Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 29: Mut zum Leben -------------------------    Mut zum Leben       Ariane stieß einen Seufzer aus, als sie auf ihre Armbanduhr schaute und bemerkte, dass Susi inzwischen schon dreieinhalb Stunden weg war. Es war bereits Zeit fürs Mittagessen, aber sie tauchte einfach nicht auf! Schlafen konnte Ariane auch nicht. Auch, wenn sie wegen diesen bescheuerten Gruselgeschichten todmüde war, brachte sie es doch nicht übers Herz, seelenruhig vor sich hinzuträumen, während eine Freundin gerade ihre Prüfung für die Dämonenform absolvierte. Gerade, als sich Ariane fragte, wo sie hier im Wald überhaupt ein gemütliches Plätzchen zum Schlafen finden könnte, öffnete sich die lustige runde Holztür zum Dämonenschrein. Ariane sprang begeistert auf und wollte Susi entgegenrennen, um ihr zu gratulieren, denn eine Susi bestand natürlich jede Prüfung, als sie stutzend inne hielt. Ja, Susi hatte die Prüfung bestanden, das zeigte sich deutlich an ihren runden, flauschigen Bärenohren, ihren dämonischen Augen, die außen noch grün-blau aber innen rosa waren und ihrem pinken Leuchten. Aber sie weinte!!! „Susi? Oh mein Gott Susi, was ist denn passiert?!?!?“, rief Lissi aufgebracht und stürmte sofort zu ihrer älteren Zwillingsschwester, die sich schluchzend in ihre Arme warf. „Ich- Die Prüfung war grausam! Ich hasse den Pinken Bär!!!“ „Was?“ Zwar klang Annes Frage immer noch distanziert und kühl, doch Ariane konnte einen Hauch Sorge in ihren Augen sehen. „Ich…“ Susanne schien nicht zu wissen, was genau sie darauf antworten sollte, doch sie war so fertig mit sich und der Welt, dass Ariane automatisch vermutete, dass während dieser Prüfung etwas ganz ganz Schlimmes passiert war. Carsten war als erster der anderen bei ihr. Sanft legte er seine Hand auf ihre Schulter. „Was ist denn passiert?“ „Ich- Ich musste ein Kind töten!“, schrie Susanne. Ihre Knie schienen nachzugeben, denn Carsten stützte sie etwas. Ariane klappte die Kinnlade herunter. „Du musstest… was?“, fragte Laura, genauso wenig in der Lage, das zu realisieren, wie Ariane selbst. Susanne hatte ihr Gesicht in Carstens Pulli vergraben und hielt mit einer Hand seinen und mit der anderen immer noch Lissis Arm fest, als sie antwortete: „Um die Prüfung zu bestehen musste ich ein Kind töten, um einen alten Mann zu retten und-“ Ihr Bericht erstarb in einem weiteren herzzerreißenden Schluchzen. Inzwischen war auch Ninie bei Susanne und hatte mitfühlend ihre Hand auf die gelegt, mit der Susanne sich an Carsten klammerte. „Der Pinke Bär meinte, er hätte seinen Charakter von einem von euch.“ Unter Tränen schaute sie Carsten an. Dieser runzelte verwirrt die Stirn, fragte aber nicht weiter nach. Vermutlich, weil er nicht wollte, dass Susanne sich noch elender fühlte. Ariane konnte ihre Gefühle nur zu gut verstehen. Ihr wurde immer noch übel, wenn sie an jene Nacht zurückdachte, in der sie mit ihrer Licht-Energie tausende Unterweltler getötet hatte. Aber Susanne musste ein höchst wahrscheinlich unschuldiges, kleines Kind töten! Verärgert biss sie sich auf die Unterlippe. Was hat sich dieser Pinke Bär dabei gedacht?!? Carsten hatte Susanne derweil zu einem liegenden Baumstamm geholfen, den Eagle während ihrer Wartezeit angeschleppt hatte. Dort half er ihr, sich hinzusetzen und setzte sich neben sie, um ihr tröstend einen Arm um die Schultern zu legen. Lissi setzte sich auf die andere Seite und tat dasselbe, während sich Janine vor sie kniete. Ariane setzte sich neben Janine und legte eine Hand auf Susannes zitterndes Knie. Sie wusste nicht, was sie sonst machen oder sagen sollte. Sie hoffte, diese Geste würde immerhin etwas trostspendend sein. Ein trauriges Lächeln umspielte Susannes Lippen, als sie ein kleines, geschnitztes Eichhörnchen aus ihrer Hosentasche holte und es betrachtete. „Das hatte er mir am Abend zuvor geschenkt…“ Ariane musterte das Eichhörnchen verwirrt. Susanne hatte doch gemeint, dass sie ein Kind töten musste… Aber diese kleine Figur sah so krass gut aus, dass sie nie und nimmer vermuten würde, dass ein Kind sie gefertigt hätte. Auch Carsten schien irritiert. „Das hat dir dieses Kind geschenkt?“ Susanne nickte und erneut liefen ihr Tränen über die Wangen. „Ich konnte auch nicht glauben, dass er es selbst geschnitzt hat…“ Aber Carstens Verwunderung schien sich nicht auf die künstlerischen Fähigkeiten gerichtet zu haben, denn er holte das haargenaue Ebenbild des Eichhörnchens aus seiner Hosentasche. Ungläubig starrte Susanne erst ihn und dann das Eichhörnchen an. „Das warst du?!“ Doch Carsten schüttelte den Kopf. „Ich habe es, so wie du, geschenkt bekommen.“ „Aber wer-“ Sie brach ab. Selbst Ariane wusste, dass die Antwort mehr als offensichtlich war. Susannes Blick löste sich von Carsten und richtete sich auf Benni, der etwas abseits an einem Baum lehnte und ihn ausdruckslos erwiderte. Kurz darauf schaute sie betroffen auf ihre Hände. „Natürlich… Zu wem sonst würde die Bezeichnung Waldläufer besser passen, als zu-“ Ihre Stimme versagte und sie klammerte sich wieder an Lissi, während sie wieder von ihren Tränen übermannt wurde. „Ich- ich habe dich getötet! Es tut mir so leid, Benni, ich habe dich getötet!!!“ „So ein Unsinn. Benni lebt, dass siehst du doch!“, widersprach dieses Mal Laura, die knapp hinter Ariane stand und selbst mit den Tränen zu kämpfen hatte. Susanne schüttelte den Kopf. „Nein, das war Benni!