Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 30: Feuer und Zerstörung --------------------------------    Feuer und Zerstörung       Laura war überrascht, dass sie nur eine halbe Stunde warten mussten, als sich plötzlich die weiße Tür zum Schrein öffnete und Ariane herausgeschossen kam. Schwer atmend blieb sie stehen und musterte die gesamte Gruppe, bis sie schließlich erleichtert meinte: „Ein Glück, es geht euch wirklich allen gut.“ Verwirrt hob Anne eine Augenbraue. „Natürlich geht es uns gut. Wie kommst du darauf?“ „Weil-“ Arianes Blick fiel auf Laura. „Na ja, nicht so wichtig.“ Lachend hüpfte sie die Stufen runter, die zum Schrein hinaufführten, und sprang Laura mit solcher Wucht um den Hals, dass sie diese damit zu Boden warf. Laura wusste zwar nicht, was Ariane vorhin damit gemeint hatte, aber sie war froh, dass sie nach ihrer Prüfung jedenfalls lachte. Im Gegensatz zu Susanne, die sich zwar über Arianes bestandene Prüfung freute aber immer noch sehr angeschlagen wirkte. Eigentlich hatte sich Ariane nicht allzu stark verändert. Zwischen ihren Fingern bemerkte Laura Schwimmhäute und entsprechend ihrer Energie strahlte Ariane auch weiß. Doch am auffälligsten waren ihre Augen. Der Augapfel war tiefschwarz, während ihre Iris weiß hervorstach und der Pupillenschlitz wieder schwarz war. Eigentlich hätte Laura die klassische Haiflosse auf ihrem Rücken erwartet, doch da war nichts. Vermutlich, weil eine Flosse am Rücken doch ziemlich unpraktisch wäre, würde sich Ariane nicht gerade im Wasser befinden und Leute erschrecken wollen. So wie alle anderen auch, verbarg Ariane ihre Dämonenform wieder, ehe sie Carsten auffordernd anschaute. „So, jetzt will ich was essen.“ „Warum hast du denn schon wieder Hunger? Wir haben vor etwa vier Stunden erst gegessen.“, fragte Anne genervt. „Genau, vor vier Stunden. Und im Gegensatz zu euch musste ich auch noch meine Prüfung absolvieren und brauch erst mal was zum Futtern, um mich zu beruhigen!“, erklärte Ariane aufgebracht. Sie muss sich beruhigen? Verwirrt schaute Laura Ariane an. Sie wirkte doch ganz munter… Doch da niemand sonst nachfragte, blieb auch sie still. Vielleicht war Arianes Prüfung doch nicht so einfach gewesen, wie ihre heitere Stimmung vermuten ließ. „Laura hat vorhin bei ihren Eltern angerufen und uns angekündigt. Sie müssten also wissen, dass wir bei ihnen zu Abend essen.“, meinte Carsten. Ein kalter Schauder lief über Lauras Rücken und sie schüttelte sich. Stimmt ja, morgen war sie mit ihrer Prüfung an der Reihe… Es war schon schlimm genug, dass sie die Letzte war, während alle anderen bereits ihre Dämonenform hatten. Aber noch schlimmer war, dass Laura jetzt die einzige war, die noch keine Dämonenform hatte! „Oh ja, dann teleportier uns endlich nach Yami!!!“, rief Ariane in begeisterter Erwartung, gleich etwas essen zu können. „Öh… hat unser Haus eigentlich auch eine Magiebarriere?“, erkundigte sich Laura zögernd. Sie hatte noch nie darauf geachtet. Wobei sie sich auch noch nie zuvor nach Hause teleportiert hatte. Carsten nickte als Antwort. „Du kannst dir ja den Wald zwischen Zukiyonaka und Obakemori vorstellen.“, schlug er vor und reichte ihr seine Hand. Laura tat wir ihr geheißen und als der Kreis vollendet war, stellte sie sich einen Weg in dem Wald vor, der von Zukiyonaka zu Obakemori führte und den sie als Kind öfter zusammen mit Benni gegangen war, um Eufelia-Sensei zu besuchen.   Sie spürte, wie die Kraftlosigkeit an ihr zehrte, als sie an besagter Stelle im Wald auftauchten.  Laura war nicht vollkommen entkräftet und hatte auch nicht das Gefühl, sofort zusammenzubrechen, aber dennoch fühlte sie, wie sie langsam an ihr Limit stieß. Carsten schien es bemerkt zu haben, denn er stützte ihren Arm, bis Laura so halbwegs wieder zu Atem gekommen war. „Keine Sorge, das war die so ziemlich letzte Teleportation.“, sprach er ihr aufmunternd zu. Laura nickte und befreite sich kurz darauf aus Carstens stützendem Griff, um den Waldweg entlangzugehen, der zu dem Haus ihrer Eltern führte. Es lag etwas außerhalb von Zukiyonaka, der Hauptstadt der Yami-Region und man würde eigentlich nur aufgrund des gepflasterten Weges und den in regelmäßigen Abständen stehenden Laternen erahnen können, dass hinter den Bäumen auf einmal eine Villa zum Vorschein kam. Es war ein seltsames Gefühl, nach einem viertel Jahr wieder vor der Villa des Regenten der Yami-Region zu stehen. Vor der Villa, die ihr Zuhause war. Von außen konnte man aufgrund der hohen Steinmauer, die ein kleines, schwarzes Dach zierte nur die Krone japanischer Bäume und hochgewachsener Sträucher sehen. Sie durchschritten das schwarze, verschnörkelte Eingangstor, durch dessen Gitter Außenstehende die einzige Möglichkeit hatten, einen Blick auf die Villa werfen zu können. Die Mädchen, die weniger Reichtum gewohnt waren, staunten nicht schlecht, als sie sich umschauten. Zwar war es hier nicht so prunkvoll wie das Schloss, in dem Anne lebte, doch sie hatte ihren eigenen Charme. Die Villa war, wie das Hauptgebäude der Coeur-Academy, U-Förmig und hatte eine braungraue Steinfassade, die zwischendurch von massiven, dunklen, senkrecht stehenden Holzbalken und mehreren großen Fenstern mit einem Holzgitter unterbrochen wurde. Das Dach bestand wie das kleine Dach auf der Mauer aus dunkelbraunen bis schwarzen Ziegelsteinen und lief am Rand immer etwas schwungvoll nach oben aus, während die Ecken spitz zuliefen. Die zweite Etage wirkte durch die ‚normaleren‘ Bogenfenster etwas moderner und an beiden Außenseiten konnte man einen kleinen Balkon sehen. Der Garten zeigte bereits alle möglichen Grüntöne der an der Mauer stehenden Bäume und Sträucher und entlang der Fassade der Villa waren noch nicht blühende Rosenstöcke und -büsche gepflanzt. Abwechselnd am Weg, der zur Villa führte, waren Laternen und kleine, schmale Kirschbäume angereiht und daneben befand sich ein kleiner Springbrunnen aus demselben Stein wie auch die Mauer gemacht war. Laura ging voran und führte die anderen über den Steinweg zur dunkelbraun bis schwarzen Holzeingangstür. Kaum war sie die drei Stufen zur Tür hinaufgestiegen öffnete sich diese auch schon und Rebecca fiel ihr um den Hals. „Laura, wie schön, dich endlich wieder zu sehen!“, rief sie begeistert. Laure erwiderte zögernd die Umarmung.  „Was machst du denn hier?“, fragte sie ihr inzwischen ehemaliges Kindermädchen verwirrt. Diese zuckte mit den Schultern. „Euer Butler hat sich die zwei kommenden Wochen über Ostern Urlaub genommen und als ich gehört habe, dass du vorhattest zu kommen, hab ich schnurstracks meine Sachen gepackt und bin für ihn eingesprungen.“ Erst jetzt bemerkte Laura, dass sie ihre Dienstkleidung trug. „Ach so… Das ist Rebecca. Sie war so was wie mein Kindermädchen.