfürst seine gezückte Klaue erhoben und verpasst ihr einen brutalen Hieb.

„Du Hure!“, schreit er ungehalten. „Verbrüderst dich doch tatsächlich mit dem Feind, und lässt dich auch noch von ihm besteigen und beschlafen, du dreckiges Flittchen!“ Zwei weitere zornige Schläge finden ihr Ziel, bevor sich plötzlich jemand anderes zwischen die zornigen Attacken schiebt. Der nächste Schlag trifft Inu Taiarashi, der sich schützend vor seine Tochter gestellt hat und den darauffolgenden Hieb grimmig entschlossen abwehrt.

„Lass deine Finger von ihr! Sie hat keine Schuld daran“, bietet er zornig seinem Urahn die Stirn.

Zum gleichen Zeitpunkt verfolgt Sesshomaru das Geschehen das sich ihm hier bietet lediglich mit weit aufgerissenen Augen. Auch er hatte nicht mit einer so raschen Zuspitzung der Lage gerechnet. Offenbar brodelte hier wesentlich mehr unter der Oberfläche als es den Anschein hatte. Und gerade befindet er sich in heller Aufregung um die Verfassung seiner Geliebten, deren Unversehrtheit er niemals wissentlich aufs Spiel gesetzt hätte. Doch selbst wenn er die Schläge hätte kommen gesehen, niemals hätte er in seiner derzeitigen Verfassen so rasch reagieren können, wie es nötig gewesen wäre, und er ertappt sich dabei Inu Taiarashi doch für sein rasches Eingreifen dankbar zu sein, wenn er es auch nicht versteht. Zudem ist es noch immer fraglich ob es wirklich eine Hilfe war, denn der erste Ostfürst kocht noch immer vor Wut.

Natürlich hat sie Schuld daran!“, keift Warugashikomaru zurück. „Sie ist genau wie ihr Bruder. Deine missratenen Kinder taugen alle beide nichts. Sie bringen unserem Clan nichts als Schande! Ich werde nicht zulassen, dass diese räudige Schlampe unsere Blutlinie mit ihren widerlichen ungezügelten Begierden besudelt!“ Wieder hebt er grimmig die Klaue.

„Du willst von ungezügelten Begierden reden?“, wettert Inu Taiarashi zurück. Mit tiefster Verachtung deutet er nun in die Richtung der Nordyoukai. „Dieses Wiesel Inu Taihyouga wollte sie so drängend und unbedingt zur Frau, dass er sogar bereit war einen Krieg anzufangen.“

Nun meldet sich Nezuyomaru empört zu Wort. „So eine dreckige Lüge kann ja nur von einem Higashi-aitsu kommen.“

Wütend reckt Inu Taiarashi sich. „Eine Lüge, ja?“, schnaubt er. „Warum ist er wohl nicht hier? Warum ist er niemals hier?“, seine Stimme wird immer lauter. „Er schämt sich, das ist der Grund! Er verwindet es nicht, dass meine Tochter gezwungen war ihn zu töten, weil er die unablässige Suche nach ihr nicht aufzugeben bereit war. Selbst nachdem er mich getötet hatte, weil ich nicht bereit war, sie ihm zu geben, konnte er seine Besessenheit nicht aufgeben. Er stellte ihr immer weiter nach. Wie hätte sie sich da nicht wehren sollen? Durch seine zügellose Begierde spielte er überhaupt erst meinem missratenen Sohn in die Hände. Nur durch die legendäre Unbeherrschtheit des Nordens war es überhaupt erst möglich, dass unsere ehrwürdige Blutlinie ein Ende fand!“

„Das nimmst du zurück, du widerlicher kleiner Wicht!“, grollt es erzürnt aus Nezuyomarus Kehle hervor. Kaltflackernd blitzen seine Augen auf und schon will er sich auf Inu Taiarashi stürzen. Doch noch ehe er ihn erreicht hat, verstellt Warugashikomaru ihm den Weg.

„Ich dachte es mir schon immer!“, fletscht er eisig die Zähne. „An so einem furchtbaren Debakel kann ja nur ein Kita-aitsu schuld sein! Wertloses Pack!“

Die Stimme des ersten Nordfürsten hat Grabeskälte während er seinen Bruder belauert. „Wiederhole das!“

„Verdorbene, maßlose Brut!“, zischt dieser tödlich. „Man hätte euch alle direkt nach der Geburt ersäufen sollen!“

Mit einem wilden Wutschrei wirft sich Nezuyomaru nun auf seinen Bruder der ihn mit einem grimmigen Grollen in Empfang nimmt. Nur Augenblicke später sind ihre Körper in grelles Licht getaucht und nehmen erheblich an Masse zu. Aus dem wütenden Knäuel zweier wild aufeinander eindreschender Daiyokai erwächst nun ein pelziges, wutschnaubendes Bündel zweier gewaltiger Dämonenhunde die grimmig darum bemüht sind sich knurrend, kläffend und grollend gegenseitig in Fetzen zu reißen. Glücklicherweise verlagert sich der verbissene Kampf rasch auf die weite Ebene die hinter dem Heimatfelsen der Inuyoukai liegt. Mehrere Schaulustige beeilen sich einen guten Platz zu finden um das mächtige Spektakel aus der sicheren Entfernung zu verfolgen und eifrig Vermutungen über den Ausgang anzustellen.

Zurück bleiben Sesshomaru, Inu Taishou und Reiseimaru, sowie Hanaki und ihr Vater. Für den Moment interessiert sich Sesshomaru jedoch nicht im Geringsten für den epischen Hundekampf ein Stück entfernt. So rasch es ihm möglich ist, eilt er zu Hanaki hinüber, die noch immer am Boden liegt. Ohne ihren Vater dabei mehr als eines kurzen Blickes zu würdigen neigt er sich zu der angeschlagenen Daiyoukai herab.

„Hanaki?“ Die Sorge in seiner Stimme, ist kaum zu überhören.

Langsam setzt die Youkaifrau sich auf. „Es ist nichts.“ Betreten meidet sie seinen Blick.

Nur mit größter Selbstbeherrschung kann Sesshomaru an sich halten um sie nicht sofort an sich zu ziehen und sich von ihrer Unversehrtheit zu überzeugen. Doch gerade gesellen sich auch sein Vater und sein Urahn zu ihnen und weder ihr noch sich möchte er diese Blöße geben.

Reiseimaru wirkt ziemlich verstimmt. Er atmet einmal tief durch dann sagt er grimmig: „Es ist wirklich im höchsten Maße beschämend.“ Sein Blick geht von Sesshomaru zu Hanaki und zurück. Schließlich ballt er noch einmal die Faust und fügt dann hinzu: „Ein solches Verhalten ist wirklich vollkommen ungebührlich und mit nichts zu entschuldigen.“

Unwillkürlich reckt Sesshomaru sich, bereit jeden Zweifel an seiner oder ihrer Ehre mit allen Mitteln auszuräumen, doch der Erste Westfürst scheint seine Absicht erkannt zu haben.

„Ich spreche natürlich von dem schändlichen und unangemessenen Verhalten meiner Brüder“, gibt er ruhig zu verstehen. „Sich auf diese Weise gehen zu lassen, steht einem Daiyoukai ihres Ranges in keinster Weise zu Gesicht.“ Es ist deutlich zu erkennen wie Sesshomaru sich entspannt. Doch der hochrangige Youkai redet schon weiter. „Was nun euch beide betrifft“, er seufzt ein wenig, „das steht bedauerlicherweise auf einem ganz anderen Blatt.“ Eingehend mustert er die beiden Angesprochen, die es offenbar bewusst vermeiden sich anzusehen. Die Anspannung über den weiteren Verlauf der Angelegenheit macht die schwüle Luft noch um einiges schwerer.

Nun richtet der Erste Westfürst das Wort wieder an Sesshomaru. „Ich bedaure es, dass dir bisher keine Hilfe zuteil werden konnte. In Sachen Unproduktivität haben meine Brüder es zur Perfektion gebracht.“

„Verstehe ich recht, dass Ihr mir Hilfe anbietet, aus rein pragmatischen Gründen natürlich?“ Der leichte Sarkasmus in Sesshomarus Stimme ist nicht völlig zu verbergen.

„Gegen Pragmatik gibt es nichts einzuwenden“, antwortet Reiseimaru diplomatisch, „Oder würden uns Gefühle in dieser Situation eher weiterbringen?“

„Ich hege die Vermutung, dass Ihr über diese Situation weit mehr wisst, als ich“, entgegnet Sesshomaru ärgerlich. „Was mich in der Tat weiterbringen würde, wäre zu wissen, womit ich es hier eigentlich zu tun habe. Wenn Ihr mir helfen wollt, so sagt mir endlich, was es mit diesem Katsuken auf sich hat. Wer ist er?“

Der hochrangige Daiyoukai zögert einen kurzen Moment, dann sagt er ruhig: „Ich denke dein Vater wird dir die Geschichte erzählen können. Ich sollte mich besser derweil darum bemühen, dass meine Brüder sich nicht in ihrer blinden Wut vollständig vernichten.“

Mit diesen Worten wendet er sich ab und das unheimliche Glühen, das seinen Körper nun umspielt verwandelt nun auch ihn in einen gewaltigen Hund mit silberweißem Fell. Ein letzter Blick zurück und schon ist er über den Felsenkamm verschwunden, woraufhin das Gekläffe dahinter sogleich um noch ein Beträchtliches anschwillt.

Grimmig blickt Sesshomaru dem Daiyoukai hinterher. Da ist er ja nun offenbar um eine unliebsame Pflicht herumgekommen. Doch dann reckt er sich wieder und wendet sich mit steifer Miene seinem Vater zu. „Nun also, ich höre?“, lässt er ungeduldig verlauten.

Einen Moment lang blickt dieser ihn nur unergründlich an. Dann sagt er: „Also gut. Aber dir wird nicht gefallen was du hörst.“

Gegen die Brandung

Die halbe Stunde ist beinahe vorüber und Kagemori befindet sich auf dem Weg zum Sitzungssaal. Es macht keinen guten Eindruck zu spät zu kommen und Pünktlichkeit ist bekanntlich die Höflichkeit der Könige.

Kurz bevor er das Gebäude betritt in dem sich die Versammlungsstätte befindet, gesellt sich Gaikotsu zu ihm.

„Ah, Kagemori-sama!“, spricht der Alte ihn an. „Wie ich höre ist der Knabe wieder zurück. Wisst Ihr ob es um etwas Wichtiges geht? Meine alten Knochen nehmen es mir übel, wenn sie so überraschend durch die Gegend gescheucht werden.“

Kagemori widmet dem greisen Youkai einen missbilligenden Seitenblick. „Ich denke nicht, dass es Euch gut zu Gesicht steht, wenn ihr die gleiche Respektlosigkeit an den Tag legt, wie der dessen Betragen ihr kritisiert. Ich erwarte gleich von Euch ein Verhalten, das dem ehrwürdigen Ruf dieses Rates gerecht wird. Mit Sicherheit ist es nicht zweckdienlich, wenn sich gleich mehrere Personen dort nicht an die gängigen Statuten halten. Je disziplinierter es dabei von Statten geht, um so eher könnt Ihr zu Euren üblichen Pflichten zurückkehren.“

„Ihr wünscht also, dass ich meine Meinung über unseren neuen Fürsten lieber für mich behalte“, krächzt der Alte amüsiert.

Ernst blickt Kagemori ihn an. „Ich wünsche, dass Ihr ihm den ihm zustehenden Respekt erweist.“ Sein Blick wird durchdringend. „Nicht mehr, und nicht weniger!“

„Von mir aus“, murmelt Gaikotsu. „Bringen wir es hinter uns!“

Nun haben sie die verzierte Holztür erreicht und Kagemori öffnet sie. Dahinter befindet sich der Vorraum, wo bereits vier Diener folgsam Platz genommen haben und die eintretenden Ratsmitglieder mit einer ergebenen Verbeugung begrüßen. Ohne sie weiter zu beachten, schreitet Kagemori an ihnen vorbei und schiebt die mit Papier bespannte Tür zum Sitzungssaal auf.

Doch noch ehe er eintritt, stutzt er unwillkürlich. Direkt ihm gegenüber am Kopfende des Versammlungssaales kniet Inu Yasha auf dem Kissen das üblicherweise für ihn bestimmt ist und hat den Blick gesenkt. Seine Hände ruhen entspannt auf seinen Oberschenkeln.

Kagemori beschließt über die geänderte Sitzordnung lieber nichts zu sagen. Sesshomaru-sama hat niemals die Stirnseite des Raumes als Platz eingefordert, obwohl er es jederzeit gekonnt hätte. Es zu erwähnen würde höchstens den Eindruck erwecken, als würde er darauf beharren und diese Blöße, unangebrachten Stolzes will er sich nicht geben. Stattdessen betritt er jetzt respektvoll den Raum und blickt sich kurz um. Zu seiner Überraschung sieht er nun zur linken Seite des Hanyou auf dem Kissen des daneben befindlichen Platzes eine winzige Gestalt sitzen. Es ist der Flohdämon Myoga und selbst von hier aus erkennt er deutlich, dass der kleine Youkai sinnbildlich aus jeder Pore zu schwitzen scheint.

Wortlos nimmt er nun den Platz ein, der sonst immer Sesshomaru zugestanden wurde und behält den Hanyou dabei aufmerksam im Auge. Doch von Inu Yasha kommt noch immer keine Reaktion. Gaikotsu hat sich offensichtlich Kagemoris Worte zu Herzen genommen und setzt sich mit mürrischer Miene und ein wenig steif auf das für ihn vorgesehene Kissen direkt gegenüber von Kagemori.

Es dauert nicht lange bis auch die Youkai Hiroshi und Yuugure eintreffen. Sie registrieren sogleich die veränderte Sitzordnung, äußern sich jedoch nicht dazu. Da Yuugures Platz nun von Myoga besetzt ist rückt er wortlos einen Platz weiter auf das Sitzkissen auf dem bisher immer Matsuba gesessen hat. Direkt neben ihm nimmt Hiroshi Platz. Sein Blick geht leicht irritiert zwischen Kagemori und Inu Yasha hin und her. Der Truchsess scheint wenig erfreut zu sein und der neue Fürst sitzt nach wie vor mit gesenktem Haupt da und gibt keinen Ton von sich. Was hat außerdem der alte Floh hier zu suchen? Doch er rechnet damit, dass er es in Kürze erfahren wird.

Schließlich erscheinen noch Takarakanshu und Chitsurao. Über das Gesicht des Geheimdienstchefs huscht für einen kurzen Moment ein schiefes Lächeln, dann nimmt er auf dem Kissen rechts neben Inu Yasha Platz, und Chiturao direkt neben ihm. Gespannt blicken nun alle zu dem Hanyou hinüber in der Hoffnung endlich ein wenig Licht in diese ungewöhnliche Konstellation zu bringen.

Schließlich hebt Inu Yasha den Kopf. Ernst blickt er in die Runde und fängt für einen kurzen Moment den Blick jedes Einzelnen ein. Bei Kagemori bleibt sein Blick einen Moment hängen, doch der Truchsess erwidert ihn nur mit erhabenen Miene.

„Willkommen zurück, Inu Yasha-sama!“, ergreift Kagemori jetzt das Wort. „Wir sind beglückt Euch wohlbehalten wieder hier zu wissen. Vielleicht mögt Ihr uns mitteilen, warum Ihr uns habt zusammenrufen lassen.“

Nun strafft sich Inu Yasha und seine Lippen werden schmal. „Ich habe Euch noch nicht das Wort erteilt, Kagemori-sama!“, stellt er klar. Dann neigt er sich ein wenige dem Anderen zu. „Und nur damit hier jetzt keine Missverständnisse aufkommen: Ihr habt diesmal auch nicht den Vorsitz!“

Ungläubige Blicke fliegen zwischen den Ratsmitglieder hin und her. Kagemoris Miene ist ausdruckslos. Schließlich sagt er: „Verzeiht, Inu Yasha-sama. Ich war über die Protokolländerung nicht informiert.“

„Dass Ihr nicht am Kopf des Sitzungssaales sitzt, hätte Euch ein Hinweis sein können“, gibt Inu Yasha ungerührt zurück. Verhaltenes Gemurmel ist die Folge auf diese Äußerung. Kagemoris Miene ist gänzlich regungslos.

Doch schon ergreift Inu Yasha wieder das Wort: „Ich bin mir sehr wohl im Klaren darüber, dass das unkonventionell und vermutlich auch ungebührlich ist, doch das ist mir im Augenblick ziemlich egal.“ Man merkt jetzt deutlich den Ärger der in seinen Worten mitschwingt. „Mir ist auch durchaus bewusst, dass jeder der hier Anwesenden mehr von Politik und den Statuten hier im Schloss versteht als ich. Und wie die Vergangenheit gezeigt hat, muss ich offenbar damit rechnen, dass dieser Umstand gegen mich verwendet wird.“ Finster blickt er zu Kagemori hinüber.

„Deshalb habe ich Myoga hier“, er weißt kurz auf den Flohdämon, „zum Schöffen bestellt, damit er mich diesmal rechtzeitig darauf hinweisen kann, wenn wieder einer versucht mir aus meiner Unwissenheit einen Strick zu drehen.“

Fassungsloses Schweigen ist die Folge. Doch dann können die Anwesenden einfach nicht mehr still sein. Natürlich ist es Gaikotsu der sich zuerst entrüstet. „Ein Schöffe? Ist das Euer Ernst? Die Anwesenheit eines Hilfsrichters bei dieser Ratsversammlung kommt einer schweren Beleidigung gleich. Ihr stellt damit auf unerhörte Weise unsere Integrität in Frage, Inu Yasha-sama, ist Euch das bewusst?“

Doch Inu Yasha bedenkt ihn nur mit einem frostigen Blick. „Erzählt Ihr mir nichts von Beleidigungen, Gaikotsu-sama“, funkelt er düster. „Wann immer Ihr den Mund aufmacht, trieft es nur so davon und jetzt schweigt still!“ Ein wenig verdattert klappt der alte Youkai den Mund zu.

Nun meldet sich der Magier Yuugure zu Wort. „Dennoch bleibt die Frage, mein Fürst, weshalb Ihr der Ansicht seid, dass es solcher Maßnahmen bedarf.“

„Das werde ich Euch gleich erklären, Yuugure-sama“, entgegnet Inu Yasha ernst. „Doch zunächst möchte ich eine Sache noch mal klar stellen. Ich bin zwar nicht Sesshomaru und ich habe auch nicht vor so zu werden wie er. Aber solange er weg ist, bin ich der Fürst des Westclans mit allen Rechten und allen Pflichten. Und wenn jemand der hier Anwesenden nicht in der Lage ist in meinen Diensten zu arbeiten, dann möchte ich das jetzt auf der Stelle wissen. Der Betreffende hat meine Erlaubnis sich augenblicklich von diesem Rat zu entfernen.“

Noch immer werfen sich die Ratsmitglieder ungläubige Blicke zu. Schließlich ergreift Chitsurao das Wort: „Unterstellt Ihr uns, wir würden Euch hintergehen, Inu Yasha-sama?“

Inu Yasha reckt sich. „Ich möchte nur sicherstellen, dass in Zukunft meine Befehle auch so ausgeführt werden wie ich sie gegeben habe“, stellt er mit einen bedeutsamen Blick auf Kagemori klar. Alle Augen wandern nun zu dem ehrwürdigen Youkai hinüber. Dieser hebt lediglich leicht die Brauen.

„Ich bedaure es sehr, wenn es ein Missverständnis gegeben haben sollte, Inu Yasha-sama. Doch ich versichere Euch, dass ich niemals etwas gegen Euren Befehl tun würde.“

Inu Yasha zieht scharf die Luft ein. „Habt oder habt Ihr nicht Matsuba gegen meinen Willen als Unterhändler in den Norden geschickt um Verhandlungen mit diesem elenden Katsuken aufzunehmen? Nicht nur, dass mein Bruder bereits gesagt hat, dass wir das nicht tun sollen, ich habe es Euch auch noch mal gesagt und Ihr habt es trotzdem hinter meinem Rücken in die Wege geleitet.“

Wieder ruhen nun alle Augen auf Kagemori. Doch dieser lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Und wie ich Euch bereits sagte, war Eure Anweisung lediglich, dass Chitsurao nicht mit dieser Aufgabe betreut werden sollte. Und genau so ist es auch gekommen.“

Der Hauptmann der Garde wendet bei diesen Worten leicht beschämt den Blick ab, während die Augen der Anderen sich jetzt wieder Inu Yasha zuwenden.

Verärgert beißt Inu Yasha die Kiefer aufeinander. Dann atmet er einmal beherrscht durch und wendet sich dann an den Flohgeist. „Myoga, wenn ein Fürst einen Befehl gibt, muss er dann ganz genau drauf achten wie er ihn formuliert, oder kann er von seinen treuen Untertanen erwarten, dass sie verstehen wie er ihn meint und ihn dann treu und loyal ausführen?“

Der kleine Youkai schrumpft in seinem Sitz noch mehr zusammen und vermeidet es tunlichst zu Kagemori hinüber zu blicken. „Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, als Gefolgsmann eines Fürsten den Willen seines Herren zu erfassen und dementsprechend zu handeln ohne ihn zu hinterfragen.... mit Verlaub.“

Kagemoris Blick ist starr auf den Floh gerichtet, er verzieht jedoch keine Miene. Dann senkt er ergeben den Blick und verneigt sich würdevoll vor Inu Yasha. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, Inu Yasha-sama, für mein Versäumnis. Danke, dass Ihr so gütig wart mich diesbezüglich noch einmal zu belehren. Es wird nicht wieder vorkommen.“ Dann richtet er sich wieder auf und blickt gelassen zu Inu Yasha hinüber.

Doch ein kühler Blick des Hanyous trifft ihn. „Ihr meint wohl, damit hat sich das Thema erledigt, was? Ihr entschuldigt Euch und alles ist beim Alten.“ Grimmig ballt er eine Faust. „Das könnt Ihr Euch vielleicht bei Sesshomaru erlauben, aber nicht bei mir. Denn diesmal habt Ihr damit nicht nur den Tod mehrerer Personen verursacht, sondern Ihr hättet damit womöglich einen Krieg vom Zaun brechen können.“

„Einen Krieg?“, hakt nun Hiroshi verwundert nach. „Wie das?“

„Ihr habt Matsuba in das Reich des Nordclans geschickt“, ereifert sich Inu Yasha noch immer in Kagemoris Richtung. „Ohne Yarinuyuki vorher darüber zu informieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sonderlich erfreut darüber ist. Sie ist mit ihrem ganzen Heer ausgerückt, nur weil Katsuken einige ihrer Leute getötet hat. Was glaubt Ihr hätte sie getan, wenn sie hört, dass sich jemand von uns in ihr Revier eingeschlichen hat?“

„Wie mir zugetragen wurde“, entgegnet Kagemori ungerührt, „hat sie erst davon erfahren, als Ihr sie darüber in Kenntnis gesetzt habt, Inu Yasha-sama.“ Inu Yasha erstarrt kurz. Doch Kagemori redet schon weiter. „Eure Sorge war völlig unbegründet. Unsere Geheimtruppen sind praktisch unaufspürbar. Ohne Euer Eingreifen hätte sie vermutlich niemals davon erfahren.“

Inu Yasha spürt, dass nun alle Blicke auf ihm ruhen, doch er beißt die Zähne zusammen. „Das könnt Ihr nicht wissen“, meint er fest. „Dieser elende Shida ist in seiner Panik vor Katsuken direkt in Yarinuyukis Heer hineingerannt. Er kann von Glück reden, dass ich da war, sonst hätten die Nordyoukai ihn vermutlich gleich umgebracht.“

„Nun, in diesem Fall hätten sie ja nicht mehr herausbekommen ob er in eigenem Ansinnen unterwegs war, oder ob er einen Auftrag hatte“, meint Kagemori gelassen.

„Und was wenn sie ihn verhört hätten?“, gibt Inu Yasha ärgerlich zurück.

Kagemori hebt leicht die Brauen. „Ihr sagt es doch selbst, Inu Yasha, aller Wahrscheinlichkeit nach, hätten sie ihn gleich getötet. Der Norden ist nicht gerade für sein vorausschauendes Denken bekannt. Und selbst wenn sie so umsichtig gewesen wären ihn zu verhören, so hätten sie keine verfänglichen Informationen erhalten, so ist es doch, Takarakanshu.“ Kagemori blickt zu dem Hauptmann des Geheimdienstes hinüber. Dieser nickt.

„Das ist richtig, Inu Yasha-sama“, bestätigt er. „Meine Leute sind ausgezeichnet geschult. Sie würden unser Reich niemals verraten. Die Inuyoukai vom Nordclan mit einer falschen Geschichte abzuspeisen, wäre keine Herausforderung gewesen.“

Inu Yashas Miene zieht sich zu. „Reizend wie ehrlich doch alle hier sind. Und wie sehr Ihr Euch um Eure Leute sorgt.“

„Jeder meiner Männer ist sich des Risikos bewusst. Der Schutz des Reiches hat immer oberste Priorität.“ Takarakanshu neigt sittsam den Kopf.

„Ganz genau!“, meint Inu Yasha hart. „Der Schutz dieses Reiches ist auch mein Anliegen. Ich möchte nämlich auch nicht, dass jemand zu Schaden kommt. Da kann ich solche Einzelaktionen wirklich nicht brauchen.“

„Seid unbesorgt!“, meldet sich jetzt Chitsurao zu Wort. „Es ist nicht nötig, dass Ihr die Verantwortung, die Euch Sesshomaru-sama übertragen hat, ganz allein tragen müsst. Wir alle hier sind bestrebt, Euch nach besten Kräften zu unterstützen, wie wir es immer getan haben und auch immer tun werden!“ Dabei geht nun ein scharfer Blick von ihm in die Runde.

„Zudem war es sicher nicht die schlechteste Fügung des Schicksals, dass Ihr Euch genötigt saht in den Norden zu gehen“, ergreift Yuugure nun das Wort. „Dadurch habt Ihr vom Mobilmachen des Nordheers erfahren, sodass wir jetzt gewarnt sind. Wenn wir wissen, dass der Norden seine Krieger versammelt, können wir entsprechende Maßnahmen ergreifen, wohingegen wir ohne diese Informationen möglicherweise viel zu spät reagieren könnten.“

Ungläubig starrt Inu Yasha die Anwesenden an. „Ist das Euer Ernst?“, stößt er hervor. „Ihr denkt doch nicht wirklich, dass Yarinuyuki vorgehabt hat unser Reich anzugreifen?“

„Welchen Grund sollte es sonst geben ihr gesamtes Heer zusammenzurufen, wenn sie nicht mindestens eine Großoffensive plant?“, gibt Yuugure zurück.

„Das sagte ich doch schon!“, ereifert Inu Yasha sich. „Sie wollte diesen Katsuken bekämpfen, weil sie Vergeltung für den Tod ihrer Leute wollte und weil er, genau wie bei Sesshomaru, ihr Land einnehmen wollte. Sie hat es mir selbst gesagt.“

„Und natürlich würde ein Nordyoukai niemals lügen um sich einen Vorteil zu verschaffen“, lässt Gaikotsu sich nun ironisch vernehmen.

Inu Yashas Blick wird düster. „Yarinuyuki ist keine Lügnerin!“, verkündet er frostig. „Mit so was hält sie sich gar nicht erst auf.“

„Ihr scheint ja eine hohe Meinung von ihr zu haben“, kommt es gehässig von Gaikotsu.

„Höher als von Euch!“, erwidert Inu Yasha kalt.

Inu Yasha-sama!“, hört man den verängstigten Ausruf von Myoga in die eintretende Stille.

Alle Auge starren jetzt den Hanyou unverwandt an. Man merkt, dass die Atmosphäre durch seine letzten Worte deutlich kühler geworden ist.

Inu Yasha läuft es kalt den Rücken herunter. Das war nicht besonders klug. Er merkt sehr deutlich, dass er gerade einiges an Respekt eingebüßt hat. Wenn ihm nicht schnell etwas einfällt, verliert er auch noch das letzte bisschen Boden unter den Füßen.

„Dürfen wir daraus schließen, dass Eure Loyalität zu Eurem Reich womöglich auf eine Probe gestellt worden ist, Inu Yasha-sama?“, kommt es nun unbehaglich ruhig von Kagemori.

„Nein, das dürft ihr nicht!“, grimmig erwidert er den Blick des Truchsesses. „Meine Loyalität zu diesem Reich ist die Gleiche wie die von Sesshomaru, denn das ist es was ich ihm versprochen habe und ich halte mein Wort!“ Er ballt entschlossen die Faust. „Und wenn ihr jetzt damit fertig seid meine Absichten in Frage zu stellen, kann ich euch vielleicht erklären warum das Nordheer im Augenblick euer kleinstes Problem ist.“

„Ihr geht noch immer davon aus, dass die Bedrohung durch diesen fremden Youkai größer ist?“, wendet sich Takarakanshu nun wieder an ihn. „Selbst nachdem Shida uns berichtet hat, dass sich das Nordheer seiner angenommen hat?“

Hart erwidert Inu Yasha seinen Blick. „Gerade deswegen ja!“, antwortet er trocken.

„Wie sollen wir das verstehen, Inu Yasha-sama?“, meldet sich nun Hiroshi zu Wort. „Bitte erzählt uns doch was vorgefallen ist!“

Inu Yasha atmet einmal durch, dann sagt er: „Ich werde euch sagen was passiert ist. Während ich nach Matsuba und den anderen suchte, traf ich schließlich auch auf Yarinuyuki und ihr Heer. Doch sie griff mich nicht gleich an sondern fragte mich was ich hier machen würde, und ich sagte es ihr. Sie akzeptierte meine Gründe und ließ mich bleiben. Yarinuyuki war nämlich auch auf der Suche nach diesem Katsuken. Sie war überhaupt nicht begeistert davon, dass er einige ihrer Leute gefressen hatte.“

„Gefressen?“, fragt Chitsurao erstaunt.

„Ja, gefressen!“, bestätigt Inu Yasha ärgerlich. „Und nicht nur das. Er hat ein ganzes Menschenheer vernichtet und verschlungen. Und er hört einfach nicht auf damit. Und ja“, hier nimmt er Kagemori scharf in Augenschein, „er hat auch Matsuba und seine Leibwächter gefressen. Und genau deshalb wollten weder Sesshomaru noch ich, dass jemand in seine Nähe kommt.“

„Shida hat uns bereits eine Überblick über das Geschehen gegeben“, meldet sich jetzt Takarakanshu zu Wort. „Und aus seinem Bericht geht hervor, dass nicht klar ist, ob Matsuba überlebt hat. Vielleicht sollten wir keine voreiligen Schlüsse ziehen.“

Nun richtet sich Inu Yashas durchdringender Blick auf den Chef des Geheimdienstes. „Ihr könnt mir glauben, Matsuba ist garantiert tot. Kaum etwas, was diesem Katsuken in die Hände fällt, hat bisher überlebt. Und das ist auch der Grund warum ich heute diesen Rat einberufen habe. Es gibt nämlich beunruhigende Neuigkeiten.“ Gespannte Blicke sind nun auf ihn gerichtet.

Noch einmal holt Inu Yasha Luft und dann verkündet er: „Der Grund warum vom Nordclan keine Gefahr mehr ausgeht ist, dass dieser Katsuken gestern in kürzester Zeit beinahe das gesamte Heer des Nordens getötet und teilweise sogar gefressen hat.“

Zunächst herrscht bleierne Stille, doch dann bricht Gaikotsu in keckerndes Lachen aus und auch andere Ratsmitglieder bemühen sich ihre Belustigung über diese unglaubliche Eröffnung nicht anmerken zu lassen. „Oh, sicher doch!“, entfährt es Gaikotsu spöttisch. „Das gesamte Heer des Nordens von nur einem Youkai umgebracht. Das ist der beste Witz den ich seit langem gehört habe.“

Auch Yuugure räuspert sich ein wenig. „Ein amüsanter Scherz, doch befürchte ich, er ist geschmacklos und im Augenblick denkbar fehl am Platze.“

Frostig blickt Inu Yasha die beiden an. „Sehe ich aus als ob ich Scherze mache?“ Sogleich verstummt das Lachen wieder.

„Das kann nicht möglich sein“, bemerkt Chitsurao, doch man merkt ihm seine Unsicherheit an.

„Das Heer des Nordens hat die stärksten und zähsten Kämpfer aller Clans“, wendet Takarakanshu ein „Auch wenn sie uns zahlenmäßig unterlegen sind, haben sie das stets durch ihren unbarmherzigen und kompromisslosen Einsatz wieder wett gemacht. Es ist nicht möglich, dass sie allein durch nur einen Youkai besiegt wurden.“

„Und er hat sie gefressen, sagt Ihr?“, meldet sich nun besorgt Hiroshi zu Wort. „Wozu?“

„Ich nehme an um noch mehr Macht zu erlangen“, meint Inu Yasha.

„Das ist einfach lächerlich!“, entrüstet sich Gaikotsu nun. „Diese Geschichte macht doch überhaupt keinen Sinn.“

Ärgerlich setzt sich Inu Yasha auf. „Warum zum Henker, sollte ich so etwas erfinden, hä?“

Klar dringt nun Kagemoris Stimme durch den Raum. „Möglicherweise um darüber hinweg zu täuschen, dass auch Ihr vor ihm die Flucht ergriffen habt, Inu Yasha-sama.“

Augenblicklich kehrt Ruhe ein. Die autoritäre Stimme des Truchsesses verfehlt nicht ihre Wirkung.

„Shida erwähnte es in seinem Bericht“, fährt Kagemori ruhig fort. Dem Hanyou bleibt unwillkürlich die Sprache weg und er läuft hochrot an.

„Er erzählte, dass Ihr vor dem Feind davonlieft, und dass sich indessen das gesamte Nordheer mit diesem Fremden befasst hat. Wenn Ihr dieses unrühmliche Kapitel gerne ein wenig übertünchen wollt, ist es nicht an uns Euch diesbezüglich zu maßregeln, doch denkt Ihr nicht auch, dass wir Euch besser unterstützen könnten, wenn Ihr uns die Wahrheit berichtet?“

Sprachlos starrt Inu Yasha den würdevollen, alten Youkai an. Wie schafft er es nur immer wieder ihm das Wort im Mund herumzudrehen? Schon wieder kommt er sich klein und übervorteilt vor. Dabei hatte er sich doch geschworen, sich das nicht mehr gefallen zu lassen. Zugegeben, für sie muss es wirklich absurd klingen. Selbst er würde es wohl nicht glauben, wenn er nicht mit eigenen Augen gesehen hätte wozu dieser Kerl in der Lage ist. Und trotzdem muss er alles versuchen um es ihnen begreiflich zu machen, bevor den Westclan womöglich das gleiche Schicksal ereilt. Was kann er nur tun, damit sie ihm glauben?

Hilfesuchend geht sein Blick hinüber zu Myoga, doch der Floh macht nur eine auffordernde Geste, die heißen könnte: Nur Mut! Wirklich sehr hilfreich! Dabei hat er den alten Floh doch in der letzten halben Stunde fast verzweifelt darauf eingeschworen ihm in der Kürze der Zeit alles beizubringen was nötig ist um sich vor diesen alt eingesessenen Bediensteten Gehör zu verschaffen. Doch hier ist er mal wieder am Ende mit seiner Weisheit. Er hat nun einmal nicht Sesshomarus rhetorische Raffinesse. Also muss er sich irgendwie anders behelfen damit sie ihn ernst nehmen.

Noch einmal atmet er vernehmlich durch, dann senkt er den Kopf. „Wisst Ihr was, Kagemori-sama, ich wünschte wirklich, Ihr hättet recht. Ich wünschte die ganze Angelegenheit hätte damit geendet, dass Matsuba irgendwie entkommen ist und ich einfach nur weggerannt wäre. Und Ihr dürft mir ruhig glauben, dass ich diese Version mit Freuden begrüßen würde, auch wenn mich das in genau dem jämmerlichen Licht darstellen würde in dem Ihr und all die Anderen hier mich gerne sehen würdet.“

Nun strafft er sich und hebt den Kopf. „Denn das was dort oben im Norden wirklich passiert ist, ist um ein Vielfaches schrecklicher, als dass ich vielleicht das bisschen Ansehen verliere, dass ich bei Euch möglicherweise noch habe.“

Ernst blickt er Chitsurao an. Er ist der Einzige den er von damals noch kennt und der Einzige der vielleicht noch einschätzen kann, ob er die Wahrheit sagt. „Ich sage es noch einmal. Ja, ich bin vor diesem Monster geflohen, ebenso wie Shida. Und ich bin mir sicher jeder einzige Krieger des Nordheers wäre ebenfalls geflohen wenn nicht Yarinuyukis eiserner Wille sie in die Schlacht getrieben hätte. Dieser Kerl ist einfach nur furchterregend. Er hat etwas an sich, dass einem die Knie weich werden lässt. Yarinuyuki nannte es eine Dominanzaura. Ich bin nicht sicher was das genau bedeutet, aber ich habe es zu spüren bekommen und ich kann nur hoffen, dass niemand hier je in den Genuss davon kommt.“

„Eine Dominanzaura?“, hakt Yuugure nun skeptisch nach. „Über so etwas verfügen nur Daiyoukai und auch nur solche aus den Herrscherfamilien.“

„Das wundert mich nicht“, erwidert Inu Yasha trocken. „Schließlich hat er behauptet auch ein Sohn unseres Vaters zu sein. Und ich bin bereit ihm das zu glauben. Denn in seiner wahren Gestalt war er mindestens so groß wie mein Vater es war.“

Diese Eröffnung hat ungläubiges Staunen zur Folge.

„Ihr wollt also sagen“, lässt sich nun Kagemori ruhig vernehmen, „der Fremde ist ein weiterer Sohn des Inu Taishou, von dem niemand etwas weiß und er tötete kurzerhand auf einen Streich das gesamte Heer des Nordens um die Leichen anschließend aufzufressen, während er Euch mit seiner Dominanzaura in die Flucht schlug. Fasse ich Eure Schilderung damit korrekt zusammen?“

„Ich sagte nicht, dass er ein Sohn unseres Vaters ist, sondern dass er das behauptet hat!“, ereifert sich Inu Yasha. Diese widerwärtige Seelenruhe des Truchsesses reizt ihn bis aufs Blut.

„Aber Ihr glaubt es ihm“, entgegnet Kagemori gelassen.

„Ich weiß es nicht, ob ich ihm das glauben soll“, erwidert Inu Yasha. „Woher soll ich das auch wissen? Selbst Sesshomaru hat nie etwas darüber erwähnt. Aber so mächtig wie der Kerl ist, könnte es zumindest möglich sein.“

„Mit anderen Worten, es ist nicht sicher“, stellt Kagemori fest. „Vielleicht sollten wir in Betracht ziehen, dass Euch Eure Wahrnehmung in dieser brisanten Situation einen Streich gespielt hat und die Wahrscheinlichkeit, dass die scheinbare Übermacht des Gegners lediglich auf Eure übersteigerte Gemütsfassung zurückzuführen ist, eher anzunehmen ist.“

Ärgerlich stemmt Inu Yasha die Hände auf den Boden. „Ihr meint ich hab mir das nur eingebildet weil ich Angst hatte?“ Er schnauft vernehmlich. „Was ist nur los mit euch?“, wütend funkelt er in die Runde. „Es ist doch wohl euer verdammter Job euren Fürsten zu unterstützen. Ihr habt schon Sesshomaru nicht geglaubt, dass dieser Kerl einfach übermächtig ist und das ihr mir nicht ein Wort glaubt, kann ich mir auch denken. Aber wir beide, ich und mein Bruder, haben ihm schon gegenübergestanden und den Mistkerl bekämpft, während ihr hier im Palast nur Däumchen dreht und alles in Frage stellt, was euch nicht in den Kram passt.“

Hart beißt er die Kiefer aufeinander. „Ihr seid meinem Bruder eigentlich erschreckend ähnlich, aber er hat wenigstens eingesehen, dass jetzt die Zeit des Debattierens vorbei und Handeln gefragt ist. Deshalb hat er sich auch auf den Weg in die Unterwelt gemacht um seinen Sohn wiederzubeleben und die Prophezeiung zu erfüllen, damit wir wenigstens eine kleine Chance gegen diesen Kerl haben. Also hört gefälligst auf so zu tun, als ginge euch das alles nichts an!“

Eine bleierne Stille liegt nun über dem Raum. Fassungslose Blicke sind auf Inu Yasha gerichtet und dem Hanyou wird- unwillkürlich ziemlich unwohl in seiner Haut. Irgendwie hat sich die Stimmung gerade verändert. Noch einmal lässt er das Gesagte Revue passieren und plötzlich läuft ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Oh oh!

Da kommt auch schon Gaikotsus ungläubige Frage: „Er will was tun?“

Hiroshi hat die Augen weit aufgerissen. „Wieso denn das? Warum will er denn seinen Sohn zurückholen?“

Inu Yasha spürt wie ihm die Farbe aus dem Gesicht weicht. „Ähm...“, ist alles was ihm im Augenblick über die Lippen kommt. Gerade ringt er schwer mit dem Bewusstsein eben völlig gedankenlos ausgeplaudert zu haben, dass Sesshomarus Sohn das Kind der Prophezeiung ist und welchen Eindruck das nun vermutlich bei den Ratsmitgliedern hinterlässt. Im Augenblick ist er ziemlich froh, dass sein Bruder absolut nicht in Reichweite ist. Für diese unsensible Offenbarung hätte er ihn sicher einen Kopf kürzer gemacht.

„Was wollt Ihr damit andeuten, Inu Yasha-sama?“, kommt nun Kagemoris strenge Frage. Der ehrwürdige Youkai wirkt gerade recht aufgebracht.

Steift reckt Inu Yasha sich. „Genau das was ich sage: Tenmaru ist das Kind von dem die Prophezeiung spricht. Und Sesshomaru weiß das ganz genau. Und deshalb holt er ihn zurück. So einfach ist das.“

Verwundert blickt Hiroshi ihn an. „Aber würde das nicht bedeuten, dass Sesshomaru-sama sich...“

„Ja! Na und?“, unterbricht ihn Inu Yasha hart. Ärgerlich blickt er in die Runde. „Auch wenn das eurem engstirnigen, misstrauischen, kleinen Weltbild widerspricht, Liebe ist nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Ich hatte das Glück meinen Neffen kennenzulernen als er noch lebte und er war auf jeden Fall etwas Besonderes. Und ja, jeder der amtierenden Fürsten hat ihn geliebt und genau so meine ich es auch. Und wenn euch das nicht als Beweis dafür reicht, dass die Prophezeiung wahr ist, dann ist euch wirklich nicht zu helfen.“

Wieder liegt eine Weile angespanntes Schweigen über dem Raum. Dann bricht Chitsurao die Stille: „Sesshomaru-sama muss die Prophezeiung wirklich ernst nehmen, wenn er bereit ist soweit zu gehen.“

„Oh, ich würde sagen, er nimmt sie sehr ernst“, bestätigt Inu Yasha trocken.

„So ernst, dass er das Schicksal des Reiches in die Hände eines unerfahrenen Halbstarken legt?“, kommt es gehässig von Gaikotsu. Er schnaubt verächtlich. „Selbst Sesshomaru-sama wäre nicht so verantwortungslos. Wäre die Lage so ernst wie Ihr sagt, Inu Yasha-sama, meint Ihr wirklich, Sesshomaru-sama hätte ausgerechnet Euch mit dieser gewichtigen Pflicht betraut? Ihr könnt unmöglich erwarten, dass wir das glauben.“

Inu Yasha bleibt für einen Moment glatt die Sprache weg bei dieser offenen Beleidigung. Im ersten Moment weiß er gar nicht wie er darauf jetzt reagieren soll. Doch unerwartet kommt ihm nun Chitsurao zur Hilfe. Mit ärgerlich loderndem Blick fixiert er Gaikotsu. „Eure Respektlosigkeit ist einfach ungeheuerlich!“, grollt er zornig. „Ich akzeptiere nicht, dass solche unerhörten Anschuldigungen und Schmähungen in Gegenwart unseres Fürsten ausgesprochen werden! Mäßigt eure verderbte Zunge, oder ich reiße sie Euch heraus!“

Doch nun verfliegt das zynische Lächeln um Gaikotsus Mundwinkel und seine Miene wird ernst. „Ich spreche lediglich aus was alle hier denken“, entgegnet er düster. „Und ich werde vor diesem Rat immer aussprechen was die Wahrheit ist und was dem Reich dient.“

„Und Ihr meint sowohl seinen amtierenden als auch seinen früheren Fürsten offen herabzusetzen und zu beleidigen, dient dem Reich?“, ärgerlich ballt Chitsurao die Fäuste.

„Zumindest dient es nicht dem Reich sich Sand in die Augen streuen zu lassen und die Dinge nicht so zu betrachten wie sie tatsächlich sind. Aus falsch wird nicht richtig, aus schlecht nicht gut, aus dumm wird nicht weise und aus diesem Hanyou wird kein Fürst nur weil Sesshomaru-sama das sagt!“

Chitsurao lässt ein wütendes Knurren hören. „Ihr habt schon immer an Sesshomaru-samas Urteilskraft gezweifelt“, grollt er erbost. „Es ist wie Inu Yasha-sama sagt, Ihr wünscht ihn scheitern zu sehen. Vermutlich seid Ihr nur deshalb überhaupt noch in diesem Rat um sich an seinen Fehlschlägen zu weiden!“

Nun bekommt Gaikotsus Miene etwas Gemeines. „Zumindest habe ich mir meinen Platz hier im Rat redlich durch meine Fähigkeiten verdient und ihn nicht nur deshalb inne weil ich an der gleichen Zitze gehangen habe wie er!“

Schlagartig herrscht Ruhe in der Runde. Chitsuraos Gesicht hat alle Farbe verloren und er erstarrt in der Bewegung. Doch nun hallt Kagemoris scharfer Ruf durch den Raum: „Schluss damit! Auf der Stelle!“ Der autoritären Stimme wird augenblicklich Folge geleistet. Steif lässt sich Chitsurao auf seinen Platz zurücksinken, doch der Blick den er dem alten Youkai zuwirft ist tödlich.

Nun richtet Kagemori sich wieder an Inu Yasha. Sein Gesicht zeigt nun wieder lang geübte Gelassenheit. „Ich bin untröstlich, Inu Yasha-sama über den ungebührlichen Ausbruch gerade. Es wird nicht wieder vorkommen. Sicher habt Ihr noch nicht geendet mit Euren Ausführungen zu Sesshomaru-samas Ansinnen seinen Sohn aus dem Jenseits zurückzuholen. Bitte, fahrt fort! Ich bin sicher alle Anwesenden sind begierig darauf mehr darüber zu erfahren.“

Noch immer sitzt Inu Yasha ein wenig verdattert auf seinem Platz und kann noch immer nicht recht fassen was hier gerade passiert ist. Diese Ratssitzung läuft völlig aus dem Ruder und er schafft es einfach nicht sich durchzusetzen. Und wieder ist es Kagemori der die Kontrolle übernimmt und ihm das Gefühl gibt, dass ihm lediglich das flüchtiges Privileg zukommt vor diesem Rat sprechen zu dürfen. So hat er sich das nicht vorgestellt. Er findet einfach kein Gehör. Aber zumindest habe die Anwesenden jetzt offen gezeigt was sie von ihm als Fürsten halten.

Nun ja, bis auf Chitsurao. Er muss gestehen, dass er dem Hauptmann dankbar ist, dass er sich so für ihn eingesetzt hat, auch wenn er nicht genau versteht was da gerade zwischen den beiden Youkai vorgegangen ist. Doch damit kann er sich jetzt nicht befassen. Er muss erst mal eine Möglichkeit finden die Anwesenden zu überzeugen seinen Worten Glauben zu schenken. Aber ihm fällt einfach nichts mehr ein. Hilfesuchen linst er zu Myoga hinüber doch der Floh sieht aus als wäre er einer Ohnmacht nah. Von ihm ist keine Hilfe zu erwarten. Mal wieder typisch.

Mühsam unterwirft er seine Zunge wieder seiner Kontrolle. „Alles was ihr von Sesshomaru über die Sache wissen wollt, könnt ihr ihn selbst fragen sobald er zurück ist. Bis dahin sollten wir uns erst mal mit der Frage befassen, was wir gegen diesen Katsuken unternehmen können.“

Kagemori nickt bedächtig. „Wenn Ihr meint, dass er eine solche Bedrohung ist, werden wir dem natürlich entsprechend Rechnung tragen“, sagt er. „Was also schlagt Ihr vor, was jetzt geschehen soll?“ Auffordernd blickt er den Hanyou an.

Und sogleich kommt Inu Yasha wieder ins Schwimmen. Wenn er doch nur wüsste was in solch einer Situation zu unternehmen ist. Soll der Rat ihm denn nicht grade bei solchen Entscheidungen helfen? Aber auch wenn sie jetzt erst mal einlenken um die Wogen zu glätten, so halten sie offenbar die ganze Geschichte noch immer für ziemlich fragwürdig. Was soll er denn noch tun um sie zu überzeugen?

Wieder fasst er sich ein Herz. Es hilft ja nichts, wenn er jetzt einen Rückzieher macht und ihnen alles Weitere überlässt. Dabei würde nichts Gutes herauskommen. „Wir sollten uns mit den anderen Clans zusammentun und gemeinsam gegen ihn kämpfen, genau wie Kamukiku es sagte. Vielleicht haben wir gemeinsam eine Chance. Auch wenn der Nordclan geschwächt ist und viele Kämpfer verloren hat, wäre es nicht klug sie dabei außen vor zu lassen. Das könnten sie uns übel nehmen und dann hätten wir gleich zwei Gegner.

Im Augenblick ist er noch oben im Nordreich, doch keiner weiß wie lange noch. Er könnte sich überlegen wieder hierher zu kommen und dann ist auch unser Reich in Gefahr.“

„Warum sollte er wieder zurückkommen?“, fragte Yuugure nun. „Wäre es nicht anzunehmen, dass er erst mal den Norden erobert oder vielleicht in den Osten weiterzieht. Schließlich scheint er es auf mehrere Reiche abgesehen zu haben.“

Inu Yasha verzieht unbehaglich das Gesicht. „Das könnte natürlich sein, aber ich befürchte ich habe ihn vielleicht verärgert.“

„Was meint Ihr damit?“, hakt Yuugure nach.

Inu Yasha hebt den Kopf. Seine Miene ist fast schon etwas trotzig. „Es stimmt, erst bin ich weggelaufen, aber dann hab ich mich schließlich doch entschlossen zurückzugehen und ihn zu bekämpfen. Doch es hat leider nicht viel gebracht. Ich konnte kaum etwas ausrichten. Selbst das Bakuryuuha konnte ihm nichts anhaben. Fast hätte er auch mich getötet. Ich konnte ihn gerade noch mit der Meido Zangetsuha vertreiben. Dabei habe ich ihm ein Stück seines Körpers in die Hölle geschickt und nun könnte es sein, dass er dafür auf Rache aus ist.“

Skeptisch blicken die Ratsmitglieder ihn an. „Ihr habt den Youkai, der nach Eurer Aussage das gesamte Heer des Nordens vernichtet hat, ganz alleine bekämpft und vertrieben?“, lässt sich Yuugure vernehmen. Und Inu Yasha braucht nur in die Gesichter der Anwesenden schauen um zu wissen, dass sie diese Behauptung für aufgeblasenes Gerede halten.

Missmutig verschränkt er die Arme. „Ich weiß auch wie sich das anhört“, brummt er. „Und im Grunde ist es einfach pures Glück, dass es mich nicht auch erwischt hatte. Glücklicherweise hat der Norden eine fähige Heilerin die es anscheinend nicht zulassen wollte einen schwer Verletzten sterben zu lassen, ganz gleich zu welchem Clan er gehört. Und das obwohl sie im Grunde keinen Grund dazu hatte. Nur weil hier mal jemand über seinen Schatten gesprungen ist, und diese dämliche Blutfehde ignoriert hat, kann ich euch jetzt vor diesem Kerl warnen und es wäre besser für unseren ganzen Clan, wenn ihr endlich anfangt zu glauben was ich euch sage.“

„Erwartet Ihr wirklich, dass wir glauben sollen, dass der ganze Nordclan ausgelöscht wurde? Lediglich durch einen übermächtigen Youkai?“, fragt Takarakanshu kritisch.

„Ich habe nie gesagt der ganze Clan!“, schnaubt Inu Yasha ärgerlich. „Ein paar wenige Krieger haben überlebt sowie die Frauen und Kinder. Zumindest bis jetzt. Auch Yarinuyuki wurde bei dem Kampf gegen ihn schwer verwundet und als ich ging, war sie in keiner guten Verfassung. Er hat ihr das Gleiche angetan wie Sesshomaru und jetzt ist er möglicherweise sauer auf mich. Wir können nicht sagen, ob und wann er vielleicht wieder hier auftaucht und deshalb müssen wir endlich etwas unternehmen um nicht von ihm kalt erwischt zu werden. Alleine haben wir keine Chance gegen ihn, aber wenn alle Clans ihre Kräfte vereinen, können wir ihn vielleicht besiegen, ehe noch mehr Opfer zu beklagen sind.“

„Ich weiß ja nicht, ob man die Toten des Nordclans jetzt unbedingt beklagen müsste“, kommt es nun noch einmal zynisch von Gaikotsu, „aber sagtet Ihr nicht eben noch, Ihr hättet ihn mit der Meido vertrieben? Wozu brauchen wir dann noch die anderen Clans?“

Inu Yasha knirscht mit den Zähne. „Sagt mal, könnt oder wollt ihr alle nicht kapieren, dass dieser Typ verdammt stark und unglaublich gefährlich ist?“, platzt es wütend aus ihm heraus. „Der Kerl hat Sesshomaru fast umgebracht und da war er noch ein Kind! Er hat fast das ganze Nordheer getötet und gefressen und ob Yarinuyuki überlebt ist noch nicht mal sicher. Der Kerl erledigt Daiyoukai mal eben so im Vorbeigehen und ihr sitzt hier auf euren Hintern und dreht mir jedes Wort im Mund herum, weil ihr einfach dran gewöhnt seit jeden zu hassen und zu verachten, der euch nicht in den Kram passt. Aber ob es euch passt oder nicht, Sesshomaru hat mir die Verantwortung übertragen und mich zum Fürsten ernannt und ich werde unser Reich verteidigen, mit allen verfügbaren Mitteln und notfalls auch ohne eure Hilfe.

Aber eigentlich dachte ich es wäre auch eure Aufgabe für die Sicherheit unseres Clans zu sorgen, allerdings hab ich von euch bisher noch keinen irgendwie brauchbaren Vorschlag erhalten. Stattdessen kommen nur Beschwerden und Kritik. Unter diesen Umständen könnte ich mir gut vorstellen, dass ich von den Fürsten der anderen Reiche bestimmt mehr Hilfe bekomme als von euch und das sollte euch wirklich zu denken geben.“

Zunächst herrscht allgemeines Schweigen nach diesen aufgebrachten Worten. Doch dann erklingt Kagemoris ruhige Stimme in die eingetretende Stille. „Wir verstehen durchaus, dass diese neue, ungewohnte Situation in einer Führungsposition sicher recht frustrierend für Euch sein muss, Inu Yasha-sama. Doch gerade solche unbeherrschten, infantilen Ausbrüche machen es recht schwer Eurer persönlichen Einschätzung der Situation das nötige Gewicht zu verleihen. Ich bin sicher Ihr erkennt selbst die zahlreichen Widersprüchlichkeiten in Eurer Schilderung. Wenn Ihr die Güte hättet den Sachverhalt noch einmal in aller Ruhe und der Reihe nach zu erklären, wird es uns sicher viel leichter fallen Euch in dieser Angelegenheit zu beraten.“

Inu Yasha köchelt. Die gleichmütige Miene des würdevollen Youkais treibt ihn geradezu die Wände hoch. Und der Ratsvorsitzende ist sich dessen auch vollkommen bewusst; mit Sicherheit ist das sogar beabsichtigt. Er versucht ihn doch bloß aus der Ruhe zu bringen, damit er seinen Äußerungen keine Beachtung schenken muss. Wenn er jetzt die ganze Geschichte noch einmal erzählen muss, werden sie nie zu einem Ende kommen. Verzweifelt blickt er hinüber zu Myoga doch den kleine Flohdämon scheint jedes bisschen Selbstbewusstsein verlassen zu haben. Er meidet Inu Yashas Blick und sieht aus als wolle er am liebsten im Boden versinken. Na, herzlichen Dank für nichts!

Doch plötzlich ist über ihnen ein eigenartiges Knirschen zu hören. Irgendetwas macht sich gerade am Dach des Sitzungssaales zu schaffen. Und noch ehe die Ratsmitglieder genau begreifen was passiert, fällt zuerst die Vertäfelung und dann mehrere Holzsplitter bis hin zu ganzen Balken von der Decke, so dass die anwesenden Youkai reflexartig ein Stück aus dem Weg hechten um nicht von einer ganzen Ladung Ziegel und anderen Trümmern begraben zu werden.

Doch gerade jetzt schieben sich zwei gewaltige Pfoten und eine riesige weiße Schnauze durch das Loch im Dach und ein mächtiger pelziger Kopf wendet sich dem versammelten Rat zu. „Brauchst du ein wenig Hilfe, kleiner Prinz?“, ertönt Kamukikus tiefe, amüsierte Stimme.

Und zum ersten Mal seit langem hellt sich Inu Yashas Miene erleichtert auf. „Kamukiku-baba!“, ruft er freudig. „Gut dass Ihr da seid. Ich wollte sowieso mit Euch sprechen.“

„Das weiß ich“, meint die alte Hündin gemütlich und dann schiebt sie sich behäbig über den Rand in das Loch im Dach hinein. Jetzt erst erkennt Inu Yasha auch die drei Personen die auf ihrem Rücken sitzen und ihm fröhlich zuwinken.

„Inu Yasha!“, ruft Kagome. „Ist alles in Ordnung?“

Inu Yashas Miene wird wieder ernst. „Eigentlich nicht“, brummt er. „Diese verstockten alten Holzköpfe wollen einfach nicht einsehen wie ernst die Lage ist.“

Nun streckt die alte Hündin ihre Vorderpfoten aus und rekelt sich ausgiebig. Dabei deckt sie noch ein Stück des Daches ab und Kagome, Rin und Kohaku müssen aufpassen, dass sie nicht herunterpurzeln. „Das dachte ich mir schon“, brummt sie gelassen.

„Was hat das zu bedeuten?“, erhebt Kagemori jetzt gebieterisch die Stimme. „Kamukiku-sama“, wendet er sich an die alte Hündin, „Euer Eindringen hier ist mehr als unangebracht. Ihr könnt nicht einfach Teile des Palastes zerstören wie es Euch beliebt. Ich ersuche Euch Eurer Position zu gedenken und ein angemessenes Verhalten an den Tag zu legen!“

Nun wendet sich die alte Youkai zu Kagemori um und ihre Schnauze nimmt einen ausgiebigen Zug seiner Witterung. „Was du nicht sagst, kleiner Quäker!“, schnaubt sie verstimmt und pustet Kagemori dabei fast von den Beinen. Ohne Umschweife fährt nun ihr Kopf herum und reißt dabei einige der Papierwände ein, während sich die anderen Ratsmitglieder hastig drunter weg ducken. „Wollen doch mal schauen wer sonst noch anwesend ist“, meint sie und zieht nachdrücklich die Luft ein. Nun heben sich ihre Mundwinkel gefährlich. „Ah, Gaikotsu, du alte Pestbeule. Verspritzt du noch immer dein Gift? Kein Wunder, dass der Kleine es bei euch so schwer hat.“ Doch dem alten Youkai hat es diesmal offenbar die Sprache verschlagen, denn er beschließt nichts darauf zu erwidern.

Nun lässt sich Kamukiku mitten im Sitzungssaal auf alle Viere nieder und bettet den Kopf auf den Boden. Ihre blinden Augen blicken ins Leere, doch ihre Ohren sind wachsam aufgestellt und ihre riesige Nase zuckt leicht.

„Kamukiku-sama!“, kommt es noch einmal nachdrücklich von Kagemori. „Ich muss Euch ersuchen umgehend den Ratsraum zu verlassen. Dies ist eine wichtige Sitzung und derartige Störungen sind in keinem Fall zu dulden!“

„Ach, tu bloß nicht so als würdest du irgendetwas von dem für wichtig halten was der kleine Prinz sagt!“, brummt Kamukiku ungerührt. „Ich bin auch gar nicht wegen eures ach so wichtigen Rates gekommen, sondern weil sich der kleine Prinz eine Belohnung verdient hat, was ich so gehört habe. Und ich werde nicht gehen bis er sie erhalten hat.“ Genüsslich grinst sie die umstehenden Ratsmitglieder an, die gerade nicht genau wissen wie sie reagieren sollen.

„Eine Belohnung?“, fragt Inu Yasha verständnislos.

„Natürlich!“, brummt die tiefe Altstimme. „Ich hatte dir eine Geschichte versprochen, wenn du mir sagen kannst, wer das Kind der Prophezeiung ist. Und wie ich hörte, hast du es herausgefunden.“ Auffordernd hebt sie die Brauen.

Inu Yasha schießt unwillkürlich die Farbe ins Gesicht. Gerade beobachtet er wie Kagome und die Anderen von Kamukikus Rücken herunterrutschen. Rin stößt dabei kleine Quietschlaute aus und Kagome nickt ihm aufmunternd zu. „Schon gut, sag es ihr“, lächelt sie sanft.

Noch einmal atmet Inu Yasha so gefasst wie möglich durch. „Das Kind aus der Prophezeiung ist Tenmaru, der Sohn meines Bruders und mein Neffe.“

Die Lefzen der alten Hündin heben sich zufrieden.“So ist es!“

Etwas verdattert schaut Inu Yasha sie an. „Ihr wusstet das?“

„Kleiner Prinz“, meint Kamukiku gönnerhaft, „auch wenn ich blind bin, entgeht mir nur sehr wenig von dem was in unserem Reich geschieht. Natürlich wusste ich das. Und nun ist es wohl an der Zeit, dass du, zusammen mit der versnobten Bande da drüben“, damit hebt sie den Kopf in Richtung von Kagemori und den Anderen, „die ganze Geschichte hörst. Die Geschichte unserer Urväter, unbeschönigt und wahr.“

„Das ist jetzt wohl kaum der geeignete Augenblick für...“, versucht Kagemori es noch einmal, doch er wird sogleich von einer resoluten Stimme unterbrochen.

„Doch, dies ist genau der geeignete Augenblick!“, stellt Kamukiku klar und diesmal duldet ihre Stimme keinen Widerspruch. „Setzt euch!“ Diesmal wendet sie sich wieder an Inu Yasha und seine Freunde, die ihr brav Folge leisten. „Und hört nun die wahre Geschichte unserer Vorfahren, bevor hier noch alles zum Teufel geht!“

Konfrontation

Mit säuerlicher Miene blickt Sesshomaru seinen Vater an. Vielleicht wird er jetzt endlich erfahren womit er es hier genau zu tun hat. Wen interessiert es schon, ob es ihm gefällt oder nicht? Alleine dadurch wird er nichts an der Situation ändern. Sein Feind wird nicht dadurch verschwinden, dass ihm missfällt, dass er nun mal da ist.

„Der Unterhaltungswert dieser Information spielt für mich nur eine zweitrangige Rolle“, entgegnet er seinem Vater deshalb kühl. „Aber je eher ich erfahre was es damit auf sich hat, desto schneller kann ich mich auf den Weg zurück in mein Reich machen.“

In diesem Moment gewahrt er eine Bewegung neben sich und wendet sich zu Hanaki um. Die geschlagene Ostyoukai hat sich wieder erhoben und tritt nun an ihn heran. Er registriert, dass Inu Taiarashi sie ebenfalls nicht aus den Augen lässt. Schon will der ehemalige Ostfürst die Hand in ihre Richtung ausstrecken doch eine harte Geste von Seiten Hanakis ohne ihn auch nur anzusehen, lasst ihn innehalten und ihn die Hand wieder senken.

Zum ersten Mal kann Sesshomaru den Schaden, den Warugashikomarus Klauen angerichtet haben, in Augenschein nehmen. Quer über ihr wunderschönes Gesicht und ihren Oberkörper sind mehrere tiefe, rote Striemen zu sehen. Zwar bluten sie nicht, doch diesen Narben auf ihrem Seelenkörper haftet etwas Unabwendbares an.

Der Anblick bringt den stolzen Youkaifürsten für einen Moment aus der Fassung und die Wut steigt wieder in ihm auf. Wie konnte dieser elende Mistkerl ihr nur so etwas antun?

Hanaki hebt den Blick. „Verschwende deinen Ärger nicht, Sesshomaru“, sagt sie ruhig. „Ich weiß was du jetzt denkst, doch du solltest lieber auf den Kampf gerichtet bleiben, den du gewinnen kannst. Meine Verfassung ist unerheblich, wenn es darum geht, dein Reich zu schützen.“

Sofort geht ein Ruck durch Sesshomarus Körper. „Hanaki“, ruft er aufgebracht, „kannst du nicht verstehen, dass...“

Doch zwei sanfte Finger die ihm mit einer anmutigen Bewegung die Lippen verschließen, bringen ihn unmittelbar zum Schweigen.

„Es ist schon gut“, sagt sie leise. „Momentan gibt es wichtigere Belange für dich.“

Schwer atmend steht Sesshomaru da. Er ist sehr bemüht an sich zu halten. Natürlich hat sie recht, wenn man es logisch betrachtet. Doch einmal mehr toben wilde Gefühle in seinem Inneren und wollen ihn mit ihrer Intensität zerreißen. Zu einer anderen Gelegenheit würde er sich ihr sicher verständlich machen können, doch gerade ist dies die falsche Zeit und der falsche Ort, so sehr es ihn auch schmerzt.

„Sie hat recht“, wendet sich nun auch Inu Taiarashi besonnen an ihn. „Die Zeit läuft uns davon. Inu Taishou, erzähle ihm besser alles was er wissen muss, ehe die Drei zurückkommen. Wer weiß in was für einer Verfassung sie dann sind.“

Der Angesprochene mustert seinen Sohn noch einen kurzen Moment, dann setzt er sich ein paar Schritte entfernt auf einen Felsstein. „Ich erzähle dir die Geschichte, wie ich sie von Kamukiku gehört habe. Es ist die Geschichte unserer Vorfahren, nicht mehr und nicht weniger.“

Sesshomaru fühlt sich noch immer hin und hergerissen, doch dann atmet er noch einmal tief durch, bemüht sich die störenden Gefühle beiseite zu schieben und wendet sich dann seinem Vater zu.

„Nun also?“

Der Daiyoukai beginnt zu erzählen. „Einst lebte ein großer Fürst der Inuyoukai. Er war über alle Maßen mächtig und herrschte über das ganze Land. Doch er fühlte sich einsam und so nahm er sich eines Tages eine Frau. Diese gebar ihm einen Sohn. Auch dieser war an Stärke, Schläue und Zähigkeit kaum zu übertreffen, und mit der Zeit eignete er sich immer mehr Kampftechniken und Zaubersprüche an. Doch er war auch grausam und zudem machtversessen. Er beneidete seinen Vater für seine Macht und seine Herrschaft und so beschloss er ihn herauszufordern. Doch dem Vater widerstrebte es, gegen seinen eigenen Sohn zu kämpfen und so lehnte er die Herausforderung ab.

Der Sohn jedoch war über diese Ablehnung sehr erzürnt. Also suchte er einen Weg um seinen Vater zu provozieren. Und schließlich fand er auch einen. Er tötete seine eigene Mutter und versetzte seinen Vater damit in große Wut. Nun kam es endlich zu dem Kampf den sich der Sohn so lange erträumt hatte.

Doch sein Vater war kein einfacher Gegner. Sie kämpften lange Zeit verbissen miteinander und verwüsteten in ihren Streit dabei große Teile des Landes. Schließlich gelang es dem Sohn eine seiner tödlichsten Attacken bei seinem Vater anzusetzen. Das Kokorokaji. Eine Technik, die die Seele des Gegners in Brand setzt und ihn bis zu seiner Vernichtung mit peinigenden Erinnerungen und Gedanken quält.

Jedoch hatte sein Vater schon mit einer solchen Strategie gerechnet. Es gelang ihm den geschundenen Teil seiner Seele abzutrennen, so dass er ihn nicht völlig vernichten konnte. Es war der Teil in dem die Klugheit seines Vaters saß. Der Sohn sah, dass seine Technik keinen Erfolg hatte und versuchte es erneut. Wieder schlug er seinen Vater mit dem Kokorokaji und wieder trennte der Vater einen Teil seiner Seele ab. Es war der Teil in dem seine Ausdauer saß.

Nachdem dies geschehen war, zog sich der Sohn vorerst zurück um sich eine neue Strategie zu überlegen. Währenddessen war der Fürst sehr angeschlagen. Doch da er seine Seelenteile nicht verlorengehen lassen wollte, beschloss er aus ihnen Abkömmlinge seiner selbst zu schaffen. So schuf er aus ihnen zwei mächtige Inu Youkai. Den Älteren nannte er Warugashikomaru und den Jüngeren nannte er Nezuyomaru.

Als sein Sohn bemerkte was geschehen war, geriet er in großen Zorn. Er wollte keine anderen Kinder an der Seite seines Vaters dulden und so griff er die beiden Inuyoukai an um sie zu töten. Doch sein Vater seinerseits, wollte dieses nicht geschehen lassen. Noch einmal kam es zu einem heftigen Kampf zwischen den beiden, der sie letztendlich bis auf die Spitze des Fujiyamas trieb.

Beide Kontrahenten waren bereits stark angeschlagen und so holte der Fürst schließlich schweren Herzens, denn er wollte seinen Sohn nicht töten, zum finalen Schlag aus und stieß seinen Sohn in den Krater des Vulkans. Doch noch im Fallen als letzte Verzweiflungstat attackierte sein Sohn ihn noch einmal mit dem Kokorokaji und verschwand dann in den Lavafluten. Mit letzter Kraft trennte der Fürst noch einmal einen Teil seiner Seele ab, den Teil mit der Selbstbeherrschung, und formte auch aus ihm einen Inuyoukai den er Reiseimaru nannte.

Schwer verletzt und stark verstümmelt an Seele und Gesinnung schleppte der Fürst sich vom Vulkan herunter und blieb dort, dem Tode nahe, liegen. Alle seine Untertanen und seine drei neuen Söhne versammelten sich um ihn. Doch die drei Abkömmlinge, aus Hass, Schmerz und Kampf geboren, empfanden nichts als Verachtung für einander, und so begannen sie noch am Sterbebett ihres Schöpfers damit sich zu bekämpfen.

Als der sterbende Fürst sah, dass seine neuen Söhne nichts anderes im Sinn hatten als sich gegenseitig zu bekriegen und das Land in Schutt und Asche zu legen, überkam ihn eine tiefe Trauer und große Enttäuschung. Aller Lebenswille verließ ihn. Er verwarf den Gedanken zu versuchen sie zu lehren und führen und beschloss stattdessen sie ihrem Schicksal zu überlassen. Mochten sie sich doch gegenseitig selbst vernichten.

Ehe er verschied, versammelte er seine loyalsten Untertanen um sich, auf dass sie seinen Leichnam mit sich in den tiefsten Süden des Landes nehmen sollten wo sie ihn bestatten sollten. Fern der sich bekriegenden Brüder sollten sie eine neue Heimstätte finden und ihm ein Denkmal errichten.

Doch zuvor verkündete er seinen Untertanen noch eine Prophezeiung. Aus den drei Abkömmlingen würden drei Reiche hervorgehen und diese Reiche würden sich auf ewig bekriegen, bis ein Fürstenkind kommen würde, aus Liebe gezeugt, vom Schicksal gebeutelt, doch begabt mit der Fähigkeit selbst seine Feinde für sich zu gewinnen, dass es die Zuneigung jedes der drei Fürsten erlangen würde. Dieses Kind würde die drei Reiche wieder vereinen und erst dann würde sich der Süden ihnen wieder anschließen. Nachdem der Fürst das verkündet hatte, verstarb er und seine Untertanen nahmen wie befohlen seinen Körper und brachten ihn in den Süden des Landes wo sie ihn bestatteten und sich dann dort niederließen.

Die Drei Brüder jedoch, als sie die Prophezeiung hörten, gerieten in großen Zorn darüber. Keiner von ihnen war bereit an Frieden auch nur zu denken. Jedoch waren sie unterdessen, des Kämpfens überdrüssig. So beschlossen sie das was vom Land noch übrig war unter sich aufzuteilen und jeder eine Schar an Inuyoukai um sich zu sammeln um aus diesen ihren eigenen Clan zu erschaffen. Schließlich kamen sie auch zu der Erkenntnis, dass ein weiterer Krieg das Land, das sie nun beherrschen wollten, nur zerstören würde und so erschufen sie letztlich eine Reihe Gesetze die es ihnen ermöglichen sollten zu koexistieren ohne sich gegenseitig auszulöschen.

Mit der Zeit kehrte wieder Frieden im Reich ein und die Clans begannen zu wachsen und zu gedeihen. Nur in den südlichen Teil des Landes wagten sie sich nicht, denn die unsichtbare Grenze wurde aufs Schärfste bewacht und niemals kam ein Inuyoukai von der anderen Seite lebendig zurück. Mit den Jahren die vergingen, geriet auch die Geschichte über die wahren Anfänge der Clans in Vergessenheit und die Inuyoukai wissen heute nichts mehr über den Ersten Fürsten und seinen Sohn, der sich selbst den Namen Katsuken (Siegreicher Hund) gab, und der damals von allen Inuyoukai nur Fukouryouken (Seine Eltern missachtender Hund) genannt wurde. Den vermutlich stärksten Inuyoukai der jemals existiert hat, die Geißel des Landes und Mörder seiner Eltern. Der Daiyoukai dessen wahrer Name Sesshomaru lautet, Der der perfekt tötet!“

Hier endet Inu Taishou.
 

Eine ganze Weile kommt kein Ton von Sesshomaru. Der jugendliche Westfürst blickt seinen Vater lediglich mit starrer Miene an. Dann nach einem langen, angespannten Moment atmet er einmal beherrscht durch. „Ich verstehe“, sagt er leise und gefasst. Doch der unterdrückte Ärger ist ihm deutlich anzusehen.

Bedächtig tritt Hanaki ein Stück an ihn heran. „Sesshomaru...“, beginnt sie behutsam, doch der junge Fürst wehrt mit einem energischen Wink ab.

„Es ist nicht nötig darauf einzugehen!“, jedes der Worte trieft vor Bitterkeit. Noch einmal atmet er angespannt durch, dann hebt er den Kopf. In seinen Augen blitzt Zorn.

„Jetzt verstehe ich endlich, warum es in der Prophezeiung heißt, nur die Kraft der vereinten Clans könne ihn besiegen. Schon als ich ihm das erste Mal begegnete, wusste ich, dass er mächtig ist, doch wie sich jetzt herausstellt, war das eine unsägliche Untertreibung.“

„Ich befürchte, du hast es hier mit einem äußerst gefährlichen Feind zu tun“, bestätigt Inu Taishou. „In mir erwuchs die ursprüngliche Macht der ersten Clanfürsten zu neuer Blüte, weshalb mein Vater mir den Namen Inu Taishou gab, was im Grunde reinste Ironie ist, aber selbst ich beneide dich nicht um deine Pflicht, dein Reich zu verteidigen, gegen jemanden der den Drei Brüdern gleichkommt.“

Nun wirft Sesshomaru seinem Vater einen finsteren Blick zu. „Ihr beliebt zu scherzen, Chichi-ue. Es ist der Sohn des allerersten Inufürsten. Die Drei Brüder sind lediglich Splitter dessen, was seinen Vater einmal ausgemacht hat. Einem mächtigeren Gegner werde ich niemals begegnen.“

Er ballt die Fäuste. „Und gerade jetzt sollte ich bei meinem Volk sein und alles daran setzen es auf einen unausweichlichen und vermutlich vernichtenden Kampf vorzubereiten. Doch diese schwere und verantwortungsvolle Pflicht muss ich nun meinem Bruder überlassen, weil ich dazu verdammt bin hier in der Hölle darauf zu warten, dass die drei mächtigsten und ehrwürdigsten Fürsten unserer Geschichte damit fertig werden, sich aus Sturheit, falsch verstandenen Stolzes und purer Langeweile gegenseitig in Stücke zu reißen.“ Bei diesen Worten hat sich Sesshomaru richtiggehend in Rage geredet. Er fletscht die Zähne und sein Atem geht heftig. Dass er wütend ist, ist ihm nun deutlich anzusehen.

Noch immer ertönt hinter dem Felskamm das wütende Gekläffe und Geknurre der drei Großen Fürsten.

„Doch dem werde ich jetzt ein Ende bereiten!“, grollt er. Noch ehe einer der Anwesenden etwas dazu sagen kann, marschiert der junge Daiyoukai wild entschlossen auf die Empore unter der großen Metallglocke zu auf der sich noch immer der Youkai Mugen recht entspannt räkelt und ziemlich unbeteiligt tut. Zu Sesshomarus eigener Überraschung kostet es ihn in seinem Ärger kaum mehr große Anstrengung, die steile Treppe hinauf zu erklimmen.

Der Ostyoukai wirft dem Neuankömmling nun einen recht überraschten Blick zu. „Hey, was soll das denn jetzt werden, häh?“ Doch der Daiyoukai geht gar nicht erst auf die Frage ein. Stattdessen bückt er sich und packt energisch den mächtigen Hammer der neben Mugen auf dem Boden liegt. Doch er hat die Rechnung ohne den Anderen gemacht. Sofort packt Mugen blitzschnell zu und versucht ihm den Schlägel wieder zu entreißen. „Finger weg!“, schreit er wütend. „Ich bin der Einzige der diese verdammte Glocke schlagen darf, klar? Wenn du also eine Ankündigung zu machen hast, dann geht das gefälligst nur über mich! Das hab ich mir verdient!“

Für einen Moment flackert grimmige Wut in Sesshomarus Blick auf und noch einmal schwirren ihm die lasziven Worte durch den Kopf mit denen diese Kreatur seine Geliebte bedacht hatte und nur eine Sekunde später findet eine Faust heftig und präzise die Nase des Youkai. Der Griff um den Schlägel entgleitet ihm und stöhnend hält er sich das Gesicht, wobei er nach hinten sackt und keuchend liegenbleibt.

„Du sagst es!“, bemerkt Sesshomaru frostig. Dann richtet er sich hoch auf, packt den Hammer und in der Erwartung was nun unweigerlich auf ihn zukommt, beißt er die Zähne zusammen. Dann schlägt er mit voller Wucht auf den Rand der Kuppel ein.

Ein ohrenbetäubender Knall ertönt als der Klöppel auf das Metall der Glocke trifft, sodass sämtliche Inuyoukai im selben Moment schmerzerfüllt die Hände über die Ohren reißen. Doch damit nicht genug. Wieder und wieder schlägt Sesshomaru auf die Glocke ein und lässt damit seine aufgestaute Wut an dem gewaltigen Instrument aus. Auch wenn er bereits nichts mehr hört außer einem dumpfen Scheppern und spürt wie ihm ein warmes Rinnsal aus den Ohren läuft, ist sein Blick stoisch auf die große Ebene gerichtet wo er die Drei Großen sehen kann, die mit gepeinigtem Winseln versuchen dem schrecklichen Krach zu entkommen und dabei ihren Kampf fast vollständig vergessen zu haben scheinen.

Erst als er sieht, wie die drei Inufürsten sich mit einem grellen Aufleuchten wieder in ihre Menschengestalt verwandeln, um verzweifelt mit ihren Händen ihre Ohren abzuschirmen, entgleitet ihm der Schlägel und benommen von Schalldruck und Schmerz sackt er in sich zusammen. Er atmet heftig von der unnatürlichen Anstrengung und seine Arme zittern unwillkürlich. Sein Kopf dröhnt und sein ganzer Körper scheint von einer erneuten Schwächeattacke betroffen zu sein. Es dauert einen Moment bist er sich soweit wieder gefasst hat, dass der den Kopf heben kann.

Wie er feststellt, ist er nun von vier kräftig gebauten Personen umringt die mit finsterem Blick auf ihn herabschauen. Noch ehe er reagieren kann, wird er von Nezuyomaru vorne am Gewand gepackt und wild nach oben gerissen. Wie es aussieht schreit der Daiyoukai ihn gerade ziemlich ungehalten an, jedoch kommen nur wenige dumpfe Bruchstücke bei Sesshomaru an. Es steht wohl außer Frage, dass sein Gehör nach dieser Aktion gerade, ziemlich erheblichen Schaden genommen hat und das beunruhigt ihn wesentlich mehr als es die Flüche und Drohungen des ersten Nordfürsten jemals könnten. Innerlich kann er nur hoffen, dass dies nicht von Dauer sein wird.

Scheinbar hat jetzt auch Nezuyomaru begriffen, dass keines seiner Worte bei seinem Gegenüber ankommt. Wutschnaubend lässt er den jungen Daiyoukai zu Boden plumpsen. Schon holt er grimmig zum Schlag aus, doch im gleichen Moment entsteht bei den Umstehenden ein heftiger Tumult währenddessen Nezuyoumarus Arm festgehalten wird. Es folgt ein kurzes Gerangel und einige dumpfe, laute Rufe, dann wird Sesshomaru von seinem Vater am Arm gepackt und energisch wieder von der Empore heruntergezerrt. Noch immer ein wenig neben sich und zudem verunsichert durch den völlig ungewohnten Verlust eines so wichtigen Sinnes, lässt Sesshomaru es mit sich geschehen. Erst als sie wieder den Boden des Ratsplatzes erreicht haben, kommt wieder Leben in ihn und er entwindet sich dem Griff seines Vaters.

Er schließt für einen Moment die Augen und versucht sich auf seine Heilung zu konzentrieren. Dies ist nicht einfach, da ihn nur wenige Augenblicke später ein heftiger Schlag an der Schläfe trifft. Sesshomaru geht zu Boden. Doch von seiner Konzentration lässt er sich nicht abbringen. Verdammt, dass ihm Heilung hier unten aber auch dermaßen viel Kraft abverlangt!

Schließlich spürt er doch das vertraute, warme Rieseln, dass durch seine gemarterten Ohren zieht und er stellt fest, dass die Geräusche um ihn her langsam wieder lauter und verständlicher werden. Selbst wenn er von seinem ursprünglichen Gehör noch weit entfernt ist, kann er zumindest wieder der Unterhaltung folgen, die noch immer in heftigem Gange ist.

„...es mir egal ist, wie du darüber denkst, Reiseimaru, den kleinen Köter mach ich dafür eigenhändig kalt!“, keift Warugashikomaru gerade ungehalten.

„Ist das alles, woran du dämlicher Idiot denken kannst?“, hört man nun zum ersten Mal auch Reiseimaru schreien. Offenbar ist er nun ebenfalls wütend. „Ich habe diese ungezügelten Eskapaden von euch beiden so unglaublich satt! Der Junge hat euch damit im Grunde nur einen Gefallen getan. Wenn ihr nichts Besseres zu tun habt, als euch bei jeder sich bietenden Gelegenheit an die Gurgel zu gehen, ist es überhaupt kein Wunder, dass die Welpen heute keinerlei Respekt mehr vor euch haben.“

„Mir klingeln noch immer die Ohren“, grollt Nezuyoumaru verbissen. „Ohne eine saftige Strafe kommt er diesmal nicht herum!“

„Die hat er längst erhalten!“, schnaubt Reiseimaru wütend, „Oder was glaubst du warum seine Ohren bluten? Viel Schlimmeres als Taubheit wirst du ihm wohl kaum antun können.“

„Von wegen Taubheit!“, schnappt Warugashikomaru. „Er hört uns zu, sieh doch hin!“

Ein tiefes Grollen von Reiseimaru ist die Antwort.

Sesshomaru ballt die Fäuste, dann steht er wieder auf und reckt sich. In seinem Blick liegt tiefe Verachtung. „Ich soll euch zuhören?“, sagt er ruhig und gefasst. „Ich habe euch nun lange genug zugehört, und nichts von dem was ich von den drei ersten Clanfürsten meiner Rasse gehört habe, war irgendwie von Belang oder eine Hilfe für mich.“

Sprachlose Fassungslosigkeit über diese Impertinenz hat nun die Daiyoukai um ihn erfasst, doch Sesshomaru redet ohne Umschweife weiter. „Ich habe es immer als nie erringbare Ehre angesehen, einmal den legendären Gründern unserer Reiche zu begegnen, doch nun wo mir diese Ehre zuteil wird, kann ich nur sagen, dass ich gelinde gesagt enttäuscht bin. Wäre ich nur um dieser Ehre Willen gekommen, würde ich den Weg hierher als verschwendet ansehen.“

„Du wagst es tatsächlich uns so etwas ins Gesicht zu sagen?“, faucht Warugashikomaru giftig.

Eine eigenartige Ruhe erfasst nun Sesshomaru und er erwidert den bitterbösen Blick seinerseits mit kühler Berechnung. „Ja, das tue ich!“, sagt er fest. „Denn ihr seid alle tot! Eure Gelegenheit etwas zum Geschehen der Welt beizutragen ist vorbei. Die die jetzt leben, müssen sich mit der Gegenwart befassen, nicht ihr. Ihr seid nur ein Echo dessen was euch einmal ausgemacht hat. Von euch ist nichts Neues mehr zu erwarten. Deshalb werde ich jetzt meine Suche fortsetzen und mir dabei meine eigene Hilfe sein. Wer immer mir den Weg zu dem Aufenthaltsort der geläuterten Seelen sagen kann, möge jetzt sprechen und dann muss euch meine Anwesenheit nicht länger als Vorwand dienen, euch gegenseitig zu vernichten.“

Warugashikomaru fletscht die Zähne vor Wut und schon setzt er zu einem Schlag mit der gezückten Klaue an. Doch Sesshomaru bietet ihm mit grimmiger Entschlossenheit die Stirn. „Überlegt Euch das wohl!“, warnt er finster. „Ich habe bereits einen Fürsten aus Eurem Clan vernichtet, während ich schwer verwundet war. Ich werde nicht zögern es erneut zu tun! Mit dem Unterschied, dass Eure Essenz in diesem Fall endgültig verschwände. Wollt ihr es wirklich darauf ankommen lassen?“

Zornesrot starrt der ehemalige Ostfürst ihn an, als könne er nicht glauben was er gerade hört. „Das würdest du nicht wagen!“ zischt er empört.