“ Ariane überkam eine gewaltige Welle an Aggression, als sie bemerkte, dass gerade die Person, wegen der Susanne weinte, immer noch vollkommen emotionslos abseits am Baum lehnte, während sogar Chip teilnahmsvoller war und Susanne mit hängenden Öhrchen betrachtete. Auch Carsten schien von Bennis Teilnahmslosigkeit genervt, denn er forderte ihn auf Indigonisch auf, etwas zu machen. Na gut, eigentlich hatte Ariane kein Wort verstanden, aber das hätte jedenfalls sie zu dem eiskalten Engel gesagt. Der eiskalte Engel öffnete den Mund, als wolle er etwas erwidern, schloss ihn aber kurz darauf wieder und tat nichts. Ariane wollte schon mit einer Moralpredigt losdonnern, als Susanne wortlos ihren Platz neben Carsten und Lissi verließ und zu dem eiskalten Engel rüber ging. „Ich glaube, das gehört dir…“, schluchzte sie und hielt ihm das kleine Eichhörnchen hin. Zu Arianes Überraschung machte der eiskalte Engel tatsächlich etwas. Er nahm Susannes Hand und schloss sanft ihre Finger wieder um das Eichhörnchen. „Wenn es ein Geschenk des Jungen war, wüsste ich nicht, warum es mir gehören würde.“ „Weil du dieser Junge warst und ich dich-“ Wieder begann Susanne zu weinen. Betrübt überlegte Ariane, wie sie sie beruhigen könnten. War das überhaupt möglich? Immerhin hatte sie nun ein kleines Kind, genauer gesagt einen kleinen Benni, auf dem Gewissen. Würde sie je darüber hinwegkommen können? Nein…, dachte Ariane traurig. Der Angriff der Unterweltler war bereits vor über einem Monat und sie hatte sich immer noch nicht damit abfinden können. Wie würde Susanne dann damit fertig werden, wenn sie mit dem kleinen Benni auch noch so gut befreundet war? „Das war nicht ich, sondern lediglich eine Kopie meiner selbst.“, widersprach der eiskalte Engel ruhig. Doch selbst das konnte Susanne nicht beruhigen. „Ob Kopie oder nicht, das warst du! Ich habe dich umgebracht!!!“, schrie sie und sackte in die Knie. Lissi war schon aufgesprungen und wollte zu ihrer Schwester rennen, als Carsten sie zurückhielt. „Das hat keinen Sinn… Wenn jemand die Schuldgefühle von ihr nehmen sollte und könnte, dann nur Benni.“, murmelte er, eher zu sich selbst. Doch Lissi setzte sich nur widerwillig und sichtlich besorgt zurück auf den Baumstamm. „Dann sollte er auch etwas machen.“, flüsterte Ariane verärgert zu Carsten, doch sie hatte ganz vergessen, dass der eiskalte Engel aufgrund seiner verdächtig guten Sinne sie so oder so hören konnte. Aber was? Auch wenn sie ihn nicht leiden konnte, weil er Laura so oft zum Weinen brachte, konnte Ariane nachvollziehen, dass der eiskalte Engel mit dieser Situation vermutlich völlig überfordert war. Immerhin gelang es noch nicht einmal Lissi, Janine oder Carsten, Susanne zu beruhigen und die drei standen ihr von allen noch am nächsten. Hinzu kam, dass der eiskalte Engel ihre Situation vermutlich überhaupt nicht kannte, beziehungsweise noch nicht einmal richtig verstehen konnte. Also wie war jemand ohne Gefühle in der Lage, jemanden mit Gefühlen zu trösten? Zögernd kniete sich der eiskalte Engel vor sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. Chip balancierte über seinen Arm und ließ sich in Susannes Schoß fallen, um von dort mit seinen glänzenden, schwarzen Knopfaugen zu ihr hoch zu schauen. Ariane dachte, ein Lächeln über Susannes Lippen huschen zu sehen, als sie vorsichtig begann, Chip am Kopf zu kraulen, welcher genüsslich die Augen schloss. Sie wusste nicht, wie lange sie nun schon da saßen, doch ganz langsam schien sich Susanne tatsächlich zu beruhigen. Schließlich hob sie ihren Blick und schaute Benni in die Augen. „Er hatte mich gebeten, ihn zu töten…“ Verwirrt runzelte Ariane die Stirn. Hieß das, dass der reale Benni in seiner Kindheit Todeswünsche hatte?!?!? Auch Laura schien die Andeutung verstanden zu haben. Geschockt schaute sie Benni an. „Du wolltest damals sterben?!? …Warum?“ Besorgt stellte Ariane fest, dass sich in Lauras Augen mal wieder Tränen sammelten. „W-Wieso denn das?“, fragte auch die süße Ninie besorgt. Da jeder ihn fragend, teils auch geschockt und besorgt musterte und Carsten offensichtlich nicht vorhatte zu antworten, seufzte der eiskalte Engel schließlich. „Ich möchte nicht darüber sprechen…“ Jetzt war Ariane noch verwirrter. Gab es tatsächlich ein Thema, das den eiskalten Engel so belastete, dass er als Kind den Wunsch verspürt hatte, zu sterben? Ein Thema über das er immer noch nicht reden wollte?! Doch die anderen, sogar Eagle, Anne und Lissi, schienen seinen Wunsch zu berücksichtigen. Vermutlich war es auch besser so, wenn sogar der eiskalte Engel indirekt damit gemeint hatte, dass ihm dieses Thema unangenehm war. Inzwischen war Carsten aufgestanden und zu seinem besten Freund und Susanne rüber gegangen. Er beugte sich zu Susanne runter und half ihr auf, nachdem Chip wieder auf Bennis Schulter zurück gehopst war. „Geht es dir besser?“, erkundigte er sich liebevoll. Susanne brachte ein schwaches Nicken zustande. Zwar schluchzte sie immer noch etwas, doch sie zitterte nicht mehr und wirkte um einiges ruhiger als vor einer Stunde und war auch in der Lage, ihre Dämonenform zu verbergen. Eigentlich hatte Ariane vorgehabt, ihrem Magen zuvorzukommen und ihren Hunger selbst anzukündigen, doch ein lautes Grummeln ihres Bauches machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Einige schauten sie amüsiert an, als Ariane offensichtliches aussprach: „Ich hab halt Hunger! Meinem Bauch kann man nicht mit Taktgefühl kommen.