“, stellte Laura Rebecca dem Rest der Gruppe vor, die sie noch nicht kannten. „Freut mich.“, grüßte Rebecca freundlich. Öznur stutzte. „Moment… Rebecca Misier?!?!?“ Rebecca nickte. Anne überlegte laut. „Misier… Hieß nicht auch so…“ „Mein Nachbar!“, beendete Öznur aufgebracht Annes Satz, während die anderen, Rebecca inklusive, nicht an sich halten und loslachen mussten. „Ach ja, Özlem Albayrak, oder?“, vergewisserte Rebecca sich. „Nicht ganz, Öznur. Özlem ist meine große Schwester.“, berichtigte sie. Rebecca wandte sich an die ganze Gruppe. „Ihr scheint meinen Vater bereits zu kennen?“ „Oh ja.“, antwortete Ariane kichernd. Da fiel Rebeccas Blick auf die drei Jungs. Die einzigen Gesichter aus Lauras Freundeskreis, die ihr bekannt waren. „Hallo Eagle, schön zu sehen, dass du auch mit von der Partie bist.“ „Hi.“, erwiderte Eagle die Begrüßung freundlich. „Oh mein Gott, Carsten! Dich hab ich ja ewig nicht mehr gesehen! Du hast dich kein bisschen verändert!!!“, rief sie erfreut und knuddelte Carsten so, wie sie es schon immer gemacht hatte, als er noch ein kleiner Junge war. Sehr zum Amüsement der anderen. Carsten wurde knallrot im Gesicht. „Ich hoffe schon, dass ich mich etwas verändert habe.“ Schließlich ließ Rebecca ihn endlich los, um Benni eindringlich mustern zu können. „Also Carsten hat sich ja kein bisschen verändert, aber du wirst von Mal zu Mal grimmiger.“, stellte sie enttäuscht fest. „Freut mich auch, dich zu sehen.“, erwiderte Benni sarkastisch. Rebecca kicherte. „Kommt doch rein, Lauras Eltern warten schon mit dem Abendessen.“ „Essen!“, rief Ariane begeistert und düste an den anderen vorbei in das Innere des Hauses, das ebenfalls eine Mischung aus dem klassischen japanischen Stil und modern vornehm war. Klassisch japanisch war zum Beispiel, dass es Brauch war, außen die Schuhe auszuziehen, wie Ariane beschämt feststellen musste, als Rebecca sie zurückrief. Sie wäre sowieso nicht weit gekommen, da sie keine Ahnung hatte, wo sich Küche und Speisesaal befanden. Rebecca ging voran und führte sie im Erdgeschoss nach links. Dort öffnete sie die Schiebetür bei der sich Laura schon immer gefragt hatte, ob sie wirklich aus Papier bestand. Kaum waren sie eingetreten, wurden sie auch schon von der strengen Stimme ihres Vaters begrüßt, welcher am Tischende einer langen Holztafel saß. „Willkommen, wir haben euch bereits erwartet.“ „Hallo, O-Too-Sama, hallo O-Kaa-Sama…“, grüßte Laura ihn und ihre Mutter, dem ein nahezu im Chor gemurmeltes „Guten Abend.“ der anderen folgte. O-Too-Sama forderte sie auf, sich zu setzen, was die Gruppe ohne Wenn und Aber befolgte. Laura wusste nicht wieso, doch irgendwie hatte er diese herrschaftliche, autoritäre Ausstrahlung und obwohl er keine antike Begabung hatte, wollte man sich lieber nicht mit ihm anlegen. Kurz darauf brachte Rebecca mit der Magd das Abendessen: Sushi und Reis. Das alles natürlich nicht mit normalem Besteck, sondern Stäbchen. Schmunzelnd beobachtete Laura, wie Ariane ihr erst beim Mittagessen erlerntes Wissen an die anderen weitergab, die sich genauso ungeschickt mit den Stäbchen anstellten, wie einst Ariane. Doch bis auf Arianes Erklärungen herrschte ein bedrücktes Schweigen, das schließlich O-Kaa-Sama zu brechen versuchte: „Und Benedict, was machst du inzwischen nach deinem Schulabschluss?“ „Dasselbe, wie Ihre Tochter.“, antwortete Benni knapp, ohne von seiner Schale Reis aufzuschauen. Lauras Vater runzelte nicht sehr begeistert die Stirn. „Du bist also auch auf der Coeur-Academy?“ Benni nickte und ging nicht weiter darauf ein. Doch Lauras Vater schaute seine Tochter vorwurfsvoll an. „Warum hast Du uns nichts davon erzählt?“ Weil du ihn nicht leiden kannst. Nein, das konnte Laura nicht antworten. Aber was sonst? Doch zum Glück rettete Carsten ihr den Hals. „Nun ja, Laura ist sicher davon ausgegangen, dass Sie es hätten wissen müssen. Immerhin ist es bis auf Indigo, Ivory, Spirit und Mur selbstverständlich, dass ein antiker Begabter nach seinem Mittelschulabschluss auf die Coeur-Academy geht.“ O-Too-Sama räusperte sich. „Nun, da hast Du natürlich Recht, junger Mann. Ich hätte es in der Tat wissen müssen. Was ist mit Dir? Du stammst doch aus Indigo. Gehst Du dennoch auf die Coeur-Academy?“ Carsten nickte und Laura entging es nicht, dass Eagle neben ihm spöttisch die Augen verdrehte. Sonst ging das Abendessen zum Glück recht schnell vorbei. Lauras Eltern unterhielten sich natürlich weitgehend mit Anne und Eagle und meist ging es um irgend so einen gehobenen-Gesellschafts-Quatsch, von dem Laura sowieso keine Ahnung hatte. Nach dem Abendessen ging die Gruppe hoch in ihr Zimmer, was die meisten Mädchen natürlich sofort ausnutzten, um genau unter die Lupe zu nehmen, wie sie einst gelebt hatte. „Du warst schon immer so Manga-verrückt…“, stellte Ariane fest, als sie die ganzen Manga Zeichnungen und Poster an den Wänden hängen und ein Bücherregal überwiegend mit Manga gefüllt sah. Laura lachte verlegen auf. Ja, war sie. Wobei es eigentlich Bennis Schuld war, der in der Grundschule in der Schulbibliothek mal in einem Detektiv Conan Band geschmökert hatte! Aber natürlich war es auf Japanisch gewesen und obwohl das eigentlich Lauras Muttersprache war, konnte sie fast gar nichts lesen. Trotzdem hatten sie die Zeichnungen in ihren Bann gezogen und Laura hatte kurz darauf ein paar interessante Mangas auf Damisch entdeckt. „Und sie hatte schon immer eine Vorliebe für schwarz.“, bemerkte Anne nüchtern. Na ja, schwarz war Lauras Zimmer nicht. Eigentlich war es mit seinen nussbraunen Möbeln sehr gemütlich. Doch die schwarzen Plastikrosen auf ihrem Schreibtisch, an ihrem Spiegel und am Schrank sprachen Bände. Abgesehen davon waren die meisten Mangaposter auch eher düster und mit Vampiren. Schließlich war es endlich Zeit zum Schlafen. Die Teleportationen hatten doch ganz schön an Lauras Kräften gezehrt und sie hoffte, durch den Schlaf wieder fit genug für die morgen bevorstehende Prüfung zu werden. Die Mädchen gingen auf eins der zwei Gästezimmer, obwohl Laura vorgeschlagen hatte, dass sie auch bei ihr schlafen konnten. Immerhin Ariane konnte sie damit überzeugen, welche sich neben Laura in das große Bett kuschelte. Benni und Carsten hatten sich in ein leerstehendes Zimmer der Bediensteten gerettet, sodass Eagle sich in dem zweiten Gästezimmer schön breitmachen konnte. Eigentlich hatte Laura vorgehabt, Ariane über ihre Prüfung auszuquetschen, weil sie bisher noch keinem davon erzählt hatte. Doch ehe sie sich versah, war Ariane bereits ins Traumland entschwunden. Seufzend schloss Laura die Augen in der Hoffnung, einfach einschlafen zu können. Doch der Regen, der permanent und in Tonnen vom Himmel schüttete, hielt sie die ganze Zeit wach. Ein blendend heller Blitz ließ Laura hochschrecken, gefolgt von einem laut krachenden Donner, bei dem sie vor Schreck zusammenzuckte. „Nane?