„Verlasst Euch darauf!“, Sesshomaru weicht keinen Fingerbreit mehr vor Warugashikomaru zurück.

„Du dreister Bengel!“, grollt der erste Fürst des Ostens. „Dafür reiße ich dich in Stücke!“

Nun fletscht auch Sesshomaru die Zähne und seine Augen nehmen einen gefährlichen Rotton an. Lange Klauen schieben sich aus seinen Fingern und er nimmt eine Kampfhaltung ein. „Nur zu! Versucht Euer Glück!“

Warugashikomaru!“, fliegt nun jedoch der harte, zornige Ruf über den Platz. Er kommt von Reiseimaru. Der ehemalige Westfürst bebt vor Zorn. „Hör sofort damit auf!“ Zischt er mühsam beherrscht. „Mit deiner Unbeherrschtheit, besudelst du unser Ansehen. Ich werde nicht dulden, dass wir noch länger wegen dir unser Gesicht verlieren.“ Eine erschreckende Aura flammt für einen kurzen Moment auf, die alle anwesenden Youkai der Clans augenblicklich auf die Knie zwingt. Lediglich die Daiyoukai um ihn herum vermögen es, dieser Macht zu widerstehen.

Für einen langen Moment kommt keine Reaktion von den Umstehenden. Dann entspannt sich Warugashikomaru wieder etwas. „Pöh!“, entfährt es ihm verächtlich. „Du hast verdammtes Glück heute, Kleiner! Sieh besser zu, dass du schleunigst von hier verschwindest. Wenn du mir noch einmal unter die Augen kommst, mache ich kurzen Prozess mit dir.“ Mit diesen Worten dreht er sich erhobenen Hauptes um, lässt seine Aura kräftig aufflammen und nur wenige Momente später springt ein gewaltiger Dämonenhund mit raschen Sätzen davon und ist schon bald darauf außer Sichtweite.

Nun wendet sich Reiseimaru zu Sesshomaru um. Hoch aufgerichtet mustert er ihn eine Weile. Er sieht noch immer sehr ärgerlich aus.

„Ich halte es für das Beste wenn du so bald wie möglich diesen Ort hier verlässt. Dies ist kein Platz für Lebende. Es sorgt nur für Probleme.“

Doch Sesshomaru erwidert den Blick nur mit gleichem Grimm. „Es war niemals mein Wunsch hier länger zu verweilen. Hätte ich gleich erfahren, was ich wissen muss, wäre ich längst weitergereist.“

Ja, richtig“, meint Reiseimaru bitter, „der Ort der geläuterten Seelen.“ Er beißt kurz die Kiefer aufeinander. „Jemand wird dich dort hinführen.“

„Ich werde gehen!“, meldet sich nun Inu Taishou.

Der erste Westfürst wägt es einen Moment lang ab. „So sei es!“, verkündet er dann brummig und damit wendet auch er sich zum Gehen ohne noch einmal zurückzublicken.

Nezuyomaru kommt nun noch einmal auf Sesshomaru zu. Mit todernster Miene raunt er ihm zu: „Wenn du jemals doch gegen ihn kämpfst, sag mir Bescheid! Ich will das sehen.“ Dann lässt auch er die beiden zurück, verwandelt sich in einen mächtigen Hund und verschwindet hinter dem Felsenkamm.

Für alle Übrigen, scheint das das Signal zum Aufbruch zu sein. Zumindest löst sich nun die Versammlung allmählich auf und bald ist kaum einer der Youkai noch da. Lediglich Inu Taishou und Hanaki sind noch geblieben.

Die schlanke Daiyoukai nähert sich zögerlich Sesshomaru. „Wenn es dir recht ist, würde ich euch ebenfalls gern begleiten.“

In Sesshomaru brodelt noch immer der Ärger und er braucht ein paar Herzschläge um seine Fassung zurückzugewinnen. „Es ist mir recht“, antwortet er etwas milder. „Sofern mein Vater keine Einwände hat.“

Nun gehen die Blicke zu Inu Taishou hinüber. Dieser nickt nur zustimmend und wendet sich dann zum Gehen. „Es ist eine längere Wanderung“, meint er, „doch ich gehe nicht davon aus, dass dich das abhalten würde.“

„Mit Sicherheit nicht!“, bestätigt Sesshomaru kühl, dann macht er sich daran, seinem Vater zu folgen, während Hanaki sich den beiden sogleich anschließt.

So zügig wie möglich verlassen sie den Ratsfelsen, einem unabsehbaren Schicksal entgegen.

Veränderungenn

Nachdem Kamukiku geendet hat, herrscht zunächst sprachloses Staunen. Dann strahlt Rin über das ganze Gesicht. „Das war eine tolle Geschichte, Kamukiku-sama!“

„Ja“, ertönt es nun verächtlich von Gaikotsu. „Und mehr ist es auch nicht. Eine Geschichte!“

„Soll das bedeuten, der Gegner mit dem wir es hier zu tun haben, ist der Sohn des ersten Fürsten der Inuyoukai?“, hakt nun Hiroshi verwundert nach.

„Als ob!“, brummt Gaikotsu mürrisch. „Das ist doch nichts als ein Märchen.“

„In jeder Legende steckt auch ein Körnchen Wahrheit“, wendet Hiroshi ein.

„Zumindest würde es erklären, warum Sesshomaru-sama ihm unterlegen war“, gibt nun Takarakanshu zu bedenken.

„Ihr glaubt doch diesen Unsinn nicht etwa?“, wendet der alte Youkai sich höhnisch an den Hauptmann des Geheimdienstes.

„Warum müsst Ihr alles als Unsinn abtun, was nicht Euren Vorstellungen entspricht, Gaikotsu-sama“, erwidert Chitsurao nun leicht erbost.

„Es ist zumindest der beste Hinweis, den wir bisher haben“, meint Takarakanshu sachlich.

„Hinweis?“,schnaubt Gaikotsu. „Eine alte Kindergeschichte als Hinweis zu bezeichnen, ist wohl deutlich unter Eurem Intellekt, Takarakanshu-sama!“

Nun hebt Kagemori beschwichtigend die Hände. „Ich halte es für angebracht, dass sich die Gemüter zunächst wieder beruhigen, dann kann die ganze Sache in Ruhe erörtert werden.“ Sein Blick geht hinüber zu Inu Yasha der noch immer mit gekräuselter Stirn dasitzt und tief in Gedanken versunken ist. „Das würdet Ihr doch sicher auch vorschlagen, nicht wahr Inu Yasha-sama?“, ein mildes Lächeln liegt um seine Mundwinkel.

Doch Inu Yasha dreht sich noch immer nicht um. Jetzt jedoch setzt er sich aufrecht hin und hebt den Kopf. „Könntet ihr alle vielleicht einfach mal die Klappe halten? Ich kann bei diesem nutzlosen Gebrabbel nicht nachdenken.“

Ein spöttisches Schnaufen entfährt Gaikotsu. „Ich denke nicht, dass die Lautstärke dabei eine Rolle spielt.“

Doch nun platzt Inu Yasha der Kragen. Im selben Moment springt er auf und dreht sich ruckartig zu der Gruppe der Ratsmitglieder um. Seine Zähne sind gefletscht und in seinen Augen funkelt es zornig. Er braucht nur vier große Schritte, dann ist er bei Gaikotsu und packt den alten Youkai mit beiden Fäusten am Kragen und hebt ihn hoch, dass dessen Fußspitzen gerade noch so den Boden berühren.

Wild starrt er ihn an. „Ihr könnt wirklich von Glück reden, dass ich alte Männer in der Regel nicht schlage. Aber wenn Ihr so weiter macht, könnte es sein, dass ich mich trotzdem dazu hinreißen lasse, habt Ihr verstanden?“ Für ein paar Momente durchbohrt er den Alten noch mit einem wütenden Blick, dann lässt er ihn unsanft vor sich zu Boden plumpsen.

Dann wendet er sich zu den restlichen Ratsmitgliedern um. „Und von Euch will ich erst mal auch kein Sterbenswörtchen mehr hören! Es reicht mir, klar? Genug mit Reden! Wenn ihr euch erst in euer fruchtloses Geschwafel eingeschossen habt, hört ihr gar nicht mehr damit auf. Ihr redet jetzt nur noch wenn ihr gefragt werdet, das ist ein Befehl!“

Ärgerlich wendet er sich wieder seinen Freunden zu und lässt die Ratsmitglieder ein wenig entgeistert stehen. Offenbar sind sie sich gerade nicht sicher, wie ernst gemeint dieser Befehl war, doch keiner möchte es gerade riskieren, sich dagegen aufzulehnen. Selbst Kagemori nicht, obwohl der Truchsess im Augenblick ziemlich finster dreinblickt.

Aufgebracht gesellt sich Inu Yasha wieder zu seinen Kameraden. „Das hält ja keiner aus!“, murrt er verstimmt.

„Du gefällst mir immer besser, kleiner Prinz!“, schmunzelt die alte Riesenhündin und über ihre Schnauze zieht nun ein ziemlich ungehöriges Grinsen.

Nun wendet sich Kagome wieder an Inu Yasha. „Glaubst du dieser Katsuken ist der Sesshomaru von damals?“

Inu Yashas Gesicht ist ernst. „Kamukiku-baba glaubt es, nicht wahr?“, sein Blick geht hoch zu der alten Youkai.

„So wie deine kleine Freundin ihn beschrieben hat, ähnelt er genau den alten Legenden“, bestätigt die Alte. „Fürst Reiseimaru ließ, wie seine Brüder auch, alle Geschichten darüber verbieten. Wie ich schon sagte, sollte die Prophezeiung sich nie erfüllen. So sehr hassten sie sich. Jedoch innerhalb ihrer eigenen Familie machten sie eine Ausnahme und auch nur für den Fall, dass dieses Wissen ihnen möglicherweise einmal einen Vorteil gegenüber den Familien ihrer Brüder einbringen könnte. Ja“, sie seufzt leicht, „so tief misstrauten sie einander. Es war wohl mein Glück, dass er es Dokukasumi erzählte und sie ein besonders gutes Verhältnis zu ihrer Schwägerin hatte.“ Wieder grinst sie amüsiert.

„Von Glück kann man wirklich sprechen“, murmelt Inu Yasha, „denn ganz offensichtlich verstarb mein Vater ohne die Geschichte zuvor an Sesshomaru weiterzugeben. Dass wir sie jetzt von dir hören können, ist wirklich hilfreich.“

Nun meldet sich Kagome zu Wort. „Aber die Frage bleibt was wir jetzt machen sollen? Sollen wir warten bis Sesshomaru Tenmaru wieder zurück bringt und solange irgendwie die Stellung halten? Oder sollen wir Yaeba informieren? Vielleicht weiß er noch gar nicht was passiert ist.“

„Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass er völlig ahnungslos sein soll“, meint Inu Yasha. „Er ist zwar ein Streuner gewesen aber er ist immer noch ein Ostyoukai. Du hast es doch gehört. Der Osten hat die Intelligenz abbekommen. Arashitsume war das beste Beispiel dafür, wenn auch ein Widerwärtiges“, fügt er grollend hinzu. „Ich will damit nur sagen, dass er bestimmt genug Späher unterwegs hat, die ihn auf dem Laufenden halten. So wie wir es ja offenbar auch regelmäßig tun.“ Mit diesen Worten wendet er sich kurz mit strengem Blick zu den Ratsmitgliedern um die mit zwiespältigen Gefühlen noch immer der Unterhaltung folgen.

„Sollen wir sie also nicht informieren?“, fragt Kagome nach.

„Ich vermute informiert sind sie wohl schon. Aber wir sollten ihnen auf jeden Fall anbieten, sie notfalls im Kampf zu unterstützen. Er kann ja noch immer nein sagen, aber vielleicht nimmt er es uns übel wenn wir es nicht tun. Wir würden zumindest guten Willen zeigen. Das könnte praktisch sein, wenn wir später versuchen eine gemeinsame Armee gegen diesen Katsuken aufzustellen.“

Nun hält es Kagemori nicht länger aus. Energisch tritt er auf Inu Yasha hinzu. „Ihr könnt nicht so ohne Weiteres das Kriegsrecht ausrufen, Inu Yasha-sama!“, erklärt er bestimmt. „Das ist etwas was wirklich in aller Sorgfalt abgewogen werden muss. Dabei spielen Umstände und Faktoren eine Rolle, die Ihr unmöglich alle überblicken könnt. Dafür seid Ihr noch nicht lange genug im Amt und dafür ist der Rat da.“

Mit kühler Miene wendet sich Inu Yasha zu ihm um. „Der Rat ist dazu da die Entscheidungen des Fürsten umzusetzen. Und meine Entscheidung ist, dass umgehend unser Heer für einen Kriegseinsatz vorbereitet werden soll!“

„Das ist keine weise Entscheidung“, erwidert Kagemori. „Unzählige Leben stehen auf dem Spiel wenn es zum Krieg kommen sollte. Krieg kann immer nur das letzte Mittel sein.“

Nun baut sich Inu Yasha hoch vor ihm auf. „Erzählt Ihr mir nicht was Krieg zwischen den Clans bedeutet“, sagt er frostig. „Ich habe vor vier Jahren miterleben dürfen wie knapp der Frieden zwischen den Clans auf der Kippe stand und wie verzweifelt darum gerungen wurde ihn zu bewahren. Mir ist sehr wohl bewusst, was es bedeutet wenn es zum Krieg kommt. Und ich hoffe inniglich, dass es nicht dazu kommen muss. Aber wenn wir es wirklich mit jemandem zu tun haben der noch mächtiger als die Drei Brüder ist, dann wäre es fatal, wenn wir nicht alles unternehmen um unser Reich zu beschützen. Ich habe Sesshomaru versprochen, dass ich auf unser Reich aufpasse und das werde ich auch tun!“

Mit diesen Worten dreht er sich von Kagemori weg und lässt den ärgerlich dreinblickenden Youkai stehen. Stattdessen wendet er sich wieder zu seinen Freunden um. „Wir werden Unterstützung brauchen. Und zwar noch mehr als nur die Armeen der drei Clans. Denn wenn Katsuken immer noch stärker wird, kann keiner sagen wie mächtig er am Ende sein wird. Der Nordclan ist kaum noch vorhanden. Da fallen uns schon mal eine Menge Verbündete weg. Das müssen wir irgendwie wieder ausgleichen.“

Nun wendet er sich an den jungen Dämonenjäger. „Kohaku, ich möchte dich bitten mit Kirara nach Shippo zu suchen und ihn zu fragen, ob nicht einige Leute vom Fuchsvolk uns zur Seite stehen würden. Einen Versuch ist es wert.“

Der junge Mann nickt. „Ich kann es versuchen. Vielleicht lassen sie ja mit sich reden.“

Dann wendet sich Inu Yasha an Kagome. „Wir werden früher oder später wieder in den Norden aufbrechen. Schließlich habe ich Ki-sama unsere Unterstützung zugesagt. Aber noch besser wäre es natürlich, wenn wir Kouga und seine Leute für unsere Sache gewinnen können. Vielleicht könntest du noch einmal mit ihm reden. Auf dich hört er möglicherweise.“

„Ich?“, Kagome schießt die Röte ins Gesicht. „Warum denn ausgerechnet auf mich.“

Missmutig verzieht Inu Yasha das Gesicht. „Das weißt du doch ganz genau. Zwing mich doch nicht dazu, das zu sagen. Auf mich wird er jedenfalls nicht hören, das steht mal fest und wir können jeden Mann gebrauchen.“

Ein wenig verschämt wendet sich Kagome ab. „Also schön, ich werde mit ihm reden.“

Erleichtert atmet Inu Yasha auf. „Bleibt noch der Osten. Jemand muss zu Yaeba und ihm anbieten mit uns zusammenzuarbeiten.“

„Das werde ich übernehmen, wenn Ihr gestattet Inu Yasha-sama“, der Ruf von Chitsurao lässt die Freunde sich zu ihm umdrehen. „Erlaubt, dass wir Euch zumindest ein wenig unterstützen, mein Fürst. Ihr müsst wirklich nicht alles alleine tun.“

Abschätzend mustert Inu Yasha den Hauptmann. Die anderen Ratsmitglieder sehen noch immer recht zwiegespalten aus. Schließlich sagt er in die Runde: „Ich kenne euch nicht. Und deshalb kann ich nicht sagen, ob ich euch vertraue. Aber wenn es euer Anliegen ist, unser Reich zu schützen, dann gibt es sicher die eine oder andere Aufgabe die ihr übernehmen könnt. Ich sagte es schon einmal: Wer dazu nicht bereit ist, der kann jederzeit gehen. Ansonsten verschwendet nicht meine Zeit. Es gibt noch viel zu tun, bis wir uns Katsuken stellen können.“

Dann wendet er sich wieder an Chitsurao. „In Ordnung. Ihr müsst Ya... omonzurushi, Himmel, diesen Namen werde ich nie behalten... Ihr müsst ihm anbieten, dass wir uns gegen unseren Feind zusammentun können. Wenn er dazu nicht bereit ist, richtet ihm aus, dass ich zumindest mit ihm sprechen möchte, sobald ich zurück bin.“

Nun meldet sich der Youkai Hiroshi doch noch einmal etwas irritiert zu Wort. „Zurück von wo, mein Fürst?“

Inu Yasha atmet einmal ernsthaft durch. Dann sagt er: „Sesshomaru riskiert gerade Kopf und Kragen in der Hölle um einen Teil der Prophezeiung zur Erfüllung zu bringen. Da kann ich ihm doch darin nicht nachstehen.“

Verständnislose Blicke sind die Folge, doch dann hellt sich Rins Miene auf. „Du willst in den Süden, nicht wahr Inu Yasha-san? Du holst den Clan des verstorbenen Urfürsten dazu.“

Augenblicklich herrscht Totenstille. Nur auf Kamukikus Miene liegt ein triumphierendes Lächeln. Dann brechen die Ratsmitglieder in empörte Rufe aus. „Das ist Wahnsinn!“, ereifert sich Takarakanshu. „Niemand ist bisher von dort zurückgekehrt. Bisher ist jeder Inuyoukai getötet worden, der die Grenze überschritten hat.“

„Takarakanshu hat Recht!“, bestätigt Yuguure. „Was auch immer man an dieser Erzählung auch für wahr hält. Zumindest dies ist ein Fakt. Ihr als Fürst dürft Euch nicht einfach in solche Gefahr begeben.“

Doch Inu Yasha würgt die Proteste mit einer resoluten Handbewegung ab. „Genug! Ich habe Euch nicht um Eure Erlaubnis gebeten. Und das tue ich auch jetzt nicht. Ich kann mir auch Schöneres vorstellen als da hinzugehen, aber es muss einfach sein, verdammt noch mal! Hab ich Recht, Kamukiku?“ Zustimmung suchend wendet er sich an die alte Hündin.

Diese nickt bedächtig. „Ja, die Zeit ist jetzt reif dafür. Es muss geschehen!“

Wieder wollen sich neue Proteste erheben und wieder wehrt Inu Yasha ab. „Ich werde jetzt nicht darüber diskutieren!“, stellt er klar. „Es ist beschlossene Sache. Findet euch damit ab! Aber ich muss mich darauf verlassen können, dass hier alles in meinem Sinne vonstatten geht, solange ich weg bin. Kann ich das, oder werden wieder meine Beschlüsse ausgehebelt wenn ich mal einen Moment nicht hingucke?“ Scharf mustert er Kagemori.

Der ehrwürdige Youkai macht ein Gesicht, dass die Milch sauer werden könnte. Vorbei ist alle aufgesetzte Höflichkeit. Dennoch bemüht er sich um eine gelassene Ausdrucksweise als er sagt: „Der Rat ist geübt darin Entscheidungen zu treffen, solange der Fürst nicht da ist. Seid gewiss, wir werden es auch dieses Mal zustande bringen. Sobald der Rat wieder vollständig ist. Immerhin haben wir ein Mitglied verloren.“

„Ihr meint, Ihr habt ihn in den Tod geschickt“, entgegnet Inu Yasha trocken und fängt sich dadurch einen giftigen Blick von Kagemori ein.

„Das Ergebnis ist dennoch das selbe“, stellt der Truchsess mit aller vorhandenen Gemütsruhe klar. „Matsuba war für die internen Abläufe zuständig. Es wird eine Weile dauern, bis wir einen Ersatz gefunden haben.“

„Ihr wolltet sagen, bis ich einen ernannt habe“, gibt Inu Yasha nun ungerührt zurück.

„Ja, eben das meinte ich“, bestätigt Kagemori nun mit zusammengebissenen Zähnen.

„Um so besser“, meint Inu Yasha „Dann kann ich wenigstens dafür sorgen, dass jemand, dem ich vertraue, hier mit im Rat ist.“

„Und auf wen fällt dann Eure Wahl, mein Fürst?“, die Stimme des Truchsess ist nun gefährlich freundlich.

Inu Yasha überlegt kurz dann dreht er sich zu der Riesenhündin um. „Kamukiku-baba, möchtet Ihr nicht diesen Platz einnehmen?“

Doch die alte Hündin schüttelt nur desinteressiert ihr Fell. „Nee, lass mal, kleiner Prinz. So ein Posten ist nichts für mich. Außerdem würde ich diese nervtötende Bande vermutlich schon nach der zweiten Sitzung fressen.“ Sie bleckt mit einem schaurigen Lächeln ihre Zähne und zum Glück entgehen ihr dabei die entrüsteten Gesichter der Ratsmitglieder.

„Also schön, dann eben jemand anderes, nur wer?“, überlegt Inu Yasha laut. Doch dann kommt ihm eine Idee. Er winkt einen der Bediensteten heran die noch immer durch das Chaos ziemlich verstört im Vorraum hocken und ein wenig verschämt durch die eingerissene Papiertür linsen.

„Geh los und bring mir Karashina-sama hierher!“ Rasch macht sich der Diener auf den Weg.

Sofort gehen ungläubige Blicke zwischen den Ratsmitgliedern und Inu Yasha hin und her. „Das ist unmöglich!“, meldet sich Yuguure nun zu Wort. „Karashina-sama kann unmöglich Mitglied des Rates werden!“

Verständnislos blickt Inu Yasha sie an. „Und warum nicht? Soweit ich weiß ist sie für die gleichen Bereiche zuständig die auch Matsuba unterstellt waren. Sie kennt sich also aus. Und was ich so gehört habe, macht sie ihre Arbeit schon eine ganze Weile ziemlich gut. Außerdem habe ich bei ihr zumindest den Eindruck, dass sie das was Sesshomaru gutheißt ebenfalls mitträgt. Ich denke, ich kann mir ihrer Loyalität sicher sein. Was also sollte dagegen sprechen?“

Ein wenig unbehaglich sehen sich die Ratsmitglieder an. Schließlich spricht Gaikotsu es aus: „Weil sie eine Frau ist! Frauen haben im Rat nichts zu suchen.“

Ungläubig starrt Inu Yasha die Männer vor ihm an und in ihren Gesichtern sieht er die gleiche Antwort, wenn sie auch unausgesprochen bleibt. Sprachlos blickt er von einem zum anderen. „Da soll mich doch...“, murmelt er. Dann reckt er sich wieder und schaut die Ratsmitglieder durchdringend an. „Ihr... ihr seid ja alle...“, hastig sucht er in seinem Gedächtnis das Wort was Kagome neulich gebraucht hat. „Ja genau, ihr seid alles Sexisten! Ihr solltet Euch schämen!“

Die empörten Worte haben einige sehr eigenwillige Reaktionen zur Folge. Den meisten Ratsmitgliedern fallen fast die Augen aus dem Kopf, Chitsurao sackt glatt die Kinnlade runter, Rin boxt Kohaku kichernd in die Seite und Kagome dreht sich mit hochrotem Gesicht von den anderen weg. Zum Glück erklärt Inu Yasha gleich darauf was gemeint ist, ehe ein Entrüstungssturm losbrechen kann. „Wer glaubt, dass Frauen nicht die gleiche Arbeit machen können wie Männer, ist ein richtiger Sexist und außerdem rückständig! Nicht wahr Kagome?“ Er wendet sich rasch zu ihr um und hofft auf ihre Zustimmung. Doch Kagome macht lediglich eine abwehrende Handbewegung die bedeutet: Nur zu, mach du mal weiter! Doch dabei blickt sie ihn nicht an.

Leicht irritiert nimmt er es zur Kenntnis, doch dann wendet er sich wieder den Männern vom Rat zu. „Wie auch immer. Ich verlange, dass ihr damit klarkommt. Gibt es sonst noch irgendwelche Einwände die nicht darauf abzielen, mich von dem abzuhalten was ich beschlossen habe?“

Für einen Moment herrscht tatsächlich Schweigen in der Runde. Dann schließlich meldet sich Chitsurao zu Wort: „Gedachtet Ihr mich nun mit der Botschaft an Fürst Yaomonzurushi zu betreuen, Inu Yasha-sama?“

Nachdenklich wägt Inu Yasha die Frage ab. Chitsurao ist der Hauptmann seiner Krieger. Ist es wirklich sinnvoll gerade ihn jetzt fortzuschicken, wenn doch sein Heer jetzt bereitgemacht werden soll? Andererseits ist Chitsurao einer der wenigen anwesenden Youkai dem er zumindest halbwegs vertraut und er möchte die Botschaft an den Ostfürsten wirklich gerne genau so ausgerichtet haben wie sie gedacht war. Nicht, dass das wieder so wie mit diesem dämlichen Shida läuft, der offenbar völlig die Tatsachen verdreht hat. Wenn er mal Zeit hat, sollte er mit diesem Knaben vielleicht auch noch ein Wörtchen reden. Doch das muss jetzt warten. Jetzt muss er sich um wichtigere Dinge kümmern.

Schließlich sagt er: „Ja, ich denke, das wäre das Beste. Erzählt ihm was geschehen ist, und auch von der Prophezeiung. Vielleicht kennt er sie schon, das wäre immerhin denkbar, schließlich ist er auch schon sehr alt. Aber wenn nicht berichtet ihm was Ihr wisst. Und sagt ihm auch was mit dem Nordclan passiert ist, und auch, dass der Westen den Norden notfalls unterstützen wird gegen Katsuken. Wir bieten ihm hiermit auch Unterstützung an und wenn er ablehnt, sagt ihm sobald ich aus dem Süden zurück bin, schaue ich bei ihm vorbei. Dann reden wir noch einmal persönlich. Und auch wenn er einverstanden ist, komme ich ihn besuchen um mit ihm alles zu besprechen. Ach, sagt ihm einfach, ich komme auf jeden Fall hin, sobald ich wieder da bin. Und kommt dann so bald wie möglich zurück um Bericht zu erstatten!“ Dann fällt ihm noch etwas ein: „Und solange Ihr fort seid wird Dokutoge Euch vertreten.“

Respektvoll verneigt sich Chitsurao vor ihm. „Wie Ihr wünscht, mein Fürst!“

In diesem Moment ertönt eine ruhige Frauenstimme hinter ihnen. „Ihr habt mich rufen lassen, mein Fürst?“ In der zerstörten Tür des Sitzungssaales steht Karashina in tadelloser Gewandung und lässt mit keiner Regung vermuten, dass sie auch nur irgendetwas von der Verwüstung wahrnimmt, die über das Ratszimmer hereingebrochen ist. Mit abwartender Miene schaut sie zu Inu Yasha herüber. In den Gesichtern der Ratsmitglieder hat sich jetzt deutliches Unbehagen breitgemacht.

„Ah!“, meint Inu Yasha und tritt auf sie zu. „Ihr seid schon da.“

„Ich kam so schnell ich konnte, als ich Euren Ruf erhielt, mein Fürst.“

„Na, wenigstens eine die meinen Befehlen aufs Wort gehorcht“, brummt Inu Yasha mit noch immer etwas zynischem Blick in Kagemoris Richtung.

„Womit kann ich Euch zu Diensten sein, mein Fürst?“, zieht Karashinas Stimme Inu Yashas Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Der Hanyou fühlt sich jetzt doch ein wenig unbehaglich. Immerhin weiß er, dass die anderen Ratsmitglieder keine hohe Meinung von seinem Entschluss haben. Ob sie ihr genau so viele Probleme machen werden wie ihm? Doch irgendwie hat er die Ahnung, dass die Youkaifrau sich schon Gehör verschaffen wird.

„Ich habe beschlossen, dass Ihr in Zukunft Matsubas Position im Rat einnehmen werdet. Immerhin kennst Ihr Euch mit seiner Arbeit aus. Seid Ihr bereit die Aufgabe zu übernehmen?“

Ein gespannter Moment der Stille folgt. Lediglich eine leicht erhobene Augenbraue kommt schließlich von der Frau als Reaktion auf seine Worte. „Oh!“, sagt sie schließlich ruhig. „Was für eine überaus große Ehre von Euch, mein Fürst. Ich bin mehr als geschmeichelt, dass ihr meiner bescheidenen Arbeit eine solch beträchtliche Würdigung zuteil werden lasst. Natürlich werde ich gern alles in meiner Macht stehende tun um diesen Posten zu Eurer vollsten Zufriedenheit auszufüllen.“ Ergeben macht sie einen formvollendeten Knicks.

„Sehr gut!“, meint Inu Yasha erleichtert. „Das kann ich im Augenblick nämlich wirklich gut brauchen.“ Wieder geht sein Blick zu den Ratsmännern hinüber. „Und ihr benehmt Euch gefälligst solange ich weg bin, klar? Ich will keine Klagen von ihr hören.“

„Oh, seid unbesorgt!“, lässt sich Karashina vernehmen. „Ich bin sicher niemandem hier würde es in den Sinn kommen Eure Erwartungen zu enttäuschen, mein Fürst.“ Sie schenkt den Ratsmitgliedern ein bedeutsames Lächeln. Täuscht Inu Yasha sich oder sind Chitsurao, Takarakanshu und Hiroshi gerade ein Stück von ihr weggerückt? Doch vermutlich ist das eh nicht weiter relevant.

„Nun, da das geklärt ist, sollte ich mich wohl langsam auf den Weg machen.“ Gefasst richtet sich Inu Yasha ein wenig auf. Irgendwie tut es ganz gut jetzt mal den Fürsten heraushängen zu lassen. Und offenbar fällt es ihm viel leichter sich gegen diese vornehmen Schnösel durchzusetzen, wenn er sich keine Gedanken mehr darum macht, ob sie seine Entscheidungen mögen oder nicht.

Ihm ist schon bewusst, dass sie ihn nicht respektieren und ihm sicher auch nicht vertrauen, aber im Augenblick rettet ihn gerade seine Blutlinie und die Tatsache, dass Sesshomaru ihn eingesetzt hat. Noch müssen sie ihm gehorchen. Dass dieser Loyalitätsvorschuss nicht für immer anhalten wird, ist ihm klar. Im Augenblick befindet er sich hier gerade auf sehr dünnem Eins, aber wenn dieser Umstand wenigstens ein bisschen dazu beiträgt, dass das Reich geschützt wird und er die Stellung halten kann, bis Sesshomaru wieder zurück ist, dann bringt es nichts weiter zimperlich zu sein. Es wird Zeit für ein paar letzte Anweisungen.

„Chitsurao-sama, Ihr könnt gehen um Euch auf die Reise vorzubereiten“, wendet er sich an den Hauptmann, der sich kurz verbeugt, einen raschen Seitenblick zu Karashina wirft und dann davoneilt.

„Takarakanshu-sama, bitte informiert Dokutoge, dass er bis auf Weiteres wieder die Befehlsgewalt über unsere Soldaten übernimmt und arbeitet zusammen mit ihm und Yuguure-sama einen Schlachtplan aus wie man den Palast bei einem möglichen Großangriff am besten verteidigen kann. Und vergesst dabei nicht zu überlegen wie man den Schaden in der umliegenden Zivilbevölkerung möglichst klein halten kann.“ Ernst blickt er die beiden Youkai an. Sie wirken in der Tat ein wenig verblüfft, doch dann nicken sie gehorsam. „Wie Ihr wünscht, Inu Yasha-sama.“

Dann wendet er sich an Hiroshi. „Ihr nehmt Kontakt zu den Daimyo des Reiches auf. Warnt sie vor dem was möglicherweise auf uns zukommt und bietet ihnen an, vorübergehend hier im Palast Schutz zu suchen.“ Respektvoll verneigt der jugendlich wirkende Youkai sich vor ihm. „Ich werde es sofort in die Wege leiten.“

Dann wendet sich Inu Yasha zu Karashina um. Ein wenig unschlüssig schaut er sie an. Was für eine Aufgabe könnte er ihr geben? Doch scheinbar merkt sie seine Befangenheit und kommt ihm zu Hilfe. „Wünscht Ihr, dass ich Unterkünfte herrichte für die Gäste die sich durch Eure Einladung in nächster Zeit hier einfinden könnten?“, fragt sie sittsam. „Ich schlage vor, dass wir bei einer herannahenden Schlacht auch einige Lazarette errichten sollten zur Versorgung der Verletzten.“

Inu Yashas Miene hellt sich auf. „Das ist eine gute Idee! Tut das!“ Sie verneigt sich züchtig zur Bestätigung.

Dann wendet er sich zu Kagemori und Gaikotsu um. Finster blickt er den greisen Youkai an. „Habt Ihr auch irgendeinen Beitrag den Ihr zu dem kommenden Geschehen leisten könnt, oder zieht Ihr es vor Euch ängstlich hinter Eurem Schreibpult zu verkriechen?“

Ein wenig verkniffen erwidert Gaikotsu seinen Blick. Schließlich muffelt er: „Wir werden zusätzliches an Proviant und an anderen Gütern benötigen. Ich werde Sorge tragen, dass alles schnellstmöglich geordert und eingelagert wird. Es wird eine nicht unerhebliche Summe verschlingen.“ Dabei zieht er eine trotzige Schnute.

Inu Yashas Blick ist durchdringend. „Tut das! Nach allem was passiert ist, gehe ich lieber auf Nummer sicher!“ Dann wendet er sich an Kagemori. Ernst baut er sich vor dem Truchsess auf, der ihn gerade mit einem äußerst frostigen Blick bedenkt, jedoch kein Wort sagt.

„Nun zu Euch“, sagt Inu Yasha ernst. „Ich sage es Euch gleich: Ich traue Euch nicht. Und so wie die Dinge stehen, verspüre ich im Grunde wenig Lust Euch hier die Führung zu überlassen solange ich weg bin. Aber Myoga hat mir gesagt, dass Euch das Wohl des Reiches wichtig ist, und dass Ihr Euch eine lange Zeit als treu und loyal erwiesen habt. Ich kann nur hoffen, dass Ihr das nicht inzwischen vergessen habt. Denn das alles hier dient bestimmt nicht dazu, irgendeine Schwäche von mir zu überspielen, und auch nicht weil es mir Spaß macht. Ich tue das, weil ich glaube, dass unser Volk in ernster Gefahr ist. Und ich tue das weil Sesshomaru das auch glaubt. Und ich werde von niemanden verlangen die Reise zu unternehmen die ich jetzt machen muss. Ich bin der Fürst dieses Reiches und das ist meine Aufgabe. Eure Aufgabe wird es sein, hier alles in meinem Sinne am Laufen zu halten bis ich wieder da bin, und ich werde wiederkommen! Glaubt Ihr, dass Ihr das tun könnt?“

Einen langen Moment blickt der ehrwürdige Truchsess in das Gesicht des Hanyous vor ihm und verzieht keine Miene. Jedoch scheint er angestrengt zu überlegen. Doch dann schließlich senkt er den Blick. „Wenn Ihr es wünscht, dann wird es auch so geschehen, Inu Yasha-sama!“

Erleichtert atmet Inu Yasha auf. „In Ordnung. Unter dieser Bedingung überlasse ich Euch die Führung solange ich weg bin.“ Dann wendet er sich von ihm ab. Ruhig geht er zu seinen Freunden hinüber. „Rin, du bleibst hier im Palast! Im Augenblick bist du hier am besten geschützt.“ Man sieht simultan Rins Mundwinkel hoch und Kohakus heruntergehen. Doch keiner von beiden äußert sich dazu.

Dann wendet er sich an seine Freundin. „Kagome?“, er wirkt nun doch ein wenig zögerlich. „Ich sag das wirklich nicht gerne aber...“

Doch schon unterbricht sie ihn ernst: „Du brauchst gar nicht weiter reden. Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass ich hier bleibe. Wenn du dich schon wieder in Gefahr stürzen musst, dann brauchst du doch garantiert jemanden der dir den Rücken freihält. Ich komme mit und werde dich unterstützen, so wie sonst auch. Schließlich hab ich sogar den Kampf gegen Naraku und gegen Katsuken überlebt. Ich bin unverwüstlich, vertrau mir!“ Sie schenkt ihm ein aufmunterndes Lächeln.

Unbehaglich schluckt Inu Yasha den Kloß in seinem Hals herunter und er guckt etwas wehmütig als er sagt: „Eigentlich... wollte ich nur sagen, wenn dein Arm wieder soweit in Ordnung ist, könnten wir gleich aufbrechen. Ich weiß ja inzwischen, dass du dir das eh nicht ausreden lässt. Und ich wäre wirklich froh dich dabei zu haben.“

Unwillkürlich röten sich Kagomes Wangen etwas. Da ist sie wohl wieder etwas über das Ziel hinausgeschossen. Sie muss sich wohl langsam doch an den Gedanken gewöhnen, dass Inu Yasha sie inzwischen einfach viel zu gut kennt. Sanft legt sie die Hand auf seinen Oberarm. „Meinem Arm geht es gut. Mein Gepäck ist noch immer gepackt. Sobald uns jemand erklärt hat wo es langgeht, können wir los.“

Unwillkürlich stutzt Inu Yasha etwas. Das stimmt tatsächlich. In dieser Gegend ist er bisher noch nicht gewesen, vermutlich weil alle Erzählungen immer davor gewarnt haben. Außerdem stellt er fest, dass der Gedanke seine Freundin nun wieder stundenlang durch die Gegend zu tragen ihm etwas Unbehagen beschert. Noch immer spürt er seine verletzten Knochen und Sehnen und solange er nur sitzen muss, ist es nicht sonderlich schlimm, doch er empfindet wenig Vergnügen bei der Vorstellung an diesen neuen Kraftakt. Zumal Eile geboten ist und er nicht sagen kann wie lange diese Reise dauern würde.

„Gibt es ein Reiseportal hinunter zur Südgrenze, so wie das in den Norden?“, fragt er. Doch Takarakanshu schüttelt den Kopf. „Bedauerlicherweise nicht, mein Fürst. Wir haben dort nur selten Patrouillen. Diese Grenze wird ja schließlich so gut wie nicht frequentiert.“

„Wie kommen wir dann da hin? Zum Laufen ist es sicher viel zu weit“, hat Kagome die Lage erfasst.

„Oh, wenn es weiter nichts ist“, meldet sich nun die tiefe Stimme von Kamukiku zu Wort. „Ich kann Euch hinbringen, kleiner Prinz. Wenn ihr wollt, trage ich dich und deine kleine Freundin bis hinunter zur Südgrenze.“

Ungläubig schaut Inu Yasha sie an. Er wirkt etwas unbehaglich. „Aber, das kann ich doch nicht von dir verlangen, Kamukiku-baba. Das ist doch bestimmt ganz schön weit. Und du bist doch schon so alt, und außerdem blind.“

Ein krächzendes Lachen ertönt aus dem Maul der Hündin. „Mach dich nicht lächerlich, kleiner Prinz! Ich mag zwar alt sein, aber ich bin noch nicht klapprig. Und bisher bin ich trotz meiner Blindheit immer sehr gut zurecht gekommen. Abgesehen davon, dass jemand unbeschadet die Südgrenze überquert, ist etwas was ich um nichts in der Welt verpassen möchte. Also kletter schon rauf! Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Ein wenig zögerlich greift Inu Yasha in das lange, weiße Fell der alten Hündin und klettert auf ihren Rücken. Es fühlt sich ein wenig seltsam an auf so einem großen Reittier zu sitzen. Das letzte Mal saß er auf dem Rücken seines Bruders, doch davon hat er nicht mehr viel in Erinnerung, und genießen konnte er diesen Moment auch nicht wirklich, da er gerade händeringend damit beschäftigt gewesen war, ihn mit allen Mitteln zum Stehenbleiben zu bringen, während er verzweifelt versuchte, dem Dämonenblut in ihm nicht die Kontrolle zu überlassen.

Doch dieser Ritt verspricht etwas angenehmer zu werden. Er streckt die Hand aus und zieht Kagome hoch, die hinter ihm zu sitzen kommt. Noch einmal wendet er sich an Kohaku: „Wir holen jetzt Kagomes Sachen, und dann machen wir uns auf den Weg. Am besten du brichst auch bald auf. Wer weiß wie lange du brauchst um die Füchse zu überzeugen.“

Der junge Dämonenjäger nickt. „Ich mache mich gleich auf den Weg, doch erst muss ich noch einmal zu meiner Schwester und sie warnen.“

„Tu das!“, sagt Inu Yasha. Und mit einem scharfen Seitenblick zu Kagemori fügt er hinzu. „Und richte ihnen aus, dass sie auch gerne eine Weile Zuflucht im Palast suchen können, wenn sie möchten.“

„Ich richte es ihnen aus!“, bestätigt Kohaku.

Nun erhebt sich die alte Hündin, räkelt sich noch einmal ausgiebig, wobei Inu Yasha und Kagome sich gut festhalten müssen um nicht herunterzufallen, doch dann trottet sie los. Einem fragwürdigen Ziel entgegen.

Der Weg ins Unbekannte

Mehrere Stunden schon schaukeln Inu Yasha und Kagome nicht gerade bequem auf dem Rücken der alten Hundedame durch die Gegend. Kamukiku trabt in einem doch recht zügigen Tempo voran und lässt dabei Wälder und Wiesen hinter sich, überspringt Flüsse und erklimmt sogar leichte Berghänge. Inu Yasha ist innerlich beeindruckt. Er ist sich nicht sicher, ob er ohne sein Augenlicht so gradlinig sein Ziel finden würde, denn die alte Youkai scheint nicht einmal zu zögern. Unbeirrbar läuft sie weiter. Lediglich ihre Ohren stellen sich gelegentlich auf und manchmal zieht sie die Nase kraus.

„Du scheinst den Weg gut zu kennen, Kamukiku-baba“, lässt er anerkennend verlauten. Er ist es leid die ganze Zeit nur stumm auf diesem holprigen Knochenkissen zu sitzen und zur Untätigkeit verdammt zu sein. Außerdem erfährt er so vielleicht etwas mehr über das Ziel seiner Reise. „Bist du schon oft hier gewesen?“

„Gelegentlich“, brummt Kamukiku. „Ich schaue alle paar Jahre mal hier vorbei, ob sich etwas tut. Nenne es einen Zeitvertreib.“

„Hast du die Youkai vom Südclan schon einmal gesehen?“, lässt sich nun Kagome vernehmen.

Zunächst kommt keine Antwort von der alten Youkai. Dann antwortet sie: „Sie geben sich große Mühe nicht gesehen zu werden. Von Zeit zu Zeit packt irgendeinen Jungspund der Übermut und wagt es herauszufinden ob die Geschichten um den Südclan wahr sind. Nun, sie sind es. Und der Moment wo ihm das bewusst wird, ist auch der einzige Moment an dem man die Chance hat sie zu Gesicht zu bekommen. Die Youkai vom Südclan sind leise und effizient und keiner dieser Draufgänger ist jemals von dort zurückgekehrt.“

„Also hast du sie schon gesehen“, hakt Kagome nach.

Die alte Youkai schmunzelt ein wenig. „Nein, niemals. Selbst dann nicht, als ich mein Augenlicht noch hatte. Aber manchmal lege ich mich an der Grenze auf die Lauer in der Hoffnung einen Hinweis auf sie erhaschen zu können, denn sie patrouillieren die Grenze fortwährend, aber sie sind wirklich sehr vorsichtig. Und auch sehr diszipliniert. Niemals überquert einer von ihnen die Grenze. Sie halten sich in dem Wald versteckt der die Grenze markiert und weder zeigen sie sich offen, noch machen sie irgendwelche verdächtigen Geräusche.“

„Woher weißt du dann, dass sie da sind?“, fragt Kagome verwundert.

Nun grinst Kamukiku. „Ich kann sie riechen, kleiner Mensch. So deutlich, wie du sie sehen könntest, wenn sie dir dazu die Gelegenheit gäben.“

„Aber wenn niemand sie gesehen hat“, fragt Inu Yasha nun verwundert, „woher stammen dann all die Erzählungen über sie. Selbst Yaeba hat sie uns in seinen Geschichten beschrieben. Er sagte, sie wären besonders wild und grausam und ihr Fell hätte rote, gelbe oder schwarze Farbe und ihre Augen wären blutrot. Und das ist genau wie Katsuken aussieht. Wie kann er das wissen wenn nie jemand von dort zurückgekehrt ist?“

„Kleiner Prinz“, erwidert die alte Youkai nachsichtig. „Du hast noch viel zu lernen. Wenn du dein Reich führen möchtest, musst du deinen Horizont ein wenig erweitern, so wie du es vorhin schon getan hast.“

Verständnislos blickt Inu Yasha sie an. „Wie meinst du das?“

Die alte Youkai lacht leise. „Natürlich haben schon Personen die Grenzen überquert und sind zurückgekehrt. Du hast die Geschichte doch gehört. Der Südclan duldet niemanden der anderen Clans in seinem Revier. Das heißt jedoch nicht, dass sie allen Lebewesen den Zugang verwehren. Offenbar haben sie es lediglich auf Inuyoukai abgesehen. Natürlich halten sie sich für gewöhnlich gut verborgen, doch hin und wieder gelingt es einem Kitsune oder einem Tanuki einen Blick auf sie zu erhaschen. Und glaube mir, wenn ich mir anschließend die Freiheit genommen habe sie darüber ein wenig auszuhorchen, waren sie immer sehr mitteilsam.“ Die alte Youkai grinst genüsslich.

Nachdenklich blickt Inu Yasha vor sich hin. Er hat es nicht gern, wenn er nicht weiß was ihn erwartet. Es ist alles viel leichter wenn man seinen Feind sehen kann, dann weiß man wo man hinschlagen muss, aber diesmal muss er wohl damit rechnen in einen Hinterhalt gelockt zu werden, wie schon so viele vor ihm. Wenn man den Erzählungen glauben darf, ist es bereits zu spät, wenn er seinen Feind erst zu sehen bekommt.

Kagome teilt offenbar seine Gedanken, denn sie fragt: „Wie können wir verhindern, dass sie uns sofort angreifen? Schließlich wollen wir ihnen ja nichts tun, wir wollen nur mit ihnen reden.“

„Ich kann nicht sagen ob sie sich darauf einlassen“, meint Kamukiku nachdenklich. „Ihr werdet Glück brauchen. Vielleicht kennen auch sie die Prophezeiung. Möglicherweise sind sie gewillt darüber zu sprechen.“

„Das sind ziemlich viele Unsicherheiten“, bemerkt Inu Yasha.

„Was hast du denn gedacht, kleiner Prinz“, kommt es zynisch zurück. „Ihr wagt etwas was noch keiner zuvor überlebt hat. Natürlich ist es nicht sicher. Willst du mir sagen, dass du plötzlich kalte Füße bekommst?“

Inu Yasha schüttelt energisch den Kopf, doch ganz wohl ist ihm trotzdem nicht bei der Sache. „Nein, ich werde es auf jeden Fall versuchen“, seine Hände krallen sich um das Rückenfell der alten Hündin zu Fäusten. „Ich werde nicht noch einmal weglaufen!“ Das könnte er nicht noch einmal mit seinem Gewissen vereinbaren. Das eine Mal war ihm Lehre genug. Wenn er es nicht tut, tut es niemand.

Nun spürt er wie Kagomes Arme um seinen Rumpf ihn ein wenig fester fassen und ihn an sich ziehen. Und wieder beschleicht ihn dieses eigenartige Gefühl wie immer wenn sie ihm so nahe ist. Sein Herz klopft ungewohnt schneller und in seiner Magengrube flattert es so seltsam. Er hebt eine Hand und legt sie auf ihre gefalteten Hände vor seiner Brust. Es tut gut sie bei sich zu haben, es tut wirklich gut, dass sie wieder bei ihm ist. Immer wieder ist sie es die ihm Mut gibt oder ihm schlicht den Marsch bläst wenn ihm mal wieder die Muffe geht. Dann überkommt ihn jedes Mal das Gefühl, sie um jeden Preis beschützen zu wollen.

Nun spürt er wie sich ihre Wange an seinen Rücken schmiegt und ein warmes Gefühl rieselt durch seinen Körper. Für einen Moment schließt er die Augen und fasst ihre Hände fester. Nein, er wird nicht zulassen, dass Kagome irgendetwas geschieht. Nicht solange noch ein Funken Leben in ihm ist. Um nichts auf der Welt möchte er sie sich anders vorstellen, als an seiner Seite.

„Kagome...“, meint er zögernd. „Weißt du ich habe mir überlegt... uhn!“, ein heftiger Ruck reißt ihn aus seinen Gedanken. Gerade setzt die alte Youkai hart auf dem Boden auf, nachdem sie über einen Fluss gesprungen ist. Inu Yasha und Kagome werden dabei ordentlich durchgeschüttelt und Inu Yasha muss wahrlich acht geben, dass dabei gewisse Teile von ihm nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

„Was meintest du?“, fragt Kagome die sich nun ebenfalls mit einer Hand krampfhaft im Fell verkrallt hat.

„Ich sagte... autsch...!“, wieder macht die alte Hündin ein mächtigen Satz, diesmal über einen Felsspalt der sich vor ihnen aufgetan hat. Sie haben offenbar einen Gebirgsausläufer erreicht und nun beginnt die Hundedame eifrig zu klettern. Das hat jedoch zur Folge, dass ihre beiden Reiter sich nun mit aller Kraft festhalten müssen, wenn sie nicht runterpurzeln wollen.

„Ach, war nicht so wichtig“, meint Inu Yasha frustriert. Es ist wie verhext. Er findet einfach nicht den passenden Moment um mit ihr zu reden. Na schön, es kann warten.
 

- - -
 

Die Wanderung der drei Daiyoukai durch die Hölle verläuft größtenteils schweigend. Niemand möchte gern ein Gespräch beginnen und so hängen sie hauptsächlich ihren eigenen Gedanken nach. Der Weg führt mit der Zeit von der großen Ebene herunter und wieder durch einen rötlich staubigen Felsenklamm. Nicht immer ist der Weg ebenmäßig und sichtbar. Des öfteren müssen sie auch einige größere Felswände oder kantige Steinmassive überwinden. Sesshomaru kommt dabei mehrmals hörbar ins Schnaufen, doch er beißt die Zähne zusammen und bemüht sich nach besten Kräften, den anderen beiden keinen Anlass zu geben, auf ihn zu warten.

Die anderen beiden! Am Anfang der Gruppe geht Inu Taishou, sein Vater, und verlangsamt nach und nach geringfügig ihr Tempo, offensichtlich damit sein Sohn beim Gehen nicht so keuchen muss. Er sollte nicht denken, dass er das nicht bemerkt hat. Das Wissen darum bildet einen unangenehmen Druck in seiner Magengegend auf. Er hat es schon immer gehasst, verhätschelt zu werden und sein augenblickliches Unvermögen, reizt in zunehmendem Maße seine Gemütsverfassung.

Ein paar Schritte hinter seinem Vater geht Hanaki. Hanaki! Es ist zum verrückt werden! Allein schon der Gedanke an ihren Namen löst völlig unkontrollierbare Gefühle in ihm aus. Und ein sonderbares Kribbeln zieht sich durch seinen ganzen Körper. Er möchte ihr so gerne nah sein. Sie berühren. Sie festhalten. Sie küssen. Sie...

Mit Gewalt zwingt er seine Gedanken von diesem Pfad weg. Es kann doch einfach nicht sein, dass sein ganzes Denken und Fühlen, sich gänzlich seiner Kontrolle entzieht sobald sie ihm so nah ist. Das Gefühl der Befangenheit war schon damals da gewesen, doch heute erscheint es ihm fast noch stärker zu sein. Das alles ist nicht gerade hilfreich für seine Mission und obendrein für einen Daiyoukai ziemlich beschämend, und doch... Er würde einiges dafür geben, wenn er nur ein paar Minuten mit ihr alleine hätte. Es gibt noch so viel Unausgesprochenes zwischen ihnen. Vieles was einer Erklärung, oder gar Entschuldigung bedarf. Doch sobald er ihre Seele mit Hilfe Tenseigas wieder auf die Erde zurückgebracht hat, wird er noch viel Zeit mit ihr haben. Im Augenblick muss er sich auf anderes konzentrieren.

Gerade hangelt er sich erneut einen Felsvorsprung herunter und stellt dann fest, dass die beiden doch auf ihn gewartet haben. Sein Vater beobachtet ihn dabei mit einem undeutbaren Blick. Schwer atmend und recht verärgert schließt Sesshomaru wieder zu ihnen auf.

„Ihr braucht keine Rücksicht auf mich zu nehmen, Chichi-ue“, meint er ärgerlich. „Ich möchte das Ziel möglichst rasch erreichen. Schlendern ist dabei wenig hilfreich.“

Hanaki presst die Lippen aufeinander blickt kurz zur Seite.

„Wie du wünschst, Sesshomaru“, entgegnet der ältere Daiyoukai und dann legt er tatsächlich ein erhöhtes Tempo an den Tag.

Nun muss Sesshomaru tatsächlich tüchtig schnaufen, während er seinen Füßen die erhöhte Belastung abringt. Er konzentriert sich dabei starr auf den Rücken seines Vaters, sonst müsste er sich mit Hanakis mitfühlenden kurzen Seitenblicken auseinandersetzen und auch das bereitet ihm Magenschmerzen.

Eine ganze Weile geht es so weiter. Allmählich macht sich die Anstrengung des gehörigen Marsches doch bei dem jüngeren Youkaifürsten bemerkbar. Die trockene, stickige Luft brennt in seinen Lungen und verschafft ihm nur widerwillig den schwer benötigten Sauerstoff. Seine Glieder schmerzen und seine Muskeln fühlen sich an als wollten sie zerreißen. Schon jetzt wird ihm leicht schummerig vor Augen, doch der Wille, nicht aufzugeben, treibt ihn Schritt für Schritt weiter voran. Ein paar mal strauchelt er, doch er fängt sich rechtzeitig immer wieder. So torkelt er schwitzend und keuchend hinter den beiden her.

Schließlich bleibt Inu Taishou stehen und dreht sich zu ihm um. „Wir sollten eine kurze Pause einlegen“, verkündet er.

Unter Japsen schließt Sesshomaru zu ihm auf. „Eine Pause?“, keucht er entrüstet. „Was soll der Unsinn? Ich kann mir keine Pause leisten. Macht Euch keine Gedanken um mich, ich bin höchst motiviert diese Strecke zu bewältigen.“

„Das hat doch so keinen Zweck, Sesshomaru“, sagt der Daiyoukai beschwichtigend. „Wenn du dich so abquälst wird die Zeitdifferenz mit der wir eintreffen kaum den Aufwand wert sein.“

„Das ist ja wohl an mir das zu entscheiden“, faucht sein Sohn zurück. „Ich habe bereits so viel Zeit hier vergeudet, dass ich nicht bereit bin auch nur noch eine Sekunde länger zu verschwenden.“

„Nun, wenn das so ist“, meint Inu Taishou. „Ich könnte dich auch tragen...“ Doch er merkt sehr rasch, dass er etwas falsches gesagt hat. Sesshomaru starrt ihn bitterböse an.

„Ehe ich das zulasse, sterbe ich lieber!“, presst er mit Grabeskälte hervor. „Denkt nicht, ich ließe mich von Euch noch einmal derartig demütigen, Chichi-ue.“

Nun verfinstert sich auch Inu Taishos Gesicht. „In welcher Hinsicht habe ich dich gedemütigt, Sesshomaru?“

Ein verächtliches Schnauben entfährt dem Westfürsten. Dann sagt er mit bitterer Stimme: „Hah, Sesshomaru! Ausgerechnet!“

Ein wenig verblüfft blickt Inu Taishou ihn an. „Was stört dich an deinem Namen?“

Sesshomaru beißt hart die Kiefer aufeinander, doch dann bricht es heftig aus ihm hervor: „Ihr habt mich nach ihm benannt!“ Ungehalten ballt er die Fäuste. „Ihr habt mir einen abgelegten Namen gegeben!“ er schnappt unwillkürlich nach Luft.

„Ich habe dir einen starken Namen gegeben“, verteidigt Inu Taishou sich. „Den stärksten den ich finden konnte.“

„Einen gebrauchten!“

„Einen geschichtsträchtigen.“

„Einen verruchten.“

„Einen legendären!“

„Aber es ist nicht meine Legende!“, Sesshomaru zittert am ganzen Körper vor unterdrückter Wut. „Es gibt nur ein 'perfekt' und ganz offensichtlich bin es nicht ich, der diesen Namen definiert hat. Ihr habt mir meine Identität genommen.“ Tief enttäuscht wendet er sich ab und schreitet mit stoischen Schritten weiter.

Inu Taishou seufzt leicht. „Oh weh!“, murmelt er bedauernd. „Ich dachte mir schon, dass ihm das nicht gefallen wird.“

Nun geht ein Ruck durch Hanaki. „Sesshomaru, warte!“ Sogleich folgt sie ihm und rasch hat sie ihn eingeholt. „Was soll denn das?“, fragt sie tadelnd. „So solltest du nicht mit deinem Vater reden. Es gibt doch Wichtigeres im Augenblick als die Frage woher dein Name stammt. Und wenn du es so eilig hast, warum lässt du deinen Vater dich dann nicht tragen? Da ist doch nichts dabei.“ Beschwichtigend legt sie sanft die Hand auf seinen Arm. „Womöglich geht es schon jetzt um jede Minute. Du willst doch dein Reich mit allen Mitteln beschützen. Anders würde ich es nicht von dir erwarten. Willst du deinen Stolz wieder die Oberhand gewinnen lassen? Soll dein Ehrgefühl wieder alles verderben wofür du kämpfst? Lass doch solche Nichtigkeiten dir nicht immer im Weg stehen bei den großen und wichtigen Dingen. Du bist doch größer als das. Das weiß ich.“ Aufrichtig blickt sie ihn an.

Nun bleibt Sesshomaru stehen und wendet sich ihr zu. Ein gequälter Zug liegt um seine Mundwinkel als er nun behutsam seine Hand hebt und mit den Fingerspitzen über die Narben in ihrem Gesicht streicht. Verschämt entzieht ein leichter Ruck ihres Gesichtes die Wunden seiner Berührung.

„Hanaki“, sagt er leise, „bitte versteh mich doch! Deine Verfassung, mein Name, deine Würde, meine Ehre... wenn all diese 'Nichtigkeiten' keine Rolle mehr spielen. Wenn all diese Kleinigkeiten keine Bedeutung mehr haben, warum soll ich dann noch für die großen Sachen kämpfen? Dann bedeuten auch sie nichts mehr. Dann kann ich genau so gut meine Mission abbrechen und gleich hier bleiben. Hier bei dir...“ Er lässt die Hand sinken.

Für einen Moment blickt sie ihn nur groß an. Dann beginnt ihre Lippe ein wenig zu zittern. Sittsam senkt sie den Kopf, dann umschließt sie seine Hand mit ihren.

„Ich weiß warum ich mich in dich verliebt habe“, wispert sie. „Du warst schon immer weiser als ich. Und du hattest schon immer mehr Größe.“

Sesshomaru legt leicht den Kopf schief. Dann löst er sanft mit seiner anderen Hand ihre Hände von seiner, nicht jedoch ohne sie einen Moment länger als nötig auf ihren liegen zu lassen. „Dein Lob ehrt mich“, erwidert er. „Doch ich fürchte, es ist nicht angebracht. Ich handele viel eigennütziger als du vielleicht denkst. Im Grunde unternehme ich diese Reise nur um mir selbst weiteres Leid zu ersparen und bringe dadurch das Leben vieler anderer in Gefahr. Lobeshymnen sind hier also fehl am Platz. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese ganze leidige Angelegenheit bald zu einem Ende kommt, das nicht zu viele Personen bedauern müssen.“

Ein schwaches Lächeln zieht über ihr Gesicht. „Du hast anscheinend keine hohe Meinung von dir selbst. Es wird mir eine Freude sein, dich von Zeit zu Zeit vom Gegenteil zu überzeugen.“

In diesem Moment tritt Inu Taishou an die beiden heran. Er blickt kurz von einem zum anderen und für einen kurzen Moment werden seine Lippen schmal. Dann sagt er: „Wenn du darauf beharrst, den restlichen Weg zu Fuß zurückzulegen, mein Sohn, dann sollten wir besser den Weg nun fortsetzen. Oder hast du es dir anders überlegt?“

Für einen Moment blickt Sesshomaru seinen Vater ernst an. Dann sagt er fest: „Es bleibt dabei, ich werde weiter gehen, bis zum bitteren Ende!“

Ein kaum wahrnehmbares Lächeln legt sich um Inu Taishous Mundwinkel. „Ich habe nichts anderes von dir erwartet, mein Sohn.“ Dann, ohne weitere Worte zu zu wechseln, wendet er sich um und setzt den Weg fort, während die anderen ihm folgen.
 

Einige Stunden sind seit dem Gespräch vergangen. Die kleine Gruppe aus Daiyoukai legt nun ein etwas moderateres Tempo an den Tag. Sesshomau atmet noch immer heftig und inzwischen machen sich deutliche Seitenstiche bei ihm bemerkbar, doch zumindest kommt er nicht mehr außer Atem. Jedoch zu seiner Freude haben sie die unwegsame Gegend jetzt hinter sich gelassen und einen größeren Wald betreten. Zumindest wäre 'Wald' noch eine halbwegs zutreffende Beschreibung der Gegend durch die sie wandern. Zu beiden Seiten ihres Pfades ragen nun übermannshohes Gestrüpp auf. Lange, wild verzweigte, blattlose Stämme und Äste recken sich neben ihnen in die Höhe und bilden ein schwarz-graues Geflecht aus hoch aufragenden kahlen Fasern. Kaum ein Lüftchen regt sich zwischen den fahlen toten Zweigen und die ganze Gegend ist in eine fast greifbare Stille getaucht. Der ganze Wald wirkt trostlos und öd.

„Dies ist der Un-Wald“, zerfetzt Inu Taishos Stimme die unnatürliche Stille so plötzlich, dass die anderen beiden sich reflexartig die Hände über die Ohren legen. „Dahinter finden wir mit etwas Glück das Portal zum Jenseits.“

„Das Portal zum Jenseits? Mit etwas Glück?“, hakt Sesshomaru verwundert nach und stellt dabei fest, dass es ihn große Überwindung kostet in dieser beklemmenden Stille ein Wort hervorzubringen.

„Ja“, antwortet Inu Taisho, und wieder schneidet seine Stimme ungewöhnlich hart in den Ohren. „Es ist nicht vorgesehen, dass Kreaturen aus der Hölle in den Raum der Stimmen kommen. Aber von Zeit zu Zeit öffnet sich ein Übergang von hier ins Jenseits. Und manchmal befindet dieser sich hinter dem Un-Wald. Es ist also die beste Chance die du hast um hin zu gelangen.“

„Was ist der Raum der Stimmen?“, will Sesshomaru wissen. Den Begriff hört er zum ersten Mal.

„Das Jenseits“, erklärt Inu Taishou, „ist nicht wie die Unterwelt oder die Hölle. Es ist ein Ort des Wartens. Geläuterte Seelen warten dort auf ihre Reinkarnation. Leider kann ich dir keine Informationen aus erster Hand über den Raum der Stimmen geben, denn für Seelen aus der Hölle ist es unmöglich den Übergang zu passieren. Wer es versucht, verschwindet für immer ins Nichts. Im Prinzip die einzige Möglichkeit der Existenz in der Hölle zu entfliehen“, fügt er ein wenig melancholisch hinzu. Doch dann fährt er wieder fort. „Nur Personen die noch einen Körper besitzen, können genug Realität mitbringen um nicht augenblicklich verneint zu werden, wenn du verstehst was ich meine.“

„Also Lebende“, nickt Sesshoumaru leicht. „Weißt du was mich dort erwartet?“

„Nur durch Hören-Sagen“, antwortet Inu Taishou. „Doch allein die Tatsache, dass du noch am Leben bist, wird vermutlich nicht ausreichen um im Jenseits bestehen zu können.“

„Weshalb?“, fragte Sesshomaru zurück.

„Es ist ein Ort der Läuterung“, erklärt Inu Taishou ernst. „Was die Seelen dort bannte, ist noch immer präsent und hält sie dort, bis zu dem Tag ihrer Wiedergeburt. Jeder Youkai der den Raum der Stimmen betritt, setzt sich der Macht der Läuterung aus.“

Sesshomaru kann sich nicht helfen, doch es läuft ihm kalt den Rücken herunter und seine Nackenhaare stellen sich auf. Läuterung! Die Nemesis aller Dämonen. Mit Schmerz und seelischen Qualen hat er bisher reichlich Bekanntschaft gemacht und sie mal besser mal schlechter durchgestanden. Doch Läuterung ist ein Angriff auf sein tiefstes inneres Selbst als Youkai. Der Kern seiner Existenz. Nur die mächtigsten Dämonen vermögen es diesem Einfluss gänzlich oder zumindest für eine gewisse Zeit zu widerstehen. Wenn er von seiner eigenen Macht nicht vollständig überzeugt ist und all seinen Willen in die Waagschale legt, könnte es gut sein, dass an dieser Stelle seine Mission endet, ob er will oder nicht.

„Warum heißt es 'Der Raum der Stimmen'?“, lenkt er das Gespräch wieder auf die sachliche Ebene. Zweifel kann er jetzt auf keinen Fall brauchen.

Nun bekommt Inu Taishous Miene etwas Hartes. Er schweigt einen Moment, dann sagt er ernst: „Mein Sohn, was du vorhast ist womöglich schon oft versucht aber noch niemals erfolgreich zu Ende gebracht worden. Ehe dir gestattet wird, eine Seele zurück ins Diesseits mitzunehmen, wirst du dich vor den Wächtern verantworten müssen. Und... es wird dich etwas kosten.“

Sesshomaru beißt unwillkürlich die Zähne zusammen. Auch wenn sein Vater es nicht ausspricht, hat er eine wage Vorstellung davon, von wem oder was die Rede ist. Er atmet einmal tief durch. Dann sagt er fest: „Ich bin nicht so weit gekommen um jetzt aufzugeben, ohne es zumindest versucht zu haben.“

Plötzlich spürt er eine Berührung an seiner rechten Hand. Er wendet sich um und erblickt Hanaki, die nun neben ihm geht und seine Hand ergriffen hat. Sie hat den Kopf gesenkt und meidet seinen Blick, doch er spürt ein leichtes Zittern, dass durch ihren Körper geht. Der Daiyoukai schluckt unwillkürlich einen Kloß herunter der sich in seinem Hals gebildet hat. Es ist nicht nötig, dass sie etwas sagt. Diese züchtige Geste sagt mehr als es alle Worte könnten und ihm wird gerade erschreckend wehmütig zumute. Dies hier fühlt sich beängstigend nach Abschied an. Sacht erwidert er ihren Griff. Mehr muss nicht gesagt werden.

In diesem Augenblick nehmen sie vor sich eine Bewegung wahr. Urplötzlich fliegen die Bäume vor ihnen zu beiden Seiten auseinander als würde man den trübsinnigen toten Wald wie einen gewaltigen Vorhang zu beiden Seiten wegschieben. Nun ist der Blick frei auf eine unendlich weite kahle Ebene. Und erstaunlicherweise verblassen sogar die stets präsenten Rottöne der Umgebung und verwandeln sich in ein tristes Grau. Direkt vor ihnen befindet sich nun ein ovales, mannshohes Energiefeld. Seine Oberfläche wabert silbrig und erweckt den Eindruck eines Spiegels über den permanente kleine Wellen laufen.

Die drei Daiyoukai mustern überrascht die urplötzliche Erscheinung.

„Ich vermute...“, lässt Inu Taishou zögernd verlauten, „das bedeutet, dass du es versuchen darfst.“

Sesshomarus Puls hat sich verdoppelt. So wie es aussieht ist er nun tatsächlich am Ende seiner Suche angelangt. Und dennoch steht ihm seine größte Prüfung noch bevor. Er kann sich nicht helfen, aber er empfindet nun doch erhebliche Nervosität. Er wird dieses Portal durchqueren müssen, und es ist nicht abzusehen, was dann mit ihm geschehen wird. Wenn er es nicht schafft, trotz der einsetzenden Läuterung weiterzubestehen, war seine gesamte Reise umsonst. Und nicht nur das, das Schicksal seines Reiches wird ebenfalls besiegelt sein. Im Grunde kann es also nur eine Entscheidung geben.

„Ein Scheitern ist keine Option!“, murmelt er wie zu sich selbst. Dann reckt er sich, atmet noch einmal durch und geht dann auf das Portal zu.

Sesshomaru!“, gellt in diesem Moment der verzweifelte Ruf über die endlose Ebene. Der jugendhafte Westfürst wendet sich um und erblickt nun die ehemalige Streunerin, die ihn mit einem erschreckend flehenden Blick anstarrt. Er bringt es nicht fertig auch nur einen Muskel zu rühren. Nun kommt sie ihm rasch entgegen und nur drei Schritte später steht sie direkt vor ihm. Innig hält sie ihn mit ihrem sehnsüchtigen Blick gefangen. Wieder bebt ihre Lippe ein wenig und es gibt ihm einen Stich das zu sehen.

Ein paar Herzschläge lang stehen die beiden nur still voreinander, doch dann plötzlich beugt sich Hanaki vor, legt ihre Hände in Sesshomarus Nacken, zieht ihn zu sich und drückt einen verzweifelten Kuss auf seine Lippen. Er lässt es mit sich geschehen. Für einen Moment schließt er die Augen und ertastet nur behutsam die Beschaffenheit ihrer weichen, warmen Lippen. Wärme wallt in ihm auf, doch die schmerzliche Intensität ist von anderer Natur als die von der er schon mehrmals eine verhängnisvolle Kostprobe erhalten hat. Es bedarf seiner gesamten Selbstbeherrschung, diesen Kuss nicht ewig andauern zu lassen.

Schließlich öffnet er wieder die Augen und löst sich behutsam von ihr. Vor ihm steht sie mit blassem Gesicht und großen Augen und kann ihren Blick nicht von ihm wenden.

„Ich habe keinen Zweifel, dass du deine Mission erfolgreich vollenden wirst“, wispert sie eindringlich.

Einen Moment lang schweigt er. Dann fragt er leise: „Warum küsst du mich dann, als wäre es das letzte Mal?“

Keine Regung geht über ihr Gesicht. Nicht einen Muskel verzieht sie. Noch immer sind ihre violetten Augen weit aufgerissen. Doch nun beginnt ihr Körper ganz fein zu zittern und aus ihren Augenwinkeln laufen nun unaufhaltsam zwei dünne Rinnsale aus Tränen und tropfen ihre bleichen Wangen hinunter.

Rasch wendet sich Sesshomaru ab. Wenn er sie noch länger ansieht, wird er sich nicht mehr zu dem Schritt durchringen können, den er gezwungen ist zu tun.

„Ich verspreche dir, Hanaki“, sagt er leise mit Blick auf das Portal, „ich werde dich ebenfalls ins Diesseits zurückbringen. Dann wird es keinen Abschied mehr geben.“

„Wir werden hier auf dich warten, Sohn“, lässt sich nun Inu Taishou behutsam vernehmen. „Wir werden es wissen, wenn du Erfolg gehabt hast.“

Sesshomaru wendet sich nicht um. Gefasst hebt er den Kopf und dann tritt er mit zwei beherzten Schritten auf das Portal zu. Wenn... Wenn du Erfolg gehabt hast. An ein 'Falls' darf er sich nicht erlauben zu denken. Dann tritt er in den Übergang ein.

Der Raum der Stimmen

Das erste was Sesshomaru verspürt ist der heftige Widerstand dem seine Bewegungen ausgesetzt sind. Es fühlt sich an als stünde man bis zum Hals in einem Meer aus Sand durch das man voranschreiten soll. Doch der Daiyoukai nimmt all seine verbliebenen Kräfte zusammen und kämpft sich verbissen vorwärts. Und tatsächlich nach einigen Schritten schon wird das Vorankommen leichter. Dafür aber breitet sich nun zunehmend ein unangenehmes Kribbeln in seinen Gliedmaßen aus und eine eisige Kälte bemächtigt sich seines Körpers. Schon fühlen sich seine Arme und Beine zunehmend taub an und beginnen sich seinem Willen zu widersetzen. Vor Sesshomarus Augen liegt nichts als eine Art grauer Nebelschleier, mehr ist nicht zu sehen.

Das Herz des Daiyoukai klopft heftig in seiner Brust und eine enorme Unruhe hat ihn erfasst. Wenn er sich umsieht, ist ihm als wäre er blind und kein einziges Geräusch dringt an sein Ohr. Sein ganzer Körper kommt ihm zunehmend unwirklich vor und fast schon beginnen ihm die Erinnerungen zu entfleuchen die ihn hierher gebracht haben.

Mit aller Gewalt ruft sich der schlanke Westfürst zur Ordnung. Er nimmt all seinen verbliebenen Willen zusammen und lässt seine Aura aufflammen, die Essenz seiner Macht und seines Seins und zu seiner Erleichterung nimmt das Taubheitsgefühl nun ab und er kann sich wieder freier bewegen. Außerdem lichtet sich jetzt der eigenwillige Nebel und gibt den Blick auf eine Art weitläufigen Raum frei.

Soweit er nun erkennen kann, ist an diesem Ort kein Ende abzusehen sondern er verliert sich in beträchtlicher Entfernung in absoluter Schwärze. Erleuchtet wird seine Umgebung lediglich von dem schwachen bläulichen und gelblichen Glimmen unzähliger mannshoher Lichtphiolen. Sie schweben um ihn her, immer mit mehreren Schritt Entfernung voneinander, etwa auf Augenhöhe im Raum.

Wachsam blickt Sesshomaru sich um. Noch immer fröstelt es ihn und während er sich noch umblickt, stellt er bei sich fest, dass er sich zunehmend schwächer fühlt. Doch dieses Gefühl ist schwer greifbar. Wenn er versucht sich darauf zu konzentrieren, scheint es ihm zu entgleiten. Eine bleierne Müdigkeit macht sich allmählich in ihm breit und es fällt ihm immer schwerer sich zu konzentrieren. Dabei empfindet er nichts was einem physischen Einfluss gleich käme, kein zusätzliches Gewicht oder schmerzhafter Druck von außen. Es ist schlichtweg eine zunehmende Schwäche die versucht ihn einzulullen, und vielleicht ist eben das das perfide an der Sache. Sobald er sein Wachsamkeit sinken lässt, wäre es gut möglich, dass er aufhört zu existieren, ohne dass er es überhaupt bemerken würde. Es ist also eine Prüfung des reinen Willens. Sesshomaru beißt die Zähne zusammen. Sein Wille ist stark. Er hat ihn bis hierher gebracht. Nun muss er sich noch einmal bewähren.

Wachsam wandert er ein wenig ziellos zwischen den schimmernden Lichtkokons umher. Sein Blick schweift von einem Behältnis zum anderen. Beim näheren Hinsehen, erkennt man im inneren jeweils eine durchschimmernde Gestalt, welche reglos und zusammengekauert in dem sanften Schein verharrt. Er erkennt Youkai unterschiedlichster Art aber auch zahlreiche Menschen sind dabei. Die Frage drängt sich ihm auf, wie er hier in dieser unendlichen Weite die Seele seines Sohnes eigentlich finden soll. Die Art der beinhalteten Seele scheint keinem erkennbaren Muster zu folgen, sondern ist offenbar gänzlich beliebig.

Ein wenig ratlos wandert Sesshomaru zwischen leuchtenden Behältern umher und der Gedanke dieses hoffnungslose Unterfangen einfach zu beenden, wird zunehmend attraktiver in seinen Gedanken.

Doch dann bleibt Sesshomaru plötzlich demonstrativ stehen, schüttelt sich kurz und schiebt damit rigoros diese verfänglichen Gedanken von sich. Er fletscht grimmig die Zähne. Irgendetwas oder irgendjemand versucht offenbar ihn mit diesen verlockenden Eingebungen von seiner Mission abzubringen. Mit aller Macht versucht er sich nun wieder auf sein Ziel zu konzentrieren, auch wenn in seinem Kopf sich zunehmend Gedanken wie Watte breitmachen.

„Es wird nicht funktionieren!“, grollt er nachdrücklich. „Und wenn es bis in alle Ewigkeit dauert, ich suche solange weiter, bis ich gefunden habe was ich suche.“

Erstaunlich große Worte!“, ertönt auf einmal eine laute und tiefe Männerstimme.

Sesshomaru kann nicht lokalisieren von wo sie gekommen ist. Sie scheint von überall zugleich zu kommen.

„Wer spricht da?“, fragt der Daiyoukai wachsam.

Was versteht ein kleiner Youkai wie du von der Ewigkeit?“, fährt die Stimme fort, ohne auf seine Frage einzugehen.“

Er hat gelogen!“, ertönt nun eine andere Männerstimme. Sie klingt etwas schneidender als die erste. „Er kann es sich nicht leisten, die Ewigkeit zu verschwenden. Ist es nicht so, Youkai?

Sesshomaru sieht sich aufmerksam um, doch er kann noch immer niemanden ausmachen, zu dem die Stimmen gehören mögen. „Das ist richtig“, gibt er widerwillig zu. „Meine Mission ist eiliger als mir lieb ist.“

Was ist dein Begehr?“, ertönt nun eine weitere Stimme. Sie klingt maskulin und würdevoll.

Sesshomaru zögert kurz.

Bedenke wohl“, meldet sich nun die schneidende Stimme wieder zu Wort, „wir werden keine weiteren Lügen dulden.“

Nun ist der weißhaarige Westfürst doch ein wenig beunruhigt. Für gewöhnlich neigt er dazu immer die Wahrheit zu sagen, doch es ist schwer abzusehen, welche Beschönigung mancher Situation womöglich als Lüge angesehen werden würde.

Was ist dein Begehr?“, wiederholt die andere Stimme, nun eindringlicher.

„Ich kam, um eine Seele zurück ins Diesseits zu bringen“, gibt Sesshomaru nach weiterem kurzen Zögern zu. Vermutlich ist es besser gleich mit offenen Karten zu spielen. In den unsichtbaren Stimmen liegt eine Autorität, die er lieber nicht mit Ausflüchten auf die Probe stellt.

Das ist dir untersagt!“, ertönt nun die erste tiefe Stimme bestimmt.

„Damit kann ich mich nicht zufrieden geben!“, stellt Sesshomaru nachdrücklich klar.

Dir wird nichts anderes übrig bleiben“, erwidert die würdevolle Stimme.

Den geläuterten Seelen ist es nicht gestattet vor ihrer Zeit in ihrer ehemaligen Gestalt das Diesseits zu betreten!“ Dies kommt nun von einer recht melancholischen Frauenstimme.

Keine Ausnahme!“, bestätigt die schneidende Männerstimme.

Keine Ausnahme!“, wiederholt die trübsinnige Frauenstimme.

Sesshomaru beginnt zu frösteln. Ein eisiger Hauch kriecht ihm über den Rücken und versucht ihn einzuhüllen. Er spürt genau, wenn er jetzt nachgibt, ist nicht nur seine Mission gescheitert, sondern auch seine eigene Vernichtung ist dann unausweichlich. Mit aller Willensstärke richtet er sich hoch auf und mit einem entschlossenen Blitzen in den Augen packt er seinen Schwertgriff und zieht Tenseiga aus seiner Scheide. Unmittelbar will das immense Gewicht der Waffe seinen Arm zu Boden drücken, doch verbissen streckt er das Schwert den unsichtbaren Stimmen entgegen.

„Ich bin die Ausnahme!“, ruft er grimmig entschlossen.

Für eine kurze Weile herrscht drückendes Schweigen.

Ein Schwert aus dieser Welt“, stellt die schneidende Männerstimme fest.

Es vermag über Leben und Tod zu entscheiden“, fügte die tiefe Stimme hinzu.

Kein Sterblicher sollte über so viel Macht verfügen“, verkündet die träge Frauenstimme.

Deshalb wurde es auch gebannt“, stellt die würdevolle Männerstimme fest.

Sesshomaru reckt trotzig das Kinn. „Nicht gänzlich!“, widerspricht er ernst. „Tenseiga hat mich hier schon einmal geheilt. Es unterliegt letztlich ausschließlich meinem Willen, und mein Wille in dieser Angelegenheit könnte nicht fester sein.“ Seine Augen bekommen nun einen gefährlichen Glanz. „Wenn ihr mir nicht die Seele gebt, die ich wünsche, werde ich nicht zögern, jede einzelne Seele die ich hier finde nacheinander mit Tenseiga zu erlösen. Seid ihr sicher, dass ihr das wollt?“ Er kann nur hoffen, dass sie seinen Bluff nicht durchschauen, aber was hat er sonst für eine Wahl? Längst liegt Tenseiga nur noch erschöpft abgestützt auf dem Boden auf.

Wieder herrscht eine Weile Schweigen in der der aufgebrachte Daiyoukai beunruhigt seine Herzschläge zählt.

Bei etwa achtundfünfzig ertönt wieder die autoritäre Männerstimme. „,Du drohst uns, Youkai? Das wird dich teuer zu stehen kommen!

Nun meldet sich wieder die schrillere Männerstimme zu Wort. „Doch wir können nicht abschätzen, ob du tun wirst, was du ankündigst.

Wir können nicht gestatten, dass du Hand an Seelen legst, die ihrer Erneuerung entgegensehen“, lässt sich nun die melancholische Frauenstimme vernehmen.

Nun ertönt eine neue Frauenstimme. Sie klingt hell und warm, wenn auch ernst. „Deshalb sind wir zu der Übereinkunft gekommen, dein Gesuch in Erwägung zu ziehen.

Sag uns welche Seele du begehrst, Youkai!“, ertönt wieder die tiefe Männerstimme.

Sesshomarus Herz pocht heftig vor Aufregung. So würdevoll wie möglich steckt er Tenseiga zurück in seine Scheide, wo es sogleich wieder leichter wird. Er muss sich ohnehin einen Moment sammeln, ehe er es fertigbringt seine Zunge wieder seinem Willen zu unterwerfen. „Ich suche den Youkai Tenmaru. Ich suche meinen Sohn.“ Bei den letzten Worten bricht ihm beinahe die Stimme weg. Schwer schluckt er den Kloß in seiner Kehle herunter.

Wieder herrscht kurz Stille. Dann plötzlich beginnt das Licht um ihn herum langsam zu erlöschen und die unzähligen Kokons verschwinden nacheinander in der Finsternis. Sesshomaru wird zunehmend von Unruhe erfasst. Nervös blickt er sich um. Was wird sein, wenn er nun in völlige Finsternis getaucht würde. In diesem Fall wird er diesen Ort wohl niemals wieder verlassen können.

Doch zum Glück ist diese Sorge unbegründet. Er sieht sich weiter um und entdeckt nun ein Stück entfernt eine einzelne Lichtphiole die beginnt heller zu leuchten, während alle anderen nun immer mehr verblassen und letztlich ganz verschwinden.

Mit klopfenden Herzen geht Sesshomaru auf die einzige verbliebene Lichtquelle zu. In ihrem Inneren ist eine reglose Gestalt zu sehen, die nackt und bloß und fast durchsichtig schwerelos in gelbem Licht hängt. Langsam umrundet er den glimmenden Behälter und kann nun auch das Gesicht der Person erkennen.

Es versetzt ihm einen schmerzhaften Stich im Herzen und ein unwillkürliches Keuchen entfährt ihm. Es ist tatsächlich Tenmaru.

Fast erträgt er den Anblick nicht. Immer wieder wendet er den Blick ab und sieht dann doch wieder hin, scheinbar um sich zu vergewissern, dass dies die Realität ist. Der Kloß in seiner Kehle lässt sich nicht mehr wegschlucken. Mehrfach ringt er nach Luft und für den Augenblick weiß er einfach nicht wie er nun reagieren soll.

Dies war das Ziel seiner Suche, der Lohn für seine so peinigenden und entbehrungsreiche Reise. Hierfür hat er gekämpft, gelitten und erduldet was auch immer es zu erdulden galt und dieser quälende Weg hat ihn nun endlich bis hierher geführt. Nun ist er nur noch einen einzigen Schritt davon entfernt, das zu erlangen weshalb er ausgezogen ist.

Noch einmal blickt er in das Gesicht seines Sohnes und zögernd hebt er seine Hand und legt sie an die leuchtende Barriere die sie beide voneinander trennt. Es ist als berühre man eisiges Glas. Es ist so kalt, dass es schmerzt. Verhalten lässt Sesshomaru die Hand wieder sinken.

Ist es das was du suchtest, Youkai?“, fragt die tiefe Männerstimme.

Dein Sohn wartet die Zeit zu seiner Erneuerung ab. Willst du ihm das wirklich nehmen?“, setzt die melancholische Frauenstimme nach.

Sesshomaru steht da mit gesenktem Kopf. „Ich kann nicht darauf warten“, sagt er leise. „Ich muss ihn jetzt gleich mitnehmen. Es eilt.“

Niemand kann sagen,wann die Reinkarnation geschehen wird“, sagt nun die tiefe Männerstimme. „Es kann Jahre dauern, doch es könnte auch schon morgen geschehen.