“ Die Rücksicht auf Susanne war nämlich der einzige Grund gewesen, warum sie sich mit ihrer Beschwerde zurückgehalten hatte. Immerhin schien ihr Bauch Susanne langsam in die Normalität zurück zu bringen, denn sie konnte ihr Kichern nicht unterdrücken. Carsten warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Kein Wunder, es ist auch schon halb drei.“ „Dann mach uns jetzt ganz schnell was zu essen!“, forderte Ariane ihn auf. Dieser seufzte. „Ich kann doch nicht jeden Tag für zehn Leute kochen!“ „Doch, kannst du.“, widersprach sie bestimmt. Eagle schnaubte. „Ich bin für ein Restaurant. Wenn ich noch mal was ohne Fleisch essen muss, lauf ich Amok.“ „Wie wär’s, wenn wir uns erst mal nach Lumiére teleportieren und dann weiter schauen?“, schlug Öznur schlichtend vor, bevor mal wieder ein Streit zwischen den Brüdern entstehen konnte. „Gute Idee.“, meinte Carsten und holte seine Karte von Damon raus, dieses Mal, um Arianes Heimatregion genauer unter die Lupe zu nehmen. „Du wohnst in Crèmefruite, oder?“ Ariane nickte. Irritiert hob Eagle eine Augenbraue. „Erst Dessert, jetzt Crèmefruite. Warum haben alle möglichen Namen bei euch mit Nachtisch zu tun?“ „Sei still, sonst bekomm ich noch mehr Hunger!“, beschwerte sich Ariane. Derweil überlegte Carsten, ob er sie nun eher in Arianes Heimatstadt, oder in die Hauptstadt Light teleportieren sollte. „Light liegt näher am Schrein, aber zum Teleportieren wäre eigentlich die Strecke nach Crèmefruite kürzer…“ „Wie weit ist denn Crèmefruite vom Schrein entfernt?“, fragte Ariane nach. „Denn in Light war ich noch nie, um ehrlich zu sein.“ Beschämt lachte sie auf. Sie war vermutlich die einzige, die noch nie die Hauptstadt ihrer Region gesehen hatte. Carsten seufzte. „Etwa so weit, wie die Entfernung zwischen Kara und diesem Schrein.“ Ariane verschränkte die Arme vor der Brust, während sie überlegte. „Lumiére ist eher für die Industrie und weniger für günstige Zugverbindungen bekannt, aber beim Schrein selbst war ich auch noch nie.“ „Das heißt, wir müssen so oder so nach Crèmefruite und danach wird improvisiert.“, meinte Carsten und seufzte erneut. „Hauptsache, wir essen gleich was.“, meinte Anne, anscheinend ebenso hungrig wie Ariane. „Also los, teleportier uns.“ Doch Carsten schüttelte den Kopf. „Hier befindet sich eine Magiebarriere. Wir müssen dieses Wäldchen erst verlassen.“ Sie befolgten seine Anweisungen, bis sie den kleinen Wald verlassen hatten, als Ariane bemerkte, dass Susanne die ganze Zeit über krampfhaft Lissis und Janines Hand gehalten hatte. Sie seufzte. Warum hatte der Pinke Bär Susanne auch so eine qualvolle Prüfung gegeben? Nur weil sie so schlau war?!? Schließlich wurde Arianes Frage weitaus kollektiver. Warum müssen eigentlich ausgerechnet wir gegen diesen Unzerstörbaren kämpfen? Wir sind trotz allem noch Kinder, also warum haben die Dämonen uns ausgesucht? Gedankenversunken reichte sie Carsten und Janine ihre Hand, als Carsten bemerkte, dass sie sich offensichtlich nicht auf ihr Ziel konzentrierte. Also bemühte sich Ariane, an ihr Haus in Crèmefruite zu denken.   Etwas zu spät bemerkte sie, dass die Küche wohl doch kein so gutes Ziel gewesen sein musste, als ihr Vater am Herd fast einen Herzinfarkt bei ihrem plötzlichen Auftauchen bekam. Natürlich hatte sie an die Küche gedacht. Sie hatte halt Hunger! „Mein Gott Ariane, mach das nie wieder!“, beschwerte er sich, als der Kopf ihrer kleinen Schwester hinter der Tür hervorlugte. „Nane?“ Begeistert kam sie auf sie zugeschossen und fiel ihr um den Hals. „Nane!!!“ „Hallo Gotsch!“, grüßte Ariane ihre kleine Schwester begeistert und befreite sich nach einer Minute aus ihrem Klammergriff. „Gotsch?“, fragte Öznur irritiert und musterte Arianes kleine Schwester. „Eigentlich heißt sie Johanna, aber ich hab sie seit ihrer Geburt schon Gotsch genannt.“, erklärte Ariane schulterzuckend. Johanna sah Ariane gar nicht so unähnlich, der größte Unterschied war, dass ihre Haare blond und nicht hellbraun waren. „Ahaaa…“ Mehr sagte Öznur nicht dazu. Das war Ariane auch recht, denn sie war viel mehr daran interessiert, was ihr Vater da kochte. „Es tut mir leid Ariane, doch ich habe nur für drei Leute Essen gemacht und nicht für eine ganze Kompanie, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass du so plötzlich hier auftauchst.“, meinte dieser. „Ähähähäm…“ Beschämt lachte Ariane auf. Im Gegensatz zu den anderen hatte sie natürlich nicht ihr Kommen angekündigt. Sie… hatte es vergessen. „Was machst du hier eigentlich? Und wie bist du hier her gekommen? Ich hab dich nicht kommen hören!“, erkundigte sich Johanna neugierig. Ariane hob die Faust in die Höhe. „Ich bin hier, um das Böse zu bekämpfen! Oder so… Na ja und Carsten hat uns her teleportiert.“ Arianes Vater schnaubte empört. „Dann hätte der junge Mann nicht gleich die Küche als Ziel nehmen müssen.“ Sie wollte schon erwidern, dass es eigentlich ihre Schuld war, doch Carsten kam ihr zuvor und murmelte nur ein: „Entschuldigen Sie bitte.“ Also entschied sich Ariane, Carsten einen dankbaren Blick zuzuwerfen. „Was ist denn das hier für ein Lärm?!? Ist das Mittagessen schon fertig?“ Ariane zuckte bei dieser Stimme unverzüglich zusammen und Johanna klammerte sich an ihre Hand und versteckte sich hinter ihr, als die Besitzerin dieser Stimme, eine Frau mit schwarzen, kurzen Haaren, blauen Augen und Solarium gebräunter Haut eintrat. Ihr kritischer Blick fiel auf die Gruppe, die ihrer Meinung nach nichts in der Küche zu suchen hatte. „Wer sind die und was wollen die hier?“, fragte sie und klang dabei unnötig angewidert. „Wir sind Freunde von Ariane und nur auf der Durchreise. Keine Sorge, wir haben nicht vor, zum Essen zu bleiben.