“, flüsterte Laura neben sich, doch Ariane schlief seelenruhig weiter, als wäre es tatsächlich möglich, dieses Gewitter zu überhören. Fröstelnd vergrub sich Laura unter ihrer Decke. Eigentlich hatte sie seit sie auf die Mittelstufe ging keine Angst mehr vor Gewitter gehabt, sondern fand es immer extrem aufregend. Doch dieses Gewitter und das Wissen, dass sie morgen dem Schwarzen Löwen gegenüber stehen würde in Kombination, ließ sie am ganzen Körper zittern. Ein weiterer Blitz, dicht gefolgt von einem weiteren Donner sorgte dafür, dass Laura es nicht länger aushielt. Sie brauchte jemanden, der sie beruhigen konnte. Der in der Lage war, die Angst von ihr zu nehmen. Vorsichtig tastete sie sich aus ihrem Bett und schlich auf nackten Zehnspitzen und in ihrem Schlafkimono aus ihrem Zimmer, um Ariane nicht zu wecken. Als es wieder blitzte hielt sich Laura die Ohren zu, als würde sie das vor dem folgenden Donner beschützen. Laura folgte dem Gang um die Ecke und hielt sich bei jedem Blitz erneut die Ohren zu. Sie warf einen Blick auf den dunklen Gang. Würde sie um die nächste Ecke gehen, wäre am Ende das Schlafzimmer ihrer Eltern. In einer Nacht, etwa einen Monat nach Lucias und Lucianos Tod, als es auch so schlimm gewittert hatte, hatte sich Laura zu ihren Eltern geflüchtet. Doch diese hatten sie nur wieder auf ihr Zimmer gescheucht mit dem Argument, sie sei doch kein Baby mehr, das sich vor dem bisschen Donner fürchten müsse. Aber Laura konnte trotzdem nicht einschlafen, sie hatte trotzdem viel zu große Angst gehabt. Also hatte sie sich zu der Person geflüchtet, die ihr als nächstes in den Sinn gekommen war. Eine Person, die sicher imstande wäre, sie vor dem grellen Licht und dem ohrenbetäubenden Krach zu beschützen. Sie war zu Benni gegangen. Natürlich hatte sie ihn geweckt, als sie eingetreten war. Das war bei seinem leichten Schlaf schon vorprogrammiert gewesen. Doch als er ihr verweintes Gesicht gesehen hatte, war er einfach nur zur Seite gerückt und hatte Laura sich an ihn kuscheln lassen. Benni hatte gar nichts gesagt, er hatte ihr nur beruhigend über den Kopf gestreichelt und kurz darauf war sie auch schon eingeschlafen. Und jetzt stand sie vor demselben Zimmer wie vor etwa zwölf Jahren. Laura spürte, wie das Blut in ihren Kopf schoss. Damals als sie noch Kinder waren, hatte sie sich nichts dabei gedacht, zu Benni ins Bett zu krabbeln. Doch jetzt, wo sie älter waren, konnte man das sehr leicht missverstehen… Ein weiterer Blitz und ein weiterer Donner ließen Laura zusammenzucken. Ob zweideutig oder nicht, sie hielt es nicht mehr aus! Vorsichtig öffnete sie die Tür, da blitzte es schon wieder. Laura wollte erschrocken aufschreien, brachte aber keinen Ton zustande. So schnell wie der Blitz aufleuchtete, hatte sich Benni in seinem Bett aufgerichtet, zeitgleich seine Pistole unter dem Kissen hervorgezogen, entsichert und auf Laura gerichtet. Der Donner klang in Lauras Ohren wie der Schuss der Pistole und sie sackte schluchzend in die Knie. Sie hörte, wie Benni schwer atmend fragte: „Laura?“ Da er flüsterte, schien Carsten schon friedlich zu schlafen. „J-ja… B-bitte nicht schießen…“, schluchzte sie, so leise wie sie konnte. Aus dem Nichts tauchte eine kleine Flamme auf, die die Kerze auf dem Nachttisch erleuchtete. Vorsichtig hob Laura den Kopf, als Benni sie fragte: „Was willst du hier?“ Ein erneutes Donnern ließ Laura zusammenzucken. „Ich- ich kann nicht einschlafen…“ Benni seufzte und ließ seine Pistole wieder unter dem Kissen verschwinden. „Und da kommst du zu mir?“ Laura nickte und aus ihren Augenwinkeln stahlen sich kleine Tränen. Schluchzend wischte sie sie weg und musterte Benni zum ersten Mal genauer. Er wirkte irgendwie erschöpft und auf seiner Stirn befanden sich kleine Schweißperlen. Außerdem atmete er immer noch so schwer, als wäre er mit Lauras Ausdauer einen Marathon gerannt. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt nach. Benni schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. War er etwa krank?!? Vorsichtig schlich sie zu seinem Bett rüber. Tatsächlich sah er übel mitgenommen aus und Laura fragte sich, ob sie vielleicht doch Carsten wecken sollte. Benni wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und als sich sein Atem wieder halbwegs beruhigt hatte, erwiderte er auf Lauras besorgten Blick: „Ich hatte wieder diesen Traum.“ Jetzt verstand Laura auch, warum Benni die ganze Zeit so übermüdet wirkte. Warum er sich sogar weigerte, zu schlafen! Beschämt wich sie seinem ruhigen aber trotzdem müden Blick aus, als ein weiterer Donner sie wieder zusammenzucken ließ. Benni seufzte erneut und hob die Decke. Als Laura noch nicht einmal diese Geste verstand, meinte er nur: „Komm. Wenn du so deinen Schlaf findest…“ „Aber du-“ „Ich werde sowieso nicht mehr schlafen können.“, widersprach er, bevor Laura überhaupt dazu kam, ihre Sorge zu äußern. Ihr Herz schlug unverschämt schnell und laut, als sie sich neben ihn legte und er die Decke über sie zog. Bennis vertrauter Duft stieg in ihre Nase und lächelnd schloss sie die Augen, während sie sich an seine Brust kuschelte. Sie spürte seinen immer noch schnellen Herzschlag und merkte, dass sein Körper tatsächlich zitterte. Was war das für ein verdammter Traum, der ihm so zusetzte?!? Doch dieser Gedanke war schnell verflogen, als Benni ihr langsam über den Kopf streichelte. Hier gehörte sie hin. Bei keinem sonst würde sie Trost oder Schutz finden können. Das Gewitter schien für Laura in weite Ferne gerückt. Sie hörte nur noch Bennis Herzschlag, roch seinen Duft und spürte seine beschützende Hand auf ihrem Kopf, als sie endlich weg döste.   „Laura, wach auf! Es gibt Frühstück!!!“ Gähnend streckte sich Laura und öffnete blinzelnd ihre Augen, als Ariane endlich von ihr abließ. Verwirrt schaute sie sie an. War sie nicht bei Benni gewesen? „Alles in Ordnung?“, fragte Ariane besorgt. Langsam dämmerte es Laura. War das alles etwa nur ein Traum gewesen?!?!? Erschrocken richtete sie sich auf. „Nein!“ „Was?!? Nicht? Was ist denn los?!? Bist du krank? Soll ich Susanne oder Carsten holen?!?“ Ariane war aufgesprungen und rannte aufgebracht auf und ab, bis sie schließlich auf die Idee kam, zur Tür zu stürzen. „Nein, nein, nein! Warte!“, hielt Laura sie davon ab, die Tür zu öffnen. „Es ist nichts… Ich… Ich hab nur seltsam geträumt.“ Ariane atmete erleichtert auf und setzte sich wieder auf die Bettkante. „Kein Wunder. Als Rebecca vorhin gekommen war und mich gebeten hatte, dich zu wecken, hat sie gemeint, dass es gestern Nacht wohl ganz schön gewittert hatte.