„Es dürfen keine Jahre sein. Und selbst morgen könnte schon zu spät sein.“, entgegnet Sesshomaru düster.

Das haben nicht wir zu entscheiden“, meldet sich die schrille Männerstimme zu Wort.

Du wirst dich in Geduld üben müssen“, sagt die trübe Frauenstimme, „Lass den Dingen ihren geregelten Lauf!

Sesshomaru atmet einmal tief durch. „Das kann ich nicht. Ich brauche ihn in der Gestalt die er vor seinem Tod hatte. Ich brauche ihn als meinen Sohn. Sonst ist meine ganze Suche vergeblich gewesen.“

Du hast seinen Tod bereitwillig in Kauf genommen“, sagt die tiefe Männerstimme. „Was kann es dir nützen ihn jetzt wiederzuerwecken?

Die Bemerkung trifft Sesshomaru unvorbereitet. Und obwohl er bereits fröstelt, läuft ihm ein kaltes Rieseln den Rücken herunter und seine Finger werden klamm. Woher wissen sie das? Und wie soll er diese Frage beantworten? Wieder flammt dieser harte Ballen aus Schuldgefühlen in seinem Magen auf und alle zurechtgelegten Erklärungen entfallen ihm nun.

Wir können keine Seele aus dem Jenseits freigeben, ohne einen angemessenen Grund“, fügt die helle Frauenstimme nach einer Weile der Stille hinzu.

Nenne uns den Grund weshalb du deinen Sohn zurück ins Diesseits bringen willst!“, fordert die autoritäre Männerstimme ihn auf.

Sei noch einmal erinnert, dass wir keine weiteren Lügen dulden werden, Youkai“, fügt die schrille Stimme streng hinzu.

Sagst du nicht die völlige Wahrheit, wird Tenmaru hier verbleiben und du selbst wirst auf der Stelle geläutert werden“, meldet sich die melancholische Frauenstimme.

Wir wissen, dass du ein Höllentor beschädigt hast“, sagt die autoritäre Männerstimme.

Wir wissen, dass du vom Flammenfluss versengst wurdest“, sagt die trübe Frauenstimme.

Wir wissen, dass du die Dämonin Kagebara getötet hast“, sagt die tiefe Männerstimme.

Wir wissen, dass du mit den Verstorbenen deines Volkes gesprochen hast“, sagt die schrille Männerstimme.

Sag uns weshalb du all diese Strapazen auf dich genommen hast“, sagt die helle Frauenstimme ernsthaft.

Sag uns die Wahrheit!“, sagt die schneidende Männerstimme.

Nur dann können wir erlauben, Tenmaru freizugeben“, sagt die trübsinnige Frauenstimme.

Sesshomaru fühlt sich elend. Inzwischen ist ihm so kalt, dass seine Gliedmaßen schon anfangen zu zittern. Es kostet ihn immense Anstrengung seine ihn schützende Aura aufrecht zu erhalten. Er wird zunehmend schläfrig und sein ganzer Körper fühlt sich immer kraftloser an. Auch das Denken fällt ihm schwer. Die Gedanken wirbeln wild durch seinen Kopf und lassen sich nur schwer fokussieren. Wie soll er so die richtige Antwort finden? Welchen Grund werden sie akzeptieren um ihn gehen zu lassen?

Er soll ihm dabei helfen, sein Reich und sein Volk zu retten. Ein nobler und gerechtfertigter Grund, wie er findet. Und trotzdem hat er Zweifel, ob es tatsächlich das ist was sie hören wollen. Da ist noch immer dieser schmerzhafte Knoten in seiner Magengrube, der ihn eines Besseren belehren will.

Er beschließt noch einmal zum Angriff überzugehen. „Wozu braucht ihr einen Grund dafür? Für euch kann ohnehin nicht von Belang sein, was dann im Diesseits geschehen wird. Auf euch hat es keine Auswirkung. Wozu also Gründe?“

Wir verwalten die Seelen der Verstorbenen“, sagt die tiefe Stimme. „Wir tragen Verantwortung für unsere Schutzbefohlenen.“

Wir werden keinen Missbrauch derer gestatten, die ihre Lebensaufgabe bereits beendet haben“, fügt die strenge Stimme hinzu.

„Sie ist nicht beendet!“, widersetzt sich Sesshomaru entschieden. „Sie wurde vorzeitig ihrer Bestimmung entrissen. Es gibt eine Prophezeiung die ihn betrifft. Ich bin gekommen, damit sie sich erfüllen kann.“

Nun herrscht eine ganze Weile erneute Stille. Dann hört man die helle Frauenstimme wieder reden. „Wir kennen diese Prophezeiung“, sagt sie, „aber bist du sicher, dass du allein deshalb gekommen bist, Youkai?

Dein Reich und seine Bewohner vor dem Untergang zu bewahren, ist ein zu lauterer Beweggrund für einen Dämon“, gibt die melancholische Stimme zu bedenken.

Youkai sind immer eigennützig“, sagt die schrille Stimme. „Sie werden stets nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sein.

Es ist ihre Natur“, ergänzt die tiefe Stimme.

„Das ist nicht wahr!“, nun regt sich doch Ärger in Sesshomaru und dadurch fällt es ihm leichter die Müdigkeit abzuwehren, die von seinem Geist Besitz ergreifen will.

Du bezichtigst uns der Lüge?“, empört sich die schneidende Stimme.

Ist es nicht eher so, dass du die Demütigung durch den fremden Eindringling nicht länger hinnehmen willst?“, fragt die strenge Stimme.

Oder dass du Ärger verspürst, weil dir dein Eigentum genommen wurde und du es zurückerlangen willst?“, fragt die schrille Stimme.

Oder du dich damit brüsten können willst, als einzige Person eine Seele aus dem Jenseits zurückerlangt zu haben“, sagt die tiefe Stimme.

Oder du dein Gewissen beruhigen willst, damit du dich nicht länger mit einem Fehler befassen musst“, fragt die trübe Frauenstimme.

Stolz!

Gier!

Ruhm!

Unfehlbarkeit!“, wiederholen die Stimmen.

Dies sind doch die Gründe weshalb du nun hier bist“, ergänzt die strenge Stimme. „Aus purem Eigennutz. Und sicher ist dir das auch bewusst, Youkai.

Wir wissen, dass es so ist!“, sagt die schneidende Stimme entschieden.

Oder gibt es noch einen anderen Grund dafür, den wir nicht berücksichtigt haben?“, fragt jetzt die helle Frauenstimme und es klingt beinahe ein wenig nachsichtig.

Sesshomaru schließt müde die Augen. Wie es aussieht, läuft dies hier wieder auf eine Sache hinaus. Es erschöpft ihn einfach über alle Maßen, sich ein weiteres Mal mit diesem Thema zu befassen. Offenbar wird es erst dann 'genug' sein, wenn sein Sohn wieder unter den Lebenden weilt. Mit ein wenig Glück wird es heute das letzte Mal sein.

„Es mag sein, dass ich tatsächlich mein Gewissen beruhigen will“, gibt Sesshomaru verhalten zu. „Und Tenmarus Tod hängt vermutlich auch sehr mit meinem Stolz und der Sorge um mein Ansehen zusammen. Ich kann nicht bestreiten, dass dies mehrere Eigenschaften sind, die mich ausmachen.“

Doch nun verhärtet sich sein Blick und er schaut hoch. „Doch von der Natur der Youkai habt ihr keine Ahnung.“

Er atmet einmal tief durch und fährt dann fort. „Gewisse Wesenszüge mögen uns fremd sein, doch gänzlich unbekannt sind sie uns nicht. Ich selbst habe lange Zeit versucht es zu leugnen, und doch musste ich feststellen, dass ich gerade dann über mich hinausgewachsen bin, wenn ich jemanden beschützen wollte, der mir wichtig war. Mein Vater handelte gleichermaßen, ebenso wie mein Bruder. Doch erst seit einer Weile beginne ich zu begreifen, was den tatsächlichen Kern ihrer Stärke ausmacht. Diese Erkenntnis, hat mich den ganzen elenden, unwegsamen Weg durch die Hölle bis hierher geführt und ich gehe nicht eher hier wieder fort, bis ich meinen Sohn, an dem ich vielfach schuldig geworden bin, wieder mit mir nehmen kann.“

Wieder herrscht kurzes Schweigen. Dann ertönt einmal mehr die strenge, würdevolle Stimme: „Soll das etwa bedeuten, du empfindest Gefühle für deinen Sohn?

Willst du damit sagen, dass du ihn liebst?“, ergänzt die schrille Stimme skeptisch.

Sesshomarus Kehle ist wie zugeschnürt. Er bekommt kaum einen Ton heraus bei dieser Frage. Er ringt einige Momente um eine Antwort, dann sagt er zögernd: „Ich weiß es nicht. Zeit seines Lebens empfand ich ihn nur als lästiges Ärgernis. Zumindest gab ich mir alle Mühe ihn so zu sehen. Ich stellte mich blind für seine Talente und Fähigkeiten und seine Gesinnung sollte mich ungerührt lassen. Erst im Augenblick seines Todes erkannte ich... was für ein Narr ich war.“

Schmerzerfüllt lässt der Daiyoukai den Kopf sinken. „Ich hatte nie die Gelegenheit ihn... lieben zu lernen. Doch der Gedanke, dass er durch meine Engstirnigkeit und meinen falschen Stolz zu Tode gekommen ist, ist in den letzten Jahren zu einer solch unerträgliches Vorstellung geworden, dass ich es einfach nicht mehr ertrage ihn hier zu wissen. Früher oder später wäre ich wohl, auch ohne dass mein Reich angegriffen würde, diesen Weg hierher gekommen. Er darf nicht länger die Strafe für mein Versagen tragen. Wenn euch das als Grund nicht ausreicht, fürchte ich, kann ich euch keinen besseren liefern.“

Wieder herrscht kurz Stille. Dann spricht die warme Frauenstimme wieder: „Das klingt, als würdest du ihn doch lieben.

Sesshomaru beißt die Zähne zusammen. Dann atmet er einmal tief aus. „Wenn es das ist, was es bedeutet, dann... ja! Dann liebe ich ihn womöglich doch.“ Er hat keine Kraft mehr um es noch länger zu bestreiten. Und er will es auch nicht. Nicht mehr.

Liebe!“, ertönt es jetzt verächtlich von der strengen Männerstimme. „Liebe widerspricht der Natur der Dämonen.

Sie sind nicht zum Lieben bestimmt“, ergänzt die missmutige Frauenstimme.

Und dennoch liebt er ihn“, gibt die sanfte helle Frauenstimme zu bedenken. „Ebenso wie er die Mutter seines Sohnes liebt.

Er verleugnet seine Natur“, stellt die schrille Männerstimme deutlich fest.

Deshalb ist er auch schwach“, verkündet die tiefe Stimme entschieden.

Erneut steigt der Ärger in Sesshomaru hoch. Wie viele Schmähungen und Demütigungen muss er eigentlich noch über sich ergehen lassen, bis seine Schuld endlich abgegolten ist? „Ich bin nicht schwach!“, stellt er finster klar. „Ich habe nicht all die Gefahren, Herausforderungen und Qualen, die mir die Hölle auf dem Weg hierher bot, überwunden, um mich nun schwach nennen zu lassen.“

Wie wenig du doch weißt, kleiner Youkai“, entgegnet die melancholische Frauenstimme herablassend.

Sieh dich nur an!“, meint die tiefe Stimme. „Du bist nur noch das jämmerliche Abbild dessen was einmal deine wahre Größe ausgemacht hat.

Sesshomaru erstarrt. Die Worte haben einen Punkt in ihm berührt, den er bisher gemieden hat und der, jetzt wo er betrachtet wird, auf einmal zunehmend zu schmerzen beginnt.

Die dunkle Stimme spricht schon weiter. „Du bist nachsichtig geworden. Rücksichtsvoll. Mitfühlend. Du lässt dich von deinen Gefühlen leiten und bestimmen, wo rationales Denken und Handeln gefragt wäre.

Du spürst schon länger diese Verwirrung in dir, ist es nicht so?“, fragt die trübe Frauenstimme. „Du weichst notwendigen Entscheidungen aus. Du bist so sehr darum bemüht möglichst das Richtige zu tun, dass deine Souveränität entschieden darunter leidet.

Du willst gemocht werden“, sagt die helle Frauenstimme. „Dein Selbstwertgefühl hängt nun an der Bestätigung durch andere.“

Und deshalb bist du schwach, Youkai!“, stellt die autoritäre Stimme klar.

Wie vor den Kopf gestoßen, starrt Sesshomaru vor sich hin. Sie haben recht. Irgendwie war ihm das schon längere Zeit klar, doch erst jetzt wird ihm bewusst, wie sehr es stimmt was sie sagen. Seit dem Vorfall mit dem Ostclan damals, hat er sich verändert. Er ist nicht mehr der selbe. Er hat seine Selbstachtung verloren. Die Schuldgefühle wegen der Begebenheit damals, haben ihn in den letzten Jahren immer mehr innerlich aufgezehrt. Eine ganze Weile hat er versucht es nicht zu beachten, doch dieser elende Kerl, der seinen... nein... dessen Namen er trägt, hat alles an die Oberfläche gebracht. Sein Kokorokaji hat mehr als einen Finger in seine schmerzende Seelenwunde gelegt.

Immer wieder hat er Tenmarus Tod miterleben müssen. Immer wieder und wieder seine letzten rühmenden Worte gehört, die so völlig seiner Haltung zu ihm zuwiderliefen. Hätte er ihn doch wenigstens für sein Verhalten verdammt. Doch nein, er war bis zum Schluss voll des Lobes für seinen Vater und zu wissen, wie wenig er dieses Wohlwollen verdient, will ihm schier den Verstand rauben.

Kagebara hatte recht. Unzählige Male hatte er mit sich gehadert und sich dem Wunschdenken hingegeben, wie es wäre, wenn er damals nicht so verbohrt gewesen wäre. Vieles wäre anders gewesen und diese Reise hierher hätte niemals stattgefunden. Doch nun ist er hier, und in ihm ist nur noch ein Wunsch: Das Unrecht wieder gutzumachen und Tenmaru zurück ins Diesseits zu bringen. Vielleicht können dann doch ein paar seiner Wunschvorstellungen Wirklichkeit werden.

Die tiefe Männerstimme reißt ihn aus seinen Gedanken. „Wir wissen um diese Prophezeiung.

Wir wissen wer dein Gegner ist“, fügt die schneidende Stimme hinzu.

Du wirst ihm nicht gewachsen sein“, stellt die trübsinnige Frauenstimme fest. „Nicht so.

Deshalb ist es unerheblich, ob du Tenmaru mitnimmst oder nicht“, ergänzt die strenge Männerstimme. „Dein Vorhaben wird auf jeden Fall scheitern.

Doch wir sind nicht grausam“, fügt die helle Stimme jetzt sanft hinzu. „Wenn es dein Wunsch ist Tenmaru mit dir zu nehmen, obgleich du weißt, dass dein Vorhaben, dein Reich betreffend, scheitern wird, so sei es dir dieses Mal gestattet.

Sesshomarus Kopf fährt hoch. Sein Herz klopft auf einmal heftig. Sollte er nun doch noch Erfolg haben? Ist es möglich, dass sich entgegen aller verbliebenen Hoffnung doch noch alles zum Guten wenden sollte? Er wagt kaum dies zu glauben. „Es ist mein Wunsch!“, wispert er. Doch in seinen leisen Worten ist deutlich die Sehnsucht herauszuhören.

So sei es!“, diesmal klingen die fünf Stimmen wie eine.

Das Herz des Daiyoukais klopft bis zum Hals. Bedeutet das, er hat tatsächlich Erfolg gehabt? Er hat es tatsächlich geschafft? Es ist fast zu schön um es zu glauben.

Und im gleichen Moment holen ihn die nächsten Worte wieder auf die Erde zurück. „Selbstverständlich, können wir ihn dir nicht einfach so überlassen“, erklärt die autoritäre Stimme nun.

„Ihr sagtet gerade, ihr gebt ihn frei!“, empört sich Sesshomaru nun ungehalten. „Wollt ihr als wortbrüchig gelten?“

Wir sagten, wir gestatten es dir, ihn mitzunehmen“, erwidert die melancholische Frauenstimme mit herablassender Geduld.

Doch zunächst musst du den Preis dafür bezahlen“, beendet die schrille Stimme die Ausführung.

„Den Preis?“ Sesshomaru kann es nicht verhindern, dass seine Emotionen hochkochen. „Habt ihr überhaupt eine Vorstellung, was es mich bisher gekostet hat, hier zu sein? Was wollt ihr noch von mir?“ Doch in seinen Gedanken hört er nun noch einmal die Worte seines Vaters der ihm gesagt hatte: „Es wird dich etwas kosten.“

Bedenke, dass Tenmaru geläutert wurde“, entgegnet nun die warme Frauenstimme nachsichtig. „Es gibt keinen Körper mehr in den seine Seele zurückkehren könnte. Der Preis ist für den neuen Körper den er erhalten wird. Und er kann nur geschaffen werden durch ein großes, uneigennütziges Opfer. Ist er dir das etwa nicht wert?

Sesshomaru schweigt zerknirscht.

Nun, wie steht es jetzt mit deiner Lauterkeit, Youkai?“, meint die schneidende Stimme verächtlich. „Was bist du bereit für das Leben deines Sohnes zu geben?

Sesshomaru atmet einige Male tief durch. Dann blickt er sehr gefasst auf.

„Alles! Nehmt meine Seele wenn ihr wollt, doch... gebt ihn mir zurück!“

So entschlossen bist du, Youkai?“, hakt die trübsinnige Frauenstimme nach. „Sei unbesorgt, wir wollen deine Seele nicht. Aber bist du wirklich bereit alles zu geben? Alles was wir verlangen?

„Ja!“, sagt Sesshomaru so bestimmt wie er es vermag. „Ich zahle jeden Preis, wenn Tenmaru dafür mit mir ins Diesseits zurückkehren kann.“

Eine leichtfertige Zusage, in der Tat“, stellt die maskuline Stimme fest. „Doch sei gewiss, wir werden sie in Anspruch nehmen.

Doch der junge Westfürst ist nun das Geplänkel leid. „Was verlangt ihr von mir?“, fragt er ungeduldig.

Was du für den Körper deines Sohnes aufgeben musst“, verkündet nun die helle Frauenstimme, „ist die Liebe zu der Dämonin Hanaki!

Sesshomaru erbleicht. Er kann spüren wie ihm alle Farbe aus dem Gesicht weicht und seine Knie drohen endgültig nachzugeben.

„Das... kann nicht euer Ernst sein...“, wispert er tonlos.

Glaubst du, das Opfer wäre nicht groß genug?“, kommt es nun streng von der tiefen Stimme. „Bedeutet sie dir doch nicht so viel?

Der Daiyoukai ist noch immer fassungslos. „Erwartet ihr wirklich, dass ich mich zwischen meinem Sohn und meiner Frau entscheide?“

Wie könnte es sonst ein angemessenes Opfer sein?“, fragt die mürrische Frauenstimme.

Sesshomaru schnappt nach Luft. Mit allem hat er ja gerechnet, aber nicht damit. Nun endlich nach so langer Zeit hat er sie endlich wiedergefunden. Endlich konnte er mit ihr reden und sich für sein Vergehen entschuldigen und endlich hat sie eingewilligt seine Frau zu werden! Er hat ihr versprochen sie ebenfalls zurückzubringen. Er ist bereit alles für sie zu tun. Für die eine Person die mit ihm seelenverwandt ist. Die Einzige mit der er sich vollkommen fühlt und jetzt soll er alles was zwischen ihnen beiden ist hinter sich lassen? Das bringt er nicht fertig. Das ist völlig unmöglich!

„Wie stellt ihr euch das vor?“, fragt er schwach. „Wie könnte ich aufhören sie zu lieben? Das ist... undenkbar!“

Unterschätze uns nicht!“, rügt die autoritäre Stimme streng. „Unsere Macht erstreckt sich über Dinge die du dir nicht einmal vorstellen kannst.

Doch deine Bedenken sind unbegründet, Youkai“, lenkt die trübe Stimme nun ein. „Du wirst nichts vermissen. Du wirst vergessen, dass sie jemals von Bedeutung für dich war. Deine Erinnerungen an die Erlebnisse mit ihr werden verschwinden und es wird sein, als hättet ihr euch niemals gekannt.“

„All die Trauer, alle Schuld und alle Seelenpein die diese Erinnerungen mit sich bringen, werden ebenfalls verschwinden“, erklärt die helle Stimme nun weiter. „Und du wirst wieder zu deiner wahren Natur zurückfinden. Nur so gelangst du wieder zu wahrer Größe. Es ist im Grunde ein Geschenk an dich. Als Lohn für deinen aufopfernden Wunsch, deinen Sohn zu retten.“

„Und nur so wirst du in der Lage sein, Sesshomaru zu vernichten“, fügt nun die tiefe Stimme ernst hinzu. „Seine Tage auf Erden sind gezählt. Nun muss ihnen ein Ende gesetzt werden.“

„Nur wenn du diese unmögliche Entscheidung treffen kannst, wirst du dich der schweren Aufgabe als würdig erweisen, den Fukouryouken zu töten“, verkündet die autoritäre Stimme.

Triff nun deine Wahl!“ Die Stimmen klingen wie eine.

Sesshomaru ist wie betäubt. Er kann nicht mehr klar denken. Wie soll er entscheiden? Kann er überhaupt entscheiden, welcher der beiden wichtigsten Personen in seinem Leben er den Vorrang geben soll? Allein schon der Gedanke daran Hanaki aufzugeben, schneidet wie ein glühendes Messer durch sein Herz. Er hat sie schon einmal ziehen lassen, und es hat ihm dennoch niemals seinen Frieden gegeben. Sollte es dieses Mal anders sein? Könnten sie tatsächlich alles was sie zusammen hatten praktisch ungeschehen machen? Ist es ihm wirklich möglich, sie dieses Mal gehen zu lassen ohne danach zeitlebens in Selbstvorwürfen zu versinken? Und vor allem anderen, will er das überhaupt?

Was ist es denn wirklich was sie verbindet? Ihr Duft? Ihr Wesen? Eine Hoffnung an die er sich klammert? Schuldgefühle die ihn an sie binden? Oder ist da tatsächlich etwas, dass allen Widrigkeiten und Umständen zum Trotz, doch... wahrhaftig an ihrer Beziehung ist? Und was wenn nicht? Wie viele Male hat er sich nun schon diese Frage gestellt? Hier hat er endlich die Möglichkeit eine Antwort zu erhalten. Und dennoch stellt er fest, dass allem Rationalen zum Trotz, er sie nicht aufgeben will. Nie wieder!

Doch andererseits wird eben das von ihm gefordert, wenn er seinen Sohn mit sich nehmen will. Und wenn er sich an seine bisherige Reise hierher zurück entsinnt, wird ihm klar, dass an seiner Entschlossenheit dies zu tun, nicht zu rütteln ist. Wie um alles in der Welt soll er also diese Entscheidung fällen?

Mit geschlossenen Augen ruft er sich für einen flüchtigen Moment ihr Bild vor seinem inneren Auge herauf. Hanaki! Sag mir, was soll ich tun? Wie soll ich entscheiden? Und im gleichen Moment vermeint er nun ihre Worte zu hören: „Sesshomaru, du weißt doch genau, was die richtige Entscheidung ist.“

Er kneift schmerzerfüllt die Augen zusammen. Dann blickt er auf. Sein Gesicht ist leichenblass. „Ich werde den Preis zahlen!“, sagt er bestimmt, und trotzdem schwankt seine Stimme kurz. „Doch ich stelle nun meinerseits eine Bedingung.“

Welche Bedingung ist das?“, fragt die strenge Männerstimme.

„Nehmt mir meine Gefühle. Wenn es dem nötigen Zweck dient, lasst mich nie wieder etwas für sie empfinden, doch lasst mir wenigstens die Erinnerungen an sie.“

Eine kurze Stille tritt ein.

Nein!“, verkündet die tiefe Stimme. „Um die Liebe an sie von dir fortzunehmen, müssen auch die Erinnerungen an sie verschwinden.

Jedoch...“, unterbricht nun die helle Frauenstimme die Rede, „Es sei dir eine einzige Erinnerung an sie gestattet. Eine einzige Erinnerung zum Symbol deiner Selbstverleugnung. Diese allein darfst du behalten. Also wähle weise!

Sesshomaru hebt schwach den Kopf. Eine einzige Erinnerung? Nur eine soll ihm bleiben? Von all den Momenten mit ihr, welchen soll er da wählen? Welcher Moment wird ihrer Beziehung am meisten gerecht? Er überlegt eine ganze Weile, doch dann trifft er schweren Herzens eine Entscheidung. Er hofft inbrünstig, dass es die richtige Wahl ist, denn er setzt alle seine Hoffnung darauf.

„Ich habe gewählt!“, sagt er kraftlos. „Nun erfüllt euren Teil und gebt meinen Sohn frei!“

So sei es!“, ertönt der einmündige Ausruf und im selben Augenblick beginnt der Lichtflakon um Tenmaru hell aufzuleuchten. Immer greller wird das Licht. Wie züngelnde Blitze schießen nun Lichtstrahlen aus dem Behältnis hervor und tauchen die gesamte Umgebung in blendende Helle. Unwillkürlich hält sich der Daiyoukai die Hand vor die Augen und im gleichen Moment ertönt ein anschwellendes Brausen in Sesshomarus Ohren. Immer lauter und intensiver wird das schrille Kreischen nun hinter seiner Stirn und sein Kopf fühlt sich an, als wolle er jeden Augenblick zerbersten. Ein schneidender Schmerz zuckt durch sein Bewusstsein und im gleichen Moment stürzt der ewig junge Westfürst besinnungslos zu Boden.

An der Grenze zum Süden

Ein wenig ungelenk kraxelt Kamukiku über die Felsen des Bergkamms und nun hört man die alte Dame auch vernehmlich Schnaufen. Inu Yasha und Kagome ist es fast schon unangenehm, denn sie wissen die alte Hündin verausgabt sich nur ihretwegen so.

„Ist es noch weit?“, fragt Kagome besorgt. Ihr behagt das Hecheln der greisen Youkai gar nicht.

„Nicht sehr“, schnauft Kamukiku und zieht sich an einem weiteren Felsen hoch. Fast haben sie die Spitze des Steilwand erreicht. „Hinter dem Bergmassiv liegt der Grenzwald.“

Von Felsvorsprung zu Felsvorsprung springt sie und immer höher gelangen sie dabei. Schließlich haben sie den Bergkamm erreicht. Von hier aus fällt ihr Blick auf eine weite, strauchbewachsene Ebene, die jedoch in der Ferne von einem Meer aus Bäumen begrenzt wird. Die Vegetation er Ebene sieht ziemlich vertrocknet aus. Vereinzelte Bäume ragen hier und da auf, doch im Grunde wirkt die Gegend ziemlich karg.

„Ah!“, brummt Kamukiku entspannt. „Sie haben es noch nicht wieder getan.“

„Was haben sie nicht getan?“, fragt Kagome.

„Etwa alle zehn Jahre“, erklärt Kamukiku, „brennen sie die gesamte Ebene nieder. Ich nehme an um die Deckung zu zerstören, damit sich niemand unbemerkt anschleichen kann. Es müsste bald wieder soweit sein. Aber für gewöhnlich tun sie das nur im Frühsommer, wir sollten also sicher sein.“

„Warum nur im Frühsommer?“, wundert sich Kagome.

„Weil im Herbst die ganze Ebene voller Higanbana ist“, erklärt Kamukiku. „Ich nehme an sie mögen die rote Spinnenlilie und wollen sie nicht zerstören.“ Dann macht sie sich an den Abstieg. Hüpfend und schlitternd nähern sie sich dem Bergesfuß.

Schließlich haben sie wieder festen Boden unter den Füßen. Gemächlich trottet die große Hündin nun auf die Ebene zu. Eine Weile reiten Kagome und Inu Yasha schweigend vor sich hin. Schließlich fragt Kagome: „Was meinst du wie die Leute vom Südclan so sind, Inu Yasha.“ Man kann hören, dass doch leichte Bedenken in ihren Worten mitschwingen.

„Wenn man den Erzählungen glauben darf, sehr wild, brutal und gnadenlos“, meint Inu Yasha. „Wilde Bestien, die Spaß daran haben dich so schnell wie möglich zu erledigen.“

Nachdenklich blickt Kagome drein: „Ob das tatsächlich so ist?“

„Warum sollte es nicht so sein?“, fragt Inu Yasha zurück. „Immerhin haben sie noch keinen am Leben gelassen. Ich finde das ist ein ziemlich deutlicher Beweis. Das sagen doch sogar die Legenden. “

„Ja, aber sagen sie das wirklich?“, überlegt Kagome. „Ich meine, sie gehen ja ganz offenbar nach Plan vor. Sie patrouillieren regelmäßig, sie greifen rasch und gezielt an und halten sich ansonsten verborgen. Sie verbrennen sogar in regelmäßigen Abständen den Sichtschutz ihrer Gegner und offenbar haben sie auch einen Sinn für Schöngeist. Meinst du nicht, sie könnten genau so kultiviert wie die anderen Clans sein?“

„Hältst du es für kultiviert jeden Eindringling ob Freund oder Feind einfach abzuschlachten? Ohne Gnade und ohne ihn überhaupt anzuhören?“, wundert sich Inu Yasha.

„Vielleicht sind ja einfach alle anderen für sie Feinde“, meint Kagome.

„Das sag ich doch“, entgegnet Inu Yasha.

„So meine ich das nicht. Sie kennen eben die anderen Clans nicht. Vielleicht sehen sie die Dinge einfach etwas anders als wir. Aus ihrer Sicht dringen die anderen ohne Erlaubnis in ihr Revier ein. Ist es dann nicht klar, dass sie kurzen Prozess mit ihnen machen, wenn sie niemanden da haben wollen?“

Inu Yasha verdreht die Augen. „Fängst du schon wieder an gefährliche Bestien in Schutz zu nehmen? Das hatten wir schon so oft, und das ging immer wieder in die Hose.“

„Und mindestens genau so oft, hat sich mein Gefühl hinterher als richtig erwiesen und wir haben wertvolle Verbündete gefunden“, verteidigt sich Kagome. „Weißt du nicht mehr? Miroku, Sango, Shippo, Jinenji, Shiori...“, zählt Kagome auf, „Kouga...“

„Moment, Kouga?“, unterbricht Inu Yasha empört. „Der Kerl hat dich entführt und versucht dir bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu nahe zu treten. Und immer wenn man ihn mal brauchen kann, haut er ab. Von wegen wertvolle Verbündeter!“

„Wer hat mich vorhin noch gebeten mit ihm zu reden um ihn für unsere Seite zu gewinnen, hmmm?“, gibt Kagome zynisch zurück. „So ein schlechter Verbündeter ist er dann wohl doch nicht, was?“

Inu Yasha hält kurz mürrisch inne, dann meint er: „Ok, der Punkt geht an dich. Das bedeutet aber nicht, dass ich ihn mag.“

„Du musst ihn auch nicht mögen“, lenkt Kagome ein. „Aber meistens hast du doch ein gutes Gespür wem du trauen kannst und wem nicht. Es geht schließlich darum, dass wir uns gegen Katsuken verbünden, und genau deshalb sind wir doch jetzt hier.“

In diesem Moment bleibt Kamukiku stehen. Der düstere Wald vor ihnen ist nur noch etwa zwanzig Meter entfernt. „Wir sind da“, meint sie und lässt sich dann auf alle Viere herab.

Ein wenig beklommen rutscht Inu Yasha jetzt von ihrem Rücken herunter, Kagome folgt ihm direkt nach. Unsicher macht er ein paar Schritte auf den Wald zu und mustert die Baumgrenze eingehend. Wie es aussieht ist die Galgenfrist jetzt vorbei und es wird ernst. Dies ist der Moment auf den sie gewartet haben, aber von herbeisehnen kann eher nicht die Rede sein.

Zögernd tritt er etwas dichter heran. Ein leichter Wind streicht über die Ebene, aber ansonsten herrscht Totenstille. Kagome ist neben ihn getreten und fasst jetzt aufmunternd seine Hand. Langsam gehen sie gemeinsam auf die Bäume zu. Wachsam sind Inu Yashas Ohren aufgestellt, doch zu hören ist nichts.

„Riechst du etwas?“, wispert Kagome neben ihm. Ihr Herz schlägt ihr bis zum Hals.

Prüfend hebt er die Nase in die Luft. Er nimmt viele neue Gerüche wahr und einige davon sind ihm gänzlich unbekannt, aber dennoch haftet ihnen eine Nuance an die ihm irgendwie vertraut vorkommt. Könnten das die Youkai aus dem Süden sein? „Ich bin nicht sicher“, gibt er zu. An die alte Hündin gerichtet ruft er halblaut: „Glaubst du, sie sind in der Nähe, Kamukiku-baba?“

Die greise Youkai kratzt sich gerade hinter dem Ohr. „Oh, sie sind mit Sicherheit hier. Und bestimmt beobachten sie euch bereits. Nur zu! Mal sehen ob ihr es schafft zu überleben.“ Sie grinst wieder eine Spur zu selbstzufrieden.

Auch Inu Yashas Herz klopft. Was soll er nun tun? Soll er einfach reingehen? Sollte er Tessaiga ziehen um Stärke zu demonstrieren oder lieber nicht um ihre friedlichen Absichten zu verdeutlichen? Eine Weile überlegt er noch hin und her, dann lässt er Kagomes Hand los. So beherzt wie möglich baut er sich vor der Baumgrenze auf und reckt das Kinn.

„Mein Name ist Inu Yasha!“, verkündet er mit lauter Stimme. „Ich bin der amtierende Fürst der Inuyoukai des Westens. Ich bin gekommen weil wir eure Hilfe im Kampf gegen einen übermächtigen Feind brauchen.“ Hier hält er erst mal inne und lauscht auf eine Reaktion, doch kein Lüftchen regt sich. Alles bleibt still.

„Sein Name ist Katsuken“, versucht er es erneut. „Oder auch Sesshomaru. Wir wissen von der Prophezeiung. Wir wollen versuchen die Clans zu vereinen um ihn gemeinsam zu bekämpfen.“ Noch immer herrscht Stille.

„Dürfen wir euer Reich betreten damit wir darüber reden können?“, er hat wenig Hoffnung, dass er diesmal eine Antwort erhält, und er soll Recht behalten. Noch immer rührt sich nichts zwischen den Bäumen. Kein Laut ist zu hören, selbst die normalen Geräusche der Natur scheinen verstummt zu sein.

„Ich glaube du hast ihre Aufmerksamkeit, kleiner Prinz“, bemerkt Kamukiku gelassen hinter ihnen.

„Wie kommst du darauf?“, fragt Inu Yasha zurück.

„Jedes Mal kurz nachdem wieder ein Draufgänger die Grenze überquert hat, wird es so unnatürlich still. Wie ein Raubtier vor dem Sprung.“ Ihr Grinsen wird breiter.

„Na wunderbar!“, murmelt Inu Yasha bei sich und wendet sich wieder dem Wald zu. Aber Kamukiku hat Recht diese Stille ist nicht natürlich. Er blickt zu Kagome hinüber; die junge Frau wirkt etwas blass, aber sie sieht entschlossen aus. Leicht nickt sie ihm zu. Nun wendet er sich wieder den Bäumen zu: „Es ist sehr wichtig, dass wir miteinander reden. Wir werden jetzt reinkommen. Wir wollen nur reden, über die Prophezeiung, ja?“

Dann fasst er sich ein Herz und macht einen Schritt auf den Wald zu. Kagome tut es ihm gleich. Dann noch einen und nun gehen sie langsam mit klopfendem Herzen weiter auf die Baumreihe zu bis sie zwischen den ersten Bäumen hindurchtreten und in den Wald eindringen.

Kagome schluckt schwer und das Herz sackt ihr in die Hose. Jetzt auf einmal spürt sie es, die Auren mehrerer Youkai, und die drückende Atmosphäre die hier herrscht, schnürt ihr regelrecht die Luft ab. Sie kann nicht genau sagen von wo sie es spürt, denn im Grunde kommt es aus allen Richtungen gleichzeitig, was nicht gerade ein Grund ist sich zu entspannen.

Wachsam blickt sie sich um. Kaum ein Lüftchen weht und wenn man den Wald genauer betrachtet, scheint er schon sehr alt zu sein. Die Bäume sind hoch und dick und überall mit Moos bewachsen, so wie der meiste Teil des Bodens. Wege oder Breschen sind nicht zu erkennen und die Luft ist kühl und feucht. An vielen Stellen liegen umgestürzte Bäume und Laub herum und es herrscht ein Geruch von Humus und Pilzen; was für ein Unterschied zu der Ebene davor.

Vorsichtig gehen Inu Yasha und Kagome weiter. An vielen Stellen ist das Unterholz so dicht, dass man kaum hindurchspähen kann. Das bietet natürlich reichlich Gelegenheit für einen Hinterhalt. Doch noch immer ist kaum ein Laut zu hören.

Besorgt blickt Kagome sich um, der Rand des Waldes liegt schon ein ganzes Stück hinter ihnen. Ihr Herz schlägt bis zum Hals, doch sie versucht es sich nicht anmerken zu lassen. Fast wünscht sie sich schon, dass endlich etwas passiert. Diese Spannung ist kaum zum Aushalten und noch immer spürt sie die düsteren Auren um sich her, auch wenn noch immer nichts zu sehen ist. Jedes Mal wenn unter ihren Füßen ein Zweig zerbricht, fährt sie zusammen und auch Inu Yashas Ohren zucken dann leicht. Der Hanyou ist höchst angespannt.

Wachsam durchforschen seine Augen das diffuse Licht unter dem Blätterdach. Es kostet ihn alle Überwindung Tessaiga in seiner Scheide zu lassen. Mit dem Schwert in der Hand fühlt er sich einfach sicherer, doch gerade jetzt versucht er ja zu zeigen, dass er in friedlicher Absicht kommt. Da wäre es unvorteilhaft mit gezogenem Schwert herumzulaufen. Aber viel fehlt nicht mehr. Das Gefühl, dass er beobachtet wird ist fast übermächtig und er hegt keinen Zweifel daran, dass die Youkai vom Südclan in der Nähe sind.

Nun kommen sie langsam zu einem Bereich wo das Unterholz abnimmt. Man kann jetzt ein wenig weiter in den Wald hineinsehen, doch die Baumgegend setzt sich auch in der Ferne noch fort. Kein Ende ist in Sicht.

Doch urplötzlich stellen sich bei Inu Yasha die Nackenhaare auf und Kagome bekommt eine Gänsehaut. Direkt hinter ihnen vernehmen sie nun ein leises Rasseln wie ein tiefes Grollen aus einer großen Kehle und ein warmer, muffiger Atem bläst ihnen ins Kreuz. Langsam gehen ihre Köpfe herum. Was sie sehen, lässt Kagome unwillkürlich alle Farbe aus dem Gesicht weichen. Direkt hinter ihnen, kaum mehr einen Schritt entfernt steht ein großer, pechschwarzer Hund. Er hat lange schmale Beine und eine Schulterhöhe von gut drei Schritt. Sein Fell ist zottig und seine großen Augen funkeln gefährlich in einer tiefroten Farbe. Am beängstigsten ist jedoch sein Maul. Seine Lefzen sind grimmig hochgezogen, seine gewaltige Schnauze ist wütend gekräuselt und entblößt lange, messerscharfe Zähne. Dabei ist nun unablässig ein tiefes Grollen zu hören, dass von tödlichen Absichten zeugt.

Kagome werden die Knie weich. Sie ist wie erstarrt aus Angst die schaurige Bestie in irgendeiner Form zu provozieren. Der gewaltige Hund müsste lediglich einmal zuschnappen und könnte ihr sofort den Kopf von den Schultern trennen. Offenbar müssen sie die Inuyoukai des Südens nicht länger suchen, denn diese haben sie gefunden.

Gerade jetzt stehen urplötzlich wie aus dem Nichts noch sieben andere Dämonenhunde um sie her mit genau dem gleichen wütenden Blick und lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie hoffnungslos umstellt sind. Fast alle haben eine schwarze Fellfarbe, von der sich an unterschiedlichen Stellen rote Haarbüschel abzeichnen. Lediglich einer von ihnen hat eine sandhelle Farbe.

Doch dem kann Inu Yasha jetzt keine Beachtung schenken. Zunächst muss er einen Weg finden die Situation zu entschärfen, jetzt wo er den Südclan gefunden hat, denn noch immer sehen die Inuyoukai um sie her aus, als wollten sie sie jeden Moment in Stücke reißen. Dass sie es noch nicht getan haben, wertet er als gutes Zeichen. Doch wie soll es jetzt weitergehen?

Er kann jetzt nicht wieder kneifen, er muss etwas tun, aber was? Sein Kopf ist wie leergefegt. Er war noch nie der große Redner und gerade fragt er sich ernsthaft wie er auf die schwachsinnige Idee gekommen ist, zwischen den Clans vermitteln zu wollen.

Doch dann fasst er sich ein Herz und reckt sich. „Mein Name ist Inu Yasha. Ich bin...“

Ruhe!“, bellt der gewaltige Hund vor ihnen mit tiefer Stimme so laut, dass ihnen die Ohren klingeln. Kagome fährt leicht zusammen und Inu Yashas Hand zuckt in Tessaigas Richtung. Keinen Moment lässt er den Dämonenhund aus den Augen, doch er zieht es vor, erst mal nichts mehr zu sagen.

Nun kommt die Schnauze ganz dicht an Kagome heran und sie kann die Vibrationen des boshaften Grollens schon in ihrer Brust spüren. Dabei versucht sie so reglos stehenzubleiben wie es geht. Das Knurren wird lauter. „Miko!“, klingt es zutiefst angewidert. „Ich sollte dich fressen.“

Ein Ruck geht durch Inu Yashas Körper bei den Worten, doch sofort schwillt das Knurren der umstehenden Hunde deutlich an und ihre Körper zittern vor Anspannung. Jede rasche Bewegung könnte jetzt einen Angriff provozieren.

Auf einmal ertönt hinter ihnen ein lautes Kläffen und Inu Yasha wagt es nicht, sich umzudrehen, doch der riesige schwarze Hund vor ihnen duckt sich auf einmal kurz, doch dann setzt das Knurren mit doppelter Lautstärke wieder ein. Er scheint für einen Moment unschlüssig, dann bellt er: „Runter! Sofort!

Zitternd sinkt Kagome auf die Knie hinunter, ohne jedoch den Dämonenhund aus den Augen zu lassen.

Inu Yasha ringt mit sich selbst. Sein Instinkt sagt ihm, er sollte der Aufforderung besser Folge leisten, doch andererseits widerstrebt es ihm sehr sich so unterzuordnen. Es verursacht ihm schon fast greifbaren Widerwillen. Abgesehen davon ist er der Fürst des Westclans. Irgendwie kann er sich nicht vorstellen, dass Sesshomaru auch nur die leichtesten Anstalten machen würde vor diesen Youkai auf die Knie zu geben.

Es kostet ihn enorme Überwindung, doch er bleibt stehen und bietet dem schwarzen Hund die Stirn. „Ein Fürst kniet nicht!“, stellt er entschlossen klar.

Und plötzlich weichen alle anwesenden Hunde einen halben Schritt zurück und ducken die Köpfe. Vereinzelt ist ein Fiepen zu hören, doch Inu Yasha ist sich ziemlich sicher, dass diese Demutsbekundung nicht ihm gilt. Er kann es in seinem Nacken spüren, jemand nähert sich. Langsam dreht er sich um, obwohl es kein schönes Gefühl ist die mächtigen Zähne des pechschwarzen Hundes direkt hinter sich in seinem Rücken zu wissen.

Zwischen den Bäumen erscheint nun eine Person. Es ist eine hochgewachsene, kräftige Frau. Sie hat lange weißblonde Haare und dunkelrote Iriden. Sie trägt einen dunkelgrauen Lederbrustpanzer und um die Hüften einen reich verzierten, wenn auch zerschlissenen Kusazuri-Gürtel, wie ihn die Samurai verwenden. Ihre muskulösen Beine sind bloß und über ihre Füße sind hochschaftige, leicht zerfranste Kogake-Beinschienen gebunden. Ihr rechter Arm ist in eine robuste Kote gehüllt, während die Schulter mit einer schwarz-rot verzierten Sode gerüstet ist. In ihrem Gürtel steckt eine lange Murasame. Mit festem Schritt nähert sie sich und ihre Miene ist ernst.

Inu Yasha ist nicht ganz wohl in seiner Haut. Wer immer diese Frau ist, sie ringt den umstehenden Dämonenhunden Respekt ab. Allein das sollte schon Grund zur Sorge geben. Er beschließt erst einmal abzuwarten. Er möchte ungern etwas tun um womöglich doch einen Angriff zu provozieren. Nicht solange Kagomes Leben auf dem Spiel steht. Die Schnauze des schwarzen Hundes ist nun direkt neben ihrem Gesicht und die junge Frau braucht all ihren Mut um nicht noch weiter vor ihm zurückzuweichen.

Nun hat die fremde Frau ihn erreicht. Sie ist einen halben Kopf größer als er und mustert ihn und dann Kagome mit durchdringendem Blick. Dann wendete sie sich wieder ihm zu. Ihre Hand fasst nun grob nach seinem Kinn und dreht sein Gesicht unsanft hin und her. Ihre Hände sind warm und schwielig. Abschätzend begutachtet sie ihn von beiden Seiten. Er lässt es widerstandslos mit sich geschehen, begegnet aber weiterhin ihrem Blick. Dann kommt ihr Gesicht dicht an seines und er hört wie sie ihn eingehend beschnuppert. Irgendwie fühlt er sich gerade ein wenig herabgesetzt, so wie damals vor dem Hohen Rat im Osten, nur dass da nicht so unmittelbar über sein Leben befunden wurde. Es wurde lediglich verhandelt ob er hingerichtet werden sollte oder nicht, nicht jedoch ob er gleich an Ort und Stelle mit dem Tod rechnen muss. Wenn man es genau bedenkt, besteht wohl doch kein großer Unterschied zu damals.

Schließlich scheint sie ihre Inspektion beendet zu haben. Sie lässt sein Kinn los und tritt einen Schritt zurück. Dann sagt sie: „Du bist kein Inuyoukai, aber nennst dich einen Fürst. Ich gebe dir einmalig Gelegenheit dich zu erklären.“ Ihre Worte klingen tief und kehlig.

Das Knurren des schwarzen Hundes wird drohender. „Kazeba, Ihr kennt das Gesetz. Sie müssen sterben. Jetzt!“, ärgerlich tönt die tiefe Stimme des Dämonenhundes zu ihr herüber.

Doch nun verzieht sich das Gesicht der fremden Youkai zu einer wilden Fratze und deutlich zeigen sich für einen kurzen Moment animalische Züge darauf ab. Nadelspitze Zähne fletschen ihre Lippen zu einem tödlichen Knurren und ihr ganzer Körper ist angespannt. Ein kurzes scharfes Kläffen entfährt dem unmenschlichen Gesicht und der schwarze Hund duckt sich widerstrebend. Dann kehrt die Youkai zu ihrem menschlichen Aussehen zurück. Noch immer liegt deutlicher Grimm in ihrer Miene. „Widersprich nicht!“, blafft sie den Anderen ungehalten an. Dann ruckt ihr Blick wieder zu Inu Yasha. „Nun?“, fragt sie streng.

Inu Yasha kommt ein wenig ins Schwimmen. Wo soll er da beginnen? „Das ist eine wirklich lange Geschichte“, antwortet er ein wenig resigniert.

Nun schnellt ihr Gesicht wieder vor und ihre Nase berührt fast die von Inu Yasha. Zornige rote Augen funkeln ihn an. „Du lebst nur deshalb noch, Hanyou, weil du kein reines Blut hast“, grollt sie leise. „Warum sollte einer wie du Fürst der Anderen sein? Erkläre dich, schnell!“ Das letzte Wort klingt fast wie ein Bellen.

Inu Yasha läuft es kalt den Rücken herunter. Seine Gedanken rasen. Wie soll er das so schnell erklären? Diese Inuyoukai sind nicht gerade geduldig und so wie es aussieht sind sie auch keine Freunde vieler Worte. Er überlegt fieberhaft, dann sagt er: „Mein Vater war der Fürst des Westclans.“

Mit unveränderter Miene hält die kräftige Youkaifrau ihn mit ihren Blicken gefangen. Sie scheint seine Antwort abzuwägen. Schließlich sagt sie wachsam: „Weiter!“

Inu Yasha begreift, dass es wohl das Beste ist, die Sachlage in kleinen Häppchen darzulegen. „Im Augenblick vertrete ich meinen älteren Bruder. Er ist in einer wichtigen Mission unterwegs.“

Wieder überlegt die Youkai eine ganze Weile. Schließlich sagt sie: „Ihr dürft nicht hier sein. Wir werden euch töten müssen.“ Sofort schwillt das Knurren der Riesenhunde wieder an und Inu Yashas Hand geht entschlossen zu seinem Schwertgriff, jedoch noch immer ohne es zu ziehen.

„Davon würde ich euch abraten, wenn ihr nicht sterben wollt“, sagt er düster. „Und im Grunde wollen wir auch gar nicht hier sein, aber wir müssen! Es geht um eine Prophezeiung. Vielleicht habt ihr schon davon gehört.“

Die Hand der Youkaifrau schwebt unheilverkündend in der Luft aber sie hat noch nicht das Kommando zum Angriff gegeben, obgleich jeder der umstehenden Hunde bereits bis aufs Äußerste gespannt ist, loszustürmen. Einen langen Moment hängt die Spannung in der Luft. Dann sagt sie unwirsch: „Ihr gehört zu der Alten Frau. Sie hat euch hergeführt. Um was zu tun?“

Inu Yasha ist höchst wachsam. Er versucht jeden der Hunde im Auge zu behalten, was schwierig ist, da sie von ihnen umringt sind. Ihm wäre es lieber dieses Gespräch in aller Ruhe führen zu können, doch das ist ihm wohl nicht vergönnt. „Wir wollen den Südclan der Inuyoukai bitten sich uns wieder anzuschließen, damit wir gemeinsam einen mächtigen Youkai namens Katsuken besiegen können.“

Wieder vergeht ein langer Moment in dem die Frau keinen Ton von sich gibt. Nur ihr Gesicht ist einem regen Mienenspiel unterworfen. Offenbar versucht sie gerade eine schwere Entscheidung zu treffen. „Beschreib ihn!“, fordert sie schließlich barsch.

Inu Yasha atmet innerlich auf. Scheinbar hat er ihnen gerade etwas mehr Zeit erkauft. Wenn das so weitergeht, besteht vielleicht doch die Chance, dass sie mit dem Leben davon kommen. „Zuerst war er ein Knabe“, gibt Inu Yasha Auskunft. „Aber dann hat er angefangen Menschen und Youkai zu fressen und ist mit der Zeit immer mehr herangewachsen. Er hat schwarze Haare und rote Augen und sieht ansonsten ziemlich blass aus. In seiner wahren Form ist er ein riesiger schwarzer Hund und ich meine wirklich riesig! Bestimmt doppelt so hoch wie die Bäume hier. Und er kann Feuer speien und so ziemlich jede Attacke mit der man ihn angreift steckt er weg wie nix!“ Ohne dass er es merkt, nimmt sein Reden Fahrt auf. „Er hat ein ganzes Menschenheer gefressen und den Nordclan mal so eben um die Hälfte reduziert. Er hat meinen Bruder schwer verletzt und die Fürstin des Nordens fast getötet und wer weiß, was er sonst noch vor hat. Wir können ihn nicht einfach weiter schalten und walten lassen wie er will. Aber wir brauchen eure Hilfe dafür. Vielleicht können wir...“

„Stopp!“, unterbricht die Youkaifrau ihn harsch. Bei Inu Yashas Redeschwall sind ihre Augenbrauen verwundert immer weiter nach oben gewandert und ein irritierter Zug liegt nun auf ihrem Gesicht. Ihre Kiefer mahlen angestrengt hin und her. Dann fällt ihr Blick auf Kagome. „Warum hast du eine Miko mitgebracht?“, fragt sie verächtlich. „Verbündest du dich mit dem Feind, aus Angst wir könnten deiner Geschichte keinen Glauben schenken? Ist es weil du schwach bist, Hanyou?“

Nun zieht sich auch Inu Yashas Miene zu. „Kagome ist kein Feind!“, stell er resolut klar. „Sie ist meine Freundin. Wir haben schon viel zusammen durchgestanden und ich werde jeden in Stücke hacken, der ihr etwas antut. War das deutlich?“ Finster starrt er die Frau an.

Die weißblonde Youkai mustert ihn aus zusammengekniffenen Augen. Dann schließlich gibt sie dem schwarzen Hund hinter ihnen mit einem kurzen Kinnrucken ein Zeichen und sogleich macht dieser noch immer knurrend ein paar Schritte rückwärts.

Kagome atmet erleichtert auf. Sie ist dankbar, dass sie bereits kniet, denn ihre Beine würden sie im Augenblick sicher nicht tragen.

Nun wendet sich die Frau wieder an Inu Yasha. „Niemals zuvor hat einer von den Anderen solange auf unserem Grund und Boden überlebt.“, sagt sie ernst. „Der einzige Grund warum ihr noch lebt ist, dass eure Geschichten überprüft werden muss. So will es das Gesetz.“ Ein scharfer Blick geht in die Runde und nun verstummen die Hunde einer nach dem anderen.

„Ich weiß nicht, wie ich euch beweisen soll, dass es stimmt“, wendet Inu Yasha ein. „Wenn ihr euch den Kerl nicht mit eigenen Augen ansehen wollt, kann ich euch höchstens mein Wort geben.“

„Nicht du entscheidest, ob deine Geschichte stimmt“, entgegnet sie streng. „Sowenig wie ich. Ihr werdet beide mit mir kommen!“

Doch nun tritt der große, schwarze Hund zu ihr hinüber und baut sich vor ihr auf. „Ihr nehmt sie mit?“, fragt er aufgebracht. „Das ist streng verboten, dass wisst Ihr, Kazeba!“

Nun wendet sich die hochgewachsene Youkai zu ihm um und taxiert ihn mit einem stechenden Blick. „Belehre mich nicht!“, sagt sie gefährlich.

„Ich werde das nicht zulassen!“, stellt der große Hund mit einem Grollen klar.

Langsam kommt die Youkaifrau auf ihn zu. „Drohst du mir, Houbou?“, kommt es leise von ihr und in jeder Silbe schwingt unmittelbare Gefahr mit. Jetzt steht sie direkt vor ihm und seine wütend gebleckte Schnauze ist nur noch eine Handbreit von ihr entfernt. Intensiv halten sich die beiden mit ihren Augen gefangen. Dann plötzlich streckt die Youkai eine Hand aus und demonstrativ packt sie einmal kurz und kräftig in das Kinnfell des Dämonenhundes. Und sofort ist der Widerstand gebrochen. Der große Hund senkt ergeben den Kopf und zieht den Schwanz ein, ebenso wie im selben Moment auch die restlichen Hunde.

Ängstliches Fiepen ist zu hören und Inu Yasha spürt, wie ihm augenblicklich ein gruseliger Schauer über den Rücken läuft. Für einen kurzen Moment werden ihm die Knie weich und die Farbe weicht ihm aus dem Gesicht. Und ihm wird bewusst, dass er dieses Gefühl schon einmal erlebt hat. Gestern erst, nämlich als er Katsuken gegenüberstand. Es ist ein Gefühl der völligen Unterlegenheit und es zwingt einen dazu sich dem anderen bedingungslos unterzuordnen.

Allerdings fühlt es sich hier doch ein wenig anders an, doch er kann nicht ganz einordnen inwiefern. Doch weiter kommt er nicht in seinen Gedanken, denn nun wendet sich die Youkai wieder zu ihnen um.

„Ich werde euch nun mit mir nehmen. Wenn ihr auch nur irgendetwas tut was mir verdächtig erscheint, werde ich euch töten!“ Langsam und einvernehmlich nicken Inu Yasha und Kagome. Wie auf ein unsichtbares Zeichen entspannen sich die umstehenden Hunde und tapsen nun gelassen an den beiden vorbei, als wären sie vollkommen uninteressant. Noch einmal richtet sich die Frau an die Dämonenhunde. „Ihr bewacht weiter die Grenze. Vielleicht sind noch mehr von ihnen hier. Lasst niemanden sonst herein! Ich bringe sie zur Zitadelle.“

Ein kurzes Schnaufen ist die Antwort, doch dann trollen sich die riesigen Hunde und sind schon Momente später nicht mehr zu sehen. Ein wenig verlassen kommen sich Inu Yasha und Kagome schon vor, jetzt wo sie ganz alleine mit der Youkaifrau vom Südclan sind. Irgendwie haben sie nicht den Eindruck, als wären sie jetzt weniger in Gefahr.

Nun wendet sich die Dämonin ihnen wieder zu. Ihre Miene ist düster. „Ihr folgt!“, ist das scharfe Kommando, dann stapft sie mit großen, festen Schritten los. Was bleibt Inu Yasha und Kagome anderes übrig als ihr hinterherzugehen, was allerdings gar nicht so einfach ist, da die Frau einen recht forschen Schritt an den Tag legt, trotz des unwegsamen Geländes. Die beiden haben alle Mühe den Anschluss nicht zu verlieren. Schon nach kurzer Zeit ist Kagome gehörig am Schnaufen.

„Würdet Ihr uns sagen wie Ihr heißt?“, versucht Inu Yasha es aufs Neue. Dieser stumme Marschschritt ist nicht sehr nach seinem Geschmack. „Kazaba war es, ja?“

„Ihr nennt mich nicht Kazeba“, sagt die Youkai ohne sich umzudrehen.

Inu Yasha verzieht das Gesicht. Jetzt ist er auch nicht schlauer. „Mein Name ist Inu Yasha und dies ist Kagome“, versucht er das Gespräch fortzuführen, obwohl ihm von dem Gewaltmarsch auch bereits wieder die Muskeln und Knochen schmerzen.

„Du nanntest deinen Namen bereits zweimal“, erwidert sie knapp und ignoriert Kagome dabei vollkommen.

Inu Yasha allerdings nicht. Schon jetzt ist Kagome ziemlich außer Atem und er muss nicht lange überlegen, sondern nimmt sie kurzerhand auf seinen Rücken. Er spürt wie heftig ihr Herz pocht und wie zittrig ihre Arme sich um ihn schließen. Innerlich seufzt er schwer. Warum nur hat er sie mitgenommen? Wieso ist sie nur immer so wild darauf sich in Gefahr zu stürzen? Das hier ist gerade noch mal gut gegangen und sie sind noch lange nicht in Sicherheit.

„Wo bringt Ihr uns hin?“, fragt er erneut.

„Zur Zitadelle“, kommt es gereizt. „Das sagte ich bereits. Du scheinst mir nicht sehr klug, Hanyou.“

Verstimmt zieht Inu Yasha eine Schnute. Muss er sich so etwas sagen lassen? „Und was genau ist die Zitadelle?“, hakt er nach.

„Unsere Heimstatt“, kommt die knappe Antwort.

Inu Yasha verzieht das Gesicht. Das sind ja rosige Aussichten. Scheinbar muss man diesen Youkai alles aus der Nase ziehen.

„Ich wüsste eben gern was uns erwartet“, erklärt er.

„Du wirst es erfahren zu gegebener Zeit.“

„Ich würde mich aber bedeutend wohler fühlen, wenn ich jetzt schon wüsste worauf wir uns einstellen müssen.“

„Du redest zu viel, Hanyou“, stellt sie streng fest. „Und du hast deine Antwort bereits erhalten.“

Inu Yasha seufzt. Das wird vermutlich ein langer Marsch werden. Stoisch folgt er mit Kagome der Inuyoukai und hofft im Stillen, dass er am Ende ihres Weges vielleicht endlich ein paar wirkliche Antworten erhält.

Der Preis

(Ich möchte noch einmal entschuldigen, dass das neue Kapitel so lange gedauert hat. Diesmal ist vieles zusammengekommen. Viele Geburtstage, ein Bänderriss mit vier Wochen Gehumpel und eine Hitze die jede Kreativität abtötet. Aber jetzt geht es weiter. :-) )
 

Als Sesshomaru die Augen aufschlägt, ist das erste was er wahrnimmt, der diesige rötliche Himmel über ihm. Im ersten Moment ist er sich nicht ganz klar wo er sich befindet, doch allmählich dämmert es ihm. Langsam setzt er sich auf und schaut sich um. Ein Stück entfernt von ihm liegt eine bloße Gestalt auf dem Boden und rührt sich nicht. Es dauert ein paar Augenblicke bis er begreift wer diese Person ist.

Nun kommt er wieder auf die Füße und geht zu der Gestalt hinüber. Mit leichtem Unbehagen beugt er sich zu dem jungen Mann vor ihm herunter. Dieser hat die Augen geschlossen und gibt kein Lebenszeichen von sich.

Zunächst zögert der Daiyoukai etwas, doch dann streckt er die Hand aus und streicht eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht des jungen Mannes. Auf seiner Stirn ist jetzt deutlich ein tief blaues Sichelmond-Symbol zu erkennen und Sesshomaru stellt fest wie ihm bei dem Anblick ein wenig mulmig zumute wird. Fast wagt er nicht, den jungen Mann vor sich noch weiter zu berühren. Das Ganze kommt ihm noch immer sehr unwirklich vor.

Er hat es geschafft! Seine Mission war erfolgreich. Nach all der ganzen Anstrengung hat er endlich seinen Sohn wiedergefunden. Was ihn jedoch ein wenig stutzig macht, ist die Tatsache, dass er noch immer weder einen Herzschlag von ihm hört, noch eine Atmung erkennen kann. Und langsam findet sich bei ihm die Erkenntnis ein, dass in diesem Körper kein Leben ist.

Sesshomarus Miene verhärtet sich und seine Stirn legt sich zunehmend in ärgerliche Falten. So war das nicht abgemacht gewesen. Sein Ziel war es, die Seele seines Sohnes ins Leben zurückzuholen, doch dies hier ist kein Leben. Dies ist nur ein Körper.

Seine Miene verfinstert sich zunehmend. Was haben sie sich dabei gedacht? Er erinnert sich noch wage daran, dass er einen stattlichen Preis dafür gezahlt hat, seinen Sohn zurückzuerhalten. Was also ist jetzt mit seiner Seele geschehen? Das ist so nicht hinnehmbar!

Wütend richtet er sich auf. „Ihr habt mich betrogen!“, ruft er grimmig hinaus in die leere Einöde in der er sich nun befindet. „Wir hatten eine Vereinbarung und ihr habt euer Wort nicht gehalten“, schreit er. „Was werdet ihr noch bitterlich bereuen, verlasst euch darauf!“ Zornig fletscht er die Zähne. Allerdings ist es fraglich ob ihn überhaupt jemand gehört hat. Eine Antwort kommt jedenfalls nicht.

Ärgerlich ballt er die Fäuste. Das werden sie ihm büßen, wenn er ihrer jemals habhaft wird! Doch damit ist er der Lösung seines Problems noch keinen Schritt näher. Er wendet sich wieder zu dem nackten Youkai vor sich am Boden um. Unwillkürlich pocht sein Herz schneller in dem Bewusstsein wen er da vor sich hat. Er hält einen Moment inne und überlegt. Womöglich ist es nicht die schlechteste Alternative seinen Sohn momentan in diesem Zustand zu haben. Wäre seine Seele wieder zurück in seinen Körper gekehrt, hätte er womöglich mit den gleichen quälenden Beschränkungen zu kämpfen wie er selbst zum Beginn seiner Reise. Es würde den langen Rückweg womöglich noch unnötig hinauszögern.

Ist es möglich, dass dies Teil des Planes ist? Möglicherweise hat man ihm zunächst den Körper überlassen. Wenn er dann zurück im Diesseits ist, wird Tenseiga nicht länger gebannt sein und er erhält die Macht zurück, die Seele seines Sohnes in seinen Körper zurückzurufen. Das wäre in der Tat eine plausible Erklärung. Das einzige was ihn daran wurmt ist die Tatsache, dass er erst erfahren wird ob dem tatsächlich so ist, wenn er den Rückweg aus der Unterwelt bereits hinter sich hat. Und sollten die Dinge dann doch anders stehen, wird keine weitere Gelegenheit sein, um die Angelegenheit doch noch zu bereinigen. Es wäre also ein großes Risiko was er eingehen müsste und er ist sich noch nicht klar darüber, ob er dazu bereit ist.

Er wägt die Möglichkeiten noch eine Weile ab, doch dann kommt er zu einem Entschluss. Er konnte nun den Körper seines Sohnes erlangen und er besitzt noch immer Tenseiga. Im Grunde steht es außer Frage, dass er, zurück im Diesseits, die Macht haben sollte Tenmarus Seele zurück in seinen Körper zu zwingen.

Und noch eine weitere Sache ist vorteilhaft an Tenmarus Zustand. Der Zeitpunkt an dem er sich seinem Sohn und damit den Verfehlungen aus seiner Vergangenheit stellen muss, wird noch eine Weile hinausgezögert. Sesshomaru kann nicht gerade behaupten, dass es ihm schade darum ist. Schon jetzt weiß er nicht wie er ihm begegnen soll, wenn sie sich einmal lebend wieder treffen. Wie wird der junge Daiyoukai reagieren? Wut, Trauer, Freude? Er kann es überhaupt nicht abschätzen und das bereitet ihm mehr Unbehagen als er zugeben mag. Was soll er ihm sagen? Wie soll er dann reagieren? Es sind keine leichten Fragen. Darum ist es auch nicht verwunderlich wenn er dieser Konfrontation nicht unbedingt mit Freude entgegensieht. Aber zum Glück hat das wohl noch etwas Zeit. Vorher muss er erst mal den Weg zurück ins Diesseits antreten.

Behutsam zieht er den leblosen Körper zu sich hoch und schwingt ihn sich über die Schultern. Er blickt sich kurz um und setzt sich dann in Bewegung. Zunächst sollte er aber wohl erst seinen Vater suchen. Er muss hier irgendwo noch auf ihn warten.
 

Beinah eine Stunde ist vergangen nachdem Sesshomaru durch das Portal getreten war, welches danach gänzlich, ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwunden war. In der Hölle bedeutet Zeit nicht viel und es ist nur all zu leicht hier jegliches Zeitgefühl zu verlieren. Doch wenn man schon eine Weile hier ist, fällt es einem leichter Zeitabstände besser abzuschätzen. Hanaki befindet sich erst ein paar Jahre hier, doch ihr Augenmerk galt schon seit Beginn dem kaum merklichen Verstreichen der Zeit hier.

Es gibt hier weder Tag noch Nacht. Auch keine Jahreszeiten, keine geregelten Abläufe, nichts was man zählen kann. Nicht einmal Herzschläge. Alles hier ist auf Ewigkeit und Unvergänglichkeit ausgelegt, damit die Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit ihre volle Wirkung entfalten können. Ein ewig währender, unveränderbarer, trübsinniger, Seelen zermürbender Status Quo.

Nur sehr selten gestattet sich die Dämonin für einen flüchtigen Moment an ihre erste Zeit hier zurückzudenken. Schuldgefühle und Verlust hätten damals beinahe ihre Seele in Stücke gerissen. Doch mit jedem Tag der verging, jeder weitere Tag an dem nicht das eintraf, was sie am meisten fürchtete, jeder Tag an dem ihr Sohn noch immer nicht seinen Weg hierher gefunden hatte, ließ sie wieder ein klein wenig mehr hoffen. Darauf hoffen, dass der Vater seinen Sohn vielleicht doch nicht töten würde. Dass es ihrem Sohn möglich sein würde, ihren letzten Wunsch zu erfüllen und sich seinem Vater würdig zu erweisen. Die Tatsache, dass Sesshomaru seinen einzigen Sohn am Leben ließ, mochte vielleicht bedeuten, dass er ihrer gemeinsamen Zeit nicht völlig den Rücken gekehrt hatte, dass er sie akzeptierte, und dass er ihr verzieh. Das war die Hoffnung an die sie sich klammerte. Dieser Gedanke ließ sie weiterexistieren.

Es war ihr nicht vergönnt zu wissen was wirklich im Diesseits geschah, doch immer wieder gab sie sich Überlegungen hin, wie das Treffen zwischen Vater und Sohn verlaufen sein mochte und wie es inzwischen um sie stand.

Sie hatte immer gehofft, dass Sesshomaru seinen Sohn doch noch offiziell anerkannt hatte, auch wenn es sehr unwahrscheinlich war. In manchen Gedankenszenarien, hatte Sesshomaru seinen Sohn verstoßen und in manchen hatte Tenmaru seinen Auftrag ignoriert und war geflohen. Doch es war ihr niemals in den Sinn gekommen, dass Tenmaru nur deshalb nach seinem Tod nicht in die Hölle gekommen war, weil er geläutert wurde. In dieser Hinsicht konnte man Sesshomaru wohl keinen Vorwurf machen, dass er versäumt hatte das zu bedenken.

So tat die Hoffnung ihr Übriges. Mit der Zeit die ereignislos verstrich, erlangte sie immer mehr ihre Hoffnung und ihren Willen zu existieren zurück und sie begann die Ereignislosigkeit als angenehm schätzen zu lernen. Sie meldete sich sogar freiwillig dafür Sou'unga gegen ihren fehlgeleiteten Bruder zu verteidigen.

Als sich für diese kurze Zeit das Tor zum Diesseits öffnete und das Schwert herabfiel, da vermochte es allein Inu Taishou die Gelegenheit zu ergreifen um für einen kurzen Moment seine Söhne wiederzusehen.

Was hätte sie nur darum gegeben, dies ebenfalls vermocht zu haben? Wie gerne hätte sie ihn hinterher befragt was er über Sesshomaru sagen konnte, und ob ihr Sohn ebenfalls dort war. Doch sie wagte es nicht. Bisher wusste niemand von ihrer Läison und sie vermochte nicht abzuschätzen was geschehen mochte wenn es bekannt würde. So schwieg sie dazu und litt doch innerlich immer weiter an der Ungewissheit, was aus den beiden wichtigsten Personen in ihrem Leben geworden war.

Noch immer ist es ihr nicht möglich in Worte zu fassen, was in ihr vorging, als sie ihren Liebsten so vollkommen zerrüttet zu ihren Füßen vorgefunden hatte. Überraschung, Angst, Freude, Scham. All das auf einmal. Doch am meisten wog vermutlich in diesem Moment die Wut mit der sie ihren Bruder in nur wenigen Augenblicken so erheblich zurichtete, dass er einmal mehr winselnd das Weite suchen musste. Erst dann war es ihr vergönnt sich um ihren Geliebten zu kümmern. Eine unfassbare Furcht hatte sie überkommen, als sie begriff, wie nah er bereits dem Tode war. Der Gedanke, vielleicht zu spät eingegriffen zu haben, raubte ihr fast die Sinne.

Verzweifelt hatte sie ihn gerüttelt und seinen Namen gerufen und wirklich er kam wieder zu Bewusstsein. Niemals wird sie den Blick vergessen mit dem er sie angesehen hatte. Da war keine Spur mehr von Zorn und Hass. Es war reine Sehnsucht, Schmerz und Leid. Als er sich dann mit solcher verzweifelten Inbrunst an sie klammerte und in ihren Armen zu schluchzen begann, da konnte sie für einen Moment seinen sengenden Schmerz am eigenen Leib spüren und erst da wurde ihr bewusst, dass der Mann vor dessen Hass und Enttäuschung sie sich solange gefürchtet hatte und nach dem sie sich dennoch all die vielen Jahre so brennend verzehrt hatte, jetzt hier bei ihr war und sie mit völliger Hingabe an sich drückte.

Natürlich hatte man ihr zugetragen, wie Sesshomarus Reaktion ausgefallen war auf die Nachricht damals, dass sie ihn nur hatte ausnutzen wollen. Zu wissen, dass er in diesem Glauben mit ihr gebrochen hatte, hatte beinah sie zerbrochen. Jeden Tag war sie ein wenig mehr daran gestorben. Doch sie durfte sich niemals etwas anmerken lassen. Die Hoffnung, er würde ihr jemals verzeihen, schwand mit jedem elenden Tag der verging. Und nun schließlich hier in der Hölle, war sie ihm wieder begegnet. Und obwohl er schwer verwundet war, war seine erste Reaktion ihr gegenüber nicht Hass oder Verachtung. Und das verstörte sie zunächst über alle Maßen, hatte sie doch stets eben damit gerechnet.

Es hatte eine Weile gedauert zu der Erkenntnis zu gelangen, dass er ihr nicht länger feindlich gesonnen war. Doch als er sie dann plötzlich so völlig unvermittelt und inniglich küsste, da wurde ihr schließlich klar, wie es tatsächlich um seine Gefühle zu ihr stand. Diese Erkenntnis warf sie zunächst völlig aus der Bahn und sie benötigte einige Augenblicke um wirklich zu realisieren wie es um sie beide bestellt war. Doch die jahrhundertelange Furcht ließ sich nicht in einem Augenblick vertreiben.

Zaghaft hatte sie versucht einige Worte zu finden, um sich ihm wieder anzunähern, um zu ergründen was seine Sinnesänderung hervorgerufen hatte, und natürlich was aus Tenmaru geworden war. Seinem Bericht entnahm sie, dass einiges bisher geschehen war, was seine Meinung geändert hatte, und sie konnte nicht anders als ihm zugestehen, wie ungemein beeindruckt sie von seiner Fähigkeit war, über sich hinauszuwachsen.

Und wieder war da dieses machtvolle Gefühl in ihr aufgeflammt, was sie schon damals in seiner Nähe verspürt hatte. In seinem Wesen lag eine Würde und Souveränität, die sie unweigerlich anzog. Es war eine Unverfälschtheit und Klarheit unter der sie sich immer wieder klein und unscheinbar vorgekommen war, und allein die Vorstellung, dass dieser Mann ein ehrliches Interesse an ihrer Person zeigte, hob ihr Selbstwertgefühl auf eine Stufe in der sie es wagte sich ihm vollends zum Geschenk zu machen und doch nichts dabei zu verlieren.

Als jedoch die Rede auf Tenmaru kam und sie nun zum ersten Mal vernahm was aus ihm geworden war, war es ihr schlagartig, als hätte man ihr jeglichen Boden unter den Füßen weggezogen. Diese Neuigkeit kam so unerwartet, dass sie einen Moment benötigte um sich wieder zu fassen. Sie wollte es nicht glauben, doch als sie erfuhr wie dies geschehen konnte, zwang sie sich zumindest noch nach außen hin die Fassade zu wahren. Darin war sie all die Jahre sehr geübt gewesen.

Sie hatte niemals Mutter sein dürfen. Sie hatte ihren Sohn nie halten, küssen oder nur trösten können. Sie durfte ihm keinen Mut zusprechen, und hatte ihn nicht bevorzugen dürfen. Und das obwohl sie sah wie sehr er unter der Situation im Streunerrudel litt. Bis heute ist sie sich nicht ganz klar, wie sie es fertig gebracht hat, all diese quälenden Jahre zu überstehen. Doch eines weiß sie mit Sicherheit, ohne ihren General Yaeba, wären sie beide schon nach kürzester Zeit daran zugrunde gegangen. Sie verdankt ihm unendlich viel, und es schmerzt sie ehrlich, dass sie ihm seinen einzigen Wunsch wohl niemals erfüllen kann. Denn ihr Herz gehört unumstößlich einer einzigen Person. Und er ist es nicht.

Die jahrelange Übung ermöglichte es ihr, ihre Erschütterung unter ein wenig Geplänkel zu verstecken. Dabei diente ihr das Schicksal ihres vermaledeiten Bruders als willkommene Ablenkung. Jedoch nur solange bis Tenmarus Name wieder fiel. Es überrascht sie selbst wie schwer es ihr fällt diesen Namen auch nur auszusprechen. Als sie dann hörte was der eigentliche Grund für Sesshomarus Aufenthalt hier in der Hölle ist, konnte sie es nach all der langen Zeit zunächst gar nicht glauben. Erst als Sesshomaru sie darauf hinwies, wann sie die Worte des Bedenkens, die sie äußerte, schon einmal gebraucht hatte, wurde ihr schlagartig die Realität der Sachlage klar.

Ja, sie hat ihn schon einmal so ungläubig angesehen. An dem einen entscheidenden Tag der ihr ganzes weiteres Leben bestimmt hat. Der Tag an dem sie abgelehnt hat, seine Frau zu werden, obwohl alles in ihr danach geschrien hat. Als sie nun seinen Blick sah, wurde ihr zum ersten Mal klar, wie furchtbar tief sie ihn damals damit verletzt hatte. Vor Scham hätte sie am liebsten vergehen mögen. Ihr Herz schmerzte so sehr bei dem Gedanken, dass sie kaum mehr als eine schwache Entschuldigung hervorbrachte.

Doch die Selbstvorwürfe bekamen keine Gelegenheit mehr, sie zugrunde zu richten, denn dann war er plötzlich bei ihr. Er berührte sie, hielt sie fest, blickte sie an mit diesem Blick der ihr all das verzieh und er fragte sie noch einmal. Und endlich konnte sie ihm die Antwort geben, die sie schon immer für ihn bereithielt. Endlich ist ihr vergeben worden, und endlich kehrt in ihrem Herzen, nach Jahrhunderten voller Leid, wieder Ruhe ein.

So ungewohnt war dieses Gefühl für sie, dass sie ihm erst einmal Raum schaffen musste, indem sie das Thema wieder auf praktische Dinge lenkte. Tenmarus Rettung, der Hohe Rat, das alles verschaffte ihr Zeit, ihre Gedanken zu ordnen. Und schließlich steht sie nun hier, hier auf einer weiten, verlassenen Ebene. Hinter ihr befindet sich der Un-Wald. Neben ihr steht Inu Taishou, ihr zukünftiger Schwiegervater und achtet nicht weiter auf sie. Sein Blick streift unermüdlich über den Horizont.

Es bereitet ihr zunehmend Unbehagen, dass er sie ignoriert, zumal sie bisher noch keinen Hinweis erhalten hat, ob er ihre Verbindung zu seinem Sohn billigt oder nicht. Diese Ungewissheit wird immer unerträglicher je länger sie ihn beobachtet, bis sie es schließlich wagt und sittsam an ihn herantritt.

„Darf ich Euch eine Frage stellen, Inu Taishou-sama?“

Der Angesprochene wendet sich nun ihr zu und bedenkt sie mit einem abwartenden Blick.

Sie fasst sich ein Herz und bringt ihr Anliegen vor. „Glaubt Ihr Sesshomaru wird mit seinem Vorhaben Erfolg haben?“

Inu Taishou wägt einen Moment seine Antwort ab, dann sagt er: „Mein Sohn war schon immer sehr beharrlich. Ich bin sicher, er wird nichts unversucht lassen um zu erreichen was er sich vorgenommen hat.“

Sie senkt den Kopf und schweigt verhalten.

„Aber war das wirklich die Antwort, die du dir erhofft hast?“, fügt Inu Taishou nun noch hinzu.

„Nein, Herr“, gibt sie ein wenig kleinlaut zu. Sie ringt um die passenden Worte.

Inu Taishou kommt ihr zu Hilfe. Ernst blickt er sie an. „Sei unbesorgt! Was zwischen dir und meinem Sohn vorgefallen ist, oder noch geschehen wird, ist nichts, worauf ich in irgendeiner Form Einfluss nehmen will, oder werde. Sesshomaru ist inzwischen erwachsen genug, um seine eigenen Entscheidungen zu treffen... oder Fehler zu machen“, fügt er etwas leiser noch hinzu.

Wieder zögert sie einen Moment, doch dann will sie diese Antwort nicht auf sich beruhen lassen. „Ihr haltet das was zwischen uns ist für einen Fehler?“

Einen langen Moment schweigt der alte Daiyoukai. Dann blickt er wieder auf. Eine Spur von Betrübnis liegt nun in seinen Augen. „Hanaki-sama“, sagt er bedächtig, „Du bist eine unvergleichbare Frau und mein Sohn hat in der Wahl seiner Partnerin einen vortrefflichen Geschmack bewiesen. Doch wenn für Unsereins die Liebe Erfüllung wäre, dann wäre nicht die Hölle nach dem Tod unser Ziel.“

Sie hält seinem Blick nicht lange stand. Sittsam senkt sie nun den Kopf und es fällt ihr schwer dabei nicht zu schlucken um den beängstigenden Worten Rechnung zu tragen. Würden diese Worte von jemand anderem als dem Inu Taishou kommen, hätte sie ihnen wohl kaum Bedeutung beigemessen. Doch auch sie kennt die Geschichte und wer, wenn nicht Er, weiß in dieser Sache genau, wovon er redet?

Dennoch wagt sie eine weitere Rückfrage. „Aber...ist es das denn nicht wert?“

Nun erscheint ein kaum sichtbares Lächeln um seine Lippen. „Doch, Kind, das ist es.“ Er atmet einmal durch. „Aber um die Harmonie zu wahren, hat alles Schöne auch seinen Preis.“

Nun kann Hanaki die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht mehr verbergen. „Uns trennten mehr als zwei Jahrhunderte Hass und Schuld. Ich denke wir haben für die wenigen Tage, die wir hatten, mehr als genug bezahlt.“

„Nur ist es nicht an euch das zu entscheiden“, gibt Inu Taishou zu bedenken, und dann richtet sich sein Blick wieder auf den Horizont.

Und als Hanaki seinem Blick folgt, erkennt auch sie nun in weiter Ferne eine Gestalt die allmählich näher kommt. Hätte sie ein lebendiges Herz, würde es nun höher schlagen, denn auch noch aus dieser Entfernung kann sie erkennen wer es ist... und wen er dabeihat. Mit aller Selbstbeherrschung unterwirft sie ihre Füße ihrer Kontrolle, sonst würden sie den beiden dort hinten sogleich entgegenstürmen, doch sie möchte nicht den Eindruck erwecken, ungehalten zu sein. So harrt sie tapfer wenn auch höchst ungeduldig aus, bis die ihr vertraute Person mit der kostbaren Fracht auf ihren Schultern bis zu ihnen herangekommen ist.

Innerlich ist sie jedoch sehr aufgewühlt. Alles was sie erkennen kann ist, dass Sesshomaru den leblosen Körper von Tenmaru mit sich trägt, jedoch nimmt sie noch immer nur einen einzigen Herzschlag wahr. Ihre Finger beginnen unwillkürlich zu zittern, und ihre Lippen sind mühsam zusammengepresst, doch mit größter Selbstkontrolle bringt sie es fertig, wie erstarrt stehen zu bleiben und mit aufgerissenen Augen den beiden Neuankömmlingen entgegenzusehen. Vielleicht lassen sich schlechte Neuigkeiten dadurch ein wenig hinauszögern, und sei es nur um ein paar hoffnungsvolle Augenblicke.

Nun dauert es nur noch wenige Schritte bis Sesshomaru sie erreicht hat. Doch er würdigt Hanaki keines Blickes und bleibt schließlich vor seinem Vater stehen. Seine Miene ist reglos.

„Wie ich sehe, hast du zumindest teilweise Erfolg gehabt“, bricht Inu Taishou als erster das Schweigen.

„Sie haben mir seinen Körper überlassen. Seine Seele werde ich einfordern, sobald ich die Unterwelt verlassen habe.“ Sesshomarus Stimme klingt ein wenig gefrustet.

„Also hattest du wirklich Erfolg“, stellt Inu Taishou anerkennend fest.

„Ja“, nickt Sesshomaru knapp, doch er beißt dabei unzufrieden die Kiefer aufeinander.

„Dich bekümmert noch immer etwas?“, hakt Inu Taishou nach.

„Ich habe keine Gewissheit, dass seine Seele zum rechten Zeitpunkt freigegeben wird“, erklärt Sesshomaru verstimmt. „Ich setze das Schicksal meines Reiches sehr ungern dieser Willkür aus.“

Nun kann Hanaki sich nicht länger zurückhalten. Ein wenig befangen tritt sie an Sesshomaru heran. „Unter den gegebenen Umständen war dies vermutlich das beste Ergebnis, das möglich war. Doch ich habe nichts anderes von dir erwartet.“ Sie muss sich sehr zusammenreißen damit ihr die Stimme dabei nicht wegbricht. So aufgeregt ist sie.

Nun wendet ihr Sesshomaru langsam den Kopf zu. Seine Miene ist kühl und seine Lippen werden schmal. Unwillkürlich erstarrt sie unter diesem Blick.

„Wenn ich Wert auf deine Meinung lege, lasse ich es dich wissen“, sagt er ungerührt.

Hanaki spürt wie ihr die Farbe aus dem Gesicht weicht bei diesen Worten. Sie atmet einmal beherrscht durch. „Ich wollte dich lediglich wissen lassen, dass ich die ganze Zeit daran geglaubt habe, dass du es schaffen wirst.“

„Hätte es jemals Zweifel daran gegeben, wäre ich jetzt sicher nicht hier“, kommt Sesshomarus gereizte Antwort.

Hanakis Blick wird etwas milder und sanft legt sie ihre Hand auf seinen Arm. „Ich verstehe, dass du aufgebracht bist, weil es nicht ganz so gelaufen ist, wie du es dir erhofft hast, aber du kannst doch immer noch...“

Doch jetzt zieht sich Sesshomarus Miene deutlich zu und unwirsch stößt er ihre Hand von sich. „Du hast mich nicht zu duzen, wenn du mit mir sprichst! Und im Übrigen verbitte ich mir derartige Zutraulichkeiten. Mach dir besser klar mit wem du du es hier zu tun hast, wenn deine Existenz dir noch irgendetwas bedeutet. War das deutlich?“

Mit weit aufgerissenen Augen und erbleichenden Wangen starrt die Daiyoukai ihn an. Sie sieht aus als hätte man sie geschlagen und es macht fast den Eindruck als würden ihr gleich die Knie wegsacken. Doch sie steht nur schweigend da und bringt keinen Ton heraus. Ihr Gesicht ist leichenblass während die Augen des Westfürstens noch immer wütend zu ihr hinüber funkeln.