“, ergriff überraschender Weise Eagle das Wort, der offensichtlich nicht sehr begeistert von der Respektlosigkeit dieser Frau war. Besagte Frau räusperte sich. „Dann ist ja gut. Wir haben nicht genug Platz für so viele Kinder. Ich bin übrigens Corinna, Arianes Mutter. Freut mich.“ Doch sie klang nicht sehr erfreut. „Stiefmutter.“, verbesserte Ariane, sehr zu Corinnas Ärgernis. Aber Ariane würde diese grässliche Frau nie als ihre wahre Mutter betrachten. Niemals! Corinna warf Ariane einen verärgerten Blick zu, den sie schließlich auf die ganze Gruppe richtete. „Seid ihr auch solche Freaks wie meine Tochter, die plötzlich aus dem Nichts zu leuchten anfangen? Ah, ja, eindeutig. Ich hätte es wissen müssen, als ich euch beide sah.“ Nun schaute sie nur noch Laura und Benni an, die ihr wohl besonders wegen ihrer schwarzen Kleidung aufgefallen waren. Während Laura verletzt und auch etwas traurig auf den Boden schaute, meinte der eiskalte Engel so ausdruckslos wie immer: „Wenn jemand wie Sie uns als Freak bezeichnet, zählt das wohl als Kompliment. Also vielen Dank.“ Verwirrt und auch bewundernd schaute Ariane den eiskalten Engel an, während ausgerechnet Anne ein Kichern zu unterdrücken versuchte. Auch Corinna wurde davon aus der Bahn geworfen, da sie offensichtlich etwas erwidern wollte, aber ihr nichts darauf einfiel. „Ähm… Wir sollten vielleicht aufbrechen, immerhin haben wir immer noch nichts gegessen.“, versuchte Öznur die Situation zu retten. „Können Sie uns ein gutes Restaurant empfehlen?“ Eigentlich war die freundlich gemeinte Frage an Corinna gerichtet, doch stattdessen antwortete Arianes Vater. „Es gibt einen guten Asiaten, dort haben wir bereits öfter gegessen. Ariane müsste den Weg wissen.“ „Vielen Dank und auf Wiedersehen.“ Öznur lächelte ihren Vater noch kurz an und schob Ariane zur Küchentür, bis sie von sich aus zu laufen anfing und sie zu der Haustür führte. Als sie bereits über den Garten gingen, hörte Ariane Johanna rufen: „Waaaaartet auf miiiiich!!!“ Verwirrt drehte sie sich um. „Ich will mit!“, erklärte ihre kleine Schwester empört. „Ich will nicht schon wieder alleine mit Papa und dieser dummen Kuh essen! Und du warst so lange nicht mehr da!“ Eagle lachte auf. „Kann ich nur zu gut verstehen.“ Seufzend gab sich Ariane geschlagen. „Papa wird davon zwar nicht begeistert sein, aber was soll’s.“ Sie führte die Gruppe einige Straßen entlang, bis sie endlich bei besagtem Asiaten angekommen waren. Janine hatte wieder die Hälfte von Lauras Portion bekommen und es wurde den Gästen freigestellt, ob sie mit normalem Besteck oder Stäbchen essen wollten. Ariane bemühte sich, mal mit Stäbchen auszuprobieren, doch musste sich eingestehen, dass sie bei diesem Versuch kläglich scheiterte, während Carsten, Benni und Laura beneidenswert perfekt damit umgehen konnten. Die anderen hatten sich zu Messer und Gabel geflüchtet, um damit so schnell wie möglich ihren Hunger stillen zu können. Ariane seufzte. Dass das so kompliziert war hatte sie nicht gedacht. „Ach so, Nane, was ich noch wissen wollte, warum hast du eine Stiefmutter?“, fragte Öznur plötzlich nach. Betrübt starrte Ariane ihr Essen an, das ihr immer wieder von den Stäbchen fiel. „Warum wohl?“ Da weder Öznur noch sonst wer irgendetwas sagte, erklärte Ariane schließlich: „Meine richtige Mutter starb an Karystma, als ich sieben Jahre alt war. Vier Jahre später hat Papa dann diese dumme Kuh, die ihr vorhin getroffen habt geheiratet.“ „Das tut mir leid…“, murmelte Laura betroffen und ließ ihre Stäbchen sinken. „Aber warum hat dein Vater die geheiratet? Ich meine, sie ist unausstehlich! Schon alleine aus dem Grund, wie sie deine Freunde behandelt.“ Empört spießte Öznur ihre gebratenen Nudeln auf. Ariane zuckte mit den Schultern. Sie hatte keine Ahnung. „Ich wäre viel mehr daran interessiert, wie sie auf die Idee mit dem ‚Freak‘ kam.“, sinnierte Carsten. „Als ich mich mit der dummen Kuh mal gestritten hatte, wollte sie mich hauen.“, erklärte Gotsch an Arianes Stelle, „Nane ist dazwischen gegangen und plötzlich wurden wir alle geblendet.“ Anne runzelte die Stirn. „Das heißt, sie weiß, dass du… Na ja, du weißt schon. Wenn diese Schlampe dich wirklich nicht ausstehen kann, könnte das gefährlich für uns werden.“ Ariane schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat’s nicht kapiert.“ Den Rest der Zeit verbrachten sie nur noch mit Essen, wobei Laura Ariane beibrachte, wie sie mit den Stäbchen umgehen musste und der größte Teil der Gruppe öfter innehielt, um sie belustigt zu beobachten. Nachdem Ariane endlich gesättigt war, machten sie sich mit dem Bus auf die Weiterreise, aber erst nachdem sie Johanna davon überzeugt hatten, dass sie nicht mitkommen konnte. Traurig dachte Ariane an ihren flehenden Blick zurück. Es fiel ihr schwer, sie schon wieder bei dieser Hexe zurücklassen zu müssen, die sich einfach so an den Platz ihrer Mutter gedrängt hatte. Ariane vermisste ihre Mutter sehr… „Man merkt erst, wie wichtig jemand für einen war, wenn er nicht mehr da ist. Nicht wahr?“ Sie warf Eagle einen erschrockenen Blick zu, weil dieser sie aus ihren tristen Gedanken gerissen hatte. Er lächelte sie entschuldigend an. „Das hatte mein Vater irgendwann mal zum Tod meiner Mutter gesagt.“ Deprimiert nickte Ariane. Ihr war ihre Mutter natürlich auch davor schon sehr wichtig gewesen, doch das Gefühl, als sie auf einmal nicht mehr da war, war furchtbar. Sie hatte einfach in all ihren Lebensbereichen gefehlt! Ariane überlegte. Wäre sie stolz auf mich gewesen, wenn sie gewusst hätte, dass ich die Besitzerin des Weißen Hais bin? Denn die strikte Anordnung des Weißen Hais hatte sie davon abgehalten, es irgendjemandem zu sagen.   ~*~   Als der Bus ihnen etwa ein Drittel ihres Weges abgenommen hatte, stiegen sie aus und gingen den Rest zu Fuß. Es war eigentlich eine gemütliche Strecke, auch wenn es manchmal anstrengend bergauf ging, was besonders Laura und auch Öznur zu schaffen machte. Sie befanden sich weit entfernt von der nächsten Stadt, die die Hauptstadt Light wäre und trafen nur auf vereinzelte Dörfer. An einer Stelle kamen sie an eine Autobahn, die die Großstädte miteinander verband und die es zu überqueren galt. Carsten merkte, wie Ariane unwohl wurde. „Geht es nur mir so, oder denkt auch ihr immer daran, dass man hier eigentlich ganz leicht Selbstmord begehen könnte?“ Er hob überrascht die Augenbrauen und schaute über das Geländer runter. Alleine der Gedanke daran, dass man hier sehr tief fallen könnte, ließ ihn schaudern. „Irgendwie hast du Recht…“ Ariane schüttelte sich. „Igitt, ich will nicht als Straßenmatsch enden! Wenn ich jemals tatsächlich Selbstmord begehen würde, würde ich viel lieber Tabletten schlucken.“ „Ach was, sei nicht so negativ, Nane. Das passt gar nicht zu dir!“, widersprach Öznur und begann plötzlich, den Autofahrern zuzuwinken. Einige LKW-Fahrer hupten ihr sogar als Antwort zu. „Oh mein Gott, das ist ja total lustig!“, rief Lissi begeistert und tat es Öznur gleich. Carsten seufzte. „Lasst das lieber. Ich hätte als Autofahrer eher Angst, dass ihr Steine runter werfen könntet.“ „Unsinn, du bist so ein Weichei.“, kommentierte Eagle seine Sorgen und setzte sich ganz entspannt auf die Brücke, wissend, dass es vermutlich noch etwas dauern könnte. „Leute, lasst uns endlich weiter gehen! Ich find’s hier unheimlich!“, drängte Ariane, doch niemand schien auch nur Notiz von ihr zu nehmen. Also rannte sie einfach schnell auf die andere Seite, um von der Brücke runterzukommen. Derweil setzte sich Carsten zu Susanne und Janine, die zwar nicht so verängstigt wie Ariane, aber dennoch besorgniserregend verschwiegen waren. Carsten wusste, dass die Prüfung Susanne immer noch belastete. Daher konnte er nur schweigend ihre Hand drücken und beobachtete derweil Benni, welcher am Geländer der Brücke lehnte und die Autos beobachtete, die unter ihnen durchrauschten. Noch nicht einmal Carsten hatte gewusst, dass er damals als Kind so gedacht hatte. Er hatte Vermutungen gehabt, aber mehr auch nicht. So hatte dieses Bild auf ihn nun eine ganz andere Wirkung. Wie Ariane bereits gesagt hatte, diese Brücke war eigentlich ideal zum Selbstmord. Vermutlich dachte sich Benni überhaupt nichts dabei. Und trotzdem hatte Carsten auf einmal Angst, dass er jede Sekunde auf das Geländer steigen und sich fallen lassen würde. Seine trüben Gedanken besserten sich etwas, als sich Laura ziemlich dicht neben Benni stellte, sodass sie sich fast berührten. Wobei dieser Annäherungsversuch vermutlich unbewusst geschah. Carsten wollte schon den Blick abwenden und ein Gespräch mit Susanne beginnen, um diese etwas aufzuheitern, als Laura plötzlich aufschrie. „Spinneeeee!!!“, krisch sie und klammerte sich panisch an Bennis Arm, während fast alle anderen lachend beobachteten, wie sich Laura erst vor der daumengroßen Spinne zu verstecken versuchte und dann einen Fluchtversuch startete. Doch da sie sich immer noch an Bennis Arm klammerte und sich dieser keinen Millimeter rührte, stolperte sie und flog regelrecht auf die Nase. Carsten hörte von hinten ein „Ich rette dich vor dem Fluch der Autobahn, Laura!“ rufen, als plötzlich Ariane vorbeigeschossen kam, Laura halb auf die Beine zerrte und sie auf die andere Seite der Brücke schleifte. Nur dummerweise war es die Seite, von der sie gerade erst gekommen waren, wie Ariane kurz darauf erschrocken feststellen musste. Bis auf Laura und Ariane selbst war eigentlich nur noch Benni nicht von dem Lachanfall betroffen, der den Rest der Gruppe heimsuchte. Carsten mühte sich wieder auf die Beine und ging rüber zu Laura und Ariane, die ziemlich verstört wirkten. „Na los, kommt schon, so schlimm ist es nicht.“ Wie zuvor bei Benni krallte sich Laura an seinen Arm und hielt sich soweit es ging vom Geländer fern, während sich Ariane wiederum an Lauras Arm klammerte. „Lasst uns endlich gehen.“, rief Carsten zu Öznur und Lissi rüber. „Ach bitte noch nicht, Cärstchen! Die Autofahrer sind so lustig!“, rief Lissi und begann, auf dem Geländer zu balancieren und schlug ein überraschend gekonntes Rad, bis sie schließlich Arianes lautstarker Anweisung nachgab, endlich da runter zu klettern.  Seufzend setzte sich Carsten wieder zu Susanne und Janine. Laura tat es ihm gleich, nur Ariane schaute sich verängstigt um. „Nane, setz dich doch einfach hin. Auf dem Boden ist es nicht ganz so schlimm.“, riet Janine ihr. Nur, dass sich Ariane daraufhin nicht auf den Boden setzte, sondern sich direkt auf den Bauch legte. Genervt stützte sich Carsten auf seiner Hand ab. Das würde noch ewig dauern! Zur Ausnahme schien Eagle dasselbe zu denken wie er, denn er stand einfach auf und meinte zu Öznur und Lissi: „Wenn ihr noch länger bleiben wollt, dann bitte. Ich hab nicht mehr vor, zu warten.“ Ohne ein weiteres Wort ging er weiter, als überraschender Weise auch Benni seinen Platz am Geländer verließ und ihm folgte. So stand auch Carsten auf und zerrte Ariane auf die Beine, die kurz darauf auch schon wieder von der Brücke sprintete. Dieses Mal auf die richtige Seite.   ~*~   Ab sofort erkläre ich Autobahnbrücken den Krieg!, beschloss Ariane energisch, als sie endlich weiter gingen und sogar Öznur und Lissi ihnen kurz darauf hinterher gerannt kamen. Sie konnte nicht verstehen, warum die beiden so begeistert davon waren! Sehr zu Arianes Bedauern hatte sich der Himmel in den letzten Tagen ziemlich verfinstert und kündigte einen gewaltigen Regenschauer an. Zum Glück lagen die Wolken sehr weit südlich, doch sie schienen ein sehr großes Terrain zu überdecken. Da ihr nächstes Ziel Yami sein würde, würden sie vermutlich in genau diesem Gebiet landen. Doch das Wetter war erst mal ohne Bedeutung. Viel wichtiger war, dass sie endlich den Schrein erreicht hatten und zwischendurch nicht noch eine Autobahn überqueren mussten. Verwirrt betrachtete Ariane den Schrein. Sonst war er immer irgendwie versteckt gewesen, oder so abgelegen, dass er auch schon wieder versteckt war. Doch ihr Schrein stand da einfach so auf einem freien Feld herum und wirkte völlig fehl am Platz. Na gut, er sah schon gut aus. Weitaus pompöser als der Schrein der Gelben Tarantel. Er war aus weißem Marmor und hatte kleine Türmchen an den Ecken. Das Eingangstor bestand aus hellem und sehr stabil wirkendem Holz. Ariane seufzte. Nun stand sie hier, vor dem Schrein des Weißen Hais, mit dem Ziel ihre Prüfung zu bestehen. Doch nachdem sie von Susannes Prüfung erfahren hatte, wollte sie eigentlich nur noch Reißaus nehmen. Sie spürte Carstens Hand auf ihrer Schulter. „Du schaffst das.“ „Aber was ist, wenn ich so eine ähnliche Prüfung wie Susi bekomme?“, vertraute sie ihm ihre Sorge an, biss sich aber kurz darauf erschrocken auf die Zunge. Verdammt, Susanne hatte sie garantiert gehört! Sie warf einen prüfenden Blick auf ihre Freundin, doch Susanne wirkte genauso niedergeschlagen wie zuvor. Das war zwar auch nicht gut, aber immer noch besser, als wenn sie Ariane tatsächlich gehört hätte und nun noch niedergeschlagener wäre. Unbewusst klammerte sich Ariane an Carstens Hand als sie ihn fragte: „Kannst jedenfalls du mitkommen?“ „Ich weiß nicht, ob der Weiße Hai mich reinlässt, aber ein Versuch schadet hoffentlich nichts.“, erwiderte er. Es war auch bitter nötig, dass Carsten die letzten Meter zum Schrein Arianes Hand hielt, denn hätte er sie nicht festgehalten, würde Ariane vermutlich immer noch an derselben Stelle stehen. Doch die Tür öffnete Ariane selbst. Als sie bereits eingetreten war, bemerkte sie, dass Carsten ihr nicht folgte. „Was ist?“ Dieser seufzte. „Eine Barriere hält mich davon ab, auch rein zu kommen.“ „Was?!?“ „Du musst da alleine durch… Es tut mir leid.“ Carsten lächelte Ariane traurig an, ließ ihre Hand los und entfernte sich einige Schritte von der Tür. „Du kannst das. Glaub an dich.“ „Warte!“, schrie Ariane. Noch ehe irgendjemand sonst zu ihr eilen konnte, fiel das Tor auch schon laut krachend in die Angeln. Sie befand sich in purer Dunkelheit. Ariane hatte Angst vor der Dunkelheit. Dort könnten zu jeder Zeit solche Gruselgestalten wie der ‚Tick-Tack-Mörder‘ oder die Nixe, die Laura angegriffen hatte, auftauchen. Und sie war allein. Ariane hatte auch Angst vor dem Allein-sein. Dann fühlte sie sich immer so schutzlos, als wäre sie der ganzen Welt ausgeliefert. „Okay, ich bin hier. Also fang endlich an mit deiner Prüfung.“, forderte sie den Weißen Hai auf und fragte sich, ob er sie überhaupt hören konnte oder wo er sich im Moment überhaupt befand. Seufzend verschränkte Ariane die Arme vor der Brust und wartete. Und wartete. Und wartete… Und wartete… … Langsam genervt setzte sie sich hin. Dieser Dämon wollte sie doch nicht ernsthaft in Geduld prüfen?!? „Ariane?“ Ariane schreckte hoch. Hatte da nicht irgendjemand ihren Namen genannt? Eine Stimme, die ihr so vertraut vorkam und die sie doch so lange nicht mehr gehört hatte? „Ariane, Liebes, bist du das?“ „Mama?!“, schrie Ariane in die Dunkelheit, als plötzlich ein paar Schritte vor ihr ihre Mutter auftauchte. Sie sah so aus, wie sie sie in Erinnerung hatte, mit seidigen braunen Haaren und strahlenden grünen Augen. Ariane spürte, wie sich die Tränen in ihren Augen sammelten. Sie rannte auf ihre Mutter zu, welche die Arme ausbreitete, um diese um ihre Tochter zu schließen. „Ich hab dich so vermisst!!!“, rief Ariane fröhlich und schloss ihre Mutter in die Arme. Doch sie griff ins Leere. „Mama?“ Verwirrt schaute sich Ariane um, doch von ihrer Mutter fehlte jede Spur.  Ihr Herz zog sich zusammen, als ihr wieder einfiel, wo ihre Mutter war. „Mama!!!“ „Nane? Was ist mit Mama?“ Im Nachthemd und sich die Augen reibend kam Johanna auf sie zu geschlurft. „Mama war gerade-“ „Ariane, deine Mutter ist tot.“ Entgeistert schaute sie ihren Vater an, doch dieser würdigte ihr keines Blickes. „Johanna, komm. Das Essen ist fertig.“ „Aber Papa-“, setzte Johanna an, doch da kam auch schon Corinna auf sie zu. „Wo bleibt ihr denn?“ „Ähm… Kann ich mitkommen?“, fragte Ariane zögernd. Als müsste sie um Erlaubnis fragen, um mit ihrer Schwester und ihrem Vater essen zu können! Corinna musterte sie mit angewidertem Blick. „Bleib bloß fern von uns, du Freak.“ „Ich bin kein Freak!“, beschwerte sie sich, doch Corinna hakte sich bei Arianes Vater unter und sie gingen. „Naneeeee! Komm mit!“, rief Johanna verzweifelt und streckte ihre Hand nach Ariane aus, doch egal wie sehr sich Ariane bemühte, sich ihnen zu nähern, es war zwecklos. „Wartet!!!“, schrie sie in die Dunkelheit. „Aua, Nane! Du musst mir ja nicht gleich ins Ohr brüllen.