“ Laura warf einen prüfenden Blick aus der Balkontür, deren samtroten Vorhänge bereits zurückgezogen waren. Es regnete immer noch in Strömen, doch von dem Gewitter war keine Spur mehr. Sie seufzte. Es war wirklich nur ein Traum… Ariane schien ihre Stimmung bemerkt zu haben, aber sie sagte nichts, sondern legte ihr nur aufmunternd eine Hand auf die Schulter. Vermutlich weil sie dachte, dass Laura wegen ihrer bevorstehenden Prüfung so geknickt war. Na ja, wegen der war sie auch geknickt. Nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie zusammen mit Ariane zum Speisesaal. Auf dem Weg dorthin trafen sie Carsten und Benni, die eben ihr Zimmer verließen. „Hey Laura, wie hast du geschlafen?“, grüßte Carsten sie, in bester Laune. „Gut danke.“, antwortete Laura. Ja, sie hatte sogar sehr gut geschlafen, doch sie war trotzdem betrübt, dass sie das alles nur geträumt hatte. Carsten kicherte und verpasste Benni einen Rippenstoß, welcher ihn einfach ignorierte und die Treppe runter ins Erdgeschoss ging. Traurig seufzte Laura. Benni hatte trotzdem wieder diesen Albtraum gehabt, ob sie nun davon geträumt hatte oder nicht. Aber Carstens Kichern hatte sie dennoch etwas aus der Bahn geworfen. Ariane schien auch irritiert. „Was ist daran so lustig, dass Laura gut geschlafen hat?“ Carsten zuckte zwar nur mit den Schultern, aber sein schelmisches Grinsen verriet, dass er etwas wusste, von dem Ariane nicht den blassesten Schimmer hatte. Aber was gibt es denn so Interessantes zu wissen? Mit einem Schlag wurde Laura knallrot im Gesicht. Dann war es also doch kein Traum… Auch wenn ihr nun das Geschehene der vergangenen Nacht total peinlich war, machte ihr Herz einen kleinen Freudensprung. Unten im Speisesaal angekommen wurden sie von den anderen begrüßt, die bereits allesamt beim Frühstücken waren. Auch ihre Eltern. „Guten Morgen.“, grüßte O-Too-Sama die Eintretenden. „Morgen.“, murmelte Laura, noch etwas verschlafen und setzte sich auf ihren Platz an dem großen dunklen Holztisch, um sich ihrem Brot, der Butter und dem Nutella zu widmen, als sich ihr Vater räusperte. „Ich möchte beim Frühstück eigentlich nicht von geschäftlichem sprechen doch…“ „Schatz, bitte. Nicht jetzt.“, unterbrach O-Kaa-Sama ihn, doch Lauras Vater winkte einfach ab. „Doch, das muss jetzt sein. So müssen wir nicht extra nach Indigo, um dies zu besprechen.“ Seufzend gab Lauras Mutter nach und Lauras Vater wandte sich an Eagle, der beim Erwähnen seiner Region stutzig von seinem Nutella Brot aufgeschaut hatte. Irgendwie schien es O-Too-Sama zu gefallen, was Eagle da aß, denn er meinte: „Es freut mich zu sehen, dass ihr denselben Geschmack habt. Das sind schon mal gute Voraussetzungen.“ „Gute Voraussetzungen für was?“, fragte Laura kritisch, der bei diesem Thema langsam mulmig wurde. Was hatte ihr Vater denn so Geschäftliches mit Eagle zu besprechen, bei dem es um ihren ähnlichen Geschmack ging? Abgesehen davon, dass ihr Geschmack total unähnlich war und Eagle halt nur zufälliger Weise dasselbe wie sie frühstückte… „Nun ja… Wie Du weißt, Eagle, denken Dein Vater und ich schon länger über eine Verbindung zwischen Yami und Indigo nach. Du wirst in einem halben Jahr volljährig und daher habe ich beschlossen, Dich in unsere Pläne einzuweihen und zu fragen, ob Du damit überhaupt einverstanden bist. Immerhin wollen wir Dich ja zu nichts zwingen. Doch wenn Du dein Einverständnis gibst, Eagle, wüsste ich nicht, woran es noch scheitern sollte.“ Eagle schien verstanden zu haben, worum es ging, denn er senkte leicht beschämt den Kopf und schien zu überlegen, was er antworten sollte. „Moment… Wovon redet ihr?“, fragte Laura, die keinen Plan hatte, worum es ging. Nur, dass Eagle und ihr Geschmack damit zu tun hatten. „Na um eure Vermählung.“, antwortete ihr Vater, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Laura verschluckte sich an der Milch und schaute ihren Vater entgeistert an. Er sprach von ihrer und Eagles Hochzeit?!? Und warum zum Teufel fragte er nur nach Eagles Einverständnis?!?!?!? Betrübt senkte Laura den Kopf und sie merkte, wie sich die Tränen in ihren Augen sammelten und sie sofort anfangen würde zu heulen, wenn Eagle sein Einverständnis geben würde. Aber sie wollte ihn nicht heiraten! Abgesehen davon war sie doch gerade erst fünfzehn! Sie war noch gar nicht in dem Alter, in dem man in eine Ehe ging! Aber konnte sie das einfach so sagen? Würde ihr Vater nicht total ausrasten, wenn sie ihm vor so vielen Leuten widersprechen würde? Und was würde Eagle denken? Er war zwar sehr oft ein totales Arschloch, aber im Prinzip doch ein guter Mensch. Würde sie ihm nicht damit das Herz brechen? Betrübt hob Laura den Kopf und warf einen kurzen Blick auf Eagle, der sie beobachtet hatte, während er über eine Prinz-gerechte Antwort nachdachte. Schließlich meinte er: „Ich fühle mich bei diesem Angebot sehr geehrt und ich versichere Ihnen, ich freue mich sehr darüber. Doch ich möchte nicht mit einer Frau zusammen sein, wenn sie meine Gefühle nicht erwidert.“ Überrascht schaute Laura Eagle an. Nicht nur sie, auch die anderen warfen ihm vieldeutige Blicke, gemischt aus Kritik, Bewunderung, Neugierde und noch mehr zu. Doch Laura empfand in diesem Moment nur zwei Sachen für ihn. Dankbarkeit und Schuld. Sie fühlte sich schuldig, dass sie seine Gefühle für sie erst gar nicht bemerkt hatte und auch nicht wirklich erwidern konnte, doch sie war ihm dankbar, dass er auf ihre Gefühle Rücksicht nahm, von denen er wusste, dass die meisten nicht sonderlich positiv an ihn gerichtet waren. Lauras Vater räusperte sich erneut. „Nun, das ist gut nachvollziehbar und ich respektiere Dich für diese rücksichtsvolle Entscheidung. Doch Dein Vater wird nicht sehr erfreut sein, wenn er erfährt…“ O-Too-Sama dachte für ein paar Sekunden nach, als er offensichtlich eine Idee bekam. „Und was ist mit Dir, Crow? Wenn ich mich nicht irre, liebst Du meine Tochter und sie ist dir auch sehr freundschaftlich zugewandt.“ Warum zum Teufel will er mich so unbedingt mit einem der beiden verkuppeln?!? Wütend funkelte Laura ihren Vater an. Ich bin in Benni verliebt! Merkst du das nicht?!? Doch da machte sie eine zweite Sache stutzig. „Du liebst mich?!“ Den Schrecken ins Gesicht geschrieben starrte Laura Carsten an. „Okay, das wirft uns jetzt auch aus der Bahn.“, meinte Öznur, klang aber nicht so aus der Bahn geworfen wie Laura. Doch Carsten lachte einfach. „Mein Gott, dass Sie sich noch an das erinnern, was ich vor etwa sieben Jahren gesagt habe.“ Er lächelte Lauras Vater freundlich an. „Es stimmt, ich liebe Laura.