„Sesshomaru?“, meldet sich nun Inu Taishou leise zu Wort.

„Was wollt Ihr, Chichi-ue?“, gibt dieser unwirsch Antwort.

„Verrätst du mir was der Preis war, den du für Tenmarus Freiheit zahlen musstest?“

Der Daiyoukai hält kurz inne und zum ersten Mal kann man leichte Verwirrung in seinem Gesicht feststellen. Er überlegt eine ganze Weile. Dann meint er unwillig: „Ich kann mich nicht entsinnen. Womöglich ist es auch nicht vorgesehen, dass ich mich erinnere. Doch ich habe nicht den Eindruck, dass mir irgendetwas Eklatantes fehlt. Somit wird es sicher erträglich sein, sich mit dem Verlust abzufinden.“

Inu Taishous Blick geht jetzt von seinem Sohn hinüber zu der jungen Daiyoukai und mit jedem von Sesshomarus Worten bekommt er immer mehr den Eindruck, dass die junge Frau jeden Augenblick zusammenbrechen wird, auch wenn sie stoisch bemüht ist, es sich nicht anmerken zu lassen.

„Sag mir“, ergreift er noch einmal das Wort. „Kannst du mir den Namen dieser Frau dort nennen?“ Es gilt eine These zu überprüfen.

Gleichgültig wandert Sesshomarus Blick noch einmal zu Hanaki hinüber. „Nein“, schüttelt er leicht den Kopf. „Sie ist mir gänzlich unbekannt. Weshalb fragt Ihr? Sollte ich sie kennen?“ Die Frage seines Vaters hat ihn nun doch aufhorchen lassen.

„Nun, das möchte ich meinen“, gibt Inu Taishou schlicht zurück. „Schließlich ist sie die Mutter deines Sohnes.“

Nun weiten sich Sesshomarus Augen doch ungläubig. Unwillkürlich geht sein Blick zu Hanaki die noch immer neben ihm steht und verzweifelt um ihre Beherrschung ringt. Mit aller Gewalt zwingt sich ihrem Gesicht eine reglose Miene auf. Wem wäre geholfen, wenn sie sich jetzt als schluchzendes Häuflein Elend präsentieren würde, selbst wenn ihr danach zumute sein sollte? Dennoch kann sie es nicht verhindern, dass ihr eine Träne aus dem Augenwinkel rinnt über ihre Wange hinabläuft und schließlich von ihrem leicht bebenden Kinn tropft.

Einen schrecklich langen Moment betrachtet der junge Westfürst sie aufmerksam und eingehend. Dann wendet er den Blick wieder seinem Vater zu. „Sei es drum“, sagt er in diplomatischem Tonfall. „Für meine Reise macht es keinen Unterschied. Ich kam um meinen Sohn zu holen, nichts weiter. Und da ich Erfolg hatte, ist es jetzt an der Zeit mich auf den Rückweg zu machen.“ Jetzt wendet er sich doch noch einmal Hanaki zu. Diesmal ist sein Tonfall ein wenig höflicher. „Den Worten meines Vaters entnehme ich, dass der Preis für Tenmarus Befreiung offenbar die Erinnerung an Euch war. Ich kann nicht abwägen ob dies mit einem irgendwie gearteten Verlust in Verbindung steht, jedoch möchte ich Euch an dieser Stelle den angebrachten Respekt erweisen und Euch danken, für das was es möglich machte, meinen Sohn auszulösen.“

Hanaki ringt um Luft, doch sie bringt kaum einen Ton heraus. Noch einmal zwingt sie ein wenig Atem in ihre Lungen. Als sie spricht ist ihre Stimme kaum zu hören. „Ihr bedankt Euch dafür... mich vergessen zu haben?“

„Wenn Ihr es so ausdrücken wollt?“, gibt Sesshomaru ungerührt zurück. „Anderenfalls hätte ich meinen Sohn wohl nicht befreien können. Seid Euch also meiner Wertschätzung gewiss.“

„Eurer Wertschätzung...“, haucht Hanaki tonlos.

„Zumindest dies sollte, ich Euch wohl schuldig sein“, ergänzt Sesshomaru sachlich. „Unter den gegebenen Umständen seid Ihr vermutlich gut beraten es damit bewenden zu lassen.“

Hanaki sieht ihm ins Gesicht, jedoch ihr Blick dringt durch ihn hindurch und verliert sich in weiter Ferne. „Ja... ich verstehe“, murmelt sie kraftlos. „Eure Hochachtung bedeutet mir viel. Habt Dank für Eure großzügige Ehrerbietung.“

Sesshomaru nickt einmal kurz zustimmend, dann will er sich wieder zu seinem Vater umwenden.

„Gestattet mir nur...“, hält ihn ihre verzweifelte Stimme noch einmal zurück, „nur einmal. Darf ich... ihn einmal noch sehen?“ Ihre sehnsüchtigen Augen hängen am Gesicht ihres Sohnes.

Der Daiyoukai zögert kurz, doch dann lässt er Tenmaru behutsam von seiner Schulter gleiten. Anmutig springt Hanaki herbei und kniet nun neben dem leblosen Körper ihres Sohnes am Boden. Mit zitternden Fingern beugt sie sich über ihn und streicht ihm nun sanft über das Gesicht. Ein Schluchzen entfährt ihr. Sie kann sich nicht helfen, doch ihr ganzer Körper wird nun von unkontrollierbarer Trauer geschüttelt. Doch kein Laut kommt mehr über ihre Lippen. So wiegt sie sich nur still vor und zurück und streicht dabei mit zittrigen Fingern über das Gesicht ihres Kindes.

Inu Taishou ist nun an Sesshomaru herangetreten. Seine Miene ist steinern. „Du solltest gut auf deinen Sohn achten“, raunt er ihm bedächtig zu. „Der Preis ihn zu erringen, war unbezahlbar.“

Sesshomarus Augen werden schmal, während er Hanaki und Tenmaru beobachtet. „Wenn Ihr meint“, gibt er ungerührt zurück. „Doch seid unbesorgt, ich gedenke nicht ihn leichtfertig wieder der Vernichtung preiszugeben. Auch mir ist er... wichtig.“ Der Daiyoukai wendet den Blick ab. In seinen Augen liegt nun grimmige Entschlossenheit. „Es wird Zeit zurückzukehren.“

Er atmet einmal kaum merklich durch, dann hebt er den Kopf und geht wieder zu Hanaki hinüber. „Ich werde ihn jetzt mit mir nehmen“, verkündet er, jedoch seine Stimme klingt nun ein wenig milder als bisher.

Keine Reaktion kommt von der Daiyoukai. Sie kniet völlig regungslos da und blickt mit trüber Miene zu Boden. Dann schließlich sagt sie: „Ja... Ich wünsche Euch Erfolg... mein Fürst. Habt bitte Nachsicht mit mir, dass ich Euch nun nicht weiter begleite.“

„Ich akzeptiere Euren Entschluss“, erwidert Sesshomaru förmlich. „Unter diesen Umständen ist die Entscheidung nachvollziehbar.“

Leicht schwankend kommt die Dämonin nun wieder auf die Füße. Sie sieht ihm nicht ins Gesicht, doch sie verneigt sich züchtig vor ihm. „Lebt wohl, mein Fürst!“

Nun bückt sich Sesshomaru und zieht Tenmarus Körper wieder auf seine Schultern.

Noch einmal verneigt sich Hanaki respektvoll vor ihm, dann wendet sie sich um und geht würdevoll in die entgegengesetzte Richtung davon.

Inu Taishou blickt ihr noch einen Moment lang hinterher. Dann winkt er Sesshomaru heran. „Komm, mein Sohn. Wir sollten ebenfalls keine Zeit mehr verschwenden. Der Weg zum Höllentor ist lang. Ich werde dich noch eine Weile begleiten.“

Sesshomaru schließt zu ihm auf. „Das ist nicht nötig, Chichi-ue“, sagt er reserviert. „Ich bin durchaus in der Lage meinen Weg zurück ins Diesseits allein zu bewältigen.“

„Dessen bin ich mir wohl bewusst, mein Sohn“, antwortet Inu Taishou. „Sagen wir einfach, es ist mir ein... persönliches Anliegen.“

„Wie es Euch beliebt“, lenkt Sesshomaru schließlich ein.

In diesem Moment ist aus der Ferne der kurze, inbrünstige Schrei einer schrillen Frauenstimme zu vernehmen. Es klingt als ersticke jemand.

Sesshomaru bleibt stehen und blickt mit gekräuselter Stirn zurück. „Kann es sein, dass sie Unterstützung benötigt?“, fragt er abschätzend seinen Vater.

Inu Taishou mustert seinen Sohn einen Moment, dann sagt er bestimmt: „Nein, vermutlich keine, die wir ihr geben könnten.“ Wieder winkt er ihm. „Komm! Die Not die sie leidet, kann nicht länger durch unsere Anwesenheit gelindert werden.“

Ein kurzes Nicken ist Sesshomarus Antwort. Dann wendet er sich wieder um und setzt seinen Weg zusammen mit seinem Vater fort, ohne sich noch ein einziges Mal umzusehen bis sich wieder trübsinnige Stille über die Ebene legt.
 

- - -
 

Mit missmutiger Miene schreitet Katsuken über die grasbewachsene Wiese vor dem niedergebrannten Dorf. Immer wieder geht sein rastloser Blick zum südlichen Horizont immer in der Hoffnung jeden Moment seine Untergebene auftauchen zu sehen, doch jedes Mal wenn er hinsieht, werden seine Erwartung enttäuscht. Und mit jedem Mal sinkt seine Laune weiter ins Bodenlose. Warum nur hat er ihr einen ganzen Tag zugestanden? Zu dem Zeitpunk war ihm nicht bewusst gewesen wie nervenaufreibend Warten sein konnte.

Er ist schon lange nicht mehr gezwungen gewesen seine Aktivitäten an den Zeitplan eines anderen Lebewesens anzupassen. Und dass gerade jetzt keine Spur von ihr zu entdecken ist, lässt diesen Umstand nicht gerade erträglicher werden. Im Gegenteil. Immer wieder kreisen seine Gedanken darum was er mit ihr anstellen wird, wenn sie sich auch nur um einen Moment verspätet. Wenn sie bei Sonnenuntergang nicht zurück ist, wird sie sich von einigen ihrer Gliedmaßen verabschieden dürfen. Vorausgesetzt sie taucht überhaupt wieder auf.

Er ist sich etwas unschlüssig ob er das dann als gut oder schlecht ansehen sollte. Einerseits hat sie ihm Gefolgschaft geschworen und es wäre äußerst unvorteilhaft für seinen Ruf wenn er eine Gehorsamsverweigerung ungesühnt lassen würde. Allerdings wäre er dann genötigt sie suchen zu gehen und er verspürt wenig Lust dazu seine Pläne zu verschieben nur um eine dahergelaufenen, kleinen Youkai zu suchen, die sich bisher allenfalls als dürftig nützlich erwiesen hat. Mal abgesehen davon, dass es noch immer an seinem Stolz nagt, dass er sie bisher nicht töten konnte, ist sie zudem noch eine vorlaute Nervensäge. Vielleicht wäre es wirklich das Beste wenn sie nie wieder auftaucht.

Und dennoch ist ihm klar, dass er die Sache damit höchstwahrscheinlich nicht bewenden lassen wird. Niemand widersetzt sich ungestraft seinen Anweisungen. Und überdies wäre dann die Energie dieser Inuyoukai für immer für ihn verloren, was äußerst ärgerlich wäre.

Grimmig verzieht er das Gesicht. Der rasende Hunger den er empfindet, trägt nicht dazu bei seine Laune zu heben. Ein weiteres Mal verflucht er innerlich hingebungsvoll den Hanyou dessen Schwert ihm ein Stück seines Magens geraubt hat. Wäre dem nicht so, könnte er sich zumindest behelfsmäßig an den umher liegenden Leichen hier gütlich tun, auch wenn menschliche Energien inzwischen bei seinem Bedarf kaum mehr ins Gewicht fallen.

Das schmerzhafte Nagen in seinen Eingeweiden macht ihn zunehmend aggressiv. Er hat einfach über die Jahre viel zu viel seiner Energie aufgebraucht um in diesem elenden Vulkan überleben zu können. Und allmählich beschleicht ihn die Ahnung, dass es doch eine sehr viel längere Zeit war als zunächst angenommen. Es ist kaum vorstellbar wie sehr ihn die Zeit in dieser Ausnahmesituation ausgelaugt hat.

Ehe er nicht mindestens so viel Energie wieder aufgenommen hat wie er verloren hat, wird dieses schneidende Hungergefühl nicht verschwinden, das ist ihm bewusst. Eigentlich kann es nicht mehr viel sein, doch gerade jetzt ist es ihm verwehrt weiter zu sammeln und das macht ihn wütend. Er kann nur hoffen, dass der Lurch wirklich eine Möglichkeit kennt, ihm die Energie der verstorbenen Hundekrieger zu bringen. Und wieder drängt sich der Gedanke auf, dass sie nur eine Gelegenheit sucht um ihm zu entfliehen.

Andererseits hätte sie ja gar nicht erst mit ihm kommen müssen. Sie hat sich ihm ja praktisch aufgedrängt und wieder fragt er sich warum er das überhaupt zugelassen hat. War es aus Bequemlichkeit? Immerhin ist es angenehm jemanden zu haben der einem jeden Wunsch erfüllen muss. Aber wenn er sich schon Untergebene zulegt, warum gerade sie? Sie ist nichts besonderes. Sie ist nur eine gewöhnliche Youkai und ihre Kräfte sind einfach erbärmlich gering im Vergleich zu seinen.

Vielleicht weil sie sich ihm geradezu aufgedrängt hat? Loyalität ist eine nicht zu unterschätzende Qualität. Doch wie groß ist ihre Treue wirklich? Und was verspricht sie sich davon? Ihm wird bewusst, dass er die Beweggründe dieser Frau in keiner Weise nachvollziehen kann. Doch letztlich sind die Gründe auch irrelevant. Er muss nur sicherstellen, dass sie es tut; er muss nicht wissen warum sie es tut. Das würde schließlich bedeuten, dass es ihn irgendwie interessierte was in anderen Lebewesen vor sich geht. Es genügt ihm schon, dass er erkennt wer ehrlich zu ihm ist und wer beabsichtigt ihn zu hintergehen.

Missmutig marschiert er auf der großen Wiese auf und ab. Warum nur braucht sie so lange? Man sieht ja wohin es führt wenn er zu lange warten muss. Er beginnt über Dinge nachzudenken, mit denen er sich eigentlich nicht befassen will. Da hat er dann schon lieber einen Gesprächspartner. Sinnlose Grübelei oder gar Gewissensfragen sind nur lästig. Zum Beispiel warum er es vorzieht nicht mehr in die Hütte des Mönchs zurückzukehren. Der zunehmende Verwesungsgestank setzt seiner empfindlichen Nase unangenehm zu. Und irgendwie verspürt er einen körperlichen Widerwillen die beiden Leichen anzufassen und beiseite zu schaffen. Vielleicht hätte er den Burschen doch am Leben lassen sollen. Dann könnte er jetzt diese Aufgabe übernehmen und die Wartezeit bis die Salamanderfrau zurück ist, wäre nicht so entsetzlich zähflüssig.

Doch leider war der Knabe einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Und außerdem war er viel zu vertrauensselig. Noch einmal spürt er die dünnen, zittrigen Ärmchen um seinen Hals und Abscheu überfällt ihn. Ein Mensch hat ihn berührt. Freiwillig! Und noch dazu auf so eine zutrauliche Art.

Du bist doch nett! Das hatte er gesagt. Es schüttelt ihn schon wenn er nur an diese Worte zurückdenkt. Wie kann auch nur irgendjemand der ihm begegnet auf die Idee kommen er sei nett? Besonders nachdem er gesehen hat wozu er im Stande ist. Er ist nicht nett! Ganz sicher nicht! Und vermutlich wird es Zeit das der Welt zu beweisen.

Hart beißt er die Kiefer aufeinander. Wo bleibt sie nur? Die Sonne beginnt sich schon zu neigen und noch immer ist keine Spur von ihr zu sehen. Ob er sie doch suchen soll? Aber das würde nur noch mal seine Abhängigkeit von ihr unterstreichen und das käme einem erneuten Gesichtsverlust gleich. Das wäre ja noch schöner! Man hat gefälligst zu ihm zu kommen, nicht umgekehrt.

Da plötzlich entdeckt er am Horizont, knapp oberhalb der untergehenden Sonne einen fahlen Lichtstreifen am Himmel der sich in gleitenden Wellenbewegungen auf ihn zu bewegt. Sein Gesicht glättet sich merklich. Da ist sie ja! Sie ist also doch zurückgekommen. Scheinbar gibt es an ihrer Loyalität doch nichts zu beanstanden.

Je näher sie kommt, desto deutlicher fällt auf wie schwerfällig die Bewegungen des weißen Salamanders am Himmel erscheinen. Offenbar mobilisiert sie gerade ihre letzten Kräfte um den letzten Abschnitt zwischen sich und ihm zu überwinden.

Katsuken nimmt es schweigend zur Kenntnis, doch er rührt sich nicht vom Fleck. Stattdessen beobachtet er aus schmalen Augen wie sie näher kommt. Immer wieder läuft ein schauerliches Zittern über ihren Körper und bei näherer Betrachtung erkennt man, dass die geschmeidige, weiße Gestalt aus allen Körperöffnungen blutet. Nur noch wenige Schritte und schließlich hat sie ihn erreicht. Erschöpft fällt der weiß schimmernde Körper direkt vor seinen Füßen zu Boden. Ein schauriges Röcheln dringt aus ihrer Kehle und sie ist kaum in der Lage den Kopf zu heben. Ihre Bewegungen sind zittrig und jeder Versuch sich hoch zu stemmen misslingt.

Katsuken rührt keinen Muskel. Verächtlich blickt er auf sie herab. „Warum hat das so lange gedauert?“, fragt er ungnädig. „Meinst du ich kann nichts besseres mit meiner Zeit anfangen als auf dich zu warten?“

Schwerfällig hebt die Salamanderfrau den Kopf. „Ihr... habt Recht. Vergebt mir, Nushi!“, keucht sie mühsam. „Aber ich bringe Euch die Energie die ihr wolltet.“ Ein schwaches Lächeln huscht über ihr Gesicht und verfliegt sogleich wieder.

„Alle?“, hakt Katsuken kurz angebunden nach.

„Ja, Nushi. Alle Energie die zu finden war.“

Zynisch blickt er auf sie herab. „Das ist bereits wieder eine Einschränkung, du unfähiges Weib!“

„Ich habe die Energie jedes Kriegers gesammelt der dort war“, setzt sie schwach nach. Dabei tropft ihr Blut aus Mund und Ohren und aus ihren Augenwinkeln läuft ein blutiges Rinnsal.

„Das will ich dir auch geraten haben“, entgegne Katsuken kühl. „Und jetzt solltest du sie vielleicht mal an mich übergeben, denn so wie es aussieht, ist dein erbärmlicher Körper wohl kaum in der Lage diese Energiemengen weiter in sich zu halten. Wenn es dich deshalb zerreißt, verflüchtigt sich die Energie und ich werde sie niemals mehr nutzen können. Und das werde ich dann nicht mehr verzeihen. Dann werde ich dich tatsächlich töten. Verlass dich drauf!“

„Ich verstehe, Nushi!“, keucht sie. Dann schließt sie kurz die Augen und für einen Moment scheint sie sich zu konzentrieren. Der hintere Teil ihres Schwanzes beginnt nun immer stärker rötlich zu schimmern und schließlich ist eine haarfeine, goldene Linie zu erkennen, die sich einmal rings um ihren Schwanz zieht. Das Glimmen dieser Linie wird immer greller und mit einem Mal lodert dieses Licht für einen kurzen Moment auf und plötzlich fällt das hintere Ende des Lurchschwanzes abgetrennt zu Boden. Rot leuchtend ringelt es sich am Boden während jetzt der Rest der hellen Gestalt weiter zusammenschrumpft und wieder menschliche Züge annimmt, bis wieder die junge Frau dort am Boden liegt und zittrig versucht zu Atem zu kommen.

Katsuken hat das Geschehen schweigend beobachtet. Dann sagt er gehässig: „Du hast den Teil mit der Energie abgetrennt um dein Leben zu retten. Wirklich raffiniert, doch ich frage dich wie das mir weiter hilft. Ich kann ihn nicht essen, oder hast du das auch schon wieder vergessen, du dummes Ding?“

Unter Mühen richtet sich Hinosei etwas auf und mit zittrigen Gliedern kriecht sie zu ihrem noch immer sich ringelnden Schwanzteil hinüber. „Ich habe es... nicht vergessen, Nushi“, erwidert sie kraftlos. „Ihr sollt Eure Energie bekommen.“ Mit diesen Worten legt sich ihre Hand auf das zuckende Körperteil und nur wenige Augenblicke später scheint es einfach dahin zu schmelzen und hinterlässt eine dichte, rötliche Wolke aufgestauter Energie. Dicht unter ihrer ausgestreckten, zittrigen Hand hängt das wabernde Gebilde aus rotem Dunst und sie muss alle Konzentration aufbringen damit es sich nicht verflüchtigt.

Mit verbissener Miene hebt sie den Kopf. Dann streckt sie ihre andere Hand ihm entgegen und blickt ihn flehentlich an. „Ihr müsst...näher kommen, Nushi!“, keucht sie angestrengt.

Düster mustert Katsuken sie. „Erdreistest du dir schon, mir Befehle zu erteilen?“, knurrt er verärgert. „Dir sollte klar, sein, dass nicht ich es bin, der gehorchen muss. Man kommt zu mir, nicht andersherum.“ Missgünstig beobachtet er wie sie weiterhin verzweifelt ihre blasse, schlanke Hand nach ihm ausstreckt. Einmal mehr bemüht sie sich darum auf die Füße zu kommen, doch wieder gelingt es ihr nicht. Ihr Arm sinkt immer schwerer herab und in ihrer Miene spiegelt sich Verzweiflung nieder.

Was für eine erbärmliche Kreatur!, grollt er bei sich. Diese Energiemengen sind wohl wirklich zu viel für sie. Sie kann ja nicht einmal mehr stehen. Es sind nur zwei Schritte, die sie von ihm entfernt ist. Tatsächlich keine Entfernung und nicht einmal das bringt sie zustande. Eigentlich sollte er aus Prinzip nicht genötigt sein, seinen Untergebenen in irgendeiner Art zuzuarbeiten, doch das könnte diesmal bedeuten, dass sie die kostbaren Energien vielleicht wirklich nicht mehr halten kann und sie sich endgültig verflüchtigen. Was immer er ihr daraufhin als Strafe antun wird, kann in keiner Weise den Verlust ersetzen. Es bleibt ihm also wohl nichts anderes übrig, als dieses Mal ein Einsehen zu haben und ihr ein Stück entgegen zu kommen.

Erhobenen Hauptes tritt er die zwei Schritte an sie heran, direkt in ihren Tastbereich. „Das wird ein Nachspiel haben, du Wurm!“, funkelt er böse. „Erwarte nicht, dass ich deine Unzulänglichkeit noch einmal kompensiere!“

„Bestimmt nicht, Nushi!“, keucht sie kraftlos. Dann setzt ihre blasse Hand auf seiner Brust auf, schiebt sich unter sein Gewand und bleibt bebend vor Anstrengung auf seiner Haut liegen. Für einen Moment empfindet er diese so zutrauliche Geste als unangenehm, doch er beschließt darüber hinwegzusehen.

Ein Stoßseufzer entfährt ihr und dann durchläuft ein schauerliches, stilles Zittern ihren ganzen Körper. Das rötliche Energiekonzentrat wird nun immer mehr durch die Handfläche von ihrem Körper aufgesogen und um die Finger der Hand auf seiner Brust bildet sich nun eine schimmernde Flüssigkeit. Das ungesunde Zucken ihres Körpers wird immer heftiger und ein beängstigendes Stöhnen dringt aus ihrem Mund. Doch nun beginnt auch ihre andere Hand rötlich zu leuchten und Katsuken fühlt wie die Stelle auf seiner Haut, wo sie ihn berührt immer heißer und heißer wird.

Und mit einem Mal kann er es spüren. Ein enormer Schub an Energie schießt auf einmal in seinen Körper, sodass ihm für einen Moment die Luft wegbleibt. Es ist fast als würde gerade eine unermessliche Menge Kraft in kürzester Zeit in jede Zelle seines Körpers gepumpt. Ein überraschtes Keuchen entfährt ihm. Ist das tatsächlich die Energie die sie die ganze Zeit mit sich geführt hat? Es ist wohl kein Wunder, dass sie unter dem Druck dieser Energiemasse beinahe zugrunde gegangen wäre. Diese Inuyoukai aus dem Norden strotzen einfach nur vor Lebenskraft. Und er fühlt sich geradezu euphorisch als nun diese gesammelte Lebensenergie durch seinen Körper strömt und ihn um ein so vielfaches stärker macht, dass er es selbst für einen Moment kaum glauben kann.

Immer mehr und mehr Energie strömt durch seine Glieder und es besteht kein Zweifel daran, dass er sie nicht erst verdauen muss um sie nutzen zu können. Ein überschwängliches Glücksgefühl durchströmt ihn und ein triumphierendes Lachen dringt aus seiner Kehle. Noch immer strömt die Energie in ihn und zu seiner Freude nimmt er die Veränderungen an seinem Körper war. Wieder ist er ein Stück gewachsen, doch dieses Mal wird es wohl das letzte Mal sein. Endlich hat er wieder die Größe erlangt, die er vor seiner Zeit im Vulkan hatte. Die letzten Energieschwaden verschwinden in seiner Brust und nur beiläufig registriert er wie seine Untergebene zu seinen Füßen kollabiert und röchelnd liegen bleibt.

Kritisch prüft er seine Bewegungen. Seine Muskeln sind wieder so gut definiert wie früher und er ist überzeugt davon, dass auch sein jugendhaftes Antlitz inzwischen zum Erwachsenen herangereift ist. Das wurde auch Zeit. Der Respekt der ihm bisher dadurch entgegen gebracht wurde, lässt reichlich zu wünschen übrig. So ist es schon viel besser.

Er senkt den Blick herab und beobachtet wie die Salamandafrau angestrengt bemüht ist sich wieder auf ihre Hände hochzustützen, doch es will ihr nicht recht gelingen. Noch immer ist ihr Gesicht mit Blut verschmiert und ein beängstigendes Pfeifen dringt aus ihrer Kehle.

Gemächlich geht er nun in die Knie und beugt sich zu ihr hinab. Mit einem süffisanten Lächeln fasst er nach ihrem Kinn und zieht es ein Stück zu sich hoch, so dass sie ihn anblicken muss. „Erstaunlich, du lebst ja immer noch“, stellt er amüsiert fest. „Und das nach all dieser köstlichen Energie, die durch deinen Körper gegangen ist.“ Ihre Augen blicken ihn groß an, doch sie bringt kein Wort heraus. Noch immer zucken die Muskeln in ihrem Gesicht in einem unnatürlichen Rhythmus.

„Aber ich schätze ich muss mich wohl bedanken. Endlich habe ich meine ursprüngliche Macht zurück. Das hast du gut gemacht!“ Der Zeigefinger seiner anderen Hand fährt jetzt von ihrem Kinn aus hoch über ihre blutverschmierte Wange und schiebt ihr dann eine verschwitzte Strähne hinter ihr Ohr. Aus ihrem Gesicht weicht nun jede Farbe. Sie ist noch blasser als zuvor und die Überraschung steht ihr offen ins Gesicht geschrieben.

„Guck nicht so verblüfft!“, bemerkt er abschätzig. „Das lässt dich dumm aussehen und ich war gerade so erleichtert, dass du endlich mal deine vorlaute Klappe hältst. So bist du ja schon beinahe zu ertragen.“ Augenblicklich schießt eine leichte Rotfärbung in ihre Wangen und völlig entgeistert starrt sie ihn an.

Seine Mundwinkel verziehen sich. Mit einem leichten Seufzen, lässt er ihr Kinn los und sie wieder zu Boden plumpsen. Mit einer galanten Bewegung kommt er wieder zum Stehen. „Aber machen wir da keine unnötig große Sache draus“, fügt er hinzu. „Sieh besser zu, dass du wieder auf die Beine kommst. Ich habe schon mehr als genug Zeit vergeudet und ich werde nicht ewig auf dich warten.“

Wieder macht er ein paar Schritte und blickt in den Sonnenuntergang, dessen letzte Strahlen gerade noch über den Horizont lugen. „Es wird Zeit, das zu tun, was ich schon lange vorhatte und diesmal steht mir niemand mehr im Weg, nicht mal diese dreckigen, kleinen Köter!“ Wütend ballt er die Faust.

„Aber...“, tönt es nun schwach hinter ihm, „sie haben noch immer ihre Schwerter, die euch... auch bisher schon heftig zugesetzt haben. Was wollt Ihr... dagegen unternehmen..., Nushi?“ Mühsam hat sich die Salamanderfrau hochgestützt und blickt trotzig zu ihm auf.

Langsam und bedrohlich wendet er sich zu ihr um. In seiner Miene liegt nun triumphale Mordlust, doch scheinbar ist diesmal nicht sie das Ziel seiner Gedanken.

„Dann wird es wohl langsam Zeit, dass ich mir ebenfalls eine Waffe besorge, meinst du nicht auch?“ Ein gefährliches Lächeln liegt auf seinen Lippen und seine Hand streicht für einen Moment wie beiläufig über seine Körpermitte in der noch immer ein Stück fehlt.

Bald!

Der Südclan

Wenn Inu Yasha angenommen hatte, dass die besagte Zitadelle nur einen kurzen Fußmarsch entfernt liegt, wird er nun eines Besseren belehrt. Seit mehreren Stunden folgen sie nun schon dem Rücken der weißblonden Südyoukai durch den alten Laubwald. Nachdem sie irgendwann den Wald verlassen haben, überqueren sie einige seichte Flussläufe, durchlaufen eine mit hohem Gras bewachsene, hügelige Ebene, folgen einem steinigen Pfad der an einer steilen Felswand hinaufführt und betreten dann einen anderen Wald mit hohen Pinien und Kiefern. Der Weg scheint einfach kein Ende zu nehmen und langsam beginnt auch die Sonne sich wieder zu senken.

Inu Yasha atmet schwerer als sonst. Für gewöhnlich ist seine Ausdauer hervorragend, doch im Augenblick sehnt er wirklich das Ziel ihrer Wanderung oder zumindest eine Pause herbei. Seine grade erst verheilten Knochen und Sehnen machen sich schon seit einer ganzen Weile schmerzhaft bemerkbar und es fällt ihm immer schwerer Kagome auf seinem Rücken zu halten. Die Entbehrungen der letzten Tage fordern ihren Tribut. Der Hanyou ist einfach erschöpft und der straffe Marsch den ihre Führerin ihnen aufzwingt, macht es nicht besser. Zumal die Südyoukai mit keiner Silbe verlauten lässt, wie weit das Ziel ihrer Reise überhaupt noch entfernt ist. So wie es aussieht, könnte die Wanderung genau so gut auch noch mehrere Tage dauern.

Auch Kagome hat bemerkt wie sehr ihr Freund am Keuchen ist, und das ist sie nicht von ihm gewohnt. Sie wäre sofort bereit abzusteigen um ihm Erleichterung zu verschaffen, doch zum einen würde er damit ohnehin nicht einverstanden sein und zum anderen wäre dann sicher sie bald wieder diejenige die am Keuchen ist, und damit hätten sie auch nichts erreicht. Soll sie es riskieren einmal nachzufragen? Allerdings ist sie sich nicht sicher wie die Südyoukai das auffassen wird. Mikos scheinen bei ihnen keinen guten Stand zu haben. Doch Inu Yasha kommt jetzt schon leicht ins Taumeln und ihr Entschluss, etwas zu unternehmen, festigt sich.

„Ist es noch weit?“, wagt sie es schließlich zu fragen.

Ohne anzuhalten wendet sich die Frau zu den beiden um. Äußerste Missbilligung liegt in ihrer Miene. „Sprich mich nicht an, Miko!“, knurrt sie ärgerlich. „Du bist nicht erwünscht, nur geduldet!“ Dann stapft sie weiter.

Doch damit will sich Kagome nicht zufriedengeben. Sie rutscht demonstrativ von Inu Yashas Rücken herunter und mit entschlossener Miene bietet sie der Youkai die Stirn. „Wir sind schon seit Stunden unterwegs. Inu Yasha ist verletzt. Er braucht eine Pause wenn der Weg noch sehr viel weiter geht.“

Inu Yasha bemerkt sofort den Zorn der in der Youkaifrau aufsteigt. Rasch wendet er ein: „Es ist schon gut, Kagome. So leicht lasse ich mich schon nicht unterkriegen. Von mir aus kann ich noch den ganzen Tag laufen, keine Sorge!“

Sie wirft ihm einen schiefen Blick zu während sie neben ihm hergeht. „So siehst du aus, was? Du bist jetzt schon schweißgebadet. Du musst es doch nicht immer übertreiben.“

Doch nun bleibt die Youkaifrau abrupt stehen und fährt ärgerlich herum. Mit großen Schritten kommt sie auf die beiden zu und ohne nachzudenken, schiebt sich Inu Yasha zwischen sie und Kagome. Seine Hand geht zu Tessaigas Griff.

Doch der erwartete Angriff bleibt aus. Stattdessen bleibt die große Frau nun direkt vor ihnen stehen und ihre Kiefer mahlen zornig. Hinter ihrer Stirn scheint es schwer zu arbeiten. Doch dann reckt sie sich wieder und blickt ernst auf Inu Yasha herab. „Zieh dich aus!“, befiehlt sie.

Ungläubig reißen Inu Yasha und Kagome die Augen auf. Ist das ihr Ernst? Was soll denn das nun wieder? Kennt diese Frau überhaupt keine Scham?

Als jedoch nach einigen Schrecksekunden noch immer keine Reaktion von ihnen kommt, hat die Geduld der Frau offensichtlich ein Ende. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, tritt sie auf Inu Yasha zu und noch ehe dieser weiß wie ihm geschieht, hat sie sein Revers ergriffen, schiebt den Kragen auseinander, das Reißen von Stoff ertönt und dann zieht sie ihm sein Oberteil grob über die Schultern herab, so dass er mit bloßem Oberkörper da steht. „Hey!“, entfährt es Inu Yasha empört, doch da ist es bereits geschehen.

Nun lässt sie ihn wieder los und tritt einen Schritt zurück. Kagomes Augen weiten sich und erschrocken schlägt sie kurz die Hand vor den Mund. Brustkorb und Arme des Hanyous sind über und über mit blauen und schwarzen Hämatomen übersät. Zerknirscht blickt Inu Yasha zur Seite. Es ist ihm gar nicht recht, dass Kagome sieht wie es um ihn wirklich steht und er fühlt sich gerade regelrecht bloßgestellt. Ärger steigt in ihm auf. Musste diese Frau seine Verfassung auf diese Art sichtbar machen, mal abgesehen davon, dass die fordere Naht seines Gewandes jetzt aufgerissen ist? Was zum Teufel hat sie sich dabei gedacht?

„Was denn?“, kommt es provokativ von Inu Yasha. „Er hat mich ordentlich erwischt, na und? Ein Grund mehr ihm endlich den Garaus zu machen.“ Mit diesen Worten zieht er ärgerlich seinen Kariginu wieder zurecht und verdeckt die verräterischen blauen Flecken wieder mit Kleidung.

Nun tritt die Youkaifrau wieder auf Inu Yasha zu. „Der Fukouryouken hat das getan?“, fragt sie kritisch.

Inu Yasha benötigt einen Moment um zu begreifen, dass sie vermutlich die selbe Person meinen. „Ja, das ist das Werk von diesem Katsuken“, brummt er noch immer verstimmt. „Oder auch Sesshomaru, wie er wohl eigentlich heißt.“

„Sesshomaru...“, wiederholt sie düster. Wieder kräuselt sich ihre Stirn als ob sie angestrengt überlegt. Dann geht ihr Blick von Inu Yasha zu Kagome und wieder zurück zum Hanyou.

„Bitte!“, ergreift Kagome noch einmal die Initiative. „Können wir nicht wenigstens eine kleine Rast machen? Es fällt doch sicher nicht ins Gewicht, wenn wir ein wenig später kommen.“

Die Frau schürzt unwillig die Lippen. Dann sagt sie widerstrebend: „Es ist nicht mehr weit. Hinter diesem Wald liegt unser Ziel.“ Damit dreht sie sich um und marschiert unbeirrt weiter, nun jedoch in einem etwas moderateren Tempo. Diesmal können die beiden etwas besser folgen und selbst Kagome kann zu Fuß gehen, was für beide eine Erleichterung ist.

Nachdenklich betrachtet Kagome den Rücken der Südyoukai. Sie schien beeindruckt zu sein von Inu Yashas Verletzungen. Ob sie deshalb jetzt Rücksicht auf sie beide nimmt? Die große Frau macht einen sehr rauen und gnadenlosen Eindruck, doch Kagome fragt sich wie viel davon vielleicht nur aufgesetzt ist.

Auch wenn sie jetzt etwas langsamer voran kommen, ist der Weg längst nicht mehr so eine Qual wie bisher. Und wie sich herausstellt ist das Verständnis der Frau von 'nicht mehr weit', doch noch eine andere als ihre, denn sie müssen immer noch eine ganze Weile laufen, bis sie den Wald durchquert haben.

Die Sonne hat schon fast den Horizont erreicht als sie endlich zwischen den Bäumen heraustreten. Vor ihnen liegt eine Talsenke die von Laubwald umsäumt ist und zu ihrer Rechten zu einem großen See hin ausläuft. Jedoch ist nichts zu sehen was an eine Zitadelle erinnern könnte.

Die Südyoukai zeigt mit dem Finger auf einen kleinen Einschnitt in dem Laubwald zu ihrer Linken, der noch ein Stück entfernt an einem Bergausläufer liegt. „Dort!“, verkündet sie ernst.

Inu Yasha strengt seine Augen an, doch er sieht nichts weiter als Bäume, Wiesen und Felsen an der Stelle. Kein Hinweis einer Siedlung.

„Die Stelle die von einer schimmernden Kuppel umgeben ist, richtig?“, fragt Kagome unbedarft zurück. Doch sogleich ruckt der Kopf der Frau zu ihr herum und in ihrem Gesicht liegt ein Ausdruck als wollte sie Kagome umgehend den Kopf von den Schultern drehen, doch sie ballt lediglich die Fäuste. „Ja, dort!“, bestätigt sie zwischen knirschenden Zähnen. Dann dreht sie sich wieder um und marschiert grimmig weiter über eine große Wiese in die Talsenke hinunter.

„Was für eine Kuppel?“, fragt Inu Yasha leise.

Erstaunt blickt Kagome ihn an. „Siehst du nicht, dass...?“, doch dann dämmert es ihr. „Nein vermutlich nicht. Ich nehme an, dass sie ein Bannfeld um ihre Heimat gelegt haben, um es vor unliebsamen Augen zu verbergen.“

„Aber du kannst es sehen“, bestätigt Inu Yasha selbst seine Vermutung.

„Es hat durchaus seine Vorteile eine Miko zu sein“, lächelt sie leicht.

„Ich hoffe die vom Südclan finden das genau so spaßig“, brummt Inu Yasha verstimmt. Ihm ist die Vorstellung gar nicht lieb, dass Kagome von diesen Youkai angefeindet werden könnte, nur weil sie eben die Kräfte hat die sie hat.

Noch einmal raffen sie sich auf um das letzte Stück Weg zurückzulegen. Sie durchqueren die Talsenke und zu ihrer Rechten ist der Abendhimmel über dem See in flammende Rot- und Gelbtöne getaucht, während die Sonne immer tiefer hinter dem Horizont verschwindet.

Dann endlich am Rand eines alten Laubwaldes am Fuße des Bergausläufers hält die blonde Youkai an. Und jetzt erkennt selbst Inu Yasha, dass direkt vor ihnen bei näherer Betrachtung die Luft eigenartig flimmert. Offenbar haben sie ihr Ziel erreicht.

Nun dreht sich die Frau zu Inu Yasha um. „Du kommst mit mir! Die Miko wird hier warten!“

Doch damit ist Inu Yasha überhaupt nicht einverstanden. „Nein wird sie nicht! Kagome kommt mit mir, dass das klar ist!“ Ärgerlich funkelt er sie an. Er hat die Demütigung von vorhin noch nicht vergessen und ist nicht länger gewillt nach ihrer Pfeife zu tanzen.

Düster kommt die Youkaifrau nun auf ihn zu und Reißzähne schieben sich unter ihren Lippen hervor. „Sie bleibt!“, kommt es gebieterisch.

Entschlossen baut sich Inu Yasha vor ihr auf. „Ich werde Kagome keinesfalls hier lassen!“, stellt er rigoros klar. „Ich kenne diese Gegend nicht. Ich kenne nicht die Gefahren die ihr hier begegnen können. Ich bin dafür verantwortlich, dass ihr nichts passiert und entweder kommt sie mit, oder... ich bleibe hier draußen bei ihr. Sucht es Euch aus!“

Echter Hass flackert nun über das Gesicht der Frau. Ihre Kiefer mahlen, ihre Augen leuchten in einem tiefen Rot und ihre Hände sind so sehr zu Fäusten geballt, dass sie zittern. Schwer atmet sie ein und aus und versucht ihre Fassung zu wahren.

„Du wirst gehorchen, Hanyou!“, schnaubt sie aufgebracht.

„Den Teufel werde ich!“, funkelt Inu Yasha eiskalt zurück. „Und Ihr habt mich gefälligst mit Fürst Inu Yasha anzusprechen!“ Ihm ist klar, was für ein gefährliches Spiel er hier gerade spielt, doch er ist nicht länger bereit sich ihre Spielregeln aufdrücken zu lassen. Wenn diese Frau ihn tot sehen wollte, dann wäre er das schon längst. Doch offenbar hält sie noch immer etwas davon ab. Wenn sie sich auch nur halb so sehr an ihre Gesetze hält wie Yarinuyuki, dann haben sie gute Chancen mit dem Leben davon zu kommen, denn anscheinend geben ihre Gesetze den Dingen die diese Prophezeiung betreffen eine bedeutende Priorität. Die Frage bleibt also, wie sie sich entscheiden wird.

Noch einen langen Moment starrt die Frau die beiden mit einem tiefen Grollen in der Kehle und gefletschten Zähnen an, doch dann atmet sie einmal tief durch und richtet sich wieder auf. Kühl blickt sie auf die beiden hinunter. Dann sagt sie hart. „Ihr werdet beide hier warten! Ihr verlasst diese Stelle nicht! Ich gebe euch Bescheid wie weiter verfahren wird! Finde ich euch an einer anderen Stelle als hier, töte ich euch!“ Mit diesen Augen macht sie auf dem Absatz kehrt und tritt durch das Bannfeld und im selben Moment als sie es passiert hat, ist sie ihren Blicken entschwunden.

Erleichtert sackt Inu Yasha in sich zusammen. Das ging noch mal gut. Zum Glück scheint die Bezeichnung 'Fürst' hier noch etwas zu bedeuten. Dankbar für die Pause lässt er sich in den Schneidersitz nieder. Sein ganzer Körper schmerzt und er spürt die Erschöpfung in all seinen Gliedern. Was jetzt wohl weiter geschehen wird? Immerhin haben sie es bis hier geschafft ohne umgebracht zu werden. Allein schon das ist eine kleine Sensation doch viel weiter sind sie noch nicht gekommen.

Nun gesellt sich Kagome zu ihm und lässt sich neben ihm nieder.Von hier aus hat man eine wunderbaren Blick auf den See und den Sonnenuntergang dahinter. Sie sitzt so dicht neben ihm, dass sie sich an ihn lehnen kann. Sanft bettet sie ihre Wange auf seine Schulter und schon wieder wird ihm so eigenartig zumute. Behutsam legt er seinen Arm um sie und hält sie fest.

„Tut es auch nicht weh?“, fragt Kagome nun leise.

Er schüttelt schwach den Kopf. „Nein, es ist schon gut.“

„Die blauen Flecken sehen sehr schmerzhaft aus.“

„Es ist auszuhalten.“

Eine Weile herrscht Stille zwischen den beidem, während sich die Sonne immer mehr herabsenkt und die Dunkelheit um sie her zu nimmt.

„Glaubst du, sie werden uns töten?“, fragt Kagome schließlich ein wenig unsicher.

Sein Arm zieht sie etwas dichter. „Das müssen sie erst mal schaffen“, Inu Yashas Stimme klingt nun sehr bestimmt.

„Und glaubst du, sie lassen uns beide rein?“, fragt Kagome weiter.

„Ich werde nicht ohne dich gehen!“, stellt er klar.

„Auch wenn du damit die Mission gefährdest?“, hakt sie nach.

„Für mich gibt es keine wichtigere Mission als deine Sicherheit“, kommt es ernst.

Nun blickt sie etwas verwundert zu ihm hoch. Einen langen Moment schaut sie ihn einfach nur an. Schließlich fragt sie: „Hättest du wirklich Frauen und Kinder des Nordclans getötet, nur um meiner Sicherheit willen?“

Nun seufzt Inu Yasha leicht und schlägt die Augen nieder. Was soll er darauf antworten? Dass er es nicht mit Sicherheit sagen kann? Allein schon die Vorstellung, dass ihr etwas passiert sein könnte, jagt ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Er weiß wirklich nicht, was ihr Verlust mit seiner Ethik anstellen würde, doch eine Kurzschlussreaktion, wäre nicht ganz ausgeschlossen.

„Das werden wir nie erfahren“, murmelt er bitter. „Denn ich werde gar nicht erst zulassen, dass dir etwas passiert. Eher lasse ich mich in Stücke reißen!“

Nun spürt er Kagomes Hand behutsam auf seinem Oberarm. „Das wäre aber keine sehr weise Entscheidung“, meint sie nun leise. „Was sollte ich denn ohne dich dann machen?“

In Inu Yashas Kehle bildet sich ein Kloß. „Kagome...“, sagt er leise. Er weiß nicht was er sagen soll. Gerade jetzt sind die Gefühle die er für sie empfindet geradezu übermächtig und die Sorge, dass ihr bei diesem wilden Volk doch etwas passieren könnte, krampft ihm schmerzhaft das Herz zusammen. Wie gerne würde er ihr jetzt sagen was er für sie empfindet, dass sie für ihn die wichtigste Person auf der Welt ist, doch er bringt kein Wort heraus. Alle Worte sind wie fortgeweht. Und zurück bleibt nur das warme Gefühl, dass ihn immer überkommt wenn er in ihrer Nähe ist. Leicht lehnt er seinen Kopf an ihren und seine Hand streichelt sanft ihre Schulter.

Kagome lächelt mild. Sie kuschelt sich leicht an ihn und blickt über den See zu der Sonne die schon fast verschwunden ist und zum Abschied ein buntes Farbenspiel an den Himmel malt. „Eigentlich haben sie es schön hier“, meint sie gedankenverloren. „Wenn ich mir aussuchen könnte wo ich wohne, würde ich mir auch so eine Gegend suchen.“

„Wir sind aber nicht wegen der schönen Aussicht hier“, wendet Inu Yasha ein.

„Ich weiß ja“, gibt Kagome zu. „Aber die letzten Tage waren so aufreibend, ich glaube wir haben uns ein klein wenig Ruhe verdient.“

„Ich habe erst Ruhe, wenn wir wieder sicher zuhause sind“, entgegnet Inu Yasha. „Noch ist nicht sicher ob sie uns nicht doch noch töten wollen.“

Kagomes Hand schließt sich um seinen Kleidungsstoff. „Lass uns doch für eine kleine Weile nicht daran denken!“, bittet sie sanft. „Seit wir zusammen mit Sesshomaru aufgebrochen sind, waren wir keinen Moment unter uns. Wir hatten keine Gelegenheit zum Reden.“

„Was willst du denn reden?“, kommt die bedächtige Frage zurück.

„Weiß nicht. Einfach so.“

„Einfach so?“

„Ja, einfach so. Du weißt, dass ich dir immer zuhöre wenn dir etwas auf der Seele brennt.“ Ihre Hand streicht jetzt ermutigend über seinen Arm.

„Was soll mir denn auf der Seele brennen?“, man hört die Reserviertheit deutlich heraus.

„Was auch immer es ist, ich hör dir zu.“

Er atmet einmal langsam durch. „Da ist nichts. Es ist alles in Ordnung. Ich mach mir ein wenig Gedanken was weiter passieren wird, das ist alles.“

„Wirklich? Mehr beschäftigt dich nicht?“

Nun versteift er sich ein wenig. „Nein, wirklich nicht. Es ist alles in Ordnung, glaub mir!“ Dabei entspricht das im Grunde überhaupt nicht der Wahrheit. Tausend Dinge gehen ihm durch den Kopf und vielleicht wäre es wirklich gut mit jemandem darüber sprechen zu können. Doch im Augenblick möchte er das wirklich nicht. Wenn er ihr von all seinen Sorgen, Bedenken und Unsicherheiten erzählt, macht sie sich am Ende nur auch noch so viele Sorgen und das möchte er tunlichst vermeiden. Erstmal müssen sie den heutigen Tag und am besten auch die Nacht überstehen. Wenn er wieder ein wenig Luft zum Atmen hat, dann ist er gern bereit mit ihr zu reden, doch jetzt gerade ist er einfach schon zufrieden wenn er sie nur hier neben sich sitzen hat.

Er spürt die Wärme ihres Körpers und hört wie entspannt ihr Herz schlägt. Gemeinsam beobachten sie die Sonne die gerade hinter dem Horizont verschwindet und die Umgebung mehr und mehr ins Dunkel taucht. Es ist gerade so ungewöhnlich friedlich, dass es fast schon wieder beklemmend ist. Während hinter dem Schutzschild vermutlich grade über ihre Leben entschieden wird, sitzt er hier mit der Frau der sein Herz gehört und genießt die Stille der hereinbrechenden Nacht. Niemand sonst ist hier. Und ihm wird bewusst, dass er dieses Mal wohl nicht mehr unterbrochen wird, wenn er noch einmal seinen Mut zusammen nimmt. Sein Herz klopft jetzt schneller und sein Blick geht zögerlich zu ihr hinüber. Seine Handflächen sind feucht und sein Mund fühlt sich irgendwie so trocken an.

„Kagome...?“, bringt er schwach heraus. Na los, so schwer kann das doch nicht sein! Doch was soll er sagen? Schon wieder haben sich alle Worte tückisch aus dem Staub gemacht. Er schluckt noch einmal. „Ich... ähm... ich...“

Nun blickt auch sie ihn verwundert an. „Ja?“

Noch einmal atmet er tief durch. „Ich habe... ich wollte...also schon ne Weile, also...“

Doch sein hilfloses Gestammel wird jäh unterbrochen von Kagomes erstauntem Ausruf: „Oh, sieh doch nur!“ Sie hat sich aufgesetzt und guckt fasziniert um sich. Und nun kann auch Inu Yasha es sehen: Um sie herum und noch ein ganzes Stück in den Wald hinein schwirren unzählige kühl gelbe Lichtlein über dem Boden.

„Glühwürmchen!“, jubelt Kagome entzückt. „Und so viele! Schau mal!“ Mit leuchtenden Augen schaut sie sich um. „So viele hab ich noch nie zuvor auf einmal gesehen. Der ganze Wald leuchtet ja.“

Auch Inu Yasha muss zugeben, dass das Tanzen der Lichter ein wirklich beeindruckendes Naturschauspiel ist. Allerdings ist der passende Moment nun wieder vorbei, doch er muss sich eingestehen, dass es ihm ganz recht ist. Im Augenblick hätte er ohnehin letztlich kalte Füße bekommen. Und vielleicht sollte er damit lieber warten, bis sich zumindest die aktuelle Sachlage geklärt hat. Also bestaunt er nun lediglich mit Kagome zusammen den Flug der unzähligen Leuchtkäfer die die dunkler werdende Gegend in einen mystischen Schein tauchen.

Eine ganze Weile sitzen sie nun einfach nur da und genießen das Schauspiel, bis plötzlich hinter ihnen eine bekannte Stimme ertönt. „Steht auf!“ Es ist die selbe Inuyoukai wie vorhin. Sie steht direkt vor der Schutzbegrenzung und blickt missmutig zu ihnen herüber. „Ihr sollt gehört werden.“

„Wir beide?“, fragt Kagome überrascht und erhebt sich.

„Heißt das Kagome darf mit?“, hakt Inu Yasha noch mal nach und gesellt sich zu ihr.

Die Miene der Frau hat nun etwas leicht Zynisches. „Es ist ihr nicht untersagt, doch wird es ihr nicht möglich sein.“

„Was soll das heißen?“, fragt Inu Yasha wachsam.

„Ich gewähre Euch Zugang, Fürst Inu Yasha“, und jedem Wort haftet Missbilligung an, „doch die Miko muss selbst ihren Weg hindurch finden.“

Inu Yashas Miene zieht sich zu. „Ich sagte doch bereits, dass ich sie nicht hier lasse.“

Doch Kagome lässt sich davon nicht beirren. Wenn es ihr nicht verboten ist, kann sie es ja zumindest versuchen. Sie tritt an das Feld heran und streckt ihre Finger aus. Bannsiegel haben sie noch nie endgültig aufgehalten.

Zu ihrer eigenen Überraschung dringt ihre Hand ohne größere Probleme ein, lediglich ein Kribbeln ist zu fühlen. „Ich glaube es gibt keine Probleme damit“, meint sie munter zu Inu Yasha hinüber und dann schlüpft sie durch das Kraftfeld. Und nun erlebt Inu Yasha die Youkaifrau vor sich zum ersten Mal offen verblüfft. Es steht außer Frage, dass sie nicht damit gerechnet hat. Ein triumphierendes Schmunzeln entfährt ihm und dann ruft er der Youkai zu: „Wollen wir nicht lieber hinterher? Kagome sollte man besser keinen Moment unbeaufsichtigt lassen.“

Sogleich schüttelt die Kriegerin ihre Verwunderung ab und setzt wieder eine erboste Miene auf. Dann macht sie zwei große Schritte, packt Inu Yasha hart am Arm und schiebt ihn nachdrücklich durch den Schutzschild. Es fühlt sich an wie tausend kleine Nadelstiche, doch es ist auszuhalten. Es dauert auch nicht lange. Gleich darauf befinden sie sich im Inneren des Bannsiegels. Und Inu Yashas Augen weiten sich erstaunt.

Was bis eben noch wie ein simpler Berghang aussah, ist jetzt eine von zahlreichen Lichtern hell erleuchtete Siedlung. Unzählige dicht an dicht aufgestellte Holzhütten schmiegen sich an den Hang des Bergausläufers. Einer wirklichen Ordnung folgen sie nicht. Alle Häuser erscheinen unterschiedlich an Form und Größe und sind teils an-, in- und übereinander gebaut. Überall in diesem Gewirr der Hütten mit den Terrassen und Balustraden sind lauter Treppen und Brücken angebracht, die so ein unüberschaubares Geflecht aus Bauten bilden.

Alle Gebäude sind durch Lampen und Laternen erhellt und zwischen den Gebäuden leuchten vereinzelt Lagerfeuer auf. Und jetzt kann Inu Yasha auch unzählige Personen erkennen, die emsig ihren Geschäften nachgehen. Das Ganze wirkt wie eine belebte, nächtliche Stadt und ein Stück über dem ganzen Gewirr aus Häusern thront eine eindrucksvolle, gemauerte Festung mit einem stabilen Steinwall davor, zahlreichen Schießscharten und einem angelegten Graben darum.

Das ganze Areal ist von einem hohen, soliden Holzpalisadenzaun umringt und scheinbar gibt es nur ein einziges Tor hinein, nämlich ganz unten am Hang. Im Ernstfall lässt sich diese Siedlung sicher gut verteidigen.

Ein Stück entfernt von ihnen steht bereits Kagome und blickt erstaunt hinunter in das Tal. Auch sie ist offen beeindruckt von dem Anblick der sich hier bietet. Doch lange haben sie nicht Zeit um die Siedlung zu bestaunen. Hinter ihnen mahnt die Youkaifrau zum Gehen. „Folgt mir!“, befielt sie scharf. Dann dreht sie sich um und stapft mit großen Schritten den Hang hinunter, an den Palisaden entlang und hinunter zum Eingangstor. Inu Yasha und Kagome folgen ihr, wenn auch ein wenig verunsichert. Keiner von beiden weiß was sie erwartet und womöglich kann nur ein falsches Wort die Stimmung kippen.

Wie zur Bestätigung herrscht die Youkai sie an: „Bleibt immer hinter mir! Starrt niemanden an, sonst seid ihr tot!“

Was für ermutigende Aussichten, denkt Kagome bei sich. Nun haben sie das Eingangstor erreicht. Es wird von zwei kräftig gebauten, hochgewachsenen, schwarzhaarigen Soldaten bewacht. In ihren Gesichtern liegt offenes Erstaunen aber auch tiefe Abscheu, als sie der Neuankömmlinge gewahr werden. Als sie gerade das Tor passieren wollen, versperren sie den dreien mit zwei langen Gleven den Weg.

„Was hat das zu bedeuten, Kazeba?“, bellt der eine wütend. „Ihr bringt Andere mit hier her? Seid Ihr von Sinnen?“

Doch die Youkaifrau lässt sich davon nicht abschrecken. „Geh mir aus dem Weg!“, funkelt sie finster. „Es hat seine Richtigkeit. Sie werden erwartet.“

Deutlich erkennt man nun den Zwiespalt der beiden in ihren Gesichtern. Es dauert eine ganze Weile ehe sie sich dazu durchringen ihnen den Weg freizugeben. Mit unverhehltem Hass treten sie beiseite und Kagome kann spüren, wie sie beide gerade von Blicken erdolcht werden. Unbehaglich schließt sie etwas dichter zu Inu Yasha auf.

Nun steigen sie weiter den Hang hinauf. Schon kommen die ersten Hütten in Sicht und Kagome ist überrascht. Was von oben aussah wie wild zusammengezimmerte Hütten, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ordentlich gearbeitete Häuser bei denen besonderes Augenmerk auf kleine Schmuckdetails gelegt wurde. Alle Bauten sind sauber und gepflegt und mit zahlreichen Schnitzereien und anderen gemalten Ornamenten verziert.

Und nun sehen sie auch die Südyoukai von näherem. Viele von ihnen haben Menschengestalt, doch auch eine ganze Menge von ihnen hat es sich in ihrer Hundegestalt bequem gemacht und eine zunehmende Anzahl von Augen blicken nun den Neuankömmlingen entgegen. Immer mehr Youkai lassen ihre Arbeit ruhen und richten ihre Aufmerksamkeit auf die herannahende, kleine Truppe. Kagome läuft es kalt den Rücken herunter. Noch nie stand sie einer solch großen Menge an hasserfüllten Blicken gegenüber.

Die Dämonenhunde knurren bösartig und fletschen grimmig die Zähne. Ein tiefes Grollen begleitet sie. Die restlichen Youkai blicken ihnen durchdringend hinterher, als würden sie sie jederzeit verschlingen wollen. Kagome erkennt sowohl Männer als auch Frauen und sogar einige Kinder, doch diese werden rasch nach hinten geschoben und ihre Mütter machen eher den Eindruck von Sorgen als von Wut.

Kagomes Herz schlägt bis zum Hals. Hoffentlich ist dieser Spießrutenlauf bald überstanden. Vor ihr geht Inu Yasha mit erhobenem Haupt und festem Schritt und zeigt damit deutlich, dass er sich von der Masse der Zuschauer nicht einschüchtern lässt, doch Kagome kennt ihn zu lange um sich täuschen zu lassen. Der Hanyou ist äußerst angespannt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit haben sie die Siedlung durchquert und steuern nun dem Berghang zu auf dem die steinerne Festung liegt. Auch diese ist bei näherer Betrachtung sehr sorgfältig gearbeitet. Kagome erkennt im Vorbeigehen, dass auf vielen der Mauersteine Namen eingraviert sind und über manchen sind kleine, rötliche Flammen angebracht.

In Schlangenlinien führt der Weg durch die Festung am Hang nach oben und beschreibt mehrere Windungen zwischen hohen, aus dicken Steinquadern gemauerten Hohlwegen bis sie schließlich vor einem großen, edel anmutenden Gebäude anhalten. Auch dieses Haus ist aus schweren Steinen gemauert, doch die stabilen Balken die das Dach tragen sind von feuerroter Farbe. Ebenso wie die Tür und auf den beiden Flügeln sind mit großen, goldenen Buchstaben die Zeichen für Feuer und für Macht abgebildet.

Nun wendet sich die Youkai zu Inu Yasha und Kagome um. Streng mustert sie die beiden. „Ihr werdet gleich der Kaba begegnen. Ihr werdet nur reden wenn ihr gefragt werdet. Wenn ihr euch in irgendeiner Form respektlos verhaltet, werde ich euch auf der Stelle töten!“

Inu Yashha seufzt leicht. „Warum sollte es auch diesmal anders sein?“, brummt er leise was ihm einen tödlichen Blick von der Inuyoukai einhandelt. Sie knirscht mit den Zähnen sagt aber nichts dazu.

„Folgt mir!“, befiehlt sie scharf. Und dann steigt sie die steilen Treppen zum Eingang empor. Inu Yasha und Kagome folgen ihr. Mit Kraft drückt sie die Tür auf und nun erkennen die beiden hinter ihr, dass der erste Eindruck täuscht. Das Gebäude geht noch um ein ganzes Stück tiefer in den Fels hinein als angenommen, denn vor ihnen liegt ein langer, schmaler mit Fackeln erhellter Gang. Auch hier sind die Holzbalken von einer roten Farbe wohingegen die Wände und die Decke mit hellen Holzvertäfelungen ausgekleidet sind. Am Ende des Ganges erkennen sie eine Tür auf die sie nun zugehen.

Die Südyoukai schiebt die Tür auf und lässt sie eintreten. Sie kommen in einen großen quadratischen Raum. Er hat einen Durchmesser von bestimmt zwanzig Schritt und geht noch etwa fünf Schritt in die Höhe. In seiner Mitte befindet sich eine riesige, tiefe mit Steinen ausgelegte Feuergrube in der ein Feuer von der der Größe eines mittleren Scheiterhaufens brennt. Direkt darüber befindet sich ein mächtiger Abzug nach draußen mit fast zwei Schritt Breite. Es ist warm hier drin und zusätzlich zu dem Feuer ist der Raum von zahlreichen Fackeln an den Wänden erhellt.

Inu Yasha spürt die Hitze auf seiner Haut die von der Feuergrube ausgeht. Doch außer ihnen dreien ist niemand zu sehen. Auch andere Türen zu diesem Raum kann Inu Yasha nicht ausmachen. Lediglich hinter der Grube, am Ende des Raumes, befindet sich ein edles Podest aus rotem Holz auf dem ein prachtvoll verzierter Thron steht, doch auch dieser ist leer.

Ein wenig unsicher blickt Inu Yasha sich um. Ihm ist nicht ganz geheuer. Was wird nun geschehen? Womit müssen sie jetzt rechnen? „Hier ist niemand“, beschließt er zu bemerken.

Ein missbilligender Blick der Youkaifrau trifft ihn. „Die Kaba wird gleich hier sein“, verkündet sie unwirsch. „Ihr werdet ihr Respekt erweisen!“

Nichts anderes liegt in Inu Yashas Sinne, doch die Warterei auf das Unbekannte sägt beträchtlich an seinen Nerven.

Doch plötzlich beginnt des Feuer vor ihnen zu lodern und dann wild zu flackern und auf einmal werden Inu Yashas und Kagomes Blicke von dem breiten Schacht über der Feuergrube angezogen. Von dort senkt sich jetzt etwas herab, dass im ersten Moment wie ein riesiges Tuch aussieht, doch rasch wird klar, dass es eine Person ist. Sie ist in einen ausladenden, viellagigen Juunihitoe von feuerroter Farbe mit goldenen Blumenstickereinen gehüllt und trägt eine Schleppe von hauchzartem durchsichtigem weißen Seidenstoff der schwerelos hinter ihr her schwebt. Es ist eine Frau mit hüftlangen, feuerroten Haaren die ihr glatt und fast ebenso schwerelos über den Rücken hinabfallen. Ihr Gesicht ist blass und ihre Lippen und Augenwinkel sind blutrot geschminkt. Selbst ihre Augen schimmern in einem fast goldenen Feuerrot und stehen angenehm weit auseinander.

Zunächst schwebt sie noch einen Moment über der Feuergrube und blickt auf Inu Yasha und die anderen herab doch dann senkt sie sich dahinter nieder und setzt schließlich mit bloßen Füßen geräuschlos auf dem steinernen Boden auf. Ein langer, abschätzender Blick geht von der hochaufgerichteten Frau zu ihnen herüber und Inu Yasha spürt wie ihm unwillkürlich die Knie weich werden. Das Blut sackt ihm in die Füße, sein Magen flattert und sein Mund fühlt sich auf einmal furchtbar Trocken an. Seine Hände hängen kraftlos an seiner Seite und er braucht alle Selbstbeherrschung um nicht sofort auf die Knie zu sinken.

Selbst wenn er je beabsichtigt hätte respektlos zu sein, es ist ihm nicht mehr möglich. Diese Frau hat eine Ausstrahlung die ihn völlig entwaffnet. Es ist fast wie bei diesem Katsuken, nur ist es nicht Angst was er jetzt empfindet, sondern Ehrfurcht die ihn untätig werden lässt. Und für einen Moment kann er sich gar nicht mehr daran erinnern warum er hier ist.

Neben ihm sinkt nun auch die Youkaifrau auf ein Knie herab und stützt mit ergeben gesenktem Blick eine Faust auf dem Boden auf. „Hier sind sie, Kaba!“, verkündet sie demütig.

Die rothaarige Frau blickt ruhig zu ihr hinüber. „Es ist gut, du darfst gehen!“, sagt sie mit einer Stimme, die zugleich sanft aber auch fest klingt.

„Aber, Kaba...!“, will die Kriegerin einwenden, doch ein einfacher Blick der edlen Frau bringt sie zum Verstummen. Sie nickt einmal zerknirscht, dann springt sie auf, wirft Inu Yasha und Kagome einen giftigen Blick zu und verlässt dann den Raum. Mit einem lauten Geräusch fällt die schwere Tür zu und Inu Yasha muss schwer schlucken. Irgendwie behagt es ihm gerade gar nicht mit dieser fremden Frau in einem Raum zu sein, doch er kann sich auch nicht von der Stelle rühren. Unverwandt blickt er die hochgewachsene Youkai vor ihm an, die jetzt mit langsamen Schritten das Feuer umrundet und auf sie zukommt.

Nun steht sie direkt vor ihm und überragt ihn spielend um eine Kopflänge. Schweigend nimmt sie ihn in Augenschein, dann setzt sie eine erhabene Miene auf und ihre Mundwinkel heben sich zu einem galanten Lächeln.

„Willkommen im Reich der Dämonenhunde, kleiner Vetter!“

Die Kaba

Ungläubig starrt Inu Yasha die Frau an. Hat er gerade richtig gehört? Mit vielem hat er gerechnet nur nicht mit einem freundlichen Empfang. Am liebsten würde er jetzt etwas dazu sagen, doch seine Worte gehen auf dem Weg zum Mund verloren, solange sie ihn so anschaut.

Nun wendet die Frau sich Kagome zu und ihre Miene wird ernst, wenn auch nicht unhöflich. „Ich empfange zum ersten Mal eine Miko in meinen Gemächern“, sagt sie ruhig. „Fühle dich geehrt, Menschenfrau!“

„Das tue ich!“, bestätigt Kagome rasch. Sie ist entschlossen guten Willen zu zeigen. Der Südclan soll schließlich einen guten Eindruck von ihnen bekommen, besonders jetzt wo Inu Yasha noch immer wie erstarrt dasteht. „Ich... Wir fühlen uns sehr geehrt, dass uns die Gelegenheit vergönnt ist, mit Euch zu sprechen.“

„Wir?“, hebt die Frau die Brauen. Ihre Stimme hat den Klang von flüssigem Gold. „Ich hörte schon, dass uns ein Hanyou und eine Miko besuchen kommen, doch es überrascht mich dennoch, dass ihr zusammen reist. Wie ist dein Name, Kind?“

Bei der Anrede läuft Kagome ein wenig rot an. „Ich heiße Kagome“, gibt sie höflich Auskunft. „Und das ist Inu Yasha. Er ist der amtierende Fürst des Westclans der Inuyoukai.“ Sie weiß nicht genau warum sie ihn vorstellt, doch vielleicht deshalb weil der Hanyou noch immer völlig entgeistert dasteht und selbst keinen Ton hervorbringt.

Nun richtet die Frau ihren Blick wieder auf Inu Yasha. Würdevoll mustert sie ihn. Dann hat sie offenbar ein Einsehen und ihre Präsenz verliert nun ein wenig an Intensität. Inu Yasha atmet auf. Ihm wird bewusst, dass er bis eben kaum Luft geholt hat, so gefangen war er von ihrer Aura.

Nun tritt die Frau ein paar Schritte an die Seite und wirft Inu Yasha einen abschätzenden Blick zu. „Du scheinst doch Hundeblut in deinen Adern zu haben. Die Wahrung der Rangordnung liegt in unserem Wesen. Somit sollte deutlich sein wo wir beide stehen.“

Irgendwie beschleicht Inu Yasha bei diesen Worten Unbehagen. Ihm ist klar, dass die Frau damit mehr ausdrücken will als sie sagt. Doch sie redet bereits weiter. „Wir gestatten keinem anderen Inuyoukai unsere Grenze zu übertreten. Bisher zumindest. Doch wie man mir zutrug, gestatten die Umstände eine einmalige Ausnahme.“ Nun hebt sie würdevoll den Kopf. „Mein Name ist Shiganbana. Ich bin die Kaba – die Feuerklinge, die Fürstin der Inuyoukai. Ich bin gewillt euch anzuhören. Sprecht also! Was hat euch hergeführt?“

Mühsam versucht Inu Yasha seine Gedanken zu ordnen, dann sagt er eindringlich: „Wir brauchen eure Hilfe. Ein übermächtiger Youkai ist in unser Reich eingedrungen. Er ermordet und frisst Menschen und Youkai und wird immer mächtiger und jetzt ist er auch noch in den Norden eingefallen und hat fast alle Inuyoukai dort umgebracht. Wir müssen ihn aufhalten. Doch dazu brauchen wir die Hilfe aller Clans. Und weil der Norden kaum noch Soldaten hat, würde es uns sehr helfen wenn ihr mitkämpfen würdet.“

Doch Inu Yasha merkt rasch, dass er etwas Falsches gesagt hat. Das Gesicht der Kaba wirkt nun gar nicht mehr freundlich sondern eine schneidende Schärfe liegt in ihrem Blick. „Wir sind kein Notbehelf!“, stellt sie frostig klar. „Die Kriege und Streitigkeiten eurer Sippen sind für uns nicht von Belang.“ Deutlicher Ärger zeichnet sich in ihrer Miene ab. „Wenn ihr nur deshalb gekommen seid, war es ein Fehler euch am Leben zu lassen. Kazeba!“ Laut und klar hallt ihre Stimme durch den Raum.

„Nein, wartet!“, ruft Inu Yasha aufgebracht. „Es ist nicht nur deshalb.“

Schon fliegt die Tür auf und die hochgewachsene, weißblonde Frau betritt mit gezogenem Schwert und grimmiger Miene den Raum. Kagome läuft es kalt den Rücken herunter die Youkai scheint zu allem bereit und kommt direkt auf sie zu. Ohne zu überlegen schiebt sich Inu Yasha zwischen Kagome und die herannahende Kriegerin und bietet ihr die Stirn, sein Schwert zieht er jedoch noch nicht.

„Wir sind nur hier wegen der Prophezeiung, sonst wären wir gar nicht erst gekommen.“

Die Kazeba holt zum Schlag aus doch, eine kurze Handbewegung der Kaba lässt sie unvermittelt innehalten. Inu Yasha lässt sie nicht aus den Augen.

Mit kühler Miene tritt Shiganbana näher und ein kurzer Fingerzeig lässt die andere zur Seite weichen. Geringschätzig blickt sie auf Inu Yasha herab. „Was weißt du über die Prophezeiung?“

Inu Yashas Nackenmuskeln verspannen sich. „Ich weiß, dass der Südclan sich erst wieder den anderen anschließt wenn das Fürstenkind aus der Prophezeiung erscheint.“

Schmal blickt sie ihn an. „Und bist du dieses besagte Fürstenkind?“

Inu Yasha atmet einmal langsam durch um sich zu beruhigen. Er kann spüren wie Kagome hinter ihm leicht zittert. „Nein, bin ich nicht, aber...!“, sagt er fest.

Doch nun fällt ihm die Kazeba grob ins Wort: „Schluss damit! Ich töte ihn!“ Wütend hebt sie ihr Schwert.

„Aber ich weiß wer es ist!“, gibt Inu Yasha nun energisch zurück. Finster funkelt er die weißblonde Youkai an.

„Warte!“, ist der kurze Ruf der Kaba zu hören und wieder hält die Kriegerin offensichtlich widerstrebend inne. Mit erhobenem Haupt nähert sich die Fürstin Inu Yasha, sehr zum Unwillen ihrer Leibwächterin. Kritisch mustert sie den Hanyou. Nach einem langen Moment des Schweigens sagt sie: „Unsere Gesetze sind sehr streng. Wir lassen keinen der Anderen lebend über unsere Grenze. Die einzige Ausnahme besteht darin, wenn jemand die Prophezeiung erwähnt, weil dann womöglich die Zeit der Wiedervereinigung naht. Es ist verwerflich und zeugt von Feigheit unsere Überlieferungen dafür zu verwenden schlicht dem Tod zu entgehen. In den vergangenen dreitausend Jahren war jedoch niemand je so dreist sich darauf zu berufen. Selbst im Angesicht des Todes nicht. Erst du wagst es unseren Gebräuchen zu spotten und deinen Vorteil daraus zu ziehen. Allein schon deshalb sei den Leben verwirkt.“

„Ich spotte gar nichts!“, ereifert sich Inu Yasha. „Der Grund warum niemand die Prophezeiung erwähnt hat war schlich weil sie niemand kannte!“

Ein kurzes verächtliches Schnaufen entfährt der Kazeba. „Lächerlich!“, meint sie. „Jeder kennt die Prophezeiung.“ Doch eine erneute Handbewegung der Kaba bringt sie zum Schweigen.

„Jeder der Drei war anwesend als sie ausgesprochen wurde“, sagt die Fürstin nun ernst. „Sie haben keine Ausrede es nicht zu wissen.“

Ärgerlich reckt sich Inu Yasha nun. „Das ist dreitausend Jahre her!“, empört er sich grimmig. „Die Drei Brüder leben längst nicht mehr und sie haben alles was mit der Prophezeiung zusammenhängt nur ihren direkten Nachkommen weitergegeben und manchmal gar nicht. Ich kann von Glück reden, dass Kamukiku-baba davon wusste, sonst hätten wir niemals davon erfahren.“

Nun erkennt Inu Yasha deutliche Verwirrung in den Gesichtern der beiden Frauen. Einen langen Moment sagen sie gar nichts, doch dann entfährt es der Kazeba: „Die Drei sind tot? Das ist nicht möglich!“

Shiganbanas Miene wirkt wie versteinert. Schließlich sagt sie: „Diese Narren, sie hätten es besser wissen sollen!“

„Wie sind sie gestorben?“, begehrt die weißblonde Youkai zu wissen und packt Inu Yasha grob am Kragen.

„Woher soll ich das wissen?“, schlägt Inu Yasha unwirsch ihre Hände weg. „Es ist ewig her und bis vor ein paar Jahren wusste ich noch nicht mal, dass es sie gab.“

„Du lügst!“, schreit die Kazeba erbost. „Wie kannst du davon nichts wissen? Jeder weiß davon!“

„Nun, bei uns nicht!“, hält Inu Yasha dagegen. „Offenbar seid ihr wohl nicht ganz so gut informiert wie ihr glaubt, was?“

„Genug!“

Das ruhige Wort hat eine erstaunliche Wirkung auf die blonde Kriegerin. Sofort weicht sie von Inu Yasha weg, senkt ergeben den Kopf und verstummt.

Für einen kurzen Moment wünscht sich Inu Yasha seine Leute würden auch so parieren, doch dann richtet er den Blick wieder auf die Fürstin des Südclans. Mit undeutbarer Miene schaut sie zu ihm und Kagome herüber. Dann sagt sie ruhig. „Er hat Recht. Wir wissen wenig über die Anderen. Es war auch niemals von Bedeutung bisher“, greift sie einem empörenden Ausruf der anderen Youkai vor. Dann mustert sie Inu Yasha erneut. „Du sagst, das Kind der Prophezeiung ist geboren?“

Ein wenig unsicher erwidert Inu Yasha ihren Blick. „Na ja, geboren ist er wohl schon vor ner ganzen Weile“, bemerkt er etwas unbehaglich. „Dass er das Kind aus der Prophezeiung ist, wissen wir aber erst seit ein paar Tagen. Schließlich kennen wir die Prophezeiung auch erst seit dann.“

Abschätzend blickt sie ihn an. „Wo ist dieses Kind? Wenn ihr so viel riskiert nur der Prophezeiung wegen, warum ist er dann nicht mitgekommen?“

Nun wird es Inu Yasha doch etwas mulmig zumute. Es wird ihnen gar nicht gefallen, wenn er ihnen die Wahrheit sagt. Unruhig tritt er von einem Bein auf das andere.

„Er ist tot!“

Inu Yasha zuckt kurz zusammen als er die Worte hinter sich vernimmt. Doch schon schiebt sich Kagome an ihm vorbei und baut sich an seiner Seite auf. Fest blickt sie die Fürstin des Südens an deren Augen sich bei dieser Eröffnung überrascht geweitet haben.

„Im Moment noch!“, fügt Kagome hinzu.

„Was soll das heißen?“, kommt es nun hart von der Kaba.

„Das ist eine längere Geschichte“, gibt Kagome entschlossen zurück. „Wir sagen Euch gerne alles was ihr wissen möchtet. Doch das Wichtigste ist, dass im Augenblick alles unternommen wird um den Frieden zwischen den Reichen wieder herzustellen. Wollt Ihr diese Gelegenheit verstreichen lassen, oder wollt Ihr uns zumindest anhören?“

Wieder vergeht ein langer Moment bei der die Miene der Fürstin wie versteinert wirkt. Dann glätten sich ihre Züge wieder, doch ihre Miene bleibt ernst.

„Ich stelle Fragen, ihr beantwortet sie!“, stellt sie klar.

Inu Yasha und Kagome nicken zustimmend. Inu Yasha fällt ein mächtiger Stein vom Herzen. In dem Moment als Kagome plötzlich das Wort ergriffen hat, war er tausend Tode gestorben. Im ersten Moment war er sicher, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte und ein eisiges Gefühl hatte sich in seiner Magengegend breit gemacht. Doch zum Glück ist alles noch mal gut gegangen. Warum muss sie ihn immer so erschrecken? Doch andererseits hat Kagome ein besseres Gespür für Diplomatie als er und vielleicht ist es ja ganz gut, dass sie jetzt die Führung übernimmt.

Die Stimme der Kaba reißt ihn wieder aus seinen Gedanken: „Wenn die betreffende Person tot ist, warum glaubt ihr dann, dass sie das Kind aus der Prophezeiung ist?“

Inu Yasha beißt sich etwas auf die Lippen. Wie soll er das bloß erklären? Dazu muss man vermutlich die ganze Geschichte um Tenmaru kennen und das könnte länger dauern.

Doch Kagome kommt ihm zuvor. „Die Prophezeiung besagt, dass das betreffende Fürstenkind die Clans wieder vereinen wird. Im Augenblick werden unsere Reiche von einer solch großen Gefahr bedroht, dass vermutlich hinterher niemand von den Clans mehr übrig sein wird, wenn wir nichts unternehmen. Doch gerade jetzt ist Inu Yashas Bruder, der eigentliche Fürst des Westens, auf dem Weg in die Unterwelt um seinen Sohn zurück zu holen, auf den die Beschreibung der Prophezeiung passt. Denn nur gemeinsam können wir Katsuken besiegen. Und wenn es nur einen Weg gibt die Clans zu vereinen, dann muss sich die Prophezeiung jetzt erfüllen, oder sie tut es niemals.“

Die beiden Youkaifrauen werfen sich bedeutsame Blicke zu. Schließlich sagt die Kazeba: „Bereits vorhin sprach er vom Fukouryouken. Er sagte er hätte gegen ihn gekämpft und wäre von ihm verletzt worden.“

Nun blickt die Südfürstin wieder streng zu ihnen herüber. „Eure Geschichte erhält nicht mehr Glaubwürdigkeit durch Aufschneiderei. Bleibt bei der reinen Wahrheit, dann sehe ich über eure Impertinenz hinweg!“

„Das ist die Wahrheit!“, ereifert sich Inu Yasha. „Der Kerl nannte sich selber Katsuken. Und so mächtig wie er ist, glaub ich ihm das sofort.“

Ein belustigtes, kleines Glucksen entfährt der Fürstin. „Törichter, kleiner Hanyou!“, meint sie geringschätzig. „Wie leichtgläubig musst du doch sein, wenn du das für wahr hältst. Der Fukouryouken starb vor dreitausend Jahren. Er stürzte vernichtet in den Fuji-san. Er ist endgültig besiegt. Du siehst, er kann also unmöglich euer Gegner sein.“

Wie erstarrt steht Inu Yasha da. Kann das möglich sein? War das alles nur eine Lüge? Ist dieser Katsuken womöglich doch nicht der Sohn des ersten Fürsten? Aber er ist so mächtig. Wer ist er dann?

Doch wieder ergreift Kagome das Wort. „Wenn er wirklich so mächtig war wie die Legenden sagen, kann er dann nicht vielleicht doch überlebt haben? Dieser legendäre Hund hieß doch auch Katsuken. Und genau so stellte sich auch der übermächtige Gegner vor den wir bekämpfen und Sesshomaru nannte er sich auch, und das wird er sich wohl kaum plötzlich ausgedacht haben, denn Inu Yashas Bruder...“

Doch hier legt sich ermahnend Inu Yashas Hand auf ihre Schulter. Er weiß nicht warum, doch sein Gespür sagt ihm, dass es nicht klug wäre den Südyoukai zu sagen, dass sein Bruder genau wie ihr Feind heißt. Warum eigentlich? Diese Frage stellt er sich schon eine ganze Weile, doch jetzt ist vermutlich kein guter Zeitpunkt um das zu erörtern.

„Seinem Bruder hat er sich ebenfalls so vorgestellt“, erfasst Kagome seine Intension, “kurz bevor er ihm mit seiner Klaue mitten ins Herz gestoßen hat. Und er kann von Glück reden, dass er das überlebt hat. Das Kokorokaji hätte ihn fast umgebracht.“

Nun hebt die Kaba den Kopf. „Was redest du da?“, ruft sie aufgebracht. „Niemand sonst beherrscht das Kokorokaji, nur der Fukouryouken. Somit kann es unmöglich diese Technik gewesen sein. Spottet weiter über uns und ihr bezahlt eure Lügen augenblicklich mit eurem Leben.“ Die Augen der rotgekleideten Fürstin funkeln nun gefährlich auf.

Doch nun schiebt sich Inu Yasha nach vorne und bietet ihr die Stirn. „Das sind keine Lügen!“, stellt er nachdrücklich klar. „Ich kenne niemanden der so zäh ist wie mein Bruder. Von allen Fürsten unserer Clans halte ich ihn für den mächtigsten. Und doch hatte er diesem Fremden der urplötzlich in unserem Reich auftauchte und ganze Dörfer gefressen hat, nichts entgegenzusetzen. Und zu dem Zeitpunk war Katsuken nur ein kleiner Junge.“ Er knirscht verbissen mit den Zähnen.

„Ihr habt nicht gesehen wie mein Bruder blutüberströmt aus dem Wald getorkelt kam. Er war schwer verletzt, hatte hohes Fieber und war halb besinnungslos. Wir mussten ihn im Fluss abkühlen sonst wäre er von innen heraus verglüht.“ Er ballt hart die Fäuste vor Anspannung. „Ich sehe noch immer die Dampfschwaden die dabei von ihm aufstiegen. Einen ganzen Tag dauerte es bis wir wussten ob er überlebt und hinterher war er nicht mehr der selbe. Er hat zwar nichts darüber gesagt, aber ich weiß, dass er die ganze Zeit über schreckliche Träume gehabt hat. Und genau so hat uns Kamukiku später das Kokorokaji beschrieben. Für mich besteht kein Zweifel mehr, dass dieser Katsuken der Sohn des ersten Inufürsten ist, und dass er die Zeit in dem Vulkan irgendwie überstanden hat. Nun ist er wieder da und mein Bruder ist gerade in diesem Moment in der Unterwelt um seinen Sohn, das Kind aus der Prophezeiung, zurückzuholen damit wir ihn aufhalten können. Doch das schaffen wir nicht alleine. Wir brauchen die Hilfe aller Clans Wir brauchen eure Hilfe! Und nur deshalb sind wir jetzt hier. Was mehr wollt ihr als Beweis, dass wir nicht einfach aus Spaß hier sind? Sagt mir wie ich es euch beweisen soll. Ich werde tun was ihr verlangt.“

Einen langen Moment steht die Fürstin des Südclans regungslos da. Ihre Augen ruhen unverwandt auf Inu Yasha. Ihre Lippen sind ein dünner Strich. Dann für einen kurzen Moment huschen ihre Augen zu der anderen Südyoukai hinüber. Die Kazeba steht zähneknirschend da und begegnet dem Blick ihrer Fürstin mit deutlicher Anspannung.