“ Erschrocken wich Ariane zurück, als plötzlich Carsten direkt vor ihr stand, der sie freundlich anlächelte. Während die Tränen sie übermannten, warf sich Ariane in Carstens Arme. „Ein Glück, du bist da! Eben ist meine Mutter aufgetaucht aber sie ist plötzlich wieder verschwunden und dann-“ Erschrocken hielt Ariane inne. Hatte da etwas auf ihren Kopf getropft? Vorsichtig hob sie den Blick. Carstens Gesicht war völlig blutverschmiert. Und nicht nur sein Gesicht! Die Wange herunter, die gesamte linke Seite entlang, waren tiefe Schnitte, die bis zu seiner Hüfte reichten. „Aaaah!“ Mit einem Aufschrei wich Ariane zurück, sodass Carsten in die Knie sackte. Als sie sich von dem Schreck erholt hatte, streckte sie vorsichtig ihre Hand nach ihm aus. „Ist alles in Ordnung?“ Doch sie spürte nur noch leblosen Staub unter ihren Fingern. Schluchzend stolperte Ariane einige Schritte zurück und verbarg ihr Gesicht hinter ihren Händen. Was ging hier vor sich?!? „Nane? Was hast du?“ Geschockt schaute Ariane auf, als sie Laura auf sich zukommen sah, gefolgt von dem eiskalten Engel, der so teilnahmslos wie immer wirkte. „Laura, ich- Carsten ist-“ Wie konnte sie Laura beibringen, dass eben gerade ihr bester Freund gestorben war?!? Laura musterte sie besorgt und kniete sich zu ihr runter. „Geht es dir nicht gut?“ Schluchzend schüttelte Ariane den Kopf. Ihr ging es grauenvoll!!! Es war fast so, wie als wäre sie in einem Albtraum gefangen!!! Ein eiskalter Schauder lief über Arianes Rücken, als sie sah, wie Laura sich räusperte und kurz darauf von einem fürchterlichen Hustenanfall geschüttelt wurde, in den sich eine schwindelerregende Menge Blut mischte. „K-keine Angst, Laura, das wird schon wieder!“, sprach sie sowohl Laura, als auch sich selbst Mut zu. Als Laura röchelnd ein: „Nein, es… es tut mir… leid.“ hervorbrachte, bevor sie das Bewusstsein verlor und in Arianes Armen zusammensackte. Ariane wurde das Herz schwer, als sie realisierte, was geschehen war. Laura war nicht ohnmächtig geworden… Sie war- „Warum hast du nichts getan?!?“, brüllte sie den eiskalten Engel unter Tränen an. „Du hättest sie retten können!!!“ Benni wich ihrem wütenden und zugleich von Trauer zerfressenen Blick aus, doch Ariane bemerkte, dass er zum ersten Mal selbst richtig traurig aussah. Sie hörte auf, ihn anzubrüllen. „Ist alles in Ordnung?“ Benni erwiderte ihren besorgten Blick und Ariane bildete es sich nicht nur ein, er hatte tatsächlich Tränen in seinen Augen! Sie wollte einen Schritt auf ihn zugehen, als aus dem Boden plötzlich Flammen schossen, die ihn einsperrten und kurz darauf ein gewaltig langer, spitzer Schnabel ihn verschlang. Ariane schrie auf und versuchte, ihr Herz zu beruhigen. War das eben wirklich passiert?!? Sie stolperte vorsichtig zu der Stelle, an der Benni eben noch gestanden hatte. An genau dieser Stelle lag eine silberne Halskette mit demselben silbern funkelnden Kreuzanhänger, den Ariane bereits an Lauras Hals gesehen hatte. Ariane streckte die Hand nach der Kette aus. „Nane, Hilfe! Hilf mir!“ Besorgt drehte sich Ariane um und entdeckte Janine, die auf sie zu gerannt kam, als würde eine Horde Vampire sie verfolgen. Atemlos fiel sie in Arianes Arme. „Ninie? Was ist passiert?!“ „Sie… Sie kommen.“, keuchte Janine.     Ariane wusste nicht, wer kam. Aber eben gerade waren vor ihren Augen drei gute Freunde gestorben! Sie wollte nicht auch noch Janine verlieren, sie musste sie beschützen! Das war das einzige, was ihr Gehirn noch zu denken imstande war. Beschützen. Ich muss sie beschützen! Also packte sie sie am Handgelenk und rannte weiter in die Dunkelheit in der Hoffnung, so ihren Verfolgern zu entkommen, als sich die Dunkelheit teilte und sie atemlos auf einer Brücke zum Stehen kam. Unter ihnen rauschten Autos entlang und Ariane überkam erneut ein Kälteschauer, als sie erkannte, wo sie sich befanden. „Susi!“, rief Janine plötzlich und rannte auf Susanne zu. Diese stand am Geländer und beobachtete die unter ihr entlangrasenden Autos. Als sie bemerkte, dass sich Janine und Ariane ihr näherten, hob sie schließlich den Blick. Sie weinte, stellte Ariane besorgt fest. „Es… Es tut mir leid… Ich kann das nicht…“ Ariane runzelte verwirrt die Stirn. „Was kannst du nicht?“ Doch Susanne antwortete nicht. Stattdessen setzte sie sich auf das Geländer und schaute wieder nach unten. „Susanne, lass das! Mir egal, was du nicht kannst, es wird sich garantiert eine Lösung finden!“, rief Ariane besorgt, als sie erahnte, was Susanne vermutlich vorhatte. Doch diese schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid.“, sagte sie und ließ sich nach vorne fallen. Ariane kniff beim Aufprall die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu. War das gerade wirklich passiert? War das ganze real?!? „Hab ich euch!“ Janine schrie auf und klammerte sich an ihrem Arm fest, als Ariane die widerliche Schleimerstimme erkannte und sich störrischen Blickes Lukas zuwandte. Sie würde Janine beschützen, sie musste Janine beschützen! Lukas lachte auf. „Guck nicht so kämpferisch, das bessert eure Lage auch nicht. Ihr seid die einzigen, die noch übrig sind, also erwartet keine Hilfe von euren anderen Freunden.“ Hieß das, alle anderen waren tot?!? Eingeschüchtert wich Ariane einen Schritt zurück. Einen kleinen Schritt. Aber ein großer Fehler. Ein lauter Knall ertönte und Janine sackte mit einem erstickten Laut zusammen. „Ninie!“, schrie Ariane. Das Entsetzen überkam sie als sie sah, wie ihr gelber Pulli begann sich tiefrot zu färben. Sie hatte ihr keine Deckung mehr gegeben… „Jetzt bist du an der Reihe.