“  Jetzt grinste Carsten Laura frech an. „Wie eine kleine Schwester. Und ich kann doch nicht meine kleine Schwester heiraten.“ Erleichtert ließ sich Laura zurück in ihren Stuhl sinken, während ihr Vater nachdenklich die Finger verschränkte. „Aber mit wem sollte ich sie sonst verheiraten?“ „Ich bin erst fünfzehn.“ Vorwurfsvoll schaute Laura ihren Vater an. Abgesehen davon würde es doch überhaupt keinen Sinn machen, jetzt über irgendwelche Hochzeiten nachzudenken, wenn sie in etwa einem Monat sowieso höchst wahrscheinlich sterben würde. „Und abgesehen davon steht es doch schon fest, wen Laura später mal heiraten wird!“, warf Ariane ein. O-Too-Sama schaute sie verwirrt an. Ariane stöhnte auf. „Na Benni! Mainstream und so was! Haben Sie noch nie einen Kitschroman gelesen?“ „Nein, offensichtlich nicht.“, erwiderte Lauras Vater, während Laura vor Scham noch tiefer in ihren Stuhl sank, um so bald wie möglich unter dem Tisch zu verschwinden. „Doch das kommt nicht infrage!“ Bei O-Too-Samas lauter Stimme wäre Laura tatsächlich fast vom Stuhl gefallen. Ariane runzelte die Stirn, klang aber etwas eingeschüchtert, als sie fragte: „Wieso denn nicht? Im Prinzip ist Benni gar nicht mal so übel und ich denke, er mag Laura auch.“ Trotz ihres hochroten Gesichts fragte sich Laura, woher Ariane das wissen wollte. Zwar hatte er sie gestern Nacht zu sich ins Bett gelassen, aber das hieß noch lange nicht, dass er sie wirklich mochte. Laura war sich ja noch nicht einmal sicher, ob er ihr die Sache mit Chip tatsächlich schon verziehen hatte. „Ihr denkt doch nicht wirklich, ich werde meine Tochter an diesen Waldläufer ohne Identität geben? So wie der sich ernährt wird er später garantiert nicht in der Lage sein, seine Kinder gesund großzuziehen. Oder wie will er gar den Siebenerrat leiten, wenn ich nicht mehr bin? So einen gottlosen Kerl soll ich zu meinem Nachfolger machen?!? Der noch nicht einmal an Gott glaubt, wohlbemerkt? Ein Sünder, der es noch nicht einmal einsieht, zur Beichte oder gar einfach so mal in die Kirche zu gehen?! Oh nein, vergiss es Laura. Dieser Kerl ist der Falsche für dich!“ Entgeistert schaute Laura ihren Vater an. Nun rannen doch Tränen über ihre Wangen, doch ihr Vater nahm noch nicht einmal Notiz davon. „Lass Dir eins gesagt sein, junge Dame: Wenn Du mit dem etwas anfängst, enterbe ich Dich und lasse Lukas meine Nachfolge antreten.“ Laura wusste nicht, was sie sagen sollte. Hasste er Benni so sehr? Aber sie- sie liebte ihn doch! Und was dachte Benni gerade?!? Hatte Lauras Vater ihn nun verletzt? Schluchzend verbarg Laura ihr Gesicht hinter ihren Händen, als sie spürte, wie Ariane einen Arm um ihre Schultern legte. „Schatz, beruhige dich. Wir haben Gäste.“, redete O-Kaa-Sama beschwichtigend auf ihn ein. O-Too-Sama seufzte resigniert. „Du hast Recht… Entschuldigt bitte. Doch dieses Teufelskind raubt mir eines Tages noch den Verstand…“ Laura hörte das Knarzen, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde und kurz darauf, wie Bennis ruhige Stimme komplett gefühllos sagte: „Amen.“ Erschrocken schaute sie auf. Ohne ein weiteres Wort verließ Benni den Raum. Laura wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie starrte einfach nur auf ihr bisher überhaupt nicht angerührtes Nutella Brot und hoffte, dass sie gleich aufwachen würde.   ~*~   Benni verließ das Anwesen der Familie Lenz und zog sich aufgrund des starken Regens die Kapuze seines Pullovers über den Kopf. Die Worte von Leon Lenz hatten ihn nicht wirklich verletzt, er hatte sie bereits öfter zu Ohren bekommen. Dennoch fand er sie belastend. Zügig durchschritt er das verschnörkelte Eingangsportal und ging hinaus in den Wald, folgte erst dem gepflasterten Weg und nahm bei einer Abzweigung die Richtung nach Süden, die ihn an sein erwünschtes Ziel bringen würde: Die Hütte seiner Meisterin in Obakemori. In dieser Richtung war der Weg sehr bald nur noch ein Trampelpfad und nur diejenigen, die mit diesem Pfad bereits gut vertraut waren, konnten ihm folgen. Er war gerade erst seit vier Minuten unterwegs, als er von dem Anwesen der Lenz hörte, wie die Eingangstür in die Angeln fiel und Schritte dieselbe Route entlang rannten, die er bereits genommen hatte, begleitet von einem angestrengten Keuchen. Selbstverständlich wusste Benni unverzüglich, um wen es sich dabei handelte. Doch er beachtete diese Person nicht weiter und setzte seinen Weg nach Obakemori fort. Etwa vier Minuten später schien sie ihn schließlich entdeckt zu haben. „Benni, warte!!!“, schrie Laura, bereits vollkommen außer Atem. Er wandte sich ihr zu, damit Laura nicht noch mehr ihre Kräfte beanspruchte und ihre Schritte verlangsamen würde. Doch sie rannte immer noch, bis sie unverhofft ausrutschte und auf den Rücken stürzte. „D-da war ein rolliger Ast.“, erklärte Laura voller Scham und wollte sich aufrichten, bevor Benni dazu kam, ihr seine Hilfe anzubieten. Allerdings rutschte sie wieder auf dem nassen Laub aus, ehe sie überhaupt auf die Beine gekommen war. Noch bevor sie erneut dazu kommen konnte auszurutschen, bot Benni ihr seine Hand an, die sie mit errötetem Gesicht annahm. Laura trug bloß ein schwarzes, verziertes T-Shirt und einen schwarzen, kurzen Rock und es fiel nicht schwer zu erkennen, dass sie völlig durchnässt war und am ganzen Körper zitterte. Benni überkam ein bei ihm unerwünschter Hauch Sorge, als er sie da so unter der Kälte und des Regens leidend vor sich stehen sah. Doch ungeachtet dessen, redete Laura, stur wie sie war, auf ihn ein: „Benni, bitte komm wieder zurück! Es tut mir leid, dass O-Too-Sama so gemein war, ich…“ Schluchzend klammerte sie sich an seinen nassen Pullover. „Es ist meine Schuld! Würde ich dich nicht so sehr mögen, wäre es ihm vermutlich völlig egal, aber so-“ Benni schob Laura von sich, damit er ihr in ihre traurigen, braunen Augen schauen konnte, die ihn mit so viel Liebe anschauten, dass sich Benni unter ihrem Blick automatisch falsch aufgehoben fühlte. „Ich bin nicht gegangen, weil mich dein Vater verletzt hat.“, erklärte er schnell, bevor ihr Blick ihn in Verlegenheit bringen konnte. Ein Teil der Schuldgefühle fiel von Laura ab. „Nicht? Aber warum dann?“ „Ich habe noch Fragen an Eufelia-Sensei.“, antwortete er. Denn Benni hatte das beklemmende Gefühl, dass sie ihnen bei ihrem letzten Besuch nicht wenig verschwiegen hatte. „A-Ach so… Dann komm ich mit!“ Benni schüttelte den Kopf. „Du musst zum Schrein, deine Prüfung absolvieren.“ Er merkte, dass sie ihm widersprechen wollte, doch sein eindringlicher Blick ließ sie schweigen. Ihm war klar, dass Laura es vermutlich lieber hätte zu wissen, dass er außen wie alle anderen warten würde. Doch diese Untätigkeit wäre Unsinn, wenn er stattdessen über den ‚Unzerstörbaren‘ recherchieren konnte. „Geh zurück, du wirst dich noch erkälten.