Für eine ganze Weile hängt unbehagliches Schweigen über dem Saal. Schließlich hebt die Kaba würdevoll den Kopf. „Ich werde eure Worte abwägen. Ihr werdet zu gegebener Zeit über meinen Entschluss informiert.“ Dann wendet sie sich an die andere Frau: „Weise ihnen ein Quartier zu und komme dann zurück!“

Die Kazeba verneigt sich respektvoll, dann wendet sie sich mit finsterer Miene zu Inu Yasha und Kagome um. Mit eindeutiger Handbewegung fordert sie die beiden auf den Saal durch die Eingangstür zu verlassen und bugsiert sie nun weiter den langen Gang entlang. Kurz vor dem Haupteingang gibt sie das Kommando zum stehenbleiben. Inu Yasha und Kagome sind viel zu erleichtert, dass sie die Lage etwas entspannen konnten, um sich den Anweisungen zu widersetzen. Bereitwillig lassen sie sich von der hochgewachsenen Frau nun durch eine Schiebetür leiten, die von der übrigen Vertäfelung des Flures nicht zu unterscheiden ist und folgen nun einem weiteren Gang der sich optisch kaum von dem vorherigen abhebt. Schließlich hält die Kazeba an und öffnet eine weitere Schiebetür zu ihrer linken. Sie führt in einen schlichten Raum in dem sich lediglich ein kleiner Tisch nebst einigen Sitzkissen befindet.

„Ihr wartet hier, bis ihr gerufen werdet!“, befiehlt sie barsch. „Lasst es euch ja nicht einfallen, herumzustromern, sonst...“

„Sonst tötet Ihr uns“, vollendet Inu Yasha gereizt den Satz. „Wir haben es begriffen, denke ich.“

Wütend starrt die Frau Inu Yasha an, als spiele sie mit dem Gedanken einige Handbreit Stahl durch seinen Körper zu treiben. Doch dann schnaubt sie lediglich verächtlich auf, knallt dann die Schiebetür hinter sich zu und lässt Inu Yasha und Kagome allein zurück.
 

Fürstin Shiganbana steht mit ernster Miene vor der gewaltigen Feuerschale ihres Audienzsaales und starrt düster in die Flammen als sich die Eingangstür wieder öffnet und die weißblonde Kriegerin eintritt. Respektvoll tritt diese näher und wartet in einigem Abstand geduldig darauf, dass die Fürstin wieder von ihr Notiz nimmt.

Schließlich sagt Shiganbana ruhig ohne den Blick von den Flammen abzuwenden: “Was für ein umwälzender Tag, nicht wahr? Von all den Ereignissen die hätten passieren können, wer hätte gedacht, dass wir heute einem Abgesandten der Anderen Aufenthalt gewähren würden?“

Als die Fürstin nicht weiterspricht, beschließt die Kriegerin es als Frage aufzufassen. „Damit hätte niemand rechnen können, Kaba“, sagt sie ernst, „doch es ist unsere Pflicht die Gesetze zu befolgen.“

Shiganbana hebt leicht den Kopf. „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass sich die Prophezeiung noch zu meinen Lebzeiten erfüllt.“

Verstimmt reckt die Kazeba das Kinn. „Ihr glaubt ihnen doch diesen Unsinn mit dem Fukouryouken nicht, oder?“

Die Fürstin verzieht keine Miene. „Das ist wohl die entscheidende Frage, nicht wahr?“, sagt sie mild. Nun dreht sie sich zu der anderen um. „Wir gingen immer davon aus, dass sich unsere Rassen im Frieden wieder vereinigen würde, nicht im Krieg. Wobei Letzteres bei näherer Betrachtung schon immer wahrscheinlicher war. Doch über die Jahrtausende ist diese Vorhersage zu eine Legende geworden. Eine Geschichte, die man Kindern zum Schlafengehen erzählt. Auch wenn unsere ganze Kultur sich darauf gründet, dass es eine Zeit nach der Isolation geben soll, so haben wir wohl innerlich nie wirklich damit gerechnet. Und nun sind wir konfrontiert mit der Möglichkeit, dass sich womöglich schon bald alles ändern wird. Alles was uns vertraut und geläufig ist. Wir dürfen nicht zu hastig und zu leichtfertig mit dieser Situation umgehen.“

„Also haltet Ihr es für möglich, dass die beiden die Wahrheit sagen?“, hakt die blonde Frau noch einmal kritisch nach.

„Ich halte es für unabdingbar, dass wir hier mit größtem Bedacht und Wachsamkeit vorgehen müssen“, antwortet Shiganbana. „Und wir müssen unser Volk schützen. Es dürfen keine falschen Hoffnungen geweckt werden. Sie dürfen mit niemandem in Kontakt kommen ehe wir uns nicht ganz sicher sind wie ihr Auftauchen hier zu deuten ist.“

„Ich habe sie vorerst in einem Gästequartier des Palastes untergebracht“, gibt die Kazeba Auskunft.

„Gut!“, nickt die Fürstin. „Dort sollen sie vorerst bleiben.

„Vorausgesetzt sie bleiben auch wirklich da, wenn niemand sie bewacht“, fügt die Kriegerin brummend hinzu.

„Hältst du es für möglich, dass sie sich selbstständig davon machen?“, fragt die Fürstin zurück.

Die Kazeba verzieht das Gesicht. „Bisher waren sie folgsam. Sie haben keinerlei aggressives oder ernsthaft aufmüpfiges Verhalten gezeigt. Sie blieben auf Anordnung wo sie sollten.“

„Dann wollen wir guten Willen zeigen und ihnen ein wenig Vertrauen zugestehen“, meint Shiganbana nachsichtig.

„Was soll weiter mit ihnen geschehen, Kaba?“

Die rothaarige Fürstin wirkt nachdenklich. Schließlich fragt sie: „Was denkst du über diesen Hanyou?“

Die weißblonde Frau verzieht den Mund. „Er ist... schwer einzuschätzen. Er ist unberechenbar und impulsiv, wenn auch friedlich. Außerdem ist er stur und auch nicht besonders helle. Aber er ist auch duldsam. Sein ganzer Körper ist übersät mit Blessuren und dennoch hat er sich auf dem Weg hierher nicht einmal beschwert über das Tempo, selbst dann nicht, als er diese Miko getragen hat.“

„Diese Miko“, meinte Shiganbana bedächtig. „Wie ist dein Eindruck von ihr?“

„Es verwundert mich, dass sie einen Halbdämonen begleitet“, antwortet die Kazeba. „Aber sie scheint ein aufrichtiges Interesse an seinem Wohl zu haben. Offenbar unterstützt sie ihn aus Überzeugung...“ Hier blickt sie ein wenig verhärmt zu Boden.

Der Fürstin ist dies nicht entgangen. „Teilst du mir deine Gedanken mit?“, fragt sie ruhig.

Die blonde Frau beißt die Kiefer zusammen. „Es besteht Grund zu der Annahme, dass die beiden mehr als nur Reisegefährten sind. Sie erscheinen mir zu vertraulich im Umgang miteinander.“

„So?“, meint die Kaba leise. „Das würde einiges erklären. Denkst du sie könnte eine schwarze Miko sein?“

Die Kazeba schüttelt den Kopf. „Ich habe nicht den Eindruck. Ihre Aura ist zu rein dafür.“

„Sehr seltsam“, stellt Shiganbana fest.

„Sie ist mutig“, fährt die Kriegerin fort. “Sie vermochte Houbou die Stirn zu bieten. Und mir auch.“

Shiganbana nickt leicht. „Ebenso wie mir. Aber sie wirkte aufrichtig dabei. Sie glaubt das was sie sagt.“

„Und dennoch kann es nicht stimmen was sie sagte“, stellt die Kriegerin resolut klar. „Der Fukouryouken kann nicht wieder erwacht sein! Sein Tod ist dreitausend Jahre her. Das ist nicht möglich!“

Nun hebt die Fürstin ernst den Kopf. „Ist es nicht? Wissen wir das mit Sicherheit? Er ist der Sohn des Inu no Taishou. Er ist ungeheuer mächtig. Er könnte überlebt haben. Wenn dem so ist, wäre das eine Gefahr für das ganze Land. Diesen werden wir nicht von unserer Grenze fernhalten können. Wenn Sesshomaru unser Gegner ist, haben wir allein keine Chance. Das ist dir doch wohl klar. Dann werden wir die Kinder der Drei brauchen um ihn zu bezwingen. Vielleicht war die Prophezeiung ja schon immer dafür vorgesehen.“

Die blonde Kriegerin schüttelt entschieden den Kopf. Energisch tritt sie auf die Andere zu. „Bist du wirklich gewillt ihren Worten zu glauben? Ganz ohne den kleinsten Beweis? Und was willst du dann tun, Hana? Willst du unsere Leute auf gut Glück in einen Krieg schicken? Was denkst du dir nur?“ Ungläubig starrt sie die Fürstin an.

Zunächst sagt Sihanbana kein Wort, doch dann tritt sie würdevoll auf die andere zu und bleibt schließlich direkt vor ihr stehen. Dabei überragt sie die Kriegerin um eine halbe Kopflänge. Schweigend blickt sie auf sie herab und es vergehen nur einige Herzschläge bis die Kazeba demütig den Blick senkt.

Doch dann legt sich sanft eine feingliedrige Hand auf ihre Schulter. „Suisen“, sagt eine sanfte Stimme, „selbstverständlich werde ich nichts einfach dem Schicksal überlassen. Es ist zwingend erforderlich, dass wir uns zuvor Klarheit verschaffen ehe wir alles weitere Erörtern.“

Die Kazeba hebt leicht den Kopf. Ein sanftes Lächeln liegt auf den Lippen der Fürstin. Die blonde Kriegerin schürzt nun leicht trotzig die Lippen. So taktvoll wie möglich entzieht sie sich dem Griff der Finger. „Und wie willst du das anstellen?“, fragt sie missmutig.

Nun wird die Miene der Fürstin ernst. „Ich lasse sie zum Jakuyama bringen. Dort wird ihre Aussage überprüft werden.“

Die Augen der blonden Kriegerin weiten sich. „Das kannst du nicht machen!“, zischt sie gepresst. „Du kannst sie da nicht hinschicken. Es ist strengstens verboten!“

„Das weiß ich sehr wohl!“, gibt Shiganbana ernsthaft zurück. „Aber dies ist ist auch eine nie dagewesene Situation in dreitausend Jahren. Und es ist der einzige Weg um sicher zu gehen. Sie müssen dort hin!“

„Willst du das wirklich riskieren, nur für ein paar Wildfremde von den Anderen?“, beschwört die Kazeba sie eindringlich.

Pikiert erwidert die Fürstin ihren Blick. „Es geht schließlich um die Prophezeiung und um die Zukunft unseres Volkes. Das sollte uns ein paar Risiken schon wert sein. Abgesehen davon, wenn es nicht gelingt, brauchen wir uns mit den beiden ohnehin nicht mehr befassen. Wir können also nur gewinnen.“

„Wenn das nur kein übles Nachspiel hat!“, gibt die Kazeba zu bedenken.

Fest blickt Shiganbana sie an. „In diesem Fall werde ich dafür die volle Verantwortung übernehmen. Mein Leben für die Zukunft unseres Volkes ist nur ein geringer Preis.“

„Rede dich nicht klein, Onee-san“, kommt es jetzt fast ehrfürchtig von der blonden Kriegerin. „Du bist der Lebensnerv unseres Volkes. Ohne dich würde unser Volk zugrunde gehen. Gestatte, dass ich in dem Fall die Schuld begleiche!“ Demütig senkt sie den Blick.

„Sei still!“, kommt es jetzt mild aber nachdrücklich. „Es ist entschieden!“ die Fürstin des Südclans atmet einmal ruhig durch. Dann sagt sie gefasst: „Bring sie zum Jakuyama! Wenn sie es überleben, bring sie wieder her. Und sei höflich! Der Hanyou ist von fürstlichem Blute und unser Gast. Wir müssen unser Gesicht wahren.“

Ein wenig verkniffen blickt die Kazeba sie an. „Wie Ihr es wünscht, Kaba!“ Dann verneigt sie sich kurz und verlässt den Raum.
 

Nachdem die Youkaifrau den Raum verlassen hat, stehen Inu Yasha und Kagome eine Weile unschlüssig in der Mitte des Zimmers und blicken sich um. Der Raum ist bis auf die Sitzmöbel vollkommen kahl. Direkt über dem Tisch hängt eine schlichte Bambuslaterne als einzige Lichtquelle. Fenster gibt es nicht.

Abschätzend überprüft Inu Yasha die Wände des Raumen. Es sind alles Papierwände, die offenbar zu weiteren Zimmern dahinter führen, doch diese scheinen nicht beleuchtet zu sein. Er ist sich nicht sicher was er davon halten soll.

„Die Gefängnisse hier habe ich mir anders vorgestellt“, brummt er.

„Ich denke nicht, dass das hier eine Gefängniszelle ist“, entgegnet Kagome nachdenklich, die sich jetzt auf einem der Sitzkissen niedergelassen hat.

„Es ist karg, es ist dunkel, man darf nirgendwo hin...“, zählt Inu Yasha flapsig auf. Dann lässt er die Hände sinken. Schweigsam schaut er zu Kagome hinüber die seinen Blick offenherzig erwidert.

Leicht legt sie den Kopf schief. „Was macht dir zu schaffen, sag schon!“

Inu Yasha lässt die Luft entweichen. Wo soll er da beginnen? Es gibt so vieles was ihm gerade durch den Kopf geht und natürlich sieht sie es ihm wieder an der Nasenspitze an, wenn ihn etwas wurmt. Manchmal wünschte er wirklich, sie wäre nicht immer so direkt bei so was. Er ist einfach nicht gut darin, seine Gedanken und Sorgen mitzuteilen. Er weiß doch selbst nicht wie er all das zur Sprache bringen soll was ihn umtreibt und unter ihrem aufmerksamen Blick fällt es ihm nicht unbedingt leichter. Aber irgendetwas muss er sagen sonst gibt sie ja doch keine Ruhe.

Doch unerwartet kommt ihm Kagome zu Hilfe. „Ist es wegen dieser Aura von der Fürstin vorhin?“, fragt sie. „Dass du dich in ihrer Gegenwart nicht rühren konntest?“ Sie lächelt mild. „Mach dir darüber keine Gedanken. Ich glaube sie hat Recht, du kannst da gar nichts für. Das ist wohl genau so wie neulich bei Katsuken, es liegt dir eben im Blut. Und ich bin dir auch nicht böse, dass du sie vorhin angestarrt hast wie ein liebeskranker Teenager.“ Sie senkt gefasst den Blick. „Ich bin jetzt achtzehn. Über so was stehe ich inzwischen drüber“

Inu Yasha schnappt unwillkürlich nach Luft. Muss sie das jetzt wirklich noch ansprechen? Es ist ihm schon peinlich genug, dass er gegen die Auren von diesen ganzen mächtigen Hundedämonen nicht an kommt. Wenn er sich an seine unrühmliche Flucht gestern zurückerinnert, spürt er jedes Mal einen schmerzhaften Klumpen in seinem Magen. Er mag es sich nicht recht eingestehen, aber sein feiges Verhalten nagt noch immer an ihm. Und nun sind sie hier beim Südclan und schon wieder ist er der Dominanzaura einer Inufürstin hilflos ausgeliefert. Das muss wirklich ein Ende haben! Wie soll er denn so sein Gesicht wahren?

„Ich hab sie überhaupt nicht liebeskrank angesehen!“, entrüstet er sich. „Das war reine Neugierde, das ist alles.“ Missmutig verschränkt er die Arme.

„Ich sagte doch, ich stehe da inzwischen drüber“, setzt Kagome noch einmal mit Nachdruck nach ohne jedoch den Blick zu heben.

„Keh, das sieht mir gerade aber nicht so aus“, stellt Inu Yasha trotzig fest. „Ich denke du bist einfach eifersüchtig.“

Kagomes Nacken verspannt sich und ihre Finger sind zu Fäusten geschlossen. „Worauf sollte ich denn bitte eifersüchtig sein?“, kommt es bedenklich beiläufig von ihr.

„Na ja, diese Fürstin ist eben ziemlich hübsch, nicht wahr?“, gibt Inu Yasha provokant zurück. „Lange, weiche Haare, teure Kleider, mächtig, groß, attraktiv...“, führt Inu Yasha ungeniert aus, doch er stutzt unwillkürlich als er Kagomes Blick gewahr wird der jetzt scharf auf ihm ruht. Ihre Miene ist hölzern, ihr Mund ist ein dünner Strich und ihre Haltung ist deutlich angespannt.

„Bist du sicher, dass du noch weiter reden willst?“, kommt es nun gefährlich ruhig von der jungen Frau.

Es ist noch nicht sehr lange her da hätte Inu Yasha diese Frage wohl mit einem „Du bist ja doch eifersüchtig!“ beantwortet, und sich damit eine gehörige 'Sitz!'-Attacke eingefangen, doch stattdessen hält er jetzt lediglich inne bei diesen Worten, zögert einen Moment und senkt dann den Blick. Gerade jetzt wird ihm bewusst, dass es ihm nicht mehr so wichtig ist auf Gedeih und Verderb Recht zu behalten. Das Einzige was für ihn im Moment zähl, ist ihre Sicherheit und dass sie beide wieder unbeschadet nach hause kommen.

„Tut mir leid“, gibt er beklommen zu. „Du hast Recht, ich mache mir Sorgen. Und statt darüber zu reden, mache ich nur wieder Witze darüber. Das ist ziemlich schwach, nicht wahr?“ Zerknirscht blickt er zu Boden. Immer wieder ist ihm sein dummer Stolz im Weg und weil er sich seine Schwächen so schwer eingestehen kann, lässt er seinen Frust lieber an Kagome aus. Wie armselig!

Da plötzlich schieben sich zwei Hände in sein Gesichtsfeld und fassen sanft nach seinen. „Du bist nicht schwach“, hört er Kagomes milde Stimme. „Wer seine Fehler offen eingestehen kann, ist niemals schwach. Und du gibst sie nicht nur zu, sondern du überwindest sie auch, und das immer wieder. Und deshalb bin ich auch so stolz auf dich.“

Nun schaut er doch wieder hoch in ihr Gesicht. Sie lächelt leicht. Und schon wieder schlägt sein Herz mit einem Mal um ein vielfaches schneller. Seine Hände greifen nun zögerlich nach ihren und halten sie fest. Seine Gesicht glättet sich und seine Miene ist gerade schwer zu deuten.

„Ich war wirklich beeindruckt!“, gibt sie lobend zu. „Du hast dich der Fürstin gegenüber gut behauptet. Vielleicht liegt dir die Rolle des Fürsten ja doch.“ Sie zwinkert neckisch.

Inu Yasha lässt ihre Hände wieder los, aber er wirkt nun viel entspannter. „Das wird sich noch zeigen“, meint er. „Sie schien wenig begeistert von dem zu sein was wir zu sagen hatten.“ Er verschränkt die Arme. „Ich weiß gar nicht was ich genau erwartet habe, aber irgendwie nicht, dass die ganze Geschichte für ne dicke Lüge hält.“

„Na ja“, meint Kagome, „man muss es vielleicht aus ihrer Sichtweise betrachten. Sie haben ewig lang keinen Kontakt zu den anderen Clans gehabt. Da ist es doch nur logisch, dass sie kaum etwas von dem wissen was bei euch passiert ist. Ich könnte mir denken, dass sie sich die ganze Situation auch anders vorgestellt haben.“

„Und wie haben sie es sich vorgestellt?“, fragt Inu Yasha ein wenig gefrustet. „Was erwarten sie von uns? Erst waren sie noch freundlich und im nächsten Moment versuchen sie uns umzubringen. Also ich werde aus denen nicht schlau.“

„Vielleicht dachten sie wir wären gekommen um Friedensverhandlungen zu führen“, überlegt Kagome. „Es hat ihnen offenbar gar nicht gefallen, dass wir sie für den Krieg rekrutieren wollten. Und irgendwie kann ich das verstehen.“

„Ach ja?“, schnaubt Inu Yasha. „Mir wäre Frieden auch viel lieber aber deshalb sind wir nun mal hier. Ich kann es nicht ändern.“

„Das sagt ja auch keiner“, beschwichtigt Kagome. „Aber der Südclan hatte seit dreitausend Jahren für sich gelebt und alles getan um von den anderen getrennt zu bleiben. Und plötzlich tauchen wir hier auf und bitten sie mit uns zusammen gegen jemanden zu kämpfen, den sie seit Ewigkeiten für tot halten. Wie würdest du dich da fühlen?“

Inu Yasha verzieht das Gesicht. „Stimmt schon“, brummt er. „Aber warum haben sie uns dann reingelassen, wenn sie nichts mit uns zu tun haben wollen?“

Kagome überlegt einen Moment. Dann meint sie zögernd. „Sie reden immer wieder von dieser Prophezeiung und Fürstin Shiganbana erzählte etwas von der 'Zeit der Wiedervereinigung'. Vielleicht hoffen sie ja auch, dass wieder Frieden einkehrt zwischen den Reichen.“

„Keh!“, macht Inu Yasha verächtlich. „Ich hab nicht den Eindruck, dass sie sich sehr nach Frieden sehnen. Alle Nase lang bekommt man irgendwelche Morddrohungen. Unter Frieden versteh ich etwas anderes.“

„Wir wissen einfach noch viel zu wenig über sie“, stellt Kagome fest. „Da können wir eben noch nicht abschätzen was sie wollen und was nicht. Aber wir sind ja hier um das herauszufinden.“ Ihre Miene hellt sich auf. „Und immerhin sind wir die ersten Botschafter hier seit dreitausend Jahren. Das ist auf jeden Fall eine große Ehre und eine einmalige Gelegenheit. Wir repräsentieren gerade alle drei Clans, wenn man so will. Wir sollten uns Mühe geben einen guten Eindruck zu hinterlassen.“

„Ja...“, brummt Inu Yasha, „ein Hanyou und eine Miko. Sehr vertrauenerweckend.“

Kagome wehrt kopfschüttelnd ab. „Du hast schon wieder so eine negative Einstellung. Wir müssen einfach unser Bestes geben. Mehr kann niemand von uns verlangen.“

Inu Yasha will gerade noch etwas erwidern, da wird die Tür erneut mit einem Ruck geöffnet. Die Kazeba steht im Rahmen und ihre Augen glimmen im Halbdunkeln des Raumes in einem matten Rot. Für einen Moment wirkt sie etwas unschlüssig, doch dann sagt sie mit beherrscht bedächtigem Tonfall: „Fürst Inu Yasha, ich habe Anweisung Euch zum Jakuyama zu bringen. Dort wird ergründet, ob Eure Geschichte der Wahrheit entspricht. Folgt mir, beide!“ Man merkt ihr an, dass das letzte Wort sie etwas Überwindung kostet.

Die Aufforderung lassen die beiden nicht zweimal sagen. „Keine Todesdrohungen diesmal?“, kann sich Inu Yasha nicht verkneifen.

„Natürlich nicht“, erwidert die Youkai säuerlich. „Ihr seid unsere Gäste.“ Ihr Tonfall lässt deutlich wissen wie wenig sie von diesem Umstand hält, trotzdem führt sie die beiden gewissenhaft aus dem Gebäude heraus. Draußen ist bereits die Dunkelheit hereingebrochen, lediglich in Schach gehalten von zahlreichen Fackeln die überall um den Palast herum angebracht sind.

„Wie weit ist es denn bis zu diesem Jakuyama?“, traut sich Inu Yasha zu fragen.

„Es ist nicht sehr weit von hier“, gibt die Kazeba knapp Antwort.

„Das habe ich doch schon mal gehört“, murmelt er leise und dann folgen Inu Yasha und Kagome der Youkaifrau hinaus in die Nacht.

Auf dem Rückweg

Mit zügigen Schritten schreiten Sesshomaru und Inu Taishou durch ein kleines, langgezogenes Tal, das sich wie ein breiter Hohlweg durch die Landschaft schlängelt. Der Boden ist vollständig mit kleinen, scharfkantigen Kieseln bedeckt die immer mehr von den Seiten der sie umgebenen Hänge nachrutschen, je mehr dort jemand geht. Es macht das Laufen anstrengender und mehr als einmal werden ihre Füße von einer neuen Ladung Kieselsand überspült. Die Daiyoukai waten stoisch und schweigsam über den verschlungenen Pfad und das Knirschen ihrer Schritte ist das einzige Geräusch, das zu hören ist.

Sie sind überein gekommen, dass es besser wäre auf dem Rückweg um den Felsen der Inuyoukai einen Umweg zu machen. Die Drei Brüder würden wahrscheinlich recht verstimmt sein, ihn so bald schon wieder zu begegnen. Er hat sich unter ihnen nicht gerade Freunde gemacht. Doch damit kann sich Sesshomaru jetzt nicht weiter aufhalten. Sein einziges Bestreben ist es, das Höllentor wieder zu durchqueren um sich dann wieder auf den Weg ins Diesseits zu machen.

Nach einer ganzen Weile des Schweigens bricht Inu Taishou die Stille. „Hast du schon einen Plan was du tun wirst, wenn du das Diesseits wieder erreicht hast?“

Sesshomaru zögert kurz, dann sagt er: „Ich werde Tenmarus Seele zurück in seinen Körper bringen. Dann wird er mir helfen, die drei Reiche zu einen und gemeinsam werden wir den Eindringling bezwingen, ganz wie es die Prophezeiung besagt.“

Inu Taishou verzieht das Gesicht. „In Ordnung, das ist die offizielle Antwort. Ich gehe davon aus, dass dir bewusst ist, dass eine Prophezeiung kein Selbstläufer ist.“

Sesshomaru atmet vernehmlich durch. „Es ist mir bewusst.“ Dabei meidet er den Blick seines Vaters.

„Es wäre möglich“, gibt Inu Taishou zu bedenken, „dass du auf unerwartete Schwierigkeiten treffen wirst dabei.“

Sesshomarus Kiefer mahlen unwillig.

„Es ist eine große und verantwortungsvolle Aufgabe die du ihm zugedacht hast“, fügt Inu Taishou hinzu. „Hast du irgendeine Vorstellung wie er sie bewältigen könnte?“

„Woher soll ich wissen, was das Schicksal für ihn vorgesehen hat?“, brummt Sesshomaru. „Doch wenn es eine Prophezeiung ist, wird sie wohl auch so eintreffen.“

„Prophezeiungen sind nur das letzte Kapitel einer Geschichte. Sie verkünden nur was geschehen wird, doch bewirken es nicht. Was kann dein Sohn schon gegen eine dreitausend Jahre alte Clanfehde ausrichten?“

Nun blickt Sesshomaru seinen Vater wütend an. „Ihr sprecht schon ebenso wie der Rat den ihr hinterlassen habt.“

Inu Taihou hebt ein wenig die Brauen. „Oh, der existiert noch?“

„Lenkt nicht vom Thema ab!“, schnaubt Sesshomaru verärgert. „Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung was geschehen wird. Es wird auch davon abhängen, in welchem Zustand ich mein Reich vorfinden werde, wenn ich zurückkehre. Sprich, ob Inu Yasha es verhindert konnte, dass alles komplett verwüstet wurde.“

Hier geht eine kurze Regung über Inu Taishous Gesicht. „Es überrascht mich immer noch, dass du ihm die Befehlsgewalt überlassen hast. Ich bin erfreut, dass ihr euch jetzt besser versteht.“

„Es war ein... Prozess“, erklärt Sesshomaru steif. „Er ist seiner menschlichen Seite sehr zugetan. Das hat es nicht gerade leicht gemacht mit ihm auf einen Konsens zu kommen.“

„Er ist eben ein Hanyou. Er ist ein Kind beider Welten“, bemerkt Inu Taishou unverfänglich.

„Der Hauptgrund weshalb er seiner dämonischen Seite den Rücken kehrt, ist wohl seine Beziehung zu dieser kleinen Menschenfrau.“ Er rümpft kurz die Nase. „Und nicht nur das. Sie ist zudem eine Miko. Eine unziemlichere Partnerin hätte er wohl kaum wählen können.“

Nun wirft ihm Inu Taishou einen sonderbaren Blick zu. „Liebe ist nicht rational“, sagt er schlicht. „Wir können nicht immer kontrollieren für wen unser Herz schlägt. Ob für einen Menschen, oder für eine Ausgestoßene.“

Für einen Moment blickt Sesshomaru seinen Vater nur verständnislos an. Dann scheint es ihm langsam zu dämmern. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr von Euch und mir sprecht, Chichi-ue?“

„Damit liegst du nicht ganz falsch“, nickt Inu Taishou leicht.

„Ich erinnere mich nicht an die Frau die Tenmaru zur Welt brachte“, erklärt Sesshomaru ernst. „Und ehrlich gesagt, wüsste ich nicht welche Signifikanz dieses Wissen im Augenblick hätte. Die Prophezeiung spricht nur von meinem Sohn.“

Wieder blickt ihn Inu Taishou auf sonderbare Weise an. „Bist du sicher, dass du Tenmaru lediglich um der Prophezeiung willen ins Leben zurückholen möchtest?“

Nun blickt Sesshomaru für einen flüchtigen Moment zur Seite. „Welchen Grund sollte es sonst geben? Ich will mein Reich beschützen, das ist alles.“

Streng mustert Inu Taishou ihn. „Mein Sohn, du magst viele Leute täuschen können, doch ich bin dein Vater. Habe also die Güte und sei ehrlich mit mir.“

Der jüngere Daiyoukai knirscht nun unwillig mit den Zähnen. „Ich habe eine teure Schuld bei ihm abzugelten“, gibt er schließlich deutlich reserviert zu. „Ich habe damals nur seinen Status gesehen und mich blind gestellt für all das was er auf sich nahm um meine Beachtung zu finden.“

„Und das allein rechtfertigt, dass du einen solch beschwerlichen Weg bis hierher auf dich nimmst?“, kommt die bedächtige Rückfrage.

Sesshomaru starrt eine Weile nur stur geradeaus beim Gehen. Dann sagt er: „Ich... kann es nicht sagen. Wenn ich mich zurückzuentsinnen versuche, entgleiten mir meine Gedanken immer wieder. Aber einer Sache bin ich mir sicher. Allein der Gedanke ihn hierzulassen, bereitet mir körperliche Schmerzen.“

Nun atmet Inu Taishou leicht durch. Dann sagt er: „Dieses Gefühl solltest du gut in Erinnerung behalten, mein Sohn.“

„Zu welchem Zweck?“, fragt Sesshomaru missmutig zurück.

„Es könnte sein, dass es dir irgendwann dabei hilft die Lücken in deinem Gedächtnis zu schließen. Vielleicht fällt dir irgendwann doch noch der wahre Grund ein weshalb du deinen Sohn um jeden Preis aus der Hölle holen musstest.“ Mit diesen Worten beschleunigt Inu Taishou seinen Schritt.

Verwundert blickt Sesshomaru ihm hinterdrein. „Was genau wollt ihr damit...“ Doch hier wird er genau in diesem Moment von einem schrillen, angsterfüllten Gekreische und Gewinsel unterbrochen. Reflexartig horchen beide Daiyoukai auf.

Das Geschrei kommt ein Stück entfernt von über dem Rand des Kiestales. Wie sie anfangs gesehen haben, erstreckt sich dort eine weite, wüstenähnliche Sandgegend. Irgendjemand scheint dort in Schwierigkeiten geraten zu sein. Noch immer lauschen die beiden Inuyoukai angespannt auf das panische Rufen das jetzt in ein wüstes Gezeter und Geschimpfe übergeht.

„Bei allen Göttern!“, keift es aufgebracht. „Das hat mir doch gerade noch gefehlt. Als hätte ich nicht schon genug Scherereien. Dass mal wieder ausgerechnet mir das passieren muss. Ich hab aber auch wirklich kein Glück. Bleibt ihr da! Bleibt ihr wohl da, ihr blödes Geröll!“

Sesshomaru atmet verstimmt aus. Die Stimme kommt ihm nur allzu bekannt vor. „Ich fürchte ich weiß wer das ist“, murmelt er entnervt.

Nichtsdestotrotz entschließt er sich dazu mit einem geschmeidigen Satz den oberen Rand des Tals zu erklimmen. Mit einigen raschen Schritten überquert er die trittunsichere Dünenlandschaft, direkt auf den Ursprung der Hilfeschreie zu. Aus den Augenwinkeln registriert er, dass sein Vater ihm gefolgt ist

Nur kurz darauf bietet sich ihm ein fast schon jämmerliches Bild. Vor ihm im lockeren Kiessand befindet sich ein beträchtlicher Trichter an dessen unerbittlich stets nachrutschenden Wand eine ihm wohlbekannte Person sich verzweifelt durch eifrige Krabbel- und Schwimmbewegungen darum bemüht sich vom Boden des Sandkegels fernzuhalten. Und das aus gutem Grund, denn an seinem Tiefsten Punkt lauert eine Art überdimensionaler Ameisenlöwe der mit seinen Greifarmen versucht sein kleines Opfer zwischen seine gewaltigen Maulzangen zu befördern.

Es ist der kleine Höllentorwächter und bereits völlig außer Atem kämpft der alte Gnom um sein Leben. Als er nun Sesshomaru am oberen Ende der Grube entdeckt, verzieht sich sofort seine Miene.

„Na toll! Du bist das schon wieder, wa'? Mir bleibt aber auch wirklich nichts erspart. Was stehst du da so blöd 'rum? Hilf mir gefälligst raus hier, du Vandale, oder hast du wirklich gar kein Respekt vor dem Alter, hä?“

Ungerührt blickt Sesshomaru auf ihn herunter.

„Welchen Grund hätte ich dazu? Bin ich etwa verantwortlich dafür, dass du dich ganz allein in Schwierigkeiten gebracht hast?“

„Soll das ein Scherz sein, wa'?, entrüstet sich Doro. „Is jetzt wohl nicht der richtige Moment über so was zu diskutieren, oder?“ Verzweifelt paddelt er sich im immer schneller rutschenden Kies nach oben, während von unten scharfe Zangen nach ihm schnappen.

„Wenn du's genau wissen willst“, fügt er nun giftig hinzu, „Ja, bist du! Nur deinetwegen bin ich überhaupt hier an diesem verdammten Ort. Nur weil du alles kaputt machen musst, bin ich überhaupt hier runter gekommen. Is' nicht mein Zuständigkeitsbereich hier, also kenn' ich mich nich' aus hier. Du schuldest mir was also schieb' jetzt gefälligst deinen pelzigen Hintern hier runter und hilf mir, zum Teufel noch eins!“

Sesshomaru verzieht unwillig die Mundwinkel. Dann stößt er sich kurz ab und springt hinunter in den Trichter. Mit einem raschen Griff packt er den Gnom am Nacken und mit dem nächste Schritt ist er auch schon auf der anderen Seite. Ein weiterer Satz bringt ihn wieder zurück zu der Seite wo noch immer Inu Taishou steht und ihn schweigend beobachtet. Dort lässt er Doro achtlos zu Boden fallen.

Umständlich beginnt dieser nun sich wieder zu berappeln.

„Erwarte jetzt bloß keinen Dank!“, brummt er, „Du hast mich freiwillig rausgeholt, also schulde ich dir nichts.“

„Bring mich besser nicht dazu es zu bereuen“, erwidert Sesshomaru kühl.

„Ich nehme an ihr beide kennt euch“, meldet sich jetzt Inu Taishou beiläufig zu Wort.

„Flüchtig“, bestätigt Sesshomaru verstimmt.

„Pha!“, schnaubt der alte Gnom. „Das wäre noch zu viel der Ehre! Dieser rabiate Wüstling hat das Höllentor beschädigt bei dem Versuch hindurch zu gelangen.“

Inu Taishou hebt leicht die Brauen. „Ist das wahr? Beachtlich!“

„Das ist überhaupt nicht 'beachtlich'“, schnaubt Doro aufgebracht, „das ist äußerst lästig. So lästig, dass ich gerade direkt von Enma komme, nachdem ich ihm davon berichten musste. Ich sag es dir lieber gleich. Wenn du bisher beim Herrn der Unterwelt keinen Stein im Brett hattest, weil du schon wieder hier bist, so solltest du jetzt am besten für einige Jahrhunderte einen großen Bogen um ihn machen.“

Die beiden Hundeyoukai sind inzwischen wieder zu dem Tal zurückgekehrt, während der kleine Dämon ihnen wild gestikulierend hinterherstapft.

„Hast du nichts besseres zu tun, als uns hinterherzulaufen?“, meint Sesshomaru missmutig. „Wirst du nicht langsam wieder am Tor gebraucht?“

„Sehr witzig, Grünschnabel!“, meint Doro sarkastisch und verschränkt die Arme. „Was glaubst du denn wohin ich gerade auf dem Weg war, bevor dieser verdammte Sandlöwe mich erwischt hat?“

„Das trifft sich gut“, entgegnet Sesshomaru zynisch, „Ich bin gerade ebenfalls auf den Weg dahin. Ich nehme an, gemessen an den Umständen wirst du dieses Mal weniger Scherereien als beim letzten Mal machen, mich hindurchzulassen.“

Für einen kurzen Moment erstarrt der kleine Dämon mitten in der Bewegung. Dann schließt er hastig wieder zu ihnen auf.

„Ähm, du willst da wirklich noch mal durch?“, starrt er ihn mit großen Augen an.

„Was soll die törichte Frage?“, erwidert Sesshomaru nun zunehmend verärgert. „Schon vor Tagen habe ich angekündigt, dass ich wieder zurückkomme, sobald ich meine Mission erfüllt habe.“

Mit einem schiefen Seitenblick auf den bloßen Körper über Sesshomarus Schulter murmelt Doro: „Und wie man unschwer erkennen kann, haste das wohl geschafft.“

„Abgesehen davon“, fügt Sesshomaru hinzu, „ist es wohl, nach deiner eigenen Aussage, das beste, wenn ich der Hölle so bald wie möglich den Rücken kehre, um ein Zusammentreffen mit dem Herrn der Unterwelt zu vermeiden.“

Der kleine Gnom zögert kurz dann druckst er herum: „Ähm, ja schon. Natürlich. Sicher. Ähm, aber...“

Gereizt bleibt Sesshomaru nun stehen und wendet sich Doro zu. „Wenn du etwas zu sagen hast, drück dich gefälligst klarer aus!“

Hastig schüttelt der kleine Dämon den Kopf und wedelt fahrig mit den Händen. „Ich? Etwas zu sagen? Aber nicht doch. Wie kommst du darauf? Ich hab nichts zu sagen, gar nichts! Und dir schon gar nicht, klar?“

Sesshomaru schließt die Augen und zählt innerlich bis zehn. Bei vier beugt er sich vor, packt den alten Torwächter am Hals und hebt ihn zu sich auf Augenhöhe hoch. Finster funkelt er ihn an.

Was?“ Es klingt eher wie eine Befehl als wie eine Frage.

Trotzig erwidert Doro nun seinen Blick.

„Das hatten wir doch schon, Jungspund! Auf diese Art erfährst du gar nichts von mir. Mal abgesehen davon, dass es gar nichts zu erfahren gibt“, fügt er noch pikiert hinzu.

Nun legt sich Inu Taishous Hand auf Sesshomarus Arm.

„Lass ihn schon runter!“, sagt er ruhig. Dennoch klingt es bestimmt genug, dass der junge Westfürst der Aufforderung Folge leistet.

Mürrisch setzt er ihn ab. Der kleine Gnom rückt seinen Mawashi zurecht und blickt noch immer etwas beleidigt drein. Trotzdem scheint er dem Richten seiner Kleidung mehr Zeit zu widmen als eigentlich nötig wäre.

„Nun, ich warte?“, bemerkt Sesshomaru ungeduldig.

„Worauf denn?“, gibt Doro patzig zurück. „Ich habe gar nichts zu sagen.“ Nun lässt er seinen Blick ein wenig beliebig durch die Gegend fahren, während er hinzufügt: „Und falls du darauf spekulierst, dass ich dir was schulde, weil du mir das Leben gerettet hast, oder dass ich innerlich von deiner Beharrlichkeit so beeindruckt bin, dass ich mich sogar einem direkten Befehl Enmas widersetzen würde, dann bist du aber verdammt schief gewickelt, Bursche!“

Inu Taishou und Sesshomaru werfen sich kurz ein paar vielsagende Blicke zu.

„Natürlich liegt es uns fern, dich in Schwierigkeiten zu bringen, indem wir dich nötigen gegen Enmas Befehle zu verstoßen“, lässt Inu Taishou nun betont höflich verlauten. „Doch nur aus Neugierde, was für ein Befehl wäre das denn gewesen?“

Doro richtet sich nun so würdevoll auf wie es ihm möglich ist, was allerdings, dank seiner Plauze noch immer ein recht jämmerlicher Anblick ist.

„Ts, das hättest du wohl gern, Youkai, wa'?“ Mit erhobenen Kinn redet er weiter. „Wenn jetzt der Befehl gewesen wäre, dass ich euch ein paar wichtige Dinge nicht mitteilen darf, dann wäre es ja ein zutiefst verwerfliches Verhalten, wenn ich euch verraten würde, dass es dem da“, er zeigt auf Sesshomaru, „nichts bringt, wenn er wieder durch das Höllentor zurückgeht.“ Aus schmalen Augenwinkeln schielt er zu dem jungen Westfürst hinüber.

„Was soll das heißen?“, faucht Sesshomaru erbost. „Warum soll mir das nichts bringen?“

Doch der kleine Gnom stellt sich dumm und verschränkt die Arme.

„Weiß nicht wovon der redet“, schnappt er zynisch.

„Ich könnte mir denken, der Herr der Unterwelt hatte gute Gründe dafür, dass du es uns nicht verraten darfst“, meldet sich jetzt Inu Taishou diplomatisch zu Wort. „Wie es aussieht ist er inzwischen über die Absicht meines Sohnes hier im Bilde. Hat er vielleicht auch gesagt warum es nichts bringt, und warum wir das nicht wissen sollen?“

„Enma hat immer gute Gründe für seine Entscheidungen“, entgegnet Doro gestelzt. „Er ist der Herr über die gesamte Unterwelt und er liebt es gar nicht, wenn irgend ein Grünschnabel hier immer wieder hereinspaziert und sich in seine Angelegenheiten einmischt, zumindest wäre das wohl anzunehmen, nicht wahr?“, ergänzt er noch rasch.

„Soll das heißen, er will mich hier in der Hölle behalten?“, hakt Sesshomaru nun scharf nach.

„Das soll heißen“, wettert Doro gegen an, „dass du von mir kein Sterbenswörtchen darüber, als Dank für mein Leben, erhalten hast, zumal du über die Umstände bereits informiert wurdest. Du bist bereits gewarnt worden, Freundchen, und deshalb hast du von mir ohnehin nichts Neues erfahren, klar?“

Nun stutzt Sesshomaru ein wenig. Er ist bereits gewarnt worden? Von Enma? Wann? Was hat das zu bedeuten?

Auch sein Vater scheint darüber verwundert zu sein.

„Was meint er damit?“, fragt er.

Sesshomaru blickt nachdenklich drein. „Ich kann es nicht sagen. Womöglich ist es Teil dessen, was meinem Gedächtnis genommen wurde.“ Es sei denn... Urplötzlich hält er inne. Ein neuer Gedanke kommt ihm und je länger er ihn überdenkt, umso mehr zieht sich seine Miene zu.

Verdammt!, schimpft er innerlich. Warum hat er das nicht bedacht? Wie hatte er das nur vergessen können?

„Ich wurde gewarnt“, bestätigt er düster. „Das Tor durch das ich kam, mir wurde gesagt, ich könne es nur noch einmal durchqueren. Es war mir nicht bewusst, dass dieses Mal das letzte Mal war.“

„Das bedeutet dieser Weg ist dir von nun an versperrt“, nickt Inu Taishou langsam. „Wie willst du nun zurück ins Diesseits gelangen?“

„Ich überlege!“, faucht Sesshomaru gereizt. Der Daiyoukai steht am ganzen Körper bebend da und versucht seinen Ärger zu mäßigen. Noch mehr neue Schwierigkeiten. Als wäre er noch nicht ausreichend eingedeckt damit. Und das nur, weil Enma genug davon hat lebende Personen in seinem Reich gastieren zu lassen. Im Grunde ist er kurz davor direkt zum Herrn der Unterwelt zu gehen und die Angelegenheit mit ihm persönlich zu klären. Jedoch einer seiner ursprünglichsten Instinkte, der für die Selbsterhaltung zuständig ist, gibt ihm zu verstehen, dass das eine ganz dumme Idee wäre.

Im Grunde kann er dafür dankbar sein, dass der kleine Torwächter sie über diese Umstände noch rechtzeitig 'nicht' informiert hat. So erspart es ihm viel Zeit die er vermutlich damit verbracht hätte den Ausgang vergeblich zu suchen und zu ergründen, warum er nicht zu finden ist. Und er ist ohnehin schon spät dran. Ohne es zu wissen, und vermutlich sogar ohne es zu wollen, hat der kleine Kröterich ihm einen großen Dienst erwiesen. Damit sollte die Rettung seines Lebens wohl abgegolten sein.

„In dieser Situation ist es wohl als bedauerlich anzusehen, dass Tenseiga die Technik der Meido Zangetsuha nicht mehr beherrscht“, bemerkt Inu Taishou ernst.

„Tenseiga wurde versiegelt, kaum, dass ich das Jenseits betrat“, entgegnet Sesshomaru unwirsch. „Selbst wenn die Fähigkeit, einen Übergang ins Jenseits zu bahnen, nicht auf das Schwert meines Bruders übergegangen wäre, es würde mir jetzt nichts nützen.“

Doch plötzlich hält er inne. Er überlegt einen Moment, dann wird seine Miene finster.

„Es gibt noch eine Möglichkeit“, sagt er entschlossen. „Wir müssen noch einmal zurück.“

Mit diesen Worten setzt er sich in Bewegung und mit raschen Sprüngen macht er sich über die weiten Kiesdünen hinweg auf den Weg zurück in das Revier der Höllenhunde.

Doro schiebt die Unterlippe vor.

„Was heckt dieser Irre jetzt bloß wieder aus? Und seit wann isser eigentlich wieder so schnell?“

Mit unergründlicher Miene blickt Inu Taishou seinem Sohn hinterher.

„Oh, schon seit einer Weile“, murmelt er bei sich. „Aber ich vermute er hat es noch nicht einmal bemerkt. Falls er es schafft in die Welt der Lebenden zurückzukehren, dürfte er einige Überraschungen erleben.“

Dann nickt er dem kleinen Höllentorwächter noch einmal zu und macht sich dann daran, seinem Sohn zu folgen.

„Hey!“, ruft Doro ärgerlich hinter ihnen her. „So was Undankbares! Lassen die mich hier einfach so... Also nein, Sitten sind das!“

Mit diesen Worten dreht er sich um und schlurft vor sich hin brummelnd zurück in Richtung seines angestammten Arbeitsplatzes.
 

- - -
 

Es geht bereits auf Mitternacht zu. Viele Stunden sind Katsuken und seine Begleitung Richtung Süden gereist. Dabei hat der mächtige Daiyoukai der körperlichen Verfassung der Salamanderfrau kaum eine Beachtung geschenkt. Lediglich wenn sie einmal mehr soweit zurückgefallen ist, dass sie ihn kaum noch ausmachen kann, hält er zumindest solang inne um sie dann mit einer Flut an Verwünschungen zu überziehen, weil sie nicht schneller hinterher kommt und er so gezwungen ist auf sie zu warten.

Sie lässt es stoisch über sich ergehen. Er hat Recht mit seinem Zorn. Es gibt nicht viel was ihrem Körper Schaden zufügen kann, doch sich so hoffnungslos mit Energie zu überladen, hat deutliche Spuren an ihrer Verfassung hinterlassen. Auch wenn sie beide ihre menschliche Gestalt behalten haben, bewegen sie sich fliegend fort, denn der Daiyoukai hat es eilig. Kein Wunder, dass er ungeduldig ist.

Immer wieder fällt sie zurück. Alle ihre Gliedmaßen schmerzen heftig und sie fühlt sich so schwach wie nie zuvor. Und trotzdem käme es ihr nicht in den Sinn, zurückzubleiben. Sie wird ihm weiter folgen, ganz gleich wohin er auch geht und ganz gleich was er noch von ihr verlangen wird. Denn er hat noch immer Verwendung für sie. Sie war ihm eine wirkliche Hilfe und er war zufrieden mit ihr. Er hat sich sogar bei ihr bedankt. Nie hat sich jemals jemand bei ihr bedankt. Und er hat sie sogar berührt ohne ihr wehzutun. Seine Berührung war fast sanft gewesen.

Mit regloser Miene beobachtet sie den Hundedämon der bereits wieder ein ganzes Stück voraus durch die wolkenverhangene Nacht fliegt, einem unbestimmten Ziel entgegen.

Er findet sie erträglich, sagte er, und dass er noch nicht bereit ist sie zurückzulassen. Sie ist nützlich für ihn. Sie hat ihm einen wertvollen Dienst erwiesen. Sie hat ihm wieder zur vollen Stärke verholfen. Er ist ihr dankbar. Er ist ihr dankbar!

Sie kann nicht beschreiben, was für Gefühle im Augenblick in ihrem Inneren toben und ihr Herz mit einer Intensität durchstechen, dass es fast schon wehtut. Niemals hat sie je so etwas empfunden. Niemand hat ihr je erklärt was das ist. Niemand hat sich jemals um ihr Wohlergehen geschert. Sie hatte zu parieren. Sie hatte zu funktionieren. Sie war immer schon nur ein Werkzeug gewesen. Nur das war sie, nichts anderes. Aber niemand hatte es je für nötig gehalten sich bei ihr zu bedanken.

Er ist so unfassbar mächtig! Schon beim ersten Mal, als sie versehentlich mit seiner Energie in Kontakt kam, wusste sie er ist außergewöhnlich. Und sie spürt es mit jeder Faser ihres Körpers, dass dies die einzige Person ist, die ihrem Leiden vielleicht ein Ende bereiten kann. Der Einzige der das schaffen könnte, was keinem ihrer Freier jemals gelungen ist. Aber vielleicht... vielleicht noch nicht jetzt. Vielleicht darf sie ihm ja noch ein klein wenig länger nützlich sein. Unbeirrbar folgt sie ihm weiter durch die Dunkelheit, auch wenn er schon wieder kaum noch auszumachen ist.

Doch als sie dieses Mal herankommt, erwartet sie nicht die übliche Standpauke sondern er hat sich hinab in den düsteren Wald gesenkt und dort wieder auf der Erde aufgesetzt. So wie es aussieht haben sie ihr Ziel erreicht. Mit letzter Kraft setzt nun auch sie zur Landung an und mit leichtem Taumeln vor Erschöpfung kommt sie ein Stück hinter ihm zum Stehen.

Fast erwartet sie erneut Schelte für ihr langsames Vorankommen zu erhalten, doch offenbar ist seine Aufmerksamkeit gerade auf andere Dinge gerichtet. Vor ihnen, eingefasst in die gespenstisch anmutende Nachtkulisse des alten Waldes um sie, liegt die Ruine einer alten, steinernen Gebäudeanlage.

Verwitterte, moosbewachsene Steintreppen führen hinauf zu einigen eingestürzten Mauern. Die Luft schmeckt muffig und auch ein wenig nach Pilzen und verrottetem Holz. Das ganze Areal ist mit verschiedenem Gestrüpp überwuchert und hier und da wächst der eine oder andere beachtliche Baum aus dem antiken Mauerwerk.

Angespannt tritt Katsuken näher. Sein starres Gesicht schimmert dezent in der Dunkelheit und seine roten Augen schweifen wachsam über die Gegend. Bedächtig steigt er die hohe steinerne Treppe hinauf; seine Begleiterin beachtet er nicht dabei. Schließlich ragt sein Kopf über die oberste Stufe und gibt den Blick frei auf die vom Wald zurückeroberte Ruine die offenbar einmal eine Art Tempel gewesen sein könnte. Von dem Gebäude ist nicht mehr viel übrig. Der Zahn der Zeit hat das Seine dazu beigetragen, dieses Bauwerk aus der Geschichte zu tilgen.

Katsuken beißt die Kiefer aufeinander. „Was ist hier geschehen?“, murmelt er verbissen. „Hinosei!“, winkt er die junge Frau zu sich, die hastig und schnaufend die letzten Stufen zu ihm erklimmt und an ihn herantritt. „Dies war einmal ein prächtiger Palast. Was ist damit geschehen? Was weißt du darüber?“ In seiner Stimme liegt Ärger aber auch deutliche Verwunderung.

Sie sieht sich um. Viel herumgekommen ist sie ja nicht bisher, aber sie kramt dennoch in ihren Erinnerungen. Wenn ihre Einschätzung stimmt, darüber wo sie sich gerade in etwas befinden, dann könnte dies vermutlich der Ort sein, von dem sie doch ein ums andere Mal gehört hat. „Dies könnte der Madou-Odou sein. Der 'Tempel zur Unterwelt'“, gibt sie folgsam Antwort. „Man erzählt sich, dies sei ein Ort der bösen Geister und seit fast dreitausend Jahren gilt er als verlassen, denn niemand der beabsichtigen könnte, ihn wieder aufzubauen, hält es lange hier aus. Die bösen Geister vertreiben jeden Eindringling. Sie wollen wohl in Ruhe gelassen werden.“

Nun weiten sich seine Augen und ruckartig wendet er sich zu ihr um. Seine Iriden funkeln nun wie zwei Stück glimmende Kohlen. „Was sagtest du?“, faucht er scharf. Er macht zwei große Schritte auf sie zu, dann packt er sie vorne am Kragen und reißt sie zu sich. „Sagtest du 'seit dreitausend Jahren'? Ist das die Zeit, die seit dem vergangen ist?“ Seine Stimme wird nun lauter und schriller.

„So erzählt man sich“, antwortet sie mit gleichmütiger Miene obgleich sein Gesicht kaum eine Handbreit von ihrem entfernt ist und nun mehr einer wutverzerrten Fratze gleicht.

Für einen Moment hängen die Worte schwer in der kühlen Nachtluft doch dann plötzlich bahnt sich ein tiefes Grollen in seiner Kehle an. Die Züge in seinem aufgebrachten Gesicht nehmen nun immer animalischere Formen an und das Grollen steigert sich immer mehr an Lautstärke und Aggressivität und gipfelt schließlich in einem wilden, wütenden Ausbruch der schrecklich durch den ganzen Wald hallt und zahlreiche Tiere aufscheucht die entsetzt das Weite suchen.

Im gleichen Augenblick, flammt um seine Hand an ihrem Revert ein gleißendes Licht auf und nur einen Sekundenbruchteil später geht die junge Frau in seinem Griff mit einem kurzen, heftigen Auflodern in Flammen auf.

Wütend schleudert er sie zu Boden und fährt aufgebracht herum. Wild durchforschen seine Augen die Dunkelheit, und er kümmert sich nicht weiter um seine Begleiterin deren Flammen gerade hinter ihm versiegen und die nun zwar unversehrt aber deutlich eingeschüchtert auf der Erde kniet.

Mit großen Schritten schreitet er das steinbepflasterte Podest ab. Dann bleibt er für einen Moment stehen und hält sinnend inne. Urplötzlich flammen überall um ihn her, in größerem oder kleinerem Abstand, zahlreiche Lichter auf. Jedes von ihnen hat eine antike Steinlaterne, in jeglichem möglichen Zustand, als Sitz. Und jetzt erkennt man zum ersten Mal wie groß das betreffende Areal eigentlich ist. Selbst noch tief entfernt im Wald, leuchten einiger der Lichter auf und es scheint klar zu sein, dass diese Ruine einmal eine riesiges Anwesen gewesen ist.

„Komm mit!“, befiehlt er mit tief grollender Stimme und dann stapft er entschlossen davon, direkt auf einige der verfallenen Gebäude zu.
 

Wie lange sie nun schon durch die tristen, nächtlichen Ruinen streifen, nur umgeben von den unheimlichen Steinlaternen die ohne jedes erkennbares Brennmittel die Nacht erhellen, lässt sich schwer sagen. Immer wieder dringt Katsuken in die unterirdischen Bereiche der Ruinen ein, gefolgt von seiner treuen Begleiterin, doch was immer er hofft hier irgendwo zu finden, bleibt sein Geheimnis und zudem weiter verborgen. Das hebt seine Laune natürlich keineswegs. Im Gegenteil.

„Es ist nicht hier!“, brummt er bei sich selbst. „Und nicht der kleinste Hinweis wo es sein könnte.“ Er knirscht mit den Zähnen und frustriert macht seine Faust Bekanntschaft mit einem verfallenen Türsturz der daraufhin endlich selig in sich zusammenbröckelt. Die blasse Salamanderfrau sieht davon ab, ihm diesbezüglich eine Frage zu stellen. Es ist offensichtlich, dass dies nur einen weiteren Wutausbruch zur Folge hätte.

Doch plötzlich hält Katsuken inne. Sein Blick geht über die steinerne Brüstung vor ihm hinaus. Intensiv durchforschen seine Augen die Dunkelheit zwischen den geisterhaften Lichtern. Dann mit leichten Schritten überspringt er die niedrige Mauer und schreitet auf eine große Lichtung zu.

In ihrer Mitte befindet sich ein gewaltiger Baum. Seine enormen Äste streben in alle Richtungen davon; stellenweise haben sie den Durchmesser mehrerer Brustkörbe. Am Grunde des Heins wölben sich gewaltige Wurzeln über den Erdboden wie klaffende Spalten. Sämtliche Äste sind mit Moos bewachsen und parasitäre Schlingpflanzen winden sich um die Arme des Baumes bis hinauf zu dem spärlichen Blattwerk. Es besteht kein Zweifel daran, dass dieser Baum alt ist. Sehr alt.

Erhobenen Hauptes tritt Katsuken auf den Baum zu. Wachsam umrundet er ihn bis er zu einer Stelle kommt an der eine große Verwucherung auf der knorrigen, zerklüfteten Borke zu erkennen ist. Seine Miene wird kühl. Einen Moment lang betrachtet er die verzerrte Rinde eingehend, dann legt er die Hand auf eine der gewaltigen Wurzeln und plötzlich flammt direkt unter ihr eine hohe Stichflamme auf und setzt die Wurzel unbarmherzig in Brand. Dann richtet er sich wieder auf und wartet.

Es dauert einige Augenblicke, dann auf einmal kommt Bewegung in die konfusen Verwachsungen der Rinde und nach einigen Momenten verziehen sich die Holzschlieren zu einem grau-grünen schrumpligen Gesicht, dessen dunkelgrüne Augen für einen Moment ziellos in die Gegend stieren, sich dann fokussieren und schließlich auf Katsuken hängen bleiben. Eine klaffende Spalte, die wohl einen Mund darstellt, verzieht sich zu so etwas was wohl ein steifes Lächeln sein soll.

„Schau an!“, ertönt eine Stimme, tief und dumpf wie aus einem modrigen Keller. „Wer hätte gedacht, dass ich ausgerechnet dich einmal wiedersehe, Sesshomaru!“

Ein unheimliches Schmunzeln legt sich um Katsukens Lippen. „Tokomoku“, sagt er unbehaglich ruhig. „Ich bin ebenfalls überrascht. Nämlich darüber, dass du mich nach all der Zeit noch wiedererkennst.“

Der alte Baum lässt seine dicken Äste sich gemächlich im Wind recken. Wieder ertönt die tiefe, unwirkliche Stimme: „Ich erinnere mich an alles, das weißt du doch.“

„Egal wie lange es her ist?“, kommt es gefährlich ruhig von Katsuken.

„Egal wie lange“, kommt die gelassene Erwiderung.

„Und wie lange ist es deiner Meinung nach her?“, folgt jetzt die zunehmend angespannte Frage des Daiyoukai.

Für eine ganze Weile hängt die Frage schwer in der Luft. Dann endlich formt sich der hölzerne Spalt zu einer Antwort. „Das muss wohl jetzt etwas mehr als dreitausend Jahre her sein.“

„Gott verdammt!“, entfährt es Katsuken unwillkürlich erbost und im selben Moment lodert die Flamme auf der Wurzel zornig auf.

Das hölzerne Gesicht legt so etwas wie die Stirn in Falten. „Hör mal, Sesshomaru, ich will dich nur ungern mit Nebensächlichkeiten belästigen, aber könntest du möglicherweise das Feuer an meinen Wurzeln löschen? Es beginnt unangenehm zu werden.“

Sogleich ruckt Katsukens Gesicht wieder herum. Ärgerlich blitzen seine Augen auf. „Nenn mich nicht so!“, schnaubt er. „Wenn du dich an alles erinnerst, dann hast du sicher auch nicht vergessen, dass ich diesen Namen nicht länger benutze. Und nein, ich werde das Feuer nicht löschen. Nicht solange du mir nicht einige Fragen beantwortet hast.“

Der Spalte in der Borke des Baumes entfährt etwas, dass an ein Gähnen erinnert. „Die Fragen beantworte ich dir auch so, ohne, dass es nötig ist Gewalt anzuwenden“, sagt der Baum.

„Was ist mit dem Palast geschehen?“, fordert Katsuken scharf zu wissen.

„Nachdem dein Vater dich in den Fuji-san geworfen hatte und seinem Ende entgegen sah, beschloss er nicht mehr in seine Heimstatt zurückzukehren. Sei ehrlich, wozu hätte er das tun sollen? Ihm blieb hier nichts mehr.“

„Er hatte seine zwei neuen Söhne“, entgegnet Katsuken bitter. „Genug Kurzweil für sein ganzes restliches, kümmerliches Leben!“ Ärgerlich spuckt er aus.

„Drei, um genau zu sein“, erwidert Tokomoku seelenruhig.

„Drei?“, schnappt Katsuken aufgebracht.

„Durchaus“, bestätigt der Baum. „Dein Kokorokaji ist selbst für deinen Vater verehrender als man annehmen sollte.“

„Wäre es das, wäre er gleich gestorben!“, schnaubt Katsuken erbost.

„Du sprichst vom mächtigsten Inuyoukai, der jemals lebte“, entgegnet Tokomoku. „Ehe er fiel formte er noch einen dritten Abkömmling. Dass sich die drei dennoch nur bekriegen wollten, brach ihm das Herz.“

Verächtlich schnauft Katsuken auf. „Das geschieht ihm Recht. Sein Herz war schwach durch all diese unsinnigen Gefühle darin. Da konnte es nur brechen. Und eines sollte dir wohl klar sein. Der mächtigste Inuyoukai der jemals lebte bin ich, Katsuken! Ich habe meinen Vater erschlagen, ich habe dreitausend Jahre im Vulkan überlebt und ich werde mein Reich wieder aufbauen, dass offenbar in Vergessenheit geraten ist.“ Grimmig blickt er sich zu den Ruinen um. „Ich werde wieder in Besitz nehmen was rechtmäßig mir zusteht und diese verachtenswerten Fehltritte, die aus den erbärmlichen Gefühlen meines Vaters entstanden, vom Antlitz dieser Erde tilgen. Ich werde herrschen und wer sich mir nicht unterordnet, wird vergehen. Und ich werde keine Schwäche zeigen wie einst mein Vater.“

Ein leichtes Knarren ist zu hören und es dauert eine Weile ehe zu erkennen ist, dass es Lachen sein soll. „Du hast dich wirklich nicht verändert, Sesshomaru!“, klingt es amüsiert von dem alten Baum. „Noch immer der selbe Heißsporn wie damals. Noch immer so von dir überzeugt und von deinen absonderlichen Idealen. Du hast noch immer nichts verstanden. Wann wirst du endlich begreifen, dass allein die sogenannte Schwäche deines Vaters der Grund dafür ist, dass du existierst?“

Sei still!“, mit einem wütenden Aufschrei zuckt Katsukens Klaue nieder und trennt mit einem scharfen Hieb einen der dicken Äste vom Rumpf des Baumes ab. Mit lautem Krachen rauscht er hernieder und reißt dabei einiges an Laub, Ästen und Gestrüpp anderer umstehender Bäume mit sich.

Mit einem geschmeidigen Satz springt er hinauf zu dem knorrigen Gesicht. Wütend funkelt er es an. „Hör auf mich belehren zu wollen. Ich bin nun der Herr aller Hunde. Herrscher über dieses Land und du solltest besser deinen Platz kennen sonst reiße ich dich mitsamt deiner Wurzeln heraus und verbrenne dich zu einem Häuflein Asche!“

„Das könntest du tun“, sagt das hölzerne Gesicht ruhig, „doch dann würdest du niemals das erfahren weshalb du hergekommen bist.“

Wild lodern Katsukens Augen auf. „Und woher willst du wissen weshalb ich gekommen bin?

„Weil du Es nicht bei dir hast“, gibt Tokomoku gelassen Antwort. „Du suchst das was dir fehlt, was zu dir gehört, was dich vollkommen macht. Nicht wahr? Du suchst die Macht die dir von deinem Vater genommen wurde.“

Nun kommt Katsuken noch dichter an des Gesicht heran. Seine Miene ist eisig. „Wo ist es?“

„Es ist nicht hier“, gibt der Baum Antwort. „Vor einer Weile kam jemand und nahm es mit.“

Wer?“, faucht Katsuken tödlich.

Wieder verzieht sich die Spalte in der Rinde zu einem Grinsen. „Was glaubst du wohl? Ein Inuyoukai natürlich. Eines Seiner Kinder!“

Für einen kurzen Moment hält Katsuken wie erstarrt inne, doch dann verzerrt sich seine Miene zu einer Maske des Hasses. Ein grimmiger Schrei entfährt ihm und einen Moment später blitzt es kurz mächtig auf und augenblicklich steht der gesamte Baum in hellen Flammen. Wütend züngelt die Feuersbrunst in den schwarzen Nachthimmel.

Ein unheimliches Geräusch entflieht der Spalte des Baumes. Es klingt noch einmal wie ein schauerliches Lachen. „Damit wirst du auch nichts ändern. Einer wird kommen mit der Macht dich zu bezwingen. Du hast dein Schicksal selbst gewählt, und zwar in dem Moment als du deine Mutter tötetest, Fukouryouken...“ Dann erstirbt die Stimme und nur noch ein hohes Pfeifen und knackende Zweige sind zu hören.

Verächtlich wendet Katsuken sich ab. Seine Begleiterin steht stillschweigend ein Stück hinter ihm. „Komm, hier gibt es nichts mehr zu sehen, Hinosei“, meint er düster. Dann schreitet er stoisch durch die spärlich beschienene Dunkelheit davon.

Ein schwerer Gang

Die Nacht ist schon längst wieder hereingebrochen und Kouga und Shimogawa sind immer noch unterwegs. Ein Umstand der die Geduld des Wolfsyoukais auf eine harte Probe stellt. Auch ohne die Splitter vom Juwel der vier Seelen ist er für gewöhnlich um Längen schneller als dieses Schneckentempo hier. Doch er kann nichts machen, denn der Inuyoukai des Nordclans läuft schon so schnell wie er kann. Oder besser gesagt er humpelt.

Zu Beginn konnte der Nordkrieger noch einigermaßen mithalten, doch inzwischen hat sich ihre Geschwindigkeit drastisch reduziert. Die Verletzungen des Kriegers sind wohl doch ernster als es den Anschein hat.

Kouga verdreht immer wieder genervt die Augen während er neben dem Anderen hertrottet. Auf Grund der Richtung hat er eine wage Vorstellung wohin sie wollen, doch er weiß auch, dass es ihm nichts bringen würde wenn er vorauslaufen würde. Er braucht den Hundeyoukai, denn dessen Leute würden ihm, einem Fremden sonst vermutlich kein Wort glauben. Und so aggressiv wie der Nordclan ist, kann sich Kouga besseres vorstellen, als es auf einen Kampf mit ihnen ankommen zu lassen. Zwar hat er sehr wohl mitbekommen, dass die überwiegende Mehrheit der Clankrieger bei dem letzten Angriff umgekommen ist und er es vermutlich nur noch mit Frauen zu tun bekommt, aber er kann wirklich schwer abschätzen wie diese Weiber so drauf sein werden und seine Ehre verbietet es sowieso gegen Frauen zu kämpfen.

Na ja, bis auf wenige Ausnahmen, doch selbst er hat gerade noch genug Anstand um seine Waffen nicht gegen Frauen zu erheben, die eben erfahren haben, dass sie zur Witwe geworden sind und deshalb möglicherweise ein wenig ungehalten reagieren.

Innerlich seufzt er verstimmt. Er hat nur ein einziges Mal dem Krieger neben sich angeboten ihn zu tragen damit es schneller geht. Die Reaktion darauf war für Kouga eindeutig genug, dass er diesen Vorschlag nicht noch einmal unterbreiten wird. Und nebenbei hat er jetzt einige neue Schimpfwörter gehört, die er sich für passende Gelegenheiten gut merken wird.

Es hilft also nichts, sie werden den langen Weg gehen müssen. Was müssen die blöden Hunde nur immer so schrecklich stur sein? Er selbst ist da eher pragmatisch veranlagt. Er würde Kagome nicht dieser Gefahr aussetzen, wie es der blöde Köter immer macht. Er würde sie dorthin bringen wo sie in Sicherheit ist. Und dann wenn es gar nicht anders ginge, dann würde er kämpfen um sie zu beschützen, solange und so hart wie es nötig wäre!

Aber im Grunde seines Herzens weiß er, dass es keinen Zweck hat darüber nachzudenken. Kagome wird immer den Hanyou wählen, und sie würde sich nicht verstecken lassen bis alles vorbei ist. Sie würde sich mitten ins Getümmel stürzen und mitkämpfen wollen. Sie ist mutig und sie ist stark. Gerade das schätzt er so an ihr. Doch sie wird den Hanyou nie alleine kämpfen lassen. Und sie wird ihn niemals verlassen.

Mit starrer Miene läuft Kouga neben seinem Begleiter her. Vielleicht wäre das alles leichter zu ertragen, wenn sie ihn einfach hassen würde. Aber nein, sie hält noch immer große Stücke auf ihn, obwohl sie zu dem Hanyou gehört. Sie behandelt ihn mit Respekt und traut ihm mehr Edelmut zu als er meist selbst in sich sieht. Wie könnte er ihr da je eine Bitte abschlagen? Er schnaubt grimmig. Der Hanyou weiß gar nicht was er da an ihr hat. Sie ist einfach viel zu gut für ihn!

Auf einmal verlangsamen sich die Schritte des Mannes neben ihm und im ersten Moment möchte Kouga ein genervte Geräusch von sich geben, weil sich nun alles nur noch mehr verzögert, doch der Nordkrieger hebt nur ernst den Finger und weist in einiger Entfernung auf ein paar gewaltige Palisaden die zwischen zwei steilen Felswänden den Zugang zu einem Talkessel versperren.

„Da ist es!“, bemerkt Shimogawa bitter. Für einen Moment muss er sich beinah dazu durchringen weiterzugehen, doch dann setzt er einen Fuß vor den anderen und steuert nun langsam auf die Absperrung zu.

„Das ist eure Heimat?“, fragt Kouga und sein Blick geht wachsam zu den Zinnen der Palisaden, jederzeit bereit sich zu verteidigen falls nötig.

„Das ist der Palast des Nordens“, gibt Shimogawa Auskunft.

„Und da drin wohnt dein Clan?“, hakt Kouga nach. „Sieht mir nicht grade gemütlich aus.“

„Was weißt du schon, O-kami?“, schnaubt der Nordkrieger zurück. „Außerdem wohnen nicht alle da drin. Nur die Bediensteten des Palastes. Die anderen leben in der Gegend drum herum.“ Er verzieht unwillig das Gesicht. „Aber wozu erzähle ich dir das?“

Kougas Miene zieht sich zu. „Na, weil ich dem blöden Hanyou-Köter versprechen musste, ein Auge auf euren Clan zu haben. Weiß der Geier warum ich mich dazu habe bequatschen lassen, aber da muss ich dann schon wissen wo ich meine Augen überall haben muss.“

Shimogawa zeigt ihm ein schiefes Lächeln. „Du magst den Kerl auch nicht, ha?“

Kougas Mundwinkel verziehen sich spöttisch. „Seh' ich so aus? Leiden konnte ich den echt noch nie.“ Er seufzt einmal schwer. „Wenn er mich nicht immer bei meiner Ehre packen würde, würde ich mich gar nicht um ihn scheren.“

Zynisch blickt Shimogawa ihn an. „Nichts für ungut, aber glaub mal nicht, dass wir die Hilfe von euch Wölfen brauchen. Wir sind auch so immer zurecht gekommen, jetzt gerade zwar... sieht es ein wenig... schwierig aus, aber...“, hier stockt er und seine Miene bekommt nun etwas Angespanntes und Schmerzerfülltes. Er wischt sich kurz einmal übers Gesicht und ballt dann die Faust. „Das wird schon wieder!“, murmelt er so entschlossen wie ihm möglich war. Dann hebt er den Kopf wieder und blickt Kouga mit einem betont verwegenen Blick an. „Wenigstens bist du noch ein echter Youkai und nicht diese Witzfigur von Hanyou. Mal im Ernst, was für eine Hilfe wäre von dem schon zu erwarten?“

Mit regloser Miene erwidert Kouga den Blick. Dann meint er ironisch: „Ja, besser wir überlassen ihm den Kampf gegen diesen übermächtigen Gegner. Da ist er besser aufgehoben. Vielleicht vertreibt er ihn ja noch mal, dann brauchen wir uns mit dem Vieh nicht hier abgeben.“

„Ganz genau!“, bestätigt Shimogawa entschieden. „Der soll bloß weg von hier bleiben!“

Mit erhobenen Augenbrauen blickt Koga den Inukrieger an. Dann verdreht er die Augen. „Meine Fresse, was seid ihr Hunde dämlich!“

„Hey, was soll das bitte bedeuten?“, empört sich Shimogawa.

„Ach, vergiss es!“, entgegnet Kouga unwirsch und beschleunigt seinen Schritt.

Sie nähern sich dem hölzernen Tor, das links und rechts von seinem Durchgang mit großen, weißen Stoffbandarolen auf denen in großen, geschwungenen Zeichen der Palast des Nordens ausgewiesen wird, begrenzt wird. Unbeirrt schreitet Kouga darauf zu. Es vergehen einige Momente ehe er mitbekommt, dass der Nordkrieger nicht länger an seiner Seite ist. Gereizt blickt er sich zu ihm um. Der Soldat schlurft mit verkniffener Miene auf das Tor zu und wird dabei scheinbar immer langsamer.

„Glaubst du, dass du dich vielleicht ein Bisschen beeilen kannst?“, fragt Kouga entnervt.

Der Hundekrieger wendet störrisch den Blick ab, aber seine Lippen sind fest aufeinander gepresst. Kouga verdreht die Augen. Es juckt ihn in jeder Faser zurückzugehen und diesen humpelnden Idioten am Arm mit sich zu schleifen. Doch vermutlich würde das so dicht vor dem Palasttor eines Hundeclans einen etwas falschen Eindruck vermitteln.

Mit mürrischen Schritten stapft er zu dem anderen zurück. „Würde es was helfen wenn ich schiebe?“, fragt er zynisch.

„Ach, halt die Klappe!“, schnaubt Shimogawa, doch die Art wie der Krieger immer wieder verstohlen zu dem Tor hinüber blinzelt, sagt ihm, dass das Problem offenbar woanders liegt. Kouga seufzt schwer.

„Hör mal!“, meint er eindringlich. „Du bist nur der Bote. Du erzählst ihnen nur was passiert ist. Sie werden dir dafür schon nicht den Kopf abreißen.“

„Da wär ich nicht so sicher!“, erwidert Shimogawa trocken, aber die Antwort signalisiert Kouga, dass er ins Schwarze getroffen hat. Doch noch ehe er weiterhaken kann, sprudelt es schon aus dem Inuyoukai heraus.

„Und was soll ich ihnen überhaupt sagen, hä?“ Kouga bemerkt, dass ein Schaudern über den Körper des Kriegers läuft, offenbar ist er tatsächlich so aufgewühlt wie er sich gerade gibt. Anscheinend will er noch etwas sagen, doch die Worte wollen einfach nicht heraus. Fahrig gestikuliert vor sich in die leere Luft. Es kostet ihn offenbar enorme Überwindung weiterzureden.

„Das da...“, er weist gefrustet hinter sich. „Wie soll ich das...? Ich kann doch nicht....“ Seine Kiefer sind starr aufeinandergepresst. Wild zucken seine Augen hin und her.

Mit verschränkten Armen beobachtet Kouga den inneren Konflikt des Inuyoukai. Sein Blick ist schmal. Schließlich schnellt seine Hand vor und packt fest den zappeligen Unterarm des Kriegers. Direkt blickt er ihm in die Augen. “Hey!“, meint er nachdrücklich. „Krieg dich wieder ein, ja? Du hast noch einen Job zu erledigen.“

Shimogawa fletscht aufgebracht die Zähne. Hasserfüllt funkelt er Kouga an. „Lass mich los, du Arsch! Du hast doch keine Ahnung wie das ist! Wenn dein ganzer Clan in einer einzigen Schlacht ausgelöscht wird. Alle deine Kameraden... alle deine Freunde sind tot! Und du konntest nichts aber auch gar nichts dagegen tun! Nur du bist noch über und musst jetzt solange du atmest damit leben, dass du der Einzige bist, den es nicht erwischt hat. Dass du derjenige bist, der den Hinterbliebenen erklären muss, dass es für unser Volk keine Zukunft mehr gibt....“ Seine Stimme beginnt zu zittern und bricht dann weg. Doch sogleich wird sein Blick wieder hart und seine Augen schleudern alle Verachtung zu der sie fähig sind zu Kouga hinüber. „Du weißt nicht wie das ist!“

Der Wolfsdämon hat die Worte regungslos über sich ergehen lassen, aber seine Miene ist steinern und seine Kiefer sind hart aufeinandergepresst. Unverwandt starrt er zurück in Shimogawas hasserfüllte Augen. Dann packt er unbarmherzig den Arm in seinem Griff noch fester und hält ihn wie in einem Schraubstock fest. Seine Miene ist angespannt aber regungslos. „Ach, weiß ich nicht?“, kommen schließlich die leisen, mühsam kontrollierten Worte. Mehr sagt er nicht, doch seinen durchdringenden Blick hält er weiter auf Shimogawa gerichtet.

Einen sehr langen Moment hält dieses stille Ringen an, währenddessen Shimogawa allmählich die Information verarbeitet die ihm hier so völlig unvermutet zuteil wurde. Es dauert eine ganze Weile ehe er begreift. Schließlich löst sich seine Anspannung wieder. Er senkt den Blick und die eben noch vorherrschende Wut geht langsam in Resignation über. Er löst sich aus Kougas Griff und tritt einen Schritt beiseite. Wieder vergeht eine ganze Weile, ehe eine Reaktion von ihm kommt.

Mit hängendem Kopf und kraftlosen Schultern fragt er: „Was soll ich jetzt tun?“

Kougas Blick ist kühl. „Was schon? Das wozu du den Auftrag bekommen hast. Sag ihnen was passiert ist. Und zeig dabei ein bisschen Würde, verdammt noch mal!“

Shimogawa schließt einen Moment die Augen. Dann blickt er wieder auf. „Na schön, aber leicht wird das trotzdem nicht.“ Damit setzt er sich wieder in Bewegung.

„Hat ja auch keiner behauptet!“, brummt Kouga verstimmt und macht sich daran ihm zu folgen.

Sie gehen nur wenige Schritte, als plötzlich eine helle Stimme von oben ertönt. „Hey, Shimogawa! Schon zurück? Gibt es Neuigkeiten?“

Im ersten Moment ist Shimogawa zusammengezuckt und hat hastig nach oben geschaut. Doch jetzt entspannt er sich wieder, lässt den Kopf hängen und stößt einen sowohl erleichterten als auch verächtlichen Laut aus. Kougas Blick geht ebenfalls hinauf. Auf der Palisade sitzt eine hagere, kleine Gestalt und blickt auf sie hinunter.

Grimmig humpelt Shimogawa weiter ohne die Person über ihnen auch nur eines Blickes zu würdigen. Doch damit gibt diese sich wohl nicht zufrieden. Mit einem geschickten Sprung, schwingt die schmale Gestalt sich von ihrem Posten herunter und landet kurz vor den beiden Neuankömmlingen auf dem Weg. Shimogawa bleibt stehen und seufzt genervt.

Vor ihnen seht eine kleine, magere Person in einem zerschlissenen, kurzen Jinbei. Spindeldürre Arme und Beine ragen aus den kurzen Ärmeln und Hosenbeinen hervor und ihr Kopf sitzt auf einem so erschreckend dünnen Hals, dass man fast Sorge bekommt, er könnte abbrechen. Dafür ist das herausfordernde Grinsen auf dem Gesicht um so frecher. Wild zerzauste, grau-gescheckte Haarfransen umrahmen ein feingeschnittenes, schlankes Gesicht und hellblaue Augen funkeln voller Schabernack zu Shimogawa hinüber.

„Was hast du denn schon wieder hier zu suchen, Jushi?“, brummt Shimogawa missmutig und stapft weiter.

Davon lässt sich das junge Mädchen, was diese Person offenbar ist, nicht beirren. „Was wohl? Ich halte Ausschau nach euch“, gibt sie offen Auskunft während sie neben den beiden herläuft.

„Du hast hier am Haupttor nichts zu suchen“, stellt Shimogawa verstimmt klar.

„Einer muss doch Wache halten und Bescheid geben wenn ihr wieder da seid.“

„Das ist nicht deine Aufgabe!“, erwidert Shimogawa bestimmt.

„Ach was?“, kommt es provokant zurück. „Wessen dann, hä?“

Wortlos beschleunigt Shimogawa seinen Schritt. Doch auch damit wird er das Mädchen nicht los.

„Alle Wachleute sind doch mit in den Kampf gezogen“, fährt Jushi schonungslos fort. „Also muss eben wer anderes den Job übernehmen.“

Shimogawa schnaubt verächtlich. „Ach, und du hältst dich für jemanden der das tun sollte, was?“

„Klar!“, kommt es trotzig zurück.

Mit einer schnellen Bewegung greift seine Hand nach ihrem Gesicht und schubst sie einmal unsanft von sich, so dass sie zu Boden fällt. „Mach dich nicht lächerlich!“, brummt er. „So 'ne halbe Portion wie du hat bei der Wache nichts verloren.“

Unbeirrt, rappelt sich Jushi wieder hoch und schließt rasch wieder zu ihnen auf. „Ich halte ja nur Ausschau, da muss ich nicht kämpfen können. Und außerdem ist sonst eh keiner da der es machen kann.“

Shimogawa verdreht die Augen.“Wozu willst du das überhaupt machen?“, meint er genervt. „Du bist 'n Mädchen. Solltest du nicht lieber was nähen, oder kochen oder so was?“

Jushi stößt ein verächtliches Prustgeräusch aus. „Pff, das ist doch voll öde! Mit solchem langweiligen Babyscheiß, können sich die anderen befassen. Was ihr macht, finde ich viel interessanter.“

Shimogawa beißt die Zähne zusammen. „Mach, dass du heim kommst! Du hast doch keinen Schimmer worum es dabei wirklich geht.“

„Klar hab ich das!“, behauptet Jushi ernst, „Um den Schutz unseres Clans. Die Krieger beschützen die Frauen. Sie kämpfen mit Kraft und Ehre und geben ihr Leben für den Fortbestand unseres Volkes. Ich weiß, dass das 'ne sehr ernste Sache ist. Ich will das auch! Ich kann kämpfen, wenn... wenn ich nur...“ Ihre Stimme wird eindringlicher, doch jetzt wird sie abrupt von Shimogawa unterbrochen. „Halt die Schnauze!“, bricht es unbeherrscht aus ihm heraus. Wild dreht er sich zu ihr um. „Du weißt nichts über die Aufgaben eines Kriegers. Nichts verstehst du? Du bist eine Mädchen! Mädchen kämpfen nicht! Das ist Aufgabe der Männer. Und du bist kein Mann. Du wirst niemals kämpfen! Niemals! Also schlag dir diese schwachsinnige Idee aus dem Kopf!“

Völlig perplex lässt das Mädchen den Wutausbruch über sich ergehen. Für einen Moment bringt sie kein Wort heraus. Ihr Gesicht ist blass und sie schluckt schwer. Doch dann fasst sie sich wieder und in ihre Miene kehrt der Trotz zurück. Ärgerlich richtet sie sich auf und schiebt die Unterlippe vor während sie ihn grimmig anfunkelt. „Fick dich doch!“, faucht sie wütend. Dann macht sie auf dem Absatz kehrt und läuft zurück Richtung Palast. Nur kurz darauf ist sie schon nicht mehr zu sehen.

Shimogawa lässt die Schultern hängen. Müde wischt er sich mit der Hand über die Augen.

Mit zynischer Miene und verschränkten Armen steht Kouga neben ihm. „Gehst du immer so mit Kindern um?“

„Ach, halt den Mund!“, meint Shimogawa erschöpft. „Die kleine Landplage steckt das schon weg. Die ist so seit ich sie kenne. Die kommt schon klar damit. Soll froh sein, dass sie grade nichts damit zu tun hat.“ Er seufzt einmal. „Na, komm schon. Wird Zeit, dass wir Deburi finden und ihm Bericht erstatten. Ich will es endlich hinter mir haben.“
 

Das Tor im Schutzwall, der zum dahinterliegenden Talkessel führt, ist nur angelehnt und steht einen Spalt breit offen. Offensichtlich rechnet der Nordclan mit keinerlei Übergriffen. Kouga muss sich eingestehen, dass er das etwas verwunderlich findet. Scheinbar hat das Mädchen nicht gelogen. Offenbar sind wirklich alle Krieger auf den Feldzug ihrer Fürstin mitgegangen. Das macht die ganze Sache natürlich noch tragischer. Zu gerne wüsste er warum der Nordclan so vorgeht. Doch diese Frage muss wohl warten.