“ Ariane zitterte am ganzen Körper, als sie Lukas auf sich zukommen sah. In seinen Augen sah sie den puren Hass, die reine Schadenfreude und die Mordlust höchstpersönlich. In seinen Brillengläsern sah Ariane wieder, wie ihre Mutter sich in Luft auflöste, Corinna mit ihrem Vater Johanna von ihr wegzerrte, wie Carsten vor ihren Augen zusammengebrochen war, Laura in ihren Armen dem Karystma unterlag und Benni von einem gewaltigen Monster verschlungen wurde. Wie sich Susanne in die Tiefe stürzte und wie sie Janine dem tödlichen Schuss aus Lukas‘ Pistole preisgab. Schluchzend hielt Ariane die Hände vor ihre Augen, als sie den Lauf von Lukas‘ Pistole auf ihrem Scheitel spürte und hörte, wie er sie entsicherte. Würde sie hier einfach so sterben? Kampflos aufgeben? Doch Ariane wusste nicht, worum sie noch kämpfen sollte. Sie war allein! Sie hatte keinen mehr, den sie beschützen konnte!!! Und was war mit ihrem eigenen Leben? War es denn nichts wert? Nein. Wenn sie allein war, würde sie viel lieber sterben. Ariane schluchzte. War das wirklich die richtige Entscheidung? Nein, eigentlich nicht. Was würde es den anderen bringen, wenn sie ihnen jetzt auch in das Reich der Toten folgen würde? Gar nichts! Sie musste in der Lage sein, auch alleine zurecht zu kommen. „Ich lasse mich nicht töten und schon gar nicht von dir!!!“, schrie Ariane und ließ ihre gesamte Licht-Energie aus ihrem Körper. Sie stieß Lukas zurück, ehe er dazu kommen konnte, den Abzug zu drücken und rannte im Schutz ihres Lichtes davon. Keuchend blieb sie schließlich stehen und stoppte ihre Licht-Energie, die langsam an ihren Kräften zehrte. Doch nun befand sie sich wieder in völliger Dunkelheit. Als wäre ihr kalt schlang Ariane die Arme um sich. Was kommt jetzt? Wer wird jetzt vor meinen Augen sterben? „Keine Sorge, nun hast du alles überstanden.“ Erleichtert atmete Ariane auf, als sie die machterfüllte Stimme des Weißen Hais hörte. Doch mit der Erleichterung kam auch die Erschöpfung. Arianes Knie waren nicht mehr imstande, sie zu halten. Erschöpft sackte sie auf den nicht vorhandenen Boden und versuchte, ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Wie als wäre das Nichts in dem sie sich befanden mit Wasser gefüllt, kam der Weiße Hai auf sie zu geschwommen. Er war riesig. Ariane fühlte sich wie ein kleiner Wurm im Vergleich zu ihm. „Du hast dich gut geschlagen.“, lobte er sie. Doch Ariane konnte sich nicht über dieses Lob freuen. „Warum hast du mir das angetan?“, fragte sie, nach wie vor um Atem ringend. „Was?“ „Du weißt, was!“ Und wieder musste Ariane schluchzen. „Warum hast du sie alle getötet?!“ „Sie sind nicht tot, Ariane.“, widersprach der Weiße Hai. „Nur eine, doch das weißt du bereits.“ „Darum geht es mir nicht!“, rief sie aufgebracht. Zitternd atmete sie aus, konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Es war so grauenvoll…“ Der Weiße Hai seufzte. „Ich weiß, doch du musst dazu in der Lage sein, dich verteidigen zu können auch wenn sonst alles hoffnungslos erscheint. Du musstest das schaffen, worin dein Vorgänger versagt hat.“ Ariane schaute ihn fragend an, auch wenn die Tränen ihre Sicht undeutlich werden ließen. „Er wollte nicht mehr kämpfen, als er alleine zurückblieb. Er hat es nicht geschafft, das Licht in seinem Inneren am Leuchten zu lassen. Und das war sein Untergang.“, erklärte der Weiße Hai. „Und warum hast du mich dann ausgewählt?“ „Weil du genau das kannst. Weil sich dein Licht nicht erlöschen lässt.“ „So ein Blödsinn!“, schrie sie. „Ich hätte das genauso wenig geschafft, wie jeder andere! Ich bin noch ein Kind! Wir sind alle noch Kinder, noch nicht einmal Eagle ist volljährig! Also warum habt ihr uns ausgesucht?!? Warum nicht jemanden wie Konrad oder Florian, der schon erwachsen und erfahren ist?!“ Der Weiße Hai seufzte. „Ja, ihr seid noch Kinder. Aber genau deshalb haben wir euch auserwählt.“ „Wieso?!? Wir besitzen kaum Kampferfahrung, nein, die meisten von uns lernen gerade erst, zu kämpfen! Also warum braucht ihr dann ausgerechnet uns?“ „Weil ihr zusammenhaltet. Weil ihr noch Wert auf Freundschaft legt. Im erwachsenen Alter gehen diese Gefühle meist verloren, doch du müsstest ja wissen, was euren Vorgängern geschehen ist, weil sie sich gegenseitig nicht vertraut haben.“ Ariane stutzte. Nur deshalb? Doch im Prinzip hatte der Weiße Hai tatsächlich Recht. Würde sie für die Direktoren, falls einer von denen ein Dämonenbesitzer wäre, wirklich genauso hart kämpfen wie für Laura, Janine, Carsten, Susanne oder die anderen? „Aber ich konnte sie nicht beschützen… Ich habe Janine sterben lassen! Ich konnte Susanne nicht davon abhalten zu springen!“ „Das ist auch nicht deine Aufgabe.“, beruhigte der Weiße Hai sie. „Deine Aufgabe ist es, das Licht zu sein, welches es vermag die Dunkelheit zu erhellen. Der Hoffnungsfunken, der anderen den Weg weist.“ Die Energie, aus der er bestand, begann sich zu verformen. Die Schwanzflosse verschwand, er wandelte sich, bis vor Ariane ein attraktiver Mann mit hoch gegelten weißen Haaren stand, dessen weiße Augen, unheimlich und zugleich freundlich erschienen. „Deine Aufgabe war es das zu schaffen, was dein Vorgänger, ein erwachsener Mann wohlgemerkt, nicht geschafft hatte. Und diese Aufgabe hast du bestanden. Und ich bin überzeugt, dass du sie auch in Zukunft meistern wirst.“ Er beugte sich zu Ariane runter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Es war nur ein kurzer Moment, in dem seine Lippen sie berührten und in dem eine gewaltige Masse an Energie in ihren Körper floss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)