“, forderte Benni sie auf. Hartnäckig schüttelte Laura den Kopf. Seufzend musterte er den Dickschädel. Wenn sie nicht bald zurückgehen würde, würde sie sich wahrhaftig noch erkälten… Also zog er seinen Kapuzenpullover aus und reichte ihn ihr. Verwirrt musterte Laura ihn. „Zieh ihn an und geh zurück. Du erkrankst sonst wirklich noch.“ Benni war leicht amüsiert, als sich Lauras Wangen wieder rötlich färbten, als sie den Pulli überzog und die Kapuze aufsetzte. Er fand ihre Reaktion… süß? War das der treffende Ausdruck dafür? „Na gut dann… Bis später.“, verabschiedete sie sich und rannte den Weg zurück, den sie gekommen war. Benni seufzte. Nun würde er pitschnass werden. Na gut, alternativ könnte er auch mithilfe seiner Wasser-Energie den Regen von sich fernhalten. Doch eigentlich mochte er das Kühle, Erfrischende, weshalb er es letztlich einfach bleiben ließ. Er führte seinen Weg fort, als schließlich ein grau-weißer Wolfshund aus dem Gebüsch sprang und ihn anknurrte. „Hallo Wolf.“, grüßte Benni zurück. Er hatte sich schon gefragt, wann Wolf endlich aus seinem Versteck kommen und aufhören würde, ihn zu beobachten. Wolf knurrte ihn erneut an. ‚Du möchtest zu Eufelia?‘ Benni nickte, als von hinten ein Quietschen auf ihn zugestürmt kam und er kurz darauf von Chip ausgeschimpft wurde, warum er ihn nicht mitgenommen habe. ‚Gute Frage, warum hast du ihn nicht mitgebracht?‘, erkundigte sich Wolf. „Er sollte ein Auge auf Laura werfen, aber daran ist er ja offensichtlich nicht interessiert.“ Chip gab ihm mit einem zufriedenen Kopfnicken Recht. Inzwischen hatte er seinen Weg fortgesetzt, doch weder Wolf noch Chip blieben zurück. ‚Was empfindest du für dieses Mädchen?‘, fragte Wolf nach einer Weile. Benni überlegte, doch er wusste keine Antwort. ‚Du liebst sie, ist es nicht so?‘ Dieses Mal klang Wolfs Knurren ungewohnt bedrohlich. ‚Denke daran, dass Liebe eine Schwäche sein kann. Deine Gegner werden sie gewissenlos ausnutzen, wenn sie sie erst entdeckt haben.‘ Nachdenklich verschränkte Benni die Arme vor der Brust. Johannes hatte auch einst diese Vermutung geäußert, doch Benni konnte sich immer noch nicht damit anfreunden. Er war nicht in Laura verliebt. …Oder? Wie fühlte es sich überhaupt an, verliebt zu sein? Wolf schien seine anarchischen Gedanken zu missachten und fuhr stattdessen mit einem weitaus zufriedeneren Knurren fort: ‚Wobei… Andererseits kann ich dich verstehen, sie ist sooooo schön. Und so niedlich!‘ Irritiert musterte Benni ihn. „Aha…“ Unterdessen taten sich die Bäume auf und gaben eine kleine Lichtung frei, auf welcher das ihm so familiäre Haus seiner Meisterin stand. ‚Na dann geh ich mal wieder.‘, verabschiedete sich Wolf und war mit einem Sprung in dem düsteren Wald verschwunden. Benni öffnete die alte Holztür und trat ein. „Guten Morgen, Benedict.“, grüßte ihn die traute Stimme seiner Lehrmeisterin, die wie gewohnt auf der Insel in der Mitte des sternförmigen Teiches saß. Benni nickte kurz und ließ sich und Chip durch seine Feuer-Energie trocknen, ehe er sich seiner Meisterin gegenüber setzte. „Du hattest eine kleine Diskussion mit Wolf.“, stellte sie fest. Konnte man dieses Gespräch wirklich als Diskussion bezeichnen? Dennoch nickte Benni. „So in etwa.“ Um Eufelias Lippen zuckte ein Lächeln. „Ich wäre auch daran interessiert: Liebst du die Prinzessin?“ Er seufzte. Warum war jeder daran interessiert, wie er für Laura empfand? „Ich weiß es nicht und das ist nun auch nicht von Bedeutung.“ „Nicht?“, Eufelia-Sensei musterte ihn. „Wann dann?“ Sie seufzte ebenfalls. „Benedict, ich bin mir im Klaren, dass du nicht in der Lage bist, deine Reaktionen und die deines Körpers zu deuten und sie Gefühlen zuzuordnen. Zum Teil fühle ich mich selbst dafür schuldig, da ich dir ihre Bedeutungen nie erklärt habe und auch nicht in der entsprechenden Position war, sie dir näher zu bringen. Auch, wenn du es immer perfekt beherrscht hast, im Kampf deine Gefühle auszuschalten, musst du dir im Klaren sein, dass es etwas gibt, dass dich sowohl schwächen als auch stärken kann.“ „Wenn sie mich auch schwächen könnten, warum sollte ich dann Gefühle zulassen?“ „Weil sie dich zu einem Menschen machen.“, antwortete Eufelia-Sensei. Verwirrt schaute Benni auf, doch er merkte, dass seine Meisterin ihn damit von dem eigentlichen Grund aus dem er hier war abwenden wollte. Also sprach er endlich das aus, was ihm seit dem letzten Besuch nicht aus dem Kopf wollte: „Warum habt Ihr uns so viel über den Unzerstörbaren verschwiegen?“ Eufelia-Sensei seufzte. „Du scheinst in der Tat wenig Wert auf deine Gefühle zu legen… Aber gut, ich werde deine Fragen weitgehend versuchen zu beantworten.“ „Wer ist er?“ „Die Menschen haben ihn nach dem Kriegsgott Mars benannt. Er ist ein durch und durch bösartiges Wesen, das über die Energie der Zerstörung herrscht.“ „Ein Dämon?“, folgerte Benni. Eufelia-Sensei nickte. „Der ‚Purpurne Phönix‘. Einer der drei ‚Gottesdämonen‘, laut der Dryaden.“ „Woher wisst Ihr all das?“, fragte Benni kühl, um seine Neugierde weitgehend zu verdecken. Seine Meisterin lächelte ihn traurig an. „Weil ich ihn gemeinsam mit meiner Schwester und ihrem Verlobten zurzeit des magischen Krieges sehr verärgert habe… und nun giert er nach Rache.“ Benni hielt inne. Warum erwähnt sie das? Kaum hatte er seinen Gedanken vollendet, schossen aus dem Boden gewaltige Flammen, die ihn und seine Meisterin einkesselten und gefangen hielten. Der Raum wurde in ein grausiges Rot getaucht und schwarzer Rauch bildete sich über ihren Köpfen. Nur dank seiner Feuer-Energie war Benni dazu in der Lage die Flammen auf Abstand zu halten. Ein unwohles Gefühl überkam ihn, als er merkte, dass ihm all das hier bekannt vorkam. Er hatte es immer und immer wieder durchleben müssen… in seinen Träumen. „Ich bitte dich, Benedict, erfülle meinen letzten Willen: Lerne, deine Gefühle in den rechten Augenblicken zuzulassen.“, sprach Eufelia-Sensei ruhig. Der sternförmige Teich war nicht mehr dazu in der Lage, seine Meisterin zu schützen. „Eufelia!