Gerade laufen sie über einen baumbeschatteten Innenhof. Vor ihnen liegt der massive Felsen an dessen Flanke man zahlreiche Hütten und Wege gebaut hat, die letztlich zum Thronsaal an der Spitze des Felsmassives führen. Doch auch hier unten befinden sich einige Hütten die offensichtlich bewohnt sind. Gerade jetzt schauen hier und da neugierige Augen heraus und mustern den heimgekehrten Krieger und seine unbekannte Begleitung.

Eine vornehm wenn auch schlicht gekleidete Frau tritt nun auf Shimogawa zu. Sie hat helle Haut, aschgraue Haare und verhärmte, steife Gesichtszüge die ihr eine säuerliche, strenge Miene bescheren. „Shimogawa“, begrüßt sie ihn mit leicht erhobenen Brauen. „Wie überraschend dich hier zu sehen. Gibt es Neuigkeiten von der Schlacht?“

Wieder legt sich deutliche Anspannung auf Shimogawas Gesicht. „Chiegusa, ich muss mit Deburi-sama sprechen! Sofort!“

Die Frau blickt ihn etwas pikiert an. Dann wandert ihr Blick hinüber zu Kouga. „Dürfte ich vielleicht erfahren, warum du einen O-Kami hier anschleppst?“ Die Art wie sie das Wort 'O-Kami' ausspricht, lässt tief blicken.

Shimogawas Miene verfinstert sich.“Nein, darfst du nicht, du alte Krähe, und jetzt sag Deburi-sama, dass ich ihn sprechen muss. Es ist äußerst wichtig.“

Der Mund der Frau ist ein dünner Strich. „So“, meint sie ironisch. “Na, wenn es 'äußerst wichtig' ist, denn werde ich mich wohl mal beeilen.“ Sie wirft Shimogawa noch einen verächtlichen Blick zu, dann dreht sie sich um und spaziert gemächlich in die entgegengesetzte Richtung davon, hin zu einigen Hütte ein Stück entfernt.

Kouga hat den Wortwechsel schweigend verfolgt. Um sie herum bemerkt er jetzt immer mehr Personen die ihre Häuser verlassen und neugierig näher kommen. Dass es bis auf ein paar wenige Kinder nur Frauen zu sein scheiden, sollte ihn nicht verwundern, und dennoch macht sich zunehmend Unbehagen in ihm breit, mit jeder weiteren Person die auftaucht. Er ist sich bewusst, dass sie alle Neuigkeiten über den Verlauf des Kampfes erfahren wollen und das hinterlässt ihm einen bitteren Geschmack im Mund.

Auch Shimogawa scheint es bemerkt zu haben. Der Krieger ist äußerst angespannt und blickt nur geradeaus in die Richtung in der die Frau gerade verschwunden ist.

Kouga tritt etwas näher an ihn heran. „Wer ist denn dieser Deburi?“, fragt er gedämpft.

„Deburi ist der ranghöchste Krieger hier“, raunt Shimogawa zurück. „Er hat hier das Sagen wenn Yarinuyuki-sama gerade nicht da ist.“

„Also so was wie ein Fürst?“, hakt Kouga nach.

Shimogawa schüttelt energisch den Kopf. „Nein, Yarinuyuki-sama ist die alleinige Herrscherin unseres Clans.“

„Und...“, setzt Kouga ein wenig skeptisch nach, „wird er Fürst wenn eure Fürstin es vielleicht doch nicht schafft?“

„Bei den Göttern, bloß das nicht!“, presst Shimogawa kaum hörbar heraus. „Wenn ich den jeden Tag ertragen müsste...“

Doch weiter kommen sie nicht. Gerade jetzt erscheint im Türrahmen einer der Hütten eine hochgewachsene Gestalt und bewegt sich auf sie zu. Was dabei auffällt ist, dass diese Person sichtbar humpelt auch wenn sie sich Mühe gibt es nicht zu zeigen. Es ist ein großer, kräftiger Mann. Er hat lange graue Haare und unter einem voluminösen Pelzmantel aus allerlei Flicken trägt er eine stattliche Lederrüstung. Beim Näherkommen jedoch erkennt man dass die erhabene Erscheinung durch mehrere Verunstaltungen entstellt ist. Der rechte Arm endet im Ellenbogen und an der linken Hand fehlen Daumen und Zeigefinger. Statt dem linken Bein stützt er sich beim Gehen auf eine hölzerne Prothese und über sein linkes Auge zieht sich eine tiefe zerfranste Narbe.

Das alles ändert jedoch nichts an der würdevollen Haltung die der Mann an den Tag legt. Mit festem Schritt, in der linken Hand einen langen, kräftigen Speer für das Gleichgewicht, bewegt er sich auf die beiden Neuankömmlinge zu und Kouga stellt fest, dass Shimogawa zunehmend nervös wird.

Als der eindrucksvolle Mann bei ihnen angelangt ist und sie beide mit einem strengen Blick bedenkt, fällt Shimogawa rasch auf die Knie und neigt das Gesicht zum Boden. „Deburi-sama!“, stößt er ehrerbietig hervor. „Ich habe Nachricht von der Front.“

Zunächst kommt keine Reaktion von dem Truchsess, dann legt sich um seinen Mund ein verächtlicher Zug. „Shimogawa“, die kratzige Stimme klingt geringschätzig. „Einen anderen Boten haben sie nicht finden können?“

Noch immer blickt Shimogawa starr zu Boden. „Ich fürchte nein, Deburi-sama. Es ist nämlich so, dass...“

„Du sprichst gefälligst nur wenn du dazu aufgefordert wirst!“, unterbricht Deburi ihn harsch. „Ich verspüre wenig Lust mir dein Gejammer anzuhören.

„Aber Deburi-sama“, setzt Shimogawa an, „ich will mich doch gar nicht beschweren, es ist nur...“

„Das wäre auch noch schöner!“, unterbricht der Truchsess ihn erneut. „Deine Wehleidigkeit steht dir nicht gut zu Gesicht. Das ist eines echten Kriegers unwürdig.“

Shimogawa ballt unwillkürlich die Fäuste. Beherrscht sagt er: „Deburi-sama, ich muss Euch etwas wichtiges mitteilen.“

„Ja, das sagte Chiegusa bereits“, erwidert der alte Krieger sarkastisch. „Etwas 'äußerst wichtiges'. Nun denn“, der Truchsess macht eine gehässige Geste mit seinem Armstumpf, „raus damit! Sag schon wozu du gekommen bist!“

Shimogawa hebt langsam den Kopf und blickt sich mit leichter Besorgnis um. Inzwischen hat sich eine recht beträchtliche Gruppe an Schaulustigen in gebührendem Abstand um sie geschart und so wie es aussieht sind sie alle begierig darauf seinen Bericht zu hören.

„Vielleicht wäre es besser, wenn ich Euch das zunächst im Vertrauen berichte“, gibt er besorgt zurück. Im selben Moment trifft ihn ein harte Schlag mit dem Ende von Deburi Speer mitten ins Gesicht. Schmerzerfüllt hält er sich die blutende Nase.

„Willst dich wohl aufspielen, was?“, kommt es erbost von Deburi. „Seit wann hast du denn darüber zu entscheiden wann und wo du etwas zu tun hast? Raus mit der Sprache und zwar sofort!“ Wild funkelt das eine Auge des Veteranen auf Shimogawa herunter.

„Geht mich ja vielleicht nichts an, aber vielleicht solltet Ihr doch besser auf ihn hören.“ Mit verschränkten Armen hat sich nun Kouga zu Wort gemeldet. Er begegnet der hasserfüllten Miene des Truchsesses, der nun zu ihm herumfährt, mit unerschütterlicher Gelassenheit.

„Und wer bist du?“, kommt die bissige Frage als der Krieger entschlossen auf den Wolf zu humpelt um sich hoch vor ihm aufzubauen.

Ungerührt erwidert Kouga seinen Blick. „Ich heiße Kouga. Ich bin Anführer des östlichen Wolfrudels und ich kann mir wahrhaft Schöneres vorstellen als hier zu sein. Aber ich hab diesem Hanyou versprochen, dass ich ein Auge auf eure Leute habe und hier bin ich nun. Außerdem denke ich es wäre gut wenn Ihr diesem Jammerlappen da mal Gehör schenken würdet, statt ihn in einer Tour zu demütigen nur um Euch wichtig zu tun.“

Die Anspannung die nach diesen Worten in der Luft hängt ist fast greifbar. Alle Augen ruhen auf Kouga der mit verschränkten Armen dem alten Truchsess die Stirn bietet, dessen Gesichtsfarbe gerade von fassungslosem Weiß bis zu zornfunkelndem Rot wechselt. Er sieht aus als könnte er jeden Augenblick explodieren.

„Du wagst es in diesem Ton mit mir zu sprechen, O-Kami?“, bricht es schließlich ungehalten aus ihm heraus. Seine Augen treten fast aus den Höhlen und kleine Spucketröpfchen fliegen in Kougas Gesicht, der es demonstrativ unterlässt sie fortzuwischen. Wütend packt Deburi den Schaft seines Speeres so fest, dass das Holz knirscht. Dann wendet er sich mit einem Ruck ab und tritt Shimogawa einmal nachdrücklich in die Seite, dass dieser sich unwillkürlich krümmt. Wieder ruckt sein hasserfüllter Blick zu Kouga herum. „Du hast hier überhaupt nichts zu sagen! Und auf deine Ratschläge können wir gern verzichten!“, blafft er verächtlich. „Und du“, er wendet sich wieder Shimogawa zu. „Sag endlich was du zu sagen hast!“ Ein erneuter Stoß mit seinem Speer verleiht seinen Worten Nachdruck. „Na los, red schon!“

Shimogawa setzt sich auf. Er beißt sich unbehaglich auf die Lippen und schluckt schwer, wohl wissend, dass gerade sämtliche Anwesende an seinen Lippen hängen. „Wir... haben den feindlichen Eindringling aufgespürt“, beginnt er zögernd. „Und es kam zum Kampf“ Er atmet einmal tief durch. „Leider... verlief die Schlacht anders als erwartet.“ Seine Augen starren nun vor sich zu Boden. „Es gab... schwere Verluste.“ Ein erschrockenes Aufkeuchen ist ringsumher zu vernehmen. „Unser Gegner war viel stärker als angenommen“, fährt Shimogawa verbissen fort. „Yarinuyuki-sama wurde... schwer verletzt.“ Nun geht ein beunruhigtes Raunen durch die Menge.

„Wie viele Verluste haben wir erlitten?“, kommt die scharfe Stimme des Truchsesses.

Wieder ringt Shimogawa mit den Worten als sich plötzlich erneut das Schaftende des Speers unter sein Kinn schiebt und sein Gesicht schonungslos nach oben hebt. Finster blickt der Truchsess ihn an. „Wie viele!“

Noch einmal schluckt Shimogawa schwer. Dann stößt er gequält hervor: „Alle, Deburi-sama! Bis auf Itakouri, Nadare und mich hat niemand überlebt. Als ich ging, war Yarinuyuki-sama verwundet. Ich weiß nicht ob...“, seine Stimme wird mit jedem Wort dünner und bricht schließlich weg.

Eine beängstigende Stille liegt nun über dem Platz. Sie hält viele schreckliche Herzschläge an. Dann endlich entlädt sich die fassungslose Schockstarre und weicht einem beklemmenden Stöhnen, Heulen und Schluchzen. Man muss nur in die Gesichter der Umstehenden sehen um zu erkennen, dass diese Offenbarung niemanden ungerührt gelassen hat. Die Frauen des Nordclans sind bis ins Mark erschüttert.

Die Klage hält unvermindert an und überall sieht man Kinder die sich in die Arme ihrer Mütter geflüchtet haben um ihrem Kummer Ausdruck zu verleihen. Shimogawa sitzt mit blassem Gesicht schlaff auf dem Boden und starrt vor sich hin. Es ist offensichtlich, dass auch ihn gerade die Trauer zu übermannen sucht.

Deburi tritt aufgebracht von einer Seite auf die andere. Seine Miene wirkt wild und gehetzt. Schließlich richtet er sich energisch auf und vollführt eine harte Geste mit dem Speer. „Ruhe! Seid ruhig! Auf der Stelle!“ Tatsächlich kommt das Klagen nun ein wenig zum Erliegen. Grimmig blickt Deburi in die Runde. „Was fällt euch ein, euch so gehen zu lassen?“, zürnt er. „Habt ihr vergessen wer wir sind? Habt ihr vergessen zu welchem Clan ihr gehört? Habt ihr vergessen wofür er steht?“ Finster schreitet er auf seinen Speer gestützt an den schniefenden Frauen entlang. „Seht euch nur an! Ihr benehmt euch wie kleine Kinder! Ein Youkai des Nordclans wird niemals Schwäche zeigen! Niemals! Das wisst ihr so gut wie ich. Ihr wisst alle, dass das Leben hart ist. Wir verlieren nicht zum ersten Mal Kämpfer. Hört auf sie zu beklagen! Ehrt sie! Würdigt ihr Opfer! Sie sind in der Erfüllung ihrer Pflicht gestorben. Und jetzt geht gefälligst nach Hause und tut das was eure Pflicht ist. Ich werde euch in Kürze bekannt geben was jetzt weiter geschehen wird. Na los! Verschwindet!“

Ein wenig zögerlich doch immerhin folgsam, beginnt sich die Gruppe der Frauen aufzulösen. Mit hängenden Köpfen und hier und da zittrigen Gliedmaßen kehren die Youkaifrauen zu ihren Wohnstätten zurück. Doch bis auf des jämmerliche Schluchzen einiger kleiner Kinder ist nun kein Laut mehr zu hören. Schließlich bleiben Kouga, Shimogawa und Deburi alleine auf dem Platz zurück.

Ärgerlich starrt der Truchsess abwechselnd von Kouga zu Shimogawa hinüber und ein missmutiger Laut entfährt seiner Kehle. „Na, das ist ja wunderbar gelaufen“, brummt er verstimmt. Nun blickt er doch wieder auf seinen geknickten Landsmann hinab. „Also schön, du elender Trauerkloß, komm mit und dann will ich gefälligst einen vollständigen Bericht haben. Und wehe du lässt irgendwas aus!“

Mit starrer Miene erwidert Shimogawa seinen Blick. „Ich hatte Euch angeraten, den Bericht zunächst unter vier Augen zu hören.“ Sogleich trifft ihn einmal mehr der Speerschaft am Kopf.

„Maßregelst du mich etwa?“, gefährlich dreht sich der alte Krieger zu ihm um. „Hast du etwa irgendetwas an meinen Entscheidungen zu beanstanden?“ Herausfordernd beugt sich Deburi zu ihm hinunter, doch rasch wendet Shimogawa den Blick ab. Wieder ein Knuff mit dem Speer. „Ob du etwas zu beanstanden hast, will ich wissen!“, wiederholt der Truchsess gnadenlos. Sein Gesicht ist nur wenige handbreit von Shimogawas entfernt.

„Nein, Deburi-sama“, die Worte des jungen Kriegers sind nur noch ein Flüstern.

„Dann mach, dass du hoch kommst!“ Unbarmherzig treibt er Shimogawa mit seiner Behelfskrücke an. „Und du wartest gefälligst hier, bis wir alles nötige geklärt haben, O-Kami!“, wendet er sich scharf an Kouga. Auch bei ihm weist die Betonung des Wortes auf wenig Sympathie hin.

Missmutig blickt Kouga den beiden hinterher. Er legt wenig Wert darauf sich das ganze tragische Ausmaß des Geschehens noch einmal schildern zu lassen. Sollen sie sich ruhig so viel Zeit lassen wie sie wollen. Das Einzige was ihm sauer aufstößt, ist dass seine einzige Kontaktperson hier wahrlich wie ein geprügelter Hund davongetrieben wird um diesem selbstherrlichen Ersatzfürsten gefällig zu sein. Nicht, dass er übermäßig viel Sympathie für Shimogawa übrig hätte, aber nun hat er erst mal nichts besseres zu tun als hier dumm in der Gegend herumzustehen und abzuwarten was als nächstes passiert.

Kouga seufzt leise. Was man nicht alles auf sich nimmt um einer Dame einen Gefallen zu tun. Vielleicht ist es das Sinnvollste wenn er zurück zum Haupttor geht und dort ein Auge auf die Umgebung behält. Schließlich ist es genau das was er diesem blöden Halbdämon versprochen hat und zum anderen verspürt er gerade wenig Lust sich mit irgendeiner der hier ansässigen Personen abzugeben. Ein wenig Wache halten lenkt ihn hoffentlich von irgendwelchen rührselig anmutenden Gedanken ab und ist immerhin besser als nur Däumchen zu drehen.

Lustlos trottet er zum Haupttor zurück, springt hinauf der Spitze der Palisade und lässt sich dort auf einem leidlich bequemen Felsvorsprung nieder. Schweigend starrt er hinaus in die dunkle Nacht. Zwar würde es ihm hier wohl niemand übelnehmen wenn er mal eine Mütze voll Schlaf nehmen würde, doch er sieht im Moment lieber davon ab zu schlafen. Zu unsicher ist er ob ihn die herzzerreißenden Klagerufe der verwitweten Clanfrauen nicht vielleicht doch in seine Träume verfolgen. „Das wirst du mir büßen, dämlicher Hanyou!“, knurrt er vor sich hin, doch dann verfällt er wieder in Schweigen.

Am Jakuyama

Duldsam marschieren Inu Yasha und Kagome hinter ihrer hochgewachsenen, weißblonden Führerin her. Ihre Vermutung hat sich bestätigt. Das Empfinden von Entfernungen scheint bei den Youkai des Südclans von anderer Art beschaffen zu sein. Seit Stunden sind sie nun schon unterwegs und am Horizont zeichnet sich jetzt bereits mit einer blass gelben bis türkisgrünen Farbe das erste Licht des neuen Tages ab. Von wegen nicht weit! Offenbar ist bei ihnen alles unter einer Tagesreise nur ein Spaziergang.

Allerdings muss man der Frau zugute halten, dass sie diesmal ihre Schrittgeschwindigkeit an die ihrer Begleiter anpasst. Trotzdem ist diese Wanderung auf Dauer ziemlich ermüdend. Kagome taumelt bereits schlaftrunken neben ihm her und auch Inu Yasha spürt inzwischen jeden Muskel in seinem Körper. Schließlich sind sie die ganze Nacht durchgelaufen, doch dass scheint die Kazeba nicht weiter zu kümmern.

Andererseits wollen sie auch nicht schon wieder Protest erheben. Inu Yasha und Kagome sind stillschweigend übereingekommen, dass es weise ist ein wenig Zähigkeit zu zeigen wenn sie bei den Südyoukai Eindruck schinden wollen. Schließlich hängt hier alles davon ab, dass sie einen guten Eindruck hinterlassen. Da kann man ausnahmsweise mal auf ein wenig Schlaf verzichten.

Das alles ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die zwei sich inzwischen ziemlich zerschunden fühlen. Kagome ist schließlich immer noch ein Mensch und ihr Körper für solche nächtlichen Gewaltmärsche nicht geschaffen, obwohl sie ihr Bestes gibt.

Ein paar Mal schlingert Kagomes Schritt doch etwas unsicher über den unebenen Boden und hin und wieder übersieht sie ein Loch im Boden wodurch der urplötzliche Gleichgewichtsverlust sie kurz aus ihrem Dämmerzustand holt.

Als sie erneut mit dem Fuß an einer Wurzel hängenbleibt, beschließt Inu Yasha einzugreifen. Wortlos nimmt er ihre Hand, zieht sie sanft aber bestimmt zu sich und mit Erleichterung nimmt sie es widerstandslos hin, dass er sie sich auf den Rücken schwingt. Er spürt wie sie sich leicht an ihn schmiegt und wie schließlich ihr Körper sich entspannt und sie wegdöst. Ein mildes Lächeln entfährt ihm. Auch wenn er jetzt wieder mehr mit seinen Schmerzen und dem Weg zu kämpfen hat, er ist schon dankbar, dass sie nicht weiter protestiert.

Seine Führerin lässt jedoch nicht erkennen, ob sie etwas davon mitbekommen hat. Stur wandert sie weiter durch den Wald der jetzt immer spärlicher wird und zunehmend zerklüftete Felsformationen aufweist.

Schließlich hält Inu Yasha die Eintönigkeit doch nicht mehr aus. „Was geschieht mit uns am Jakuyama?“, fragt er in die morgendliche Stille. „Was sollen wir dort machen?“

Die Kazeba wendet sich gereizt zu ihm um, scheint sich dann aber doch zu besinnen und ihre Züge glätten sich wieder ein wenig. „Es ist mir nicht gegeben zu wissen welche Prüfung euch dort erwartet“, sagt sie bedächtig. „Nie war es uns gestattet den Berg zu betreten. Indem wir euch Zugang gewähren, brechen wir ein uraltes Tabu. Man warnte uns eindringlich davor dieses Verbot zu missachten. Womöglich setzen wir damit unser Volk einer erheblichen Gefahr aus. Ganz zu schweigen davon, dass euer Leben verwirkt sein wird, wenn eure Geschichte nicht der Wahrheit entspricht. Ich will für euch hoffen, dass euer Anliegen dieses Risiko wert ist.“

Inu Yasha verzieht mürrisch das Gesicht. „Also statt, dass Ihr uns dann tötet, lasst ihr es von jemand anderem tun, verstehe ich das richtig?“

Wieder wirft die Frau ihm einen eigenartigen Blick zu. „Meine Pflicht ist der Schutz unseres Volkes!“, erklärt sie würdevoll. „Ich bin die Kazeba, die Windklinge. Ich lebe nur um unserer Fürstin zu dienen, um sie 'groß' zu machen. Für mich gibt es nichts Wichtigeres als das Wohlergehen all derer die sich auf meinen Schutz verlassen. Ich werde nicht dulden, dass alles was uns lieb und teuer ist von zwei Anderen leichtfertig in Gefahr gebracht wird.“

Inu Yasha presst kurz die Lippen aufeinander. „Dann sind wir ja schon zwei. Auch ich versuche mein Reich und meine Leute zu schützen. Das ist auch der einzige Grund warum wir hier sind. Ich will nicht, dass jemand der mir viel bedeutet zu Schaden kommt.“

Ein verächtliches Schnauben entfährt der Kazeba. „Ihr Kinder der Drei kennt doch nichts anderes außer Kampf, Hass und Zerstörung. Es grenzt schon an ein Wunder, dass euer Volk nach all der Zeit überhaupt noch existiert.“

Nun regt sich doch deutlicher Ärger in Inu Yasha. „Ihr müsst uns wirklich sehr hassen, nicht wahr?“, bemerkt er bitter. „Dabei wisst Ihr so gut wie nichts über uns. Aber trotzdem hängt ihr an diesem völlig falschen Bild von uns fest als wäre es in Stein gemeißelt.“

Die Kazeba hebt die Brauen. „Ein Hanyou verteidigt sie? Das verwundert mich. Die Anderen werden Abartigkeiten wohl kaum mehr Wohlwollen entgegenbringen als sie das untereinander tun. Kein sehr dankbares Bemühen scheint mir.“

Innerlich köchelt es in Inu Yasha. Nicht nur wegen der Art wie diese Frau ihn sieht, sondern auch darüber mit welcher Selbstverständlichkeit sie das kundtut. Er atmet ein paar mal innerlich durch und beißt hart die Kiefer aufeinander um sich nicht gleich wieder unbeherrscht darüber zu empören. Er ist ein Fürst und ein Repräsentant der anderen Clans, ruft er sich ins Gedächtnis. Das bedeutet vermutlich über solche banalen Dinge erhaben zu sein, aber leicht ist es trotzdem nicht.

So gefasst möglich hebt Inu Yasha den Kopf. „Nicht alle von uns sind schlecht“, entgegnet er deutlich „Es gibt sogar ein paar die ich eigentlich mag. Aber darum geht es nicht.“ Stoisch blickt er vor sich hin während er weitertrottet. „Ich habe nie darum gebeten Fürst meines Clans zu sein“, beginnt er erneut. „Mein Bruder ist für so was viel besser geeignet. Eigentlich habe ich das Amt nur übernommen weil er mir im Grunde keine Wahl gelassen hat. Ich habe so eine Verantwortung nie gewollt.“ Er hebt den Kopf. „Aber als ich Katsuken gegenüberstand, ist mir klar geworden, dass man sich seine Verantwortung nicht immer aussuchen kann. Ich bin der Sohn unseres ehemaligen Fürsten, meines Vaters, und auch wenn ich viele von unserem Clan nicht mag, so kann und werde ich trotzdem nicht zulassen, dass sie einfach abgeschlachtet werden. Nicht solange es noch etwas gibt was ich dagegen tun kann. Wir kamen hierher, weil es die einzige Möglichkeit erschien, unser Volk zu retten und Ihr könnt mir glauben, dass viele versucht haben es uns auszureden. Bei uns geltet ihr ebenfalls als unzivilisiert, gnadenlos und gewalttätig. Aber ich glaube inzwischen... dass entspricht nicht ganz der Wahrheit. Vielleicht würdet Ihr unser Volk auch in einem anderen Licht sehen, wenn Ihr es nur ein wenig näher kennen lernen würdet.“ Ernsthaft blickt er sie an.

Schweigend erwidert sie seinen Blick, was sie denkt, ist nicht zu deuten. Eine ganze Weile kommt kein Ton von ihr, doch dann bemerkt sie knapp: „Es ist uns strengstens verboten Kontakt zu den Anderen aufzunehmen. Nicht vor der Zeit der Wiedervereinigung. Das lernen bei uns schon die Kinder. Und nie haben wir dieses Gesetz gebrochen, Wir werden jetzt nicht damit anfangen.“

„Was wenn jetzt die Zeit der Wiedervereinigung da ist?“, fragt Inu Yasha zurück.

„Das wird sich erst zeigen“, entgegnet die Kazeba kühl.

„Aber was wenn doch“, hakt Inu Yasha nach. „Würdet ihr dann mit uns kommen?“

Wieder kommt einen langen Moment keine Antwort von der Youkaifrau aber ihre Bewegungen werden steifer. „Wir werden sehen“, antwortet sie schließlich knapp.

Während sie weitergehen, dringt immer mehr Licht hinter dem Horizont hervor und beleuchtet die Kulisse die sich ihnen nun bietet. Sie haben den Wald hinter sich gelassen und vor ihnen ragt nun ein gewaltiges, zerklüftetes Felsmassiv auf, das in die ersten roten Strahlen der aufgehenden Sonne getaucht ist.

Noch befinden sie sich auf einer Anhöhe und schauen hinab in einen kleinen Talkessel wo aus der Entfernung einige solide Palisaden um den vorderen Ausläufer des Berges auszumachen sind. Innerlich atmet Inu Yasha auf. Wie es scheint sind sie jetzt doch endlich am Ziel.

Mit großen Schritten stapft die Kazeba vor ihm den Hang hinab und Inu Yasha folgt ihr. Langsam nähern sie sich der Umzäunung. Aufmerksam beäugt der Hanyou seine Umgebung. Im Augenblick scheint noch alles ruhig zu sein, doch bei diesen Youkai vom Südclan ist mit allem zu rechnen. Bestimmt wird diese Einrichtung scharf bewacht.

Immer näher kommen sie der befestigten Anlage und Inu Yasha kribbelt es zunehmend im Nacken. Sein Gefühl sagt ihm, dass sie bereits beobachtet werden und dass die Augen nicht freundlich sind. Außerdem ist hier der Geruch nach Dämonenhunden fast schon übermächtig. Eine enorme Unruhe erfüllt ihn und nur die Tatsache, dass seine Führerin bisher noch keinerlei Anspannung zeigt, sorgt dafür, dass er weiter auf den Palisadenzaun zugeht.

Er ruckt leicht mit den Schultern um Kagome aufzuwecken. Schließlich sind sie jetzt am Ziel angekommen und außerdem möchte er lieber beide Hände zur Verfügung haben wenn es doch zu einem Zwischenfall kommen sollte.

Kagome schreckt leicht hoch und blinzelt mit schweren Augenlidern. Sie gähnt herzhaft und versucht dann zu erfassen wo sie sich befindet. Während sie sich noch ausgiebig die Augen reibt, schaut sie sich neugierig um. Doch bis auf die übermannsgroßen Palisaden vor ihnen ist noch immer nichts Bedrohliches auszumachen. Nur noch wenige Schritte trennen sie von den Bauten.

Urplötzlich saust vor ihnen etwas blitzschnell durch die Luft und direkt vor den Füßen der Kazeba bohrt sich ein großer Speer in den Boden. Die hochgewachsene Frau bleibt stehen und hebt den Blick. Sonst kommt keine Regung von ihr. Kagome ist ein wenig zusammengezuckt doch nun entwindet sie sich rasch Inu Yashas Griff und tritt neben ihm. Noch einmal unterdrückt sie ein kurzes Gähnen doch nun ist sie wieder wach und die Aufmerksamkeit kehrt zurück.

Wachsam blickt Inu Yasha hinauf zur Zinne der Palisade um den Werfer auszumachen. Dieser lässt auch nicht lang auf sich warten. In diesem Moment schon schwingt sich ein hochgewachsener Youkai über die Brüstung und landet mit einem geschmeidigen Satz direkt neben dem Speer zu ihren Füßen. Es ist ein drahtiger, junger Mann und seine Haare haben einen noch helleren Farbton als die Kazeba. Überhaupt wirkt er allgemein sehr blass und sein schulterlanges Haar steht in wilden Fransen überall vom Kopf ab. Er trägt eine ebenfalls helle aber sehr robuste Lederrüstung und seine kräftige Hand schließt sich jetzt wieder galant um den Schaft des Speeres, ehe er ihn mit einem resoluten Ruck wieder an sich nimmt.

Stechend rote Augen funkeln die Neuankömmlinge gefährlich an. Dann fragt er mit regloser Miene: „Was wollt Ihr, Kazeba?“

„Es gibt nur einen Grund für unser Hiersein, Kairoku“, antwortet die Kazeba nun mit leisem aber nachdrücklichen Ton.

Das scheint den Anderen jedoch nicht zu beeindrucken. „Ihr geht!“, stellt er deutlich klar.

Die Youkaifrau tritt nun direkt auf ihn zu und nur wenige Handbreit vor ihm bleibt sie stehen. Sie ist mit ihm auf Augenhöhe und begegnet unverwandt seinem Blick. Hoch aufgerichtet taxieren sich die beiden und tragen einen stillen Kampf des Willens aus.

„Ich werde niemanden passieren lassen!“, presst der weißblonde Youkai zwischen gefletschten Zähnen hervor.

Die Augen der Kazeba leuchten unheilvoll auf. „Du wirst uns passieren lassen!“, kommt die bedrohliche Erwiderung.

Für einen kurzen Moment hängen die Worte schwer in der Luft. Die Spannung zwischen den beiden Youkai ist fast greifbar. Ein tiefes Knurren erfüllt die spannungsgeladene Luft und noch immer halten sich die beiden mit ihren Blicken gefangen. „Warum werde ich das?“, kommt es schließlich grimmig von dem Mann.

„Die Kaba verlangt es! Es ist an der Zeit. Es muss geschehen!“, ist die ernste Antwort die von einem tiefen Grollen begleitet wird.

Kagome und Inu Yasha verfolgen das karge Streitgespräch und sie sind sich sicher, dass außer den wenigen Worten die zwischen den beiden fallen, viel mehr mitgeteilt wird, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Wieder herrscht hier diese bedrohliche Aura die man nie so recht fassen kann, und die einem dennoch eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Einmal mehr, das ist ihnen klar, wird hier über ihr Leben verhandelt und Inu Yasha weiß nicht genau, ob ihm das wirklich recht ist, immer so ausgeliefert zu sein.

Schließlich verstummt das Grollen in den Kehlen der beiden Südyoukai. Doch noch immer lassen sie sich nicht aus dem Blick. „Was ist das da?“, kommt nun Kairokus abfällige Frage und ohne den Blick von der Kazeba abzuwenden, weist sein Finger in Inu Yashas Richtung.

Sogleich zieht sich die Miene der Kazeba wieder zu. „Dies ist ein Fürst der Anderen. Die Kaba wünscht, dass wir ihm Respekt bekunden!“, weist sie ihn mit gefletschten Zähnen zurecht.

„Das ist ein Hanyou!“, kommt es verächtlich zurück.

„Es ist nicht an dir zu entscheiden nach welchen Kriterien die Anderen ihre Herrscher bestimmen!“

„Warum wurde er nicht getötet?“

„Das ist nicht von Belang für dich! Es ist so!“

„Es ist von Belang, wenn ich ihm Zugang zum Jakuyama gewähren soll!“

„Die Kaba hat es entschieden! Es ist nicht an dir es in Frage zu stellen!“

Wieder erfolgt ein langes Zögern bei dem der weißhaarige Youkai offensichtlich schwer mit sich ringt.

„Wer übernimmt die Verantwortung wenn es schief geht?“, fragt er dann doch noch einmal.

„Die Kaba wird das tun!“, noch einmal richtet sich die Kazeba zu ihrer vollen Größe auf. „Sie wird die Schuld auf sich nehmen.“

Man kann für einen Moment erkennen wie Kairoku die Gesichtszüge entgleisen. Zum ersten Mal schwenken seine Augen für einen kurzen Moment hinüber zu Inu Yasha und Kagome. „Sind sie das tatsächlich wert?“, seine Stimme klingt nun deutlich eingeschüchterter.

Mit einem Arm schiebt die Kazeba ihn nun zur Seite. „Die Kaba würde anderenfalls nicht so entscheiden!“ Erhobenen Hauptes schreitet sie an dem Mann vorbei. Dabei winkt sie kurz Inu Yasha und Kagome ihr zu folgen ohne sich noch einmal umzudrehen.

Ein wenig beklommen folgen die beiden ihrer Aufforderung. Noch immer unter den wachsamen und äußerst skeptischen Blicken des weißblonden Kriegers begleiten sie die Kazeba zu den Palisaden. Hier stößt sich diese kurz ab und gewandt überwindet sie die Umzäunung. Unverzüglich schwingt sich Inu Yasha Kagome wieder auf den Rücken und mit einem kräftigen Sprung folgt er der Kazeba hinüber. Zwar spürt er bei der kurzen Anstrengung erneut das Reißen und Knirschen in seinen Gliedern, doch es ist noch auszuhalten.

Gerade als er sich auf der anderen Seite herabsenken will, zuckt er innerlich ein wenig zusammen. Das halbkreisförmige Areal hinter dem Zaun ist fast bis auf den letzten Winkel hin ausgefüllt mit riesenhaften, hell und rot gescheckten Dämonenhunden die sich überall um sie her auf dem Boden niedergelassen haben. Einige dösen bequem vor sich hin, andere haben den Kopf erhoben und blitzen den Neuankömmlingen mit stechendem Blick entgegen und einige lassen ein gefährliches Knurren hören.

Innerlich ist Inu Yasha für einen Moment dankbar, dass die Kazeba ihren Aufenthalt hier legitimiert hat. Wer versuchen würde hier gewaltsam einzudringen, muss Selbstmordabsichten hegen.

Ein wenig strauchelnd kommt er neben der Kazeba zu stehen. Direkt hinter ihm gesellt sich jetzt auch Kairoku zu ihnen. Rasch überholt er die kleine Gruppe und bahnt sich und ihnen eine Schneise durch das mächtige Rudel an Dämonenhunden indem er den riesigen Kreaturen einige scharfe Kommandos zubellt oder sie einfach unwirsch aus dem Weg schubst. Sehr schwerfällig nur geben die Inuyoukai den Weg frei. Vereinzelt ertönt ein Bellen oder Jaulen oder es wird einfach kurz nach ihm geschnappt, doch das scheint den weißblonden Wächter nicht weiter zu kümmern.

Inu Yashas Nerven sind zum Zerreißen gespannt während er den beiden hochrangigen Südyoukai durch das Rudel hindurch folgt. Neben ihm geht Kagome und auch sie wirkt deutlich eingeschüchtert. Immer mehr animalische Augenpaare folgen nun der kleinen Gruppe und lassen sie nicht mehr aus dem Blick. Inu Yasha läuft es kalt den Rücken herunter. Unwillkürlich geht seine Hand zu seinem Schwertgriff. Die Bedrohung durch die riesigen Hunde ist körperlich spürbar und er muss sich sehr zusammenreißen um sich seine Unsicherheit nicht ansehen zu lassen. Wieder hat er das Gefühl, dass eine falsche Bewegung reicht und sie werden augenblicklich in Stücke gerissen. Doch soweit wird er es auf keinen Fall kommen lassen.

Bei all der Sorge um ihre Sicherheit, ist ihm gar nicht aufgefallen, dass sie nun das Rudel durchquert und die Wand des Felsmassives erreicht haben. Direkt vor ihnen klafft nun der mächtige Eingang zu einer tiefschwarzen Höhe auf. Davor hängt eine lange zickzackförmige Shide-Kette aus Papier. Kaum ein Licht vom der Öffnung her kann die Dunkelheit im Inneren durchdringen und daraus hervor dringen muffige Schwaden die nicht gerade einladend wirken.

Die Kazeba baut sich nun groß am Eingang des Tunnels auf. Mit missbilligendem Blick schaut sie auf Kagome und Inu Yasha herab. „Dies ist der Eingang zum Jakuyama“, verkündet sie. „Ihr werdet ihn allein betreten! Wenn ihr es überlebt, habe ich Auftrag euch wieder zur Kaba zurückzubringen.“ Man sieht, dass die Youkai nun deutlich angespannter wirkt als noch gerade eben.

„Was werden wir darin vorfinden?“, fragt Inu Yasha noch einmal. „Was genau wird von uns erwartet wenn wir da rein gehen? Müssen wir irgendetwas machen, oder sollen wir da nur ne Weile in der Finsternis rumtapsen?“ Auch er ist nun zunehmend gereizt. Er kann es nicht leiden, wenn er nicht weiß was auf ihn zukommt, zumindest wenn es dabei um Kagomes Sicherheit geht. Argwöhnisch linst er zu dem dunklen Loch im Berg hinüber. „Müssen wir beide da rein, oder reicht es wenn ich alleine gehe?“ Zwar möchte er Kagome genau so ungern hier draußen bei den ganzen Südbestien lassen wie sie dort in die Ungewissheit des Berges mit hinein zu nehmen, doch man kann ja immerhin mal fragen. Sein Zwiespalt wird ihm jedoch abgenommen.

„Ihr geht beide!“, ordnet die Kazeba an. „Da ihr beide in unsere Reich eingedrungen seid, habt ihr euch auch beide der Prüfung zu unterziehen.

Beherzt fasst Kagome Inu Yashas Hand. „Das geht schon in Ordnung“, versichert sie ernst. „Wir haben schon viele heikle Situationen zusammen gemeistert.“

Ein wenig spöttisch belächelt die Kaba ihre Worte. „Es wird sich zeigen wie ihr mit dieser zurecht kommt.“

„Was müssen wir denn tun?“, fragt nun auch Kagome. „Was genau ist unsere Aufgabe.“

„Ihr steht Rede und Antwort“, antwortet die Kaba düster. „Eure Gesinnung wird geprüft werden. Geht einfach rein. Seid ihr in einer Stunde nicht zurück, erkennen wir euch als verloren.“

Kagomes Hand schließt sich ein wenig fester um die Inu Yashas aber sie bemüht sich, sich wacker zu geben.

Inu Yashas Blick geht erneut zu dem pechschwarzen Loch hinüber in das sie gleich sollen. „Kriegen wir wenigstens ne Lampe?“, fragt er. „Sonst stürzen wir uns noch in irgendeiner Spalte zu Tode und ihr werdet nie erfahren ob wir bestanden oder versagt haben.“

Ein schnippisches Schnaufen ist von der Kazeba zu hören. Mit drei Schritten ist sie zu einem kleinen Sockel getreten. Darauf steht eine kleine, hölzerne Laterne. Für einen Moment schließt sie ihre Finger zur Faust. Dann öffnet sie die Hand jäh wieder und zu Inu Yashas Erstaunen flackert nun eine kleine Flamme auf ihrer Handfläche. Behutsam setzt sie damit den Docht der Laterne in Brand und reicht diese dann an Inu Yasha. „Das wird reichen!“, stellt sie fest und weist dann mit dem Finger auf die dunkle Öffnung im Berg. „Geht nun! Ihr habt eine Stunde.“

Recht beklommen bewegen sich Inu Yasha und Kagome auf die alles verschlingende Dunkelheit zu. Inu Yasha hebt die Papiergirlande an, sie steigen darunter durch und schon befinden sie sich im Inneren der Höhle. Zwar ist von hier aus das zunehmende Tageslicht noch immer gut zu sehen, denn der Eingang ist erstaunlich groß, doch man spürt sofort eine dunkle, bedrückende Atmosphäre die hier drinnen herrscht.

Die Luft ist feucht und muffig und selbst hier riecht es sehr vereinnahmend nach Hund. Doch damit kann sich Inu Yasha jetzt nicht näher befassen. Seine Hanyou-Augen durchforsten die Dunkelheit nach irgendetwas was er hier ausmachen könnte. Ein starker Widerwille hat ihn ergriffen das Tageslicht des Eingangs hinter sich zu lassen und weiter in die Schwärze des Berges vorzudringen. Doch genau so wenig mag man dem Berg den Rücken zudrehen.

Er atmet noch einmal tief durch, fasst Kagome sicher bei der Hand und beginnt sich behutsam, im spärlichen Schein der Laterne, durch das Dunkel voran zu tasten. Da der Weg sich nicht gerade eben anfühlt, möchte er auch keinen zu raschen Schritt an den Tag legen. Die Lampe in seiner Hand beleuchtet gerade mal ihre Füße und verhindert, dass sie über größere und kleine Felsen stolpern.

„Mach dir keine Sorgen, Kagome, ich werde dich schon sicher führen!“ Er stellt fest, dass er das fast eher zu seiner Beruhigung als zu ihrer sagt. Das Licht des Eingangs ist bereits jetzt schon kaum noch zu sehen und der leicht abschüssige Weg führt langsam aber stetig immer weiter hinab in die Tiefe des Berges.

„Kannst du etwas erkennen?“, hört er Kagomes Stimme neben sich. Noch immer hält sie seine Hand fest umfasst und sie klingt ein wenig unsicher. Aber vom Klang des Echos her, scheinen sie noch immer einem schmalen Korridor zu folgen.

„Nicht viel“, gibt Inu Yasha zu. „Das hier muss eine Art Tunnel sein. Wer weiß wohin der führt“, fügt er missmutig hinzu.

„Glaubst du hier unten gibt es irgendwelche Monster die uns auflauern könnten?“, hakt Kagome ein wenig bange nach.

Inu Yasha läuft es kalt den Rücken runter. „Komm doch nicht schon wieder mit solchen Schauergeschichten!“, murrt er. Es ist schlimm genug sich so schon Sorgen um sie zu machen. Die Vorstellung hier unten im Stockdunklen in Kämpfe verwickelt zu werden, bereitet ihm noch zusätzlich Magenschmerzen. Er hält die Laterne höher, doch so spärlich wie das Licht auch die Umgebung beleuchtet so blendet es auch ihre Augen für alles was sich außerhalb ihres Radius befindet. Inu Yasha spürt wie sein Herz schneller schlägt. Angespannt versucht er die Laterne soweit aus dem Weg zu halten, dass seine Augen das dahinterliegende Areal erkennen können. Offenbar führt ihr Weg sie nur in eine einzige abwärtige Richtung und zweigt nicht weiter ab. Der Boden ist grob behauen aber hier und da liegen einige Steine und Geröll im Weg.

Vorsichtig bahnen sie sich ihren Weg weiter hinab. Je weiter sie in die Tiefe kommen, desto unwegsamer und beschwerlicher wird ihre Wanderung. Die Luft wird immer feuchter und wärmer und der unangenehme Geruch wird immer aufdringlicher.

Plötzlich fasst Kagome Inu Yasha aufgeregt am Arm. „Schau mal, da!“ Sie zeigt auf ein kleines Licht in ihrer Nähe. Inu Yasha hebt die Laterne, das Licht bewegt sich. Langsam tritt er näher und beobachtet dabei das stetige Flackern des Lichtes. Die Anspannung ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

Doch dann atmet er auf. „Das ist nur eine Spiegelung“, meint er erleichtert. Vor ihnen aus der Felswand ragt ein beachtliches Stück Kristallquarz heraus. Auf der glatten Oberfläche spiegelt sich das Licht der Laterne. Erstaunt blickt Kagome sich um. „Schau mal! Hier sind überall Kristalle!“

Tatsächlich scheint sich der Tunnel nun zu erweitern und an den Wänden ragen immer mehr blitzende Quarzadern hervor. Allgemein scheint sich die Beschaffenheit des Tunnels zu verändern. Ihr Weg wird breiter und höher und wenn Inu Yasha die Laterne umher schwenkt, erkennt er zahlreiche verwinkelte Spalten und und größere und kleinere Ausbuchtungen von denen nicht erkennbar ist wie tief sie womöglich noch in den Berg hineinführen.

Offenbar haben sie jetzt eine große Höhle erreicht. Der Raum in dem sie sich nun befinden, wird höher und Decke wie Wände scheinen mit zahllosen Stalaktiten und Stalagmiten bedeckt zu sein. Auch sie schimmern in einem matten Glanz und werfen das Licht der Laterne auf fast schon unwirkliche Art zurück.

Verwundert gehen sie weiter. Nun wird das Vorwärtskommen schon etwas schwieriger. Das Innere dieser riesigen Höhle ist so verwachsen und verschachtelt, dass sie kaum erkennen können wo ihr Weg nun entlangführt. Achtsam umrunden sie die Vorsprünge und Erhebungen wobei sie versuchen den teilweise nadelspitzen Kristallformationen möglichst nicht zu nahe zu kommen. Ein wenig ratlos blicken die beiden sich um.

„Ich möchte mal wirklich gerne wissen, was die sich dabei gedacht haben“, brummt Inu Yasha. „Sie konnten uns ja nicht mal genau sagen was wir hier sollen. Oder siehst du hier irgendetwas dem wir 'Rede und Antwort' stehen sollen?“

Im schwachen Schein der Laterne schüttelt Kagome den Kopf. „Vielleicht sind wir noch nicht weit genug gegangen. Oder vielleicht will wer oder was immer es ist uns erst mal heimlich beobachten.“

Inu Yasha schnauft verächtlich. „Oder vielleicht ist der oder das ja auch schon längst tot. Immerhin sind sie ja wohl ewig nicht mehr hier unten gewesen.“

Mit zusammengebissenen Zähnen, schreitet er weiter aus. „Das ist doch wirklich zu blöd. Kann man uns nicht einfach sagen was wir hier machen sollen? Ich hab keine Zeit für diesen Unsinn! Ich hab immerhin ein Reich zu verteidigen.“

„Du klingst immer mehr wie Sesshomaru, weißt du das?“, bemerkt Kagome während sie umsichtig über einen Felsvorsprung mit Geröll klettert.

„Erinnere mich bloß nicht an den!“, brummt Inu Yasha verstimmt. „Der hat uns doch die ganze Sache erst eingebrockt. Wenn er sich nicht so klammheimlich aus dem Staub gemacht hätte, müsste er sich jetzt mit den Typen da oben herumschlagen und wir würden friedlich mit den anderen im Dorf sitzen und Sango und Miroku beim Kinder hüten helfen.“ Mürrisch schwingt er sich über einen Felsbrocken der im Weg liegt.

Achtsam klettert Kagome ihm hinterdrein. „Du weißt genau, dass das nicht stimmt.“, sagt sie beschwichtigend. „Spätestes wenn du mitbekommen hättest, was dieser Katsuken in den anderen Dörfern so treibt, wärst du doch mitgegangen. Du könntest doch niemals still sitzen bleiben, wenn du weißt, dass jemand in Gefahr ist.“

Inu Yasha bleibt stehen und lässt die Laterne sinken. „Aber dafür bringe ich jetzt dich in Gefahr.“ Seine Hand krampft sich um den Griff der Lampe. „Ich kann nicht finden, dass das irgendwie besser ist.“

Nun hat Kagome ihn eingeholt und ist von hinten an ihn herangetreten. Behutsam legt sie ihre Hand auf seinen Arm. „Du versuchst das Richtige zu tun“, sagt sie sanft. „Aber manchmal... manchmal ist das Richtige nicht so einfach zu bewerkstelligen. Aber wenn man es trotzdem fertig bringt, macht das wirkliche Stärke aus. Und du bist nun mal aus diesem Holz geschnitzt, dass du keine Herausforderung scheust. Es steckt einfach in dir, also sei nicht so hart mit dir selbst!“

Inu Yashas Hand legt sich flüchtig über ihre auf seinem Unterarm. Dann verdreht er leicht die Augen. „Du klingst schon genau wie Kaede. Dieses mystische Geschwafel von Heldenmut und Schicksal hast du doch nur ihrem komischen Einfluss zu verdanken.“

Kagome zieht ihre Hand weg und boxt ihn leicht gegen den Oberarm. „Blöder Kerl!“, meint sie halb gespielt, halb ernst. „Vielleicht werde ich ja einfach nur älter und damit erwachsener und verantwortungsbewusster als du es je sein wirst!“

„Keh!“, schnaubt Inu Yasha. „Ich bin der Fürst der westlichen Länder. Wie viel mehr Verantwortung kann ich da bitte haben?“

Entschlossen setzt er sich wieder in Bewegung. Mit einem leichten Seufzen folgt Kagome ihm. Der Hanyou mag ja inzwischen wirklich verantwortungsbewusster geworden sein, aber von seiner Sturheit hat er bisher noch nicht viel verloren. Umsichtig bahnen sie sich weiter ihren Weg. Langsam gewöhnen sich auch ihre Augen an die Dunkelheit. Tatsächlich ist es hier drin gar nicht völlig dunkel. Von irgendwoher muss zumindest ein wenig Tageslicht einfallen, denn die spitzen Kristalle um sie her schimmern nach wie vor in einem schwachen, matten Schein. Aber vielleicht sind sie ja auch irgendwie fluoreszierend und leuchten von sich aus, wie manche Pflanzen und Tiere in der Tiefsee von denen sie in der Schule gehört hat.

Interessiert tritt Kagome näher um die langen, dünnen Kristallspitzen genauer in Augenschein zu nehmen. Behutsam tippt sie eine von ihnen an. Überrascht stellt sie fest, dass sie dem Druck nachgibt. Noch einmal drückt sie dagegen und auch dieses Mal erweist sich die erstaunlich lange, etwa fingerdicke Spitze als äußerst biegsam.

Kagome legt die Stirn in Falten. Vielleicht sind das ja keine Kristalle. Aber was könnte es sonst sein? Nun fasst sie etwas beherzter zu. Es fühlt sich fast an wie eine Art Zweig oder Ranke doch es sieht nicht aus wie eine Pflanze. Verwundert blickt sich Kagome zu ihrem Freund um. Ein Stück entfernt leuchtet Inu Yasha die unförmigen Wände ab und hält dabei die Laterne etwas höher.

„Inu Yasha, schau mal...“, ruft sie halbherzig und wieder fällt ihr Blick auf die zahllosen rankenartigen Gebilde die hier überall die Wände bedecken und die bei genauerer Betrachtung einer erstaunlichen Dynamik und Wachsrichtung folgen. Noch einmal blickt sie zu dem Hanyou hinüber der systematisch den Raum ableuchtet und für einen kurzen Moment lässt der Licht- und Schattenfall etwas aufflackern was Kagome einen kalten Schauer über den Rücken jagt.

Noch einmal lässt sie mit zitternden Händen ein Bündel dieser starren Ranken durch ihre Finger gleiten und dann urplötzlich schnappt sie unwillkürlich nach Luft. Hektisch fährt ihr Blick herum und gleitet sprunghaft durch die gewaltige Höhle in der sie sich befinden. Alle Farbe ist aus ihrem Gesicht gewichen und sie macht hastig zwei Schritte von der stachligen Wand weg.

„Oh, Gott!“, haucht sie kraftlos.

„GOTT?“, eine Stimme, so tief und voll wie der Berg selbst, und so laut wie ein Donnerhall, dröhnt auf einmal durch die gewaltige Höhle, „Götter suchst du hier vergebens, Mensch!“

Inu Yasha und Kagome fahren augenblicklich zusammen. Inu Yasha lässt vor Schreck die Laterne fallen die sogleich einen Vorsprung hinunterrollt und dann in irgendeiner Spalte hängen bleibt. Mit nur drei großen Schritten ist der Hanyou wieder bei seiner Begleiterin.

„Was zum...“, flucht er leise, während er sich direkt neben sie stellt und nun hektisch versucht den ganzen Raum in Augenschein zu nehmen um zu ergründen woher diese mächtige Stimme auf einmal kommt. Ehe er es sich noch recht gewahr wird, hat er auch schon Tessaiga in der Hand. Drohend schimmert die breite Klinge in der Dunkelheit. „Wer ist da?“, begehrt er laut zu wissen. Neben sich spürt er wie Kagome sich in seinem Gewand verkrallt.

„Das ist keine Höhle“, wispert sie gepresst neben ihm und ihre Hände beben. „Das ist ein... ein....“, die Stimme versagt ihr.

„Ihr dürft nicht hier sein!“ Das Vibrieren der gewaltigen, tiefen Stimme ist selbst noch im Boden zu spüren.

Kagome merkt kaum wie sich ihre Finger immer mehr in Inu Yashas Gewand vergraben. Sie steht stocksteif da und schluckt schwer. Noch immer bringt sie kein Wort heraus während der Hanyou höchst angespannt um sich blickt und wachsam sein Schwert vorstreckt. „Das war nicht unsere Idee!“, meint er mit dünner Stimme. Zu sehr ist auch er gerade von der überwältigenden Präsenz um sie her eingeschüchtert.

Die Wände rings herum beginnen leicht zu beben und zu schwanken.

„Was tut ihr hier in meinem Berg?“, kommt nun die verstimmte Frage der gewaltigen Stimme.

Inu Yasha fasst sein Schwert fester. Er muss gestehen, dass er sich mit einer Waffe in der Hand sehr viel wohler fühlt.

„Erstmal will ich wissen wer du überhaupt bist“, fordert Inu Yasha nun deutlich kühner Antwort.

Zunächst herrscht einen Moment Stille, doch dann tönt es erneut in einer ohrenbetäubenden Lautstärke: „Du ahnungsloser Tor! Du kommst hierher und störst meine Ruhe ohne auch nur zu wissen worin dein Schicksal besteht? Dein kümmerliches Leben war schon in dem Moment verwirkt als du die Schwelle dieses Berges überschritten hast.“ Die Stimme die bisher noch etwas schleppend und gesetzt geklungen hat, macht nun einen deutlich wacheren und verärgerteren Eindruck.

Inu Yashas Augen durchspähen in alle Richtungen die schemenhafte Finsternis, doch noch immer ist niemand zu erkennen den er als Ansprechpartner ausmachen könnte. Wieder erbeben die Wände der Höhle und der Boden vibriert bei jedem Wort, dass die gewaltige Stimme sagt.

„Ich sagte schon, wir sind nicht aus eigenem Willen hier“, ruft er wachsam zurück. „Diese Inuyoukai aus dem Süden haben uns gezwungen hier reinzugehen, weil sie unbedingt das mit der Prophezeiung überprüft haben wollten. Und hier sind wir nun!“

Wieder ist es eine Weile still, dann kommt die misstrauische Frage: „Von welcher Prophezeiung sprichst du?“

Dass ihn dieses Thema offenbar auch hier weiter bringt, lässt Inu Yasha noch ein wenig beherzter auftreten. „Es gibt eine Prophezeiung darüber, dass sich die Clans der Inuyoukai wieder vereinen werden um gemeinsam gegen diesen Katsuken zu kämpfen. Wir sind hergekommen damit sie sich erfüllen kann. Dieser Kerl macht uns nämlich gerade ziemlich viele Probleme.“

Doch plötzlich beginnt der Boden unter ihren Füßen zu beben und ein tiefes Grollen erfüllt die Luft. Allein schon dieses Geräusch sorgt dafür, dass den beiden die Luft aus den Lungen gepresst wird und sogleich schießt wieder das Adrenalin in ihre Körper.

Die Wände der Höhle beginnen immer mehr zu schwanken. Vereinzelt fallen Felsbrocken von der Decke und Inu Yasha muss ernstlich aufpassen, dass keiner davon sie beide erschlägt.

„Solch eine Prophezeiung gibt es nicht!“, donnert die tiefe Stimme nun erbost. Es dauert ein Weilchen ehe die herabstürzenden Steine zur Ruhe kommen.

„Das stimmt!“, gibt Kagome zaghaft zu die sich jetzt aus ihrer Starre gelöst und ihre Sprache zurückgefunden hat. „Katuken kommt in der Prophezeiung nicht vor, aber nur seinetwegen sind wir hierhergekommen um die Clans wieder zu vereinen.“

Inu Yasha, der seinen Irrtum rasch einsieht, greift die Thematik sogleich auf und pflichtet Kagome bei. „Genau, sonst wird er nämlich weiter töten und schließlich alle Inuyoukai ausrotten so wie er es schon mit dem Nordclan gemacht hat. Dann wird irgendwann niemand mehr übrig sein, der sich wieder versöhnen kann. Und ich werde nicht zulassen, dass er all unsere Leute tötet nur weil es ihm gerade Spaß macht. Und wenn ich ihn dafür eigenhändig erledigen muss, dann tu ich das, aber es wäre schon nicht schlecht diesmal noch ein paar kampffähige Verbündete an der Seite zu haben.“

Nun wo er einmal ins Reden gekommen ist, sprudelt alles aus Inu Yasha heraus. „Ich weiß nicht warum diese Kaba unbedingt wollte, dass wir hierher kommen sollten, aber irgendwie braucht sie wohl einen Beweis, dass wir die Wahrheit sagen. Wir wissen nicht wer du bist, wir wissen nicht was wir hier sollen und auch nicht wie uns das helfen soll gegen diesen arroganten Massenmörder zu bestehen, aber langsam hab ich die Nase voll!

Während wir hier irgendwelche Höhlenwanderungen unternehmen und wie auf rohen Eiern vor den Südyoukai herumtanzen, damit wir sie bloß nicht dazu provozieren, dass sie uns töten, kann dieser Katsuken schon das halbe Land entvölkert haben und wenn dann mein Bruder mit seinem Sohn aus der Hölle zurückkommt, findet er nur noch öde Wüste vor und ich darf mir von ihm ne Standpauke anhören, weil ich so schlecht auf sein Reich aufgepasst habe. Darauf kann ich gern verzichten. Also wenn es irgendwas gibt was wir hier machen sollen um denen da draußen zu beweisen, dass wir uns den ganzen Mist nicht nur ausgedacht haben, dann mal raus damit, denn ich hab wirklich keine Lust hier noch mehr Zeit zu verschwenden!“

Für einen Moment hängen die Worte schwer in der stickigen Luft der Höhle. Dann plötzlich von einem Moment auf den anderen bricht das Chaos los. Die gesamte Höhle beginnt zu erzittern. Der Boden bebt heftig und um sie her stürzen sämtliche Wände ein. Die schwach schimmernden Kristallformationen werden auseinandergesprengt und schwirren nun wild durch die Luft. Von der Decke stürzen riesige Brocken herab und das gesamte Erscheinungsbild der riesigen Höhle verändert sich. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen und Inu Yasha und Kagome müssen verschreckt vor den herabfallenden Trümmern aus dem Weg springen und Deckung suchen.

Doch seltsamerweise fällt deutlich weniger Schutt zu Boden als die Bewegung in der Höhle es glauben macht. Fast bekommt man den Eindruck als ob die Höhle selbst zum Leben erwacht und ihre Wände geradezu durch die Luft schweben lässt. In dem spärlichen Licht ist kaum mehr als das auszumachen. Hastig springt Inu Yasha mit Kagome unter einen Vorsprung am Eingang des Tunnels und beobachtet nun alarmiert das Desaster das über die riesige Höhle hereinbricht.

Mit großen Augen und offenen Mündern beäugen sie den Anblick, der sich ihnen nun bietet. Die Bewegung der Höhle kommt allmählich zum Stillstand und das schwache Schimmern der rankenähnlichen Kristalle nimmt zu und lässt die fingerdicken Gebilde immer heller leuchten wie in Mondlicht getaucht. Und nun erkennt man auch, dass es sich dabei nicht um eine Höhle handelt, sondern um den gewaltigen Schemen eines Lebewesens. Es ist die gigantisch große Gestalt eines Hundes und das monströse Wesen füllt beinahe den gesamten Raum vor ihnen aus. Was sie für Höhlenwände gehalten haben sind Flanken und Rute und die schimmernden, spitzen Kristallformationen sind nichts anderes als sein Fell.

Doch diese unglaublichen Dimensionen machen den Irrtum durchaus verständlich. Selbst Inu Yasha, der das Skelett seines Vaters gesehen hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Diese Kreatur hier ist mit Sicherheit dreimal so groß wie es einst sein Vater war.

Und jetzt in dem fahlen Licht, das von der riesenhaften Erscheinung ausgeht, erkennen sie auch den erhobenen Kopf, der mit tiefroten Augen auf sie beide herabschaut und Kagome spürt wie eine Gänsehaut über ihren ganzen Körper läuft und ihr fast die Knie einknicken.

Neben ihr steht Inu Yasha mit vollkommen baffer Miene. Tessaiga liegt nur noch schlaff in seiner Hand und lehnt schwer auf dem Boden. Ungläubig starren die beiden zu der gewaltigen Gestalt hinauf.

Augen groß wie riesige Teiche aus Blut werden schmal und mustern die beiden jetzt scharf. „Ihr seid Katsuken begegnet?“, fragt die tiefe, dröhnende Stimme argwöhnisch. „Das ist nicht möglich!“

Verbissen schluckt Inu Yasha seine Befangenheit herunter und tritt einen Schritt vor. Er schreit fast, als er sich bemüht der überwältigenden Erscheinung Antwort zu geben. „Ich wünschte es wäre so. Ich weiß, es ist schwer zu glauben und der Kerl sollte schon seit ein paar tausend Jahren tot sein, doch wir sind ihm begegnet und wir haben gegen ihn gekämpft und...“

Schweig!“, donnert die Stimme ungehalten und wieder stürzen Felsbrocken von der Decke.

Rasch reagiert Inu Yasha und zieht Kagome aus dem Weg bevor ein menschengroßer Findling genau an der Stelle einschlägt wo sie gerade noch gestanden hat.

Die sonderbare Maserung auf dem Fell der riesenhaften Gestalt, schillert nun in einem eigenartigen silberweißen Licht. Sie zieht sich hinauf bis zu dem mächtigen Kopf und beleuchtet damit einen Großteil der Höhle. Der riesige Hund füllt den gewaltigen Raum fast völlig aus, allein schon indem er wie jetzt gerade auf seine Vorderpfoten aufgerichtet und erhaben zu ihnen herunterblickt.

Einen langen Moment mustert er die beiden nur mit einem forschenden Blick, dann ertönt wieder die Stimme die den ganzen Berg erzittern lässt: „Ihr seid in meine Ruhestätte eingedrungen und habt meinen Schlaf gestört.“ Seine roten Augen funkeln gierig auf. „Mein Hunger ist groß. Ich sollte euch fressen.“

Sofort greift Inu Yasha sein Schwert fester, doch die mächtige Gestalt redet schon weiter. „Doch ihr sprecht von Katsuken, der einst in den Vulkan stürzte, als wäre er noch immer am Leben. Sagt mir rasch: Was hat das zu bedeuten?“

„Das bedeutet“, schreit Inu Yasha zu dem riesigen Hund herauf, „dass er aus irgendeinem Grund wieder am Leben ist und jetzt unser Land unsicher macht. Beim letzten Mal sind wir ihm nur mit knapper Not entkommen. Jetzt suchen wir Verbündete um ihn zu bekämpfen.“

„Schrei nicht so laut, kleiner Fast-Hund!“, kommt die tiefe, mürrische Stimme zurück. „Meine Ohren sind noch immer hervorragend. Ich kann dich auch so gut hören.“

Nun neigt der gewaltige Hund langsam den Kopf zu ihnen herab bis kaum noch zwei Schritt sie von der riesigen Schnauze trennen. Unwillkürlich weichen Inu Yasha und Kagome davor ein Stück zurück. Allein die Nasenlöcher haben die Größe von zwei Tunneln und der Sog der jetzt daraus hervor geht, droht sie fast von den Beinen zu reißen. Grimmig rammt Inu Yasha Tessaiga vor sich in die Erde, umschlingt Kagome mit dem anderen Arm und stemmt sich mit aller Macht gegen den heftigen Luftzug an, der droht sie beide jeden Augenblick in der Nase des monströsen Inuyoukais verschwinden zu lassen.

Dieser nimmt gerade ausgiebig Witterung von ihnen ohne der Tatsache, sie jeden Moment unbeabsichtigt zu inhalieren, auch nur irgendwie Beachtung zu schenken. Dann hält er einen Moment sinnend inne, doch Inu Yasha und Kagome gehen vorerst noch nicht von Entwarnung aus. Stattdessen suchen sie lieber rasch hinter einem Felsvorsprung Schutz ehe womöglich mit weiteren Sog-Attacken zu rechnen ist. Dies erweist sich als kluge Entscheidung denn just in diesem Moment entfährt dem riesigen Hund ein kurzes scharfes Schnaufen, was einen regelrechten Orkan in der Höhle auslöst und die beiden unliebsam an die nächste Felswand klatschen lässt. Gerade noch gelingt es Inu Yasha die Wucht mit der Kagome aufschlägt mit seinem eigenen Körper abzufangen, was ihm jedoch wieder einige unschöne Blessuren einbringt.

Benommen reibt er sich den Hinterkopf, während er seine Freundin wieder vor sich auf dem Boden absetzt. „Kannst du gefälligst ein bisschen aufpassen wo du hin niest?“, empört er sich verstimmt. „Hier drin ist nicht genug Platz für so was. Es sei denn, du willst uns umbringen, dann ist das genau der richtige Weg!“ Brummig klopft er sich den Schmutz vom Gewand.

„Du bist ziemlich unverfroren, kleiner Fast-Hund“, bemerkt der gewaltige Hundedämon missgelaunt. „Du scheinst nicht zu wissen was sich gehört, wenn du mit mir redest.“

„Nein, vermutlich nicht“, gibt Inu Yasha trocken zurück, während er sein beschädigtes Gewand richtet, dass gerade bei der Nies-Aktion wieder heruntergerutscht ist. „Aber das könnte auch daran liegen, dass ich noch immer nicht weiß wer du bist.“ Kagome will ihm gerade beschwichtigend die Hand auf die Schulter legen, doch Inu Yasha ignoriert sie und geht einfach an ihr vorbei, direkt auf die gewaltige Hundegestalt zu.

Mit erhobenem Haupt baut er sich vor dem Riesenhund auf der ihn lediglich argwöhnisch beäugt. Er atmet einmal tief durch. Dann senkt er das Haupt und sinkt auf ein Knie herab. „Wir sollten uns am besten noch einmal offiziell vorstellen“, sagt er respektvoll. „Mein Name ist Inu Yasha, amtierender Fürst über das westliche Reich der Inuyoukai dieses Landes. Und auch wenn ich Euren Namen nicht kenne, so steht es wohl außer Frage, dass Ihr eine zutiefst respektable und achtenswerte Persönlichkeit seid. Ich möchte Euch an dieser Stelle die höchste Euch zukommenden Achtung erweisen und bin überaus erfreut Eure Bekanntschaft machen zu dürfen. Ich ersuche Euch mir meine ungebührliche Art nicht nachzutragen und biete Euch meine uneingeschränkte Entschuldigung an, wenn ich Euch damit gekränkt haben sollte. Vielleicht habt Ihr ja die Güte mir mitzuteilen wie Euer Name ist, damit ich Euch nicht weiter aus Unwissenheit den Euch zustehenden Respekt versage.“

Sprachlos aber beeindruckt hat Kagome den Worten ihres Freundes gelauscht und auch der gewaltige Dämonenhund scheint ein wenig beschwichtigt zu sein.

„Es liegt eine lange Zeit zurück, dass mein Name unter dem Himmel ausgesprochen wurde“, sagt er nach einigen Momenten des Bangens. „Deshalb sei dir deine Unwissenheit verziehen, Knabe.“ Nun stemmt er sich wieder auf seine Vorderpfoten und hebt würdevoll den Kopf. „Mein Name ist Kenryoku. Ich bin der Inu no Taishou. Und ich werde dir gestatten, mir von meinem Sohn zu berichten!“

Inu no Taishou

Ungläubig starren Inu Yasha und Kagome die riesenhafte Gestalt an die vor ihnen aufragt. Inu Yashas Lippen formen tonlos die Worte die er gerade gehört hat. Dann fasst er sich und kommt wieder auf die Beine. Unverwandt blickt er zu dem gewaltigen Hund auf. „Aber der Inu no Taishou ist tot“, wendet er ein. „Die Legende besagt, dass er im Kampf gegen seinen Sohn gestorben ist und dann von seinen Anhängern in den Süden gebracht wurde um ihn zu bestatten.“

Der mächtige Hund hält inne. Der silbrige Schein seines Felles wird matt und sein Blick geht einen Moment in weite Ferne.

„Tot sagst du?“, fragt schließlich die tiefe, volltönige Stimme. „Wie kann das sein?“ Wieder verstreichen einige angespannte Momente. „Was du sagst... weckt Erinnerungen. An eine Zeit... oh, so lang her.“

„Dreitausend Jahre!“, lässt sich nun Kagome beherzt vernehmen. „Es sind dreitausend Jahre vergangen seitdem.“

„Dreitausend Jahre?“ Wieder wird die Höhle erschüttert durch die bedächtig ausgesprochenen Worte. „Ist es wirklich schon so lang her?“ Die Stimme klingt melancholisch dabei. „Es erschien mir fast wie ein Augenblick... in meinem Geist... Ich... vermag die Vergangenheit nicht zu sehen.“

„Bitte, ehrwürdiger Inu no Taishou!“ Kagome tritt umsichtig näher. „Wie kommt es, dass Ihr all die Jahre überlebt habt? Wart Ihr die ganze Zeit über in diesem Berg? Ganz... alleine?“ Treuherzig blickt sie zu ihm auf.

Nun neigt sich der riesige Kopf wieder zu ihnen herunter und seine Augen werden schmal. „Und wer bist du, kleine Menschenfrau? Empfindest du keine Furcht die Lagerstatt eines Höllenhundes zu betreten?“

„Ich habe niemals Angst wenn Inu Yasha bei mir ist“, gibt sie aufrichtig zu.

„Ist das so?“, der riesige Hund zieht die Brauen hoch. „Wie ist dein Name, kleines Menschenwesen?

„Ich heiße Kagome Higurashi!“, gibt Kagome geflissentlich Auskunft. „Ich begleite Inu Yasha.“

„So, tust du das?“, die tiefe Stimme klingt fast schon etwas amüsiert. „Nun, ich schätze, es wäre überflüssig euch zu fressen. Ihr seid kaum den Bissen wert den ich dafür machen müsste. So denn, berichtet mir von dem Wesen, dass ihr für meinen Sohn haltet und lasst nichts aus. Ich kenne seinen Stil. Ich werde es wissen wenn ihr lügt.“ Bei diesen Worten klingt die Stimme fast schon ein wenig bitter.
 

Es dauert eine ganze Weile bis die beiden alles wiedergegeben haben was sie über Katsuken wissen. Abwechseln schildern die beiden von den Ereignissen im Nordreich und das was sie aus Kohakus und Sesshomarus Berichten über ihn erfahren haben. Dabei vermeiden sie es noch immer die Sprache darauf zu bringen, dass der Sohn des ersten Fürsten und Inu Yashas Bruder den selben Namen tragen. Sie schildern lediglich, dass Letzterer versucht seinen verstorbenen Sohn aus der Hölle zurückzuholen, weil er ihn für das Kind aus der Prophezeiung hält und beabsichtigt die Clans im Kampf gegen Katsuken zu vereinen. Und sie erzählen vom Südclan. Dass sie das Risiko eingegangen sind von hier Hilfe zu erbitten und die Prüfung die ihnen in diesem Zusammenhang auferlegt wurde.

„Nur deshalb wurden wir hierher in Euren Berg geschickt“, endet Kagome ihren Bericht. „Ich nehme an, damit Ihr überprüft ob unsere Geschichte wahr ist.“

„Sonst wären wir niemals auf die Idee gekommen Euch in Eurem Schlaf zu stören“, fügt Inu Yasha nachdrücklich hinzu.

Eine ganze Weile sinnt der gewaltige Dämonenhund vor sich hin. Dann sagt er fast wie zu sich selbst: „Es war ein langer Schlaf. Länger als ich es mir ausgemalt habe.“

„Habt Ihr wirklich die ganzen dreitausend Jahre geschlafen?“, wagt Kagome behutsam nachzuhaken.

Wieder schweigt der riesige Hund einen langen Moment. „Ich rechnete nicht damit jemals wieder zu erwachen“, sagt er schließlich. „Ich sah dem Tod entgegen und hieß ihn willkommen wie einen Freund. Doch der letzte Lebensfunke in mir wollte nicht verglimmen. Die Qual... die Folter... sie wollte nicht vergehen. Kein barmherziges Ende ward mir vergönnt. So wies ich meine Getreuen an mich in diese Lande zu bringen. Sie fanden für mich diese Höhle und ich befahl ihnen mich hineinzubringen und dann niemals wieder diese Stätte zu betreten. Niemand sollte jemals wieder einen Fuß hineinsetzen. Sonst, so verkündete ich, würde mein Zorn herniedergehen auf jede Kreatur die sich diesem Befehl widersetzte und auf die ganze Sippe derer die dem Ungehorsam anheimgefallen waren.“

Inu Yasha mustert den riesigen Inuyoukai skeptisch. „War das nicht ein bisschen extrem?“, fragt er. „Ich meine zu drohen den ganzen Clan zu vernichten nur weil irgendwer davon diese Höhle betreten hat?“

Der Inu no Taishou wendet nun Inu Yasha den Blick zu. „Womöglich ist dir das Prinzip von Loyalität und Gehorsam unbekannt, kleiner Fast-Hund.“ Streng blickt der Fürst auf ihn hinab.

Inu Yasha fühlt sich ein wenig ertappt und rasch schwenkt er um: „Damit meinte ich: Warum so hart? Wozu solche endgültigen Befehle?“

Wieder sinnt der riesige Hund eine Weile nach, dann sagt er schwermütig: „Ich war des Lebens überdrüssig! Ich suchte den Tod doch er wich vor mir. Ich wollte nichts mehr sehen von der Welt und auch nichts hören. Ich verschloss mich selbst in diesem Heiligtum in der Hoffnung mich möge der Tod doch eines Tages ereilen. So lag ich in der Stille und wartete und dämmerte vor mich hin. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen wurden Jahre und irgendwann glitt ich in einen Schlummer aus dem ich hoffte nie mehr zu erwachen.“

„Das klingt ja ganz schön dramatisch“, brummt Inu Yasha leise. „Muss man sich wirklich so gehen lassen?“

Nun bekommt die Stimme des Daiyoukais etwas Scharfes. „Was sagst du da, kleiner Fast-Hund? Spottest du meiner Qual? Du maßt dir an über meine Entscheidung zu urteilen?“

Bei den Worten sind Inu Yasha und Kagome erschrocken zusammengezuckt. Doch dann fasst Inu Yasha Tessaigas Griff wieder fester und hebt mit verbissener Entschlossenheit den Kopf. „Da Ihr sicher nicht wollt, dass ich Euch anlüge...“, er atmet noch einmal durch. „Ja! Ja, ich halte es für falsch sich all die Jahre in einer Höhle zu verkriechen, während die eigenen Kinder sich draußen die Köpfe einschlagen, nur weil man beschlossen hat in Selbstmitleid zu zerfließen.“

Ein Knurren dringt nun aus der Kehle des gewaltigen Hundes, dessen Echo, von den Höhlenwänden zurückgeworfen, ohrenbetäubend und wahrlich beängstigend ist. „Was erlaubst du dir für einen Ton mir gegenüber? Weißt du nicht mit wem du sprichst?“, dröhnt die Stimme und allein der Luftdruck holt Inu Yasha und Kagome von den Füßen. Nun richtet sich der mächtige Hund zu seiner vollen Größe auf.

„Ich bin Kenryoku, Herr aller Hunde und der Wächter der Hölle! Solche Impertinenz muss ich mir von einer niederen Kreatur wie dir nicht bieten lassen!“ Seine gewaltige Pfote holt aus und schlägt einmal mit voller Wucht auf die Stelle an der Inu Yasha und Kagome eben noch gestanden haben. Mit einem raschen Sprung hat sich der Hanyou noch im letzten Moment seine Freundin geschnappt und ist aus dem Weg gesprungen.

„Es war auf keinen Fall meine Absicht Euch zu beleidigen!“, ruft Inu Yasha ihm zu. Tessaiga hält er noch immer entschlossen in der Hand. „Aber ich bin es leid mächtigen Herrschern dabei zuzusehen wie sie sich in ihrem Elend suhlen über den Verlust eines Kindes, wenn es doch ihre Aufgabe wäre sich um die zu kümmern, die noch leben!“

Wieder schlägt die Pfote nach ihm aus und wieder bringt er sich und Kagome auf seinem Rücken gerade noch rechtzeitig in Sicherheit.

„Ich hatte keinen Vater!“, ruft er verbissen. „Ich war immer auf mich gestellt. Aber Eure Söhne, die haben Euch gebraucht!“ Wieder springt er einem Pfotenhieb aus dem Weg. „Ihr hättet sie führen können. Ihr hättet sie anleiten können. Stattdessen hassen sie sich und bekriegen sich und wollen am liebsten gar nichts miteinander zu tun haben!“

Eine Schnauze mit Reißzähnen dick wie Bäume schnappt nach ihm, doch geschickt springt Inu Yasha wieder aus dem Weg. Die riesenhafte Gestalt ist verheerend stark, doch sie ist unbeholfen und langsam und hier drinnen ist kaum genug Platz für den Daiyoukai sich umzudrehen. Diesen Umstand nutzt Inu Yasha geschickt aus. Auf einem erhöhten Vorsprung kommt er wieder zu stehen. Grimmig blickt er den Inu no Taishou an.

„Es wäre Eure Pflicht gewesen das zu verhindern. Es waren Eure Kinder. Wen schert es, dass es nur Abkömmlinge sind? Ich bin auch nur ein Hanyou. Eine Missgeburt wie man sagt.“ Hart beißt er die Zähne aufeinander. „Doch mein Vater kam zu meiner Rettung und zu der meiner Mutter ehe er starb. Das hat ihn das Leben gekostet. Doch solange er noch einen Funken Leben in sich hatte, hat er uns beschützt.“

Das riesenhafte gefletschte Gesicht des Daiyoukai taucht nun direkt vor ihm auf. Er knurrt gefährlich, doch er schnappt nicht nach ihnen. Mutig tritt Inu Yasha ihm entgegen. „Ich verstehe nicht, wie der Herr aller Hunde, der mächtigste Inuyoukai der jemals gelebt hat, sich so jämmerlich und entwürdigend für dreitausend Jahre in einem Berg verkriechen kann anstatt sich seiner Verantwortung zu stellen.“

Einen langen Moment halten sich die beiden grimmig mit ihren Blicken gefangen. Doch dann verstummt das Grollen des mächtigen Daiyoukais. „Du kannst das auch nicht verstehen!“, sagt er bitter. „Wie solltest du auch! Niemand kann verstehen was es bedeutet seine Frau und seinen Sohn in so kurzer Zeit zu verlieren. Ich war gebrochen! Ich war... am Boden zerstört. Ich sehnte mich so sehr nach dem Tod, dass mir alles andere gleich war. Nichts anderes spielte mehr eine Rolle als der Wunsch wieder mit ihnen im Tod vereint zu sein.“ Die mächtige Stimme klingt jetzt hohl und fast etwas kraftlos. „Sag mir, kleiner Fast-Hund, wie willst du das verstehen können?“

Für einen Moment kommt keine Antwort von Inu Yasha. Er und Kagome sehen sich an und sie werden sich bewusst, dass sie beide das Gleiche denken. Behutsam setzt Inu Yasha Kagome ab und eine fast zögerliche Frage steht ihm ins Gesicht geschrieben. Von ihr kommt ein kurzes aufforderndes Nicken und dann wendet er sich wieder zu dem Daiyoukai um, dessen Schnauze nun direkt vor ihnen hängt, so dass sie sich direkt in die Augen sehen können. Für einen kurzen Moment versucht er sich zu sammeln und ballt wie unbewusst die Faust. Als er wieder aufblickt ist sein Gesicht blass und seine Miene starr.

„Ich verstehe das sehr gut“, sagt Inu Yasha so gefasst wie möglich. „Ich habe diesen entsetzlichen Schmerz bei meinem Bruder miterlebt. Er verlor die einzige Frau die ihm je etwas bedeutet hatte und nur kurze Zeit darauf seinen Sohn. Und obwohl er zwischenzeitlich einen tiefen Groll gegen beide hegte, konnte er einfach nicht anders als ihren Tod zu betrauern. Als er jedoch schließlich erfuhr, dass man ihn all die Jahre belogen hatte und dass sein Groll in keiner Weise gerechtfertigt war, erst da ist er wirklich zusammengebrochen.“

Wieder beißt Inu Yasha die Zähne aufeinander. „Ich habe ihn nie zuvor so sehr zerrüttet erlebt, nie so... verzweifelt. Wenn es ihm gelungen wäre, hätte er sich von den Klauen seines Feindes zerreißen lassen in dem Versuch ihn zu töten. Ich glaube... er konnte es nicht ertragen mit diesem Verlust und dieser Schuld zu leben.“ Wieder blickte er auf.

„Glaubt mir, ich kenne diesen Schmerz. Ich habe ihn mit jeder Faser meines Körpers mitempfunden. Ich weiß... was Verlust bedeutet“, er schluckt einmal kurz. „Und doch hat er nicht aufgegeben. Er hat den Schmerz niemals vergessen. Und bis heute erträgt er das Leid und die Schuld. Bis jetzt wo er sich entschlossen hat das Unrecht wieder gutzumachen mit allen möglichen Konsequenzen. Deshalb ist er in die Hölle gegangen um seinen Sohn zurückzuholen. Ich weiß nicht was ihn das kosten wird, aber er war niemals jemand der sich hat unterkriegen lassen, oder dem eine Herausforderung zu groß war. Und er hätte sich niemals deshalb in einem Berg verkrochen. Also verzeiht mir, wenn ich vom Fürsten aller Fürsten einfach nicht weniger annehme.“

Nach diesen Worten herrscht eine ganze Weile Stille in der Höhle. Noch immer hängt das riesenhafte Gesicht des Ersten Fürsten direkt vor ihnen. Die rotglühenden Augen sind schmal und aus seiner Kehle klingt ein tiefes fortwährendes Grollen. Die gewaltigen Lefzen sind leicht angehoben, jedoch sonst rührt er sich nicht. Inu Yasha und Kagome halten angespannt den Atem an, bereit jederzeit wieder Schutz vor einem erneuten Angriff zu suchen, doch bisher kommt keine weitere Reaktion von dem Daiyoukai.

Schließlich fasst sich Kagome ein Herz und tritt vorsichtig einen Schritt näher. „Ehrenwerter Inu no Taishou, uns ist klar, dass Ihr gute Gründe für Eure Entscheidung hattet. Wenn man jemanden verliert der einem wichtig ist, dann kann einen das leicht aus der Bahn werfen. Man trauert und man denkt, dass niemals jemand anderes verstehen kann wie sehr man leidet. Die Wahrheit ist aber“, sie wagt es noch einen Schritt näher zu kommen, „man ist nicht allein. Viele die das schon einmal durchmachen mussten, teilen diese Empfindungen und auch sie fühlen sich oft damit alleingelassen. Ich glaube für jeden dem so etwas widerfährt, ist es hart ja womöglich sogar unerträglich. Aber wenn man sich verkriecht, wenn man sich von allem anderen abkapselt, dann bleibt man alleine mit seinen Gefühlen und Erinnerungen und nichts ist da, was das Ganze erträglich machen könnte. Oder habt Ihr den Eindruck, dass der Schmerz über all die Zeit nachgelassen hätte?“

Noch immer regt der riesige Hund keinen Muskel doch dann legen sich langsam die großen Brauenbögen in Falten und die Lefzen sinken herab. „Nein!“, kommt die nachdenkliche Antwort des alten Fürsten. „Das hat er nicht.“

Beherzt hebt Kagome den Kopf. „Die Legenden erzählen von Euch als einem mächtigen und weisen Fürsten. Euren eigenen Worten zufolge habt Ihr dreitausend Jahre still und einsam gelitten. Wünscht Ihr denn nicht, dass das endlich ein Ende hat? Wäre es nicht vielleicht an der Zeit einen anderen Weg zu versuchen? Hieltet Ihr das nicht für... weise?“

Zunächst sagt der riesenhafte Hund kein Wort. Doch dann richtet er sich wieder auf und blickt abschätzend auf die zwei winzigen Personen vor ihm herab. „So!“, seine Stimme klingt halb spöttisch und halb herausfordernd. „Du willst also ausdrücken, ich würde mich töricht verhalten. Ist es nicht so?“

Inu Yasha und Kagome blicken sich kurz besorgt an und machen sich innerlich bereit wieder der nächsten Attacke auszuweichen. Doch der mächtige Hund redet schon weiter. „So hat schon sehr lange keiner mehr gewagt mit mir zu sprechen.“

„Na ja, seit dreitausend Jahren hat überhaupt keiner mehr mit Euch gesprochen“, rutscht es Inu Yasha sarkastisch heraus. Sogleich bereut er seine Unbedachtheit, doch nun ist es gesagt.

„Das ist allerdings war“, der Klang der gewaltigen Stimme bekommt etwas Scharfes. „Und ihr glaubt, ihr könntet mich nach all dieser Zeit aufsuchen und ohne Weiteres mein Leid beenden, etwas was ich, der Herr aller Hunde seit tausenden von Jahren vergeblich versuche?“

Die Frage hängt schwer in der Luft. Doch dann hebt Inu Yasha entschlossen den Kopf. „Nein! Wir sind nicht Euretwegen gekommen. Wir kamen um unser Volk zu retten. Und um diese unselige Feindschaft zwischen den vier Hundeclans zu beenden. Wir wussten nicht einmal, dass es Euch noch gibt, deshalb haben wir auch nie Hilfe von Euch erhofft. Und wie man sieht zurecht. Denn Ihr kümmert Euch nur um Euch selbst. Ihr suhlt euch seit Jahrtausenden in Eurem Elend und habt Euch und Eure Nachkommen aufgegeben. Und wir, die wir noch am Leben teilhaben, müssen jetzt die Scherben aufsammeln.“

Mit ernster Miene wendet er sich ab. „Wir sollten jetzt gehen. Seid unbesorgt, wir werden Euch nicht weiter behelligen. Wie ich schon sagte, wir sind unfreiwillig hier und weder verlangen wir etwas von Euch noch beabsichtigen wir Euch irgendetwas einzureden.“

Noch einmal blickt er sich um. „Ihr seid der Inu no Taishou. Nichts läge uns ferner als Euch irgendwelche Vorschriften machen zu wollen. Wenn dies hier“, er macht eine umfassende Geste, „Euer Wunsch ist, wer sind wir Euch von etwas anderem überzeugen zu wollen? Komm Kagome!“ Er winkt seiner Freundin und wendet sich zum Gehen, man sieht ihm jedoch an, dass er verstimmt ist.

Ein wenig unschlüssig blickt Kagome zwischen dem riesenhaften Youkaifüsten und ihrem davongehenden Freund hin und her. Doch dann beeilt sie sich rasch ihn einzuholen. Stumm streben sie dem Ausgang der Höhle zu.

„Es wird nichts nützen!“, ertönt jetzt noch einmal die ernste Stimme hinter ihnen. „Meine Söhne und ihre Nachkommen werden niemals Frieden schließen können. Sie sind aus Kampf und Hass geboren. Sie werden sich bekriegen bis sie sich irgendwann selbst vernichtet haben. Und ihr beide werdet nichts daran ändern können. Sie sind nun mal so geschaffen. Außer Hass und Zerstörung wird es nie etwas anderes in ihrem Leben geben. Es ist nun mal ihr Schicksal und ihr findet euch besser damit ab.“

Nun legt sich ein gequältes Lächeln um Inu Yashas Mundwinkel. „Ach ja? Nur Hass und Zerstörung? Da habe ich aber schon andere Sachen erlebt. Ganz so einfach sind die Idioten auch nicht gestrickt.“ Unbeirrt geht er weiter.

„Wieso machst du dir überhaupt die Mühe mit ihnen, kleiner Fast-Hund?“ Die tiefe Stimme klingt nun bitter. „Was kümmern sie dich?“

Nun bleibt Inu Yasha doch noch einmal stehen, atmet einmal tief durch, dann wendet er sich noch einmal um. „Weil sie nun mal zu meiner Familie gehören. Und irgendwie auch alle von ihnen. Vielleicht mag ich nicht jeden von ihnen, vielleicht könnte ich es bequemer haben, wenn ich mich einfach überhaupt nicht mehr mit ihnen abgeben würde. Ich könnte einfach behaupten: Das Ganze geht mich nichts an, und mich nur um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, wie ich es lange Zeit getan habe.“ Seine Miene ist verkniffen.

„Aber je mehr ich die ganze Bande kennen lerne, umso bewusster wird mir, sie sind nicht so wie Ihr sie darstellt. Natürlich sind sie stark und wild und aggressiv und sie lassen keine Gelegenheit aus sich zu beschimpfen und gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Aber sie können auch nett sein und verklemmt, oder mutig, nachdenklich, weise oder stolz. Sie fühlen Liebe genauso wie tiefe Trauer und sie verdienen es ab und zu ein kleines bisschen Glück zu erleben.“ Er seufzt leicht.

„Aber es ist auch wie Ihr es sagt. Sie leben in ewiger Feindschaft zueinander und dieser elende Hass hat bisher nichts als Schmerz und Elend gebracht. Und eigentlich sind sie es alle Leid. Doch sie können sich von dieser Jahrtausende alten Blutfehde einfach nicht loslösen. Das geht sogar so weit, dass sie nicht einmal einander zu Hilfe kommen wollen wenn ein Feind wie Katsuken den ganzen Nordclan in einem Augenblick abschlachtet. Wenn also die Erfüllung der Prophezeiung die einzige Chance ist, dass die Clans sich irgendwann wieder aussöhnen können, dann werde ich meinen Teil dazu beitragen, so wie mein Bruder es auch gerade tut. Denn ich will mir nicht nachsagen lassen, ich wäre untätig gewesen wo ich etwas hätte ändern können.“

Mit diesen Worten dreht Inu Yasha sich um und stapft weiter in Richtung Ausgang davon. Was der Urfürst jetzt von ihm vielleicht denken mag, kümmert ihn nicht. Wenn er hier keine Hilfe erwarten kann, dann sollten sie nicht noch mehr Zeit hier verschwenden. Er hat allmählich wirklich genug. Viel zu lange hat er das Spiel der großen 'mächtigen' Youkai nun mitgespielt. Und er ist es einfach leid sich immer wieder sagen lassen zu müssen was er zu tun oder zu lassen hat. Oder besser gesagt: Was weise wäre und was dumm.

Vielleicht ist er wirklich nur ein Hanyou und nicht von so adliger Abstammung wie all die anderen. Vielleicht versteht er auch nicht so viel von Diplomatie oder Politik oder diesem ganzen hochherrschaftlichen Schnick-Schnack, aber inzwischen sollte wohl klar sein, dass das Wissen darum jemanden nicht zwangsläufig zu einer respektableren Persönlichkeit macht. Yarinuyuki, Kagemori, die Südfürstin, Katsuken und selbst der legendäre Inu no Taishou. Wie ehrwürdig sind sie denn wirklich?

Die Nordfürstin ist vorlaut und impulsiv und hat gerade die größte Niederlage ihres Lebens erlitten, Kagemori ist ein machtgieriger Intrigant und Wortverdreher und er traut ihm nicht weiter als er ihn werfen kann. Übrigens ein verlockender Gedanke. Die Kaba ist überheblich und misstrauisch. Die Kazeba... ist extrem überheblich und misstrauisch. Katsuken ist widerlicher, gnadenloser, blutdürstiger Massenmörder und der Inu no Taisho... Der Urfürst suhlt sich seit Jahrtausenden in Selbstmitleid. In der Tat keine große Ausbeute an Personen bei der Macht und Würde Hand in Hand gehen.

Inu Yashas Miene ist hart. Auch wenn er schon mehrmals der vereinnahmenden Auren einiger dieser Kandidaten zum Opfer gefallen ist, so gibt es doch im Grunde keinen Anlass anzunehmen, dass er hinter auch nur einem dieser 'Fürsten' zurücksteht. Hat er sich nicht immer wieder behauptet? Hat er nicht schon seinen Bruder in vollem Amoklauf aufgehalten? Hat nicht er Katsuken in die Flucht geschlagen nachdem dieser sämtliche Krieger des Nordens tötete? Hat er sich nicht nach besten Kräften mit diesem sturen, verbohrten Rat in seiner Heimat herumgeschlagen, und war nicht er es der als Einziger den Mut hatte den legendären Südclan um Hilfe zu ersuchen?

Er hat alle Kämpfe, alle Erschöpfung und Verletzungen, alle Schmähungen, Misstrauen und Demütigungen erduldet und hier ist er nun. Bei dem mächtigsten Inu Youkai der je gelebt hat. Und dieser schert sich noch immer lediglich um sein eigenes, persönliches Leid. Inu Yasha ist sich nicht sicher was er gerade empfindet, aber Enttäuschung, Frust und Ärger spielen dabei durchaus eine Rolle. Wenn selbst er als Hanyou mehr Selbstachtung besitzt als dieser uralte Fürst, was sollte ihn dann davon abhalten den Rest der Strecke dieses eingeschlagenen Weges weiter zu gehen und ihn zu vollenden? Allein! Nun gut, mit einer Ausnahme...

Er bleibt kurz stehen und wendet sich zu Kagome um, die sich darum müht in der Finsternis mit ihm Schritt zu halten. Ein in der Dunkelheit unsichtbares, mildes Lächeln legt sich um seine Mundwinkel. Dann streckt er ihr die Hand entgegen. Dankbar fasst sie danach.

„Kleiner Fast-Hund!“, die tiefe dröhnende Stimme lässt sie beide zusammenfahren.

Steif wendet Inu Yasha sich noch einmal um. „Ja?“, fragt er beherrscht.

„Du besitzt ein starkes Herz“, kommt die bedeutungsvolle Bemerkung. „Gib acht, dass du es dir nicht brechen lässt! Das wird helfen!“ Und in diesem Moment sehen Inu Yasha und Kagome aus dem Dunkel mehrere kleine, hellrote Lichtpünktchen auf sie zu schwirren. Wie Glühwürmchen in einem sonderbaren spiralförmigen Reigen fliegen sie auf sie zu, kommen immer näher und noch ehe Inu Yasha weiß wie ihm geschieht, treffen die winzigen Lichtkugeln auf seiner Brust auf.

Im ersten Moment ist ihm, als hätte ihn dort ein Brandpfeil getroffen und für einen schrecklichen Moment fühlt er sich zurückversetzt an einen schicksalhaften Tag vor etwas mehr als fünfzig Jahren. Doch das brennende Gefühl verfliegt sehr rasch und etwas verdattert findet er sich auf dem Rücken liegend vor. Neben ihm kniet Kagome. Ein wenig verstört setzt er sich wieder auf.

„Was war das?“, fragt Kagome besorgt.

„Keine Ahnung“, gibt Inu Yasha zu. „Aber ich bin nicht verletzt.“ Umständlich hievt er sich hoch. „Vielleicht erfahren wir es wenn wir endlich hier raus sind.“ Entschlossen greift er noch einmal ihre Hand und wendet sich wieder dem Anstieg zu. Er verspürt keinerlei Bedürfnis zurückzugehen und um eine Erklärung zu bitten. Alles was er jetzt will, ist die Finsternis verlassen, frische Luft zu atmen und dann ein ernstes Wörtchen mit dieser Kazeba zu reden. Energisch macht er sich auf den Weg nach draußen.
 

Endlich erreichen sie den Höhleneingang. Das helle Tageslicht, nach so langer Dunkelheit, blendet sie, sodass sie die Hände vor ihr Gesicht halten müssen. Direkt vor ihnen ist die Papierkette und umsichtig aber auch dankbar, klettern sie darunter durch.

Kagome ist erleichtert. Die beklemmende Aura, die den Berg erfüllt, verflüchtigt sich, kaum dass sie die Begrenzung überquert haben. Es ist als würde ein großer Stein von ihnen abfallen. Endlich können sie wieder frei atmen und ihre Umgebung erkennen.

Diese Umgebung ist allerdings gerade angefüllt mit zahlreichen Inuyoukai in Menschengestalt die sich jetzt wachsam aber auch neugierig um den Eingang scharen. Was vorher große, hellpelzige Wachhunde gewesen waren, steht nun als Schar an beachtlich hochgewachsenen, schlanken, wenn auch kräftigen Männern und Frauen in gebührendem Abstand um sie herum und lässt sie nicht aus den Augen.

Ganz vorne steht die Kazeba und versucht sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Mit stechendem Blick mustert sie Inu Yasha und Kagome und lässt nicht erkennen, ob sie glücklich oder verärgert über ihr Auftauchen ist.

Ein wenig unbeholfen blinzelt Inu Yasha in das Tageslicht, doch rasch wird er sich der Lage bewusst. Ihm wird klar, dass es an ihm ist in dieser Situation den ersten Schritt zu machen, wenn er die Initiative ergreifen will. Mit erhobenem Haupt stellt er sich hin und blickt der Kazeba direkt in die Augen. „So, eure kleine Prüfung wäre geschafft! Gibt es sonst noch irgendwelche Einwände oder Zweifel was unsere Mission angeht?“

Zunächst herrscht um sie her beklemmendes Schweigen. Die Youkai wirken ein wenig verunsichert aber auch angespannt. Fast hat es den Anschein als schwankten sie zwischen Angriff oder davonlaufen. Schließlich hebt die Kazeba den Kopf und tritt einen Schritt vor. „Ihr wurdet geprüft und für lauter befunden?“, fragt sie kritisch.

„Wir sind wieder hier, oder nicht?“, gibt Inu Yasha zurück.

„Beweist, dass ihr euch der Prüfung tatsächlich gestellt habt!“, fordert die Kazeba unerbittlich.

Inu Yashas Miene wird ernst. „Es war eure Idee, dass wir hineingehen sollten ohne genaue Anweisungen. Wenn es einen Fehlschlag bedeutet, falls wir nicht wieder auftauchen, dann bedeutet wohl, wenn wir wieder hier sind, dass wir bestanden haben!“

Die Kazeba bekommt einen schmalen Blick. Fast möchte man meinen sie wäre unschlüssig was sie tun soll. Doch dieser Eindruck hält nur einen Moment an. „Was befindet sich im Inneren der Höhle?“, fragt sie harsch.

Ungerührt hebt Inu Yasha leicht die Brauen. “Prüft ihr mich oder wisst Ihr es nicht?“, fragt er leicht zynisch. Das Gesicht der Youkai wird hart. „Wenn Ihr es wissen wollt geht doch rein und schaut nach!“, fügt er ungerührt hinzu. „Aber gebt acht. Er hat grade nicht die beste Laune.“

Zu seiner eigenen Befriedigung bemerkt Inu Yasha, dass das Gesicht der Kazeba bei diesen Worte blass wird. Wild starrt sie ihn an und ihre Kiefer mahlen. „Wagt es nicht uns täuschen zu wollen!“, kommt es schneidend von ihr. „Wie habt ihr überlebt? Sagt die Wahrheit!“

Nun wird auch Inu Yashas Miene ernst. „Nennt Ihr mich einen Lügner?“, fragt er gefährlich leise.

Die Kazeba gibt sich einen Ruck und kommt auf ihn zu. Erhobenen Hauptes blickt sie auf den Hanyou herunter. „Ich fordere Beweise für Eure Behauptung! Die Angelegenheit ist zu wichtig. Weist nach, dass Ihr Euch nicht um die Auseinandersetzung gedrückt habt!“

Nun richtet sich Inu Yasha zu seiner vollen Größe auf und funkelt die große Frau an. „Und einen Feigling nennt Ihr mich auch?“ Der Ärger in seiner Stimme ist unverkennbar.

Die Spannung in der Luft drückt sich auf alle Umstehenden hernieder. Auch Kagome wird es nun unbehaglich zumute. Ist es wirklich nötig ihre Gastgeber so offen zu provozieren? Wäre es nicht besser die Gemüter wieder etwas zu beschwichtigen?

„Er hat dich doch gezeichnet“, meldet Kagome sich jetzt hilfsbereit zu Wort. „An der Brust, nicht wahr? Das sollte doch als Beweis ausreichen.“

Sofort ruckt der Blick der Kazeba zu Inu Yashas zerrissener Vorderfront hinunter. Tatsächlich, in Herzgegend zeichnen sich unter dem Stoff einige rötliche Markierungen ab. Schon will sie danach greifen um die Brust des Hanyous zur Inspektion vollständig freizulegen, doch noch ehe sich ihre Hand dem Stoff nähern kann, wird ihr Handgelenk blitzartig ergriffen und wie in einem Schraubstock auf Abstand gehalten. Inu Yashas Augen treffen die ihren und dieses Mal liegt darin eiskalte Berechnung. „Finger weg!“, sagt er ruhig aber deutlich.

Im ersten Moment ist sie überrascht, doch dann strafft sie sich wieder. „Wenn Ihr einen Beweis vorbringen könnt, so zeigt ihn!“

Noch immer hält Inu Yasha sie unverändert fest. „Ich sagte: Finger weg!“, wiederholt er nachdrücklich. „Was auch immer ich beschließe Euch zu zeigen, oder nicht zu zeigen, entscheide ich und nicht Ihr! Und jetzt geht zurück!“ Mit diesen Worten drückt er sie bestimmt von sich.

Zunächst verblüfft doch dann empört starrt die Kazeba ihn an. „Du wagst es Hand an mich zu legen, Hanyou?“, schnaubt sie erbost. „Dafür zahlst du mit deinem Leben!“

Doch Inu Yasha lässt sich nicht mehr beirren. „Tatsächlich?“, fragt er herausfordernd. „Ihr wollt die Person töten, die der Fürst unserer aller Ahnen hat ziehen lassen? Glaubt mir, ihn hab ich weit mehr verärgert als Euch und dennoch ließ er uns gehen.“ Scharf mustert er die Umstehenden. Noch immer sieht er deutliche Unsicherheit in den Blicken. Selbst die Kazeba scheint jetzt wieder zu zögern.

„Ihr habt das mitbekommen, nicht wahr?“, richtet er nun die laute Frage an alle. „Die Auseinandersetzung im Berg. Ihr habt gehört, dass es dort zum Kampf kam.“ Zu seiner Bestätigung werfen sich die Youkai jetzt verstohlen kurze Blicke zu. „Und ihr wollt wissen wie wir uns da drin geschlagen habt. Ist es nicht so?“ Betretenes Schweigen ist die Folge.

Inu Yashas Miene wird ernst. „Die Antwort ist: Wir sahen ihm ins Gesicht, wir sprachen mit ihm und wir haben es überlebt.“ Wieder gehen verstohlene Blicke in die Runde ohne dass jedoch auch nur ein Wort fällt. Einer Eingebung folgend hebt Inu Yasha den Kopf. „Und mehr gibt es für euch jetzt nicht zu wissen. Alles Weitere werde ich nur mit der Kaba erörtern. Denn sie muss entscheiden was als Nächstes geschieht.“

Nun richtet er seinen Blick auf die Kazeba. „Also dann! Bringt mich wieder zu Eurer Fürstin, wie zugesagt, oder werdet wortbrüchig!“ Den letzten Worten mangelt es nicht an Zynismus.

Das stille Ringen im Inneren der hochgewachsenen Kriegerin spiegelt sich deutlich in ihrem Gesicht wieder. Doch schließlich überwindet sie ihre offenkundige Abscheu und nickt kaum merklich. Finster wendet sie sich an Kairoku. „Haltet weiter Wache! Meldet jede Veränderung! Ihr erhaltet bald Weisung!“ Der weißblonde Krieger nickt ernsthaft. „Es wird keinen Anlass für Tadel geben, Kazeba!“

Dann wendet sie sich mit einem Ruck ab und lässt ihn stehen. Grimmig weist sie Inu Yasha mit einer halben Handbewegung an ihr zu folgen und schon steuert sie direkt auf die Palisade zu. Mit einem lautlosen Seufzen lässt Inu Yasha Kagome wieder auf seinen Rücken steigen und setzt ihr nach. Das wird ein langer Rückweg werden und es gilt über Vieles nachzudenken. Von nun an wird sich einiges ändern.

Not kennt kein Gebot

Das erste Licht des neuen Tages zeichnet sich am Horizont ab. Zwar ist es noch immer sehr früh auf Grund der Jahreszeit, doch Kouga schenkt dem kaum Beachtung. Er hängt schweigend seinen Gedanken nach.

Plötzlich ist ein Geräusch hinter ihm zu hören. Jemand nähert sich mit schleppenden Schritten. Kouga hat dafür kaum eine Reaktion übrig. Er weiß auch so wer sich da gerade wieder zu ihm gesellt. Schwerfällig lässt sich Shimogawa neben ihn auf den Felsen plumpsen. Der Wolf dreht kaum den Kopf. Eine ganze Weile sitzen sie nur schweigend nebeneinander.

Schließlich hält Shimogawa die Stille nicht mehr aus. „Er ist eingepennt, falls du's wissen willst“, bemerkt er wie beiläufig.

„Warum sollte ich das wissen wollen?“, fragt Kouga ungerührt zurück.

„Weil du dich vielleicht wunderst, dass ich jetzt erst wieder da bin und ansonsten nichts passiert“, antwortet Shimogawa zynisch.

Kouga verdreht leicht die Augen. „Tu doch nicht so, als müsste ich Sehnsucht nach dir haben.“

„Dachte ja nur du kriegst vielleicht Langeweile wenn du hier nur so untätig rumsitzt“, entgegnet Shimogawa schnippisch.

Das sollte ja wohl im Augenblick deine geringste Sorge sein“, meint Kouga sarkastisch.

„Auch wieder wahr“, kommt es nach ein paar Momenten ein wenig hohl von Shimogawa. Mit starrer Miene verfällt er wieder in Schweigen.

Erneut huschen Kougas Augen für einen Moment zu seinem Begleiter hinüber. „Und was hat nun so lange gedauert?“, fragt er schließlich gereizt.

Shimogawa rupft frustriert ein Büschel Gras neben sich aus. „Ich hab ihm Bericht erstattet. Bestimmt dreimal. Er hat immer wieder nachgefragte. Die selben Sachen. Lag vermutlich an der Riesenmenge Sake die er sich nebenbei rein geschüttet hat. Kein Wunder wenn dann da nichts hängen bleibt. Aber gehen lassen wollte er mich trotzdem nicht. Vor n paar Minuten ist er dann schließlich umgekippt und jetzt schläft er hoffentlich seinen Rausch aus und wir haben ihn n paar Stunden vom Hals.“

Nun wendet sich Kouga doch seinem Begleiter zu. „Was stimmt eigentlich mit euch Hunden nicht? Ich dachte ja schon dieser Hanyou wäre verrückt, aber ihr seid alle irgendwie nicht ganz dicht.“ Er schnauft verächtlich auf. „Ihr stürzt euch allesamt um der Ehre willen in einen aussichtslosen Kampf. Ihr lasst nicht mal eine Minimalbesetzung an Wachen für die Verbliebenen zurück. Ihr lasst eure Frauen wie aufgescheuchte Hühner rumlaufen, statt ihnen auch nur die Grundlagen der Verteidigung beizubringen und wenn dann die Kacke so richtig am Dampfen ist, dann verfallt ihr in Selbstmitleid oder besauft euch als gäb's kein Morgen. Hab ich noch was vergessen, oder ist das schon die ganze Summe eurer Dämlichkeiten?“

Shimogawa schluckt hart, dann lässt er sich kraftlos nach hinten plumpsen. Erschöpft schließt er kurz die Augen. Schließlich sagt er: „Nein, du hast ja Recht... Wenn man es so hört, klingt es schon ziemlich dämlich. Nur...“, er sucht nach den passenden Worten, „ich weiß nicht. Bisher hat es immer funktioniert.“ Wieder versinkt er eine Weile in Schweigen und Kouga richtet seinen Blick wieder der Umgebung zu.

„Weißt du...“, setzt Shimogawa unerwartet zaghaft erneut an, „Ich hab schon versucht es dieser Miko zu erklären. Sie hat es nicht verstanden. Wir leben nun mal anders hier. Es gibt klare Regeln und wir leben schon sehr lange nach ihnen. Nur die Stärksten und Zähsten von uns werden Krieger. Schon wenn wir klein sind bringt man uns bei ums Überleben zu kämpfen. Wir sind ein kleiner Clan. Wir müssen das Leben aller garantieren können. Das können wir aber nicht wenn wir Schwäche zeigen. Deshalb gibt es bei uns das Ritual der Ni-banme no Shussei, der zweiten Geburt. Wenn sie nicht ganz ein Jahr alt sind, werden unsere Kinder in der Wildnis ausgesetzt mit der Anweisung aus eigener Kraft vier Tage alleine zu überleben und wenn möglich nach Hause zurückzufinden. Die meisten von ihnen schaffen es auch.“ Er hält einen Moment nachdenklich inne, dann fährt er fort.

„Das erscheint hart und grausam, aber es sorgt dafür, dass nur die Zähsten überleben. So wird das Überleben für den ganzen Stamm leichter. Wir machen das schon seit tausenden von Jahren so. Jeder im Clan hat seinen festen Platz und seine Aufgabe. Die einen kümmern sich um die Versorgung, die anderen um die Verteidigung. So kann man sich ganz auf seine Pflicht konzentrieren und muss sich nicht von Nebensächlichkeiten ablenken lassen.“ Er seufzt leise.

„Wir haben unsere Pflicht immer sehr genau genommen. Aber weil wir nur ein kleiner Clan sind, muss jeder einzelne Krieger mitgehen wenn der Fürst sie in die Schlacht ruft. Keiner kann sich da verwehren. Wir achten sehr streng auf Hierarchie und darauf, dass jeder an seinem Platz das Beste gibt. Niemand darf kneifen. Die Schwäche des Einen ist die Schwäche aller.“ Fast klingt es als bete er ein Mantra herunter.

„Normalerweise reicht das auch völlig. Bisher hat keine Schlacht sehr lange gedauert an der der ganze Clan beteiligt war...“ Hier kommt er ins Stocken und für einen Moment muss einen schweren Kloß in seiner Kehle herunterschlucken ehe er weitersprechen kann. „Wir waren immer rasch wieder zuhause. Bei unseren Familien die wir mit unserem Leben beschützen. Das ist auch der Grund warum wir jedes Mal so verbissen und mit vollem Einsatz kämpfen. Wir wissen alle, dass ein Versagen keine Option sein kann. Wenn wir verlieren... dann ist das das Ende unseres Clans. Glaub mir, das motiviert ungemein.“ Seine Stimme klingt nun bitter.

Zunächst hängt Schweigen über der Stätte dann wendet ihm Kouga noch einmal den Blick zu. „Hab ich doch gesagt, dass ihr dämlich seit“, meint er, doch irgendwie klingen die Worte etwas halbherzig. „Es ist dämlich immer alles auf eine Karte zu setzen. Niemand kann immer gewinnen. Manchmal verliert man auch und was dann?“

„Dann tun wir es eben mit Würde!“, gibt Shimogawa verärgert zurück.

Kouga schnaubt verächtlich auf. „Wie schon gesagt: Dämlich!“

Shimogawas Blick geht gedankenverloren hinauf zum Himmel. „Ja, vielleicht ist das wirklich dämlich. Aber so ist es eben. Schon seit ich denken kann. Doch dadurch werden wir zu noch besseren Kämpfern, denn wir wissen ganz genau was es bedeutet zu Verlieren.“ Nun blickt er doch wieder betrübt drein. „Unsere letzte große Niederlage liegt etwa zweihundert Jahre zurück. Damals war mein Ururgroßonkel der Befehlshaber unserer Truppen. Er und sein jüngerer Bruder, mein Ururgroßvater, hatten die Aufgabe die Grenzen unseres Reiches zu bewachen. Leider taten sie das etwas zu gewissenhaft.“ Nun setzt sich Shimogawa wieder auf und lässt die Schultern hängen.

„Zu der Zeit war der Fürst des Westens gerade gestorben und wir hatten noch nicht davon erfahren. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn wir davon gewusst hätten. Vielleicht auch nicht, mein Großonkel war genau so ein Heißsporn wie sein Sohn es jetzt ist. Jedenfalls entdeckte er, dass der Sohn des Westfürsten gerade ungefragt und unerlaubt die Grenze überquert hatte. Zusammen mit einer berüchtigten Abtrünnigen aus dem Ostclan. Sie hatten strikte Anweisungen diese Frau keinen Fuß auf unseren Grund und Boden setzen zu lassen. Doch nun war sie da, zusammen mit dem Prinzen des Westens. Und obwohl Sesshomaru, der jetzige Fürst, androhte jeden von ihnen zu töten, ließen sie sich nicht darauf ein und wollten sie ihn nicht passieren lassen. Beide verstießen schließlich gegen das Gesetz und wir achten das Gesetz über alles.“ Hart starrt Shimogawa vor sich hin. Dann atmet er leicht aus. „Na ja, das Ergebnis hast du ja gesehen. Deburi war einer der wenigen, die das folgende Massaker überlebten. An diesem Tag starben fast fünfzig hervorragende Krieger, durch die Hand des zukünftigen Westfürsten und seiner Verräterfreundin. Und das nur weil sie ihre Pflicht erfüllt haben.“ Er ballt kurz die Faust.

„Hätte er sich einfach vorher angekündigt, wie es seine Pflicht gewesen war, hätte dieses Blutbad vielleicht vermieden werden können.“ Er lacht kurz bitter auf. „Als Inu Taihyouga ihn schließlich dafür zur Rede stellen wollte, wie es sein Recht gewesen war, musste er feststellen, dass keinerlei Einsicht von ihm zu erkennen war. Man erzählt sich noch heute davon. Der frischgekürte Fürst des Westens betrat den Palast des Nordens in seiner wahren Gestalt und voller Grimm. Er war für keinerlei Verhandlungen zugänglich und für keinerlei Kritik. Er weigerte sich Verantwortung für die Getöteten zu übernehmen. Über seine unselige Komplizin wollte er nicht mal reden. Er verkündete, er sei nur hier um dem Protokoll genüge zu tun den anderen Fürsten seine Aufwartung zu machen, und wenn es darüber hinaus ein Problem gäbe, wäre er jederzeit bereit dies in einem Zweikampf zu klären.

Müßig zu erwähnen, dass es nicht dazu kam. Man munkelte noch lange hinter vorgehaltener Hand, dass Inu Taihyouga es nicht wagte Fürst Sesshomaru so aufgebracht wie er war herauszufordern. Letztlich kehrte der Westfürst in sein Reich zurück und unser Volk brauchte sehr lange um sich von diesem schmerzlichen Verlust wieder zu erholen.“ Starr blick er vor sich zu Boden. „Ich bin nicht sicher, ob wir uns diesmal wieder davon erholen. Wir haben einfach zu viele Männer verloren.“

Kouga hat die Ausführung schweigend verfolgt. Schließlich meint er: „Zumindest hast du jetzt freie Wahl bei den Frauen.“

Ein frostiger Blick Shimogawas trifft ihn. „Das ist nicht witzig!“, erklärt er humorlos.

Kouga seufzt leicht.“Ja, vermutlich nicht“, gibt er gedehnt zu. „Aber bevor ihr euch mit der Reproduktion befasst, müsst ihr eh noch dafür sorgen, dass der Kerl, der das Ganze angerichtet hat, aus dem Verkehr gezogen wird. Sonst fällt er vielleicht doch noch über den Rest von euch her.“

„Ich wüsste nicht wie!“, entfährt es Shimogawa resigniert. „Wir sind kaum noch eine Hand voll Krieger. Wie sollen wir etwas schaffen, was nicht mal das gesamte Heer geschafft hat?“

„Was ist mit eurer Fürstin? Kann die nicht kämpfen?“ Unbehagliches Schweigen ist die Folge. Unwirsch knufft Kouga den Krieger neben sich in die Seite. „Hey, ich hab dich was gefragt!“

„Ich weiß es nicht!“, stößt Shimogawa gefrustet hervor. „Ok? Ich weiß es nicht! Ich weiß überhaupt nicht, was wir jetzt machen sollen, zufrieden?“

Kouga verzieht das Gesicht. „Na, dann ist es wohl gut, dass das jemand anderes für dich entscheidet. Euer Truchsess zum Beispiel.“

Shimogawa verdreht die Augen. „Erinnere mich bloß nicht daran!“

„Entschuldigung! Shimogawa-san?“, ertönt plötzlich der verhaltene Ruf hinter ihnen. Sofort drehen sich die beiden Männer um. Vor ihnen steht eine hagerer Youkaifrau in der schlichten Tracht der Palastbediensteten des Nordens. Unter ihren Augen liegen dunkle Ringe, doch unverwandt blickt sie die beiden an. Sie hält ein Tablett mit mehreren Schüsseln in der Hand. „Ich soll euch fragen, ob ihr vielleicht etwas essen wollt. O-kami-san?“ Auffordernd schaut sie zu Kouga hinüber.

Shimogawas Augen werden schmal. „Und wessen Idee war das, Chii-san? Will sich Chiegusa wieder bei mir einschmeicheln jetzt wo sie merkt, dass Not am Mann ist und sie mir Unrecht getan hat?“

Die Frau schnaubt nur zynisch. „Ich denke nicht, dass sie sich im Augenblick darum schert. Dafür hat sie gerade zu viel um die Ohren. Nein, Kinokawa meint, dass unsere beiden einzigen verbliebenen Wachleute sicherlich eine Stärkung brauchen können.“

Noch immer etwas skeptisch blick Shimogawa sie an, doch dann entspannt er sich etwas und nimmt sich eine der Reisschalen. Ohne sich um den sparsamen Blick des Wolfes zu kümmern, reicht er die Schüssel an ihn weiter um sich dann selbst die Zweite zu nehmen. „Mach nicht so ein Gesicht!“, fordert er Kouga auf „Iss schon! Ist nicht vergiftet.“ Deutlich widerstrebend lenkt der Wolf ein und beginnt zu essen. Auch Shimogawa hat volle Backen und erst jetzt stellt er fest was ihm gefehlt hat. Die Hofköchin versteht einfach ihr Handwerk. Besonders wenn es darum geht angeschlagene Krieger, ob an Körper oder Geist, wieder aufzupäppeln. Mit sichtlichem Appetit stopft er die Mahlzeit in sich hinein.

Mit einem belustigtem Schmunzeln beobachtet Chii die beiden. „Ich kann euch noch mehr holen wenn ihr wollt“, bietet sie an. „Wir haben auch Fleisch“, bemerkt sie wie beiläufig. „Bevor sie zur Versammlung gegangen ist, hat Kinokawa ein ganzes Schwein übers Feuer gehängt. Nur für euch beide“, fügt sie zuckersüß hinzu.

Shimogawa hält mit Essen inne. „Was soll das heißen: Nur für uns beide?“ Argwöhnisch schaut er sie an. „Was führt sie im Schilde? Da ist doch was faul!“

„Was für eine Versammlung?“, greift Kouga jetzt den anderen Nebensatz auf.

Sofort schert auch Shimogawa auf das Thema ein. „Ja, was für eine Versammlung eigentlich?“

Seelenruhig schöpft die Frau noch einen großen Löffel Fleischsoße über Shimogawas Reis. „Der Frauenrat tagt gerade“, erklärt sie nebenbei. „Sie besprechen was jetzt angesichts der Lage zu tun ist.“

Ein bisschen perplex starrt Shimogawa sie an. „Es gibt einen Frauenrat? Wer? Wie? Seit wann das denn?“

Arglos blickt Chii ihn an. „Na, schon immer. Was dachtet ihr denn was wir hier machen wenn ihr Kerle wieder mal loszieht um Krieg zu spielen? Rumsitzen und Däumchen drehen? Wohl kaum. Irgendwer muss ja den Laden hier am Laufen halten.“

Mit etwas dümmlichen Gesichtsausdruck sitzt Shimogawa da. “Aha...“

Bedeutsam neigt sich Kouga ihm zu. „Lass mich raten. Davon wusstet ihr nichts.“

„Natürlich nicht!“, braust nun Shimogawa aus seiner Starre auf. „Hätte Inu Taihyouga davon gewußt, hätte er ihn selbstverständlich sofort verboten!“

„Und genau das ist der Grund warum wir es bisher nicht an die große Glocke gehängt haben“, fügt Chii ernsthaft hinzu.

„Ja, aber... Deburi... Er ist doch immer hier“, erwidert Shimogawa aufgebracht. „Weiß er davon? Hat er denn nichts unternommen?“

Nun fängt er sich einen sehr skeptischen Blick von der Frau ein. „Ist das dein Ernst? Bei seinem Sakekonsum ist es kein Problem etwas vor ihm zu verheimlichen. Außerdem schert er sich doch nur um die Frauen in unserem Clan, solange sie ihn mit Nachschub versorgen. Vor Chiegusa etwas geheim zu halten ist schon deutlich schwieriger. Und selbst das haben wir nun schon ein paar hundert Jahre fertiggebracht.“ Trotzig verzieht sie das Gesicht.

„Und warum erzählst du es uns dann jetzt?“, ergreift nun Kouga wieder das Wort.

Nun blickt die Frau sehr unbehaglich drein. Sie atmet noch einmal durch, dann sagt sie: „Weil die Lage gerade so ernst ist, dass wir es nicht mehr vor ihr verheimlichen können. Wir müssen über die Sache reden und wir haben keine Zeit zu warten bis sie aus dem Weg ist. Und wenn sie es weiß, dann erfährt es auch Deburi und wenn der es erfährt...“

„Ich verstehe schon.“ Resigniert blickt Shimogawa drein.

„Im Moment schläft er noch“, fährt Chii eindringlich fort. „Aber gerade debattieren sie so laut, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er wieder auftaucht.“

Einen Moment lang halten alle drei inne und lauschen. Tatsächlich vom Versammlungsplatz des Palastes wehen wütende Stimmen herüber. Offensichtlich ist die geheime Besprechung gerade in vollem Gange.

„Bitte!“, drängt Chii eindringlich. „Ihr müsst uns Rückendeckung geben. Deburi ist nicht gerade für seine Einsicht bekannt. Er wird das niemals gutheißen, völlig egal wie plausibel und vernünftig unsere Gründe sind. Für ihn zählt nur das Gesetz. Er würde eher Kinokawa und die anderen töten als einzugestehen, dass uns keine andere Wahl blieb.“

Ein bisschen wehleidig blickt Shimogawa auf die dampfende Reisschüssel in seinen Händen. Er seufzt leicht, dann stellt er sie ab. „Du erwartest, dass ich mich mit Deburi anlege?“, fragt er. „Und wofür? Um euch zu verteidigen weil ihr das Gesetz gebrochen habt.“

Nun wird Chiis Blick hart. „Wir taten das was nötig war! Ihr Kerle habt euch doch nie um uns geschert! Wir sind nur da zum Kinder kriegen, zum Putzen oder zum Kochen. Wie wir das machen interessiert euch doch nicht, Hauptsache es passiert. Würden wir uns nicht seit Jahrhunderten selbst organisieren, würde hier alles drunter und drüber gehen.“

„Der Fürst unseres Clans ist die unumstößliche Autorität!“, stellt Shimogawa klar. „Er trifft alle Entscheidungen. Wie kommt ihr dazu hinter seinem Rücken über die Geschicke unseres Clans zu beraten?“

Grimmig hält Chii seinem Blick stand. „Wir hintergehen unseren Fürsten nicht! Wir dienen ihm! Und zwar indem wir ihm unbemerkt zuarbeiten. Auch wenn der Fürst mit seinen Kriegern ausrückt und tagelang nicht zurückkommt, geht das Leben hier weiter. Der Rest des Clans hört nun mal nicht auf zu existieren wenn die Kämpfer fort sind. Auch dann müssen Entscheidungen getroffen werden.“

„Dafür habt ihr Deburi“, entgegnet Shimogawa. „Wenn der Fürst nicht da ist, trifft er die Entscheidungen.“

„Er trifft aber schlechte Entscheidungen!“, funkelt Chii grimmig zurück.

„Dann richte deine Beschwerde darüber direkt an den Fürsten!“

„Als ob das irgendetwas ändern würde!“

„Willst du etwa behaupten unsere Fürstin wäre ungerecht?“, ärgerlich stemmt Shimogawa die Arme in die Seite.

„Yarinuyuki wird Deburi niemals zur Rechenschaft ziehen“, lodert Chii. „Und gerade du weißt doch ganz genau warum!“

Hier hält Shimogawa inne. Er dreht genervt die Augen nach oben, dann seufzt er resigniert. „Ich kann euch nicht helfen, Chii. Ich kann Deburi nicht die Stirn bieten. Ihr seid auf euch gestellt.“

Düster funkelt die Frau ihn an. „Und ich dachte immer die Krieger unseres Stammes wären mutig.“

„Wenn ihr dann fertig seid“, meldet sich nun doch Kouga noch einmal zu Wort, „vielleicht gehen wir dann doch mal zu dieser Versammlung rüber. Ich hab nämlich den Eindruck da fliegen gleich die Fetzen.“ Vom Versammlungsplatz sind jetzt laute Schreie und wüste Beschimpfungen zu hören. Offenbar liegen dort mindestens zwei Frauen im heftigen Streit.

Shimogawa schnauft verächtlich. „Ich wüsste nicht was ich da zu suchen hätte.“

Kouga wirft ihm einen schmalen Blick zu. „Dir ist schon bewusst, dass ihr gerade die Hälfte eurer Leute verloren habt. Auf ein paar mehr oder weniger kommt es dann ja wohl nicht an bei dir. Ich kriege langsam den Eindruck, dass ihr diesen Katsuken gar nicht braucht. Euer Stamm ist gerade wunderbar dabei sich selbst auszulöschen. Aber vielleicht ist dir ja noch ein bisschen Restanstand geblieben und du gehst jetzt da hin und verhinderst, dass dieser dämliche Säufer aus reiner Sturheit die Frauen umbringt die sich vielleicht noch etwas aus eurem Clan machen.“ Eisige Augen durchbohren den Krieger des Nordclans.

Ein wenig unsicher erwidert Shimogawa seinen Blick. Der Wolf lässt ihn keine Sekunde aus den Augen. „Also...“, beginnt er zögerlich, „du meinst also... ich sollte vielleicht doch...?“

„Beweg dich!“, der harsche Befehl wird begleitet von einer eindeutigen Geste mit dem Finger.

Shimogawa schluckt unbehaglich. Es sieht nicht so aus als ließe der verärgerte Wolf einen Widerspruch zu. Nun gut, er ist es gewohnt der Person mit dem stärksten Willen zu gehorchen und im Moment scheint der Wolf genau zu wissen was er will. Niedergeschlagen fügt er sich.

Kopfschüttelnd schubst Kouga ihn vor sich her in Richtung Versammlungsplatz. „Einfach unfassbar!“, murmelt er bei sich.
 

Auf dem Versammlungsplatz ist der heftige Disput bereits in vollem Gange. Gerade stehen sich die vornehme Dame von vorhin und eine andere hochgewachsene Youkaifrau Stirn an Stirn gegenüber und schreien sich an.

„Es ist einfach ungeheuerlich, was ihr euch hier herausnehmt!“, schimpft Chiegusa gerade. „Dass ihr unseren Fürsten all die Jahre so schändlich hintergangen habt ist einfach unentschuldbar!“

„Wir haben ihn niemals hintergangen!“, wettert die andere Frau zurück. „Wir waren ihm stets treu ergeben. Doch das spielt jetzt gerade keine Rolle, denn im Augenblick haben wir ja wohl ganz andere Probleme.“

Empört reißt Chiegusa Augen und Mund auf. „Es spielt keine Rolle?“, wiederholt sie fassungslos. „Was soll das heißen? Selbstverständlich spielt es eine Rolle, du ehrloses Stück Dreck! Solch eine ungehörige Gehorsamsverweigerung gehört streng bestraft!“

Die andere Frau verdreht wütend die Augen. „Chiegusa, mir ist es ehrlich gesagt scheißegal was du davon hältst. Und ich hab auch nie behauptet, dass ich nicht beabsichtige darüber Rechenschaft abzulegen, aber gerade jetzt gibt es wichtigere Dinge zu klären.“

„Es ist nicht an dir diese Dinge zu klären. Du wirst gefälligst das tun was dir gesagt wird und nichts weiter!“, herrscht Chiegusa sie von oben herab an.

„Ach ja?“, kommt es aggressiv zurück. „Na schön! Von mir aus! Na dann mal los! Was soll ich denn tun? Wo ist er denn unser großer, befehlsgewaltiger Anführer? Warum ist er nicht hier wie er sollte und kümmert sich um diese Krise wie er sollte!“

Ein hasserfüllter Blick trifft sie. „Wie Deburi sein hochherrschaftliches Amt ausfüllt unterliegt ganz sicher nicht deiner Beurteilung, Kinokawa! Er wird dich über seine Entscheidungen in Kenntnis setzen, wenn er entscheidet, dass du es zu erfahren hast und keinen Moment früher! Ich warne dich! Kritik an ihm ist Kritik am Fürsten!“

„Dass du das sagst, ist ja wohl klar!“, kommt es verächtlich von Kinokawa. „Also ob du irgendetwas gegen deinen versoffenen Gatten sagen würdest, du erbärmliches, gelacktes Hausmütterchen, du!“

In diesem Moment fliegen Chiegusas Augen auf und ein wildes Knurren dringt aus ihrer Kehle. Mit einem rohen Schrei und gezückten Krallen will sie sich auf ihre Kontrahentin stürzen, die sie augenscheinlich gebührend empfangen will, doch im letzten Moment schieben sich zwei Gestalten zwischen die beiden Gegnerinnen und halten sie nachdrücklich von weiteren Kampfhandlungen ab.

„Sachte, sachte!“, meint Kouga während er unnachgiebig Chiegusas Handgelenke umschlossen hat und nun versucht die wütende Frau auf Abstand zu halten.

„Lass mich auf der Stelle los, du stinkender Wolf!“, wettert sie. „Der Giftkröte kratz ich die Augen aus!“

„Ja? Versuchs doch, du arrogante Schreckschraube!“, schreit Kinokawa provokant zurück.

„Meine Damen, bitte beruhigt euch doch!“, beschwört Shimogawa die Streithennen, Dabei hat er alle Hände voll zu tun, dass die Köchin in seinem Griff sich nicht freikämpft. Er fühlt sich ein bisschen überfordert. Noch nie zuvor hat er die Frauen in seinem Clan derartig aggressiv erlebt. Sonst haben sie sich immer dezent im Hintergrund gehalten und jetzt wollen sie sich am liebsten eigenhändig zerfleischen. Wer kann es ihm verübeln, dass er gerade nicht recht weiß wie er damit umgehen soll? Aber eines weiß er zumindest: Die Köchin in seinem Griff hat Kraft! Wenn er nicht aufpasst, entwindet sie sich ihm am Ende noch und dann, das steht außer Frage, gibt es ein Blutbad. Immer mehr Schaulustige scharen sich um die Kämpfenden und langsam werden auch um sie her missmutige Rufe lauter.

Doch gerade in diesem Moment schallt eine wütende Stimme über den Platz: „Was zur Hölle ist hier los?“ Augenblicklich halten alle in ihrem Gerangel inne und drehen sich zum Verursacher dieser Störung um. Hoch aufgerichtet, aber leicht schwankend steht Deburi da und funkelt grimmig zu ihnen herüber. Unwirsch entzieht sich Kinokawa Shimogawas Griff und rückt ärgerlich ihre Kleidung zurecht. Auch Kouga gibt nun Chiegusas Handgelenke frei und nimmt es gelassen hin, dass die Frau ihn mit tödlichem Blick anstarrt.

Doch nun richtet sich die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf Deburi der nun energisch auf sie zugehumpelt kommt. Groß baut er sich vor den Verursachern des Disputs und seinen Schlichtern auf. Die Fahne die ihn umgibt reicht aus, dass sämtliche Youkai in seiner Nähe angewidert die Nase rümpfen.

Durchdringend starrt er Chiegusa an. „Ich will eine Erklärung für diesen Tumult und zwar auf der Stelle!“ Die Worte kommen deutlich lallend heraus, doch niemand ist so verrückt den Truchsess und seine Launen deshalb zu unterschätzen.

Ergeben senkt Chiegusa den Kopf. „Eine kleine Auseinandersetzung, ehrwürdiger Gatte. Es war nötig diese Frau in ihre Schranken zu weisen. Sie und einige andere haben unsere Fürstin hintergangen und zeigten sich gänzlich uneinsichtig als sie deshalb zur Rede gestellt wurden.“

Ein Ruck geht durch Kinokawas Körper. „Du miese, kleine...!“ Doch schon im selben Moment packt Shimogawa sie, drückt ihr die Hand über den Mund und hindert sie daran erneut vorzuspringen und ihre Widersacherin anzufallen.

Deburis Kopf ruckt zu Kinokawa herum. „Na sowas!“, lallt er. Seine Miene ist zum Fürchten. Und nun erstarrt auch Kinokawa in ihrer Bewegung und gibt den Widerstand auf. Mit erhobenem Haupt kommt er nun auf sie zu. Shimogawa weicht instinktiv einen Schritt zurück, so wie alle hinter ihm Stehenden ebenfalls. Jetzt steht nur noch die Köchin dem Truchsess gegenüber und man erkennt wie sich immer mehr Furcht in ihrem Gesicht abzeichnet. Nun steht er direkt vor ihr und augenblicklich sackt sie auf die Knie hinunter.

Mit genüsslichem Schmunzeln blickt Deburi auf sie herab. „Du hintergehst also unsere Fürstin, hab ich das richtig verstanden?“, kommt es gefährlich freundlich von ihm. Kinokawa schluckt. „Sag schon!“, nuschelt Deburi. „Was hast du getan, ich will es wissen!“

Für einen langen Moment hängt angespanntes Schweigen in der Luft. Doch nun verliert Deburi sichtlich die Geduld. Schon will er mit der Klaue ausholen um der vor ihm knienden Frau einen Schlag zu verpassen als plötzlich jemand aus dem Kreis der Zuschauer vortritt. Es ist Chii und mit ernster Miene bietet sie Deburi die Stirn.

„Sie hat nichts getan!“, sagt sie deutlich. „Niemand hier hat unsere Fürstin je hintergangen!“

Nun kann Chiegusa nicht mehr an sich halten. „Ihr habt hinter ihrem Rücken einen geheimen Rat gebildet und habt selbst Entscheidungen für den Clan getroffen, und das obwohl ihr wusstet, dass euch das nicht zustand. Ihr habt eure Fürstin missachtet und jeden einzigen Fürsten vor ihr, ihr verderbte Bande von Verrätern!“

„Wir haben niemals gegen ihre Befehle gehandelt!“, gibt Chii jetzt fest zurück. „Es ging nie darum ihre Befehle zu umgehen. Es wurden nur Sachen behandelt, zu denen sie sich nicht im Besonderen geäußert hatte. Jemand musste diese Entscheidungen treffen, sonst wäre von unserem Clan schon längst nichts mehr übrig.“

Chiegusas Augen fliegen auf. „Hört Ihr es? Sie gibt es zu! Sie bestreitet es nicht mal, dass sie Entscheidungen hinter dem Rücken der Fürsten getroffen haben. Diese Arroganz schreit geradezu zum Himmel. Und wer weiß wie viele darin involviert sind. Sie müssen bestraft werden!“

„Wir taten nur was nötig war!“, kommt es jetzt düster von Kinogawa. „Die Fürsten unseres Volkes haben sich nie sonderlich um die logistischen Vorgänge unseres Clans geschert. Für sie kam immer das Kämpfen und Ruhm und Ehre an erster Stelle. Wir Frauen mussten zusehen, dass alles andere eben einfach lief. So etwas kommt nicht von selbst ohne die kleinsten Absprachen.

Jedes Mal nach einer großen Schlacht, wenn ein Großteil unserer Krieger auf dem Schlachtfeld geblieben waren... war es an uns zu beraten wie sich das wieder bereinigen ließ. Wir beratschlagten uns, wir einigten uns und wir... „, starr blickt sie zu Boden, „trafen Vorsorge, dass die richtigen Partnerschaften geschlossen wurden. Ehen die möglichst viele, starke Kinder hervorbrachten. Glaubt es ruhig. Wir haben schon seit sehr langer Zeit ein Auge darauf. Wir wissen worauf es da ankommt. Und... wir taten es stets zum Wohle des Clans und oft genug gegen das Herz. Viel zu oft!“ Wieder schluckt sie schwer. „Wir haben immer wieder im Stillen Opfer gebracht, und wir haben es getan weil es unerlässlich für das Fortbestehen unseres Clans war. Aber wir hatten niemals die Möglichkeit dieses Anliegen mit den Fürsten unseres Clans persönlich zu besprechen.“

Ein gequälter Zug legt sich um ihre Lippen. Zerknirscht schaut sie auf. „Jedes Mal wenn ein neuer Fürst an die Macht kam und jedes Mal wenn wir erneut so viele Männer einbüßen mussten, haben wir versucht vom Fürsten empfangen zu werden, doch niemals schenkte man uns Gehör. Wir waren schließlich nur Frauen. So mussten wir uns vertraulich darüber absprechen. Darüber und über all das was wir unseren Fürsten nicht vortragen konnten. Ich bereue es nicht und ich würde es jederzeit wieder tun. Und so denkt jede von uns die unserem Clan treu ergeben ist! Wenn das also eine verachtenswerte Tat sein soll, dann müsst Ihr mich bestrafen und mit mir jede andere Frau die so denkt wie ich. Denn wir werden nicht aufhören! Wir werden unserem Clan treu sein, was immer uns das kosten mag!“ Durchdringend starrt sie Deburi an und in ihrer Miene liegt eiserne Entschlossenheit.

Wieder hängt gespanntes Schweigen in der Luft. Dann plötzlich macht Chii einen entschlossenen Schritt nach vorn. „So ist es!“, stellt sie entschlossen klar. Und jetzt kommt allmählich Leben in die umstehenden Frauen. Mit entschlossener Miene treten sie vor und halten Deburi mit energischen Blicken gefangen.

Der Truchsess blickt sich mit wütender Miene um. Grimmig fletscht er die Zähne. Offenbar stellen sich alle Frauen hier auf die Seite der Knieneden. Nur Chiegusa steht ein Stück abseits und blickt mit steinerner Miene vor sich hin.

Wütendes Schnauben entfährt Deburi. Immer aufgebrachter sieht er sich um, doch schließlich holt er blitzschnell mit der Klaue aus und schlägt Kinokawa mitten ins Gesicht. Blut spritzt hoch auf und die Youkaifrau fliegt ein ganzes Stück weiter und bleibt dann reglos liegen.

„Ihr elenden Weiber!“, brüllt Deburi außer sich. „Glaubt ihr wirklich, dass entschuldigt eure Eigenmächtigkeit? Ihr habt hier nichts zu sagen! Ist das klar! Ihr habt wohl vergessen wo euer Platz ist, was? Ihr beratet nichts, ihr bestimmt nichts, und schon gar nicht, und das meine ich todernst, habt ihr darüber zu entscheiden wer hier wen heiratet? Das ist ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit!“ Er fährt herum und verpasst der Frau die ihm am nächsten steht einen heftigen Schlag. Sie knickt wortlos zusammen. Ein beunruhigtes Raunen geht durch die Menge als der Truchsess weitertorkelt und jetzt wahllos Schläge mit seinem Stab an die Umstehenden verteilt während er weiter wettert.

Shimogawa und Kouga betrachten das enthemmte Gebaren des Truchsess mit zunehmender Sorge. Immer wieder schlägt der betrunkene Youkai in wilder Wut auf die Frauen ein, die es offenbar vor Angst und eingedrilltem Gehorsam nicht über sich bringen davonzulaufen.

„Willst du ihn nicht vielleicht mal aufhalten?“, raunt Kouga Shimogawa zu.

Dieser schüttelt nur entgeistert den Kopf. „Bist du irre? Mit dem leg ich mich bestimmt nicht an!“

„Was bist du doch für ein erbärmlicher Feigling!“, knurrt Kouga grimmig. „Habt ihr Hunde nicht mal so viel Anstand, dass ihr nicht wisst, dass man keine Frauen schlägt?“

Sprachlos starrt Shimogawa ihn an, als wäre diese Vorstellung völlig neu für ihn.

Kouga verdreht die Augen. „Ich fasse es einfach nicht!“ Entschlossen lässt er die Knöchel knacken. „Dann werde ich mich eben darum kümmern!“ Doch sofort reißt Shimogawa ihn zurück.

„Lass das bloß! Deburi ist viel zu stark für dich!“

In Kougas Augen lodern kleine Racheflammen: „Wollen wir wetten?“

Wieder hält ihn Shimogawa zurück. „Bitte!“, es klingt fast verzweifelt. „Er würde das als Kriegserklärung der Wölfe ansehen. Wir können nicht in eine weitere Schlacht ziehen!“

Kouga schnaubt verächtlich. „So dämlich wird er wohl kaum sein, mit drei Leuten unser Rudel anzugreifen. Wir machen euch ohne Probleme platt. Das würde überhaupt keinen Sinn machen!“

„Du begreifst das nicht!“, drängt Shimogawa flehend. „Schau doch hin! Hier geht es doch längst nicht mehr um das was Sinn macht. Nur noch um Statuten. Nur deshalb sind wir doch überhaupt in dieser Situation. Alles bricht zusammen. Du hattest Recht. Wir zerstören uns selbst. Unser Clan stirbt und nichts was wir hier tun könnten, kann daran noch etwas ändern. Es ist hoffnungslos!“

Kraftlos sackt Shimogawa auf seine Knie und senkt den Kopf.

Währenddessen erteilt Deburi weiterhin wütende Schläge und wüste Beschimpfungen in alle Richtungen und Kouga ist arg hin und hergerissen was er jetzt tun soll. Vermutlich hat Shimogawa Recht. Es ist wohl wirklich eine hundeinterne Angelegenheit und wenn er sich einmischt, stachelt er womöglich noch einen Krieg an. Aber andererseits weiß er in seinem Innersten ganz genau, dass man Frauen einfach so nicht behandelt. Was würde Kagome tun? Und im Grunde kennt er die Antwort schon.

Schon zückt er seine Klauen und sein Blick verfinstert sich. Gerade will er losstürmen um den Grobian zur Verantwortung zu ziehen da legt sich plötzlich von hinten schwer eine Hand auf seine Schultern und hält ihn zurück. Reflexartig wendet er sich um und nun heben sich seine Brauen verwundert.
 

Noch immer verteilt Deburi in alle Richtungen Schläge. Inzwischen haben sich sämtliche Frauen verschreckt auf dem Boden zusammengekauert. Hier und da droht der Truchsess noch einmal mit dem Stock dann richtet er sich wieder auf.

„Ihr seid der letzte Abschaum!“, nuschelt er. „Ein Haufen wertloser Müll! So wie alle Frauen. Ich glaube es wird Zeit, dass ich an euch ein Exempel statuiere. Damit ihr endlich begreift wer hier uneingeschränkt das Sagen hat!“

Er humpelt zu Kinokawa hinüber. Dann blickt er gefährlich in die Runde. „So, ich will jetzt sofort von euch wissen wer alles bei diesem kleinen Schmierentheater mitgemacht hat“, lallt er boshaft, „Na los, raus mit der Sprache!“ Manisch funkelt er in die Runde. Dann rammt er Kinogawa den Schaft seines Speers heftig in den Magen. Mit einem unschönen Gurgeln bäumt die Frau sich auf und spuckt einen Schwall Blut.

„Wird's bald? Oder hat euch euer erbärmlicher Mut wieder verlassen, so wie es gehört?“, mit schwerer Zunge stößt er die Worte voller Verachtung heraus. „Ich mach euch einen Vorschlag: Wer meint hier noch immer die glorreiche Heldin spielen zu müssen, und der schwachsinnigen Meinung ist, dass es irgendeinen ehrenhaften Grund gibt warum man unseren Fürsten hintergehen sollte, der darf gerne vortreten und wird seine gerechte Strafe erhalten. Alle anderen sollten sich besser von jetzt an fügen und solche dämlichen Ideen wie Eigeninitiative gefälligst lassen.“

Unsicher blicken die Frauen auf. „Was für eine Strafe ist das denn?“, kommt die zaghafte Rückfrage.

Genüsslich wendet Deburi der Fragenden den Kopf zu. „Na, was glaubst du wohl welche Strafe auf Hochverrat steht?“, grinst er verächtlich.

„Du willst sie töten?“, richtet sich Chii nun empört auf. „Alle die bei unserem Rat mitgemacht haben?“

„Warum nicht?“, meint Deburi schwerfällig jedoch nicht minder ernsthaft. „Ihr habt es nicht anders verdient!“

„Das sind fast alle gewesen!“, gibt Chii aufgebracht zurück. „Willst du die alle umbringen?“

„Um so besser!“, brummt Deburi. „Dann lernt ihr dämlichen Weiber vielleicht endlich mal Respekt!“

„Das kannst du nicht machen!“, springt Chii entrüstet auf. „Dann ist von unserem Clan nichts mehr über. Du verdammst uns zur Ausrottung du dämlicher Säufer. Über so etwas schwerwiegendes kann nur Yarinuyuki-sama befinden! Nicht du!“

Sofort ist Deburi bei ihr und packt sie grob am Kragen. Wild funkelt er sie an. „Yarinuyuki ist auch nur eine Frau. Als ob sie so was entscheiden könnte. Sie ist genau so unfähig wie jede von euch. Aber ich werde euch schon zeigen wie man mit solchen wie euch umgehen muss!“ Schon hebt er die Klaue zum tödlichen Schlag, als ihn plötzlich eine frostige Stimme innehalten lässt.

„So, du beschmutzt also das Ansehen von Yarinuyuki-sama? Wie tief willst du eigentlich noch sinken, du widerliches Stück Dreck?“

Alle Blicke fahren herum. Unter den Schatten eines Baumes tritt nun Samushi hervor. Sein Gesicht ist blass und auf seiner Brust zeichnet sich eine lange, zerfranste, wulstige Narbe ab aber der Blick den er dem Truchsess zuwirft ist tödlich.

Deburi lässt die Klaue sinken und wendet sich dem Neuankömmling zu. „Schau an, wer da zu den Lebenden zurückgekehrt ist. Der Streuner und Dauerbefehlsverweigerer Samushi. Na, du musst dich hier gerade einmischen. Zieh Leine, das hier geht dich nichts an!“

„Es geht mich nichts an, sagst du?“, noch immer kommt Samushi langsam auf ihn zu. Seiner Miene fehlt jeglicher Humor. „Du schwachsinniger, besoffener Penner willst in einem Anfall von Größenwahn das auslöschen was von unserem Clan überhaupt noch geblieben ist, das was wir Krieger immer beschützt haben, nämlich unsere Familien, die Personen die uns nahestehen...“, sein Blick bekommt einen Moment lang etwas Starres, „und du erdreistest dich mir zu sagen es ginge mich nichts an?“ Ein beunruhigender Ton liegt nun in seiner Stimme.

Mit schmalen Augen blickt Deburi dem ehemaligen Streuner entgegen. „Spiel dich nicht so auf Neffe!“, meint er verächtlich. „Als wenn jemand mit so perversen Neigungen wie du irgendwas davon verstehen würde.“

Augenblicklich fliegen Samushis Augen auf. Mit drei großen Schritten ist er an Deburi dran, packt ihn am Kragen und reißt ihn ein Stück vor sich in die Höhe. In grellem Blau funkeln seine Augen auf und seine Stimme hat Grabeskälte als er leise sagt: „Du hast absolut keine Ahnung, du dreckiger Bastard!“

Doch Deburi zeigt sich unbeeindruckt. Ebenso hasserfüllt starrt er zurück. Dann schlägt er Samushis Hände auseinander und kommt wieder auf dem Boden auf. „Suchst du Streit, Samushi? Muss ich dich daran erinnern wer hier das Sagen hat? Wenn du ein wahrer Krieger unseres Clans wärst, dann würdest du doch wissen wie das hier läuft. Du hast dich untergeordnet. Freiwillig! Du hast darauf verzichtet das Kommando zu übernehmen und jetzt hast du dich der Hierarchie zu beugen, wie sie alle hier! Also halt jetzt gefälligst den Rand und misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein.“

„Ach, dass sind deine Angelegenheiten!“, gibt Samushi mit tiefster Verachtung zurück. „Ich dachte eigentlich, dass Yarinuyuki-sama hier die höchste Instanz ist. Dein Ego ist offenbar noch gewaltiger und stinkender als deine Fahne! Vielleicht hörst du jetzt mal auf hier wahllos Frauen zu verprügeln und überlässt es Yarinuyuki-sama darüber zu entscheiden was mit ihnen passieren soll!“

Ein boshaftes Flackern liegt in Deburis Augen. „Yarinuyukis Armee wurde besiegt und sie selbst ist schwer verletzt, wen wundert's? Vermutlich ist sie bereits tot. Du kannst diese Entscheidung also getrost mir überlassen!“

Wilder Zorn zieht nun über Samushis Gesicht. Er fletscht die Zähne. „Du elender Verräter!“, grollt er. „Hältst du so deiner Fürstin die Treue? Ist das deine Loyalität? Nennst du sowas Vertrauen? Ich für meinen Teil habe keinen Zweifel daran, dass sie noch lebt, aber du schreibst sie ja offenbar schon mit Freude ab. Du hast sie doch niemals als Fürstin anerkannt und du richtest in deiner wahnwitzigen Verblendung unser Volk zugrunde! Dir muss Einhalt geboten werden!“

Herausfordernd reckt Deburi das Kinn. „Was willst du schon machen, Drückeberger der du nun mal bist? Willst du dich mit mir anlegen, Neffe? Traust du dir das zu? Selbst so“, er weist an sich herunter, “bin ich noch immer mehr Kämpfer als du je sein wirst. Niemand fordert mich heraus, hast du das noch nicht begriffen?“

Samushi knirscht mit den Zähnen. Dann sagt er mit eiskalter Miene: „Du hast da was nicht begriffen, Deburi. Niemand fordert dich heraus... weil sie alle Mitleid mit dir haben! Du bist so ein erbärmlicher Anblick, dass niemand einen Kampf unter seiner Würde führen möchte. Du hast diesen Posten nur inne, weil du nicht mehr auf Kämpfe aus ziehen kannst und sie dir dein klägliches bisschen Würde bewahren wollten. Und du weißt, dass es so ist!“

Deburi erbleicht. Wie vom Donner gerührt steht er da und seine Gesichtszüge entgleisen.

Doch Samushi redet schon weiter: „Eigentlich sind wir alle übereingekommen, dir das nicht zu sagen um dich nicht zu demütigen. Was glaubst du warum wir dich so lange haben schalten und walten lassen? Warum wohl konntest du so lange den Hass auf deine eigene Unfähigkeit an anderen auslassen? Du erbärmliches Stück Dreck! Du hast diesen Posten nur aus reiner Gnade von Yarinuyuki-sama, die genau weiß was du tust und die deine Ehre nicht beschmutzen wolltest indem sie dich herabsetzt und wie dankst du es ihr?“

Kühl blickt Samushi den entgeisterten Truchsess an. „Du hast Recht, ich habe freiwillig auf einen Führungsposten verzichtet. Ich war... zufrieden mit dem was ich hatte. Doch jetzt ist alles anders. Jetzt werde ich nicht länger zusehen wie du unser Volk aus falschem Stolz auslöschst. Und wenn es nur diese Möglichkeit gibt, dann fordere ich dich hiermit heraus!“

Zunächst starrt Deburi ihn nur ungläubig an, dann zieht sich sein Gesicht zu und wird zu einer zornigen Fratze. „Ist das dein verdammter Ernst? Du wagst es, so mit mir zu reden?“ Er packt seinen Speer fester und fletscht die Zähne. „Ich werde dir eine Lektion verpassen, dass dir Hören und Sehen vergeht!“

Hämisch knackt Samushi mit den Knöcheln. „Gut, ich hatte schon befürchtet, du würdest kneifen!“ Und im selben Moment stößt er sich von der Stelle ab und nur einen Wimpernschlag später rammt er Deburi seine Faust mit voller Wucht in den Magen. Mit einem vernehmlichen Schnaufen krümmt sich Deburi zusammen und gleich darauf kippt er wie ein gefällter Baum zu Boden und rührt sich nicht mehr.

Ungläubig haben die anderen das Geschehen verfolgt und nur langsam dämmert ihnen dessen Tragweite. Mit regloser Miene blickt Samushi auf. Er atmet einmal stumm auf, dann fängt er Chiegusas Blick ein. „Räum ihn weg! Er soll woanders seinen Rausch ausschlafen.“ Die Frau zögert zunächst dann nickt sie beklommen und beginnt dann damit ihren Mann aufzusammeln und zur Hütte zu bringen.

Dann schaut Samushi zu Chii hinüber. „Hilf deiner Freundin“, er nickt in Kinokawas Richtung. „Kümmert euch um sie bis Ki-sama wieder zurück ist. Schließlich schwenkt sein ernster Blick zu Shimogawa und Kouga hinüber. „So, und ihr beide bringt mich jetzt auf den neusten Stand!“

Wieder zurück?

Das Revier der Inuyoukai liegt ein ganzes Stück entfernt, und je näher die beiden Daiyoukai ihm kommen um so mehr verwandelt sich die Kieswüste in eine Gegend aus rötlichem, staubigen Gestein. Inu Taishou spurtet neben seinem Sohn. „Verrätst du mir was du vorhast?“, fragt er beim Laufen. Doch der junge Daiyoukai gibt keine Antwort sondern rennt unbeirrt weiter. Vor ihnen tauchen die ersten großen Felsformationen auf.

„Sie werden nicht sehr begeistert sein, wenn du so bald wieder bei ihnen auftauchst“, gibt Inu Taishou zu bedenken.

„Ich habe Euch nicht um Eure Meinung gebeten, Chichi-ue“, kommt es nun unwillig von Sesshomaru.

Inu Taishous Miene zieht sich nun ein wenig zu. „Denkst du nicht, du bist für einen Tag bereits genug unhöflich gewesen?“, gibt er verstimmt zurück. „Du hast sie bereits verärgert. Du bringst dich in ernste Schwierigkeiten wenn du ihnen jetzt erneut gegenübertrittst und dabei nicht den gebührenden Respekt an den Tag legst.“

„Über den Respekt der ihnen gebührt, sprechen wir lieber nicht“, kommt es nun düster von Sesshomaru zurück. „Sie haben sich wie wilde, einfältige Tiere verhalten.“

„Nichtsdestotrotz verdienen sie als Stammväter unserer Clans unseren Respekt“, erwidert Inu Taishou ernst.

„Der Meinung bin ich nicht!“, entgegnet Sesshomaru entschieden. „Und Ihr doch genau sowenig, Chichi-ue. Ihr kanntet nur die Geschichten, doch ich bin diesem Kerl persönlich begegnet. Selbst in der Gestalt eines Knaben hatte er mehr Würde und Format als diese drei Raufbolde zusammen. Ich kann verstehen, dass Ihr ihn bewundert, und warum Ihr mich nach Ihm benannt habt.“

„Bedeutet das, du nimmst mir meine Entscheidung nicht mehr übel?“, kommt nach einer Weile die Rückfrage.

Sesshomaru schnauft verächtlich aus. „Natürlich nehme ich sie noch übel“, meint er ärgerlich. „Aber ich verstehe sie jetzt besser“, fügt er nun entgegenkommender hinzu.

Inzwischen führt ihr Weg sie durch vertrautes, rotbraunes Terrain. Mit leichten Sprüngen überwinden sie Felsen, Hügel und Kluften.

„Ich schätze damit muss ich mich zufriedengeben“, nickt Inu Taishou leicht. „Wer weiß schon, ob du noch Gelegenheit bekommst, deine Meinung zu ändern.“

„Ich gehe nicht zurück zu den Höllenhunden“, bemerkt Sesshomaru gelassen.

Nun blickt Inu Taishou verwundert auf. „Wohin willst du dann?“

In diesem Moment hält Sesshomaru auf einer Anhöhe an und blickt in einen kleinen runden Talkessel hinunter in dessen Mitte fein säuberlich ein schlankes Schwert steckt. „Dahin!“

Der ältere Daiyoukau braucht kaum einen Blick auf den Fingerzeig richten. Sofort wendet er sich ernsthaft an seinen Sohn. „Das kann nicht dein Ernst sein. Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, stellte er klar.

Mit entschlossener Miene erwidert Sesshomaru den Blick. „Ich garantiere Euch, das ist mein voller Ernst.“ Mit diesen Worten tut er einen hohen Sprung hinab in den Felsenkessel und schreitet auf das Schwert zu. Doch sofort baut sich Inu Taishou vor ihm auf und verstellt ihm den Weg.

„Du solltest besser nicht einmal daran denken, Sohn!“, nun ist das Gesicht seines Vaters todernst.

Sesshomaru zeigt sich davon unbeeindruckt. „Geht aus dem Weg, Chichi-ue!“, fordert er mit ruhiger Stimme.

„Sou'unga ist kein Schwert, das man einfach so zum Spaß benutzt“, antwortet Inu Taishou ungerührt.

Nun wird Sesshomarus Miene finster. „Sehe ich aus, als ob ich Scherze mache? Dieses Schwert öffnet den Übergang ins Diesseits. Dort muss ich hin. Es ist der einzige Weg.“

Nun tut der ältere Daiyoukai einen Schritt vorwärts. Es ist ihm deutlich anzusehen, dass er höchst wachsam ist. „Seit dieses Schwert hier vom Himmel fiel, hat niemand es berührt, und das wird auch so bleiben, solange ich etwas zu sagen habe. Da seine Hüterin im Augenblick unabkömmlich ist, werde ich die Bewachung übernehmen. Ich werde nicht zulassen, dass dieses Schwert jemals wieder das Tageslicht erblickt!“

„Ich will es gar nicht mitnehmen“, erwidert Sesshomaru mühsam beherrscht. „Es soll mir lediglich den Durchgang öffnen. Ich besitze bereits ein brauchbares Schwert. Ich habe nicht länger Begehr an Euren abgelegten Besitztümern!“

Nun fletscht Inu Taishou leicht die Zähne. „Wer hätte gedacht, dass du deine Lektion so gut lernst“, gibt er grimmig zurück. „Dennoch kann ich dir das Schwert nicht überlassen. Selbst wenn dein Bruder und du die Seele, die in dieser Waffe steckte, zerstört habt, so ist Sou'unga noch immer ein überaus mächtiges Schwert. Seine Macht ist nahezu unkontrollierbar. Du kannst es nicht beherrschen!“

Nun werden Sesshomarus Augen schmal und er richtet sich zu seiner vollen Größe auf. „So, kann ich nicht? Wie unglaublich anmaßend von dir!“ Seine Stimme hat Grabeskälte.

Abschätzend betrachtet Inu Taishou seinen Sohn. „Du meinst also, du bist mir inzwischen ebenbürtig“, lächelt er leicht, doch seine Augen verraten, dass er nicht sehr amüsiert ist. „Also gut, zeig es mir! Wenn du es erreichen kannst, darfst du es benutzen.“

Zunächst bedenkt Sesshomaru ihn nur mit einem vernichtenden Blick. Doch dann tritt er ein paar Schritte an den Rand und legt umsichtig den Körper seines Sohnes ab. Dann wendet er sich wieder seinem Vater zu. „Ich brauche deine Erlaubnis nicht. Wenn dies der einzige mögliche Weg ist die Hölle zu verlassen, dann werde ich ihn gehen.“ Nun kommt er langsam auf Inu Taishou zu. „Ich bin zu weit gekommen und habe zu viel opfern müssen, um mich jetzt noch aufhalten zu lassen. Auch nicht von dir.“ In seinen Augen liegt tödliche Entschlossenheit.

Nur ein Wimpernschlag vergeht als er sich vom Boden abstößt und auf seinen Vater zustürmt, die gezückte Klaue erhoben. Doch Inu Taishou hat bereits damit gerechnet und macht sich bereit den Angriff abzuwehren. Hart prallen Unterarme gegeneinander und mit geschmeidigen Bewegungen wehrt der ältere Daiyoukai die Schläge seines Sohnes ab. Doch dies gestaltet sich schwieriger als erwartet, denn Sesshomaru kämpft mit aller Verbissenheit und ganzer Kraft und wenn Inu Taishou nicht voll konzentriert bleibt, könnte das unangenehm enden.

So sehr sich Sesshomaru auch duckt, ausweicht und springt, sein Vater schafft es immer wieder sich zwischen ihn und das Schwert zu schieben. Das versetzt den jungen Daiyoukai zunehmend in Wut.

Ein neuer Angriff, ein Vorstoß, ein Schlag und wieder steht der ehemalige Fürst direkt vor ihm. Wieder verschlingen sich Klauen ineinander um die Stärke des anderen zu brechen. Zwei goldglänzende Augenpaare versuchen einander durch ihren Willen niederzuringen. Die Hände der beiden zittern regelrecht vor Anstrengung und Sesshomaru steht bereits der Schweiß auf der Stirn. Das Gesicht des Inu Taishou hingegen ist makellos wie eh und je, doch auch er blickt angestrengt drein.

„Du hast dich gut gemacht“, presst der frühere Westfürst anerkennend hervor. „Besser als ich dachte. Nun sind wir auf Augenhöhe.“

Doch nun flammen Sesshomarus Augen leuchtend rot auf und er fletscht die Reißzähne. „Nein, sind wir nicht!“, grollt er und dann mit einem heftigen Schwung reißt er seinen Vater seitwärts von den Füßen und schleudert ihn mit voller Wucht gegen einen Felsen, der durch die Macht des Aufpralls in einen Trümmerhaufen verwandelt wird.

Ohne sich umzusehen, tut Sesshomaru drei weitere große Schritte und ergreift den Schwertgriff Sou'ungas.

Fast im gleichen Moment spürt er die Energie die in ihm schlummerte. Wie ein Raubtier, das in einer Höhle schläft und langsam erwacht weil jemand Steine hineinwirft. Er spürt, wie der Griff in seiner Hand warm wird, als wäre er etwas Lebendiges. Doch seine Hand schließt sich fester darum und sein Wille und seine eigene Energie verdeutlichen dem Raubtier, dass es wieder schlafen gehen soll, bis sein neuer Besitzer Bedarf an ihm hat. Die Wärme verfliegt.

Dann erst blickt er sich zu seinem Vater um.

Inu Taishou steht am Rande des Kessels. Er ist unverletzt, doch sein Blick ist sehr ernst und er hat die Arme verschränkt.

„Hast du jetzt alles was du wolltest?“, klingt die verärgerte Stimme zu ihm hinüber.

Sesshomaru wendet sich ihm zu. „Das war es nie was ich wollte“, sagt er nun ruhig. „Ich wollte weder das Schwert noch Euch angreifen.“

Inu Taishou kommt langsam auf ihn zu. „Und doch hast du es getan.“

„Ich musste!“, erwidert Sesshomaru energisch. „Ich muss mein Reich beschützen. Wem nützt alles was ich hier bewältigen musste, wem nütze ich, wenn ich hier in der Hölle verbleibe?“

Nun hat sein Vater ihn erreicht und mustert ihn eingehend. „Und ich musste sichergehen, dass du tatsächlich Sou'unga beherrschen kannst. Reden schwingen kann jeder, und ich wollte nicht verantwortlich dafür sein, dass dein Vorhaben im letzten Moment scheitert, weil du dich überschätzt.“

„Ihr habt mich unterschätzt“, entgegnet Sesshomaru leicht mürrisch. „Wie so häufig. Ich war für Euch schon immer zweitrangig. Euer Hauptaugenmerk galt schon immer zuerst Inu Yasha.“

Der ältere Daiyoukai hebt die Brauen. „So siehst du das?“ Er schüttelt den Kopf. „Wenn ich dir weniger Aufmerksamkeit gewidmet habe, dann nur weil ich sicher war, dass du es allein schaffst. Es war dein Bruder der mehr Hilfe brauchte.“

Nun blickt Sesshomaru auf. Er wirkt etwas betrübt. „Das weiß ich doch, Chichi-ue. Und Inu Yasha hat sich dank Eurer Hilfe recht annehmbar entwickelt. Und Euer Vertrauen ehrt mich, jedoch...“ Er bricht ab.

„Was willst du mir sagen?“, fragt Inu Taishou direkt.

Sesshomaru zögert. Er weiß selbst nicht recht wie er das in Worte fassen soll, was ihn beschäftigt.

Schließlich sagt er: „Ich bin alleine stärker geworden. Das war nicht immer einfach.“

„Du bist viel stärker geworden“, entgegnet Inu Taishou nun. „Du kannst mit Recht stolz auf dich sein. Du hättest mich vermutlich gleich zu Beginn unseres Kampfes zu Boden schicken können.“

„Nein!“, Sesshomaru schüttelt leicht den Kopf. „Gegen seinen Vater kämpft man nicht mit voller Kraft. Eine Lektion die ich mit großen Entbehrungen lernen musste und die heute wichtiger ist denn je. Mein Name mag Sesshomaru sein, doch ich werde nicht so sein wie Er!“

Mit schmalen Augen mustert Inu Taishou ihn. „Du bist in der Tat stärker geworden. Ich denke ich kann dir ohne Reue die Verantwortung für den Westclan überlassen.“

Ein grimmiges Lächeln erscheint auf Sesshomarus Gesicht. „Die habe ich doch bereits Chichi-ue“, sagte er und dann holt er aus und vollführt einen heftigen Hieb mit Sou'unga durch die Luft direkt vor ihm.

Dreister Bengel!, denkt Inu Taishou bei sich, während er beobachtet wie sich Sou'ungas Macht entfaltet.

Zunächst ist ein Rumpeln zu hören und der Boden beginnt immer mehr zu vibrieren. Die ganze Luft prickelt und fühlt sich aufgeladen an. Dann auf einmal bricht direkt vor ihnen die Erde auf und eine gewaltige Energiesäule schießt direkt vor ihnen aus dem Boden und geradewegs in die Höhe. Die beiden Daiyoukai müssen rasch aus dem Weg springen um nicht von der Energiewelle erfasst zu werden.

Die Umgebung beginnt zu zerbröckeln und große und kleine Kluften tun sich am Grund des Tales auf. Alles beginnt einzustürzen und das was war zu verschlucken. Unweigerlich fällt Sesshomarus Blick auf den Rand des Kessels, wo Tenmarus Körper liegt und durch die Erschütterung Gefahr läuft in eine der großen Spalten zu rutschen. Das Getöse dabei ist ohrenbetäubend.

Ein Adrenalinstoß durchzuckt den jungen Westfürsten. Nur einen Herzschlag später stößt er sich noch im Fallen von einem heranfliegenden Brocken ab und katapultiert sich zurück zu seinem Sohn. Er bekommt ihn zu fassen, nur Augenblicke bevor er in dem bodenlosen Abgrund verschwindet.

Aus dem riesigen entstandenen Loch schiebt sich nun allerdings eine gewaltige, gewundene Felsnadel in die Höhe, die rasch an Masse und Höhe zunimmt und ebenso rostrot ist wie die Umgebung. Nun nimmt Sesshomaru auch die unbändige Schadenfreude wahr die in dem Schwert in seiner Hand umhertanzt. Das Raubtier ist aufgewacht und sucht nun ein Opfer.

Der Daiyoukai braucht all seine Konzentration um der Sache Herr zu bleiben, zumal er mit der einen Hand Sou'ungas Mordlust unter Kontrolle zu bringen sucht und mit der anderen Hand seinen Sohn hält, dessen Körper noch immer leblos in seinem Griff herunterhängt.

Noch einige kräftige Sätze und er befindet sich vorerst außerhalb der Gefahrenzone. Währenddessen wächst die Felsspitze weiter und schiebt sich immer höher in die diesige, rötliche Himmelsdecke hinauf, während ihre Basis sich immer mehr verbreitert.

Ein Stück entfernt steht Inu Taishou und beobachtet das Geschehen nachsinnend. Auch wenn er das Verhalten seines Sohnes noch immer als ziemlich unverfroren ansieht, so muss er sich wohl allmählich angewöhnen ihn nicht länger als Kind zu sehen. Der junge Daiyoukai geht seinen Weg, auch ohne ihn, und nun ist er auch nicht länger abhängig von ihm. Sesshomaru ist erwachsen geworden. Ob ihm bewusst ist, dass das Leben nun erst recht schwierig und entbehrungsreich wird?

An einem Mangel an Macht leidet er zumindest nicht. Der Übergang zum Diesseits, den er heraufbeschworen hat mit nur einem Schwerthieb, ist enorm. Gerade durchstößt die oberste Spitze die ominöse Wolkendecke und ist nicht mehr auszumachen. Der Weg scheint frei zu sein.

Ein triumphierendes Schmunzeln legt sich um Sesshomarus Lippen. Dann wendet er auf einmal den Kopf und blickt seinen Vater ernsthaft an.

„Chichi-ue, kommt mit mir! Diese Gelegenheit bietet sich Euch wahrscheinlich nicht wieder. Kommt mit mir in die Welt der Lebenden zurück! Ich bin sicher, gemeinsam können wir diesen Kerl besiegen.“

Zunächst ist Inu Taishou recht verwundert, doch dann entspannt sich seine Miene. „Nein“, sagt er endgültig. „Meine Zeit im Diesseits ist beendet. Ich gehöre hierher. Die Welt der Lebenden gehört den Lebenden nicht den Toten. Wie du selbst sagtest: Es ist nicht mehr meine Aufgabe dort etwas zu bewirken. Diese Verantwortung liegt nun bei dir und deinen Kameraden. Und zum Guten oder Schlechten, du kannst sie nicht den Verstorbenen aufbürden.“

Zunächst wirkt Sesshomaru sehr hin und hergerissen, doch schließlich akzeptiert er es. „Ich... verstehe“, murmelt er zerknirscht. Dann atmet er einmal durch und richtet sich wieder auf. „Ich muss nun gehen, Chichi-ue. Ich sende Sou'unga zurück sobald ich oben bin.“ Inu Taishou nickt als Antwort. Keine Abschiedsgruß könnte dem Anlass gerecht werden. Dann wendet sich Sesshomaru ab und leichtfüßig springt er den gewundenen Weg nach oben. Immer schneller bewegen sich seine Füße je höher er kommt, als könne er es gar nicht mehr abwarten, diese Gefilde endlich hinter sich zu lassen.

Als er die Wolkendecke erreicht, bemerkt er einen Widerstand und es kostet ihn gehörig Kraft um hindurchzudringen, doch verbissen kämpft er sich Schritt für Schritt weiter. Dabei bemerkt er, dass die diesigen Schwaden vor seinem Schwert der Unterwelt geradezu davonstieben und es nun leichter ist für ihn zu laufen.

Und noch etwas bemerkt er. Je weiter hinauf er kommt, desto mehr beginnen jetzt wieder die Ketten um Tenseiga zu leuchten. Doch es ist eher ein Flackern, ein letztes Aufbäumen des Bannes, der das heilende Schwert versiegelt hat. Sesshomarus Miene verzieht sich zu einem Lächeln. Das bedeutet, er nähert sich tatsächlich dem Ausgang. Auf diese Art beflügelt, beschleunigt er seinen Schritt nochmal und schließlich lichtet sich der rötliche Schimmer über ihm und weicht immer mehr einem strahlenden Blau. Sesshomarus Augen beginnen zu funkeln. Es kann nicht mehr sehr weit sein.