“, rief Benni über das Flammenmeer hinweg und bemühte sich, das Feuer mit seiner Energie von seiner Meisterin fern zu halten, doch es gehorchte nicht seinem Willen. Ein stechender Schmerz fuhr durch sein Herz als er erkannte, dass ihre Situation aussichtslos war. Dass er sie nicht würde retten können. Die Flammen fielen gnadenlos über sie her und verbrannten ihren Körper zu einer schwarzen, leblosen Hülle. Benni kniff die Augen zusammen. Das ist nur ein Traum, wie sonst auch. Nur ein Traum! Doch es hatte keinen Sinn, sich das einreden zu wollen. Ebenso wenig durfte er sich jetzt von dem Schmerz übermannen lassen, der sich in seinem Herzen ausbreitete. Er musste hier raus. Und zwar schnell. Benni drehte sich um und versuchte, durch den dichten, schwarzen Rauch den Eingang zu erkennen, dessen Tür anscheinend offen stand. Doch so sehr er sich auch konzentrierte, die Flammen wollten nicht weichen. Er war gefangen. Der Rauch, der sich in seine Lunge brannte, ließ Benni erstickt husten, während er nach einer weiteren Fluchtmöglichkeit suchte. Doch alle Ausgänge, sogar die Treppe zum Dachgeschoss und die Zimmerdecke, wurden von dem purpurn lodernden Feuer versperrt. Er hörte ein verängstigtes Quietschen an seinem Ohr. Chip zitterte am ganzen kleinen Körper und winselte vor Angst. Benni ließ das kleine Eichhörnchen in seine Hand springen und kraulte es beruhigend hinter den Öhrchen. Er wollte nicht, dass Chip seinetwegen auch noch sterben musste… Er durfte es nicht zulassen. Benni kam eine Idee, die jedenfalls seinen kleinen Freund retten könnte. „Es wird alles gut…“, versprach er ihm, schloss die Hand um das kleine Tier und warf ihn durch die Flammen und die offenstehende Tür nach außen. Chip quietschte erschrocken auf, doch Benni hörte, dass er es unversehrt überstanden haben musste, als er sich außen in wenigen Sätzen von der Feuerquelle entfernte. Erleichtert, dass jedenfalls Chip es raus geschafft hatte, atmete Benni auf, ehe der Rauch in seinen Lungen ihn zu einem erneuten Husten zwang. Würde er hier und jetzt sterben, so wie seine Meisterin? Eine Welle von Trauer überkam ihn. Genau, Eufelia-Sensei war tot, sein Zuhause brannte nieder. Würde es überhaupt einen Sinn haben, wenn er das alles hier überleben würde? Das Feuer hätte dann alles zerstört und ihn alleine zurückgelassen. Doch wenn er nun wirklich sterben würde, würde er Laura und Carsten nie wieder sehen können… Das ohrenbetäubende Kreischen eines Vogels ließ ihn zusammenzucken. Er wandte sich der Richtung zu, aus der dieses Geräusch kam. Die Flammen bildeten sich zu einem gigantischen Kopf eines Phönixes, der die Asche des Daches herunterrieseln ließ und Benni aus seinen leuchtenden purpurnen Augen teuflisch anschaute. Benni wich einen Schritt zurück. Er merkte, wie sein ganzer Körper zitterte und keinem seiner Befehle würde befolgen können. … Fühlte sich so Angst an? Der Phönix stieß ein erneutes Kreischen aus, öffnete den flammenden Schnabel und kam mit rasender Geschwindigkeit auf ihn zu. Benni kniff die Augen zusammen und hob schützend die Arme vor sein Gesicht, als die Flammen erst nur an seinem Körper nagten, dann zubissen und ihn schließlich verschlangen. Vom Schmerz überwältigt drang ein lautloser Schrei aus Bennis Kehle, seine Knie gaben nach und er schlug auf dem harten Boden auf. Benni nahm nur noch eine schemenhafte Bewegung einer durchsichtigen Gestalt wahr, ehe die Welt von Dunkelheit verschlungen wurde.   ~*~   Seufzend setzte sich Carsten auf die steinernen Treppen des Schreins des Schwarzen Löwen, um dank des schwarzen Daches nicht im triefenden Regen stehen zu müssen. Lauras Vater war unmöglich. In wenigen Sekunden hatte er es geschafft, seine Tochter zum Weinen zu bringen, sodass diese nun völlig durcheinander im Tempel war und ihre Prüfung absolvieren musste. Wobei Benni es anscheinend geschafft hatte, sie zu beruhigen, als Laura ihm im Regen nachgerannt war. Ein Lächeln stahl sich von Carstens Lippen, als er wieder das Bild vor Augen hatte, als Laura vor Wasser triefend zurückgekommen war, aber Bennis Kapuzenpullover anhatte. So langsam schien sich ihre Beziehung endlich mal in die richtige Richtung zu bewegen. Besonders wenn er daran dachte, dass sich Laura gestern Nacht bei dem Gewitter zu Benni geflüchtet hatte… Besorgt warf Carsten einen Blick in den Wald, der nach einigen Meilen zu Obakemori wurde. Er hatte sich auch gefragt, ob Eufelia-Sensei nicht vielleicht noch mehr wusste, aber es ärgerte ihn, dass Benni alleine hingegangen war und zwar ausgerechnet dann, wenn Laura ihre Prüfung zu absolvieren hatte. Ihr hätte besonders seine geistige Unterstützung so gut getan… Manchmal hielt selbst Carsten seinen besten Freund für herzlos. „Es riecht nach Rauch…“, murmelte Lissi plötzlich. „Sell dir vor, du Blitzmerkerin. Warum wohl? Vielleicht, weil Eagle mal wieder eine raucht?!?“, zischte Anne sie zynisch an. Lissi schüttelte den Kopf. „Ein anderer Rauch.“ Nun schnupperte auch Ariane in der Luft. „Lissi hat Recht, ich riech’s auch!“ „Ich nicht.“, widersprach Anne schnippisch. „Das liegt daran, dass sich eure Sinne entsprechend eures Dämons verbessert haben.“, erklärte Eagle und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Ein aufgebrachtes Quietschen, das aus dem Wald zischte und in Carstens Gesicht landete, ließ ihn zusammenzucken. Chip quietschte immer noch aufgebracht, während er Carstens Gesicht zerkratzte und an ihm zerrte, bis Carsten es schließlich schaffte, sich vor Bennis kleinem Eichhörnchen-Freund zu retten. „Was hast du? Du musst mir ja nicht gleich das ganze Gesicht blutig kratzen.“, beschwerte er sich, doch da Chip immer noch komplett aus der Fassung war, machte er sich langsam Sorgen. „Komisch. Erst dieser Rauchgeruch und kurz darauf taucht auch noch dieses kleine Gespenst in Eichhörnchen-Gestalt auf, das sich immer an meinen Bennlèy klettet.“, bemerkte Lissi. Ihre vermutlich völlig gedankenlose Äußerung ließ Carsten hochschrecken. Stimmt, warum ist Chip nicht bei Benni?, fragte er sich. War vielleicht irgendetwas passiert?!? Das würde immerhin erklären, warum das kleine Eichhörnchen ein so großes Gezeter machte. Auch Eagle schien das gedacht zu haben, als er seine Zigarette ausdrückte und kurz darauf seine Dämonenform annahm. „Ich seh mal nach.“, erklärte er kurz, ehe er seine gewaltigen, grauen Adlerschwingen entfaltete und sich vom Boden abstieß. „In Obakemori brennt’s!“, rief er von oben zu ihnen runter. Carsten war froh, dass er bereits saß, denn mit einem Schlag schien sein gesamtes Blut zu weichen und er keuchte erschrocken auf. „Benni wollte doch noch mal zu Eufelia-Sensei nach Obakemori…“, bemerkte Ariane, bevor auch sie realisierte, was vermutlich einige Meilen südlich von ihnen vor sich ging, wo sich Carstens bester Freund befinden musste. „Oh Gott…“ Carsten sprang auf die Beine, wäre aber taumelnd eingeknickt, hätte Anne ihn nicht rechtzeitig gestützt. „Wir müssen hin!“, rief er, während die Sorge um Benni und Eufelia ihm alle Kräfte raubte. „Dann flieg ich schon mal vor.“, meinte Eagle weitaus ruhiger und flog auch schon in die Richtung, in der der Rauch emporstieg. „Ich komme mit, Carsten. Wenn es wirklich ein Brand ist, könnte meine Energie hilfreich sein.