Nun verziehen sich die schummrigen Schwaden um ihn und statt der stetigen warmen, stickigen Luft der Hölle, weht ihm nun ein frischer kühler Windhauch entgegen und streift über sein Gesicht.

Sesshomarus Herz macht einen Sprung. Er hätte nie für möglich gehalten wie sehr er sich doch nach etwas frischer Luft sehnen würde. Über ihm verwandelt sich nun das helle Blau in einen leuchtenden, wolkendurchwirkten Himmel und rundherum sind nun auch die Wipfel von dunkelgrünen Laubbäumen zu sehen.

Nur noch wenige Schritte dann hat er es geschafft. Er durchdringt den Grund, tut noch einen großen Sprung und landet schließlich federnd auf dichtem grünem Gras mitten auf einer kleinen Waldlichtung. Es ist geschafft, er ist endlich wieder zurück!

Für einen Moment lang steht Sesshomaru einfach nur da und verharrt schweigend. Kaum hat er den Waldboden berührt, prasselt eine Unmenge an Eindrücken auf ihn ein. Überall um ihn her vernimmt er nun die Geräusche von Tieren und das Rascheln und Rauschen der Bäume und Büsche um ihn her. Er fühlt das Kribbeln des kühlen Grases unter seinen bloßen Füßen und saugt frische, würzige Luft ein, die ihm unzählige Signaturen verschiedenster Duftnoten zuträgt. Er spürt den sanften Wind in seiner Kleidung und auf seinem Gesicht und all die saftigen, verspielten und abwechslungsreichen Farben all der Dinge um ihn her katapultieren seinen Puls augenblicklich in ungekannte Höhen.

Schon lange hat er nicht mehr so eine Begierde in sich gespürt, die Gier nach Leben. Für eine Weile ist er einfach nur völlig überwältigt von all den Sinneseindrücken, die auf ihn einwirken und er merkt gar nicht wie ihm Tenmaru und das Schwert in seiner Hand aus den Fingern gleiten und nehmen ihm zu Boden plumpsen. Er steht einfach nur da mit geschlossenen Augen und genießt es zu atmen, einfach zu atmen.

Er begreift, dies ist es was Dämonen dazu veranlasst ihre Domäne zu verlassen, was sie den Menschen zutiefst neiden, was sie... gierig macht. Gierig nach allem im Diesseits. Gierig zu kosten, zu spüren, zu erleben. Gierig und neidisch und missgünstig. Hieraus erwächst ihr Hass auf die Menschen, denen diese Welt vorbehalten war, und in der sie allenfalls geduldete, meist eher erduldete, Gäste sind. Wer einmal die Hölle erlebt hat mit ihrer ereignislosen Ödnis würde ohne weiteres töten um in diese Welt gelangen zu können, die so voll ist von Leben.

Er bemerkt kaum wie sich der Zugang zur Hölle beginnt zu schließen, kaum dass er Sou'unga fallengelassen hat. Die rostrote Felsenspitze sinkt langsam aber stetig wieder in die Untiefen der Hölle herab und das Loch im Boden wird zunehmend undurchdringbar. Fast schon ist nichts mehr davon zu sehen.

„Na, genießt du es wieder hier zu sein?“, dringt nun spöttisch eine Stimme an sein Ohr. Augenblicklich fährt Sesshomaru herum. Kaum hat er den Sprecher ausgemacht, reißt er ungläubig die Augen auf. „Nein!“, stößt er erbost hervor. „Du?“

Ein Stück entfernt von ihm steht Arashitsume unter einem Baum und lächelt ihn diabolisch triumphierend an. In seiner Hand hält er das Schwert Sou'unga.

„Was machst du hier?“, ruft Sesshomaru wütend zu ihm hinüber.

„Das gleiche wie du“, kommt die missgünstige Antwort. „Mein Leben genießen. Als ich sah, dass du einen Übergang baust, konnte ich mich doch nicht lange bitten lassen.“

„Gib mir auf der Stelle das Schwert!“, knurrt Sesshomaru ihn mit rotfunkelnden Augen an und macht nun einen gefährlichen Schritt auf ihn zu. Doch rasch kommt Bewegung in den ehemaligen Ostfürst.

„Nicht doch, das werde ich ganz bestimmt nicht tun“, entgegnet Arashitsume kopfschüttelnd, während er vor Sesshomaru zurückweicht. „Dieses Schwert ist viel zu kostbar, als das ich es dir geben würde.“

„Was willst du schon damit“, grollt Sesshomaru ärgerlich und setzt ihm weiter nach. „Einer wie du kann es doch sowieso nicht führen. Du hast nicht das Format dazu, du kümmerlicher Emporkömmling!“

Wieder weicht Arashitsume ihm aus und sprintet im Zickzack weiter. „Das mag vielleicht sein“, bestätigt er abfällig, „aber ich kenne jemanden der es kann. Und ich bin sicher Er wird mir sehr dankbar sein, wenn ich Ihm ein solch mächtiges Schwert bringe. Vielleicht belohnt Er mich dafür mit einem neuen Körper.“ Er grinst boshaft.

Sesshomarus Miene gefriert. Fassungslos starrt er seinen Widersacher einen Moment an, ehe er wieder die Verfolgung aufnimmt. „Bist du völlig wahnsinnig?“, wettert Sesshomaru. „Du willst das Schwert diesem Katsuken geben?“

„Sein Name ist Sesshomaru“, entgegnet Arashitsume genüsslich, „und ja, warum nicht?“

„Du bist doch vollkommen irrsinnig!“, schreit Sesshomaru ungehalten. „Er ist jetzt schon viel zu stark. Es ist völlig unverantwortlich ihm noch mehr Macht zu geben, schon gar nicht über die Unterwelt. Er wird das gesamte Land zerstören wenn wir ihn nicht aufhalten und du willst ihn noch unterstützen, du elender Bastard!“

Doch Arashitsume zeigt sich gänzlich ungerührt davon, während er zwischen den Bäumen hin und her springt. „Das kann man nie wissen. Besser er macht diesem ganzen System aus degenerierten, fehlgeleiteten Kleingeistern ein Ende. Dann kann etwas wunderbar Neues entstehen.“

Ungläubig hört Sesshomaru seine Worte. „Ich hab es gewusst, du bist wirklich vollkommen wahnsinnig. Aber soweit werde ich es nicht kommen lassen!“ Mit einem raschen Griff zieht er Tenseiga. „Vorher schicke ich dich wieder in die Hölle, wo du hingehörst!“

„Ach wirklich?“, ruft Arashitsume über die Schultern zurück. „Dazu musst du mich erst einmal erwischen, und ich bin schneller als du. Aber ist es wirklich so eine gute Idee Tenmarus Körper so völlig schutzlos auf der Lichtung zurückzulassen, bis du mich irgendwann gefangen hast? Ich meine nach all der Mühe die es dich gekostet hat ihn zu bekommen.“

Sesshomaru weicht die Farbe aus dem Gesicht. Er zögert noch einen kurzen Moment, dann fällt er zurück, wird langsamer und bleibt schließlich stehen. Er sieht noch wie Arashitsume mit flinken Sprüngen im Unterholz verschwindet, dann kehrt wieder Ruhe im Wald ein.

Sesshomarus Herz klopf. Es klopft heftiger als es sollte. Fast wie in Trance dreht er sich um und eilt auf direktem Wege zurück. Wie konnte er ihn vergessen haben? Nur seinetwegen hat er all diese Strapazen auf sich genommen. Er ist sich selbst nicht ganz klar warum, aber er weiß, dass er nicht bereit ist, den jungen Daiyoukai noch einmal einer Gefahr auszusetzen.

Mit raschen Schritten trägt ihn sein Weg wieder zurück zu der Lichtung. Zu seiner großen Erleichterung, liegt der bloße Körper seines Sohnes noch immer unangetastet aber völlig regungslos im weichen Gras.

Langsam tritt er hinzu und betrachtet ihn schweigend. In seiner Hand liegt Tenseiga und pulsiert leicht; frei und ungebunden so wie früher. Er hat es geschafft. Er hat seinen Sohn aus der Hölle befreit und auch er selbst ist wieder zurück ins Diesseits gelangt. Er ist nur noch einen Schwertstreich davon entfernt seine Mission abzuschließen. Warum zögert er also?

Die Augenblicke verstreichen und noch immer rührt Sesshomaru keinen Muskel. Aus den Augenblicken werden Momente und aus Momenten werden Minuten. Ein paar mal zuckt seine Hand, doch sie holt nicht zum erlösenden Streich aus.

Sesshomaru beißt die Kiefer zusammen. Das kann doch nicht sein. Wovor fürchtet er sich? Warum kann er es einfach nicht über sich bringen? Dies ist doch der Moment auf den er die ganze Zeit hingewirkt hat. Was also hindert ihn?

Vor seinem inneren Auge sieht er einmal mehr die Bilder die ihm der Flammenfluss beschert hat. Sie wechseln sich ab mit den Visionen die Kagebara-hime ihm zukommen ließ. Und ganz allmählich wird ihm bewusst, dass er noch nicht bereit ist ihm gegenüberzutreten. Dann müsste er sich seiner Schuld stellen. Sein Sohn hatte sich von einem Vater verabschiedet den er verehrte und der ihn gehasst hatte. Seitdem hat sich viel verändert und er kann überhaupt nicht einschätzen wie sein Sohn reagieren würde wenn er erfährt was bisher alles geschehen ist.

Wird er ihm je verzeihen können? Wird er ihn verfluchen? Was wenn er nicht bereit ist ihm zu vergeben was er ihm angetan hat? Nervös geht Sesshomaru langsam auf und ab. Er ist es nicht gewohnt so aufgewühlt zu sein und das beunruhigt ihn noch zusätzlich.

Zudem kommt noch das neue Problem, das Arashitsume heraufbeschwört, indem er das Schwert der Unterwelt ihrem bereits übermächtigen Gegner geben will. Arashitsume! Er hat ihn nicht gerochen. Wie auch? Er besitzt keinen wirklichen Körper, er ist lediglich eine Seele. Eine Seele die zweifellos wieder in die Hölle gehört. Doch damit wird er sich später befassen. Die Verfassung seines Sohnes beansprucht momentan seine gesamte Aufmerksamkeit.

Aufgewühlt bleibt er vor ihm stehen. Mit bloßem Körper liegt Tenmaru zu seinen Füßen. Seine Augen sind geschlossen und seine Haut ist blass. Langsam hebt Sesshomaru Tenseiga und lässt es einen Moment über ihm schweben. Auffordernd pulsiert es warm in seiner Hand. Noch einmal atmet er innerlich durch. Scheitern ist keine Option! Dann geht die Klinge auf den leblosen Youkai hernieder und beginnt ihre Macht zu entfalten.

Ein kurzes Schimmern zieht über Tenmarus Körper und hüllt ihn kurz ein, dann verblasst es wieder. So unspektakulär sein Effekt ist, so unbestreitbar ist auch Tenseigas Macht. Die Brust des jungen Mannes beginnt sich wieder zu heben und man kann hören wie er gierig die Luft einsaugt. Ein paar weitere Atemzüge folgen, die sich zunehmend entspannen, und dann beginnen sich zögerlich seine Gliedmaßen zu regen. Langsam dreht er sich auf die Seite und dann schließlich schlägt er die Augen auf. Purpurfarbene Iriden erkunden ihre Umgebung und versuchen zu erfassen wo sie sich befinden. Sie streifen über Gras, Bäume, Sträucher und Gestein und bleiben letztlich an dem schlanken, hellhäutigen Daiyoukai hängen der direkt vor ihm steht und mit verbissener Miene auf ihn herabblickt.

Tenmaru benötigt einige Augenblicke um zu erfassen wen er da vor sich hat. Als es ihm schließlich klar wird, weiten sich seine Augen erschrocken und ein Ruck geht durch seinen Körper. Hastig bemüht er sich nun, seine noch tauben Gliedmaßen seiner Kontrolle zu unterwerfen um sich aufzurichten, was sich als schwieriger erweist als erhofft. Seine Arme und Beine fühlen sich schlaff und kraftlos an und ihm ist seltsam schummerig. Recht unbeholfen kommt er auf die Knie und sogleich verneigt er sich Respekt bekundend vor Sesshomaru.

„Mein... Fürst“, kommt es stockend hervor. Der Gebrauch seiner Stimme scheint eine Ewigkeit her zu sein. Tenmaru bebt am ganzen Körper vor Anspannung. Je länger nun die Stille anhält umso mehr Erinnerungen kommen jetzt wieder. Flashbacks überkommen ihn von den letzten Momenten an die er sich erinnert und mit jeder neuen Erinnerung weicht ihm mehr die Farbe aus dem Gesicht vor Schreck.

Er hat es gesagt! Er hat es verraten, Allen! So lange hatte er das Geheimnis über ihr Verwandtschaftsverhältnis für sich behalten und dann, als er meinte sterben zu müssen, hatte er doch nicht an sich halten können. Selbstverständlich wird der Westfürst darüber äußerst ungehalten sein.

Seine Stirn berührt zitternd den Boden. Was auch immer jetzt mit ihm geschieht, er hat es voll und ganz verdient.

„Ich... ich habe keine Entschuldigung für das was ich getan habe“, stammelt er mühsam beherrscht. „Ich hätte Euch nicht bloßstellen dürfen. Das war völlig unangebracht. Ich kann es auch nicht wieder gutmachen, das weiß ich. Verfahrt mit mir wie Euch beliebt. Ihr werdet diesmal keine Gegenwehr erfahren.“ Seine Gedanken gehen zu seiner Anführerin und Mutter. Nun zuletzt hat er ihren letzten Wunsch doch nicht erfüllen können. Er hat versagt.

Das Schweigen zieht sich in die Länge und Tenmaru beginnt nun so nervös zu werden, dass es ihm alle Selbstbeherrschung abverlangt, nicht einfach aufzuspringen und die Flucht zu ergreifen.

„Ich werde jede Strafe akzeptieren die Ihr für angebracht haltet“, versucht er es erneut. „Wenn... wenn es Euer Wunsch ist, dann werde ich...“

„He...“, unterbricht ihn nun ein verhaltener Ruf, „Tenmaru!“

Der junge Youkai erstarrt buchstäblich als er seinen Namen vernimmt und rührt keinen Muskel mehr.

„Hör damit auf, bitte!“, die Stimme klingt müde.

Noch immer viel zu angespannt um zu reagieren fragt Tenmaru: „Was meint Ihr, mein Fürst?“

„Du brauchst dich nicht länger entschuldigen“, kommt die leise Antwort. „ Lass das sein, ja?“

Nun ganz behutsam wagt Tenmaru aufzublicken. Vor sich sieht er die hagere Gestalt des Westfürsten aufragen. Erst jetzt bemerkt er den desolaten Zustand in dem sich dieser befindet. Sein Oberkörper ist unbekleidet und mit zahlreichen größeren und kleineren rötlichen Narben übersät. Sein Hakama hängt in kläglichen Fetzen an ihm herunter und ist blutverkrustet, ebenso wie sein langes Haar, dass überall von klumpigen roten Flecken durchzogen ist. Seine Hände und ein Fuß haben eine fleischig rote Farbe und scheinen völlig vernarbt zu sein. Die sonst helle Haut ist blass und fast grau und am Brustkorb treten deutlich die Rippen hervor.

Am beunruhigendsten ist jedoch sein Gesicht. Es wirkt fahl und eingefallen und um seine wässrig gelben Augen liegen tiefe, dunkle Ringe. Ein reges Mienenspiel liegt auf seinen Zügen und auch er scheint angestrengt um seine Fassung zu ringen. Die ganze Erscheinung macht einen solch gequälten Eindruck, dass der junge Daiyoukai für einen Moment völlig die Etikette vergisst.

„Was ist mit Euch geschehen, Sesshomaru-sama“, fragt er verblüfft sowie besorgt. „Seid Ihr sehr verletzt?“

Sesshomaru schließt für einen Moment die Augen und atmet einmal langsam durch. Er versucht sich zu sammeln. „Es ist nicht der Rede wert“, antwortet er.

Noch immer beunruhigt fragt Tenmaru weiter. „Habt Ihr sehr kämpfen müssen? Seid Ihr der schwarzen Miko entgangen?“

„Ja, das bin ich“, kommt die ruhige Antwort. „Dank dir.“ Und dann neigt sich Sesshomaru zu ihm hinab und streckt ihm auffordernd die Hand hin.

Völlig perplex starrt Tenmaru ihn an. Er ist viel zu überrascht von dieser Geste, als dass er ihr Folge leisten könnte. „Sesshomaru-sama?“, wispert er verstört.

Noch einmal atmet Sesshomaru durch. „Zuletzt hast du mich anders genannt“, bemerkt er bedächtig.

Erneut entgleiten dem jungen Daiyoukai die Gesichtszüge. „Dazu hatte ich kein Recht! Bitte vergebt mir!“ Hat er überhaupt das Recht um Vergebung zu bitten?

„Nein, es ist schon in Ordnung“, kommt nun die nachsichtige Antwort. Sesshomaru lässt die Hand sinken und blickt den jungen Mann vor sich ernsthaft an. „Es hat sich viel geändert seitdem zu tot warst. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken.“

Noch immer fassungslos blickt Tenmaru ihn an. „Ich... war tot? Das war mir nicht bewusst“, meint er verwundert.

„Nun, dir nicht“, erwidert Sesshomaru. „Ich für meinen Teil habe es als sehr bewusst wahrgenommen.“

„Ich verstehe das nicht“, kommt die irritierte Antwort. „Was wollt Ihr mir damit verdeutlichen, mein Fürst?“

„Hör auf damit! Ich bin nicht dein Fürst!“, entfährt es Sesshomaru ärgerlich, sodass der junge Daiyoukai wieder erschrocken zusammenzuckt. Er richtet sich zerknirscht auf und sucht nach den geeigneten Worten.

„Tenmaru“, sagt er nun eindringlich, „was ich sagen möchte ist, dass du mich nie wieder so nennen musst.“

„Weil Ihr mich von meinem Schwur entbunden habt?“, wagt dieser vorsichtig zu fragen. „Weil Ihr mich aus Eurem Dienst entlassen habt?“

Sesshomaru schließt nun erschöpft die Augen. Dann sagt er leise: „Ist es wirklich so schwer vorstellbar, dass ich meinen Fehler eingesehen habe?“ Betrübte Augen treffen nun den jungen Daiyoukai. „Es war ein Fehler dich nicht schon bei unserer ersten Begegnung anzuerkennen. Glaub mir ich habe diesen Fehler teurer bezahlt, als ich in Worte fassen kann. Seit dem habe ich alles in meiner Macht stehende getan, um diesen Fehler zu beheben und das Einzige was jetzt noch übrigbleibt, ist deine Vergebung zu erbitten, dass ich dir... kein besserer Vater war.“

Tenmaru erbleicht. Ungläubig reißt er die Augen auf. Hat er das gerade tatsächlich gehört? In seinen Ohren rauscht es so eigenartig, während sein Herz Kapriolen schlägt. Mit vielem hat er gerechnet, aber nicht damit dass der Fürst des Westens ihn um Verzeihung bittet. Und wofür? Dafür, dass er sich ihm gegenüber nicht wie ein Vater verhalten hat? Die ganze Tragweite, was diese Worte aus seinem Munde bedeuten, tröpfeln so langsam nach und nach in sein Bewusstsein.

Bedeutet das womöglich, dass er doch Erfolg mit seinem Ansinnen gehabt hat? Dass seine Mission kein Fehlschlag war? Aber letztlich ging es ihm doch gar nicht um die Mission. Nicht um Gehorsam oder Ehrgefühl, sondern nur darum... Ja, worum ging es ihm eigentlich? Nicht mehr alleine zu sein? Einen Platz zu haben? Oder einfach die Anerkennung einer Person, die er als so bewundernswert kennengelernt hat, dass er bereit war alles für sie zu tun?

Tenmaru spürt wie er bei dieser zunehmenden Erkenntnis unkontrolliert zu zittern beginnt. Seine Gedanken nehmen an Fahrt zu. Er hat sich dafür entschuldigt, ihn nicht anerkannt zu haben. Bedeutet das, dass er es hiermit tut? Das würde bedeuten, dass er jetzt offiziell sein Sohn ist. Der Sohn des Westfürsten und kein Streuner mehr. Und das heißt er ist in Sicherheit vor Arashitsumes Griff. Aber was noch wichtiger ist, der Fürst des Westens empfindet ihn als annehmbar. Nein, nicht der Fürst des Westens, sein... Vater! Er hat nun einen Vater! Und sein Vater findet, dass er wert genug ist ihn anzuerkennen! Er ist nicht länger wertlos! Wie sehr hatte es sich danach gesehnt?

Die Erleichterung die den jungen Daiyoukai in diesem Moment überkommt, ist nicht in Worte zu fassen. Beinah wagt er es gar nicht zu glauben, dass dies alles der Wahrheit entspricht. Ein übersprudelndes Glücksgefühl bemächtigt sich seiner, doch zugleich packt ihn auch die nackte Angst, dass dies alles nur ein großes Missverständnis ist. Diese hilflos widersprüchlichen Gefühle toben nun in seinem Inneren und drohen fast ihn zu zerreißen. So überwältigt von diesen Emotionen ist er, dass er überhaupt nicht weiß wie er darauf reagieren soll.

Er spürt wie sich heiße Feuchtigkeit in seinen Augenwinkeln sammelt. Dieser ganze Sturm der Gefühle sucht ein Ventil. Der Kloß in seinem Hals wird immer dicker und er muss schwer schlucken. Mit aller Gewalt drängt er die Tränen zurück. Sein Vater darf ihn jetzt auf keinen Fall weinen sehen.

Mühevoll beherrscht wagt er nun den Kopf zu heben. Mit aller Gewalt zwingt er seinem Gesicht Gelassenheit auf, doch seine Mundwinkel zucken noch immer etwas verdächtig. „Es ist nicht nötig, dass Ihr Euch bei mir entschuldigt“, sagt er so gefasst wie möglich. „Ich wurde von Euch so behandelt wie es ein Streuner von einer höhergestellten Person wie Euch erwarten konnte.“ Er wählt seine Worte bewusst neutral, für den Fall, dass er doch etwas missverstanden hat. Dabei klopft ihm sein Herz bis zum Hals.

„Das stimmt“, erwidert Sesshomaru. „Das bedeutet aber nicht, dass es so rechtens war. Inzwischen habe ich erkannt, dass ich mich hätte anders verhalten sollen.“ Er hält kurz inne, dann fährt er fort: „Es war eine gute Idee dir gerade Inu Yasha als Patron auszuwählen. Er hatte einen nicht unerheblichen Anteil daran... mir klarzumachen wie falsch ich damit lag. Letztendlich ist es ihm zu verdanken, dass ich damals unser Verwandtschaftsverhältnis legitimiert habe.“

Nun hebt Tenmaru den Kopf. „Das... das habt Ihr?“, kommt es verunsichert.

Nun ist Sesshomarus Blick etwas milder. „Ja, das habe ich getan.“ Wieder streckt er Tenmaru die Hand hin.

Mit großen Augen schaut Tenmaru auf die ihm dargebotene Hand. Kann das alles wirklich wahr sein? Es ist wie in einem Traum. Doch dann fasst er sich ein Herz und wagt es wirklich nach der ausgestreckten Hand zu greifen. Sie fühlt sich etwas warm und rau an, doch es steckt unverkennbar Kraft dahinter die jetzt ebenfalls zufasst und ihn mit einem kurzen Ruck auf die Fuße zieht.

Nun stehen sich die beiden Daiyoukai direkt gegenüber und zwei Augenpaare treffen sich, ein violettes und ein goldenes und Sesshomaru wird bewusst, dass er seinem Sohn zum ersten Mal so von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht.

Und jetzt stellt er fest, dass sich zum ersten Mal seit er ihn kennt, tatsächlich ein wirkliches Lächeln auf Tenmarus Gesicht legt. Ein Lächeln voller aufrichtiger Freude und Dankbarkeit, und es gibt ihm einen Stich. Es erinnert ihn unweigerlich an seine Begegnung mit Kagebara-hime. Doch dies hier ist keine Illusion, es ist Realität. Und je mehr ihm das bewusst wird, um so erleichterter fühlt er sich. Es ist als würde nun eine immense Last von seinen Schultern fallen. Er hat es geschafft! Seine Mission ist nun wirklich erfolgreich vollendet worden.

Und noch während ihm diese Gedanken durch den Kopf gehen, übermannt ihn ein heftiges Gefühl der Schwäche und seine Beine versagen ihm den Dienst. Schwer kommt er auf einem Knie zu sitzen und sein Kopf sackt herunter.

Erschrocken lässt Tenmaru seine Hand los. „Sesshomaru-sama!“, ruft er alarmiert. „Stimmt etwas nicht? Seid Ihr verletzt?“

„Nein, schon in Ordnung“, wehrt der Daiyoukai mühsam beherrscht ab. Ein leichter Rotschimmer erscheint in seinen Augen und Reißzähne schieben sich unter seinen Lippen hervor. „Ich schätze, ich habe einfach... Hunger!“

Hunger!

Mit leichtem Gepäck auf dem Rücken läuft Chitsurao im lockeren Sprint durch den morgendlichen Laubwald. Das Portal, das ihn bis an die Grenze zum Ostreich brachte, hat er bereits gestern Abend durchquert. Zwar war ihm ein wenig unbehaglich zumute die Grenze bei Dunkelheit zu überqueren, doch sein Anliegen duldet keinen Aufschub.

Um seinen Oberarm trägt er gut sichtbar das Emblem, das ihn als offiziellen Boten und Parlamentär auszeichnet, doch ganz sicher sein, kann man im Osten trotzdem nicht, dass er dadurch unbehelligt seinem Auftrag nachgehen kann.

Zunächst war er noch deutlich wachsam und vorsichtig gewesen. Fast jeden Augenblick rechnete er damit, dass irgendein Grenzposten ihm den Weg versperren und ihn nach seinem Begehr fragen würde, doch bisher hat es kein Aufeinandertreffen mit den Ostyoukai gegeben. Die ganze Gegend wirkt wie ausgestorben. Nicht mal eine einschlägige Witterung ist wahrzunehmen. Das verwundert Chitsurao ein wenig. Für gewöhnlich nehmen die Ostyoukai es mit ihren Grenzpatrouilllien sehr genau.

Andererseits sind sie auch Meister der Tarnung und es ist nicht auszuschließen, dass er gerade in diesem Moment beobachtet wird, ohne das Geringste davon mitzubekommen. Sorgsam ist er darauf bedacht sein Kurieremblem deutlich sichtbar zu präsentieren. Vielleicht lassen sie ihn ja deshalb in Ruhe. Aber müssten sie nicht zumindest in Erfahrung bringen welche Absicht ihn in ihr Revier führt? Er zumindest würde so handeln. Aber im Osten ist vieles anders. Besonders unter der Führung des neuen Fürsten dort. In wieweit sich das auf die logistischen Vorgänge und die Sicherheitsvorsorge auswirkt, kann er schwer abschätzen. Zumindest ist er erleichtert, dass ihm keine weiteren Steine in den Weg gelegt werden. Wenn er sich nicht völlig verschätzt hat, müsste er sich auf direktem Weg zum Palast des Ostens befinden. Bei diesem Tempo erreicht er ihn voraussichtlich um die Mittagszeit. Mit gleichmäßigen Schritten läuft er über den grünen Moosboden und überspringt kleine Bäche und umgestürzte Baumstämme.

Plötzlich und völlig unvermutet, läuft ihm ein eisiger Schauer über den Rücken und rieselt bis in seine Fingerspitzen. Chitsurao keucht unbehaglich auf und bleibt stehen. Das seltsame Gefühl will sich einfach nicht abschütteln lassen.

In höchster Alarmbereitschaft blickt er sich um. Hat man ihn letztlich doch aufgespürt? Aber in seiner näheren Umgebung ist weder etwas Ungewöhnliches zu sehen noch zu hören. Und trotzdem merkt er, dass sich jedes einzelne Haar in seinem Nacken aufgestellt hat und er spürt einen unangenehmen Druck auf der Brust als wollte etwas ihm den Atem nehmen.

Wachsam beäugt er seine Umgebung, doch noch immer ist keine Bedrohung auszumachen. Langsam bewegt er sich vorwärts. Was wohl die Ursache dieser sonderbaren Empfindung ist? Er scheint sich nicht in Gefahr zu befinden und dennoch spürt er wie dieses seltsame Gefühl etwas ganz tief in ihm anrührt.

Für einen Moment ist er hin und hergerissen. Soll er der Ursache dieses Phänomens auf den Grund gehen oder unbeirrt weiter seinem Auftrag folgen? Die Antwort fällt ihm in der Tat nicht leicht. Irgendetwas scheint ihn anzuziehen, ihn leise zu rufen und nur zu gern möchte er diesem Ruf folgen. Doch schließlich ruft er sich selbst zur Ordnung. Er lenkt seine Schritte wieder zurück auf seinen ursprünglichen Pfad und unbeirrbar setzt er seinen Weg fort.

Oder zumindest war das die Absicht, denn nur wenige Momente später hält er erneut wie erstarrt inne. Sein Kopf fährt herum, seine Nasenflügel blähen sich und seine Augen werden weit. Unmöglich! Das kann doch nicht sein, nicht hier!

Sofort macht er kehrt und schlägt die Richtung ein aus der ihm die unerwartete Witterung entgegenweht. Er muss sich Gewissheit verschaffen, alles andere ist im Moment zweitrangig. Hastig rennt er durch das Unterholz des Waldes, beharrlich der neuen Spur folgend.
 

Trotz allem muss er noch eine ganze Weile laufen, bis er die Stelle erreicht an der er sein Ziel vermutet. Das eigenartige Gefühl hat zwar aufgehört, aber die Witterung ist geblieben. Mit klopfendem Herzen nähert er sich einer Lichtung und mit höchster Anspannung späht er hinaus auf die idyllische, kleine Wiese auf der er gerade zwei Personen ausmachen kann. Ein schlanker, jedoch gänzlich unbekleideter Mann und direkt neben ihm... Chitsurao entfährt ein überraschtes Schnaufen. Es ist sein Fürst! Kein Zweifel besteht daran, es ist Sesshomaru, der Herr des Westens. Doch in was für einem Zustand befindet er sich? Und warum ist er gerade hier? Sollte er, laut Inu Yasha-sama, nicht in der Unterwelt sein?

Das ist alles sehr verwirrend. Er hat zwar nicht mitbekommen was diese beiden dort miteinander bereden, doch gerade sieht er wie Sesshomaru in sich zusammensackt. Das reißt ihn aus seiner Tatenlosigkeit. Rasch verlässt er das Gehölz und eilt seinem Fürsten zur Seite.

„Sesshomaru-sama!“, ruft er besorgt. „Geht es Euch nicht gut?“

Überrascht wenden sich sowohl Sesshomaru als auch der fremde, junge Mann zu ihm um. Für einen Moment liegt tatsächlich Verwirrung auf Sesshomarus Gesicht. Noch immer kniet er erschöpft vor den beiden auf dem Boden und versucht sich einen Moment zu sammeln. „Chitsurao... du hast uns gefunden...“, raunt er benommen.

Doch der Hauptmann geht nicht weiter darauf ein. „Sesshomaru-sama“, sein Blick schweift besorgt über den zerschundenen Körper seines Herrn, „benötigt Ihr Beistand?“ Dabei schweift sein Blick immer wieder kurz zu dem jungen Mann neben ihm in dessen Miene er die gleiche Sorge erkennt. Wer mag er sein? Ist es möglich, dass...?

Ein Keuchen lässt seinen Blick wieder zu Sesshomaru schwenken. Der Fürst hockt mit gesenktem Haupt auf dem Boden und atmet langsam und kontrolliert ein und aus. Seine Arme, die er neben sich abgestützt hat, zittern leicht.

„Mein Fürst?“, wagt Chitsurao noch einmal zu fragen.

Nun kommt doch wieder Bewegung in Sesshomaru. Mit viel Mühe, wie es scheint, beginnt er sich wieder aufzurichten und zwingt sich selbst wieder auf seine Füße. Unter großer Kraftanstrengung stemmt er sich hoch und mit leichtem Schwanken steht er nun wieder mit dem Hauptmann seines Heeres auf Augenhöhe.

Ungewollt ist Chitsurao erschrocken. Das ihm so vertraute Gesicht ist stark eingefallen, blutverschmiert und unter den blassgelben Augen liegen tiefe dunkle Ringe. Sesshomaru räuspert sich einmal mühsam, dann sagt er schwach: „Es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Ich muss nur... ich muss nur einen Moment...“ Wieder schwankt der hochgewachsene Daiyoukai bedrohlich, wird aber reflexartig von Chitsurao abgefangen.

„Gönnt Euch einen Moment Ruhe, mein Fürst“, sagt er umsichtig. „Sicher seid Ihr bald wieder bei Kräften.

Schwer lehnt Sesshomaru gegen seinen Arm. Doch dann ballt sich seine Hand nachdrücklich zur Faust und ein tiefer Atemzug entfährt ihm. Als er nun spricht hat seine Stimme einen bedrohlichen Klang. „Es ist nicht Ruhe was ich jetzt brauche.“ Dann plötzlich wie einem unwiderstehlichen Impuls folgend, richtet sich der Daiyoukai wieder auf und hebt den Kopf. Seine Augen funkeln gefährlich rot und scharfe Reißzähne lugen unter seinen Lippen hervor. Fast wie in einer Art Trance wendet er den Kopf und nimmt mehrere tiefe Atemzüge. Dann plötzlich legt sich ein triumphierendes Lächeln um seine Lippen und er fletscht die Zähne. Ohne die beiden anderen Männer weiter zu beachten, macht er auf dem Absatz kehrt und setzt sich mit beängstigender Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit in Bewegung. Nur wenige Momente später ist er zwischen den Bäumen verschwunden und lässt zwei überrumpelte Youkai zurück.

Chitsurao kann sich als erstes aus der Starre lösen. Sein Verstand arbeitet emsig um die Lage zu erfassen. Wenn man dem Glauben kann was Inu Yasha-sama sagte, dann ist sein Herr wohl tatsächlich in der Hölle gewesen um seinen Sohn zurückzuholen und erfolgreich wieder zurückgekehrt. Doch wie es aussieht hat das bei ihm Spuren hinterlassen. Er mag sich gar nicht ausmalen was der Fürst dabei durchmachen musste.

Sein Blick geht zu dem nackten Mann neben ihm. Kritisch mustert er ihn. „Du bist...“, er korrigiert sich rasch, „Ihr seid Tenmaru-sama nicht wahr? Der... Sohn von Fürst Sesshomaru?“ Und damit im Rang über ihm. Vielleicht erhält er ja dennoch einige Informationen über die Sachlage. „Was ist mit ihm geschehen?“

Noch immer ebenfalls verdattert hat Tenmaru seinem Vater nachgeblickt. Erst die Frage seines Nebenmannes reißt ihn wieder aus den Gedanken. Und sie trägt keineswegs dazu bei seine Verunsicherung zu schmälern. Wer auch immer dieser Youkai ist, er scheint ein Untergebener seines Vaters zu sein.

Seines Vaters! Es fällt ihm noch immer schwer diese Worte zu denken, ohne dass seine Finger wieder anfangen zu zittern. Und es ist nicht hilfreich, dass der Andere nun in die höfliche Anrede wechselt. Diese Position ist so neu für ihn, dass er sie noch kein Bisschen als sich zugehörig ansieht. „Ich... weiß es nicht“, beantwortet er wahrheitsgemäß die letzte Frage. Und ehrlich gesagt möchte er auch keine Vermutungen darüber äußern. Wenn er auf Nummer sicher gehen will, tut er gut daran sich an Sesshomarus eigene Worte zu halten. „Er... er sagte, er hätte Hunger.“

„Hunger?“, Chitsurao zieht die Stirn kraus. Wieder arbeitet sein Gehirn fieberhaft daran die Situation zu bewerten. Youkai des Westens lassen niemals ihre Bedürfnisse und Gefühle ihr Handeln bestimmen, nicht bevor sie wirklich in einer Notlage sind. Gemessen an seiner optischen Verfassung ist es durchaus plausibel, dass Sesshomaru eine kritische Menge an Schaden oder Erschöpfung erreicht haben mag. Es ist verständlich, dass er sich in dieser Situation stärken möchte.

Was ihn jedoch etwas beunruhigt, ist die Tatsache, dass der Fürst seinem Bedürfnis offenbar ganz ungezügelt nachzugeben bereit ist. Die Angelegenheit könnte im Grunde als kurzzeitiger Ausnahmezustand abgetan werden. Allerdings befinden sie sich hier auf östlichen Grund und Boden und keiner kann sagen was der Ostclan davon hält wenn der Fürst des Westens unerlaubt und ungehemmt in ihrem Revier jagt.

Chitsuraos Miene wird ernst. „Es ist vielleicht besser wenn wir ihm folgen würden“, auch hier korrigiert er sich rasch, „so Ihr dem zustimmt, Tenmaru-sama.“

Ein unbehagliches Gefühl macht sich in Tenmarus Magengrube breit. „Bitte“, entgegnet er etwas ratlos, „verschieben wir doch die Höflichkeiten auf einen späteren Zeitpunkt. Glaubt Ihr Sesshomaru-sama könnte sich in Gefahr bringen?“

Der Hauptmann mustert Tenmaru abschätzend. Sein Gespür sagt ihm, dass dem jungen Mann die höfliche Anrede ebenso ungewohnt ist wie ihm. Sesshomaru hat kaum je ein Wort über die Angelegenheit damals verloren, doch was ein offenes Geheimnis blieb, war die Tatsache, dass die damaligen Vorkommnisse sehr emotional belastend gewesen sein mussten, vermutlich für alle Beteiligten. Vielleicht ist es besser sich später damit näher zu befassen. Im Augenblick gibt es Wichtigeres. Er sinnt noch einen Moment nach, dann trifft er eine Entscheidung.

Mit knappen Bewegungen löst Chitsurao seinen Haori und streift ihn ab. Nachdrücklich reicht er ihn dem unbekleideten Youkai neben ihm. „Im Augenblick ist es nicht seine Sicherheit um die ich fürchte“, gibt er Antwort. „Eher um die jeden Lebewesens das ihm jetzt womöglich unterkommen mag. Wollen wir hoffen, dass es niemand ist der in der Gunst des Ostclans steht.“

Für einen Moment blickt Tenmaru überrascht drein, doch rasch glätten sich seine Züge wieder. „Ah, mir war doch so, dass mir die Gegend bekannt vorkam“, nickt er leicht, während er dankbar den Haori überstreift. “Wir befinden uns eine halbe Tagesreise vom Palast des Ostens entfernt, nicht wahr?“

„So ist es“, bestätigt Chitsurao. „Man schickte mich mit einer Botschaft zum Ostfürsten. Auf dem Weg dorthin begegnete ich euch. Doch jetzt im Moment, denke ich, ist es wichtiger, dass wir Sesshomaru-sama vor einer unnötigen diplomatischen Komplikation bewahren. Ich nehme an, er weiß nicht, dass er sich im Revier des Ostclans befindet. Womöglich könnte ihn das in eine kompromittierende Lage bringen. Ich werde versuchen ihn davor zu bewahren.“ Abwartend blickt er Tenmaru an.“

Noch immer etwas überrumpelt von der ganzen Situation braucht Tenmaru einen Moment um zu begreifen, dass sein Einverständnis erwartet wird. Etwas unglücklich nickt er leicht. Dann hebt er den Kopf und zieht bedächtig die Luft ein. „Ich glaube ich weiß wo er hin will“, meint er sinnend. „Ein Stück entfernt ist eine Wildschweinrotte. Die wird ihm gelegen kommen.“

Ohne weitere Worte setzt sich Chitsurao in Bewegung und Tenmaru folgt ihm direkt auf dem Fuß. Der Hauptmann des Westens kann es sich nicht verkneifen immer wieder zu Tenmaru hinüber zu spähen während sie laufen. Er hat so viele Fragen. Aber bis er Gelegenheit erhält sie beantwortet zu bekommen, wird wohl noch eine ganze Weile vergehen.

Das ist also das sogenannte 'Kind' aus der Prophezeiung. Der Sohn für den Sesshomaru angeblich so viel empfindet, dass er für ihn bis hinab in die Hölle gestiegen ist. Wie hat das alles nur geschehen können? Diese Frage brennt ihm wahrlich unter den Nägeln. Und höchstwahrscheinlich nicht nur ihm. Wenn sie zurück zum Westpalast kommen, wird der Rat viele Fragen haben.

Der Rat! Chitsurao seufzt innerlich. Warum? Warum musste der Hanyou ausgerechnet Sie als neues Ratsmitglied ernennen? Das wird doch niemals funktionieren. Die anderen Edelmänner mokieren sich doch bereits jetzt schon hinter der Hand darüber, dass er Mitglied des Rates ist. Schwafeln was von 'Befangenheit'. Und jetzt auch noch das! Ganz bestimmt werden sie nicht begeistert davon sein, dass Sesshomarus Chioya mit im Rat sitzt. Mit Sicherheit gehen sie unruhigen Zeiten entgegen.

Andererseits ist Kagemori auch selbst schuld daran. Dieses Mal ist er mit seinen kleinen Ränkespielchen zu weit gegangen und er hat den Hanyou unterschätzt. Wie er wohl reagieren wird wenn er Tenmaru gegenüber steht? Bisher ist der junge Mann neben ihm schwer einzuschätzen. Wie ist er so? Was hat er für Ansichten oder Einstellungen. Wie stark ist er? Was für Fähigkeiten hat er? Immerhin lässt sich sagen, dass sein Geruchssinn viel feiner ist als sein eigener. Die Wildschweinrotte hätte er aus dieser Entfernung sicher nicht so leicht ausgemacht. Aber wird das genügen um diese jahrtausendealte Fehde zwischen den Clans zu schlichten? Wie sollte das möglich sein? Was hat dieser junge Mann, was sonst niemand hat?

Ein Geräusch neben sich reißt ihn aus seinen Gedanken.

„Nein, nein, nein...“, murmelt Tenmaru beunruhigt vor sich hin und seine Stirn legt sich in Falten.

„Was ist?“, fragt Chitsurao. Irgendetwas hat den jungen Daiyoukai aufgewühlt, doch er kann nicht erkennen was.

„Die Spuren trennen sich“, in Tenmarus Stimme liegt Sorge. „Er folgt nicht dem Wildschweinrudel. Er läuft in diese Richtung.“ Sein Finger weist von ihrer Fährte fort.

„Wohin will er dann?“, fragt Chitsurao verwundert. „Was ist dort?“

Tenmarus Miene wird ernst. „Ein Menschendorf.“

Es dauert ein wenig bis Chitsurao die Tragweite der neuen Information erfasst hat. Auch seine Stirn kräuselt sich nun. „Ah... Das ist ungünstig. Normalerweise tut er so etwas nicht, aber im Moment, in seiner jetzigen Verfassung...“

Tenmarus Gesicht ist angespannt. „Wir können ihn das nicht machen lassen.“

„Warum nicht?“, fragt Chitsurao. „Es ist unüblich, aber nicht völlig abwegig. Und vermutlich geht es schneller. Wir sollten nicht zu viel Aufmerksamkeit auf uns lenken.“

Hart ballt Tenmaru die Hand zur Faust. „Ich sagte doch, das geht nicht!“, wiederholt er fest. „Der Hunger macht ihn blind. Er würde nicht wollen, dass er in diesem Zustand etwas täte was er mit klaren Sinnen niemals tun würde. Schon gar nicht das. Es würde ihn entehren.“

Ein wenig nachdenklich blickt Chitsurao drein. Womöglich hat der junge Mann recht. Sesshomaru war immer darum bemüht gewesen, eher über die Menschen zu wachen als ihnen zu schaden, einzelne Personen natürlich ausgenommen. Ein Tick den er von seinem Vater übernommen hat. Dieser gipfelte wohl darin, dass er das Mädchen Rin adoptierte und die menschlichen Gefährten seines Bruders nach Belieben in seiner Gegenwart schalten und walten lässt. Es ist gut möglich, dass er wenig Gefallen dran fände wenn ihm später aufginge, dass er in seiner doch verständlichen Gier ein ganzes Dorf abgeschlachtet hat. Vermutlich tun sie gut daran ihn davon abzuhalten. Die Frage bleibt jedoch...

„Selbst wenn dem so ist“, gibt Chitsurao zu bedenken, „wie sollen wir ihn aufhalten? Ich denke nicht, dass er im Moment Argumenten gegenüber aufgeschlossen ist.“

Tenmarus Miene wird hart. „Ich beabsichtige auch nicht mit ihm zu diskutieren.“ Und mit diesen Worten beschleunigt er seinen Schritt und es dauert nur wenige Momente bis er Chitsurao hinter sich gelassen hat und aus seinem Blick verschwunden ist.

Ungläubig wie beunruhigt blickt der Hauptmann ihm nach. Das ist Wahnsinn!, denkt er bei sich. Er weiß wie stur Sesshomaru sein kann. Wenn er sich ein Ziel gesetzt hat, ist er nicht mehr davon abzubringen. Dass sein Sohn hier ist, ist wohl der beste Beweis dafür.

Sein Sohn! Wie schnell man das doch wieder vergessen kann. Einen netten Antritt hat der Bursche immerhin. Vielleicht überlebt er es ja.

Eilig macht sich Chitsurao daran den beiden zu folgen.
 

Ein Stück entfernt zwischen den Ästen einiger Bäume beobachten zwei tiefviolette Augen still das Geschehen. Die Personen, denen ihre Aufmerksamkeit gilt, sind nicht länger auszumachen. Trotzdem ist das Interesse der dazugehörigen Person geweckt. Der schmal gebaute Youkai des Ostens ist überrascht darüber was er hier zu sehen bekommt. Er zögert einen Moment, doch dann schließt er ein wenig widerwillig die Augen.

„Yaomonzurushi-sama!“, murmelt er leise. Es dauert einige Herzschläge, doch dann erklingt die vertraute tiefe Stimme im Inneren seines Kopfes.

Heizu. Ich bin überrascht von dir zu hören. Was gibt es zu berichten?

„Drei Inuyoukai des Westens sind gerade an meinem Kontrollpunkt vorbeigekommen. Etwas nördlich der Hauptstraße in der Nähe der Siedlung am Fluss. Sind hier ziemlich hurtig durchgesaust.“

Zunächst herrscht Stille, dann ist die Stimme wieder zu hören. „Das war zu erwarten. Irgendwann mussten sie sich melden. Da wir die Grenzposten vorerst abgezogen haben, war er vorherzusehen, dass sie unbemerkt die Grenze überqueren. Was kannst du über sie sagen?“

„Einer von ihnen trägt ein Botenemblem. Es scheint ein Abgesandter zu sein. Aber er befindet sich nicht auf direktem Weg zum Palast. Er folgt einem der anderen und... mein Fürst, vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube der Youkai dem er zusammen mit dem anderen folgt, könnte Sesshomaru sein.“

Ah ja?“, die Stimme hinter der Stirn klingt nun bitter. „So schlimm ist es also schon? Wenn der Fürst des Westens zu uns kommt, müssen wir auf alles gefasst sein. Folge ihnen, behalte sie im Auge und wenn du herausbekommen kannst, was sie hergeführt hat, erstatte mir Bericht. Vielleicht müssen wir sie eher als geplant herholen. Wenn sie nicht auf Ärger aus sind, bring sie her, aber bis dahin halte dich besser im Hintergrund.“

„Jawohl, Yaomonzurushi-sama!“

Damit verstummt die Stimme in seinem Kopf und der Ostyoukai setzt sich mit leisen Sohlen auf die Fährte der Eindringlinge.
 

Wieder einmal sprintet Tenmaru durch den Wald. Er läuft was seine Lungen hergeben und währenddessen gestattet er sich für einen Moment seine Gedanken zu ordnen. Noch immer versteht er nicht so ganz in was für einer Situation er sich befindet. Das alles ist so neu und kommt so plötzlich und überraschend. Aber wie es aussieht war er tot und das für eine längere Zeit.

Daran erinnern kann er sich überhaupt nicht mehr, aber offenbar ist in der Zwischenzeit einiges geschehen. Noch immer entsinnt er sich mit einem gewissen Schamgefühl an den Moment zurück, als er es zum ersten Mal wagte seinen Vater als solchen anzusprechen. Er hatte angenommen, dass es nun keine Rolle mehr spielen würde.

Doch das hatte es. Anscheinend hat sein Bekenntnis größeren Eindruck auf den Westfürsten gemacht als er es je angenommen hätte. So sehr, dass er ihn noch nach seinem Tod als Sohn angenommen hat. Ob Tenmaru will oder nicht, ihm rieselt bei diesem Gedanken ein warmer Schauer über den Rücken. Er empfindet dabei so viel Dankbarkeit und Glück, dass er es gar nicht in Worte fassen kann.

Doch gerade jetzt ist keine Zeit dafür, diesen Gefühlen Raum zu geben. Der Fürst des Westens hat sich offenbar bei dem Versuch ihn zurückzuholen so sehr verausgabt, dass er regelrecht kopflos im Begriff ist ein Menschendorf zu überfallen um seinen Hunger zu stillen. Tenmaru ist überzeugt, dass dies unter normalen Umständen gegen Sesshomarus Prinzipien verstoßen würde. Und er erinnert sich nur allzu gut wie sehr er auch damals darum gerungen hat, dass sein Vater nur ja nicht sein Gesicht verlieren möge. Auf keinen Fall darf er es dann jetzt zulassen, ganz besonders nicht, wenn er, einmal mehr, die Ursache dafür ist.

Und einmal mehr sieht er sich jetzt durch den Wald hetzen auf der Spur seines Vaters um ihn von etwas abzuhalten was ihm schaden könnte, mit Gewalt falls nötig. Bilder flackern vor Tenmarus innerem Auge auf. Ein unangenehmer Kloß bildet sich in seiner Kehle. Es ist doch noch gar nicht so lange her, zumindest nach seinem Empfinden. Hat er nicht kürzlich erst seine Identität vor diesem Menschenmädchen offenbart, das Inu Yasha-sama begleitet? Wie war ihr Name noch, Kagome? Und sie hat ihn verstanden. Sie ließ ihn gehen. Fast war es als gäbe sie ihre Segen zu dem was er vorhatte.

Noch einmal sieht er sich rennen, fast wie jetzt auch. Rennen und bangen und hoffen nicht zu spät zu kommen. Er sieht die Lichtung. Und er sieht seinen Vater. Der ist sich der Gefahr nicht bewusst in der er schwebt. Er sieht nur seinen Sohn der auf ihn zurennt und in seinem Gesicht sieht er die Abscheu und die Verachtung als er annimmt, er würde ihn angreifen wollen.

Doch er bemerkt nicht die schwarze Miko die hinter ihm im Gebüsch lauert. Er spürt nicht ihre verderbte Energie. Erst als es schon zu spät ist, dreht er sich um. Und Tenmaru weiß, auch er wird nicht mehr rechtzeitig kommen um diese Frau davon abzuhalten ihre tödliche Attacke auf seinen Vater abzuschießen. Was bleibt ihm also übrig? Das Einzige was er noch tun kann, ist sich dazwischen zu werfen und die Attacke abzufangen.

Unaussprechliche Schmerzen hüllen seinen Körper ein als er getroffen wird und schon im ersten Moment spürt er bis in die letzte Faser, dass es diesmal nichts mehr gibt was ihn retten kann. Er wird vergehen, das weiß er. Schon jetzt beginnt sich sein Körper aufzulösen. Seine Youkaienergie wird geläutert und weicht aus seinem Körper und zurück bleibt nur namenlose Pein.

Dann ist plötzlich Sie da. Sie sitzt neben ihm, sie berührt ihn, und wo sie ihn berührt, da weichen die Schmerzen ein wenig. Und er sieht den Blick seines Vaters über sich. Scheinbar reglos und doch ist für einen Moment lang hinter der Fassade von Gleichmut so etwas wie Schock und Ratlosigkeit zu erkennen. Vielleicht gab das schließlich den Ausschlag diese letzten Momente zu nutzen um wenigstens einmal seine Achtung und Zuneigung ihm gegenüber auszudrücken.

Tenmaru schüttelt den Gedanken ab. Allein daran zu denken schnürt ihm die Kehle zu. Später wird noch genug Zeit sein sich über all diese turbulenten Gefühle klar zu werden. Jetzt muss er sich erst mal einmal mehr seinem Vater entgegenstellen um ihn von einer Dummheit abzuhalten. Wobei schon allein das zu denken einer Anmaßung gleichkommt. Doch ebenso wenig, kann er es mit seinem Gewissen vereinbaren ihn einfach machen zu lassen. Und sei es nur um Kagomes Willen. Er hat die junge Frau nicht lange gekannt, und doch hat er sie in dieser kurzen Zeit schätzen gelernt und er ist sich sicher, auch sie hätte das hier nicht gut geheißen. Genau so wenig wie Inu Yasha-sama. Auch er würde das hier verhindern wollen, davon ist er überzeugt. Und offenbar schuldet er ihm noch etwas.

Er hebt den Kopf. Die Witterung seines Vaters ist direkt voraus und aus der Ferne kann er Schreie hören. Er muss sich beeilen wenn er das Schlimmste verhindern will. Noch einmal beschleunigt er seinen Schritt, bricht aus dem Unterholz hervor und nur einen Wimpernschlag später reißt er gewaltsam den hochgewachsene mit Blessuren und Narben übersäten Daiyoukai zu Boden der gerade im Begriff ist eine Gruppe verschreckter Menschen mit seiner Energiepeitsche in Stücke zu hacken.

Durch den Schwung mitgerissen, rollen die beiden Daiyoukai unsanft über die holprige Wiese vor den Dorfpalisaden und rutschen dann in eine modderige Senke. Die verängstigten Dorfbewohner nutzen die Gunst der Stunde um hastig hinein ins Dorf zu fliehen.

Zunächst liegt eine trügerische Ruhe auf der Wiese vor dem hohen Zaun, doch dann ist eine Bewegung am Rand des Bewässerungskanals auszumachen. Sesshomaru kämpft sich grimmig durch den Matsch wieder nach oben. Er ist überall mit Schlick bedeckt, das hindert ihn jedoch nicht daran, unbeirrt seinem Verlangen zu folgen. Doch gerade jetzt packt ihn jemand bei den Knöcheln und reißt ihn rigoros wieder hinunter.

Wütend fährt Sesshomaru herum und schlägt mit der Klaue nach seinem Angreifer. Tenmaru weicht reflexartig gerade noch rechtzeitig dem Schlag aus. Wieder dreht sich Sesshomaru um und will den mannshohen Hang erklimmen, doch wieder wird er zu Fall gebracht.

„Lass mich los!“, faucht Sesshomaru erzürnt und tritt hinter sich; Tenmaru direkt vor die Brust. Der junge Daiyoukai keucht schmerzhaft auf und wird dadurch an die andere Wand des Grabens geschleudert. Doch das bremst seine Entschlossenheit nicht. Sofort ist er wieder bei ihm und reißt ihn erneut zu Boden. Erbarmungslos versucht er nun den Westfürsten niederzudrücken. Dieser liegt mit der Brust im Schlamm des Grabens und bemüht sich sogleich sich mit gefletschten Zähnen wieder hochzustemmen.

„Sesshomaru-sama!“, beschwört Tenmaru ihn eindringlich. „Bitte seht ab von Eurem Vorhaben! Ihr wollt doch diese Leute nicht wirklich töten!“

Ein unterdrückter Wutschrei entfährt Sesshomaru: „Erzähl du mir nicht was ich will!“, presst er hervor. Mit einem Ruck stößt er Tenmaru von sich und hastet die letzten Schritte den Hang hinauf. Inzwischen ist er von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt, doch seine Gier ist ungebrochen. Sogleich wendet er sich wieder dem Dorf zu und beschleunigt seinen Schritt. Doch einmal mehr wird er zu Fall gebracht. Der ebenfalls völlig verdreckte Ex-Streuner reißt ihn zu Boden und versucht wieder ihn dort festzuhalten.

„Bitte überdenkt das, Sesshomaru-sama!“, versucht es Tenmaru erneut, während er bemüht ist Sesshomarus Arm auf den Rücken zu drehen. Doch der Westfürst rollt sich seitwärts herum und begräbt Tenmaru unter sich. Ihm ist wahrlich nicht nach Spaßen zumute. Ein schmerzhafter Schlag mit dem Ellenbogen, der ihm zwei Rippen bricht, zwingt Tenmaru dazu ihn unter Keuchen freizugeben. Doch noch immer gibt der junge Daiyoukai sich nicht geschlagen. Sofort ist er wieder auf den Füßen und dieses Mal sprintet er blitzschnell an Sesshomaru vorbei und versperrt ihm kategorisch den Weg. Mit grimmigen Blicken belauern sich die beiden.

„Geh aus dem Weg!“, knurrt Sesshomaru mühsam beherrscht. Sein ganzer Körper bebt vor Anspannung, seine Reißzähne treten hervor und in seinen Augen liegt etwas manisches.

„Nein!“, stellt Tenmaru verbissen klar. „Wir finden eine andere Nahrungsquelle für Euch. Vergießt nicht das Blut dieser Leute! Unter normalen Umständen würdet Ihr das ebenfalls nicht gutheißen.“

„Das sind keine normalen Umstände!“, quetscht Sesshomaru mühsam hervor. Es sieht aus als ob er Schmerzen hätte. Er keucht schwer und seine Glieder zittern beängstigend.

Tenmaru gibt es einen schmerzenden Stich ins Herz. Sein Vater sieht so schrecklich erschöpft aus, so völlig zerrüttet und verletzt. Er kann nur erahnen wie sehr ihn gerade der Hunger quälen muss. Er erkennt die Gier und das Verlangen nach allem was seinen geschundenen Magen füllt in seinen Augen, und dass er noch nicht seine wahre Gestalt angenommen und einfach alles dem Erdboden gleichgemacht hat, ist ihm hoch anzurechnen. Doch die Unschlüssigkeit ist ihm überdeutlich anzusehen und vermutlich fehlt tatsächlich nicht mehr viel bis dem Daiyoukai wirklich alles egal ist.

Langsam aber entschlossen und mit nach außen gerichteten Handflächen geht Tenmaru nun auf Sesshomaru zu. Der Westfürst tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen und bleckt die nadelspitzen Zähne.

„Sesshomaru-sama?“, versucht Tenmaru es vorsichtig erneut. „Ich verstehe, dass Ihr Schmerzen habt. Ich weiß, Ihr habt Hunger. Doch im Augenblick befinden wir uns auf Grund und Boden des Ostclans. Ihr wollt doch sicher keinen Zwischenfall initiieren.“

Unruhig wie ein Tiger im Käfig bewegt sich Sesshomaru hin und her und augenblicklich ringt er sichtlich schwer mit sich. Tenmaru kommt ihm immer näher. Jetzt trennen die zwei nur noch wenige Schritte. „Denkt daran, wie Ihr damals auch versucht habt einen Zwischenfall zu vermeiden. Was Ihr bereit wart dafür zu opfern!“

Über Sesshomarus Gesicht zieht eine neue Regung. In seiner Miene zeigt sich nun eine solche Verzweiflung, dass es fast schon schmerzt ihn anzusehen. Seine Hände öffnen und schließen sich und das Zittern in seinen Gliedmaßen bekommt nun eine wirklich ungesunde Intensität. Der geschundene Daiyoukai sieht aus als würde er unmittelbar vor dem Kollaps stehen.

Auch Tenmaru muss schwer schlucken bei dem Anblick und einmal mehr fragt er sich was der Fürst des Westens nur erlitten haben muss um nun in solch einer Verfassung zu sein. Jetzt ist er nur noch zwei Schritte entfernt und der Daiyoukai macht den Eindruck entweder jeden Moment zu explodieren oder einfach nur zusammenzubrechen. Seine Miene ist ein Ebenbild des Jammers und der Erschöpfung, doch noch immer bringt er keinen Ton über seine Lippen.

„Ihr seid doch schon so weit gekommen und habt so viel erreicht“, keinen Moment lässt Tenmaru ihn aus den Augen. „Was können da schon ein paar Minuten für einen Unterschied machen? Ich werde Euch helfen Ersatz zu finden. Das verspreche ich Euch!“ Der zitternde Daiyoukai schwankt bedenklich. „Bitte habt ein Einsehen und verschont das Dort!“ Nun steht Tenmaru direkt vor ihm. „Bitte! Sesshomaru-sama?“, er schluckt hart. „Chichi-ue...?“

In diesem Moment entfährt Sesshomaru ein schmerzhaftes Keuchen. Im nächsten Moment kippt er völlig entkräftet nach vorne und stürzt schwer in die Arme seines Sohnes der ihn umsichtig auffängt und behutsam auf den Boden bettet. Tenmaru fühlt sich unheimlich erleichtert, aber er ist auch besorgt. Der Daiyoukai in seinen Armen atmet schwer, sein Herz rast und auf seiner blassen Stirn stehen ihm dicke Schweißtropfen.

Sesshomaru versucht mehrfach sich mit den Armen wieder hochzustemmen, doch es misslingt immer wieder. Jeder vergebliche Versuch ist mit einem heftigen Keuchen begleitet. Schließlich erschlafft er und bleibt flach atmend auf dem Rücken liegen. Er nimmt sich die Zeit um wieder zu Atem zu kommen. Dann geht sein erschöpfter Blick zu seinem Sohn hinüber der ihn nicht aus den Augen gelassen hat.

Er schließt einmal resigniert die Lider dann blickt er wieder auf und sagt schwach: „Da waren... Wildschweine auf dem... Weg hierher...“

Tenmarus Miene hellt sich erleichtert auf. „Ich werde sie Euch beschaffen, Sesshomaru-sama!“ Doch der Daiyoukai legt ihm bestimmt die Hand auf den Arm. „Nein...!“, keucht er. „Bring mich... einfach nur hin!“

Für einen kurzen Moment zögert Tenmaru. Er hat ein wenig Zweifel ob sein Vater wirklich in der Verfassung ist sich selbst darum zu kümmern, doch dann nickt er zustimmend. Beherzt fasst er zu und zieht den kraftlosen Daiyoukai problemlos wieder auf die Füße. Schwer lehnt Sesshomaru an seiner Seite. Er hat das Gefühl, dass seine Knie am liebsten umgehend wieder nachgeben wollen. Doch eisern hält er sich weiter auf den Füßen, was nicht zuletzt dem kräftigen Griff seines Sohnes zu verdanken ist. Tenmaru hat sich seinen Arm um die Schulter gelegt und hält ihn um die Hüfte herum fest.

Sesshomarus kurzer Seitenblick geht zu dem jungen Mann hinüber. Niemandem sonst, höchstens vielleicht noch seinem Bruder, würde er es erlauben ihn in dieser Verfassung so zu halten. An niemanden sonst hätte er diese Bitte gerichtet. Keinem anderen würde er es gestatten auf diese Weise Zeuge seiner Demütigung durch sein Unvermögen zu werden. Aus irgendeinem Grund vertraut er ihm uneingeschränkt. Und trotzdem muss es eine Zeit gegeben haben, als er ihn gehasst und von sich gestoßen hat. Doch so sehr Sesshomaru auch grübelt, ihm fällt einfach kein Grund dafür ein. Immer wenn er sich gedanklich einer möglichen Erklärung nähert, verschwindet alles, als wäre in seinen Gedanken ein blinder Fleck. Und dieser Umstand wurmt ihn.

Schon eine ganze Weile hat er versucht der Sache auf den Grund zu gehen, doch er kommt zu keinem Ergebnis. Da ist einfach gar nichts. Sicher, er erinnert sich durchaus noch an die Ereignisse die zum Tod seines Sohnes geführt haben, doch immer wenn er sich selbst in Gedanken dabei beobachtet wie er ihm seinen Hass und seine Verachtung entgegenschleudert, kann er sich beim besten Willen nicht erklären was ihn dazu veranlasst hat.

Ein Bild flackert flüchtig vor ihm auf. Es ist anzunehmen, dass das Ganze mit dieser Frau zusammenhängt die wohl Tenmarus Mutter ist. Doch auch mit ihr verbindet er nichts. Keine Erinnerungen, keine Gefühle, nichts! Scheinbar ist das die Bezahlung dafür gewesen, dass er seinen Sohn mitnehmen durfte, doch das erscheint ihm belanglos denn bis auf die kurze Begegnung mit ihr, trägt er er keinerlei Erinnerungen an sie. Außer vielleicht...

Eine unwillkürliche Woge der Übelkeit überrollt ihn unerwartet. Er spürt wie sein Sohn ihn gerade halb stützend halb tragend mit flinken Schritten durch den Wald befördert und Sesshomaru ist im Augenblick ganz froh darüber, dass er dazu kaum etwas beitragen muss. Gerade spürt er einen rumorenden Schmerz in seiner Magengrube und einen würgenden Kloß in seinem Hals und er muss regelrecht an sich halten um sich nicht auf der Stelle zu übergeben. Elendig sieht er die Umgebung vorbeihuschen und er ist sich nicht sicher ob er selbst in besserer Kondition gerade in der Lage wäre diesen Weg zu gehen, wenn er doch gerade das Gefühl hat als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen und ein heftiger Schwindel ihn zu überwältigen droht.

Und irgendwie hat er das Gefühl, dass dies gerade nichts mit seiner körperlichen Verfassung zu tun hat. Doch Gewissheit wird er erst haben, wenn er wieder etwas zu Kräften gekommen ist. So kraftlos und zerschunden hat er sich selbst in der Hölle nicht gefühlt und wenn das alles hier irgendwann vorbei ist, wird er sich als erstes ein wenig Ruhe gönnen. Das heißt, wenn sie den Kampf mit Katsuken überstehen.

Nein! Er ruft sich selbst scharf zur Ordnung. Scheitern ist keine Option! Sein persönliches Credo hat ihn bis hierher geführt und er wird auf diesem Weg nicht einen einzigen Schritt zurückweichen. Dafür ist es längst zu spät.

Gerade in diesem Moment taucht neben ihnen zwischen den Bäumen Chitsurao auf und gesellt sich zu ihnen. Sesshomaru bemerkt wie aufmerksam er von seinem Untergebenen gemustert wird und sogleich meldet sich sein Stolz wieder mit schmerzhafter Intensität. Wie er hier so wie ein kraftloses Bündel durch die Gegend geschleift wird, tut seiner Würde nicht gut und gerade vor Ihm mag er sich diese Blöße nicht gerne geben.

Entschlossen löst er sich aus dem Griff seines Sohnes, der es verwundert und ein wenig widerstrebend geschehen lässt. Doch auch wenn der erschöpfte Daiyoukai jetzt strauchelt und taumelt, sein eiserner Wille hält ihn auf seinen Füßen und verbissen konzentriert er sich auf die Wildschweinrotte, dessen Witterung ihm nun wieder in die Nase steigt.

Als würde das seine Lebensgeister anregen, wird sein Schritt nun kräftiger und trittsicherer und ohne, dass er es richtig merkt, beschleunigt er. Der Geruch dieser verlockenden Nahrungsquelle dringt ihm bis tief in die Lunge und seine Augen beginnen sich rot zu färben. Schon schieben sich Reißzähne unter seinen Lippen hervor und jetzt sieht man ihm seine Verletzungen fast schon nicht mehr an.

„Ihr bleibt hier!“, befiehlt er mit einem Grollen in seiner Stimme, dass keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit in diesem Punkt aufkommen lässt. Die beiden anderen zögern nur einen kurzen Moment, dann fallen sie zurück und halten an während der Fürst des Westens nur Augenblicke später mit schnurgeraden, kraftvollen Sätzen im Unterholz verschwindet. Ein wenig unschlüssig blicken die beiden Männer ihm nach, doch kein Wort kommt über ihre Lippen. Im Grunde sind sie beide erleichtert darüber, dass es gelungen ist den Daiyoukai von seinem ursprünglichen Vorhaben abzulenken.

Nur kurz darauf ist aus der Ferne schrilles Quieken und vermehrtes Krachen und Knacken im Unterholz zu hören und die beiden können nur Mutmaßungen anstellen was sich ein Stück entfernt von ihnen abspielt, doch mit großer Wahrscheinlichkeit ist es genau das was sie vermuten.

Tenmaru sieht sich kurz um, dann schlendert er zu einem umgestürzten Baum hinüber und lässt sich darauf nieder. „Ich würde sagen wir warten hier bis er wieder zurückkommt.“ Mit einem kurzen Nicken bestätigt Chitsurao seinen Vorschlag, rührt sich aber nicht vom Fleck. Schließlich geziemt es sich nicht wenn ein Untergebener sich einfach zu einem Höhergestellten setzt. Tenmaru beobachtet den Krieger und da er früher in einer ähnlichen Position war, hat er eine wage Vermutung was ihm gerade durch den Kopf geht. Er seufzt schwer. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern bis sich alle Beteiligten mit der Situation angefreundet haben.
 

Im Verborgenen, ein Stück entfernt zwischen den Bäumen haben sich wieder zwei violette Augen eingefunden und beobachten die Szenerie. Der Ostyoukai namens Heizu hat den Befehl seines Fürsten ernst genommen und sich unbemerkt an die Fersen der Neuankömmlinge geheftet. Nun beobachtet er heimlich wie der Fürst des Westens sich offenbar für eine Mahlzeit abgesetzt hat und die anderen beiden still und friedlich auf seine Rückkehr warten.

Auch wenn die beiden hier im Moment keine Bedrohung darzustellen scheinen, weiß er nicht recht wie er den Alleingang des Fürsten bewerten soll. Eigentlich hätte er vorher um Erlaubnis fragen müssen ehe er Jagd auf das Wild im Reich eines anderen Clans macht. Zwar lässt die körperliche Verfassung des Westfürsten darauf schließen, dass es sich hier wohl um eine Art Notfall handeln könnte, doch er möchte das lieber nicht selbst entscheiden.

Einmal mehr schließt er kurz die Augen um Kontakt zu seinem Herrn zu suchen. „Yaomonzurushi-sama?

Es vergehen einige Momente ehe er Antwort erhält. „Was gibt es Neues, Heizu?

„Mein Fürst, einer der Eindringlinge ist tatsächlich Fürst Sesshomaru. Allerdings scheint er verletzt zu sein. In diesem Moment jagt er eine Rotte Wildschweine in unserem Gebiet. Ich war nicht sicher ob ich etwas unternehmen sollte.“

Wieder vergeht eine kleine Weile ehe er Antwort erhält. „Damit werden wir uns später befassen. Hast du herausbekommen können, was sie hierher geführt hat?

Ein wenig beschämt versucht Heizu eine Antwort zu formulieren. „Noch nicht wirklich, mein Fürst. Bisher schien sich ihre Aufmerksamkeit mit Fürst Sesshomarus körperlichem Zustand zu befassen. Einer von seinen Begleitern konnte ihn gerade noch davon abhalten ein Menschendorf zu überfallen.“

Er hat ihn davon abgehalten, sagst du?“, kommt die skeptische Rückfrage.

„Ja, mein Fürst“, bestätigt Heizu. „Es hat den Anschein als wäre Fürst Sesshomaru im Moment nicht völlig Herr seiner Sinne. Durch das konsequente Eingreifen seines Begleiter konnte der Überfall auf das Dorf gerade noch verhindert werden.“

Du willst mir erzählen ein Bediensteter von Sesshomaru war in der Lage einen Daiyoukai in einem Anfall von wirklichem Hunger aufzuhalten?“, kommt jetzt die sehr skeptische Frage zurück.

Heizu fühlt sich nicht besonders wohl in seiner Haut. „So ist es geschehen, mein Fürst!“, gibt er kleinlaut zu, doch was soll er auch sonst sagen?

Beschreib ihn mir!“, kommt der strenge Befehl.

Unbemerkt umrundet Heizu nun die Stelle an der die beiden Youkai warten um einen besseren Blick zu bekommen. „Der Kerl bietet in der Tat einen etwas seltsamen Anblick“, berichtet er gewissenhaft. „Er trägt nur einen Haori. Und ich meine damit 'nur'!“, wieder wirft er einen abschätzenden Blick auf Tenmaru. „Inuyoukai würde ich sagen. Groß, schlank, graue lange Haare und...“, er stutzt einen Moment. „Na, so was!“ Er hebt verwundert die Augenbrauen. „Er hat violette Augen, mein Fürst. Er muss zu uns gehören, aber ich kenne ihn nicht.“

Einen langen Moment herrscht wieder Stille in seinem Kopf, diesmal sogar länger als erwartet, denn der Ostyoukai spürt, dass die Gedankenverbindung nicht abgebrochen ist. Stattdessen kriecht ihm nun ein eigenartiger Schauer den Rücken herunter und er spürt, dass der Fürst des Ostens gerade wegen irgendetwas aufgebracht ist. Noch immer hält das Schweigen an. Dann ertönt die angespannte Stimme: „Zeig ihn mir!

Nun wird es Heizu doch etwas unbehaglich. Der Fluch der allen Mitgliedern seines Volkes auferlegt ist, ermöglicht es ihrem Fürsten jederzeit ihre Gedanken lesen zu können und auch auf diese Weise mit ihnen zu sprechen. Es ist nicht möglich sich dagegen zur Wehr zu setzen. Doch es gibt auch keinen Grund dies zu versuchen. Der amtierende Fürst geht, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, sehr umsichtig mit diesem Umstand um.

Dass er jetzt plötzlich nicht nur Zugang zu seinen Gedanken sondern auch zu seinem Sichtfeld verlangt, verursacht eine namenlose Furcht in dem Ostkrieger. Denn das hieße, die Kontrolle über seinen Körper für eine Weile komplett beiseitezuschieben und sie der vereinnahmenden Präsenz seines Fürsten zu überlassen. Schon lange hat kein Fürst des Ostens mehr auf diese Möglichkeit zugegriffen und für Heizu kommt dieser Befehl jetzt doch sehr unerwartet. Mit bangen Gefühlen versucht er festzustellen, ob seine Befürchtungen stimmen.

„Was meint Ihr, mein Fürst?“, wagt er unsicher zu fragen.

Ich will ihn sehen!“, kommt die harte Bestätigung und er spürt, die völlig untypische Aufregung hinter den Worten seines Herrn.

Heizu schluckt einmal hart, doch er weiß, dass er nichts dagegen tun kann. Schon spürt er wie sein Bewusstsein beiseite gedrängt wird um einer anderen Präsenz Platz zu machen. Das unangenehme Gefühl keinerlei Kontrolle über seinen Körper zu haben, lässt ihn unwillkürlich zittern. Seine Augen bewegen sich ohne sein willentliches Zutun und nehmen jetzt den eigenartigen Fremden genau unter die Lupe. Und auf einmal fühlt er wie das Wesen seines Fürsten erschaudert. Das Gefühl von Schock und Unglauben ist so übermächtig, dass er völlig überwältigt zusammenklappt.

Doch sogleich ist das zweite Bewusstsein auch schon wieder aus seinem Körper verschwunden und nun findet er sich heftig zitternd und keuchend auf seinen Knien vor. Doch das Gefühl der Fassungslosigkeit will noch immer nicht verschwinden. Die ganze Entität des Ostfürsten scheint zu beben. Als er schließlich spricht, klingen seine Worte, als müsste er sich jedes Wort mit Gewalt abringen. „Bring sie alle her! Auf der Stelle!



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Von:  Yvibel
2022-10-09T13:47:37+00:00 09.10.2022 15:47
Sodele und wieder ein Stückchen weiter. Und ich sags nochmal: Was die beiden alles mitmachen müssen, bevor jemand auch nur mal in Erwägung zieht, vielleicht zu helfen. *seufz*
Das Kapitel hat einen so ein bisschen hin und her gerissen, muss ich sagen. Einerseits kann man den alten Hund verstehen. Manchmal will man einfach niemanden sehen und um sich haben und muss das erst Mal mit sich selbst ausmachen/verarbeiten.
Aber dann wiederum auch nicht unbedingt sooo schrecklich lang. Der arme. Auch wenn er geschlafen hat, klang das wirklich sehr einsam. Tja und davon abgesehen, hat Inuyasha natürlich auch Recht. Und am Ende war es dann auch wieder seine Direktheit, das was er denkt, einfach auszusprechen, die mehr erreicht hat, als alle Höflichkeit und dieses ewige -um den heißen Brei rumreden-. Selbst wenn er dabei den Ärger des Gegenübers riskiert. Irgendwann reicht es dann auch mal. Und das kapieren die anderen jetzt hoffentlich auch bald. Man darf weiter gespannt sein, was als nächstes passiert.
Bis dahin denn.^^
Grüßle Yvi
Von:  Yvibel
2022-09-27T11:41:02+00:00 27.09.2022 13:41
Ohje die Ärmsten, was die zwei alles mitmachen müssen, bevor sie überhaupt erst mal an Hilfe kommen..
Als ob nicht schon genug passiert wäre. Naja, nun sind sie also zumindest wieder ein Stückchen weiter. Ich hab auch Gänsehaut bekommen, als Inu und Kago in diesen Berg rein mussten. Ich hab zwar nicht direkt Angst aber ich mag Höhlen allgemein nicht besonders. Daher kann ich das Ganze ziemlich gut nachvollziehen, denke ich. Wär hätte gedacht, dass sie da drin auch wieder einem Hundedämon begegnen. Und dann der Beschreibung nach, so gigantisch groß. Bisschen lustig wars aber auch wieder, als die zwei nur vom schnuppern, weggepustet wurden. XD
Und Kago´s Kommentar Inuyasha würde sich schon wie Sessi anhören. Tja, was soll ich sagen, es bleibt eben in der Familie. *kicher* Und seine Vorstellung am Ende war beeindruckend. Ungewohnt aber...er hats wohl absolut richtig hinbekommen.
Schauen wir mal, was passiert, wenn der "Papa-Hund" erfährt, was sein Sohnemann gerade so treibt.
Bis zum nächsten Kapitel denn.
Yvi
Von:  Hotepneith
2022-09-25T17:02:48+00:00 25.09.2022 19:02
Was für eine nette klein Überraschung - und WIE klein. Der Schlussatz hat es allerdings auch in sich.
Inu Yasha wird zum Fürsten - das ist eine sehr höfliche Entschuldigung - und gleichzeitg auch der beste Weg um endlich mal voran zu kommen.
 
Sehr schön bildhaft beschrieben,. btw
 
 
hotep
Von:  Yvibel
2022-09-21T16:19:04+00:00 21.09.2022 18:19
Uih, ich freue mich, dass es nun weiter geht. :)
Obwohl das für´s wieder einsteigen bzw. weiter lesen, doch ein recht bedrückendes Kapitel war. Der arme Shimogawa. Wirklich keine leichte Aufgabe, die er da hat. Und dann mit diesem momentanen Anführer. Als ob die Sache an sich nicht schon schlimm genug wäre, wird ihm das ganze auch noch so erschwert und er zusätzlich gedemütigt. Wirklich nett...
Gut das Kouga dabei war. Dem hätte ich am liebsten einen dicken Schmatzer aufgedrückt, als er sich eingemischt hat und dem armen Boten ein bisschen geholfen hat. Trotz allem Ernst der Lage, musste ich grinsen. Ich schätze, unter anderem genau deshalb, hat Inuyasha das Wölfchen mitgeschickt. Kouga tut zwar immer so, als wären ihm "Die Hunde" ganz egal aber...naja....auch wenn keine große Sympathie herrscht...kommt man irgendwo doch damit klar. Ist immerhin ja auch, rein biologisch gesehen...Verwandtschaft. *lacht*
Na und jetzt hat der gute Kouga zumindest auch wieder was, worüber er sich mit Inuyasha dann später schön streiten kann, so wie wir das eben kennen. Tja, bin wie immer gespannt drauf, wie das weiter laufen wird.
Bis zum nächsten Kapitel denn.
Yvi
Von:  Hotepneith
2022-09-14T09:00:51+00:00 14.09.2022 11:00
Erst einmal eine Gratulation, dass du nach der doch langen Pause nicht nru die Musse gefunden hast weiterzumachen, sondern auch deinem Stil nahtlos treu geblieben bist.
Ich fand das Wort Truchsess bei Hundedämonen so richtig schön altmodisch - aber der Gute scheint ja durch absolut nichts zu erschüttern zu sein. Oder nimmt er die Nachricht nicht ernst? Nach dem Motto - die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube? Der Idiot ist doch nur rechtzeitig abgehauen?
Kouga hat da inzwischen auch eine ganz eigene meinung dazu. Wenn der wüsste, was inzwischen woanders los ist^. Aber klar, an mindestens der Hälfte seiner Lebensprobleme ist ein gewisser hanyou schuld.
 
Jedenfalsl würde ich mich freuen, wenn deine epische Story weitergeht.
 
 
hotep
Von:  Hotepneith
2021-10-07T19:27:59+00:00 07.10.2021 21:27
Ich war in Urlaub...
 
 
Hinosei schient sich irgendwie nach einem Ende zu sehnen, wenn sie ihr Leid beklagt - Unsterblichkeit quasi?
Der Trefen der beiden Daiyoukai mit dem armen Torwächter war so nett geschrieben- so herrlich doppelbödig udn so viele "nichts", dass man wirklich amüsiert war und zugleich aufpassen musste. Und ja, warum solte es der werte Emna Daio auch so gern haben, wenn Lebende durch sein reich dackeln..(Hm)... und alles durcheinander bringen? Er ist immerhin dafür verantwortlich.
ES - und Muttermord, na, das klingt nicht nru nahc einem Rätsel, dessen Lösung nur noch keiner weiß, sondern auch nach.... Kurz, es macht Katsuken noch ein bisschen sympathischer. Und ich tippe einfach mal ganz wild auf Tenseiga udn einen Sohn der Liebe eines Youkai, der ihm besseres benehmen beibringen wird....
 
hotep
Von:  Yvibel
2021-10-05T19:30:23+00:00 05.10.2021 21:30
So ernst das ganze auch ist. Es gibt doch immer wieder was zu lachen. Danke dafür! :)
Ich habe mich wieder mal prächtig amüsiert, mit Sessi und dem alten Gnom. Herrlich. Tja, wie kann man das am besten beschreiben...ich würde sagen alte Gewohnheiten wird man eben schwer wieder los. Gut das der kleine Wächter so nett war, Vater und Sohn ..ähm -nicht- einzuweihen. Jetzt darf man gespannt sein, wie Sesshoumaru dieses kleine aber nicht unerhebliche Problemchen wieder löst. Ich hatte schon ganz vergessen...oder verdrängt? das er jetzt einen doch merklich wichtigen Teil an Erinnerungen eingebüßt hat, der ihn jetzt wieder so...unnahbar macht. *seufz*
Was die Gegenseite angeht, die Salamander Dame scheint sich ja echt wohl zu fühlen bei dem übergeschnappten Herrn und das obwohl der sie immer umzubringen versucht. Was die Umstände des Ganzen angeht, bin ich wohl eindeutig zu blöd um da durchzublicken. ^^" Nunja, ich werde also einfach weiter abwarten und es dann hoffentlich irgendwann lesen, auf das ich erleuchtet werde. XD
Bis zum nächsten Kapitel denn.

Grüßle Yvi
Von:  Yvibel
2021-10-05T15:51:53+00:00 05.10.2021 17:51
Oh man, da hat das so freundlich angefangen und dann war´s doch wieder zum...bangen um die beiden. Was heißt war..denn eigentlich sind sie ja jetzt noch immer nicht außer Gefahr, im Gegenteil. *seufz* Also diese Mission ist alles andere als einfach. Aber die zwei werden das sicher hinkriegen. Wie immer eben. :) Sie ergänzen sich einfach gut. Und Kagome findet immer die richtigen worte wenn Inuyasha nicht mehr weiter kommt. Es ist irgendwie...einfach süß. ^^
Man spürt richtig wie schwer es vor allem dieser Kazeba offenbar fällt, mal nicht einfach zu töten, sondern doch erst mal den Kopf einzuschalten. hehe
Bin gespannt was unsere beiden da jetzt erwartet. Lässt ja schon erahnen das es nichts unbedingt Gutes ist. Mal sehen.
Bis dahin dann.

Grüßle Yvi
Von:  Hotepneith
2021-08-17T15:34:33+00:00 17.08.2021 17:34
Die Fürstin hat recht sich zu vergewissern ...Wenn Prophezeiungen ausgesprochen werden, weiß ja niemand wann sie eintreten und ob überhaupt. Allerdings klingt dieser Berg ja sondelrich verheißungsvoll ...Aber, da Inu Yasha und Kagome die wahrheit sagen, sollten sie es schaffen. Nur, da gibt es noch das kleine Namensproblem. Obwoh ...könnte sogar hilfreich sein.
 
Das Gespräch zwischen Inu Yasha und Kagome war gut geschrieben, sehr emotinal und doch auch erklärend.
 
hotep
Von:  Yvibel
2021-08-04T16:23:58+00:00 04.08.2021 18:23
Also wirklich, was Inuyasha alles aushalten muss und vor allem, was er sich so alles gefallen lassen muss, nicht zu fassen! Und das als jetzt amtierender Fürst. Er hätte definitiv eine Erholungspause verdient. Aber die scheint er wohl vorerst nicht zu kriegen. Obwohl so ein bisschen konnte er ja mit Kagome immerhin zusammen sitzen. Der Sonnenuntergang wäre sicher noch schöner gewesen, wenn die Situation nicht so gefährlich gewesen wäre. Und die Glühwürmchen...süß. :) Schade, dass er es ihr wieder nicht sagen konnte aber irgendwie auch verständlich. Schöner Moment aber trotzdem nicht der Richtige. Warten wir ab, er kommt sicher noch. Boah diese Stadt ist toll beschrieben, sehr groß anscheinend und gut befestigt alles. Ich glaube, die wären genau richtig für den Kampf gegen den Gefräßigen. *g* Mal schauen, wie es jetzt bei dieser Frau weiter geht, die überraschenderweise mal rote Haare hat. Nette Abwechslung. Na denn bis zum nächsten Kapitel.

Grüßle Yvi


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