“, bemerkte Öznur. Carsten nickte matt, war aber zu aufgebracht, um irgendetwas Hilfreiches machen zu können. Plötzlich übertrumpfte ein stechender Schmerz auf seiner Wange die ganzen kleinen Kratzer von Chip. Anne hatte ihn geohrfeigt. „Jetzt reiß dich mal zusammen! Das Leben deines besten Freundes ist vielleicht in Gefahr und du bekommst aus Angst um ihn einen Schwächeanfall?!? Du musst los und ihn retten, verdammt noch mal!!!“ Carsten atmete tief durch und versuchte, seine aufgebrachten Gefühle zu beruhigen. Anne hatte Recht. „Okay, wenn ihr nach zehn Minuten nichts von uns hört, kommen am besten noch ein paar von euch nach…“ Er reichte Öznur seine Hand und teleportierte sie an die Grenze zwischen Obakemori und Yami. Sie rannten so schnell ihre Beine sie tragen konnten durch den Wald, bis sie an jene Lichtung kamen. Jene Lichtung, die nun in ein unheimliches rot-lila gehüllt war. Keuchend blieb Carsten stehen. Er konnte seinen Augen nicht trauen. Das gesamte Haus stand in Flammen! Züngelnde, lodernde Flammen, die sich in den regnenden Himmel emporhoben. Eagle stand davor und konzentrierte sich offensichtlich darauf, den Wind still zu halten, damit das Feuer nicht auf benachbarte Bäume übersprang. „Ich kann es nicht löschen!“, rief Öznur aufgebracht. „Benni?!?“, schrie Carsten in die Flammen, doch von Benni kam keine Antwort. „Vielleicht ist er schon draußen…“, hoffte sie. Carsten schüttelte den Kopf. „Und würde dann einfach so verschwinden, ohne zu versuchen, das Feuer zu löschen? Das passt nicht zu ihm.“ „Dann müssen wir wohl oder übel da rein.“, folgerte Eagle. „Wie denn?!? Das Feuer gehorcht mir nicht!“, widersprach sie panisch. Doch Eagle meinte ruhig: „Versuch es einfach.“ Öznur atmete tief durch und konzentrierte sich auf den Eingang, der nur noch verkohltes Holz war. Tatsächlich machten die Flammen ihnen einen Weg frei. Ohne weiter nachzudenken stürmte Carsten in das Innere des Hauses, dicht gefolgt von Eagle und Öznur. An einer Stelle befanden sich keine Flammen. Carsten dachte, irgendetwas großes, ein gewaltiges Tier, wegfliegen zu sehen, doch das wurde für ihn uninteressant, als er die Person entdeckte, nach der sie gesucht hatten. „Benni!“, rief Carsten und rannte zu seinem besten Freund, der regungslos auf dem Boden lag. Vorsichtig drehte Carsten ihn auf den Rücken. „Oh Scheiße.“, äußerte Eagle nur, während Öznur würgte und schnell den Blick abwandte. Bennis Arme, sein Oberkörper und auch zum Teil sein Gesicht waren mit einer schwindelerregenden Menge Blut bedeckt. Bennis Blut, wie Carsten schaudernd feststellen musste. Und noch dazu kamen die fürchterlichen Brandwunden, die er an seinen Armen und seinem Oberkörper sah, welcher nur noch Teils von dem zerfetzten schwarzen T-Shirt bedeckt wurden. Sein Atem war schwach und ging stockend, doch Carsten war erleichtert, dass er überhaupt noch atmete. Mit seiner Magie sammelte Carsten den Sauerstoff von außen und schuf ihnen eine Blase, damit sie nicht den Rauch einatmeten. „Wir müssen ihn hier rausbringen!“, rief er zu Öznur. Zwar hatte Carsten immer einen Erste-Hilfe-Kasten in seiner Hosentasche, den er mit Magie verkleinert hatte, doch er hätte es lieber, wenn sie Benni und sich erstmal in Sicherheit bringen könnten. Diese nickte und konzentrierte sich darauf, ihnen den Weg wieder öffnen zu können. Doch da tat sich nichts. „Verdammt, warum funktioniert das nicht?!? Wir sind doch auch reingekommen!“ „Anscheinend lässt sich das Feuer nur dann kontrollieren, wenn es jemandem schaden würde, aber nicht, wenn es retten könnte. Sonst hätte der eiskalte Engel es vermutlich noch rausschaffen können.“, bemerkte Eagle nüchtern. „Aber warum?!? Mein Dämon herrscht über das Feuer und ich habe sogar schon meine Dämonenform! Also warum kann ich es dann nicht kontrollieren?!?!?“, schrie Öznur verzweifelt. Eagle seufzte. „Keine Ahnung…“ Schluchzend sackte Öznur in die Knie. „Ich will nicht sterben…“ „Keine Sorge, wir werden hier irgendwie schon rauskommen, ganz sicher.“, redete Eagle tröstend auf sie ein und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. Immer noch schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in seiner Brust, während Eagle sie zögernd in die Arme schloss. Er warf Carsten einen ziemlich eindeutigen Blick zu, der sagte: ‚Glaub mir, wenn wir hier nicht rauskommen, wird nicht das Feuer für deinen Tod verantwortlich sein.‘ Seufzend schaute Carsten sich um. Wer weiß, wie lange die Sauerstoffblase noch ihren Dienst erfüllen konnte, doch viel mehr Sorgen bereitete ihm das Feuer. Wenn sie nicht irgendwie hier rauskämen, würden sie vermutlich alle verbrennen… Doch seltsamer Weise hatte sich der Kreis nicht verkleinert, den die Flammen bisher um sie zogen. Einen Blick auf den Boden erklärte auch, warum. Ein riesiges, verziertes Pentagramm war auf den Boden geritzt, welches nur die Klaue eines gewaltigen Tieres hätte zeichnen können. Das Feuer würde ihnen also nicht direkt etwas anhaben können, doch sie würden so lange ausharren müssen, bis endlich Hilfe kam… Bedrückt wandte sich Carsten Bennis Verletzungen zu und verarztete sie vorerst so gut es ging, als plötzlich ein Regentropfen auf seine Nase fiel. Verwirrt schaute er nach oben. Die Flammen wurden bereits kleiner und das Wasser gewann immer mehr die Oberhand. „Versuch es noch einmal!“, forderte er Öznur auf, die sofort einen Versuch startete, der auch gleich gelang. Mit einem Freudenschrei rannte Öznur in den Gang, den die Flammen ihnen geöffnet hatten und wartete ungeduldig auf Carsten und Eagle, die sich jeweils vorsichtig einen Arm von Benni über die Schultern legten und ihn so nach außen, raus aus den erstickenden Flammen trugen. „Danke.“ Erleichtert schaute Carsten Lissi, Anne und Susanne an, die vor dem Haus standen und offensichtlich für ihre Rettung verantwortlich waren. „Meine Wasser-Energie sagt: Bitte schön, Darling.“, trällerte Lissi, bevor sie voller Sorge Benni betrachtete, der immer noch von Eagle und Carsten gestützt wurde. Anne verdrehte die Augen, sagte aber nichts. „Wir müssen ihn schnell zurück nach Yami bringen.“, meinte Carsten und holte sein Handy aus der Hosentasche, um es Anne zu geben. „Kannst du bitte vorgehen und einen Notarzt rufen? Er soll zu der Kreuzung von Zukiyonaka, dem Lenz Anwesen und dem Weg zu Obakemori kommen.“, bat er sie. „Und rufe danach bitte Saya an und erkläre ihr, was passiert ist. Sie ist Kurzwahl drei.“ Anne nickte und war kurz darauf auch schon mit der Geschwindigkeit einer Kampfkünstlerin davongerannt. Derweil machten sich die anderen auf den Weg, Benni ebenfalls zum Ende von Obakemori zu bringen, um auf jenen Weg zu kommen, wo der Krankenwagen auf sie warten sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)